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Der Verband der Berufssoldaten der DDR - AGGI-INFO.DE

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Oberst a. D. Dr. Klaus-Peter Hartmann/Oberst a. D. Horst Kirchhübel<strong>Der</strong> <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> – ein Produkt <strong>der</strong> Wende 1989(April 1999/April 2000)Kaum einer <strong>der</strong> ungewöhnlich vielen <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> NVA, die am späten Abenddes 20. Januar 1990 die Kontrollposten <strong>der</strong> Georg-Schumann-Kaserne in Leipzigpassierten, mag zu diesem Zeitpunkt schon die ganze Tragweite dessen erfaßthaben, was sich dort soeben vollzogen hatte. 520 Vertreter aus 1078 in allen Teilen<strong>der</strong> NVA seit Mitte November 1989 spontan entstandenen Basisgruppen hatten imAuftrag von mehr als 68 000 erfaßten Interessenten den <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong><strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (VBS) aus <strong>der</strong> Taufe gehoben. Eine Initiativ-Gruppe von zuletzt mehr als150 Vertretern aus einem Teil <strong>der</strong> Basisgruppen hatte den Gründungstag in eigenerRegie vorbereitet. <strong>Der</strong> Minister für Nationale Verteidigung hatte ein Grußschreibengesandt, sein von ihm beauftragter Stellvertreter war allerdings nicht erschienen. Sogab es keinen offiziellen Vertreter des Ministeriums o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er höherer Stäbe <strong>der</strong>NVA. Nur <strong>der</strong> Kommandeur des gastgebenden Truppenteils, des Nachrichtenregimentes3, saß als Gast im Präsidium. Novum über Novum: spontan entstandene„Basisgruppen“, „Initiativgruppe“, eigene Regie, selbst gewollte und geführte Interessenvertretung<strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> – wahrhaft Ungewöhnliches, wenn nicht Revolutionäresbegab sich in <strong>der</strong> für ihre Parteitreue und Disziplin ebenso gerühmten wiegeschmähten Nationalen Volksarmee.In <strong>der</strong> Öffentlichkeit blieb <strong>der</strong> Gründungsakt dessen ungeachtet kaum bemerkt.We<strong>der</strong> Presse noch Rundfunk o<strong>der</strong> Fernsehen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hatten trotz ergangenerInformation Notiz davon genommen, die für den Abend anberaumte Pressekonferenzblieb nahezu unbesucht. Lediglich die Vertreterin einer westdeutschen Zeitschrift fürberufliche Fortbildung hatte in <strong>der</strong> Mittagszeit jenes Januarsonntags Einlaß amKasernentor begehrt, <strong>der</strong> ihr, den zu dieser Zeit noch geltenden Vorschriften folgend,höflich verwehrt blieb. Wenigstens sie erschien am Abend und konnte so <strong>der</strong>ungeteilten Aufmerksamkeit <strong>der</strong> anwesenden, eben gewählten Mitglie<strong>der</strong> des VorläufigenVorstands des neuen <strong>Verband</strong>es sicher sein. Trotz einer schnell verfaßtenPresseinformation fand das Ereignis auch in den Folgetagen außer in <strong>der</strong> Armeepresseso gut wie kein öffentliches Echo.Unbeeindruckt davon trat die Mehrheit <strong>der</strong> „bevollmächtigten Vertreter“, wie sie sichnannten, die beschwerliche Heimreise in die oft weit entlegenen Heimatstandorte miteinem Gefühl <strong>der</strong> Genugtuung an. Spätestens seit im August 1998 die massenhafteFlucht aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> einsetzte, waren die <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> NVA in tiefer Besorgnisum das Land und dessen Perspektiven. Mit den Wirren <strong>der</strong> Wende trat die Sorge umdie eigene Zukunft übermächtig hinzu. Aufbrechende soziale Ängste und das Strebennach mündiger Teilnahme an gesellschaftlichen wie militärischen Umgestaltungenmündeten vor allem in die For<strong>der</strong>ung nach Dienstverträgen für die <strong>Berufssoldaten</strong>,die aus bisherigen Abhängigkeiten herausführen und durch bei<strong>der</strong>seitigeVerpflichtungen ein Mindestmaß an Selbstbestimmung und Sicherheit für deneinzelnen garantieren sollten. Jegliches Vertrauen in Führungen, ob staatliche o<strong>der</strong>politische, war verspielt o<strong>der</strong> doch stark reduziert; die SED hatte den bisherigenAnspruch verloren, die Interessen auch <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> hinreichend zu vertreten.So einte das Bestreben, eigene Interessen kollektiv zu artikulieren und selbstbestimmte,kontrollierbare Interessenvertretungen zu haben, die <strong>Berufssoldaten</strong> überalle Hin<strong>der</strong>nisse und Auffassungsunterschiede hinweg. Diese eigene Interessenvertretunghatten sie soeben höchstselbst und erstmals ohne jegliche Bevormundungvon oben geschaffen. Genugtuung war von daher durchaus angebracht.


