Werk VI
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„ICH LESE INTER<strong>VI</strong>EWS AM LIEBSTEN,<br />
WENN DER NACHRICHTENWERT GERING<br />
UND DER ANEKDOTENWERT HOCH IST“<br />
Der Ursprung dieses smalltalkigen Gesprächscharakters der<br />
„Interview“ liegt in der Geschichte des Magazins.<br />
Richtig. Andy Warhol hat bei seinen Gesprächen auf Partys<br />
oder bei Abendessen immer das Tonband mitlaufen lassen –<br />
das wurde dann auch 1:1 gedruckt. Wenn sich jemand einen<br />
Rotwein bestellt hat, stand später im Magazin, welcher das war.<br />
Das waren ehrliche Gespräche, statt pseudo-hartem Nachfragen,<br />
wie es viele andere heute tun.<br />
Interviewer und Gesprächspartner sind also auf Augenhöhe.<br />
Ja, auf Augenhöhe bekommt man von den Leuten einfach auch<br />
mehr. Ich mag es gern, wenn Interviews nicht groß umgestellt<br />
und im Fluss erzählt werden.<br />
Das ist aber mittlerweile ganz schön schwer geworden – Stichwort<br />
Autorisierung, die vor der Veröffentlichung fast immer<br />
verlangt wird.<br />
Die schlimmsten Autorisierer sind ja gar nicht die, die selbst<br />
gesprochen haben, sondern deren Pressestellen. Das ist jedoch<br />
ein sehr deutsches Phänomen. Deshalb finde ich es natürlich<br />
viel angenehmer, im angloamerikanischen Raum zu interviewen.<br />
Da gilt das gesprochene Wort.<br />
er dann endlich kam, habe ich ihm von dem Geburtstag<br />
erzählt. Daraufhin griff er sich mein Handy und rief Ju an, um<br />
ihm Happy Birthday zu singen.<br />
Und was ist das Schlimmste, was Ihnen bei einem Interview<br />
passiert ist?<br />
Nicht wirklich schlimm, aber speziell: Am Abend, bevor ich<br />
Robert Anton Wilson, den Autor der Illuminaten-Trilogie, interviewen<br />
sollte, kam ein Kollege zu mir und meinte: „Vielleicht<br />
ist Robert Anton Wilson ja der heimliche Pressesprecher<br />
der Illuminaten!“ Danach konnte ich kaum schlafen und dachte:<br />
Oh Gott, vielleicht erzählt er ja die Wahrheit, getarnt in einem<br />
Science-Fiction-Buch, und alle fallen darauf rein? In seinem<br />
Haus hingen an den Wänden dann auch überall<br />
Urkunden über diesen und jenen Freimaurer-Grad und er<br />
selbst ist mit so einer Art Rollator rumgelaufen. Als ich während<br />
des Besuchs auf dem Klo war, dachte ich: Wenn ich mich<br />
jetzt umdrehe, steht er da – denn den Rollator braucht er gar<br />
nicht. Ich wurde paranoid. Aber gut, das lag vielleicht auch daran,<br />
dass ich vorher mit Herrn Wilson gekifft hatte – er war<br />
damals einer der ersten Patienten in Kalifornien, die medizinisches<br />
Marihuana bekamen.<br />
die selbst denkt und nicht in Schubladen gesteckt werden will.<br />
Wir haben bei mir zu Hause Risotto gekocht, uns drei Stunden<br />
unterhalten und es war super.<br />
Dass es angeblich keine Promis gibt, liegt ja auch daran, dass<br />
man sich in Deutschland schwer tut mit seinen Stars. Da zeigt<br />
Bobby Kolade seine Kollektion in einer für eine Fashion-Show<br />
ungewöhnlichen Location wie dem Berghain und die ersten<br />
drei motzen schon wieder, weil das zu obvious sei. Aber ich<br />
habe auch das Gefühl, dass es mit der Zeit besser wird.<br />
Wo Sie gerade Bobby Kolade ansprechen: Interessieren Sie sich<br />
privat für Mode? Die „Interview“ wird für ihre Modestrecken ja<br />
sehr geschätzt.<br />
Klar, ich kann jetzt nicht sagen, dass der Einfluss unserer<br />
Moderedaktion in den vier Jahren, die ich hier bin, spurlos an<br />
mir vorbeigegangen ist. Obwohl ich immer noch meine Vans<br />
