Harmonikalager in Waschludt Tag der Nationalitäten ... - Neue Zeitung
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NZ 33/2009 G E S C H I C H T E N 5<br />
Fast bis zur Stelle gelangt, wo<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen versiegte<br />
Teich begann, fällt mir e<strong>in</strong>,<br />
dass wir uns an <strong>der</strong> hoch gewachsenen,<br />
breitkronigen Platane trafen,<br />
unter <strong>der</strong> wir früher oft zu zweit<br />
o<strong>der</strong> mit andren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n gespielt<br />
hatten. Edit fuhr kurz nach mir<br />
heran und parkte ihr Auto auf e<strong>in</strong>er<br />
kahlen, befestigten Fläche neben<br />
<strong>der</strong> geschotterten Straße. Während<br />
sie mir entgegenkam, sah ich, ohne<br />
zu ahnen, dass sich e<strong>in</strong>e Krankheit<br />
dah<strong>in</strong>ter verbergen könnte, wie<br />
schlank sie war, und <strong>in</strong> ihrem naturblonden<br />
Haar, das weit <strong>in</strong> den Nacken<br />
reichte, entdeckte ich auch bei<br />
<strong>Tag</strong>eslicht ke<strong>in</strong>e graue Strähne.<br />
Über e<strong>in</strong>en Waldweg, <strong>der</strong> zunehmend<br />
von Gestrüpp e<strong>in</strong>geengt<br />
wurde und schließlich zum Pfad<br />
verkümmerte, erreichten wir die begraste<br />
Lichtung, die mich erneut an<br />
das Bild er<strong>in</strong>nerte, das wir beide<br />
mochten. Vorbei an den breiter gewordenen<br />
Büschen, zwischen denen<br />
die versteckte, bemooste Fläche<br />
kaum noch zu erkennen war, g<strong>in</strong>gen<br />
wir, genau wie ich vorh<strong>in</strong>, wie<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
den Wald, und als er endete, wirkte<br />
Edit e<strong>in</strong>e Weile unschlüssig, ehe sie<br />
mich zu dem Punkt führte, auf dem<br />
ich jetzt stehe. Schwer vorzustellen,<br />
dass hier mal <strong>der</strong> Teich angefangen<br />
habe, me<strong>in</strong>te sie. Aber sie sei sich<br />
trotz ihres kurzen Zögerns ziemlich<br />
sicher. Weiter l<strong>in</strong>ks habe sich <strong>der</strong><br />
röhrichtfreie Uferstreifen befunden,<br />
über den wir zum Wasser gelangt<br />
seien. Sobald sie sich <strong>in</strong>s Gras<br />
setzte und s<strong>in</strong>nend vor sich h<strong>in</strong><br />
blickte, ahnte ich, dass sie ebenfalls<br />
an den frühen Abend dachte, als von<br />
mir Ste<strong>in</strong>chen um Ste<strong>in</strong>chen geworfen<br />
worden war, ohne dass e<strong>in</strong>s so<br />
oft wie ehemals den Teich berührt<br />
hatte.<br />
Erst als Edit nach längerem<br />
Schweigen wie<strong>der</strong> zu sprechen be-<br />
Der W<strong>in</strong>d säuselte über <strong>der</strong> Gegend,<br />
als kämen se<strong>in</strong>e Laute<br />
aus e<strong>in</strong>em süßlich kummervollen<br />
Märchen. Die Farben, das<br />
Gelb, das Rot und das Rost bewegten<br />
sich wie Verben e<strong>in</strong>es Arguments, das<br />
<strong>der</strong> Herbst für se<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> verwendet<br />
hätte. Selbst die immergrünen Tannen<br />
wiegten hellbraune Zapfen. Es lag<br />
e<strong>in</strong>e bedrohliche Vermutung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Umgebung. Vielmehr <strong>in</strong> Markus<br />
Ste<strong>in</strong>s Gedanken. Der vere<strong>in</strong>barte<br />
Term<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>er Bekannten war<br />