So gesehen – und das blieb seit 1990 weitgehend ungewürdigt - war die Gründungdes <strong>Verband</strong>es <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> ein Akt <strong>der</strong> Selbstbefreiung. Und es war zugleichein angesichts geringer Erfahrungen mit wirklicher Demokratie erstaunlich demokratischerVorgang , auch wenn es „Vorgaben“ und organisatorische Hilfe von oben,speziell durch das Ministerium für Nationale Verteidigung, durchaus gab. Ein kurzerAbriß <strong>der</strong> Entstehung des <strong>Verband</strong>es belegt dies überzeugend.<strong>Der</strong> Weg zur Gründung des VBSAm Anfang stand – ganz im Gegensatz zu bisherigen Abläufen - nicht die Weisung,son<strong>der</strong>n die spontane und, wie man es seit jenen Tagen so schön nennt, „basisdemokratische“Tat. Ende November 1989 fanden sich die ersten Gruppen von<strong>Berufssoldaten</strong> mit dem Ziel zusammen, ihre Sorgen, ihre Lage, ihre Interessen zudiskutieren und zu formulieren. Das geschah in <strong>der</strong> Truppe ebenso wie in Stäbenund militärischen Lehreinrichtungen. Die For<strong>der</strong>ung nach Interessenvertretungen für<strong>Berufssoldaten</strong> findet sich u.a. in den Unterlagen des am 21.November 1989 eingerichtetenInformations- und Konsultationszentrums Militärreform im Strausberger„Klub am See“. Auch die ersten Vereinigungsgedanken stammen aus dieser Zeit.Öffentlich wurde <strong>der</strong> Begriff „<strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong>“ erstmals in jenem Dokument,das sechs Mitglie<strong>der</strong> des Wissenschaftlichen Rates für Friedensforschung <strong>der</strong><strong>DDR</strong> am 23. November unter dem Titel „Militärreform in <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> - Denkanstöße undVorschläge“ an ADN übergaben (1)Schon hier war kaum Medienresonanz zu registrieren, wohl aber griff die Führung<strong>der</strong> NVA Anregungen daraus auf. In den Beschlüssen und Empfehlungen <strong>der</strong> außerordentlichenTagung des Kollegiums des Verteidigungsministeriums am 6.Dezember1990 findet sich unter Punkt 6. <strong>der</strong> Vorschlag, „einen <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong>und einen <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> Reservisten <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ins Leben zu rufen“. Von nun an liefendie Bemühungen um die Gründung eines solchen <strong>Verband</strong>es auf zwei, anfangs nochgetrennten Wegen. Einerseits nahm in <strong>der</strong> Armee eine rasch anwachsende Zahl von<strong>Berufssoldaten</strong> die Empfehlung zum Anlaß, unabhängig voneinan<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Bildunglokaler Basisgruppen, Initiativ-Komitees, Aktivs und Interessengruppen zu beginnen,die fortan rasch inhaltliche Vorstellungen für die weitere Arbeit entwickelten.An<strong>der</strong>erseits gab es in <strong>der</strong> formell mit Ministerbefehl 135/89 vom 7.Dezember 1989im MfNV gebildeten „Kommission Militärreform <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“ eine „Arbeitsgruppe DemokratischeMitbestimmung“; für sie zählte die Vorbereitung und Unterstützung <strong>der</strong>Gründung dieses <strong>Verband</strong>es gewissermaßen zur Auftragslage. Parallel dazu hatte<strong>der</strong> damalige Chef <strong>der</strong> Verwaltung Ausbildung im MfNV, Generalmajor Kiesewalter,die Aufgabe erhalten, namentlich bereits bekannte Vertreter von Basisgruppenzusammenzuführen und ihren Zusammenschluß zu organisieren.Auf seine Initiative hin kam es schon am 6.Dezember 1989 zu einem