Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumKontakt zur Heimat, erzählt Frau Mart<strong>in</strong>. Identität <strong>und</strong> Wurzeln – auch über diese Themenlohnt es im Zusammenhang mit dem Begriff held/<strong>in</strong> nachzudenken.Dafür haben wir <strong>in</strong> den nächsten M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong> wenig Zeit, denn bis zu Stopp No. 4 <strong>in</strong> Klockowist es knapp e<strong>in</strong>e halbe St<strong>und</strong>e. Dort angekommen, halten wir am „Dörphus“, e<strong>in</strong>erehemaligen Schule, die dank e<strong>in</strong>iger Helden aus der Geme<strong>in</strong>devertretung nun e<strong>in</strong>Dorfgeme<strong>in</strong>schaftshaus mit vielen <strong>in</strong>teressanten Projekten für jung <strong>und</strong> alt ist. Das „Dörphus“sehen wir allerd<strong>in</strong>gs nur von außen, denn die Schauspieler haben anderes mit uns vor: mittheatralischer Kunst locken sie uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en nahegelegenen Birkenwald. Dass wir uns dabe<strong>in</strong>icht fürchten wie Hänsel <strong>und</strong> Gretel, liegt auch an der <strong>in</strong>zwischen geradezu familiärenStimmung <strong>in</strong> beiden Bussen. Man ist untere<strong>in</strong>ander längst <strong>in</strong>s Gespräch gekommen, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>wenig fühlen wir uns wie e<strong>in</strong>e große Familie, mit zwei Eltern zum Gernhaben – Inés <strong>und</strong>Arthur.Wie es sich für gute Eltern gehört, werden sie auch streng, wenn es mal se<strong>in</strong> muss. So wiejetzt. Wir hängen <strong>in</strong> der Zeit, daher werden wir nach beendeter Theater-Performanceangehalten, rasch wieder die Busse zu besteigen. Ist uns auch ganz recht, denn die ansässigenNachbarn beäugen uns hier e<strong>in</strong> wenig argwöhnisch. Irgendwie auch verständlich, wenn ane<strong>in</strong>em stillen Samstagnachmittag irgendwo auf dem Dorf plötzlich e<strong>in</strong> Bus mit über 100Menschen e<strong>in</strong>fällt, zu dem sich dann auch noch Schauspieler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schauspielern mit teilslautstark vorgetragenen Darbietungen gesellen. Für die Beteiligten der Busreise sche<strong>in</strong>t dasZiel „aktive Teilhabe statt Vorurteil“ bisher bestens aufzugehen, aber was ist mit denMenschen, denen wir überall auf den Dörfern begegnen? Geht die Idee auf, durch diekünstlerischen Darbietungen den Dialog zu fördern? Oder werden sie, ganz im Gegenteil,durch die <strong>Aktion</strong>en vor ihrer Haustüre eher abgeschreckt?„Natürlich f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Annäherung statt. Man muss immer <strong>Aktion</strong> machen! Die Menschenmüssen sich w<strong>und</strong>ern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Haltung dazu e<strong>in</strong>nehmen. Entweder sie sagen ‚Verstehe ichnicht’ <strong>und</strong> drehen sich um. Oder sie bleiben stehen <strong>und</strong> denken darüber nach. Aber man musses tun, unbed<strong>in</strong>gt!“ Fragt man Rolf Weißgerber, gibt es auf diese Frage e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigeAntwort. Er ist Betreiber des Kulturhauses K<strong>in</strong>o Brüssow, e<strong>in</strong>em 2007 <strong>in</strong>s Leben gerufenenVere<strong>in</strong>, der regelmäßig Filme, Ausstellungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en deutsch-polnischen Chor anbietet –<strong>und</strong> somit unser Held für Stopp No. 5. Weißgerber selbst würde sich übrigens <strong>in</strong> diesemMoment eher unter „Verstehe ich nicht“ e<strong>in</strong>ordnen. Denn soeben ist er vor se<strong>in</strong>em KulturhausZeuge e<strong>in</strong>er weiteren Theater-Performance des Ensembles aus Bröll<strong>in</strong> geworden, <strong>und</strong> sorichtig vermag er dazu ke<strong>in</strong>en Zugang zu f<strong>in</strong>den. „E<strong>in</strong>e künstlerische <strong>Aktion</strong> hat <strong>in</strong> Bröll<strong>in</strong>e<strong>in</strong>en anderen Wert als bei uns hier, weil wir wesentlich mehr auf die Menschen bezogen s<strong>in</strong>d<strong>und</strong> von da auch direkt herangehen. Bei uns würde ich <strong>in</strong>sofern mehr von Kunsthandwerksprechen als von Kunst, da liegt schon e<strong>in</strong> Unterschied.“Unterschiede respektieren <strong>und</strong> zugleich Geme<strong>in</strong>samkeiten betonen – diese Maxime gilt <strong>in</strong>besonderem Maße auch für die [Gender] Werkstatt Ram<strong>in</strong> e.V., den letzten Stopp unsererReise. In dem Ort Ram<strong>in</strong> nahe der polnischen Grenze haben sich die Mitglieder zum Zielgesetzt, kulturelle Vielfalt als Chance zu vermitteln <strong>und</strong> nicht als Anlass zur Abgrenzung.Wie das aussehen kann, bekommen wir bei unserer Ankunft geradezu leidenschaftlichdemonstriert. Denn zum Programm des Hauses gehören auch Tango-Kurse mit deutschen <strong>und</strong>44
Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumpolnischen Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern aus der <strong>Region</strong>, <strong>und</strong> im Ballsaal des romantischenGutshauses erhalten wir e<strong>in</strong>e feurige Kostprobe. Deutsche <strong>und</strong> Polen praktizieren geme<strong>in</strong>samargent<strong>in</strong>ische Tänze – die [Gender] Werkstatt Ram<strong>in</strong> e.V ist e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong> Held<strong>in</strong> imVermitteln kultureller Offenheit!Dass neben aller kulturellen Offenheit auch kulturelle Klischees ihre Glanzmomente habenkönnen, erleben wir direkt im Anschluss, <strong>und</strong> <strong>in</strong> diesem Fall haben wir aber auch wirklich garnichts dagegen e<strong>in</strong>zuwenden: Unsere Gastgeber<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Gastgeber machen dersprichwörtlichen polnischen Gastfre<strong>und</strong>schaft alle Ehre <strong>und</strong> tischen e<strong>in</strong> köstliches Kaffee-Kuchen-Büffet auf. Zeit für uns, das Erlebte e<strong>in</strong>es ereignisreichen Tages noch e<strong>in</strong>mal Revuepassieren zu lassen.Auch Matthias Diekhoff aus Anklam ist noch mit von der Partie. Se<strong>in</strong> Fazit des Tages: „Esgibt hier genauso viele Helden wie anderswo auch. Sie sche<strong>in</strong>en allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> gewissesVerkaufsproblem zu haben. Das Motto ‚Tu Gutes <strong>und</strong> sprich darüber’ f<strong>in</strong>det man hier ehernicht.“ Dass held/<strong>in</strong>_dorf genau dort ansetzt, f<strong>in</strong>det Diekhoff daher gut. Dieser Me<strong>in</strong>ungschließt sich die Dame direkt h<strong>in</strong>ter ihm <strong>in</strong> der Büffetschlange an: „Ich b<strong>in</strong> begeistert von demIdeenreichtum <strong>und</strong> dem Engagement“, lobt Jenniyfer Kliewe die Helden unserer heutigenBustour. Die 27-Jährige stammt aus dem Ort Pasewalk. Dort hatte am 11. August diesesJahres e<strong>in</strong>e Menschenkette Schlagzeilen gemacht, bei der 2000 Menschen e<strong>in</strong> deutlichesZeichen gegen Rechts setzten.Jenniyfer Kliewe sieht den heutigen <strong>Aktion</strong>stag als direkte Fortsetzung dieser Menschenkette:„Ich habe das Gefühl, dass momentan etwas im Umbruch ist, dass die Leute sich mehrverantwortlich fühlen <strong>und</strong> dementsprechend handeln. Die Jugend wird sich bewusst, dass sieauch Macht hat, Entscheidungen zu treffen <strong>und</strong> mitzubestimmen, was hier passiert <strong>und</strong> nichtpassiert. Das hat man bei der Demokratiemeile neulich ganz deutlich gesehen. Da waren soviele junge Leute vertreten, die sich vorher nicht kannten <strong>und</strong> die sich verb<strong>und</strong>en gefühlthaben. Dieses Gefühl verspüre ich hier <strong>und</strong> heute wieder.“Und tatsächlich – wer die große Reisegruppe hier <strong>in</strong> all ihrer Geme<strong>in</strong>samkeit <strong>und</strong>Gesprächigkeit erlebt, würde wohl nie vermuten, dass sich die TeilnehmerInnen erst sechsSt<strong>und</strong>en zuvor kennengelernt haben. Nun ist e<strong>in</strong>e fröhliche Bustour durch die Dörfer ist etwasanderes als Alltag <strong>in</strong> den Dörfern. Und <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> südliches Vorpommern wohnen e<strong>in</strong> paarmehr Menschen, als <strong>in</strong> zwei Busse passen. Doch wenn es stimmt, dass große Veränderungenkle<strong>in</strong> anfangen, dann war dieser Tag e<strong>in</strong> großer kle<strong>in</strong>er Schritt <strong>in</strong> die richtige Richtung. Undsowieso: So laut, wie wir auf dem Rückweg nach Bröll<strong>in</strong> aus vere<strong>in</strong>ten Kehlen zu „Heroes“von David Bowie mitträllern, werden wir sicherlich auch im letzten W<strong>in</strong>kel der <strong>Region</strong>vernommen.Nico Cramer- Faltblatt:http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/aas12/faltblatt_web-3-.pdf- E<strong>in</strong>ladung: http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/pdfs/flyer.pdf- Programmheft:http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/pdfs/programmheft.pdf45