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Sozialraumanalyse und Befragungsergebnisse - Region in Aktion

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Mit Kommunikationzivilgesellschaftliches Engagement stärken<strong>Sozialraumanalyse</strong> <strong>und</strong> <strong>Befragungsergebnisse</strong>der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumE<strong>in</strong> Bericht von Swantje Tobiassen, Kathar<strong>in</strong>a Husemann <strong>und</strong> Natalie Sensevy; unterwissenschaftlicher Beratung durch das Leibniz-Institut für <strong>Region</strong>alentwicklung <strong>und</strong>Strukturplanung IRS (Dr. Anna Richter <strong>und</strong> Anika Noack).2


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumInhalt1 E<strong>in</strong>leitung ........................................................................................................................... 42 Mit Kommunikation zivilgesellschaftliches Engagement stärken .................................... 42.1 Entstehungszusammenhang des Projekts ................................................................. 52.2 Profil der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde – Ergebnisse aus der <strong>Sozialraumanalyse</strong> ......... 63 Methodisches Vorgehen ..................................................................................................... 93.1 Qualitativer <strong>und</strong> quantitativer Methodenmix ........................................................... 93.2 Zur Durchführung der aktivierenden Befragung ................................................... 104 Leben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de .................................................................................................... 124.1 Bestandsaufnahme ................................................................................................. 124.2 Chancen / Ressourcen / Wünsche .......................................................................... 165 Medien ............................................................................................................................. 185.1 Bestandsaufnahme ................................................................................................. 185.2 Chancen / Ressourcen / Wünsche .......................................................................... 206 Fremde <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> ...................................................................................................... 226.1 Bestandsaufnahme ................................................................................................. 226.2 Chancen / Ressourcen / Wünsche .......................................................................... 247 Soziale Teilhabe ............................................................................................................... 247.1 Bestandsaufnahme ................................................................................................. 247.2 Chancen / Ressourcen / Wünsche .......................................................................... 268 Ergebnisse der Befragung <strong>und</strong> Handlungsansätze zur Förderung e<strong>in</strong>es aktivendemokratischen Geme<strong>in</strong>wesens <strong>in</strong> <strong>und</strong> um Fahrenwalde ................................................ 289 Literatur ........................................................................................................................... 3310 Anhang ............................................................................................................................. 3510.1 Erster <strong>und</strong> zweiter Dialogtag auf Schloss Bröll<strong>in</strong> .............................................. 3510.2 Fokusgruppentreffen .......................................................................................... 3610.2.1 Erster Bericht zum Treffen der ersten Fokusgruppe am 08.03.2012 im RathausPasewalk: „Netzwerke bilden & Initiative sichtbar machen“ .......................................... 3610.2.2 Zweiter Bericht zum zweiten Fokusgruppentreffen am 09.03.2012 imFreizeitzentrum Happy Together <strong>in</strong> Pasewalk: „Formen der Jugendarbeit“ .................... 3810.3 Podiumsdiskussion: Identität stiften <strong>und</strong> Zusammenhalt stärken ...................... 4010.4 held/<strong>in</strong> dorf ......................................................................................................... 413


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum1 E<strong>in</strong>leitungDas Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum der Amadeu AntonioStiftung, schloss bröll<strong>in</strong> e.V., Zossen zeigt Gesicht <strong>und</strong> The Work<strong>in</strong>g Party uUG unterstütztInitiativen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e im Altkreis Uecker-Randow (südliche Teil von Vorpommern-Greifswald) <strong>und</strong> <strong>in</strong> Zossen, um mit den Mitteln der kulturellen Bildung <strong>und</strong> darstellendenKunst die Kommunikation zwischen den Menschen zu fördern, Zivilgesellschaft sichtbar zumachen <strong>und</strong> darüber demokratische Kultur zu stärken.Um angemessene Angebote <strong>und</strong> Unterstützung für die Menschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu schaffen,wurden von Oktober 2011 bis März 2012 Schlüsselfiguren <strong>und</strong> Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger zuihren Bedürfnissen <strong>und</strong> Wünschen <strong>in</strong> Bezug auf Kommunikationsmittel <strong>und</strong>-wege befragt sowie e<strong>in</strong>e <strong>Sozialraumanalyse</strong> durchgeführt. Angepasst an die Ergebnisseentwickelten die Stiftung <strong>und</strong> ihre Partner Strategien <strong>und</strong> Konzepte, um diese Bedürfnisse derMenschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> adäquat zu berücksichtigen. Die Strategien haben zum Ziel, dieKommunikation zwischen den Menschen untere<strong>in</strong>ander, aber auch <strong>in</strong> Bezug zu regionalenInitiativen <strong>und</strong> Institutionen sowie zu den regionalen Zeitungen zu verbessern.Dieser Bericht beleuchtet im ersten Kapitel den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> die regionale Situation imehemalige Landkreis Uecker-Randow, die zu dieser Projekt<strong>in</strong>itiative geführt hat. In Kapitel 2wird das methodische Vorgehen, sich konstituierend aus e<strong>in</strong>em qualitativen <strong>und</strong> quantitativenMethodenmix, erläutert. In den weiteren Kapiteln werden die Ergebnisse der Befragung mitden Themenschwerpunkten Leben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de (4), Medien (5), Fremde <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> (6)sowie soziale Teilhabe (7) vorgestellt. Der Bericht schließt mit konkreten Handlungsansätzenzur Förderung e<strong>in</strong>es aktiven demokratischen Geme<strong>in</strong>wesens (8).2 Mit Kommunikation zivilgesellschaftliches EngagementstärkenKommunikative Austauschprozesse s<strong>in</strong>d essentiell für die Entwicklung von geme<strong>in</strong>samemWissen, gegenseitigem Verständnis <strong>und</strong> zum Austausch von Kenntnissen <strong>und</strong> Me<strong>in</strong>ungen.Durch gegenseitigen Austausch lernen Menschen andere Me<strong>in</strong>ungen kennen <strong>und</strong> respektieren,haben die Möglichkeit, sich ane<strong>in</strong>ander zu reiben <strong>und</strong> unterschiedliche Ansichtenauszudiskutieren. „Je mehr die Menschen […] mite<strong>in</strong>ander kommunizieren, destodifferenzierter ist ihr Me<strong>in</strong>ungsbild, desto größer ist ihr Verantwortungsgefühl <strong>und</strong> ihrePartizipationsbereitschaft <strong>und</strong> desto mehr Gelegenheiten entstehen für den e<strong>in</strong>zelnen durchden <strong>in</strong>tensiveren Informationsfluss <strong>in</strong> den lokalen Netzwerken.“ (Schnur 2009).Kommunikation zwischen Menschen ist demnach gr<strong>und</strong>legend für die Entstehungdemokratischer Kultur <strong>und</strong> somit für e<strong>in</strong>e funktionierende Zivilgesellschaft. Auch wennKommunikation nicht per se demokratisch ist, sondern dar<strong>in</strong> auch rechtsextremistischeThemen <strong>und</strong> Inhalte verhandelt werden können, ist gerade e<strong>in</strong>e differenzierte <strong>und</strong> kritischeöffentliche Kommunikation e<strong>in</strong> wichtiger Katalysator im demokratischen Prozess (Neumannet. al. 2012).4


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumUm die demokratische Kultur <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu stärken, ist es also notwendig, dieKommunikation zwischen den Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern zu fördern. Deshalb hat das Projekt<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> als Ziel, den Austausch zwischen den Menschen, zwischen Menschen <strong>und</strong>Politik <strong>und</strong> zwischen Menschen <strong>und</strong> Medien zu stärken. Das Projekt erprobt <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern <strong>und</strong> Brandenburg verschiedene Kommunikationsstrategien, um herauszuf<strong>in</strong>den,wie der Austausch zwischen den Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern sowohl quantitativ als auchqualitativ verbessert werden kann. <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> hat Modellcharakter, da bisher Ansätze,die systematische Kommunikationsstrategien zur Aktivierung zivilgesellschaftlichenEngagements <strong>und</strong> demokratischer Kultur reflektieren, <strong>in</strong> der Zivilgesellschafts- <strong>und</strong>Engagementforschung wenig Beachtung f<strong>in</strong>den (Neumann et al. 2012). Das Projekt hatausgewählte Kommunikationsformen der Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>Vorpommern-Greifswald untersucht <strong>und</strong> entwickelt auf dieser Gr<strong>und</strong>lage Methoden <strong>und</strong>Strategien, um das zivilgesellschaftliche Engagement 1 <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu fördern.2.1 Entstehungszusammenhang des ProjektsDie Frage, wie Personen, die sich noch nicht engagieren, ermutigt werden können, Angeboteanzunehmen, um sich aktiv für e<strong>in</strong> offenes <strong>und</strong> tolerantes Mite<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>zusetzen,beschäftigt sowohl die Amadeu Antonio Stiftung als auch ihre Partner. Hierfür ist es wichtigzu wissen, welche Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Voraussetzungen geschaffen werden sollten, damit dieBürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger sich e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können sowie H<strong>in</strong>dernisse herauszuarbeiten, andenen Engagement scheitern kann. Darüber h<strong>in</strong>aus soll eruiert werden, wiezivilgesellschaftliche Initiativen, wie beispielsweise schloss bröll<strong>in</strong> e.V., die sich fürdemokratische Kultur e<strong>in</strong>setzen, zielgerichteter unterstützt werden, um auf die jeweilskonkreten Gegebenheiten vor Ort e<strong>in</strong>gehen zu können. Getragen von diesen geme<strong>in</strong>samenVorstellungen, Überzeugungen <strong>und</strong> Wünschen ist das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> entstanden.Die Projektarbeit basiert auf e<strong>in</strong>er erfolgreichen Kooperation zwischen der Amadeu AntonioStiftung, schloss bröll<strong>in</strong> e.V. <strong>und</strong> The Work<strong>in</strong>g Party 2 im Jahr 2010, bei der geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>Dorffest <strong>in</strong> Fahrenwalde veranstaltet wurde. Bei diesem als Landpartie bezeichneten Projektg<strong>in</strong>g es darum, die Beziehung zwischen der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde <strong>und</strong> Schloss Bröll<strong>in</strong> als<strong>in</strong>ternationalem Kunstproduktionsort neu zu def<strong>in</strong>ieren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en kreativen, kommunikativenProzess zu etablieren.Der Vere<strong>in</strong> schloss bröll<strong>in</strong> hat se<strong>in</strong>en Standort im e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>deten Ortsteil Bröll<strong>in</strong> vonFahrenwalde. Hier entstehen seit 1992 künstlerische Produktionen <strong>und</strong> Projekte mitprofessionellen, nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen darstellenden Künstler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Künstlern.Der Vere<strong>in</strong> führt kulturelle Jugendprojekte, zeitgenössische Tanz- <strong>und</strong> Theaterproduktionen<strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale, <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Projekte durch, bei denen es um Produktion, Austausch1 Da der Aufbau <strong>und</strong> die Förderung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Verständnisses von Zivilgesellschaft <strong>und</strong> bürgerschaftlichemEngagement nur vor Ort ausgehandelt werden kann, haben wir bei unseren Befragungen die räumlichen Gegebenheiten sowie<strong>in</strong>dividuellen Erfahrungen <strong>und</strong> Ressourcen berücksichtigt.2 Die Theatergruppe <strong>und</strong> Projektagentur ist darauf spezialisiert, Produktionen <strong>und</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Projekte situationsgerechtzu erarbeiten <strong>und</strong> umzusetzen.5


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum<strong>und</strong> Vermittlung geht. Die Kooperation im Rahmen von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> ist für schlossbröll<strong>in</strong> e.V. e<strong>in</strong>e Möglichkeit, mit Unterstützung von Fachleuten geme<strong>in</strong>sam Strategien <strong>und</strong>Modelle zu entwickeln, die nachhaltig auf die Situation vor Ort e<strong>in</strong>gehen können.Der Anspruch, mit künstlerischen <strong>Aktion</strong>en gesellschaftlichen E<strong>in</strong>fluss zu nehmen, macht dieArbeit <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu e<strong>in</strong>er großen Herausforderung, da diese Methode für viele Menschendort zunächst fremd ersche<strong>in</strong>t. Jedoch ist die Amadeu Antonio Stiftung überzeugt, dassdarstellende Kunst <strong>und</strong> kulturelle Bildung wichtige <strong>in</strong>klusive Mittel darstellen, umKommunikation zu fördern.Die Amadeu Antonio Stiftung stärkt e<strong>in</strong>e Gesellschaft, die e<strong>in</strong>er rechtsextremen Alltagskulturentgegentritt. Dafür unterstützt sie Initiativen <strong>und</strong> Projekte gegen Rechtsextremismus,Rassismus <strong>und</strong> Antisemitismus, die sich für e<strong>in</strong>e demokratische Zivilgesellschaft <strong>und</strong> denSchutz von M<strong>in</strong>derheiten engagieren.Das Projekt wird gefördert durch das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium des Innern im Rahmen desB<strong>und</strong>esprogramms Zusammenhalt durch Teilhabe. Mit dem B<strong>und</strong>esprogramm werdenProjekte für demokratische Teilhabe <strong>in</strong> Ostdeutschland gefördert.Um die Methoden <strong>und</strong> Strategien adäquat zu betreuen, wird die Amadeu Antonio Stiftung vone<strong>in</strong>em Beirat mit Mitgliedern aus dem Bereich Wissenschaft, Medien <strong>und</strong>Öffentlichkeitsarbeit unterstützt sowie von der Abteilung Kommunikations- <strong>und</strong>Wissensdynamiken im Raum des Leibniz-Instituts für <strong>Region</strong>alentwicklung <strong>und</strong>Strukturplanung <strong>in</strong> Erkner wissenschaftlich begleitet <strong>und</strong> evaluiert.2.2 Profil der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde – Ergebnisse aus der <strong>Sozialraumanalyse</strong>Die Geme<strong>in</strong>de Fahrenwalde setzt sich aus den Ortsteilen Fahrenwalde, Bröll<strong>in</strong>, Friedrichshof,Karlsruh <strong>und</strong> Heidmühle/Försterei zusammen <strong>und</strong> gehört zum Amt Uecker-Randow-Tal.Fahrenwalde bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der deutsch-polnischen Grenzregion im südlichen Mecklenburg-Vorpommern <strong>und</strong> zählt seit der Kreisgebietsreform 2011 zum Landkreis Vorpommern-Greifswald. Auf e<strong>in</strong>er Fläche von 26,10 km² leben hier etwa 364 E<strong>in</strong>wohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong>E<strong>in</strong>wohner [2009] <strong>in</strong> der Nähe e<strong>in</strong>er der ältesten Städte der <strong>Region</strong>, der ehemaligen KreisstadtPasewalk. Die nächsten großen Städte s<strong>in</strong>d Stett<strong>in</strong> <strong>in</strong> Polen <strong>und</strong> Prenzlau im B<strong>und</strong>eslandBrandenburg.Die <strong>Region</strong> hat unter dem seit der Wiedervere<strong>in</strong>igung stattf<strong>in</strong>denden <strong>und</strong> vor allem die neuenB<strong>und</strong>esländer betreffenden demographischen Wandel besonders zu leiden. Der Landkreisverlor zwischen 1990 <strong>und</strong> 2005 20 Prozent se<strong>in</strong>er Bevölkerung, hiervon alle<strong>in</strong> 5 Prozentzwischen 2002 <strong>und</strong> 2005 (LK UER 2008: 8). Dabei verließen je 1.000 E<strong>in</strong>wohner doppelt soviele Frauen wie Männer die <strong>Region</strong> (Kröhnert/Kl<strong>in</strong>gholz 2007). Hier s<strong>in</strong>d es vor allem junge,qualifizierte Frauen zwischen 20 <strong>und</strong> 40 Jahren, die früh <strong>und</strong> dauerhaft <strong>in</strong> die Städteabwandern (Kröhnert/Kl<strong>in</strong>gholz 2007). Ihr Bevölkerungsanteil lag im Jahr 2002 bei ca. 11Prozent <strong>und</strong> wird voraussichtlich bis 2020 auf 6 Prozent gesunken se<strong>in</strong>. Vor allem Männer6


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumwurden 2009 <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen betreut, b<strong>und</strong>esweit lag der Anteil bei nur 54,3Prozent (INSM 2006, 2009).Im Jahr 2011 entstand aus dem Landkreis Uecker-Randow der Großkreis Vorpommern-Greifswald. Diese Zusammenlegung führte u.a. dazu, dass wichtige Ansprechpartner<strong>in</strong>nen<strong>und</strong> -partner <strong>in</strong> der Verwaltung nicht mehr vor Ort s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> große räumliche Distanzen dieKommunikation mit Politik <strong>und</strong> Verwaltung erschweren. Dadurch f<strong>in</strong>det die Integration derBürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger über Parteiarbeit kaum statt, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>stitutionalisierter Ort zurKommunikation zwischen Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern zum wirksamen Ausdruck vonpolitischen Positionen fehlt (Staemmler 2012). Dies kommt der NPD zu Gute, diekont<strong>in</strong>uierliche Parteiarbeit vor Ort leistet <strong>und</strong> so auf wenig Konkurrenz stößt.Zentral für den Austausch zwischen den Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern s<strong>in</strong>d Vere<strong>in</strong>e. Sie stellenwichtige Kommunikationsforen dar, haben aber wegen des demographischen Wandelsverstärkt Nachwuchsprobleme. Auch hier bieten sich Rechtsextreme an, Lücken zu füllen, diedurch das Ausscheiden älterer Engagierter entstehen (Staemmler 2012). Als Erbe der autoritärstrukturierten DDR ist der Bereich der gesellschaftlichen Gestaltung, alsozivilgesellschaftlichen Engagements, heute im ostdeutschen ländlichen Raum ohneh<strong>in</strong> schonunterentwickelt (Jaschke 2011) <strong>und</strong> wird aufgr<strong>und</strong> fehlender Austauschmöglichkeitenerschwert. <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> berücksichtigt diese besonderen Umstände bei der Entwicklunglokal angepasster Kommunikationsstrategien.Das im Ortsteil Bröll<strong>in</strong> gelegene Schloss Bröll<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong> großer, denkmalgeschützter Gutshofmit Wohnhaus, Turm <strong>und</strong> Feldste<strong>in</strong>bauten auf 45 000 m² bebauter Fläche. Das 800 Jahre alteGut wird seit 1992 vom geme<strong>in</strong>nützigen Vere<strong>in</strong> schloss bröll<strong>in</strong> betrieben; im Jahr 2000 hat derVere<strong>in</strong> das Gut erworben.In Fahrenwalde wurde von der Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>e Kulturscheune e<strong>in</strong>gerichtet, <strong>in</strong> der sich dieBürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger aus der <strong>Region</strong> treffen können. E<strong>in</strong> weiterer Treffpunkt ist dasRestaurant Heidemühle. Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es im nahe gelegenen Brüssow e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>o. InFahrenwalde gibt es als aktiven Vere<strong>in</strong> den „Traktoren, Land- <strong>und</strong> Alttechnik e.V.“, der e<strong>in</strong>malim Jahr e<strong>in</strong>e Treckerschau veranstaltet. Weitere angemeldete Vere<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d der Sportvere<strong>in</strong>„Blau-Weiß 58“ <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Angelvere<strong>in</strong>. Jährlich veranstaltet die Geme<strong>in</strong>de im Oktober <strong>in</strong>Fahrenwalde e<strong>in</strong> Erntefest.Fahrenwalde wird über die Zeitung Nordkurier (Auflage 02/2012: 85.322, [Auflage 2008:100.000] (Kraske 2012)). <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Lokalausgabe Pasewalker Zeitung (Verkaufte Auflage02/2012: 6500), die kostenlose Anzeigenblätter Uecker-Randow Blitz (wöchentlichersche<strong>in</strong>end / Auflage 09/2012: 37.346) <strong>und</strong> AK – Der Anzeigenkurier (wöchentlichersche<strong>in</strong>end / hat acht lokale Ausgaben / Gesamtauflage 09/2012: 321.000) <strong>und</strong> das AmtsblattPasewalker Nachrichten (Auflage 09/2012: 10.000) mit Informationen zu aktuellentagespolitischen Themen sowie mit Neuigkeiten aus der <strong>Region</strong> versorgt. An der Hauptstraße<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Ortsteilen bef<strong>in</strong>den sich zudem Informationsbretter, an denen Mitteilungen8