ersten Treffenvon 23 Offizieren, davon 11 aus den Landstreitkräften, 1 aus den Luftstreitkräften/Luftverteidigung, 3 aus <strong>der</strong> Volksmarine und 3 aus den Grenztruppen. Nach ihrenAngaben vertraten sie jeweils Gruppen von bis zu 1000 <strong>Berufssoldaten</strong>, die sich imVorfeld des Treffens schon auf die Gründung einer Interessenvertretung geeinigthatten. Das MfNV war durch zwei ebenfalls von Basisgruppen entsandte Vertreterund durch den Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgruppe Demokratische Mitbestimmung in <strong>der</strong>Kommission Militärreform vertreten. General Kiesewalter mo<strong>der</strong>ierte die Beratunglediglich einleitend, im weiteren wurde sie durch einen von den Anwesenden selbstgewählten Offizier geleitet.


In <strong>der</strong> Beratung, in <strong>der</strong> 14 <strong>der</strong> Beteiligten das Wort ergriffen, kam es schnell zurÜbereinstimmung: um <strong>der</strong> bereits absehbaren Gefahr <strong>der</strong> Zersplitterung in verschiedeneregionale o<strong>der</strong> nach bestehenden militärischen Strukturen formierte Interessenvertretungenzu entgehen, mußte rasch gehandelt werden. Bis auf den Vertreter<strong>der</strong> 4.MSD stimmten alle für die Gründung eines <strong>Verband</strong>es <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong>und verabschiedeten einen Gründungsantrag an das Ministerium des Innern <strong>der</strong><strong>DDR</strong>. Sie konstituierten sich als Zentrale Initiativgruppe zur Vorbereitung <strong>der</strong><strong>Verband</strong>sgründung und beschlossen eine Reihe von Empfehlungen, die sie über dievon ihnen vertretenen Basisgruppen hinaus persönlich weitertragen wollten. Soempfahlen sie- die Durchführung von Versammlungen zur Wahl von Vertretern in den Truppenteilen/Dienststellenund Verbänden/Gleichgestellten bis Januar 1990,- die Durchführung <strong>der</strong> 1. Tagung <strong>der</strong> bevollmächtigten Vertreter (3 – 5 je <strong>Verband</strong>/Gleichgestellte)am 20.Januar 1990 in Lehnitz und <strong>der</strong>en Tagesordnung zur<strong>Verband</strong>sgründung.Sie wählten einen Pressesprecher, legten Verantwortliche für die Vorbereitung <strong>der</strong>Entwürfe eines Statuts und eines Programms fest und bildeten eine Org.-Gruppe fürdie Vorbereitung <strong>der</strong> 1.Tagung. Darüber hinaus verabschiedeten sie eine Presseinformationüber die beabsichtigte Gründung, die in <strong>der</strong> „Volksarmee“ 50/89 publiziertwurde. In einem Schreiben an den Minister für Nationale Verteidigung informiertensie über Vorgang und Absichten und baten um Freistellung <strong>der</strong> Org.-Gruppe. Für dieBeratung <strong>der</strong> Entwürfe von Statut und Programm waren zwei bis drei weitere Treffenvorgesehen.Dieses Treffen fand mit seinem Gründungsvorhaben breite Zustimmung in <strong>der</strong>Truppe; es löste nicht nur verstärkten Zulauf zu den bestehenden und die Bildungneuer Basisgruppen aus, son<strong>der</strong>n belebte auch die Debatten über Arbeitsrichtungenund –weise des künftigen <strong>Verband</strong>es. <strong>Der</strong> Zentralen Initiativgruppe wurden nebeneiner Fülle von Einzelvorschlägen ganze Satzungs- und Programmentwürfe zugeleitet.Aber es gab auch Vorbehalte gegenüber diesem Gremium, begründet mitOrt und Zusammensetzung sowie <strong>der</strong> Befürchtung, es könnte erneut zu Bevormundungund Vereinnahmung kommen. Zwar endete die Einflußnahme „von oben“formell mit <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Leitung des ersten Treffens durch einen <strong>der</strong> Anwesendenund