schon lange verstrichen. „Vielleicht<br />
sollte ich noch e<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten warten“,<br />
dachte <strong>der</strong> junge Mann ohne beson<strong>der</strong>e<br />
Hoffnung. Später, unterwegs<br />
zu se<strong>in</strong>er Wohnung, rief er aus e<strong>in</strong>er<br />
Telefonzelle an. Niemand hob ab. Sobald<br />
er <strong>in</strong> die Diele se<strong>in</strong>er Wohnung<br />
trat, fiel se<strong>in</strong> Blick auf das bl<strong>in</strong>kende<br />
Lichtsignal des Anrufbeantworters.<br />
Mit zittern<strong>der</strong> Hand drückte er die<br />
Abspieltaste. E<strong>in</strong>e wohl bekannte<br />
Stimme teilte ihm mit:<br />
„Markus, ich muss für unbestimmte<br />
Zeit <strong>in</strong> die Kl<strong>in</strong>ik. Falls du<br />
anrufen möchtest, melde dich auf<br />
<strong>der</strong> Onkologie!“<br />
gann, merkte ich, dass ich neben ihr<br />
saß. „Auch jetzt ist Kuckuckszeit“,<br />
sagte sie. „Der scheue Vogel ruft<br />
emsig wie damals. Und wie<strong>der</strong><br />
sche<strong>in</strong>t’s mir, als geschehe es nur<br />
für uns.“<br />
„Vielleicht ist es so.“<br />
„Weißt du“, fuhr sie fort, „dass<br />
ich dich <strong>in</strong> jenem Frühsommer genau<br />
wie ihn beneidet hab?“<br />
„Mich?“, fragte ich. „Wieso<br />
mich?“<br />
„Weil du kommen und wie<strong>der</strong><br />
gehen konntest, so dass es mich<br />
dünkte, du seist freier und wesentlich<br />
besser dran als ich.“<br />
„Inwiefern?“<br />
„Du warst <strong>der</strong> dörflichen Enge<br />
entflohen, lebtest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt, die<br />
dir bot, was es für mich nicht gab:<br />
K<strong>in</strong>os, Theater, Bibliotheken, Museen,<br />
Kaufhäuser, Restaurants, Cafés,<br />
Schwimmhalle, Freibä<strong>der</strong>.<br />
Außerdem durftest du im Gegensatz<br />
zu mir studieren, brauchtest<br />
de<strong>in</strong>e Muttersprache nicht zu verleugnen,<br />
bewegtest dich, wie ich<br />
me<strong>in</strong>te, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weitherzigeren<br />
Umfeld.“<br />
„In Bezug aufs Letztere hat <strong>der</strong><br />
Ansche<strong>in</strong> gründlich getrogen“,<br />
sagte ich.<br />
„Mag se<strong>in</strong>“, räumte sie e<strong>in</strong>.<br />
„Aber auch wenn man sich irrt,<br />
können starke Sehnsüchte entstehen.“<br />
„Wonach?“<br />
„Nach e<strong>in</strong>em Leben, das mehr<br />
bietet, als es für mich bereithielt.<br />
Das e<strong>in</strong>en nicht zw<strong>in</strong>gt, sich duldsam<br />
<strong>in</strong> ungeliebte Gegebenheiten<br />
zu schicken und zu ertragen, was<br />
andre fortgetrieben hat.“<br />
Die Schatten <strong>der</strong> Gegenstände<br />
lauschten schweigend. Auch die<br />
Wanduhr schlug leiser. „Was kann<br />
so plötzlich passiert se<strong>in</strong>?“, schoss<br />
es ihm durch den Kopf, „seit ich sie<br />
kenne, war sie immer kerngesund“.<br />
In <strong>der</strong> Tiefe se<strong>in</strong>er Seele erhob sich<br />
die Angst.<br />
„Ja, Frau Sommer liegt bei uns<br />
auf <strong>der</strong> Station“, meldete sich die<br />
Schwester auf se<strong>in</strong>e Frage h<strong>in</strong>,<br />
„s<strong>in</strong>d Sie ihr Ehemann?“<br />
„Ne<strong>in</strong>, nur e<strong>in</strong> Freund. Kann ich<br />
sie sprechen?“<br />
„Es tut mir Leid, aber <strong>der</strong>zeit ist<br />
dies nicht möglich. Sie wissen, dass<br />