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumangebracht werden können. Genutzt werden diese von der Geme<strong>in</strong>de zur Ankündigung vonVeranstaltungen.3 Methodisches Vorgehen3.1 Qualitativer <strong>und</strong> quantitativer MethodenmixUm die Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohner der <strong>Region</strong> Fahrenwalde zu motivieren, sich für dieeigenen Belange e<strong>in</strong>zusetzen <strong>und</strong> zunächst ihre Bedürfnisse zu explizieren, nutzt <strong>Region</strong> <strong>in</strong><strong>Aktion</strong> e<strong>in</strong>en Mix aus qualitativen <strong>und</strong> quantitativen Methoden. Mit der <strong>Sozialraumanalyse</strong>(siehe Kapitel 1.2) wurden zunächst die bestehenden Ressourcen der <strong>Region</strong>en analysiert, umanschließend geme<strong>in</strong>sam mit Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohnern nach Strategien zurVerbesserung struktureller Schwachpunkte zu suchen (Poll<strong>in</strong>ger 2012: 1).Zu Beg<strong>in</strong>n des Projektes wurden demographische Entwicklungen analysiert, aktuelleForschungsergebnisse, die sich mit der <strong>Region</strong> beschäftigen, aufgearbeitet <strong>und</strong> explorativeBeobachtungsstudien durchgeführt, um umfassende Wissensbestände über die <strong>Region</strong> zuerlangen. Dies be<strong>in</strong>haltete die Erfassung der bestehenden Ressourcen, der Kommunikations<strong>und</strong>Medienstrukturen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Bestandsaufnahme dort aktiver bürgerschaftlicherOrganisationen, Vere<strong>in</strong>e, Initiativen <strong>und</strong> Schlüsselpersonen 3 , um bereits auf dieser Basismangelhafte oder gar fehlende Strukturen, die zur Kommunikation notwendig s<strong>in</strong>d, zuidentifizieren. In Fahrenwalde s<strong>in</strong>d besonders die ungenügende verkehrliche <strong>und</strong><strong>in</strong>formationstechnische Infrastrukturausstattung <strong>und</strong> -bewirtschaftung <strong>und</strong> weite Wege e<strong>in</strong>Kommunikationshemmnis.Im Anschluss an die <strong>Sozialraumanalyse</strong> wurde <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institutfür <strong>Region</strong>alentwicklung <strong>und</strong> Strukturplanung aus Erkner e<strong>in</strong> Leitfaden für e<strong>in</strong>e aktivierendeBefragung entwickelt. Diese Fragen richteten sich an Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger sowieSchlüsselfiguren der Zivilgesellschaft <strong>in</strong> Fahrenwalde: Wie tauschen sich die Menschenmite<strong>in</strong>ander aus? Worüber sprechen sie? Welche Wünsche haben sie? Die aktivierendeBefragung wurde als Methode e<strong>in</strong>gesetzt, um nicht nur Me<strong>in</strong>ungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>schätzungen derBürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger abzufragen, sondern diese darüber h<strong>in</strong>aus anzuregen <strong>und</strong> zuermutigen, bürgerschaftlich aktiv zu werden, für ihre Interessen e<strong>in</strong>zutreten <strong>und</strong> bei derLösung von Problemen im Geme<strong>in</strong>wesen mitzuwirken.E<strong>in</strong> weiterer Schritt war die Vertiefung der <strong>in</strong> den face-to-face Interviews gewonnenErkenntnisse im Rahmen von Gesprächsr<strong>und</strong>en. Dabei wurden zunächst <strong>in</strong> Dialogtagengeme<strong>in</strong>same Themen (u.a. Netzwerke bilden, Formen der Jugendarbeit) erarbeitet, zu denensich anschließend Fokusgruppen trafen, um die jeweiligen Themen anzugehen. Geme<strong>in</strong>sammit Schlüsselpersonen vor Ort wurden Strategien für bessere Austauschmöglichkeiten <strong>und</strong>e<strong>in</strong>e respektvolle Gestaltung des Zusammenlebens entwickelt.3 Schlüsselpersonen s<strong>in</strong>d Menschen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Persönlichkeit oder Stellung im Ort <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de besonderesVertrauen genießen <strong>und</strong> deswegen über Wissen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en guten Zugang zu den Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohnern <strong>in</strong> der<strong>Region</strong> verfügen.9


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumDie Interviews, Onl<strong>in</strong>e-Befragung <strong>und</strong> Dialogtage dienten dabei nicht nur der Herausstellungvon Kritik bzw. Defiziten, sondern ermöglichten auch, Chancen, Ressourcen <strong>und</strong> Wünsche zuidentifizieren. Die Methode der aktivierenden Befragung ist dabei besonders erträglich, da sieke<strong>in</strong>eswegs lediglich Missstände zu erheben sucht, sondern lösungsorientiert angewandt wird<strong>und</strong> dabei die Eigen<strong>in</strong>itiative der Befragten <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> stellt. Somit wurde angeregt,die Befragten selbst Lösungsansätze entwickeln zu lassen.Mit den Mitteln der darstellenden Kunst wurden bereits neue Herangehensweisen an daseigene Umfeld eröffnet <strong>und</strong> neue Formen der Zusammenarbeit ausprobiert. Durch dasmultidiszipl<strong>in</strong>äre Projekt held/<strong>in</strong> dorf, welches Anfang September 2012 mit e<strong>in</strong>er Busreisedurch die <strong>Region</strong> Fahrenwalde se<strong>in</strong>en Höhepunkt fand, wurden regionale Initiativen,Künstler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Künstler, polnische Partner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Partner gleichermaßen <strong>in</strong>tegriert. Mitdiesem methodischen Ansatz soll e<strong>in</strong>e künstlerische Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Umgang mitder Situation <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> somit auf die Herausforderungen, die es im Zugedes demographischen Wandels zu bewältigen gilt, kreativ reagiert werden.E<strong>in</strong>e weitere Basis der Methodik von <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> ist der fachliche Zugang zumGegenstand zivilgesellschaftlicher Beteiligung. So wurden für das Projekt folgendeExpertisen <strong>in</strong> Auftrag gegeben: Kommunikation im ländlichen Raum (Staemmler 2012), dieBedeutung sozialer Netzwerke im ländlichen Raum (Baldauf 2012), Tageszeitungen imländlichen Raum (Kraske 2012) sowie zum Engagement älterer Menschen <strong>in</strong> den ländlichenRäumen Ostdeutschlands (Albrecht et al. 2012).In diesem Bericht wird ausführlich auf die aktivierende Befragung e<strong>in</strong>gegangen. Sie ist fürdas Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> von besonderer Bedeutung, da sie ganz besonders über dieBedürfnisse der Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> Aufschluss gewährt <strong>und</strong> darüberh<strong>in</strong>aus die Befragten zur Reflexion ihrer Situation <strong>und</strong> eigenem Aktivwerden anregt. DieBefragung war darüber h<strong>in</strong>aus Gr<strong>und</strong>lage für Projekte <strong>und</strong> Themensetzung von <strong>Region</strong> <strong>in</strong><strong>Aktion</strong>.3.2 Zur Durchführung der aktivierenden BefragungDie Befragungen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> Fahrenwalde wurden von Oktober 2011 bis März 2012durchgeführt. Dabei wurden die Interviews im E<strong>in</strong>verständnis der Befragten mit e<strong>in</strong>emTonbandgerät aufgezeichnet. Für die Befragung wurde e<strong>in</strong> Interviewleitfaden mit folgendenOberthemen erstellt:Wie empf<strong>in</strong>den Sie das Leben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de?Wie empf<strong>in</strong>den Sie die Informationsversorgung durch die lokalen Medien?Wie empf<strong>in</strong>den Sie Fremde <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>?Wie empf<strong>in</strong>den Sie die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe <strong>in</strong> ihrer <strong>Region</strong>?In der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde wurden 24 Personen befragt. Unter ihnen befanden sich fünfJugendliche, davon e<strong>in</strong> männlicher Jugendlicher, im Alter von 14 bis 17 Jahren. Unter denErwachsenen waren <strong>in</strong>sgesamt acht Frauen <strong>und</strong> elf Männer im Alter von 22 bis 88 Jahren10


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumvertreten; der Altersdurchschnitt aller Befragten lag bei etwa 40 Jahren. Insgesamt elfPersonen s<strong>in</strong>d bereits zivilgesellschaftlich engagierte Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger. Darunterbef<strong>in</strong>den sich auch Schlüsselfiguren, die als zentrale Persönlichkeiten aus Initiativen <strong>und</strong>Vere<strong>in</strong>en auffielen <strong>und</strong> deren lokale Stellung <strong>und</strong> Vertrauensposition von anderen Befragtenhervorgehoben wurde.Drei Befragte betreiben Geschäfte. Von den Befragten s<strong>in</strong>d acht Personen gebürtig ausPasewalk, von diesen lebten zwei für längere Zeit <strong>in</strong> Großstädten, e<strong>in</strong>e Person lebte e<strong>in</strong> Jahrim Ausland, alle zogen jedoch wieder zurück <strong>in</strong> die <strong>Region</strong> um Fahrenwalde. Vier Personens<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> geboren, sechs Personen s<strong>in</strong>d aus anderen neuen B<strong>und</strong>esländern <strong>in</strong> die<strong>Region</strong> um Fahrenwalde gezogen, e<strong>in</strong>e weitere Person zog aus dem osteuropäischen Raum zu.Der Zuzug der Personen aus anderen ostdeutschen Ländern geschah im Zeitraum von 1971<strong>und</strong> 1987. Die aus dem Westen stammenden Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger kamen zwischen 1992<strong>und</strong> 1996 <strong>in</strong> die <strong>Region</strong>. E<strong>in</strong>e Person ist 2011 aus beruflichen Gründen <strong>in</strong> die <strong>Region</strong> gezogen.Die jungen Befragten s<strong>in</strong>d zwischen 2000 <strong>und</strong> 2006 nach Fahrenwalde gezogen, e<strong>in</strong>er derjungen Befragten wurde nach der Wende <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> geboren.Um die Interviewaussagen im vorliegenden Bericht leichter zuordnen zu können, werden diePersonen mit Pseudonymen versehen, die sich folgendermaßen zusammensetzen:AlterA = 14 – 17 JahreB = 22 – 29 JahreC = 30 – 37 JahreD = 38 – 45 JahreE = 46 – 53 JahreF = 54 – 61 JahreG = 62 – 68 JahreH = 69 – 88 JahreH<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>Montag: Zugezogen <strong>und</strong> bereits zivilgesellschaftlich engagiertDienstag: Zugezogen <strong>und</strong> bisher nicht engagiertDonnerstag: Alte<strong>in</strong>gesessen <strong>und</strong> bereits zivilgesellschaftlich engagiertFreitag: Alte<strong>in</strong>gesessen <strong>und</strong> bisher nicht engagiertBeispiel: Frau D. Montag ist weiblich, im Alter von 38 – 45 Jahre, Zugezogene <strong>und</strong> engagiertsich zivilgesellschaftlich.11


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum4 Leben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de4.1 BestandsaufnahmeDie Interviewteilnehmenden wurden e<strong>in</strong>gangs um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung der wahrgenommenenLebensqualität <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de gebeten.Trotz des demographischen Wandels, der hohen Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> der Stärke der NPD 4 ,wird als besonders positiv von der Mehrheit der <strong>in</strong>terviewten Personen hervorgehoben, dassviel Ruhe, frische Luft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e schöne Landschaft die <strong>Region</strong> sehr lebenswert mache.„Sehr positiv ist natürlich die Natur, davon haben wir viel!“ Frau F. Freitag„Ist e<strong>in</strong> schöner Landstrich, muss man nur sehen!“ Herr H. FreitagZwei der Befragten fanden, dass die <strong>Region</strong> e<strong>in</strong> optimales Klima für die Gründung e<strong>in</strong>erFamilie biete. Die Hälfte der Befragten schätzt die dörfliche Geme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong> hat e<strong>in</strong>e engeVerb<strong>und</strong>enheit zu ihrem Wohnort. E<strong>in</strong> wichtiger Punkt, der die <strong>Region</strong> sehr attraktiv macht,ist für drei der Interviewteilnehmenden die Geme<strong>in</strong>schaft. So bestehen enge Kontakteuntere<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> das Mite<strong>in</strong>ander ist verlässlich. Zwei der Befragten bezeichnen dieBewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohner der <strong>Region</strong> als aufgeschlossen.„Das ruhige Leben. Jeder kennt jeden. Das gibt e<strong>in</strong> Gefühl der Sicherheit.” Herr E. Montag„Ich kann mir nicht vorstellen, me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Großstadt aufzuziehen <strong>und</strong> auf engenSpielplätzen rumzusitzen.“ Frau D. Montag„Das Soziale hat gerade jetzt, <strong>in</strong> der heutigen Zeit, große Priorität.“ Herr B. MontagVier der befragten Männer benennen die Nähe zu Polen als e<strong>in</strong>en wichtigen Gr<strong>und</strong>, warum sie<strong>in</strong> die <strong>Region</strong> gekommen oder <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> geblieben s<strong>in</strong>d. Zwar ist die räumliche Nähe zuPolen nicht neu, doch führte die Öffnung der Schengen-Grenzen besonders <strong>in</strong> den ländlichen,vormals randständigen <strong>Region</strong>en, auch zu neuem Austausch – wirtschaftlich, sozial <strong>und</strong>kulturell. Dieser wird von den Befragten als bereichernd wahrgenommen, das Fremde <strong>und</strong>Exotische der polnischen Nachbarn trifft auf Wertschätzung.„Die Nähe zu Polen ist e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>, hier zu wohnen. Es ist vor der Haustür <strong>und</strong> rechtexotisch.“ Herr D. DonnerstagDarüber h<strong>in</strong>aus benennen e<strong>in</strong> Viertel der befragten Personen die vorhandenen Freiräume, wieleer stehende Gebäude, die dünne Besiedlung <strong>und</strong> die fehlende Konkurrenz andererKulturschaffender als positive Möglichkeit, sich kreativ zu betätigen.„Ich schätze die kreative Freiheit hier.“ Herr B. Montag„Hier kann man e<strong>in</strong>iges mitgestalten, das auch Beachtung f<strong>in</strong>det. Wenn man hier e<strong>in</strong>e Wandanstreicht, kommt das gleich <strong>in</strong> die Zeitung.“ Herr E. Donnerstag4 Bei den Kommunalwahlen 2011, bei der die Wahl der Kreistage der Landkreise anstanden, erhielt die NPD im LandkreisVorpommern-Greifswald 8,9 Prozent. Dies war der höchste Wert für die NPD <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern (LpB MV).12


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumNeben e<strong>in</strong>er positiven Gr<strong>und</strong>haltung, die die überwiegende Mehrzahl der Befragten zeigten,wurden e<strong>in</strong>ige Schwachpunkte der <strong>Region</strong> benannt. Besonders störend sei das schlechteImage der <strong>Region</strong>, das häufig im Kontrast zur Selbstwahrnehmung der Bewohner steht.„Viele sagen, hier ist überhaupt nichts los, das ist aber überhaupt nicht der Fall! Es gibt soviele kulturelle Höhepunkte. Ich glaube, sie s<strong>in</strong>d nur nicht bekannt oder die Leute s<strong>in</strong>d zubequem.“ Frau F. DonnerstagDie meisten Befragten beklagen den spürbaren demographischen Wandel <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>flussauf den kommunikativen Austausch. E<strong>in</strong>e hohe Arbeitslosenquote <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>sgesamtschlechte Wirtschaft sowie die Abwanderung von Jugendlichen werden hierfür beispielhaftangeführt. Zusätzlich werden wachsende soziale Ungleichheiten <strong>und</strong> das mental <strong>und</strong> medialverfestigte, schlechte Image als problematisch betrachtet sowie e<strong>in</strong>e daraus resultierendepsychische Lethargie.„Nach der Wende s<strong>in</strong>d viele Leute weggezogen, teilweise Fremde dazu gezogen. So s<strong>in</strong>d dieKontakte nicht mehr so, wie man das früher kannte. Wenn Jüngere e<strong>in</strong>e gute Ausbildungwollen, müssen sie wegziehen. Ist leider so.“ Frau F. Donnerstag„Durch den riesigen Unterschied, den man durch das E<strong>in</strong>kommen hat, s<strong>in</strong>d Fre<strong>und</strong>schaftenkaputt gegangen. Es gibt e<strong>in</strong>ige, die nach der Wende gar nichts mehr gef<strong>und</strong>en haben. DerNeidfaktor ist gestiegen. Früher war ja alles gleich. Heute s<strong>in</strong>d die Unterschiede groß. DieLeute waren früher <strong>in</strong> der Landwirtschaft tätig, heute bekommen sie kaum Rente. Wovonsollen sie irgendetwas bezahlen?“ Frau F. Donnerstag„Teilweise s<strong>in</strong>d die Leute <strong>in</strong> Lethargie verfallen, reden sich etwas schlecht. Das ist im Kopfdr<strong>in</strong>.“ Herr H. MontagDie Lebensqualität sehen fast alle Befragte durch e<strong>in</strong>e schlechte Verkehrs<strong>in</strong>frastrukturbee<strong>in</strong>trächtigt. Lange Wege führten zu e<strong>in</strong>er hohen Abhängigkeit von Menschen, die e<strong>in</strong>enFührersche<strong>in</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en PKW besitzen. Hiervon s<strong>in</strong>d besonders mobilitätse<strong>in</strong>geschränkteAlterskohorten wie K<strong>in</strong>der, Jugendliche <strong>und</strong> die ältere Generation betroffen.„Am schlimmsten f<strong>in</strong>de ich die Verkehrsverb<strong>in</strong>dung. Wenn Sie hier ke<strong>in</strong> Auto haben, s<strong>in</strong>d Sieaufgeschmissen. In Pasewalk fährt der letzte Zug um 22:00 Uhr, dann ist Schicht. Wenn Siejetzt aus dem tiefen Westen kommen, s<strong>in</strong>d Sie zwei Tage unterwegs. Da sitzen Sie <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> diehalbe Nacht auf dem Bahnsteig rum, weil <strong>in</strong> Pasewalk der Bahnhof dicht ist. So was hängtuns doch komplett ab.“ Herr F. Dienstag„Es ist alles mehr oder weniger nur mit dem privaten PKW zu erreichen. ÖffentlicheVerkehrsmittel s<strong>in</strong>d schwierig; wenn die noch fahren, s<strong>in</strong>d sie kaum ausgelastet.“ Frau F.DonnerstagDarüber h<strong>in</strong>aus fehlen räumliche Gelegenheitsstrukturen, wie beispielsweise e<strong>in</strong>e Kneipe odere<strong>in</strong> Ladengeschäft, um den kommunikativen Austausch unter den Bewohnern zu ermöglichen<strong>und</strong> zu verstetigen.„Wenn es e<strong>in</strong>en Ort <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de geben würde, e<strong>in</strong>e Kneipe, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Laden, wo mansich zufällig trifft im Alltag, das wäre gut.“ Herr E. Dienstag13


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumNicht alle befragten Personen schätzen das bestehende kulturelle Angebot gleichermaßen.E<strong>in</strong>zelne bemängelten, dass es sehr schwierig sei, Informationen über e<strong>in</strong> anspruchsvolles,kulturelles Angebot, wie beispielsweise über Theaterprogramme, K<strong>in</strong>o oder andereKulturveranstaltungen zu bekommen. Wenn es jedoch e<strong>in</strong> gutes Angebot gäbe, müsse manhierfür lange Wege <strong>in</strong> Kauf nehmen.„Man fühlt sich hier e<strong>in</strong> bisschen außen vor – lohnt sich wahrsche<strong>in</strong>lich nicht, hier was zumachen. Ins K<strong>in</strong>o muss man bis nach Prenzlau. In Anklam hat das Theater dicht gemacht, damuss man nach Schwer<strong>in</strong>. Die Jungen fahren 80-100 km <strong>in</strong> die Disko nach Brandenburg - mitTaxis.“ Frau C. Freitag„Es sollte viel mehr Interesse an der Kultur geben <strong>und</strong> mehr Veranstaltungen für Jugendlicheangeboten werden. Auch e<strong>in</strong>facher zu verstehende Theaterstücke.“ Frau F. FreitagDarüber h<strong>in</strong>aus äußerten drei Befragte Skepsis gegenüber Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Initiativen. IhreArbeit g<strong>in</strong>ge an den eigentlichen Problemen vorbei <strong>und</strong> bilde nicht die Bedarfe <strong>und</strong> realenVerhältnisse ab. Es wird bemängelt, dass die Vere<strong>in</strong>e nicht die Qualität ihrer Angeboteevaluieren, sondern lediglich die Angebotsquantität. Die Zitate veranschaulichen dieemotionale Aufgeladenheit r<strong>und</strong> um das Thema Engagement <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>. Sie verdeutlichenauch, dass e<strong>in</strong>e schlichte Angebotserweiterung nicht reicht <strong>und</strong> stattdessen mehrKommunikation über das „Wie <strong>und</strong> Was“ erwünscht wird.„Es lügen sich alle <strong>in</strong> die Tasche. Jeder rechnet hoch. E<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong> arbeitet mit so <strong>und</strong> so vielK<strong>in</strong>dern, die s<strong>in</strong>d aber noch im Reitvere<strong>in</strong>, im Schwimmvere<strong>in</strong>, gehen noch boxen oder zumJudo – <strong>und</strong> die K<strong>in</strong>der werden e<strong>in</strong>fach überall doppelt <strong>und</strong> dreifach mitgezählt. Es werdennicht 1000 K<strong>in</strong>der betreut – es werden 250 K<strong>in</strong>der vier Mal betreut. Und die K<strong>in</strong>der aus denProblemfamilien, die holt ke<strong>in</strong>er ab. Wir arbeiten mit 80 K<strong>in</strong>dern. Davon ist ke<strong>in</strong>es dabei, dasdiese 10 Euro Unterstützung erhält – die sitzen Zuhause. Geben Sie denen mal die Chance,was zu machen, dann gehen die ab. Die <strong>Region</strong> ist praktisch von der Volkssolidaritätabgedeckt. DAK, AWO, wie die alle heißen – alles Verbrecher sag ich Ihnen. Da stellen diedas K<strong>in</strong>derschwimmen e<strong>in</strong>, weil’s zu teuer ist, um ihre Jobs zu retten.“ Herr F. Donnerstag„Ich wünsche mir, dass die Leute ordentlich bezahlt werden. Immer: Ehrenamt, Ehrenamt,Ehrenamt! Davon kann man doch nicht leben!“ Frau F. Donnerstag„Es gibt ke<strong>in</strong>e Initiativen, die sich vor Ort dafür e<strong>in</strong>setzten, wie man Menschen <strong>in</strong> die <strong>Region</strong>zurückholt.“ Herr B. MontagDen hohen Zuspruch, den die NPD <strong>und</strong> rechtsextreme E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> Vorpommern erhalten,benannten nur zwei Befragte als bedenklich <strong>und</strong> als Kritik am Leben <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>. DieBefragten äußerten sich außerdem besorgt, dass diese Thematik nicht von allen Menschenernst genommen würde. Ihre E<strong>in</strong>schätzung bestätigt sich auch <strong>in</strong> den Interviews. Denn dasThema Rechtsextremismus wurde von den meisten der Befragten nicht vordergründigangesprochen, es klang höchstens unterschwellig mit. Nur e<strong>in</strong>e Zugezogene benannte es alsernsthaft bedenkliche Situation, da die rechte Szene gut <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> gesellschaftlichesLeben <strong>in</strong>tegriert ist. E<strong>in</strong> anderer me<strong>in</strong>t, dass man sich mit der Neonaziszene nichtause<strong>in</strong>andersetzt, die Problematik ignoriert wird, da man sie nicht wahrhaben möchte oderauch unfähig ist, damit umzugehen.14