trage – früher hätte ich nur keine mit Flamingos drauf gekauft!<br />
(lacht).<br />
Es gibt kein Budget-Limit: Wo und wie kleiden Sie sich ein?<br />
Das erste Kleidungsstück, das ich mir selbst gekauft habe, war<br />
ein dunkelblauer Kapuzenpulli von Trasher. Das letzte, das ich<br />
mir im Internet bestellt habe, war ein dunkelblauer Trasher-Pulli<br />
ohne Kapuze. Dazwischen liegen 25 Jahre.<br />
Wie viele Jahre ist Ihr erstes Interview her und wen haben Sie<br />
interviewt?<br />
Mein erstes Interview war mit Konrad Kujau, dem Fälscher der<br />
Hitler-Tagebücher. Das war 1995 in Stuttgart für eine landesweite<br />
Abi-Zeitung – und er hat mir angeboten, mein Abi-Zeugnis<br />
zu fälschen, falls mein Schnitt nicht reicht.<br />
In diesen 20 Jahren kam es sicher schon vor, dass Sie dem Interviewpartner<br />
keine gute Geschichte entlocken konnten. Was tun<br />
Sie dann?<br />
Das hatte ich mit Pharrell Williams. Er hatte einfach so gar<br />
keinen Bock und hat immer nur mit Ja oder Nein geantwortet<br />
– eigentlich undruckbar. Bei einem Freund von mir, der ihn<br />
auch interviewt hat, ist er eingeschlafen. Wenn gar nichts geht,<br />
schreibt man eben ein Porträt. Bei Pharrell hatte ich das Glück,<br />
dass ich irgendwann angefangen habe, mit ihm über das Skaten<br />
zu sprechen. Das war für Focus zwar auch undruckbar, hat aber<br />
wenigstens mich amüsiert. Also im Notfall: Weg mit den vorbereiteten<br />
Fragen und es mit Smalltalk probieren.<br />
Das bei der „Interview“ ja immer noch relativ original abgedruckt<br />
wird.<br />
Wir versuchen immer, den Leuten ihre Sprache zu lassen. Klar,<br />
sowas wie „Ähm“ kommt raus, aber wenn man ein dreistündiges<br />
Gespräch auf eine Doppelseite runterkürzt, bleibt da nicht<br />
mehr viel. Wir nehmen uns auch mal raus, wirklich lange Gespräche<br />
zu drucken. Das macht dann mehr Spaß, weil es eben<br />
ein Gespräch ist und kein bloßes Frage-Antwort-Spiel. Ich lese<br />
Interviews immer am liebsten, wenn der Nachrichtenwert gering<br />
und der Anekdotenwert hoch ist.<br />
Erzählen Sie doch mal eine Anekdote!<br />
Ich habe mal 50 Cent in einem Fünf-Sterne-Hotel in New York<br />
interviewt. Kurz nachdem er „In Da Club“ veröffentlicht hat.<br />
Ich wurde zuerst abgetastet, dann in einen Raum geführt, in<br />
dem zwei Typen FBI-mäßig kontrolliert haben, ob auch wirklich<br />
alles safe ist. 50 Cent kam an, in schusssicherer Weste gekleidet,<br />
war aber im Interview extrem freundlich. Auf Nachfrage,<br />
wieso er so nett ist, aber auf seinem Albumcover so<br />
furchteinflößend dreinblicke, meinte er dann, Eminem hätte<br />
ihm gesagt, dass er zu weißen Journalisten besonders nett sein<br />
soll. Später hab’ ich ihn gefragt, ob sein Nuscheln wirklich davon<br />
kommt, dass er von einer Schießerei (Anm. d. Red: 50<br />
Cent wurde im Mai 2000 neun Mal angeschossen) noch ein<br />
Stück der Kugel in der Zunge hat? Er schickte mich zum Händewaschen<br />
ins Bad und steckte danach meinen Finger in seinen<br />
Mund. Genau an die Stelle, an der tatsächlich eine harte<br />
Kante zu fühlen war. Das war schon ganz amüsant.<br />
Eine andere schöne Geschichte ist, dass ich einmal den Geburtstag<br />
von meinem Kumpel Ju verpasst habe, weil ich in<br />
London sieben Stunden auf Stevie Wonder warten musste. Als<br />
Es gibt ja noch viel mehr interessante Persönlichkeiten, mit<br />
denen Sie gesprochen haben: Eminem, der Dalai Lama, Bill<br />
Gates, Cher, David LaChapelle. Wer war Ihr Liebling?<br />
Eigentlich verliebe ich mich in jeden Interviewpartner ein bisschen.<br />