ich Ihnen ke<strong>in</strong>e Auskunft geben<br />
darf, aber rufen Sie doch morgen<br />
noch e<strong>in</strong>mal an. Vielleicht erreichen<br />
Sie dann Professor Schnei<strong>der</strong>.“<br />
Mit e<strong>in</strong>er Polonaise von Chop<strong>in</strong><br />
versuchte er sich zu beruhigen. Die<br />
Melodien <strong>der</strong> Musik entführten ihn<br />
<strong>in</strong> die Vergangenheit. Bücher, Kriti-<br />
Stefan Raile<br />
Sommerwiese<br />
V. Teil<br />
Béla Bayer<br />
Tempus<br />
„Bist du mal auf den Gedanken<br />
gekommen, mit mir e<strong>in</strong>en Ausweg<br />
zu suchen?“, fragte ich.<br />
„An dem <strong>Tag</strong>, als ich erfuhr, wie<br />
sehr wir das gleiche Bild liebten“,<br />
erwi<strong>der</strong>te sie. „Es erschien mir wie<br />
e<strong>in</strong> Zeichen, das mich drängte, auf<br />
<strong>der</strong> Lichtung anzudeuten, was ich<br />
mir <strong>in</strong>sgeheim gewünscht hätte.<br />
Aber du hast es nicht mal bemerkt.“<br />
Also doch, dachte ich. Warum<br />
bloß b<strong>in</strong> ich so begriffsstutzig gewesen?<br />
„Als du weg warst“, fügte sie<br />
h<strong>in</strong>zu, „überdachte ich me<strong>in</strong>e Lage,<br />
verwarf sämtliche Träume, die mir<br />
auf e<strong>in</strong>mal zu vermessen schienen,<br />
und entschloss mich, <strong>der</strong> Vernunft<br />
folgend, das anzunehmen, was<br />
möglich war.“<br />
„Und heute?“, fragte ich. „Wie<br />
betrachtest du’s heute?“<br />
„In vielem an<strong>der</strong>s“, entgegnete<br />
sie. „Ich weiß um die Kehrseite,<br />
ahne, was mir erspart wurde, weil<br />
wir, als ihr weg musstet, bleiben<br />
durften.“ Dass es sie später nicht<br />
mehr fortgezogen habe, verdanke<br />
sie vor allem Lajos, dem es durch<br />
se<strong>in</strong>e Herkunft möglich gewesen<br />
sei, sie zu beschützen. Von ihm stetig<br />
unterstützt, habe sie sich bemüht,<br />
das Gegebene mit ihren Gefühlen<br />
und Möglichkeiten <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang<br />
zu br<strong>in</strong>gen, was ihr, seit sich<br />
landauf, landab e<strong>in</strong> Wandel vollziehe,<br />
endgültig gelungen sei. Da<br />
sie gern mache, was daheim, im<br />
We<strong>in</strong>garten und auf dem Melonenfeld<br />
nötig sei, gräme sie sich nicht<br />
mehr wegen des verwehrten Studiums,<br />
empf<strong>in</strong>de kaum noch die<br />
Enge, unter <strong>der</strong> sie früher gelitten<br />
ken und Korrekturen lagen <strong>in</strong> Unordnung<br />
überall, wo es noch e<strong>in</strong><br />
bisschen freien Platz gab. In se<strong>in</strong>er<br />
Er<strong>in</strong>nerung beugte sich die Frau<br />
über e<strong>in</strong> Schreiben. Ohne e<strong>in</strong>en<br />
Blick auf ihn geworfen zu haben,<br />
äußerte sie:<br />
„Das Leben ist überall Leben, das<br />
Leben existiert <strong>in</strong> uns, <strong>in</strong> unserem<br />
Inneren.“<br />
„F<strong>in</strong>de ich auch. Aber wie kommst<br />
du eben jetzt auf dieses Zitat?“<br />
„Während ich de<strong>in</strong>e neuesten<br />
Manuskripte las, wurde mir <strong>der</strong> Vergleich<br />
mit dem russischen Klassiker<br />
immer bewusster.“<br />
„Sag nur nicht...“<br />
„Gott möge mich schonen! Aber<br />
wirklich. De<strong>in</strong>e Figuren leben. Sie<br />
lieben das Leben. Wie du und ich.“<br />
„Und wie die weiteren Sterblichen!“<br />
„Spaßvogel, du!“<br />
Solche Gespräche fanden oft statt<br />