ging faktisch an die Vertreter <strong>der</strong> Basisgruppen über. Angehörige desMfNV, denen – in freier Abstimmung sowie aus Kompetenz- und Zweckmäßigkeitsgründen- sowohl die Funktion des Pressesprechers als auch die Aufgaben zur inhaltlichenund organisatorischen Vorbereitung <strong>der</strong> nächsten Treffen übertragenwurden, handelten im Auftrag <strong>der</strong> Initiativgruppe. Aber sie repräsentierten natürlichauch das Führungsorgan, dem sie angehörten.Sehr reserviert gegenüber Einflüssen aus dem MfNV verhielt sich u.a. die Basisgruppeaus Leipzig, die nach eigenen Angaben für 5 000 <strong>Berufssoldaten</strong> des MilitärbezirkesIII sprach. Ihre eigenen Bemühungen um die Gründung eines <strong>Verband</strong>esreichten bis zu überregionalen Kontakten und einem „Offenen Brief“, <strong>der</strong> Ziele undFor<strong>der</strong>ungen einer Interessenvertretung für <strong>Berufssoldaten</strong> formulierte und zur<strong>Verband</strong>sgründung aufrief. Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zentralen Initiativgruppe nutzten eine Tagung<strong>der</strong> Leipziger Gruppe am 19.12.1989, um für einen einheitlichen <strong>Verband</strong> aufdemokratischer Grundlage zu plädieren und eine Einladung für das nächste Treffenin Berlin auszusprechen.Dieses zweite Treffen <strong>der</strong> Zentralen Initiativgruppe fand am 28.Dezember 1989 in <strong>der</strong>„Friedrich-Engels-Kaserne“ in Berlin statt und vollzog inhaltlich wie organisatorisch


<strong>Der</strong> erste Satzungsentwurf erklärte den <strong>Verband</strong> zwar als Interessenvertreter <strong>der</strong><strong>Berufssoldaten</strong> des aktiven Wehrdienstes, <strong>der</strong> Reserve und außer Dienst, war nachseinen Bestimmungen über Mitgliedschaft aber faktisch jedem Bürger <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> unddamit auch Soldaten im Grundwehrdienst und Unteroffizieren auf Zeit offen. Ererklärte ausdrücklich, mit seinem Wirken nicht in die Angelegenheiten <strong>der</strong> Truppenführungeingreifen zu wollen. <strong>Der</strong> Organisationsaufbau sah Orts- und Truppensektionen,bei mehreren Sektionen an einem Ort Ortsgruppen, Kreisverbände undden Republikverband vor. Oberste Organe des <strong>Verband</strong>es sollten dementsprechend<strong>der</strong> <strong>Verband</strong>stag, die Kreisverbandstage, Delegiertenversammlungen in den Ortsgruppenund Hauptversammlungen in den Sektionen sein, die den Hauptvorstandbzw. die Vorstände <strong>der</strong> Kreisverbände, Ortsgruppen und Sektionen zu wählen hatten.Auf allen Ebenen waren Revisionskommissionen vorgesehen.Schon die Diskussion auf diesem Treffen, aber auch die nach <strong>der</strong> Veröffentlichungeingehenden Vorschläge und Hinweise aus den Basisgruppen führten zu teilweisegravierenden inhaltlichen Verän<strong>der</strong>ungen. Das auf dem dritten Treffen <strong>der</strong> ZentralenInitiativgruppe beratene und zur Vorlage auf <strong>der</strong> Gründungstagung beschlosseneprogrammatische Dokument (Vorläufiges Aktionsprogramm) präzisierte nicht nur dieZiele des künftigen <strong>Verband</strong>es, son<strong>der</strong>n vor allem die dabei zu beschreitendenWege. Politische Zielstellungen wurden außenpolitisch bis auf Begriffe wie Friedenssicherung,Abrüstung, Angriffsunfähigkeit und Sicherheitspartnerschaft , innenpolitischauf demokratische Erneuerung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> reduziert und Verfassungstreue alsGrundlage <strong>der</strong> Arbeit des <strong>Verband</strong>es hervorgehoben. Die