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumDieses kaum ausgeprägte Problembewusstse<strong>in</strong> macht es notwendig, Initiativen zuunterstützen, die sich explizit mit dem Thema Rechtsextremismus ause<strong>in</strong>andersetzen <strong>und</strong>offensiv mit der Problematik umgehen. E<strong>in</strong> Beispiel ist das Ende Juni 2012 <strong>in</strong> Pasewalkgebildete <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!, das aus politischenVertretern, Kirchen, Parteien <strong>und</strong> vor allem zivilgesellschaftlichen Initiativen <strong>und</strong>Privatpersonen besteht. Ziel des Bündnisses ist es, vorhandenen neonazistischen <strong>und</strong>menschenverachtenden Strömungen entgegenzutreten <strong>und</strong> weitere zu verh<strong>in</strong>dern. Die AmadeuAntonio Stiftung, The Work<strong>in</strong>g Party <strong>und</strong> schloss bröll<strong>in</strong> e.V. s<strong>in</strong>d Mitbegründer desBündnisses.Die Befragten, die Rechtsextremismus als Thema anführen, versuchten zu erklären, warumdie NPD <strong>und</strong> menschenverachtende E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> so viel Zuspruch f<strong>in</strong>den.„Viele Menschen entwickeln aus der Unzufriedenheit mit ihrer Situation – schlechteAusbildung, ke<strong>in</strong>e Arbeit – e<strong>in</strong>e Tendenz zu rechtsextremen E<strong>in</strong>stellungen. Besondersschwierig f<strong>in</strong>de ich die NPD Stadtvertreter. Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tegriert <strong>in</strong> das Geschehen, s<strong>in</strong>d hiergeboren, kennen den Lehrer <strong>und</strong> andere. Das macht mir Kopfzerbrechen. Ich f<strong>in</strong>de esschwierig hier zu leben, weil so e<strong>in</strong> Rechtsdruck da ist.“ Frau F. Montag„Mit den Nazis muss man sich beschäftigen, es herrscht aber e<strong>in</strong>e gewisse politische Trägheit<strong>und</strong> Bl<strong>in</strong>dheit.“ Herr D. DonnerstagDen politischen Vertretern der <strong>Region</strong> wird nicht nur vorgeworfen, nichts gegenRechtsextremisten zu tun, sondern auch sonst kaum auf die Belange der Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong>Bewohner e<strong>in</strong>zugehen. E<strong>in</strong> Befragter kritisiert, dass autoritäre Strukturen als Erbe der DDRsowohl von politischen Vertretern als auch von vielen Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohnernaufrechterhalten werden. Er benennt dies sehr deutlich <strong>und</strong> kritisiert darüber h<strong>in</strong>aus, dassK<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> nicht adäquat gefördert <strong>und</strong> Familien nicht angemessen unterstütztwerden würden.„Alles, was man macht, ist Er<strong>in</strong>nerungskultur. Wichtig ist aber, die Entwicklung zu sehen. Esist außerdem wichtig, dass K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Familien unterstützt werden. Bei der Unterstützungsehe ich große Defizite. Hier gibt es K<strong>in</strong>der, die e<strong>in</strong> Verhalten zeigen, wie ich es aus der Stadtkenne: Reizarm, e<strong>in</strong>geschränkt <strong>in</strong> ihren Möglichkeiten. Da kann man doch was machen.“Herr H. MontagWährend e<strong>in</strong>ige die Geme<strong>in</strong>schaft als besonders eng <strong>und</strong> verlässlich e<strong>in</strong>schätzen, gebenandere Interviewteilnehmende an, es gäbe wenig Geme<strong>in</strong>schaft oder persönliche Kontakte.Die unterschiedliche E<strong>in</strong>stellung ist hier besonders gut daran festzumachen, ob die Befragtenerst <strong>in</strong> den letzten Jahren zugezogen s<strong>in</strong>d oder schon sehr lange dort leben, da Neuzugezogenemehr Schwierigkeiten haben, sich <strong>in</strong> die Dorfgeme<strong>in</strong>schaft zu <strong>in</strong>tegrieren. Dieses Phänomenist jedoch nicht ungewöhnlich <strong>und</strong> an vielen Orten Deutschlands zu beobachten.„Die Leute, die hier s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Lethargie verfallen. Es ist schwierig, die Leute hiere<strong>in</strong>zubeziehen. Es ist manchmal so dröge hier. Viele Menschen, die sich nur <strong>in</strong> der Kommunebewegen, s<strong>in</strong>d meist so kle<strong>in</strong>geistig.“ Frau F. Montag15


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum„Wir s<strong>in</strong>d hier e<strong>in</strong> Volk für sich. An uns ist es schwer heran zu kommen. Wenn man aber denZugang gef<strong>und</strong>en hat, kann man sich drauf verlassen. Wir s<strong>in</strong>d etwas rechthaberisch.“ Herr F.FreitagDie befragten Jugendlichen bezeichneten die Situation <strong>in</strong> ihrer <strong>Region</strong> als schlecht. ZweiJugendliche zogen die Konsequenz, ke<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> anzustreben. JungeErwachsene sehen <strong>in</strong>sbesondere die mangelhaften <strong>in</strong>frastrukturellen Bed<strong>in</strong>gungen sowie dasfehlende kulturelle Angebot als ausschlaggebend an, die <strong>Region</strong> zu verlassen, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>eranderen deutschen <strong>Region</strong> oder Großstadt e<strong>in</strong>e Ausbildung, Studium oder Arbeitaufzunehmen. Zwei befragte Jugendliche mit enger B<strong>in</strong>dung an die <strong>Region</strong> äußertenh<strong>in</strong>gegen, dass sie <strong>in</strong> <strong>und</strong> um Fahrenwalde wohnen bleiben möchten.„Das ist me<strong>in</strong>e Heimat. Hier ist me<strong>in</strong>e Familie, me<strong>in</strong>e Fre<strong>und</strong>e. Wenn ich die Möglichkeithabe, bleibe ich hier. Ich studiere soziale Arbeit.“ Frau, B. DonnerstagDie berufliche Situation wird von allen befragten Personen nicht besonders optimistische<strong>in</strong>geschätzt. Zum Teil konnten berufliche Wünsche <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> nicht realisiert werden oderes g<strong>in</strong>g mit dem Zusammenbruch der DDR notgedrungen e<strong>in</strong>e berufliche Umorientierunge<strong>in</strong>her. Dazu kommt auch die unterschiedliche Entlohnung, die nach der Wende e<strong>in</strong>geführtwurde (siehe Zitat zur wachsenden sozialen Ungleichheit weiter oben).Fazit: Das Leben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die Befragtensche<strong>in</strong>en die Qualität der <strong>Region</strong> dann als besonders positiv e<strong>in</strong>zuschätzen, wenn sie selbstzivilgesellschaftlich aktiv s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich vernetzen. Dies trifft bei Menschen zu, die ihreInteressen <strong>in</strong> den bestehenden Strukturen vertreten sehen <strong>und</strong> daher motiviert s<strong>in</strong>d, sich zuengagieren. H<strong>in</strong>zu kommt, dass diese Menschen zumeist berufstätig s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en Führersche<strong>in</strong>besitzen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Auto. Um aber die <strong>Region</strong> für alle ihre Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohnergleichermaßen lebenswert <strong>und</strong> attraktiv zu gestalten, ist es erforderlich, potenzielleZugangsbarrieren zu identifizieren <strong>und</strong> Wege zu f<strong>in</strong>den, solche bestenfalls zu beseitigen,zum<strong>in</strong>dest jedoch zu m<strong>in</strong>imieren.4.2 Chancen / Ressourcen / WünscheDie Fragen zu Chancen <strong>und</strong> Wünschen waren darauf ausgerichtet, die Befragten zumotivieren, ihre eigenen Bedürfnisse h<strong>in</strong>sichtlich des Lebens <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de zu formulieren<strong>und</strong> zu entwickeln. Über das Formulieren von Defiziten wird e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> geschaffen,aktiv mit diesen umzugehen <strong>und</strong> selbst nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Der offensiveUmgang mit regionalen Problemen wird von den Personenkreisen, die diese benennenkönnen, nicht zuletzt auch als Chance für positive Veränderungen gesehen. E<strong>in</strong>flüsse vonaußen gelten dabei als Katalysator für Veränderungsmöglichkeiten.„E<strong>in</strong>en Impuls alle<strong>in</strong> aus der ländlichen <strong>Region</strong> heraus zu erwarten, dass sich was verändert,ist relativ unwahrsche<strong>in</strong>lich. Daher ist es gut, E<strong>in</strong>flüsse von außen zu fördern.“ Frau F.Donnerstag16


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumAufgr<strong>und</strong> des subjektiv stark wahrgenommenen demographischen Wandels wünschen sichviele der Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohner, dass sich die Wirtschaft <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> verbessert,zum Beispiel durch die Ansiedlung produzierenden Gewerbes. Vor allem Ausbildungs- <strong>und</strong>Arbeitsplätze seien von Nöten, denn dadurch würde, so wird gehofft, die Abwanderung derJugendlichen verh<strong>in</strong>dert werden können.„Es muss irgendwie e<strong>in</strong>e Zukunft geschaffen werden. Dann könnte man hier auch leben. Wennes mehr Ausbildungsplätze gäbe, würden hier viele junge Leute bleiben. Me<strong>in</strong>e Fre<strong>und</strong>e leben<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> oder Frankfurt/Oder - die kommen jedes Wochenende nach Hause.“ Frau B.Donnerstag„Der größte Handlungsbedarf: Arbeitsplätze! Arbeitsplätze schaffen, das ist sicherlich dasSchwierigste. Wenn hier aber genügend Arbeitsplätze geschaffen werden, dann würden auchnicht so viele K<strong>in</strong>der abwandern.“ Herr H. FreitagDie Befragten wünschen sich neben der Schaffung von Arbeitsplätzen e<strong>in</strong>e Verbesserung desöffentlichen Nahverkehrs. Sie sehen dies als Notwendigkeit, die Lebensqualität <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>zu steigern.E<strong>in</strong> wichtiges Alle<strong>in</strong>stellungsmerkmal für die <strong>Region</strong> s<strong>in</strong>d die durch die Wende <strong>und</strong> dendemographischen Wandel entstandenen Freiräume; diese werden als Motivation, sich <strong>in</strong> der<strong>Region</strong> anzusiedeln, benannt. Interessanterweise wird hier e<strong>in</strong> Aspekt, der im Allgeme<strong>in</strong>en alsnegativ begriffen wird, sehr positiv hervorgehoben. Freiräume werden unter anderem auchdurch leerstehende Gebäude <strong>und</strong> große Freiflächen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dünn besiedelten <strong>und</strong> nach wievor schrumpfenden Gegend ermöglicht.„Ich habe hier die Chance, künstlerisch auszuprobieren, was möglich ist. In Zukunft bildetsich hier so e<strong>in</strong>e Art kulturelle Versuchsstation für den ländlichen Raum.“ Herr E. DienstagDie Stärkung von Kultur wird als Chance für die Entwicklung der <strong>Region</strong> gesehen. Mit derTeilnahme an kulturellen Angeboten wird e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nstiftende Funktion verknüpft.„Wenn wir Kultur <strong>in</strong> der ländlichen <strong>Region</strong> nicht anbieten, dann weiß ich nicht, wo es imländlichen Raum h<strong>in</strong> geht. Kultur heißt für mich: Geme<strong>in</strong>schaft zusammen br<strong>in</strong>gen!“ Frau F.MontagDie Bedarfe der Jugendlichen orientieren sich hauptsächlich an der Schaffung vonJugendtreffpunkten. Außerdem wünschen sie sich sportliche <strong>und</strong> kulturelle Angebote, dieihren Interessen entsprechen, wie Hip-Hop Kurse oder e<strong>in</strong> Basketballvere<strong>in</strong>. Darüber h<strong>in</strong>ausvermissen die Jugendlichen mehr Kommunikation <strong>und</strong> Dorffeste.„Ich hab das Gefühl, dass K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche früher mehr mite<strong>in</strong>ander zu tun hatten. Ichwürde mir wünschen, dass die nächste Generation sich wieder f<strong>in</strong>det <strong>und</strong> dass der Jugendklubwieder eröffnet wird. Ich glaube, dass die Schließung des Klubs e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> ist, wenn dieJugendlichen ause<strong>in</strong>ander gehen.“ Frau A. Freitag17


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum5 Medien5.1 BestandsaufnahmeH<strong>in</strong>sichtlich der Mediennutzung äußern die befragten Personen mehrheitlich, den Nordkurierals lokales Pr<strong>in</strong>tmedium zu lesen. Als regionaler Fernsehsender <strong>und</strong> Radiosender wird derNDR genannt <strong>und</strong> auch das Internet wird als Kommunikationsmedium genutzt. DieJugendlichen nannten die Medien Uckermark Kurier, DIE ZEIT, Geol<strong>in</strong>o <strong>und</strong>Pferdezeitschriften. Sie sche<strong>in</strong>en dabei öfter als die befragten Erwachsenen Zeitungen <strong>und</strong>Zeitschriften zu lesen, die ihren Interessen entsprechen <strong>und</strong> thematisch nicht unmittelbar aufdie <strong>Region</strong> bezogen s<strong>in</strong>d. Ihr Des<strong>in</strong>teresse gegenüber regionalen Themen sche<strong>in</strong>t daraus zuresultieren, dass sie ihre Wünsche <strong>in</strong> der lokalen Medienlandschaft nicht vertreten sehen <strong>und</strong>sich als potenzielle Leser<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Leser lediglich ungenügend angesprochen fühlen.Die Befragten empf<strong>in</strong>den es als sehr positiv, dass Lokalreporter soziale <strong>Aktion</strong>en besuchen,um über sie zu berichten. Auch die regelmäßige Erwähnung der Wohlfahrtsvere<strong>in</strong>e wurdebegrüßt. Darüber h<strong>in</strong>aus schätzen e<strong>in</strong>ige der Interviewteilnehmenden die Möglichkeit derPartizipation über Leserbriefe, bzw. mittels selbstgeschriebener Beiträge über den eigenenVere<strong>in</strong> oder die eigene Institution zu berichten.Der mittlerweile existierende Leserbeirat des Nordkuriers hat laut e<strong>in</strong>es Befragten die Qualitätder redaktionellen Beiträge verbessert.„Es gibt ja hier nur den Nordkurier. Dabei ist es ja schon besser geworden – seit 2005ungefähr. Früher war es ganz schlimm, da gab es ja gar ke<strong>in</strong>e kulturellen Beiträge. Jetzt wirde<strong>in</strong> neuer Leserbeirat gewählt, das verbessert die Qualität der Zeitung.“ Herr F. FreitagJedoch gibt es auch negative Kritik. So wird von der Mehrheit der Befragten dasMedienmonopol des Nordkuriers <strong>und</strong> die fehlende Medienvielfalt <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> thematisiert.Dies wird durchaus im Kontext des demographischen Wandels <strong>und</strong> der niedrigenAuflagezahlen der Zeitungen gesehen.Zwei Befragte geben an, dass es sie stört, dass <strong>in</strong> den <strong>Region</strong>alteilen nicht über dieangrenzende <strong>Region</strong> berichtet wird. So seien beispielsweise im <strong>Region</strong>alteil der Haffzeitungselten Informationen aus der <strong>Region</strong> um Pasewalk zu f<strong>in</strong>den. Zwar gibt es e<strong>in</strong>e PasewalkerZeitung, jedoch werden Veranstaltungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen <strong>Region</strong> nicht oder sehr selten,angekündigt.„Wie weit würde man fahren, um e<strong>in</strong>e kulturelle Veranstaltung zu besuchen? Dies sollte alsMaßstab genommen werden, darüber zu berichten.“ Herr D. Donnerstag„Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen <strong>und</strong> überregionalen Mitarbeitern sollte besser<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander greifen. Die Leute <strong>in</strong> der lokalen Redaktion haben ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss, dabei sitzen siean der Basis.“ Frau C. DonnerstagTrotz der positiven Entwicklungen beim Nordkurier sei das bestehende Medienangebot<strong>in</strong>sgesamt aufgr<strong>und</strong> erheblicher f<strong>in</strong>anzieller Kürzungen <strong>und</strong> redaktioneller Zusammenschlüssequalitativ nicht sonderlich hochwertig. Es seien viele Rechtschreibfehler zu f<strong>in</strong>den, die Artikelaufgr<strong>und</strong> fehlender H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ger E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enGesamtkontext zum Teil unverständlich <strong>und</strong> oberflächlich. Die fehlende Konkurrenz führte18


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumbei Zeitungen <strong>in</strong> gesamt Mecklenburg-Vorpommern dazu, dass die Qualität der redaktionellenBeiträge leidet <strong>und</strong> häufig nur noch Berichte <strong>und</strong> Meldungen ohne journalistischeEigenleistung dom<strong>in</strong>ieren. Dabei wäre gerade angesichts der aktiven rechtsextremistischenSzene <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> analytische Tiefe <strong>in</strong> regionalen Tageszeitungen notwendig (Kraske 2012).„Wir s<strong>in</strong>d Abonnenten der Haffzeitung, wobei ich mich fast jeden Tag darüber ärgere. Vone<strong>in</strong>er Zeitung erwarte ich, dass es weder Grammatik- noch Rechtschreibfehler gibt.“ Frau F.Donnerstag„Ich erwarte e<strong>in</strong>e vielfältige Berichterstattung, wo alle Bereiche des Lebens e<strong>in</strong>en Platzhaben. Es sollte auch mal für den Leser e<strong>in</strong> Problem aufgegriffen <strong>und</strong> dazu recherchiertwerden. Ich erwarte von den Medien, dass sie mich <strong>in</strong>formieren darüber, was vor <strong>und</strong> h<strong>in</strong>terden Kulissen abgeht.“ Frau E. Freitag„Die Medien sollten unabhängig se<strong>in</strong>, sowohl von der Politik als auch von der Wirtschaft. Siesollten auch über Rechtsextremismus aufklären.“ Herr F. MontagFür zwei Befragte s<strong>in</strong>d die Bereiche Kultur, Kunst <strong>und</strong> Literatur im Nordkurierunterrepräsentiert. Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach gibt es im Allgeme<strong>in</strong>en wenig ansprechende Themen.„Ich würde mir e<strong>in</strong>e bessere kulturelle Berichterstattung wünschen, f<strong>und</strong>ierter, objektiver <strong>und</strong>gleichberechtigter zu anderen Berichten. Kultur wird extrem schwach dargestellt.“ Frau E.DonnerstagViele Befragte beklagen, dass <strong>in</strong> der Presse über den ostdeutschen, ländlichen Raumvorwiegend negativ oder gar nicht berichtet wird. Sie thematisieren damit e<strong>in</strong>en Trend, der imAllgeme<strong>in</strong>en <strong>in</strong> überregionalen Zeitungen beobachtet wird (Staemmler 2012).„Was mich stört ist, dass die <strong>Region</strong> immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schlechten Licht dargestellt wird.“ HerrB. Freitag„Was ich schwierig f<strong>in</strong>de an den hiesigen Medien, dass die nur die schlechten Sachen zeigenwollen. Die Berichterstattung über die <strong>Region</strong> ist grottenschlecht. Die Medien müssen positivberichten, aber die wollen nicht.“ Frau C. DonnerstagTrotz der Kritik an e<strong>in</strong>em fehlenden Medienpluralismus ziehen es die Befragten nicht <strong>in</strong>Betracht, e<strong>in</strong> eigenes lokales Medien<strong>in</strong>formationssystem, beispielsweise <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>erBürgerzeitung, zu <strong>in</strong>itiieren. Es ist ke<strong>in</strong> ausgeprägtes Interesse an der Etablierung e<strong>in</strong>er vonBürgern <strong>in</strong> Selbstorganisation herausgegebenen Zeitung wahrnehmbar.„E<strong>in</strong>e Bürgerzeitung ist vom Zeitaufwand <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anziell zu viel für e<strong>in</strong>en normalen Bürger,um das nebenbei zu machen.“ Frau F. FreitagDie befragten Personen, die bürgerschaftlich engagiert s<strong>in</strong>d, nutzen das Internet als Mediummit e<strong>in</strong>em eigenen Internetauftritt, Mail<strong>in</strong>glisten <strong>und</strong> Newslettern. Sie erstellen regelmäßigBeiträge für die <strong>Region</strong>alpresse, <strong>in</strong>dem sie Anzeigen aufgeben oder Pressemitteilungenschreiben. Sie drucken Plakate <strong>und</strong> Flyer, um ihre Programme <strong>und</strong> Veranstaltungen zubewerben. Teilweise wird kritisiert, dass die e<strong>in</strong>gereichten Beiträge verändert oder/<strong>und</strong>gekürzt werden <strong>und</strong> dadurch der Inhalt verändert wird.19