– heftige Diskussionen sogar.<br />
habe. Zum Ausgleich gebe es Vorteile,<br />
die sie <strong>in</strong>zwischen schätze:<br />
Man lebe e<strong>in</strong>trächtiger zusammen<br />
als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt, und sie fühle sich<br />
durch Familie, Haus, Verwandte<br />
und Freunde geborgen.“<br />
Das ist ihr Maß, dachte ich, und<br />
sie hat es e<strong>in</strong>facher, weil sie nur das<br />
e<strong>in</strong>e kennt. Bei mir zählt auch das<br />
andre, das größeres Gewicht hat als<br />
die Jahre im Dorf und mir deshalb<br />
erschwert, me<strong>in</strong>en eigenen Lebensweg<br />
zu bewerten.<br />
Als ahnte Edit, was mich beschäftigte,<br />
fragte sie: „Hast du mal<br />
drüber nachgedacht, was geworden<br />
wäre, wenn auch ihr im Dorf hättet<br />
bleiben dürfen?“<br />
„Öfter.“<br />
„Und?“<br />
„Ich hab noch ke<strong>in</strong>e Antwort gefunden“,<br />
erwi<strong>der</strong>te ich. „Vielleicht<br />
gibt’s gar ke<strong>in</strong>e?“<br />
„Ja, vielleicht“, sagte sie und<br />
horchte wie ich, ob sich <strong>der</strong><br />
Kuckuck, <strong>der</strong> vor geraumer Zeit<br />
verstummt war, noch e<strong>in</strong>mal meldete.<br />
Aber solange wir nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />
hockten, rief er nicht mehr.<br />
In den Jahren, die uns blieben,<br />
denke ich, hörten wir ihn manchmal<br />
wie<strong>der</strong>, wenn wir saßen, wo ich<br />
sitze und über Früheres, Gegenwärtiges<br />
o<strong>der</strong> Künftiges redeten. Nur<br />
über ihre e<strong>in</strong>mal unbeabsichtigt erwähnte<br />
Krankheit, die bedrohlicher<br />
war, als Edit zu glauben schien,<br />
wollte sie nicht weiter sprechen.<br />
Hätte sie den ungleichen Kampf gewonnen,<br />
wäre sie hier. Doch ich<br />
kann sie, wenn ich die Augen<br />
schließe, auch so sehen. Und<br />
nachher, auf dem Rückweg über<br />
unsre lichte, blühende Wiese,<br />
werde ich me<strong>in</strong>en, sie gehe neben<br />
mir.<br />
(Ende)<br />
In den folgenden Wochen wurde<br />
<strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Frau immer kritischer.<br />
Sie kam auf die Intensivstation.<br />
Sämtliche Versuche des jungen<br />
Mannes, e<strong>in</strong>e Besuchserlaubnis zu<br />
bekommen, scheiterten. „Welch’ unmenschliche<br />
Gesetze! Nur weil ich<br />
ke<strong>in</strong> Verwandter b<strong>in</strong>.“<br />
Die Äußerungen des Spezialisten<br />
„...wie die Lage momentan ist“ und<br />
die Formulierung „...theoretisch<br />
könnte es se<strong>in</strong>“ näherten sich immer<br />
mehr <strong>der</strong> Erklärung „...hätte se<strong>in</strong><br />
können“.<br />
Zum Erstaunen aller konnte die<br />
Frau die Kl<strong>in</strong>ik nach e<strong>in</strong>em halben<br />
Jahr verlassen.<br />
„Siehst du, ich lebe!“, strahlte sie<br />
ihn triumphierend an, als Markus sie<br />
abholte, „ich liebe es zu leben“. „Das<br />
glaube ich dir aufs Wort“, freute sich<br />
<strong>der</strong> Freund, „du hast e<strong>in</strong>en unbändigen<br />
Willen und weißt, dass die<br />
Existenz trotz aller Umstände lebenswert<br />
ist. Die Verbundenheit zu unserem<br />
Dase<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Mut s<strong>in</strong>d auch Elemente<br />
unseres Lebens. Das Se<strong>in</strong> war,<br />
ist und bleibt überall, was möglicherweise<br />
begründet, dass es mir vergönnt<br />
ist dich wie<strong>der</strong> zu sehen.“