schon in den Grundsätzenpostulierten Interessen blieben im wesentlichen unverän<strong>der</strong>t, stellten jetzt aber dieaktive Interessenvertretung in Begriffen wie Mitarbeit, Mitgestaltung, Zusammenarbeitusw. entschieden deutlicher heraus. Neben die Formierung des <strong>Verband</strong>esund seiner Strukturen betreffenden Punkten wurden als zu beschreitende WegeTreffen des Hauptvorstandes mit dem Minister, parallele Treffen <strong>der</strong> Vorstände mitden Kommandeuren, Chefs und Leitern, die Aufnahme von Arbeitskontakten mitParteien und Organisationen, Mitarbeit im Volkskammerausschuß für NationaleVerteidigung, im Konsultativrat beim Minister sowie an „Runden Tischen“ auf allenEbenen expressis verbis genannt. Diese Mitarbeit sollte auf die Ausarbeitung vonGesetzen und Rechtsvorschriften, die die Streitkräfte und die soziale Sicherheit <strong>der</strong>aktiven und ehemaligen <strong>Berufssoldaten</strong> betrafen, gerichtet sein.<strong>Der</strong> Satzungsentwurf schränkte die Möglichkeit <strong>der</strong> Mitgliedschaft im <strong>Verband</strong> nunauf Bürger, die aktiven Wehrdienst in militärischen Berufen leisten o<strong>der</strong> geleistethaben, sowie auf <strong>der</strong>en Hinterbliebene ein. An<strong>der</strong>e sollten bei Anerkennung <strong>der</strong>Satzung „För<strong>der</strong>nde Mitglie<strong>der</strong>“ werden können. Für Soldaten im Grundwehrdienstund Unteroffiziere auf Zeit war <strong>der</strong> Zugang damit nur im Einzelfall denkbar. Statt <strong>der</strong>Formel vom Nichteingreifen in Angelegenheiten <strong>der</strong> Truppenführung wurde nun einMitsprache- und Einspruchsrecht bei Führungsentscheidungen gefor<strong>der</strong>t, die „dieInteressen <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> laut Satzung und Programm“ betrafen. Sektionen solltennunmehr überall gebildet werden können, wo es von mindestens fünf Mitglie<strong>der</strong>n alszweckmäßig erachtet wurde. Statt <strong>der</strong> Revisionskommissionen wurde die Bildungvon Schiedskommissionen in die Satzung aufgenommen. Als <strong>der</strong>en Arbeitsinhaltewurden über die Prüfung <strong>der</strong> Beschlußeinhaltung und Finanzmittelverwendung hinausRechtsberatung, -beistand und –vertretung sowie die Schlichtung von Streitfällenim <strong>Verband</strong> vorgesehen.Die <strong>der</strong> Gründungstagung vorgelegten Grundsatzdokumente des <strong>Verband</strong>es wurdenim wesentlichen in <strong>der</strong> letzten Fassung <strong>der</strong> Entwürfe angenommen. Verän<strong>der</strong>ungengegenüber den ursprünglichen Vorstellungen waren in vielem Ausdruck des norma-


len Reifeprozesses, den solche Dokumente in den verschiedenen Stadien desGedankenaustauschs und <strong>der</strong> Interessenabwägung üblicherweise erfahren. In zweiPunkten unterschied sich die Satzung jedoch prinzipiell von den Anfangskonzepten.Diese sahen einen vor allem im politischen Raum agierenden <strong>Verband</strong> vor, <strong>der</strong> sichaus truppendienstlichen Angelegenheiten strikt heraushielt. Und sie wollten – trotz<strong>der</strong> frühen Begriffsvorgabe „<strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong>“ und Reservistenverband –einen für alle aktiven Armeeangehörigen und Reservisten offenen <strong>Verband</strong>. Beideswar im ersten Anlauf nicht gelungen, und die Analyse <strong>der</strong> Ursachen führt zu denobjektiven Bedingungen in Gesellschaft und Armee, zu den oft wi<strong>der</strong>sprüchlichenInteressen <strong>der</strong> Armeeangehörigen und zu den Führungsschwächen