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumDie Jugendlichen kennen die Partizipationsmöglichkeiten im Bereich der Medien überLeserbriefe <strong>und</strong> Schulbeiträge, s<strong>in</strong>d diesbezüglich jedoch nicht selbst aktiv.Das Radio wird von ke<strong>in</strong>er der befragten Personen aktiv genutzt.Über alle Befragten h<strong>in</strong>weg ist e<strong>in</strong>e Differenz zwischen Engagierten <strong>und</strong> Nicht-Engagiertenh<strong>in</strong>sichtlich der Beteiligung an Medienprodukten feststellbar. Menschen, diezivilgesellschaftlich engagiert s<strong>in</strong>d, nutzen eher Partizipationsmöglichkeiten <strong>in</strong> den Medien,als diejenigen, die sich nicht engagieren. Engagierte zeigen sich darüber h<strong>in</strong>aus besser überkulturelle <strong>und</strong> soziale Angebote <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> <strong>in</strong>formiert als nicht engagierte Menschen.Fazit: Dass Partizipationsmöglichkeiten trotz deren Bereitstellung durch die Medienmacher<strong>in</strong>sbesondere bei Nicht-Engagierten kaum Anklang f<strong>in</strong>den, liegt vermutlich auch <strong>in</strong> derBewerbung <strong>und</strong> Darstellung dieser begründet. So gel<strong>in</strong>gt es den <strong>Region</strong>alzeitungen nicht oderallenfalls ungenügend, die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf bestimmte Veranstaltungen zulenken oder sie zur Me<strong>in</strong>ungsäußerung zu animieren. E<strong>in</strong> Instrument zur Förderung dieserKommunikation s<strong>in</strong>d Leserbeiräte. Verstärkte Kommunikation kann aber vor allem durch e<strong>in</strong>eLokalorientierung der Reporter erreicht werden, <strong>in</strong>dem diese wieder vermehrt dort h<strong>in</strong>gehen,wo die Leser s<strong>in</strong>d, nämlich auf das Land (Kraske 2012).Interessant ist, dass ke<strong>in</strong>er der Befragten das Internet als ernstzunehmendes Medium zurInformationsbeschaffung für regionale Themen benennt. Das mag dar<strong>in</strong> begründet se<strong>in</strong>, dasszum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e flächendeckende Versorgung von schnellen Internetzugängen fehlt <strong>und</strong> zumanderen regionale Angebote fehlen oder kaum grafischen Standards genügen, um dieAufmerksamkeit der Nutzer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Nutzer zu gew<strong>in</strong>nen. Beispielsweise werden die Artikelim Nordkurier häufig stark gekürzt oder gar nicht im Internet zur Verfügung gestellt. Zudemist der Internetauftritt sehr unübersichtlich.5.2 Chancen / Ressourcen / WünscheDie befragten Personen gaben an, dass sie sich e<strong>in</strong>e gut recherchierte Berichterstattung mitH<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen zu den jeweiligen Themen wünschen. Aktuelle Probleme solltenkritisch <strong>und</strong> <strong>in</strong>formativ aufgearbeitet <strong>und</strong> unterschiedliche Me<strong>in</strong>ungsbilder vorgestellt werden.Insbesondere aktuelle Themen, wie die Kreisgebietsreform <strong>und</strong> die Veränderungen für die<strong>Region</strong>, die sich daraus ergeben, sollten stärker fokussiert werden.„Ich wünsche mir besser recherchierte Beiträge. Die Fakten stimmen oft nicht <strong>und</strong> all dieseBelanglosigkeiten wie die <strong>in</strong> der Randow Schau. Dafür zahl ich ke<strong>in</strong>e 1,20 Euro am Tag.“Herr F. Dienstag„Ich erwarte von den Medien, dass sie mich geistig wach halten. Die Zeitung könnte e<strong>in</strong>Instrument se<strong>in</strong>, um offene Fragen vielschichtig zu behandeln.“ Herr E. Dienstag„Es sollten mehr Me<strong>in</strong>ungsbilder dargestellt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em nicht nur Honig ums Maul geschmiertwerden.“ Herr F. MontagDarüber h<strong>in</strong>aus wünschen sich e<strong>in</strong>ige der Interviewten mehr Informationen über die <strong>Region</strong>sowohl wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Art als auch über Landwirtschaft oder20


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumGeschichte. Interessant ist, dass von e<strong>in</strong>er Befragten explizit angesprochen wird, dass sie sichmehr Informationen wünscht, wo sie sich <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen kann.„Wenn was Neues entsteht, <strong>in</strong>teressiert mich, was an Veranstaltungen los ist <strong>und</strong> wo man dieMöglichkeit hat mitzuarbeiten.“ Frau F. Donnerstag„Es sollten mehr Informationen über das, was hier <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> stattf<strong>in</strong>det, angebotenwerden. Es ist wichtig für die Menschen, die kle<strong>in</strong>en Dörfer wiederzuf<strong>in</strong>den. Dass sie nichtdas Gefühl haben, vollkommen vergessen worden zu se<strong>in</strong>.“ Frau F. DonnerstagZwei Personen wünschen sich, dass die wachsende polnische Bevölkerung im Landkreis <strong>in</strong>den Medien als gleichwertige Leser berücksichtigt wird.„Speziell hier <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> fehlt mir e<strong>in</strong> bisschen die Berichterstattung über die aus PolenZugezogenen <strong>und</strong> ihre Lebensverhältnisse. Es s<strong>in</strong>d ja nicht wenige, so um die 1000 Leute. Siebeleben ganze Dörfer <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sehr engagiert.“ Herr D. DonnerstagViele Befragte s<strong>in</strong>d sich sicher, dass über e<strong>in</strong>e positivere Berichterstattung <strong>in</strong> den Medien dieregionalen Interessen auch überregional gestärkt <strong>und</strong> gefördert werden könnten. Dadurchwäre es möglich, dauerhaft an e<strong>in</strong>em besseren Image der <strong>Region</strong> zu arbeiten, was jedochke<strong>in</strong>esfalls unkritisch geschehen sollte.„Über die Medien sollte die Bevölkerung e<strong>in</strong> positives Licht auf die <strong>Region</strong> vermitteltbekommen.“ Frau A. Freitag„Ich erwarte e<strong>in</strong>e Berichterstattung, die das Leben hier zeigt <strong>und</strong> versucht, das Leben imländlichen Raum attraktiv zu machen. Zum Beispiel kann die Zeitung vorstellen, was fürphantasievolle Ideen es hier gibt. Dieses Vorstellen wäre e<strong>in</strong>e gute Sache. Da wäre dieZeitung voll.“ Herr H. MontagMedien könnten darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>en kommunikativen Verhandlungsraum für Ideen <strong>und</strong>Visionen eröffnen, um diese mit e<strong>in</strong>em Netzwerk aus Engagierten tatsächlich umsetzen <strong>und</strong>implementieren zu können. Trotz des Wunsches der Befragten, stärker die zumeist positiveWahrnehmung des Wohnraumes medial zu reflektieren, ist es gleichwohl essentiell, dieProblematik von Rechtsextremismus oder Abwanderung nicht zu verschweigen. Dass dasProblem des Rechtsextremismus auch von den Medien aufgegriffen wird, konnte zuletzt imAugust 2012 beobachtet werden, als regionale <strong>und</strong> überregionale Medien über denWiderstand der Bewohner <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> gegen das „Pressefest“ der NPD berichtet haben.Pasewalk <strong>und</strong> Umgebung wurde viel Respekt für das Engagement gezollt, ohne jedoch ausden Augen zu verlieren, dass die NPD aus taktischen Gründen ihr Fest <strong>in</strong> die <strong>Region</strong> gelegthat, weil sie mit wenig Widerstand <strong>und</strong> viel Zuspruch rechnete.21


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum6 Fremde <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>6.1 BestandsaufnahmeDie Frage nach „Fremden <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>“ irritierte die Interviewten anfänglich, da ihnenzunächst nicht klar zu se<strong>in</strong> schien, wer mit „Fremden“ geme<strong>in</strong>t ist. Mehrheitlich handelt essich bei den Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bewohnern <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> um Zugezogene. Dabei schien esfür die meisten erst e<strong>in</strong>mal nicht sonderlich relevant zu se<strong>in</strong>, ob diese aus anderen Teilen derB<strong>und</strong>esrepublik zugezogen waren oder aus Osteuropa <strong>in</strong> die <strong>Region</strong> kamen. Der Anteil anZugezogenen aus Polen ist aufgr<strong>und</strong> der geographischen Nähe recht hoch (1211 Personen)<strong>und</strong> sche<strong>in</strong>t für e<strong>in</strong> Drittel der Befragten unproblematisch, gar selbstverständlich zu se<strong>in</strong>. Fürdrei Befragte stellt dies sogar e<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong> dar, <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu leben. E<strong>in</strong> Viertel derBefragten haben polnische Verwandte. Im Gegensatz zu diesen Äußerungen steht die Aussagee<strong>in</strong>er Befragten:„Hier <strong>in</strong> Pasewalk gibt es fast überhaupt ke<strong>in</strong>e Ausländer.“ Frau F. DonnerstagDiese Aussage ist mehrdeutig. Zum e<strong>in</strong>en ist es möglich, dass für die Befragte „Ausländer“vor allem people of color 5 s<strong>in</strong>d oder die Befragte ke<strong>in</strong>erlei Kontakt zu den <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>lebenden Pol<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Polen hat <strong>und</strong> deswegen nichts über sie weiß. Außerdem leben imVergleich zu anderen ländlichen Gegenden <strong>in</strong> Westdeutschland <strong>in</strong> dieser <strong>Region</strong> wenigerMenschen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>: der Anteil an Personen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>beträgt z.B. <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong> 10 bis unter 15 Prozent, <strong>in</strong> Niedersachsen sogar 15 bisunter 20 Prozent, <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern liegt der Anteil h<strong>in</strong>gegen bei unter 5 Prozent(Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2012: 16).Wenige Befragte gaben an, dass es Probleme mit Rechtextremisten gäbe, die vor allempolenfe<strong>in</strong>dlich <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung getreten s<strong>in</strong>d. Hierüber wurde auch <strong>in</strong> den Medien berichtet.„In der Nähe von Löcknitz ist der Zuwachs an polnischer Bevölkerung groß. Dort wurde diedeutsch-polnische Schule angeschmiert, Autos polnischer Bürger angezündet. Darüber wurdeschon öfter <strong>in</strong> den Medien berichtet.“ Frau A. FreitagVor allem die Schulen s<strong>in</strong>d bemüht, den Austausch zwischen deutschen <strong>und</strong> polnischenSchüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern zu fördern. Zum Teil lernen die deutschen Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong>Schüler die polnische Sprache im Schulunterricht. Viele der Befragten haben selbst für e<strong>in</strong>igeZeit nicht <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>, e<strong>in</strong>ige auch im Ausland gelebt. Es werden private <strong>und</strong>nachbarschaftliche sowie berufliche Kontakte nach Polen gepflegt. Dieser Kontakt bestehthauptsächlich von Seiten der Zugezogenen, jedoch selten von den alte<strong>in</strong>gesessenenBürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern.„Wir haben heute mehr K<strong>und</strong>schaft aus Polen, die kaufen Fachbücher e<strong>in</strong>, Betriebswirtschaft,Steuergesetze. Die sprechen sehr gut Deutsch, die haben richtig was drauf.“ Herr F. Dienstag5 People of color bezeichnet Menschen, die gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß gelten <strong>und</strong> häufigalltäglichen, <strong>in</strong>stitutionellen <strong>und</strong> anderen Formen des Rassismus ausgesetzt s<strong>in</strong>d.22


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumAlle <strong>in</strong>terviewten Personen äußerten Interesse an andere Kulturen. Für die meisten standKul<strong>in</strong>arisches im Vordergr<strong>und</strong>, drei der Befragten hatten Interesse an Buddhismus, e<strong>in</strong>e anTanz. Das Interesse am Reisen wurde von der Hälfte der Befragten benannt. E<strong>in</strong>enorganisierten Vere<strong>in</strong>saustausch mit polnischen Partnerkreisen fänden e<strong>in</strong>ige Befragte reizvoll.Fünf der Befragten haben punktuell beruflich <strong>in</strong> Polen zu tun.Das Interesse an Fremden sche<strong>in</strong>t durch die Neugierde auf das „Exotische“ der Anderengeweckt. Beispielsweise besuchte e<strong>in</strong>e der <strong>in</strong>terviewten Personen e<strong>in</strong>en Bauchtanzkurs. ZumTeil ist das Fremde jedoch auch nur im Rahmen e<strong>in</strong>er Reise <strong>in</strong>teressant.„Ich guck mir gerne Sendungen über andere Länder an. Ich habe auch Gelegenheit, mich imFrauenvere<strong>in</strong> über andere Kulturen zu <strong>in</strong>formieren. In dem Vere<strong>in</strong> gibt es dazu e<strong>in</strong> breitesAngebot.“ Frau F. DonnerstagNur wenige der <strong>in</strong>terviewten Personen gaben an, dass sie mehr Angebote im Umland sowie <strong>in</strong>Polen nutzen würden, wenn sie bessere Informationen über das Angebot hätten.Fazit: Zu dem Thema „Fremde“ wurde von allen Befragten am wenigsten erzählt <strong>und</strong> dieAussagen waren zum Teil sehr widersprüchlich, was mehrere Schlüsse zulässt. „Fremdheit“ist e<strong>in</strong> Thema, mit dem sich die Befragten bisher wenig beschäftigt haben. Das kann daranliegen, dass es kaum people of color <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> gibt <strong>und</strong> die Zivilgesellschaft relativhomogen ersche<strong>in</strong>t. Es ist jedoch auch denkbar, dass hier das Problem der sozialenErwünschtheit e<strong>in</strong>e Rolle spielt <strong>und</strong> die Befragten nicht sicher s<strong>in</strong>d, was sie gegenüber e<strong>in</strong>emInterviewer erzählen können.Obwohl fast alle der Befragten polnische Nachbarn haben <strong>und</strong> Stett<strong>in</strong> als nächste Großstadte<strong>in</strong>ige Angebote zur Verfügung stellt, die es <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> nicht gibt, äußerte die Hälfte derBefragten, dass die Nähe zu Polen für sie überhaupt ke<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> ihrer Lebenswirklichkeitspiele. Auf Nachfrage, warum Stett<strong>in</strong> nicht als Bezugspunkt wahrgenommen wird, wurdenVerständigungsschwierigkeiten angeführt, aber auch Vorurteile genannt, wie die Angst vore<strong>in</strong>em Autodiebstahl.Für die andere Hälfte der Befragten ist der Austausch mit Polen selbstverständlicher Teil desAlltags. Diese Befragten haben familiäre oder berufliche Kontakte zu Polen <strong>und</strong> fahrenregelmäßig <strong>in</strong>s Nachbarland.Durch diese Aussagen wird deutlich, dass persönliche Kontakte zu Fremden wichtig s<strong>in</strong>d, umdie Scheu vor Fremdheit abzubauen <strong>und</strong> diese zunehmend selbstverständlich als Etablierte zu<strong>in</strong>tegrieren. Wer über mehr (positive) Kontaktmöglichkeiten verfügt, ist <strong>in</strong> der Regelaufgeschlossener gegenüber anderen.23


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum6.2 Chancen / Ressourcen / WünscheStett<strong>in</strong> als nächste Großstadt <strong>und</strong> deren Umland wird, wie oben bereits erwähnt, nur vonwenigen Befragten als Chance erkannt, von diesen jedoch explizit positiv konnotiert.„Große Visionen fehlen, es gibt noch viel zu tun, gerade <strong>in</strong> Richtung Stett<strong>in</strong>. Ich sehe es alswichtiges wirtschaftliches <strong>und</strong> kulturelles Zentrum. Mir fehlt, dass dies nicht von der Mehrheitangenommen wird.“ Herr D. Donnerstag„Seit 1985 b<strong>in</strong> ich immer wieder <strong>in</strong> Polen. Für mich wird die eigentliche Großstadt immermehr Stett<strong>in</strong>. Wenn es nur bessere Informationen darüber geben würde. Die Nähe zu Polen istbesonders wichtig, gerade <strong>in</strong> Bezug auf Fachkräfte, die es hier <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> kaum gibt.“Herr G. DienstagDie Nähe zu Polen wird als e<strong>in</strong> Ressourcenpotenzial erkannt, polnische Fachkräfte alsArbeitskräftereservoir für den deutschen Arbeitsmarkt gesehen. Gerade <strong>in</strong> der ländlichen<strong>Region</strong> ist es kaum möglich, diese Fachkräfte zu f<strong>in</strong>den, was e<strong>in</strong>e Ansiedlung für großeFirmen schwierig macht. Dieser Befragte grenzt sich mit se<strong>in</strong>er Aussage explizit vonpopulistischen Parolen der Rechtsextremisten ab, die immer wieder e<strong>in</strong>e Bedrohung derArbeitsplätze durch Ausländer propagieren.Stett<strong>in</strong> hat das Potenzial, e<strong>in</strong>e kulturelle Bereicherung für die ländliche <strong>Region</strong> umFahrenwalde zu se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der Kulturhäuser Schwierigkeiten haben, nachhaltig bestehen zukönnen. Die neu angesiedelten polnischen Familien beleben die Dörfer, kümmern sich um dieverfallenen Häuser <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gen Kaufkraft mit, die der <strong>Region</strong> fehlt. Polnische Familien, dieauf deutscher Seite leben, schicken ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> deutsche K<strong>in</strong>dergärten <strong>und</strong> Schulen, gehenauf deutscher Seite zum Arzt <strong>und</strong> E<strong>in</strong>kaufen. Der viel beklagte demographische Wandel mitden Auswirkungen sich entleerender Orte <strong>und</strong> fehlender Kommunikations- <strong>und</strong>Austauschmöglichkeiten können also durch den Zuzug von Polen zum<strong>in</strong>dest teilweiseabgemildert <strong>und</strong> entschleunigt werden.7 Soziale Teilhabe7.1 BestandsaufnahmeFast alle <strong>in</strong>terviewten Personen besuchen regelmäßig kulturelle Veranstaltungen <strong>in</strong> der<strong>Region</strong>, aber nur wenige fahren dafür auch nach Stett<strong>in</strong>. Über das Angebot erfahren sie <strong>in</strong> derFamilie oder von Fre<strong>und</strong>en, per Email oder <strong>in</strong> seltenen Fällen über e<strong>in</strong>en Aushang amSchwarzen Brett des Dorfes. Auch die Zeitung sowie e<strong>in</strong>ige Internetseiten <strong>und</strong> Newsletterdienen als Informationsquelle.Nur zwei der fünf befragten Jugendlichen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en aktiv. Die anderen empf<strong>in</strong>den sichentweder als zu jung dafür oder haben zu wenig Zeit, da sie <strong>in</strong> der Schule sehr e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>ens<strong>in</strong>d.Auch von den <strong>in</strong>terviewten Erwachsenen s<strong>in</strong>d nur wenige aktiv <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en. E<strong>in</strong>ige lehnenVere<strong>in</strong>sstrukturen ab, andere empf<strong>in</strong>den bei jeglicher Form der Mitgliedschaft e<strong>in</strong>en negativenBeigeschmack <strong>und</strong> begründen dies mit ihrer DDR-Erfahrung, als es für bestimmte Berufe24