Selbst die Leute, die ich davor doof fand, finde ich danach<br />
meistens toll. Mick Jagger ist ein gutes Beispiel dafür. Mein<br />
Vater hat früher permanent die Stones gehört. Irgendwann<br />
fanden wir Kinder Jagger dann scheiße – und wollten lieber<br />
Mozarts Hornkonzerte hören. Hauptsache keine Stones mehr.<br />
Es war einfach zu viel. Deshalb hatte ich auf das Interview<br />
eigentlich keinen Bock. Dazu kam: nach Paris fahren, obwohl<br />
ich Paris nicht mag, 15 Presseagenten, Fragen vorher schicken<br />
und so weiter. Mick Jagger war dann aber so intelligent, so<br />
charmant, so witzig, hat druckreif gesprochen – super Typ. Da<br />
war ich echt schockverliebt.<br />
Und wer fehlt auf der Liste noch?<br />
Ich habe Madonna nie interviewt. Wobei ich sie jetzt gar nicht<br />
mehr so interessant finde. Ich hätte sie gern 1985 getroffen. Es<br />
gibt ja zum Glück noch sehr viele andere interessante Menschen.<br />
Vielleicht jemand aus Deutschland? Obwohl: Manche sagen ja,<br />
es gebe keine interessanten Promis in Deutschland.<br />
Quatsch! Es gibt viele interessante Prominente in Deutschland.<br />
Es kommt einfach nur darauf an, wie man mit Menschen<br />
spricht. Mit Katja Riemann habe ich zum Beispiel kurz nach<br />
ihrem Skandal-NDR-Interview (Anm. der Red.: Interview mit<br />
Hinnerk Baumgarten für die Sendung „Das!“, über das Riemann<br />
sich unzufrieden zeigte) gesprochen. Im Vorfeld hieß es:<br />
Frau Riemann ist schwierig. Aber letztendlich ist sie eine Frau,<br />
Die aktuelle Ausgabe der Interview<br />
erscheint mit vier Covern.<br />
Im Uhrzeigersinn: Paris Hilton,<br />
Stella Lucia, Conchita Wurst<br />
und Emma Stone<br />
Könnte Persönliches im Journalismus in Zukunft sowieso mehr<br />
gefragt sein? Gerade wenn man an Blogs denkt, die sehr erfolgreich<br />
sind. Stirbt der klassische Printjournalismus wirklich aus?<br />
Nein, der Printjournalismus wird nicht aussterben. Ich glaube,<br />
Nachrichten- und Boulevardzeitungen könnten es in Zukunft<br />
schwer haben. Denn das ist das, was das Internet gut kann:<br />
„Die hat sich von dem getrennt“ oder „Ein Flugzeug ist abgestürzt“<br />
– Schlagzeilen und News. Ich persönlich bin kein großer<br />
Fan von diesem Ich-Journalismus der Blogger, der es jetzt<br />
auch mehr und mehr in die Zeitungen schafft. Die Interview<br />
hat indes einen ganz guten USP, weil wir ja immer wieder zwei<br />
bekannte Persönlichkeiten miteinander sprechen lassen. Ich<br />
hoffe, das könnte in Zukunft ein Weg sein, um sich gegen das<br />
Internet durchzusetzen: Außergewöhnliche Ansätze, auserzählte<br />
Geschichten, hochwertige Produktionen, neue Formate.<br />
Ein Magazin muss Teil einer Lebenswelt sein – und so gut<br />
aussehen, dass es als Designobjekt durchgeht.<br />
Klingt aber nicht so, als seien Sie absoluter Print-Verfechter.<br />
Nein, ich finde Print und Online leisten einfach verschiedene<br />
Dinge, die beide ihre Daseinsberechtigung haben. Online ist<br />
schneller, Print ist schöner. Wichtig ist, dass die Leute überhaupt<br />
weiterhin lesen.<br />
Zum Abschluss noch Ihre absolute Lieblingsfrage!<br />
Eine Sache gibt es, die ich fast jeden frage: Was würde die<br />
16-jährige Nina über die Nina sagen, die hier heute sitzt?<br />
Gute Frage. Was würde der 16-jährige Jörg Rohleder wohl über<br />
den heutigen sagen?<br />
Die Antwort variiert. Heute: Rauchst du etwa immer noch?<br />
16 WERK <strong>VI</strong> Q&A WERK <strong>VI</strong> Q&A<br />
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