in jenen Tagen.Die politische Zerrissenheit, ökonomische Leistungsschwäche und unklare Perspektive<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, damit verbundene Erscheinungen des Werteverfalls, <strong>der</strong> sozialenVerunsicherung und politischen Orientierungslosigkeit in <strong>der</strong> Bevölkerung übertrugensich rasch auch auf die Armee. Sie führten hier – verstärkt durch den Verlust jeglichenBedrohungsbewußtseins und von zu verteidigenden Werten, beför<strong>der</strong>t durchlanges Schweigen <strong>der</strong> Politik zu den Fragen <strong>der</strong> Streitkräfte und immer extremereVorstellungen von Abrüstung und Entmilitarisierung – zu einer tiefen Legitimationskrise<strong>der</strong> Armee und Motivationskrise <strong>der</strong> Soldaten.Auf diesem Boden entstand eine Art Psychose <strong>der</strong> Angst und Verunsicherung, in<strong>der</strong>en Folge subjektive Einzel- und Gruppeninteressen stark in den Vor<strong>der</strong>grundrückten und soziales Handeln zunehmend affektiv wurde. Das war eine grundlegendeBedingung dafür, daß rationale Konzepte nicht mehr angenommen, vitaleEigeninteressen und Spontaneität handlungsbestimmend wurden. Daher auch dasstark auf innerbetriebliche Fragen reduzierte Demokratieverständnis vieler sowie dienicht seltene Entartung in Disziplinlosigkeit und Meuterei o<strong>der</strong> in Ausgrenzungsozialer Gruppen. Es muß hier betont werden, daß <strong>Berufssoldaten</strong> sich dabei ehersezessionistisch verhielten als an<strong>der</strong>e. In einer Meinungsumfrage im Januar 1990bestanden 56 Prozent <strong>der</strong> befragten <strong>Berufssoldaten</strong> auf geson<strong>der</strong>ten Interessenvertretungenfür <strong>Berufssoldaten</strong> sowie für Soldaten und Unteroffiziere, nur 14 Prozentbefürworteten eine gemeinsame Organisationsform. Die entsprechenden Werte beiSoldaten und Unteroffizieren lagen dagegen bei 35 bzw. 25 Prozent.Und schließlich wirkte das Gefühl vieler Armeeangehöriger, daß die damalige militärischeFührung in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Wende eine ganze Armee im Stich gelassen habe,noch immer nach und belastete auch das Vertrauen in die Nachfolger. NeueBelastungen waren hinzugekommen – man denke etwa an Fälle, in denen Führungsentscheidungendie Truppe überraschten o<strong>der</strong> überfor<strong>der</strong>ten, über Medien bekannto<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Truppe nicht mitgetragen wurden. Hier ist an das Vorgehen einigerVerantwortlicher in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Mitgliedschaft in <strong>der</strong> SED/PDS o<strong>der</strong> an den §17des Entwurfs des neuen Wehrdienstgesetzes zu erinnern; in beiden Fällen wurde dieVerfassung verletzt und die politische Mündigkeit Unterstellter in Frage gestellt, waseinen Sturm <strong>der</strong> Entrüstung hervorrief. <strong>Der</strong> mit all dem verbundene Vertrauens- undAutoritätsverlust <strong>der</strong> Führung begünstigte das Streben, über Anhörungs- undVorschlagsrechte hinaus Mitsprache- und Einspruchsrechte zu for<strong>der</strong>n.Neben diesen allgemeinen gab es für die Orientierung auf Mitsprache in truppendienstlichenAngelegenheiten auch eine beson<strong>der</strong>e Ursache, nämlich die zeitlichnahezu parallele Entstehung und schrittweise Etablierung einer „Gewerkschaftsorganisation<strong>der</strong> Armeeangehörigen“ (GOAA). Während <strong>der</strong> VBS erst unter demDruck <strong>der</strong> Basis zumindest auf örtlicher Ebene Mitsprache for<strong>der</strong>te, konzentriertesich die GOAA – ihrem Charakter entsprechend – von Anfang an ganz auf dieseForm <strong>der</strong> Interessenvertretung. Sie organisierte sich demzufolge ausschließlich in-