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumVoraussetzung war, Mitglied zu se<strong>in</strong>, beispielsweise <strong>in</strong> der Sozialistischen E<strong>in</strong>heitsparteiDeutschland (SED). E<strong>in</strong>ige Befragte sehen ke<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> aktiv zu se<strong>in</strong> oderbegründen ihr Nicht-Engagement mit Zeitmangel. Andere wiederum engagieren sich bereitsberuflich sozial, weswegen sie dies nicht auch noch privat tun möchten.„Es gibt nur e<strong>in</strong> paar, die sich unheimlich aufreiben. Der Großteil der Bevölkerung ist eherpassiv <strong>und</strong> macht nichts. Es wäre schön, wenn es mehr wären. Es gibt genug zu tun.“ Frau F.MontagZu den bedeutsamen Vere<strong>in</strong>en der <strong>Region</strong> zählen die Interviewteilnehmenden dieArbeiterwohlfahrt (AWO), die Volkssolidarität, das Deutsche Rote Kreuz (DRK), denHandball- <strong>und</strong> Judovere<strong>in</strong>, den Treckervere<strong>in</strong>, den Jagdvere<strong>in</strong>, den Bauernverband, denMusikvere<strong>in</strong>, die Kirche, die Feuerwehr, die Landfrauen, Sportvere<strong>in</strong>e, schloss bröll<strong>in</strong>, denKulturvere<strong>in</strong> Schmarso, den Dorfklub Rollwitz, He<strong>in</strong>richsruh <strong>und</strong> Weitblick Bugewitz. In dieAufzählung <strong>in</strong>tegriert s<strong>in</strong>d auch Vere<strong>in</strong>e, die teilweise 50 km von Fahrenwalde entfernt s<strong>in</strong>d<strong>und</strong> dennoch zu der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde h<strong>in</strong>zugerechnet werden. Die E<strong>in</strong>beziehung dergesamten <strong>Region</strong> bzw. das Denken über Fahrenwalder Grenzen h<strong>in</strong>aus verdeutlicht die<strong>in</strong>neren Landkarten der Interviewten, die <strong>in</strong> Distanzen über die Ortsgrenzen h<strong>in</strong>aus denken<strong>und</strong> den ländlichen Raum als stark sozial vermittelnden Raum wahrnehmen. Deutlich wirdaußerdem, dass unter e<strong>in</strong>em Vere<strong>in</strong> auch solche Initiativen oder Institutionen subsumiertwerden, welche nicht dem klassischen Modell e<strong>in</strong>es Dorfvere<strong>in</strong>s entsprechen.In der vermehrten Abwanderung der Jugendlichen sehen e<strong>in</strong>ige der befragten Personen e<strong>in</strong>Problem h<strong>in</strong>sichtlich der Aufrechterhaltung der bestehenden Vere<strong>in</strong>sstrukturen. Es engagiertsich hauptsächlich die ältere Generation im Rentenalter. Diese fühlen sich oftmals mit denAnforderungen alle<strong>in</strong> gelassen.„Das Schlimme ist, dass die gut Ausgebildeten uns verlassen. Das merkt man überall, imEhrenamt, bei der Feuerwehr – da gibt es ke<strong>in</strong>en Nachwuchs.“ Herr G. Donnerstag„Es engagieren sich immer die gleichen, besonders die Frauen. Aber bei e<strong>in</strong>em 500Seelendorf, was soll da übrig bleiben, wenn 55 Prozent 60 oder 70 Jahre alt s<strong>in</strong>d?“ Frau F.DonnerstagDie hier zum Ausdruck gebrachten Verhältnisse s<strong>in</strong>d charakteristisch für den ländlichen RaumOstdeutschlands. Oftmals stellt sich die engagierte ältere Generation die Frage, für wen siesich überhaupt noch engagieren, wenn die nachfolgenden Generationen abwandern oder ke<strong>in</strong>Interesse an der Fortführung ihrer Arbeit zeigen (Albrecht et al. 2012).Das soziale Mite<strong>in</strong>ander wird von den Interviewten sehr unterschiedlich wahrgenommen, wieweiter oben schon beschrieben wurde. Während e<strong>in</strong>ige Befragte das Mite<strong>in</strong>ander sehr positivwahrnehmen, empf<strong>in</strong>den andere Befragte es als mangelhaft. U.a. wird der demographischeWandel als e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> angeführt, der die Menschen weiter vone<strong>in</strong>ander entfernt hat <strong>und</strong> dieVernetzung <strong>und</strong> das Zusammenkommen erschwert, aber auch der Umbruch nach der Wendewird als Gr<strong>und</strong> für Veränderung <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft angeführt.25


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum„Die ganze soziale Struktur hat tatsächlich nach der Wende abgenommen. Es hat sich e<strong>in</strong>eEllbogengesellschaft entwickelt. Außer <strong>in</strong> den Kirchengeme<strong>in</strong>den, da ist das Mite<strong>in</strong>anderimmer noch sehr menschlich.“ Frau F. DonnerstagDie Gesellschaft wird als relativ gespalten beschrieben. Die Spaltung vollziehe sich entlangder Alte<strong>in</strong>gesessenen, der Zugezogenen (vor ca. 20 Jahren) sowie der Neuzugezogenen (vorca. 5 Jahren). Die bereits vor längerer Zeit Zugezogenen haben <strong>in</strong> den letzten Jahrzehntenviele Strukturen aufgebaut, so beispielsweise e<strong>in</strong>e Bibliothek, e<strong>in</strong>e Schule <strong>und</strong> Kulturvere<strong>in</strong>e.Trotzdem haben sie weiterh<strong>in</strong> den E<strong>in</strong>druck, dass ihnen von Seiten der Alte<strong>in</strong>gesessenen mitDistanz begegnet wird. Die Zugezogenen sagen, dass die Strukturen unter denAlte<strong>in</strong>gesessenen sehr starr <strong>und</strong> unflexibel wirken.Kontaktaufnahmen zu den erst vor e<strong>in</strong>igen Jahren zugezogenen Bewohner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong>Bewohnern s<strong>in</strong>d oftmals schnell über die K<strong>in</strong>der erfolgt. Zudem nutzen die Neuzugezogenendas kulturelle Angebot <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d aufgeschlossen, neue Menschen <strong>in</strong> ihrem gewählten Wohnortkennenzulernen. E<strong>in</strong>ige der Interviewteilnehmenden äußerten, dass trotz der mittlerweile über20 Jahre zurückliegenden Wiedervere<strong>in</strong>igung sich der Umstand, e<strong>in</strong>e zugezogene Person ausOstdeutschland zu se<strong>in</strong>, förderlich auf ihre Akzeptanz durch die Alte<strong>in</strong>gesessenen auswirkt.Nur e<strong>in</strong>ige der befragten Erwachsenen nutzen ihr Stimmrecht bei Wahlen aktiv. AndereBefragte erachten e<strong>in</strong>e Stimmabgabe als irrelevant, da sie den E<strong>in</strong>druck haben, damit „ehnichts“ bewirken zu können. Diese E<strong>in</strong>stellung ist besonders bei der DDR-sozialisiertenGeneration anzutreffen. Inwiefern diese E<strong>in</strong>stellung ausschließlich <strong>in</strong> der DDR-Sozialisationbegründet liegt oder welchen E<strong>in</strong>fluss zentralisierte Entscheidungsstrukturen – <strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong><strong>und</strong> Potsdam wird über Bedürfnisse der Menschen <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern oderBrandenburg entschieden – oder verfestigte Wissensbestände über fehlendeE<strong>in</strong>wirkungsmöglichkeiten der eigenen Stimme haben, darüber können im Rahmen dieserArbeit lediglich Vermutungen angestellt werden, die e<strong>in</strong>er weiteren wissenschaftlichenÜberprüfung bedürften.7.2 Chancen / Ressourcen / WünscheDie befragten Jugendlichen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> wünschen sich den Ausbau des Freizeitangebots<strong>und</strong> äußerten konkrete Vorschläge, beispielsweise e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierlich arbeitendeTheatergruppe, e<strong>in</strong>en Handball- oder Basketballvere<strong>in</strong>, Hip-Hop Tanzkurse, Trommeln oderkünstlerische Kurse.Die erwachsenen befragten Personen sehen Handlungsbedarf für den Umgang mit demdemographischen Wandel. Sie fordern die Schaffung e<strong>in</strong>er Struktur für e<strong>in</strong>en wirtschaftlichenAufschwung, um mehr Arbeits- <strong>und</strong> Ausbildungsplätze <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu fördern. Siewünschen sich die Belebung der Innenstadt von Pasewalk <strong>und</strong> den Ausbau des öffentlichenNahverkehrs sowie des Breitband<strong>in</strong>ternetzugangs. Die Befragten wünschen sich mehrkulturelle E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> flexiblere Öffnungszeiten der Ämter. Insbesondere sorgen siesich um die Abwanderung der Jugendlichen. Diese zum Bleiben zu motivieren, ihnen e<strong>in</strong>26


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumHeimatbewusstse<strong>in</strong> zu vermitteln <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Zukunftsperspektive bieten zu können, seiessentiell, um sie an der vermehrten Abwanderung zu h<strong>in</strong>dern.Weiteren Handlungsbedarf sehen e<strong>in</strong>ige der Interviewteilnehmenden <strong>in</strong> der Verbesserung <strong>und</strong>Förderung von Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrern.„Die Lehrer <strong>in</strong> der Gesellschaft werden nicht so angesehen, wie es se<strong>in</strong> sollte. Sie verdienenzu schlecht <strong>und</strong> sollten besser gefördert werden. Auch s<strong>in</strong>d die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> denSchulen nicht gut.“ Herr H. MontagDies lässt sich angesichts e<strong>in</strong>er Reduktion des Lehrpersonals um e<strong>in</strong> Drittel <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern <strong>in</strong>nerhalb der letzten zwölf Jahre bestätigen. Dieser Rückgang ist besonders imländlichen Raum spürbar, da entsprechend des starken Geburtenrückgangs nur relativ wenigeNachwuchskräfte neu e<strong>in</strong>gestellt wurden. Die Schulen s<strong>in</strong>d mittlerweile hauptsächlich <strong>in</strong> denStädten konzentriert. Das Lehrpersonal wurde nicht nur stark reduziert, sondern ist imDurchschnitt auch sehr alt (RPV 2005).E<strong>in</strong>ige Befragte erhoffen sich durch qualifiziertes, jüngeres Lehrpersonal e<strong>in</strong>e bessereVermittlung von kultureller Bildung sowie Bekanntmachung <strong>in</strong>novativer Möglichkeiten aufdem Arbeitsmarkt für die Jugendlichen. Die Befragten glauben, dass besser qualifizierteLehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer die Neugierde auf Neues bei Schülern stärken können.Darüber h<strong>in</strong>aus wünschen alle Befragten e<strong>in</strong>e Verbesserung des Zugangs <strong>und</strong> Ausbau desbestehenden, beruflichen sowie politischen Weiterbildungsangebotes. Vorschläge fürWeiterbildungsthemen s<strong>in</strong>d Gesellschaftsk<strong>und</strong>e, Geschichte, Kommunikation <strong>und</strong>Konfliktlösung. E<strong>in</strong>e Befragte wünscht sich Handlungsmöglichkeiten <strong>und</strong> -ansätze zumThema Rechtsextremismus.„In me<strong>in</strong>er Branche gibt es kaum Fortbildungsangebote. Voriges Jahr gab´s e<strong>in</strong> Angebot, daswar bezahlbar. Dieses Jahr gibt es e<strong>in</strong>e Weiterbildung, doch die ist so teuer, da habe ichgesagt: Ne<strong>in</strong> danke.“ Frau F. Freitag„Der Bedarf an politischer Weiterbildung ist schon hoch. Ich denke, dass dies die Schulenmehr leisten müssten, um das Erstarken der rechten Parteien zu verh<strong>in</strong>dern, oder bewusst zumachen, was da der Inhalt ist. Ich glaub, dass ist den Jugendlichen gar nicht klar. Vor jederWahl macht das Gymnasium hier z.B. e<strong>in</strong>e fiktive Wahl. Also die Schüler tun so, als seien siewahlberechtigt. Da ist die NPD immer sehr stark. Die wird dann gewählt, weil’s witzig ist.“Frau F. MontagGerade der Punkt der generationenübergreifenden Aufarbeitung der Geschichte ist nachAnsicht von Experten e<strong>in</strong> wichtiger Faktor, um die Kommunikation zwischen denGenerationen zu fördern <strong>und</strong> e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Verständnis von Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft zuermöglichen (Staemmler 2012).Frau F. Montag merkt überdies e<strong>in</strong>en wichtigen Punkt an. Die NPD ist <strong>in</strong> vielen Teilen der<strong>Region</strong> als politische Kraft selbstverständlich geworden <strong>und</strong> die Gefahr, die von ihr ausgeht,wird unterschätzt oder nicht ernst genommen. Modi des Umgangs mit den Erfahrungen aus27


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumdem Nationalsozialismus f<strong>in</strong>den sich kaum <strong>und</strong> rechtsextreme E<strong>in</strong>stellungen werden oftmalstoleriert.Die Befragten äußern hier erneut e<strong>in</strong> Bedürfnis nach e<strong>in</strong>er positiven Identifikation mit der<strong>Region</strong>. Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach kann das auch durch verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten<strong>und</strong> Austausch ermöglicht werden. Sie betonen, dass durch Verantwortungsübernahme e<strong>in</strong>esjeden E<strong>in</strong>zelnen das Zusammenleben verbessert wird.„Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger sollten mehr Selbstvertrauen haben <strong>und</strong> sich mehr mit der <strong>Region</strong>identifizieren. Sie sollten das Bewusstse<strong>in</strong> haben: Ich lebe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er attraktiven <strong>Region</strong> <strong>und</strong> ichmöchte sie noch attraktiver machen!“ Frau F. Donnerstag„Der Begriff Pommern sollte nicht nur von den Nazis besetzt se<strong>in</strong>, sondern sollte als EU<strong>Region</strong> wahrgenommen werden.“Herr D. DonnerstagÜberdies wird die semantische Verdichtung von Begriffen – wie Pommern <strong>und</strong> Nazis – vonHerrn D. Donnerstag problematisiert, die von vielen Zeitungen aufgegriffen wird <strong>und</strong> sichdurch wiederholte Verwendungen <strong>in</strong> den Vorstellungen der Leser manifestieren (Staemmler2012). <strong>Aktion</strong>en, wie die Menschenkette des Bündnisses Vorpommern: Weltoffen,demokratisch, bunt!, arbeiten systematisch gegen solche Stigmatisierungen <strong>und</strong> schaffen es,den Begriff „Pommern“ geme<strong>in</strong>sam mit „Demokratiefest“ <strong>und</strong> „Weltoffenheit“ <strong>in</strong> die Medienzu br<strong>in</strong>gen, um die <strong>Region</strong> mit solchen positiv konnotierten Entwicklungen zu assoziieren. Esmuss sich allerd<strong>in</strong>gs bei den Bewohnern der <strong>Region</strong> e<strong>in</strong> entsprechendes Bewusstse<strong>in</strong>e<strong>in</strong>stellen, dass sie es s<strong>in</strong>d, die die Berichterstattung <strong>und</strong> den medialen Diskurs über ihre<strong>Region</strong> mitbestimmen können.8 Ergebnisse der Befragung <strong>und</strong> Handlungsansätze zurFörderung e<strong>in</strong>es aktiven demokratischen Geme<strong>in</strong>wesens <strong>in</strong><strong>und</strong> um FahrenwaldeUm e<strong>in</strong>e demokratische Kultur <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde zu stärken, ist es <strong>in</strong>sbesonderewichtig, die Menschen vor Ort zu ermächtigen (empowerment), ihre Interessen <strong>und</strong> Anliegenzu formulieren <strong>und</strong> eigenständig umzusetzen. Die Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger sollen merken,dass es nicht anderer bedarf, die sich für sie e<strong>in</strong>setzen, sondern dass sie selbst über dasPotenzial <strong>und</strong> die Mittel verfügen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren <strong>und</strong> dadurch Wege zuentwickeln, diese auch zu befriedigen. Die Bedürfnisformulierung spielte <strong>in</strong> den Interviewsim Rahmen der aktivierenden Befragung <strong>und</strong> den parallel dazu veranstalteten Dialogtagene<strong>in</strong>e herausragende Rolle. Aus diesen lassen sich drei Themenkomplexe herausstellen, die dieMenschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> um Fahrenwalde besonders wichtig f<strong>in</strong>den.1. Schaffung von Kommunikations- <strong>und</strong> Begegnungsräumen;2. Aufbau von Infrastruktur im Bereich Verkehr, Information <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutioneller Versorgung;3. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.28


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumDie Amadeu Antonio Stiftung <strong>und</strong> ihre Partner eruieren <strong>und</strong> probieren vor allemLösungsvorschläge aus, die die Schaffung von Kommunikations- <strong>und</strong> Begegnungsräumenfördern, über solche <strong>in</strong>formieren, d.h. e<strong>in</strong> dichtes Informationsnetz schaffen <strong>und</strong> bestehendeInitiativen vernetzen. Als strukturelle Probleme s<strong>in</strong>d die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit<strong>und</strong> die Verbesserung der Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur- <strong>und</strong> Institutionenversorgung nicht primäresHandlungsfeld, weshalb vorwiegend auf den ersten Punkt <strong>und</strong> den Aspekt derInformations<strong>in</strong>frastruktur (Unterpunkt 2) e<strong>in</strong>gegangen wird.Kommunikationsräume müssen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gegend, die sehr dünn besiedelt ist, explizitgeschaffen werden, sie entstehen nicht ohne aktives Engagement. <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> hat durchdie Vorbereitung <strong>und</strong> die Durchführung der <strong>Aktion</strong> held/<strong>in</strong> dorf geme<strong>in</strong>sam mit derBevölkerung solche Räume erschaffen <strong>und</strong> arbeitet jetzt daran, diese zu verstetigen. Dasmultidiszipl<strong>in</strong>äre Projekt held/<strong>in</strong> dorf <strong>in</strong>tegrierte Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger, regionaleInitiativen, Künstler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Künstler <strong>und</strong> polnische Partner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Partnergleichermaßen. Im ersten Teil wurden, geme<strong>in</strong>sam mit Akteuren aus der <strong>Region</strong>,Zusammenarbeiten geplant <strong>und</strong> Interviews zum Thema Held<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Helden 6 durchgeführt.Ab Ende August 2012 fand dann der aktive Austausch auf Schloss Bröll<strong>in</strong> <strong>in</strong>unterschiedlichen Workshops statt. Die Ergebnisse wurden Mitte September 2012 e<strong>in</strong>embreitem Publikum präsentiert.Über das Thema Held/<strong>in</strong> sollten die Menschen angeregt werden, über Leute <strong>in</strong> ihrerUmgebung nachzudenken, die Außergewöhnliches geleistet haben <strong>und</strong>/oder noch immerleisten. Darüber sollte die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der eigenen Identität <strong>und</strong>Identifikationsfiguren angeregt werden.Die Interviews dienten Schauspieler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schauspielern als Vorlage für kurze Szenen,die im Rahmen der eigentlichen <strong>Aktion</strong> aufgeführt wurden <strong>und</strong> als Audiomontage zu hörenwaren. Auf e<strong>in</strong>er vierstündigen Bustour durch die deutsch-polnische Grenzregion wurdenHeld<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Helden besucht: e<strong>in</strong> Dorfchronist, der <strong>in</strong> Damerow e<strong>in</strong> Café <strong>und</strong> somit e<strong>in</strong>enTreffpunkt eröffnet hat, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>oliebhaber, der <strong>in</strong> Brüssow e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>o <strong>und</strong> Ausstellungsortgründete, die Gender Werkstatt Ram<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der aktiv deutsch-polnischer Kulturaustauschstattf<strong>in</strong>det <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Aktivist vom Bündnis Vorpommern: Weltoffen, demokratisch, bunt!, dervon se<strong>in</strong>en Erfahrungen bei der Menschenkette gegen das NPD-Pressefest 7 <strong>in</strong> Pasewalk imAugust berichtete.6 E<strong>in</strong>e Held<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong> Held ist e<strong>in</strong> Mensch, der mit Taten Außerordentliches vollbr<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Identifikationsgestaltdarstellt, die andere <strong>in</strong>spiriert. Gerade im privaten <strong>und</strong> bürgerschaftlichen Engagement können Held<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Heldenhervortreten: Menschen, die Zivilcourage zeigen. Wichtig dabei ist, dass es e<strong>in</strong>en Zeugen der Tat gibt <strong>und</strong> die Aktiven auchAnerkennung für ihre Taten f<strong>in</strong>den. Der Ausdruck „Held“ ist ambivalent, da er auch von Nazis <strong>und</strong> Neonazis fürpropagandistische Zwecke missbraucht wird. Der Stiftung <strong>und</strong> ihren Partnern ist es jedoch wichtig, den eigentlich positivenBegriff wieder positiv zu besetzen.7 Etwa 2.000 Menschen hatten gegen das "Pressefest" der "Deutschen Stimme" protestiert. Vertreter von zahlreichenVere<strong>in</strong>en, Verbänden <strong>und</strong> demokratischen Parteien aus der <strong>Region</strong> stellten sich mit den Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern zwischenPasewalk <strong>und</strong> Viereck unter dem Motto "Ke<strong>in</strong> Ort für Neonazis" an die Straße. Mit der kilometerlangen Menschenkettewollten die Teilnehmenden e<strong>in</strong> Zeichen gegen die Versammlung von Rechtsextremen nahe Viereck setzen. Zudem feiertenetwa 500 Menschen bis zum späten Abend auf dem Markt <strong>in</strong> Pasewalk e<strong>in</strong> Demokratiefest. Das NDP-Pressefest besuchtenca.1000 Neonazis aus dem gesamten B<strong>und</strong>esgebiet.29


