29. AnthroposophieWas also ist Anthroposophie? Aus der kurzen Biographie Steiners und denDarstellungen des Menschenbildes haben Sie schon viele Aspektekennengelernt: Es gibt eine Welt, die unseren normalen Sinnen nichtzugänglich ist, für die man die Wahrnehmungsorgane erst entwickeln muss.Steiner hat dafür ein Buch “ Wie erlangt man Erkenntnisse der höherenWelten” geschrieben. Wenn man aber diese Wahrnehmungsfähigkeiten nochnicht erworben hat, was wohl für die meisten unter uns gilt, kann man sichdoch mit den Aussagen der Anthroposophie beschäftigen. Werunvoreingenommen und mit gesundem Menschenverst<strong>and</strong> die Ideen derAnthroposophie durchdenkt oder im praktischen Leben anwendet, kann ihrenWahrheitsgehalt erleben. Durch diesen aktiven Umgang mit solchenspirituellen Inhalten verändert man sich als ganzer Mensch.Anthroposophie ist keine Sekte, man wird zu nichts verpflichtet, nicht finanziellausgenommen, nicht indoktriniert, man kann kommen und gehen wann manwill. Es gibt die anthroposophische Bewegung, dazu werden sich wohl vielezugehörig fühlen, die dem Geistesgut der Anthroposophie verbunden sind.Die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft sind auch zu nichtsverpflichtet, wollen nur durch ihre Mitgliedschaft eine intensivere Verbindungzu den geistigen Impulsen pflegen. Anthroposophie ist trotz ihrergrundsätzlich christlichen Ausrichtung für alle Religionen und Kulturen offen.So ist es auch möglich, dass es anthroposophische Institutionen in allenErdteilen gibt, Waldorfpädagogik existiert z.Z. in 76 Ländern.Wenn Sie als Patientin oder Patient <strong>Heileurythmie</strong> bekommen möchtenbrauchen Sie sich überhaupt nicht mit Anthroposophie zu beschäftigen, eswird auch keinem Heileurythmisten daran gelegen sein, anthroposophischeInhalte mit Ihnen zu besprechen. Es könnte natürlich schon sein, dass einegeistige Neuorientierung einen Gesundungsprozess unterstützen würde, aberwie und welche Wege ein Patient dabei einschlägt, bleibt ganz ihmüberlassen. Hat der Patient aber Fragen, die aus dem anthroposophischenAnsatz besprochen werden können, kann das durchaus auch vomHeileurythmisten aufgegriffen werden.50
30. Krankheit auf dem Hintergrund vonReinkarnation und KarmaDie Wiederholung unseres Lebens auf der Erde im Dienste einerkontinuierlichen Weiterentwicklung ist eine wesentliche Grundannahme derAnthroposophie. In jedem Leben werden gewisse Fähigkeiten erworben, diein verw<strong>and</strong>elter Form im nächsten Leben als Begabung vorh<strong>and</strong>en seinkönnen. Aber auch Versäumnisse oder Schulden haben einen Abdruck imnächsten Leben und stellen sich oft als Stolpersteine, die zur Entwicklungaufrufen, dar. Den Ausgleich, der sich in diesem Leben für einvorhergehendes einstellt, nennt man Karma. Karmischer Ausgleich verläuftmit Gesetzmäßigkeiten, die Steiner vor allem am Ende seines Lebenserforschte und darstellte. Zum persönlichen Karma gehören bestimmteMenschen, denen man sowohl in Sympathie wie auch in Antipathieverbunden sein kann. Es gibt auch ein übergeordnetes Karma, das ganzeGruppen von Menschen verbindet.Der Karma-Gedanke schließt die Freiheit nicht aus, denn in jedem Moment istder Mensch frei, neue Wege zu gehen, den Situationen mit neu zuerwerbenden Fähigkeiten zu begegnen, neue Impulse für das weitere Lebenzu ergreifen.Krankheiten kann man als Helfer auf diesem Weg betrachten, kommen siedoch manchmal wie aus “heiterem Himmel”. Oft kommt eine Genesungzust<strong>and</strong>e, wenn man etwas grundsätzlich Neues gelernt hat, was mit derKrankheit vielleicht gar nicht zusammenzuhängen scheint, was sie einemaber ermöglicht hat.Viele Menschen haben von diesen Zusammenhängen durchaus ein Gefühl,wenn sie fragen: Was für einen Sinn hat meine Krankheit? Manchmal kannman in der bisherigen Biographie einen Sinn finden, oft aber misslingt dieserVersuch. Denken Sie nur an die Krebserkrankungen kleiner Kinder. Anbloßen Zufall oder Pech zu glauben widerstrebt vielen Menschen. Da kannder Gedanke an Reinkarnation hilfreich sein, auch wenn man mitSpekulationen sehr vorsichtig sein muss. Allein das “ Fürmöglichhalten”derartiger Zusammenhänge verschafft einem eine <strong>and</strong>ere Einstellung zuKrankheiten.Nun könnte man meinen, dass es zu einer gewissen Gleichgültigkeit oderÜberheblichkeit führen könnte, weil man z.B. denkt: Der hat sich das ja allesim letzten Leben selbst eingebrockt. Aber das Gegenteil ist der Fall. MehrRespekt und Achtung vor dem Wirken so großer Kräfte und dem Ringenjedes Menschen um seine individuelle Entwicklung, gerade wenn es ihn durchtiefste Abgründe führt, sind die Folge. Dies ist der wahre Boden, auf dem dieanthroposophischen Initiativen arbeiten, wodurch z.B. in anthroposophischenKliniken ein viel respektvollerer Umgang mit den Menschen möglich wird alsin der heute üblichen mechanistischen Medizin.Durch Übungen kann man sich einen mehr oder weniger tiefen Einblick in diekarmischen Verhältnisse verschaffen. Wie Sie oben gesehen haben, muss mitjeder Entwicklung in dieser Richtung gleichzeitig eine moralische Entwicklungeinhergehen, d.h. anthroposophische Gedanken kann man nicht nur lernen,man verändert sich auch mit ihnen.51