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumÜber die Busreise konnten die Menschen ihre <strong>Region</strong> neu entdecken <strong>und</strong> sehen, dass es <strong>in</strong>Vorpommern e<strong>in</strong>ige Begegnungsstätten <strong>und</strong> kulturelle E<strong>in</strong>richtungen gibt. An der Busreiseselbst haben <strong>in</strong>sgesamt 100 Menschen aus der <strong>Region</strong> teilgenommen. Die Tour startete <strong>und</strong>endete auf Schloss Bröll<strong>in</strong>. Vor Beg<strong>in</strong>n der Reise gab es auf dem Gut e<strong>in</strong>en Markt derMöglichkeiten, auf dem sich lokale Verbände <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e 8 vorstellten. Sie bekamen so dieMöglichkeit, sich untere<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> mit Interessierten auszutauschen. Zum Abschluss desTages wurden die Busfahrenden mit weiteren Menschen aus der <strong>Region</strong> auf Schloss Bröll<strong>in</strong>zu e<strong>in</strong>em großen Festessen e<strong>in</strong>geladen, das aus gespendeten Zutaten aus den Gärten der<strong>Region</strong> zubereitet wurde.Insgesamt haben an der gesamten <strong>Aktion</strong> held/<strong>in</strong> dorf, <strong>in</strong>kl. Markt der Möglichkeiten,Busreise <strong>und</strong> künstlerischen <strong>Aktion</strong>en sowie dem Abendessen, ca. 200 Besucher<strong>in</strong>nen <strong>und</strong>Besucher <strong>und</strong> 120 Teilnehmer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Teilnehmer teilgenommen, die überwiegend aus der<strong>Region</strong> kamen, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands, Polens <strong>und</strong> Europas.Die Reaktionen der Besucher<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Besucher waren überaus positiv <strong>und</strong> es wurdegestaunt, wie viele Angebote <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. Zum Beispiel zeigten sich dieBusfahrer der kreislichen Verkehrsgesellschaft begeistert von der Tour. „Ich wusste gar nicht,dass es das alles gibt“, me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong> Fahrer gegenüber dem Nordkurier (Nordkurier 2012). E<strong>in</strong>eFrau aus Pasewalk sah held/<strong>in</strong> dorf als direkte Fortsetzung der Menschenkette <strong>in</strong> Pasewalk imAugust: „Ich habe das Gefühl, dass momentan etwas im Umbruch ist, dass die Leute sichmehr verantwortlich fühlen <strong>und</strong> dementsprechend handeln. Die Jugend wird sich bewusst,dass sie auch Macht hat, Entscheidungen zu treffen <strong>und</strong> mitzubestimmen, was hier passiert<strong>und</strong> nicht passiert. Das hat man bei der Demokratiemeile 9 neulich ganz deutlich gesehen. Dawaren so viele junge Leute vertreten, die sich vorher nicht kannten <strong>und</strong> die sich verb<strong>und</strong>engefühlt haben. Dieses Gefühl verspüre ich hier <strong>und</strong> heute wieder.“ (Cramer 2012).Dem unbestimmten Gefühl von „hier ist ja eh nichts los“ konnte mit der <strong>Aktion</strong> <strong>und</strong> derVorbereitung entgegengewirkt werden. Über den Besuch e<strong>in</strong>zelner E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> überden kommunikativen Austausch im Projekt wurde e<strong>in</strong> Kontakt zu e<strong>in</strong>zelnen Initiativen <strong>und</strong>Menschen geschaffen, der weiter genutzt werden kann. In der Vorarbeit im Rahmen desProjektes fanden <strong>in</strong> Kooperation mit Stett<strong>in</strong>er Partnerorganisatoren zwei deutsch-polnischeKreativworkshops statt. Die Präsentationen der Workshops waren Teil der Busreise.Mit held/<strong>in</strong> dorf wurde dem Informationsdefizit darüber, welche Orte des kommunikativenAustauschs <strong>und</strong> kulturellen Angebotes es gibt, erfolgreich entgegengewirkt <strong>und</strong> damit demunter Punkt 2 benannten Bedürfnis nach e<strong>in</strong>er stärker vernetzten Informations<strong>in</strong>frastrukturnachgekommen.Der Nordkurier stellte im Zuge von held/<strong>in</strong> dorf <strong>in</strong> unregelmäßigen Abständen Held<strong>in</strong>nen <strong>und</strong>Helden aus der <strong>Region</strong> vor <strong>und</strong> machte dadurch Initiativen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e aus der <strong>Region</strong>8 Die Kunst von Kunst zu leben / Kunst <strong>und</strong> Kulturtourismus <strong>in</strong> MV, RAA perspektywa, Fair-Handels-Gruppe Pasewalk,Vere<strong>in</strong>igte Volkshochschulen Vorpommern-Greifswald, Demokratieladen Anklam, Lokales Bündnis für Familien UER, AWOUER, Arbeitslosenverband UER, <strong>Aktion</strong>sbündnis Vorpommern, Stadt Pasewalk, Pommersche Marktscheune, Nowa Amerika,HOP Transnationales Netzwerk Odermündung e.V., Amadeu Antonio Stiftung, schloss bröll<strong>in</strong> e.V.9 Mit Demokratiemeile ist die Gegenaktion zum NPD-“Pressefest” im August <strong>in</strong> Pasewalk geme<strong>in</strong>t.30


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumsichtbar. Durch die transparente Darstellung des vorhandenen Potenzials von Initiativen <strong>und</strong>Vere<strong>in</strong>en besteht so die Möglichkeit, über das Informationsangebot den Menschen e<strong>in</strong>envere<strong>in</strong>fachten Zugang zu den verschiedenen Organisationen sowie Beteiligungsmöglichkeiten<strong>in</strong> diesen zu ermöglichen.Wichtig ist nun, dass dem Engagement <strong>und</strong> der positiven Erfahrung, die die Menschengemacht haben, etwas folgt, was die Möglichkeit zur Kommunikation <strong>und</strong> den Austausch vonInformationen weiter fördert <strong>und</strong> somit verstetigt. Geplant ist nun e<strong>in</strong>e Art „Reiseführer“ fürdie <strong>Region</strong> Vorpommern, der partizipatorisch mit den Initiativen erstellt werden soll. Dieser„Reiseführer“ dient den Initiativen selbst zur Vernetzung <strong>und</strong> den Menschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>,die sich engagieren möchten, als Informationsbroschüre. Gleichzeitig werden Initiativenangehalten zu berichten, wie sie sich konkret für e<strong>in</strong> demokratisches Geme<strong>in</strong>wesen e<strong>in</strong>setzen.Um weitere Möglichkeiten medienbezogener Werbe- <strong>und</strong> Beteiligungsstrategien zuuntersuchen, wäre e<strong>in</strong>e Analyse dieser notwendig. Ebenso wünschenswert wäre e<strong>in</strong>eUntersuchung zu genutzten Informationskanälen seitens der Leser, um zu eruieren, ob dieZeitungen mit ihren kommunikativen Ansprachestrategien ihre Zielgruppen überhaupterreichen. Um sowohl die Auflagenzahlen als auch die Zufriedenheit der Leserschaft zuverbessern, ist e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Kommunikation zwischen der Leserschaft <strong>und</strong> denZeitungsmachern e<strong>in</strong>zurichten. Dazu bedarf es der Erkennung des beidseitigen Nutzens e<strong>in</strong>ergegenseitigen Kommunikation, von der sowohl die Redaktion als auch die Leserschaftprofitieren.held/<strong>in</strong> dorf steht exemplarisch für Projekte, die e<strong>in</strong>en liebevollen Blick auf die <strong>Region</strong>werfen möchten, die Menschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> „mitnehmen“ <strong>und</strong> den Rechtsextremen denStatus als alle<strong>in</strong>ige „Kümmerer“ nehmen wollen.Die Sensibilität h<strong>in</strong>sichtlich der Problematik des Rechtsextremismus <strong>und</strong> des Umgangs damitist, wie die aktivierende Befragung gezeigt hat, sehr unterschiedlich ausgeprägt. Dasslediglich zwei der 24 Befragten diese Thematik aufgriffen <strong>und</strong> sich zu rechtsextremistischenStrömungen <strong>und</strong> dar<strong>in</strong> begründeten Problematiken äußerten, legt den Schluss nahe, dassRechtsextremismus die Menschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> nicht vordergründig zu beschäftigen sche<strong>in</strong>t<strong>und</strong> diese Problematik eher von außerhalb als e<strong>in</strong> die <strong>Region</strong> betreffendes Problem gesehenwird. Auch <strong>und</strong> gerade deshalb ist es aus Sicht der Amadeu Antonio Stiftung <strong>und</strong> ihrerPartner unumgänglich, sich diesen Themas anzunehmen. Es ist wichtig, die Menschen für dasProblem Rechtsextremismus zu sensibilisieren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Umgang damit e<strong>in</strong>zufordern, ohneden Zeigef<strong>in</strong>ger zu heben. Dazu müssen Initiativen unterstützt werden, die sich explizit mitdem Thema Rechtsextremismus ause<strong>in</strong>andersetzen <strong>und</strong> offensiv mit der Problematikumgehen. E<strong>in</strong> Beispiel ist das Ende Juni 2012 <strong>in</strong> Pasewalk gebildete <strong>Aktion</strong>sbündnisVorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!, das aus politischen Vertretern, Kirchen, Parteien<strong>und</strong> vor allem zivilgesellschaftlichen Initiativen <strong>und</strong> Privatpersonen besteht. Ziel desBündnisses ist es, vorhandenen neonazistischen <strong>und</strong> menschenverachtenden Strömungenentgegenzutreten <strong>und</strong> weitere zu verh<strong>in</strong>dern. Die Amadeu Antonio Stiftung, The Work<strong>in</strong>gParty <strong>und</strong> schloss bröll<strong>in</strong> e.V. s<strong>in</strong>d Mitbegründer des Bündnisses.31


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumUm die Motivation <strong>und</strong> den Schwung der Bündnismitglieder vom Bündnis Vorpommern:Weltoffen, demokratisch, bunt! weiterzutragen, müssen nun weitere konkrete Anlassegeschaffen werden, auf die das Bündnis h<strong>in</strong>arbeiten kann. In Zusammenarbeit mit der StadtPasewalk <strong>und</strong> <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> s<strong>in</strong>d im Februar 2013 die Pasewalker Gespräche geplant, mitdem Thema „Wehrhafte Demokratie“. Diese über drei Tage gehende Veranstaltung sollregionale <strong>und</strong> überregionale Akteure zusammenbr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Workshops,Podiumsdiskussionen <strong>und</strong> Vorträgen zu weiterem Engagement gegen Rechtsextremismusanregen <strong>und</strong> erfolgreiche Projekte <strong>und</strong> Initiativen für demokratische Kultur vorstellen.Die Amadeu Antonio Stiftung, schloss bröll<strong>in</strong> e.V. <strong>und</strong> The Work<strong>in</strong>g Party s<strong>in</strong>d überzeugt,dass mit den Mitteln der kulturellen Bildung <strong>und</strong> darstellenden Kunst Kommunikationgefördert, darüber Zivilgesellschaft sichtbar gemacht <strong>und</strong> so die demokratische Kultur <strong>in</strong> der<strong>Region</strong> gestärkt werden kann. Die oben beschriebenen <strong>Aktion</strong>en <strong>und</strong> die rege Teilnahmeregionaler Akteure bestätigen dar<strong>in</strong>, den e<strong>in</strong>geschlagenen Weg fortzuführen.32


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum9 LiteraturAlbrechet, Peter-Georg; Nolde, Hendrik; Dummert, Sab<strong>in</strong>e; Wolf, Jürgen (2012): ZumEngagement älterer Menschen <strong>in</strong> den ländlichen Räumen Ostdeutschlands. E<strong>in</strong>eExpertise der Amadeu Antonio Stiftung: http://www.laendlicherraum.<strong>in</strong>fo/w/files/pdfs/expertise_peter-georg-albrecht_zum-engagement-aelterermenschen-<strong>in</strong>-den-laendlichen-raeumen-ostdeutschlands-1.pdf,(Zugriff: 05.08.2012).Baldauf, Johannes (2012): Die Bedeutung sozialer Netzwerke im ländlichen Raum. E<strong>in</strong>eExpertise der Amadeu Antonio Stiftung: http://www.laendlicherraum.<strong>in</strong>fo/wissen/expertisen/die-bedeutung-sozialer-netzwerke-im-laendlichen-raum/,(Zugriff: 25.10.2012).Cramer, Nico (2012): held/<strong>in</strong>_dorf, oder: e<strong>in</strong>e etwas andere Busreise, http://www.laendlicherraum.<strong>in</strong>fo/region-fahrenwalde/held-<strong>in</strong>-dorf/e<strong>in</strong>e-etwas-andere-busreise/,(Zugriff:22.10.2012).Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) (2006): Das INSM-Profil: Landkreis Uecker-Randow, http://www.<strong>in</strong>sm-regionalrank<strong>in</strong>g.de/ki_359.html, (Zugriff 08.05.2012).Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) (2009): Das INSM-Profil: Landkreis Uecker-Randow, http://www.<strong>in</strong>sm-regionalrank<strong>in</strong>g.de/2009_k_landkreis-uecker-randow.html,(Zugriff: 08.05.2012).Jaschke, Hans-Gerd (2011): Analyse der politischen Kultur Brandenburgs im H<strong>in</strong>blick aufihre demokratiestützende oder demokratieproblematische Wirkung. Hochschule fürWirtschaft <strong>und</strong> Recht, Berl<strong>in</strong>: http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/pdfs/gutachtenjaschke.15722148.pdf,(Zugriff: 05.08.2012).Kraske, Marion (2012): Tageszeitung im ländlichen Raum. E<strong>in</strong>e Expertise der AmadeuAntonio Stiftung: http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/logo/expertise_marionkraske_tageszeitungen-im-laendlichen-raum-aktuell.pdf,(Zugriff 05.08.2012).Kröhnert, Steffen; Kl<strong>in</strong>gholz, Re<strong>in</strong>er (2007): Not am Mann. Von Helden der Arbeit zur neuenUnterschicht? Lebenslagen junger Erwachsener <strong>in</strong> wirtschaftlichen Abstiegsregionen derneuen B<strong>und</strong>esländer: http://www.berl<strong>in</strong><strong>in</strong>stitut.org/fileadm<strong>in</strong>/user_upload/Studien/Not_am_Mann_Webversion.pdf,(Zugriff24.04.2012).Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern (LpB MV): Ergebnis derKommunalwahlen 2011: http://www.lpbmv.de/cms2/LfpB_prod/LfpB/de/the/w11/Kommunalwahlen_2011/<strong>in</strong>dex.jsp,(Zugriff23.10.2012)Landkreis Uecker-Randow, Landesamt für Umwelt, Naturschutz <strong>und</strong> Geologie Mecklenburg-Vorpommern (LK UER) (Hrsg.): Naturparkplan „Am Stett<strong>in</strong>er Haff“, Band II: Daten <strong>und</strong>Fakten: www.naturpark-am-stett<strong>in</strong>er-haff.de%2Fresource.aspx%2F5c6b151d-6b40-7c9c-b3e7-f6c311107e6e%2FBand%2520III.pdf&ei=tCKpT6qTJ-_44QTLiqGODQ&usg=AFQjCNHOHATJCnodIWP8CsbgfRFXJWXSkg&sig2=lygv3nphR--IXJb9gbgnbg, (Zugriff 08.05.2012).Neumann, Anika; Richter, Anna (2012): Aufbereitung des Forschungstandes zurZivilgesellschafts- <strong>und</strong> Engagementforschung im Fokus von Kommunikation,Netzwerken <strong>und</strong> Sozialkapital für die Amadeu Antonio Stiftung: http://www.laendlicherraum.<strong>in</strong>fo/wissen/expertisen/aufarbeitung-des-forschungsstands-irs/,(Zugriff:05.08.2012).33


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumNordkurier (2012): E<strong>in</strong>e <strong>Region</strong> sucht ihre Helden:http://www.nordkurier.de/cml<strong>in</strong>k/nordkurier/lokales/pasewalk/e<strong>in</strong>e-region-sucht-ihrehelden-1.484128?localL<strong>in</strong>ksEnabled=false,(Zugriff: 30.10.2012).Poll<strong>in</strong>ger, Katr<strong>in</strong> (2012): <strong>Sozialraumanalyse</strong>n im ländlichen Raum:http://www.partizipation.at/<strong>in</strong>dex.php?id=1224&type=123, (Zugriff: 24.04.2012).<strong>Region</strong>aler Planungsverband Vorpommern (RPV ) (2005): Beiträge zur regionalenEntwicklung <strong>in</strong> der Planungsregion Vorpommern: http://www.rpvvorpommern.de/fileadm<strong>in</strong>/dateien/dokumente/pdf/Bilanz/raumordnungsbericht_vorpommern_06.pdf, (Zugriff: 08.05.2012).Schnur, Olaf (2009): Lokales Sozialkapital: E<strong>in</strong>e unterschätzte Ressource im Kiez:http://www2.rz.hu-berl<strong>in</strong>.de/geo/hu/bevgeo/texte/moabit/uraum.pdf,(Zugriff:15.04.2009).Staemmler, Johannes (2012): Kommunikation im ländlichen Raum. E<strong>in</strong>e Expertise derAmadeu Antonio Stiftung: http://www.laendlicherraum.<strong>in</strong>fo/w/files/aas12/kommunikation-im-laendlichen-raum.pdf,(Zugriff: 08.05.2012).Statistisches B<strong>und</strong>esamt (2012): Bevölkerung <strong>und</strong> Erwerbstätigkeit: Bevölkerung mitMigrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> –Ergebnisse des Mikrozensus 2011– Fachserie 1 Reihe 2.2:https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/MigrationIntegration/Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>2010220117004.pdf?__blob=publicationFile, (Zugriff:10.10.2012).34


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum10 Anhang10.1 Erster <strong>und</strong> zweiter Dialogtag auf Schloss Bröll<strong>in</strong>Neben den bereits abgeschlossenen E<strong>in</strong>zelbefragungen standen am Anfang derUmsetzungsphase des Projekts im Raum Vorpommern r<strong>und</strong> um Bröll<strong>in</strong> <strong>und</strong> Fahrenwaldezwei Dialogtage im Februar unter der Überschrift Kunst-Ort Bröll<strong>in</strong> <strong>in</strong> Vorpommern. Diesedienten der Projektvorstellung für Vere<strong>in</strong>smitglieder des schloss bröll<strong>in</strong> e.V. <strong>und</strong> für andereVere<strong>in</strong>e, Partner-Organisationen, MultiplikatorInnen, engagierte BürgerInnen <strong>und</strong> öffentlicheVertreterInnen aus der <strong>Region</strong>. Ganz im S<strong>in</strong>ne der dynamischen <strong>und</strong> kommunikativen Naturdes Projekts stellten diese beiden Treffen gleichzeitig e<strong>in</strong>en direkten E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sameArbeit unter den <strong>in</strong>sgesamt mehr als 60 TeilnehmerInnen dar. Genauso wie andere Kunstortezeichnet sich auch Schloss Bröll<strong>in</strong> u.a. dadurch aus, dass hier künstlerischer Anspruch <strong>und</strong>Visionen neben der tagtäglichen Wirklichkeit erfahrbar s<strong>in</strong>d. Ausgehend von diesemUnterschied zwischen Vision <strong>und</strong> Wirklichkeit g<strong>in</strong>g es bei den Dialogtagen darum, ob e<strong>in</strong>esolche Spannung immer nur als entmutigend erfahren wird oder ob diese natürliche Spannungzu der Dynamik e<strong>in</strong>es kreativen Entwicklungsprozesses gewendet werden kann?Nach e<strong>in</strong>er Bestandsaufnahme von Visionen <strong>und</strong> Motivationen, sowie e<strong>in</strong>em kurzenAustausch über existierende Handlungsformate <strong>und</strong> -orte folgte e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames, kreativesBra<strong>in</strong>storm<strong>in</strong>g der TeilnehmerInnen, moderiert von Benno Plassmann (The Work<strong>in</strong>g Party).Bedürfnisermittlung, Partner<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Austausch g<strong>in</strong>gen so über <strong>in</strong> die Erarbeitung vonThemen, die für zukünftige geme<strong>in</strong>same Arbeit für wichtig empf<strong>und</strong>en wurden:• Netzwerke bilden <strong>und</strong> Initiative sichtbar machen• Formen der Jugendarbeit• Verb<strong>in</strong>dungen zwischen Bildung, sozialen Projekten <strong>und</strong> Kunst• Schnittmengen zwischen Partner<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Partnern <strong>und</strong> weitere Handlungshorizonte(<strong>in</strong>kl. Der Entwicklung e<strong>in</strong>er Bürgerstiftung für die Zeit nach dem derzeitigen Projekt)Diese werden <strong>in</strong> Fokusgruppen <strong>in</strong>teressierter Personen weiter bearbeitet.Für den Vere<strong>in</strong> schloss bröll<strong>in</strong>, der seit 20 Jahren den künstlerischen Forschungs- <strong>und</strong>Produktionsort <strong>in</strong> Vorpommern aufrecht erhält, waren die Workshops e<strong>in</strong> wichtigerKlärungsprozess. Trotz nicht immer leichter personeller <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzieller Lage möchte derVere<strong>in</strong> weiter e<strong>in</strong>e dynamische Rolle <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> spielen, im Zusammenspiel mit se<strong>in</strong>ennationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen künstlerischen Aufgaben <strong>und</strong> Kontakten. E<strong>in</strong>eZusammenarbeit mit anderen AkteurInnen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> ist immerwillkommen, solange sie beide Seiten weiterbr<strong>in</strong>gt. Manch existierendes regionales Angebot<strong>und</strong> Aktivität (z.B. <strong>in</strong> der bereits <strong>in</strong>tensiven Jugendarbeit) könnten sicherlich geme<strong>in</strong>sam mitanderen PartnerInnen weiterentwickelt werden.Für die große Vielfalt anderer Aktiver <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> stellten die Workshops e<strong>in</strong>e Formgegenseitiger Wertschätzung dar, sie gaben Raum für Kommunikation <strong>und</strong> für die35


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumEntwicklung von Vernetzungen. Schließlich hatten sich alle TeilnehmerInnen Zeitgenommen, <strong>und</strong> gaben e<strong>in</strong>ander Zeit, geme<strong>in</strong>sam Neues zu erarbeiten. Das ist nie leicht,schon gar nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong>, <strong>in</strong> der alle<strong>in</strong> die großen geographischen Entfernungen oftgenug dazu beitragen, dass es zu wenig geme<strong>in</strong>same Zeit <strong>und</strong> öffentliche soziale Räume gibt.Alle s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>geladen, <strong>in</strong> Eigenmotivation <strong>und</strong> Selbstorganisation die begonnenen Dialogeweiterzuführen. Von Seiten des Projekts <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichenRaum werden weitere Treffen <strong>in</strong> Form von Fokusgruppen zu den oben genannten Themendurchgeführt.In vieler H<strong>in</strong>sicht waren die Dialogtage praktisch gelebte Situationen demokratischerAlltagskultur, die die Wahrnehmung existierender Vielfalt <strong>und</strong> die Offenheit im Umgang mite<strong>in</strong>ander Neugierde auf all das geweckt haben, was man noch geme<strong>in</strong>sam angehen kann!Benno Plassmann10.2 Fokusgruppentreffen10.2.1 Erster Bericht zum Treffen der ersten Fokusgruppe am 08.03.2012 im RathausPasewalk: „Netzwerke bilden & Initiative sichtbar machen“Im Januar <strong>und</strong> Februar 2012 fanden <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> Fahrenwalde zwei Dialogtage statt, beidenen das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> - Kommunikation im ländlichen Raum vorgestellt <strong>und</strong>geme<strong>in</strong>same Themen erarbeitet wurden. Die erste Arbeitsgruppe zum Thema „Netzwerkebilden & Initiative sichtbar machen“ traf sich am 08.03.2012 im Rathaus Pasewalk. Bei demTreffen g<strong>in</strong>g es darum, s<strong>in</strong>nvolle <strong>und</strong> machbare Vernetzungen zwischen unterschiedlichenInitiativen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> auszuloten. Dabei sollten auch die Möglichkeiten der Netzwerkarbeitim Internet vorgestellt werden. Die unterschiedlichen Potenzialen zeigte JohannesBaldauf (Amadeu Antonio Stiftung) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>führenden Inputreferat auf.Nachdem bereits die Dialogtage mit <strong>in</strong>sgesamt ca. 60 Teilnehmenden sehr gut besucht waren,trafen sich zur ersten Arbeitsgruppe 24 Interessierte zur Diskussion. Die geme<strong>in</strong>sameZukunftsvorstellung der Teilnehmenden war das Zurückholen des öffentlichen Lebens <strong>in</strong> dieDörfer. Dieser Wunsch erklärt, weswegen e<strong>in</strong>er digitalen Vernetzung zu Beg<strong>in</strong>n derDiskussion reserviert begegnet wurde: die Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger suchen den unmittelbarenzwischenmenschlichen Kontakt.Weitere Ergebnisse waren:• E<strong>in</strong>zelne Teilnehmende berichteten von ganz konkreten Problemen <strong>in</strong> Ihren Projekten,hier gab es unmittelbar Lösungsvorschläge aus der Gruppe. E<strong>in</strong> erster Erfolg derVernetzung!Beispiel: Der Problematik e<strong>in</strong>er bisher ger<strong>in</strong>gen Beteiligung von Jugendlichen ane<strong>in</strong>em Filmprojekt <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> wurde entgegnet, dass man „davon nur früher hättewissen müssen.“36


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum• Ziele <strong>und</strong> Aufgaben können bei besserer Vernetzung schneller erfüllt werden.Beispiel: „Wir haben das Material, andere haben die Leute, wer hat den Wagen?“• Die persönliche Ebene ist für e<strong>in</strong>ige der Teilnehmenden besonders wichtig.Beispiel: Das Kennenlernen von spezifischen Ansprechpersonen.• Die Teilnehmenden wünschten sich mehr Informationen <strong>und</strong> Wissen über dieVeränderungen durch die Kreisgebietsreform.Beispiel: Wie kann die regionale Vernetzungsarbeit bei immer größer werdendenEntfernungen aufrechterhalten werden?Durch die Diskussion wurden zwei Aspekte deutlich:1. Es gibt bereits e<strong>in</strong> recht breites Angebot von unterschiedlichen Vere<strong>in</strong>en, Initiativen<strong>und</strong> E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>. Jedoch kennen sich die regional Engagierten trotzder relativ ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>wohnerschaft nicht alle untere<strong>in</strong>ander oder wissen nicht vonden Projekten anderer.2. Das gebotene kulturelle, weiterbildende, sportliche, etc. Programm wird nur vonwenigen Menschen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> genutzt.Beide Aspekte könnten durch die relativ große Distanz zwischen den Ortsteilen erklärtwerden. Darüber h<strong>in</strong>aus wird angenommen, dass viele <strong>in</strong>teressierte Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgerdas bestehende Angebot nicht nutzen, weil sie nicht ausreichend <strong>in</strong>formiert s<strong>in</strong>d. DieTeilnehmenden der Fokusgruppe äußerten zudem den E<strong>in</strong>druck, dass sie die Möglichkeitender Bewerbung des angebotenen Programms nicht zufriedenstellend f<strong>in</strong>den.Bemängelt wurde auch e<strong>in</strong> unzureichender Umgang mit der Nähe zu Polen. In der <strong>Region</strong>leben mittlerweile viele polnische Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger <strong>und</strong> die nächste Großstadt istStett<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der es viele Kulturangebote gibt.Aus der Analyse der Gesamtsituation wurden folgende Handlungsperspektiven von denTeilnehmenden zusammengetragen:Über e<strong>in</strong>e übersichtliche Veröffentlichung von Angeboten <strong>und</strong> Bedarf von regionalenInitiativen kann der Zugang zu den Angeboten ermöglicht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Zusammenarbeitverbessert werden.Fragen die hierbei aufkommen s<strong>in</strong>d:• Welche Foren <strong>und</strong> Formen kommen für diese Veröffentlichungen <strong>in</strong> Frage? Was gibtes schon <strong>in</strong> diese Richtung, was genutzt werden könnte? Kulturportal Mecklenburg-Vorpommern? Neue Internetseite vom Landkreis? Internetseite der Stiftung?• Für welche Zielgruppe ist welche Form die s<strong>in</strong>nvollste (Internet oder Pr<strong>in</strong>twerbung)?• Wie kann e<strong>in</strong> „niedrigschwelliger“ Zugang zu Angeboten geschaffen werden?• Wer kann sich um die Pflege von Angeboten dieser Form längerfristig kümmern?Zur Realisierung dieses Vorhabens gab es erste Ideen: Da alle Teilnehmenden daran<strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d, sich untere<strong>in</strong>ander kennenzulernen, wurde das Bedürfnis geäußert, sichregelmäßig zu treffen <strong>und</strong> durch Vorstellungsr<strong>und</strong>en das Programm <strong>und</strong> die Projekte anderer37


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumVere<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Initiativen besser kennenzulernen. Im gegenseitigen Austausch wird die Chancegesehen, geme<strong>in</strong>same Problemfelder zu benennen <strong>und</strong> zusammen an deren Lösung zuarbeiten. Beispielsweise könnte der E<strong>in</strong>satz von Shuttlebussen die Mobilität der Bürger<strong>in</strong>nen<strong>und</strong> Bürger verbessern <strong>und</strong> sich positiv auf die Besucherzahlen bei Veranstaltungenauswirken.Deutlich wurde im späteren Verlauf außerdem, dass das Internet sehr wohl als Plattformgenutzt werden kann, um die bestehenden Netzwerke zu öffnen <strong>und</strong> zu bündeln. Hier erwiessich das E<strong>in</strong>gangsreferat rückwirkend als hilfreich, das Ziel – „Netzwerke bilden & Initiativesichtbar machen“ – zu erreichen.Katr<strong>in</strong> Ottensmann10.2.2 Zweiter Bericht zum zweiten Fokusgruppentreffen am 09.03.2012 im FreizeitzentrumHappy Together <strong>in</strong> Pasewalk: „Formen der Jugendarbeit“Am Tag nach dem Treffen zum Thema „Netzwerke bilden & Initiativen sichtbar machen“fand das zweite Fokusgruppentreffen statt. Das Thema war „Formen der Jugendarbeit“.Anwesend waren <strong>in</strong>sgesamt 10 Teilnehmende, welche an e<strong>in</strong>er Vernetzung im Rahmen derJugendarbeit <strong>in</strong>teressiert waren: die Stabsstelle Kommunales Bildungsmanagement, Lernenvor Ort, der Landkreis Vorpommern-Greifswald, Kreisjugendr<strong>in</strong>g Vorpommern-Greifswalde.V., Beteiligungswerkstatt Mecklenburg-Vorpommern, der Demokratieladen Anklam, dasFreizeitzentrum Pasewalk, schloss bröll<strong>in</strong> e.V., die Stadt Pasewalk sowie die AmadeuAntonio Stiftung.E<strong>in</strong> zentraler Ansatz der Teilnehmenden ist die offene <strong>und</strong> aktivierende Jugendarbeit, welchebei Nutzer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Nutzern des Angebots e<strong>in</strong> hohes Maß an Selbstständigkeit voraussetzt.Um dies zu gewährleisten sei e<strong>in</strong>e transparente Vermittlung von vorhandenen Möglichkeitennotwendig. Nur über die entsprechenden Informationen können die Jugendlichen e<strong>in</strong>enZugang zu dem bestehenden Angebot f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> dieses aktiv mitgestalten.Diese Form der Jugendarbeit steht im Kontrast zu dem oftmals vorhandenen Wunsch nache<strong>in</strong>er konkreten Anleitung. Daher muss der Wunsch nach Anleitung mit der Gewährung vonFreiraum ausbalanciert werden. Das kann gel<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong>dem die Jugendlichen durch guteAnsätze <strong>und</strong> Vorschläge angeregt werden, sich e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Dann kann ihnen die Leitungder offenen Arbeitsprozesse – wo immer möglich – eigenverantwortlich überlassen werden.Erfahrungsgemäß wollen die jungen Menschen sich gerne beteiligen, ohne aber langfristigeVerb<strong>in</strong>dlichkeiten e<strong>in</strong>zugehen. 10Als Herausforderung bezeichneten die Teilnehmenden die Aktivierung <strong>und</strong> Motivierung derJugendlichen. Als wichtige Faktoren um die Jugendlichen anzusprechen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>zubeziehenwurden folgende Punkte genannt:• Aufe<strong>in</strong>ander zugehen,• aktiv Angebote anbieten,• die persönlich <strong>in</strong>spirierende Ebene berücksichtigen,10 In ähnlicher Weise wurde dies <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit Erwachsenen wahrgenommen: Die Beteiligung ist<strong>in</strong>teressegeleitet, nach persönlichen Fähigkeiten <strong>und</strong> Zeitressourcen.38


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum• kont<strong>in</strong>uierliche Angebote schaffen (nicht nur projektbezogen),• e<strong>in</strong> jugendgerechtes Internetforum für alle Angebote <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> e<strong>in</strong>richten.Als e<strong>in</strong>e weitere herausfordernde Aufgabe wurde die Akzeptanz der Jugendlichenuntere<strong>in</strong>ander angesprochen. Angebote sollten zielgruppengerecht entwickelt <strong>und</strong>kommuniziert werden, Kennenlern- <strong>und</strong> Abstimmungsphase s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> wichtiger Bestandteildes Umsetzungsprozesses.Die Teilnehmenden nannten zudem e<strong>in</strong>e Hürde zwischen Jugendprojektverwaltung, z.B.Projektabwicklung, <strong>und</strong> der direkten Jugendarbeit, welche aufgr<strong>und</strong> fehlender Zeit <strong>und</strong>fehlendem Personal oder Kompetenz nicht immer überw<strong>und</strong>en werden kann.Interessante Vorschläge zur Verbesserung <strong>und</strong> zum Ausbau der Jugendarbeit <strong>in</strong> der <strong>Region</strong>s<strong>in</strong>d:• Die Chance des Zusammenbr<strong>in</strong>gens von jungen <strong>und</strong> alten Menschen:In diesem Rahmen kann ehrenamtliches Engagement e<strong>in</strong>bezogen werden. DieMöglichkeiten der Jugendarbeit bestehen dar<strong>in</strong>, den Austausch dieserPersonengruppen untere<strong>in</strong>ander zu fördern <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Forum für die Begegnunganzubieten.• E<strong>in</strong>e Zusammenarbeit des Jugendclubs <strong>in</strong> Anklam <strong>und</strong> des Freizeitzentrums <strong>in</strong>Pasewalk:Das Zusammentragen bestehender <strong>und</strong> bereits durchgeführter Projekte derJugendarbeit <strong>und</strong> diese für Jugendliche zugänglich machen. So kann man ihnen ihrePotenziale für ihr E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen aufzeigen. Um den Zugang zu den Informationen überdas bestehende Programm zu vere<strong>in</strong>fachen <strong>und</strong> Raum für Ideen <strong>und</strong> Anregungen zugeben, kann e<strong>in</strong>e Internetseite für die Jugendlichen <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> aufgebaut werden.Dies geschieht bestenfalls unter der Beteiligung der Jugendlichen selbst,beispielsweise im Rahmen e<strong>in</strong>es Workshops oder Projekts. Medien wie Facebookkönnten zudem stärker als Kommunikationsforum genutzt werden.• Gründung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendbeirats:Zur Stärkung des Interesses an Politik <strong>und</strong> als Chancen, sich demokratische<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Neben der politischen Arbeit ist zudem die Förderung des kreativenPotentials der Jugendlichen wichtig.• Netzwerkarbeit ausbauen:Die TeilnehmerInnen <strong>und</strong> aus der Jugendarbeit äußerten den Wunsch, sich regelmäßigzu vernetzen <strong>und</strong> zum Thema „Netzwerkarbeit“ weiterzubilden. E<strong>in</strong> bereitsbestehendes Austauschtreffen e<strong>in</strong>es Jugendarbeitsträgers kann hierfür als Forum e<strong>in</strong>erweiteren Vernetzung der Aktiven <strong>in</strong> der Jugendarbeit dienen. Dieses soll regelmäßig<strong>und</strong> unter bestimmten, zuvor vere<strong>in</strong>barten, Schwerpunktthemen stattf<strong>in</strong>den.39


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumDas nächste Treffen zu „Formen der Jugendarbeit“ f<strong>in</strong>det am 6. Juni 2012 von 12 bis 14 Uhrauf Schloss Bröll<strong>in</strong> statt.Katr<strong>in</strong> Ottensmann10.3 Podiumsdiskussion: Identität stiften <strong>und</strong> Zusammenhalt stärkenWelche Möglichkeiten haben Bürger, sich <strong>in</strong> ihrer <strong>Region</strong> e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen? Mittels welcherKommunikationsformen kann im ländlichen Raum die demokratische Kultur gestärktwerden? Welche Rolle spielen regionale Tageszeitungen für gesellschaftspolitische Debatten?Über diese <strong>und</strong> andere Fragen wurde im Rathaus Pasewalk bei e<strong>in</strong>em Podiumsgesprächdiskutiert.Der Tante-Emma-Laden von nebenan, der Jahrzehnte lang von den Menschen nicht nur zumE<strong>in</strong>kaufen von Lebensmitteln, sondern vor allem auch als Ort der Kommunikation genutztwurde, muss schließen, weil sich ke<strong>in</strong> Nachfolger f<strong>in</strong>det. Die Bibliothek der Stadt wirdgeschlossen, weil die f<strong>in</strong>anziellen Mittel fehlen. Die lokale Zeitung wird e<strong>in</strong>gestellt, weil derAbsatz zu ger<strong>in</strong>g ist.Wegbrechende StrukturenIn ländlichen <strong>Region</strong>en führen diese wegbrechenden Strukturen dazu, dass Menschen mehr<strong>und</strong> mehr öffentliche Treffpunkte verlieren. Fehlende öffentliche Räume zur Kommunikationführen zu e<strong>in</strong>em Verlust von gesellschaftspolitischen Debatten. Die Folge: Viele Menschenwissen nicht mehr, wie sie sich vor Ort e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können. Sie fühlen sich kaum mehr alsMitgestalter ihrer <strong>Region</strong>. Die Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger ziehen sich zurück – <strong>und</strong> werdenoffen für sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>fache Lösungen <strong>und</strong> rechtsextreme Parolen.Wie kann Bürgerdemokratie neu belebt werden? Welche kreativen Impulse können vonBürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern selbst gesetzt werden, um Demokratie zu stärken? Wie könnenlokale Akteure besser vernetzt werden, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en offenen Dialog zu treten? Diesen <strong>und</strong>anderen Fragen widmete sich e<strong>in</strong> Podiumsgespräch im Pasewalker Rathaus. Im Rahmen desProjekts <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum lud die Amadeu AntonioStiftung <strong>und</strong> die Stadt Pasewalk zum Thema „Demokratie von unten: Kommunikation stärken– Bürger motivieren“ e<strong>in</strong>, um unter anderem mit dem Chefredakteur des Nordkuriers, MichaelSeidel, Jochen Schmidt von der Landeszentrale für politische Bildung <strong>und</strong> demMedienwissenschaftler Leif Kramp zu diskutieren.Die Zeitung – e<strong>in</strong>e Spirale nach unten?Vor allem <strong>in</strong> ländlichen <strong>Region</strong>en ist das Phänomen des „Zeitungssterben“ augensche<strong>in</strong>lich.Seit Jahren kämpfen Zeitungsverleger mit e<strong>in</strong>em steten Auflagenverlust. Der Gr<strong>und</strong> dafürliegt unter anderem <strong>in</strong> den digitalen Möglichkeiten für die private Informationsbeschaffung.Der ländliche Raum kämpft zusätzlich mit der Abwanderung <strong>und</strong> dem Pendeln vieler Bürger<strong>in</strong> die nächst größeren Städte. Pendler brauchen <strong>in</strong> der Woche ke<strong>in</strong>e <strong>Region</strong>alzeitung. Über100 <strong>Region</strong>alausgaben wurden <strong>in</strong> letzten Jahren e<strong>in</strong>gestampft. Die fehlendenLokalredaktionen führen zu e<strong>in</strong>er unzureichenden lokalen Berichterstattung <strong>und</strong> die wiederumzu weniger Lesern.40


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumWird die Zeitung also über kurz oder lang aussterben? Der Medienwissenschaftler LeifKramp glaubt nicht an e<strong>in</strong>e Abwärtsspirale der Zeitungen. Er stellte bei demPodiumsgespräch vielmehr die Lokalzeitung als b<strong>in</strong>dendes Instrument <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>.„Redaktionen müssen vor Ort se<strong>in</strong>. Nur so fühlen sich die Bürger wahrgenommen.“ MichaelSeidel, der Chefredakteur des Nordkuriers, versucht mit unterschiedlichen Ansätzen dem„Zeitungssterben“ entgegenzutreten: „Wir ziehen uns ganz bewusst nicht aus den <strong>Region</strong>enzurück <strong>und</strong> versuchen mit unseren Lesern <strong>in</strong> Interaktion zu treten.“ So führte der Nordkuriersogenannte „Leserstammtische“ <strong>in</strong> verschieden <strong>Region</strong>en <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern e<strong>in</strong>,um e<strong>in</strong>en offenen Dialog mit den Menschen zu stärken. „Nur so können wir <strong>in</strong> Erfahrungbr<strong>in</strong>gen, was die Menschen vor Ort bewegt. Wir wollen ke<strong>in</strong>e Zeitung mehr aus derRedaktionsstube se<strong>in</strong>, sondern offen unter den Menschen se<strong>in</strong>, um sie direkt bei ihrenProblemen abholen zu können“, so Michael Seidel weiter.Demokratien leben von KommunikationLesertreffs wie diese s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> erster Anknüpfungspunkt, um e<strong>in</strong>e lokale Kommunikationwieder herzustellen. Der Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung Mecklenburg-Vorpommerns, Jochen Schmidt, warnt jedoch vor Bestrebungen von außen <strong>in</strong> ländlichen<strong>Region</strong>en Kommunikation zu beleben. Hier darf nicht etwas aufoktroyiert werden, was vonder Bevölkerung als Bevorm<strong>und</strong>ung <strong>in</strong>terpretiert wird. Benno Plassmann ist Theaterregisseur<strong>und</strong> Künstlerischer Leiter von The Work<strong>in</strong>g Party, die die Idee verfolgen "Theater als Kunstdes Öffentlichen Raums" zu betrachten. Er bedauert die befristeten Laufzeiten von Projekten,die oftmals nur punktuell agieren <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> fehlender F<strong>in</strong>anzierung auf ke<strong>in</strong>e dauerhafteAuse<strong>in</strong>andersetzung stoßen. Kulturelle Veranstaltungen e<strong>in</strong>er <strong>Region</strong> dürften nicht zu e<strong>in</strong>erMarket<strong>in</strong>gstrategie der Stadt verkommen, um nach außen h<strong>in</strong> e<strong>in</strong> positives Image zu erhalten.Veranstaltungen sollten demnach nicht für die Außenwirkung gemacht werden, sondern als„Katalysator dienen, um <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> e<strong>in</strong>en Prozess der Selbstf<strong>in</strong>dung voranzutreiben“. Nurso wird es möglich se<strong>in</strong>, die Identifikation mit der eigenen <strong>Region</strong> wieder zu stärken.Das Projekt <strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raum wird <strong>in</strong> Zukunft verstärkt<strong>in</strong> Kooperation mit se<strong>in</strong>en lokalen Partnern, dem Vere<strong>in</strong> schloss bröll<strong>in</strong> <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern <strong>und</strong> der Bürger<strong>in</strong>itiative Zossen zeigt Gesicht <strong>in</strong> Brandenburg diesen Problemenentgegenwirken. Ziel ist es, angepasst an die Bedürfnisse vor Ort, öffentliche Treffpunkte zufördern, um Kommunikation <strong>und</strong> gesellschaftspolitische Debatten im Nächstraum zu stärken.Diese Interaktion hat nicht nur e<strong>in</strong>en identitätsstiftenden Effekt mit der <strong>Region</strong>, sondernbefördert vor allem auch die Wertschätzung untere<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> die Stärkung e<strong>in</strong>erdemokratischen Kultur.Anna Brausam10.4 held/<strong>in</strong> dorfheld/<strong>in</strong>_dorf, oder: e<strong>in</strong>e etwas andere Busreise.Reportage vom <strong>Aktion</strong>stag am 8. September <strong>in</strong> <strong>und</strong> um Schloss Bröll<strong>in</strong>Landidylle kl<strong>in</strong>gt anders: Als sich am Mittag des 8. September die ersten BesucherInnen aufSchloss Bröll<strong>in</strong> e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den, werden sie von merkwürdigen Geräuschen begrüßt. DumpfeSchreie dr<strong>in</strong>gen aus e<strong>in</strong>em Trakt des Gebäudes <strong>und</strong> verteilen sich auf dem großzügigen41


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumHofplatz. „S<strong>in</strong>d wir aus Versehen auf Schloss Brüll<strong>in</strong> gelandet?“, scherzt e<strong>in</strong>er derAnkömml<strong>in</strong>ge. Ne<strong>in</strong>, das s<strong>in</strong>d sie nicht. Die Schreie s<strong>in</strong>d Teil e<strong>in</strong>er Theaterprobe, die gerade<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der Studios auf dem Gelände stattf<strong>in</strong>den <strong>und</strong> somit Alltag auf dem Schloss nahePasewalk im südlichen Vorpommern, das seit 1992 Künstler <strong>und</strong> ihre Projekte beherbergt.Weniger alltäglich ist da schon die immer größer werdende Traube von BürgerInnen aus derUmgebung, die sich auf dem Platz versammelt. Sie s<strong>in</strong>d gekommen, um dem <strong>Aktion</strong>stagheld/<strong>in</strong>_dorf beizuwohnen, der an diesem Samstag <strong>in</strong> Kooperation mit der Amadeu AntonioStiftung <strong>und</strong> gefördert durch das B<strong>und</strong>esprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ vomB<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium des Innern zum ersten Mal stattf<strong>in</strong>den soll <strong>und</strong> der auf Schloss Bröll<strong>in</strong>se<strong>in</strong>en Ausgangspunkt hat.held/<strong>in</strong>_dorf, dah<strong>in</strong>ter steckt die Idee, mit e<strong>in</strong>er Bustour durch die <strong>Region</strong> genau das sichtbarzu machen – Helden <strong>und</strong> Held<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> den umliegenden Dörfern. Dabei geht es weniger umSuperheldInnen <strong>in</strong> bunten Kostümen, als vielmehr um HeldInnen des Alltags, Menschen also,die mit ihrem Engagement der Geme<strong>in</strong>schaft Gutes tun. Denn davon, s<strong>in</strong>d die Initiatoren der<strong>Aktion</strong> vom Schloss Bröll<strong>in</strong> e.V. überzeugt, gibt es <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> mehr als genug, e<strong>in</strong>zig –man nimmt e<strong>in</strong>ander zu wenig wahr.Gutes tun möchte auch Yumiko Yoshioka. Und zwar den anwesenden Gästen. Dafür muss dieChoreograph<strong>in</strong> zunächst e<strong>in</strong>mal die Leute vom „Markt der Möglichkeiten“ weglocken, derauf dem Schloss Bröll<strong>in</strong> speziell für den Tag aufgebaut wurde <strong>und</strong> über die vielfältigenAngebote aus der <strong>Region</strong> <strong>in</strong>formiert. Und sie muss es schaffen, sie zum Vollführengeme<strong>in</strong>samer Qi-Gong-Übungen auf dem Schlosshof zu animieren. Ke<strong>in</strong>e ganz leichteAufgabe, schließlich kennen die meisten der BesucherInnen sich weder untere<strong>in</strong>ander, nochhaben sie mit fernöstlichen Lehren etwas am Hut. Womit sie unversehens bereits mitten <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em der Prozesse stecken, die held/<strong>in</strong>_dorf sich zum Ziel gesetzt hat: Unterschiedlichezivilgesellschaftliche Gruppen begegnen e<strong>in</strong>ander, <strong>und</strong> an die Stelle des Vorurteils durchAbgrenzung tritt das Interesse durch aktive Teilhabe.Daran gemessen, ist Yumiko Yoshioka unsere erste Held<strong>in</strong> des Tages – e<strong>in</strong>e Held<strong>in</strong> derKörperbewegung. Denn als sie die Gruppe zehn M<strong>in</strong>uten <strong>und</strong> ungefähr ebenso viele Qi-Gong-Übungen später entlässt, ist das Eis gebrochen. Die Anwesenden haben e<strong>in</strong> erstesgeme<strong>in</strong>sames „Wir-Gefühl“ erlebt. Angenehmer Nebeneffekt: wir haben unsere Körper noche<strong>in</strong>mal von oben bis unten gedehnt. Schließlich steht uns laut Programm e<strong>in</strong>e r<strong>und</strong>vierstündige Bustour bevor.Diese soll durchgeführt werden von zwei L<strong>in</strong>ienbussen, die an der Straße bereits auf unswarten <strong>und</strong> die held/<strong>in</strong>_dorf von den lokalen Verkehrsbetrieben ausgeliehen hat. Die Busses<strong>in</strong>d, wie oft üblich, großflächig mit Werbefolien überzogen. Bus No. 1 ziert der Werbeslogan„Lernen leicht gemacht“ e<strong>in</strong>er Nachhilfefirma, Bus No. 2 stellt im Namen e<strong>in</strong>er bekanntenBank fest: „Jeder hat etwas, das ihn antreibt“. Wenn das mal ke<strong>in</strong>e passenden Mottos für denheutigen Tag s<strong>in</strong>d!An den Bussen werden wir von der Schauspieler<strong>in</strong> Inés Burdow <strong>und</strong> dem ChoreographenArthur Kuggeleyn erwartet. Beide Künstler haben lange Jahre auf Schloss Bröll<strong>in</strong> gearbeitet,42


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumheute werden sie unsere Reiseleiter se<strong>in</strong>. Ihre erste Amtshandlung: Die Verteilung derAnwesenden auf die Fahrzeuge. Dass dafür bereits e<strong>in</strong>iges Organisationsgeschick gefragt ist,gehört zu den ersten Erfolgsmeldungen des Tages. „Ich b<strong>in</strong> echt baff, hier zwei Busse voll mitMenschen zu sehen. Ich hätte eher vermutet, dass die Plätze weggehen wie Sauerbier“, staunte<strong>in</strong>er der Gäste, der sich auf Nachfrage als Matthias Diekhoff aus Anklam vorstellt. Er istheute gekommen, weil ihn „die Komb<strong>in</strong>ation aus Kunst, Landschaft <strong>und</strong> Dorfleben<strong>in</strong>teressiert. Und um die Helden des Alltags herauszufiltern.“ Denn, so Matthias Diekhoff, essei wichtig „zu zeigen, dass es vor Ort <strong>in</strong> der Nachbarschaft auch Vorbilder für die jungenLeute gibt. Und das ist besonders vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der NPD wichtig, die hier ziemlichviele Sachen an sich reißt.“Das Thema Held ist dann auch gleich Thema, als sich die Busse <strong>in</strong> Bewegung setzen.Reiseleiter<strong>in</strong> Inés, mit dem Mikrofon im vorderen Teil des Busses positioniert, möchte vonuns wissen: wer oder was ist heutzutage e<strong>in</strong> Held? Zögerlich gehen e<strong>in</strong>ige Hände <strong>in</strong> die Höhe,sprechen vor Leuten ist nicht jedermanns Sache, erfordert gewissermaßen auch „Heldenmut“.Und den sche<strong>in</strong>en im Bus e<strong>in</strong>deutig die weiblichen Mitreisenden zu besitzen, denn: alle dreiWortmeldungen kommen von Frauen. „Me<strong>in</strong> Ehemann ist für mich e<strong>in</strong> Held, denn er istimmer für mich da, egal ob das Rohr kaputt ist oder das Auto“, sagt e<strong>in</strong>e. „Für mich s<strong>in</strong>dK<strong>in</strong>der Helden, wenn sie füre<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>stehen“, die zweite. Und die dritte Dame bef<strong>in</strong>det:„Wenn jemand gegen viele Widerstände se<strong>in</strong>en Standpunkt verteidigt <strong>und</strong> dafür e<strong>in</strong>tritt“.Während wir zur Musik von David Bowies „Hero“ noch e<strong>in</strong> wenig über unsere Vorstellungene<strong>in</strong>es held/<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nieren, nähern wir uns dem 1. Stopp: Fahrenwalde. An der Dorfkirche steigenwir aus, vor uns bef<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> Denkmal aus dem Ersten Weltkrieg, Inschrift: „Unserngefallenen Helden“. E<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung daran, dass der Begriff Held durchaus auch se<strong>in</strong>eambivalenten Seiten hat. Das klamme Gefühl wird verstärkt durch den Friedhof direkt h<strong>in</strong>terdem Denkmal – <strong>und</strong> durch die nun stattf<strong>in</strong>dende Theater-Performance e<strong>in</strong>es studentischenWorkshops unter Leitung von Benno Plassmann <strong>und</strong> Pip Hill. Die SchauspielerInnen werdenhier <strong>und</strong> im weiteren Verlauf der Busreise unterschiedliche Interpretationen zum Themaheld/<strong>in</strong> präsentieren, <strong>und</strong> für diesen Ort fällt die Interpretation ganz e<strong>in</strong>deutig <strong>in</strong> die Abteilung„schwere Kost“. Held se<strong>in</strong> ist eben auch nicht immer e<strong>in</strong>fach.Wenige M<strong>in</strong>uten später ist die Stimmung jedoch schon wieder deutlich besser: Im Bus hörenwir über Lautsprecher Audio-Collagen von Menschen aus der <strong>Region</strong> an. Sie schildern, wasfür sie e<strong>in</strong>en Helden ausmacht. Die E<strong>in</strong>drücke muntern auf, zudem w<strong>in</strong>ken uns immer wiederMenschen fre<strong>und</strong>lich vom Wegesrand zu, während wir das Dorf Züsedom passieren <strong>und</strong>damit Stopp No.2. Hier betreiben die „Züsedomer Oldtimer Fre<strong>und</strong>e e.V.“ aus re<strong>in</strong>em Spaßan der Freude e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es, aber fe<strong>in</strong>es Oldtimer-Museum für alle Interessierten. E<strong>in</strong>deutigHelden! Wenige M<strong>in</strong>uten später besteigt <strong>in</strong> Damerow, Stopp No. 3, e<strong>in</strong>e weitere Held<strong>in</strong>höchstpersönlich den Bus: Frau Mart<strong>in</strong> erzählt uns, wie mit vere<strong>in</strong>ten Kräften <strong>und</strong> e<strong>in</strong>erges<strong>und</strong>en Portion Geme<strong>in</strong>schaftss<strong>in</strong>n aus e<strong>in</strong>em alten Küsterschulhaus e<strong>in</strong> Gutsmuseumwurde, das längst nicht nur wegen des vorzüglichen Kuchens im angeschlossenen CaféNeugierige von nah <strong>und</strong> fern anlockt. À propos fern: e<strong>in</strong>e gewisse Familie Völker sei bereitsvor vielen Jahrzehnten aus Damerow nach Australien ausgewandert <strong>und</strong> halte doch bis heute43


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen RaumKontakt zur Heimat, erzählt Frau Mart<strong>in</strong>. Identität <strong>und</strong> Wurzeln – auch über diese Themenlohnt es im Zusammenhang mit dem Begriff held/<strong>in</strong> nachzudenken.Dafür haben wir <strong>in</strong> den nächsten M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong> wenig Zeit, denn bis zu Stopp No. 4 <strong>in</strong> Klockowist es knapp e<strong>in</strong>e halbe St<strong>und</strong>e. Dort angekommen, halten wir am „Dörphus“, e<strong>in</strong>erehemaligen Schule, die dank e<strong>in</strong>iger Helden aus der Geme<strong>in</strong>devertretung nun e<strong>in</strong>Dorfgeme<strong>in</strong>schaftshaus mit vielen <strong>in</strong>teressanten Projekten für jung <strong>und</strong> alt ist. Das „Dörphus“sehen wir allerd<strong>in</strong>gs nur von außen, denn die Schauspieler haben anderes mit uns vor: mittheatralischer Kunst locken sie uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en nahegelegenen Birkenwald. Dass wir uns dabe<strong>in</strong>icht fürchten wie Hänsel <strong>und</strong> Gretel, liegt auch an der <strong>in</strong>zwischen geradezu familiärenStimmung <strong>in</strong> beiden Bussen. Man ist untere<strong>in</strong>ander längst <strong>in</strong>s Gespräch gekommen, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>wenig fühlen wir uns wie e<strong>in</strong>e große Familie, mit zwei Eltern zum Gernhaben – Inés <strong>und</strong>Arthur.Wie es sich für gute Eltern gehört, werden sie auch streng, wenn es mal se<strong>in</strong> muss. So wiejetzt. Wir hängen <strong>in</strong> der Zeit, daher werden wir nach beendeter Theater-Performanceangehalten, rasch wieder die Busse zu besteigen. Ist uns auch ganz recht, denn die ansässigenNachbarn beäugen uns hier e<strong>in</strong> wenig argwöhnisch. Irgendwie auch verständlich, wenn ane<strong>in</strong>em stillen Samstagnachmittag irgendwo auf dem Dorf plötzlich e<strong>in</strong> Bus mit über 100Menschen e<strong>in</strong>fällt, zu dem sich dann auch noch Schauspieler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schauspielern mit teilslautstark vorgetragenen Darbietungen gesellen. Für die Beteiligten der Busreise sche<strong>in</strong>t dasZiel „aktive Teilhabe statt Vorurteil“ bisher bestens aufzugehen, aber was ist mit denMenschen, denen wir überall auf den Dörfern begegnen? Geht die Idee auf, durch diekünstlerischen Darbietungen den Dialog zu fördern? Oder werden sie, ganz im Gegenteil,durch die <strong>Aktion</strong>en vor ihrer Haustüre eher abgeschreckt?„Natürlich f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Annäherung statt. Man muss immer <strong>Aktion</strong> machen! Die Menschenmüssen sich w<strong>und</strong>ern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Haltung dazu e<strong>in</strong>nehmen. Entweder sie sagen ‚Verstehe ichnicht’ <strong>und</strong> drehen sich um. Oder sie bleiben stehen <strong>und</strong> denken darüber nach. Aber man musses tun, unbed<strong>in</strong>gt!“ Fragt man Rolf Weißgerber, gibt es auf diese Frage e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigeAntwort. Er ist Betreiber des Kulturhauses K<strong>in</strong>o Brüssow, e<strong>in</strong>em 2007 <strong>in</strong>s Leben gerufenenVere<strong>in</strong>, der regelmäßig Filme, Ausstellungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en deutsch-polnischen Chor anbietet –<strong>und</strong> somit unser Held für Stopp No. 5. Weißgerber selbst würde sich übrigens <strong>in</strong> diesemMoment eher unter „Verstehe ich nicht“ e<strong>in</strong>ordnen. Denn soeben ist er vor se<strong>in</strong>em KulturhausZeuge e<strong>in</strong>er weiteren Theater-Performance des Ensembles aus Bröll<strong>in</strong> geworden, <strong>und</strong> sorichtig vermag er dazu ke<strong>in</strong>en Zugang zu f<strong>in</strong>den. „E<strong>in</strong>e künstlerische <strong>Aktion</strong> hat <strong>in</strong> Bröll<strong>in</strong>e<strong>in</strong>en anderen Wert als bei uns hier, weil wir wesentlich mehr auf die Menschen bezogen s<strong>in</strong>d<strong>und</strong> von da auch direkt herangehen. Bei uns würde ich <strong>in</strong>sofern mehr von Kunsthandwerksprechen als von Kunst, da liegt schon e<strong>in</strong> Unterschied.“Unterschiede respektieren <strong>und</strong> zugleich Geme<strong>in</strong>samkeiten betonen – diese Maxime gilt <strong>in</strong>besonderem Maße auch für die [Gender] Werkstatt Ram<strong>in</strong> e.V., den letzten Stopp unsererReise. In dem Ort Ram<strong>in</strong> nahe der polnischen Grenze haben sich die Mitglieder zum Zielgesetzt, kulturelle Vielfalt als Chance zu vermitteln <strong>und</strong> nicht als Anlass zur Abgrenzung.Wie das aussehen kann, bekommen wir bei unserer Ankunft geradezu leidenschaftlichdemonstriert. Denn zum Programm des Hauses gehören auch Tango-Kurse mit deutschen <strong>und</strong>44


Amadeu Antonio Stiftung<strong>Region</strong> <strong>in</strong> <strong>Aktion</strong> – Kommunikation im ländlichen Raumpolnischen Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürgern aus der <strong>Region</strong>, <strong>und</strong> im Ballsaal des romantischenGutshauses erhalten wir e<strong>in</strong>e feurige Kostprobe. Deutsche <strong>und</strong> Polen praktizieren geme<strong>in</strong>samargent<strong>in</strong>ische Tänze – die [Gender] Werkstatt Ram<strong>in</strong> e.V ist e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong> Held<strong>in</strong> imVermitteln kultureller Offenheit!Dass neben aller kulturellen Offenheit auch kulturelle Klischees ihre Glanzmomente habenkönnen, erleben wir direkt im Anschluss, <strong>und</strong> <strong>in</strong> diesem Fall haben wir aber auch wirklich garnichts dagegen e<strong>in</strong>zuwenden: Unsere Gastgeber<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Gastgeber machen dersprichwörtlichen polnischen Gastfre<strong>und</strong>schaft alle Ehre <strong>und</strong> tischen e<strong>in</strong> köstliches Kaffee-Kuchen-Büffet auf. Zeit für uns, das Erlebte e<strong>in</strong>es ereignisreichen Tages noch e<strong>in</strong>mal Revuepassieren zu lassen.Auch Matthias Diekhoff aus Anklam ist noch mit von der Partie. Se<strong>in</strong> Fazit des Tages: „Esgibt hier genauso viele Helden wie anderswo auch. Sie sche<strong>in</strong>en allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> gewissesVerkaufsproblem zu haben. Das Motto ‚Tu Gutes <strong>und</strong> sprich darüber’ f<strong>in</strong>det man hier ehernicht.“ Dass held/<strong>in</strong>_dorf genau dort ansetzt, f<strong>in</strong>det Diekhoff daher gut. Dieser Me<strong>in</strong>ungschließt sich die Dame direkt h<strong>in</strong>ter ihm <strong>in</strong> der Büffetschlange an: „Ich b<strong>in</strong> begeistert von demIdeenreichtum <strong>und</strong> dem Engagement“, lobt Jenniyfer Kliewe die Helden unserer heutigenBustour. Die 27-Jährige stammt aus dem Ort Pasewalk. Dort hatte am 11. August diesesJahres e<strong>in</strong>e Menschenkette Schlagzeilen gemacht, bei der 2000 Menschen e<strong>in</strong> deutlichesZeichen gegen Rechts setzten.Jenniyfer Kliewe sieht den heutigen <strong>Aktion</strong>stag als direkte Fortsetzung dieser Menschenkette:„Ich habe das Gefühl, dass momentan etwas im Umbruch ist, dass die Leute sich mehrverantwortlich fühlen <strong>und</strong> dementsprechend handeln. Die Jugend wird sich bewusst, dass sieauch Macht hat, Entscheidungen zu treffen <strong>und</strong> mitzubestimmen, was hier passiert <strong>und</strong> nichtpassiert. Das hat man bei der Demokratiemeile neulich ganz deutlich gesehen. Da waren soviele junge Leute vertreten, die sich vorher nicht kannten <strong>und</strong> die sich verb<strong>und</strong>en gefühlthaben. Dieses Gefühl verspüre ich hier <strong>und</strong> heute wieder.“Und tatsächlich – wer die große Reisegruppe hier <strong>in</strong> all ihrer Geme<strong>in</strong>samkeit <strong>und</strong>Gesprächigkeit erlebt, würde wohl nie vermuten, dass sich die TeilnehmerInnen erst sechsSt<strong>und</strong>en zuvor kennengelernt haben. Nun ist e<strong>in</strong>e fröhliche Bustour durch die Dörfer ist etwasanderes als Alltag <strong>in</strong> den Dörfern. Und <strong>in</strong> der <strong>Region</strong> südliches Vorpommern wohnen e<strong>in</strong> paarmehr Menschen, als <strong>in</strong> zwei Busse passen. Doch wenn es stimmt, dass große Veränderungenkle<strong>in</strong> anfangen, dann war dieser Tag e<strong>in</strong> großer kle<strong>in</strong>er Schritt <strong>in</strong> die richtige Richtung. Undsowieso: So laut, wie wir auf dem Rückweg nach Bröll<strong>in</strong> aus vere<strong>in</strong>ten Kehlen zu „Heroes“von David Bowie mitträllern, werden wir sicherlich auch im letzten W<strong>in</strong>kel der <strong>Region</strong>vernommen.Nico Cramer- Faltblatt:http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/aas12/faltblatt_web-3-.pdf- E<strong>in</strong>ladung: http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/pdfs/flyer.pdf- Programmheft:http://www.laendlicher-raum.<strong>in</strong>fo/w/files/pdfs/programmheft.pdf45

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