nerhalb <strong>der</strong> militärischen Strukturelemente und schloß dadurch Reservisten von <strong>der</strong>Mitgliedschaft aus. Obwohl ihr Wirkungsbereich begrenzt blieb, setzte sie eineAlternative zum VBS und verhin<strong>der</strong>te objektiv eine einheitliche Interessenvertretung.Konkurrenz und zum Teil öffentliche Polemik auf zentraler wie örtlicher Ebeneverunsicherten vor allem <strong>Berufssoldaten</strong>. Korrekturen an <strong>der</strong> Arbeitsweise des VBS,vor allem <strong>der</strong> Verzicht auf (dem Wesen nach tatsächlich gewerkschaftliches) Mitsprache-und Einspruchsrecht wurden so behin<strong>der</strong>t. Eine Ausnahme bildete dieÖffnung des VBS auch für Soldaten und Unteroffiziere – sie wurde durch dieExistenz einer für alle Aktiven gleichermaßen offenen Gewerkschaft eher geför<strong>der</strong>tund auf dem ersten ordentlichen <strong>Verband</strong>stag auch erreicht. Im übrigen erleichterteauch <strong>der</strong> Drang bei Soldaten und Unteroffizieren, oberhalb <strong>der</strong> Ebene TruppenteilVertretungen in Form eines Soldatenbund, eines Kongresses <strong>der</strong> Soldatenräte aufStreitkräfteebene o<strong>der</strong> von Soldatenräten auf <strong>Verband</strong>sebene zu bilden, diese Entscheidunginnerhalb des VBS.In den dem 20. Januar folgenden Wochen festigte <strong>der</strong> VBS seine organisatorischenStrukturen schrittweise und begann sich rasch zu profilieren. Angesichts <strong>der</strong> hierskizzierten Grundsituation ist es verständlich, daß nicht alle <strong>der</strong> bis zur Gründungstagungbekannten Interessenten tatsächlich den Schritt zur Mitgliedschaft vollzogen.Viele <strong>Berufssoldaten</strong> verhielten sich dem neuen <strong>Verband</strong> gegenüber noch abwartend,an<strong>der</strong>e entschlossen sich, <strong>der</strong> GOAA beizutreten. Trotz alledem zählte <strong>der</strong> VBSim März 1990 bereits rund 30 000 Mitglie<strong>der</strong>.Zum ersten ordentlichen <strong>Verband</strong>stag am 21.April 1990 war die Mitglie<strong>der</strong>zahl auf46 000 angestiegen; sie waren in 556 Sektionen und 124 Kreissektionen organisiert.Mitglie<strong>der</strong> des VBS wirkten ab 22.Januar 1990 am „Runden Tisch“ beim Minister fürNationale Verteidigung und später am „Zentralen Runden Tisch <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“ mit. Sievertraten die Interessen <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> in <strong>der</strong> „Expertengruppe Militärreform“, diemittlerweile aus <strong>der</strong> Kommission Militärreform <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hervorgegangen war, ebensowie in <strong>der</strong> „Untersuchungskommission für Amtsmißbrauch und Korruption beimMinister für Nationale Verteidigung“. Sie nahmen Einfluß auf die Erarbeitung vonGesetzentwürfen, militärischen Bestimmungen und neuen Dienstvorschriften. In <strong>der</strong>Truppe wurden sie zu Dienstbesprechungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en dienstlichen Maßnahmenhinzugezogen und wirkten in Kommissionen o<strong>der</strong> Arbeitsgruppen mit, wenn dieserechtliche o<strong>der</strong> soziale Interessen <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> behandelten. Grundlage dafürwar eine Vereinbarung, die am 22.März 1990 zwischen dem Minister für NationaleVerteidigung und dem Vorstand des VBS getroffen wurde und die rechtliche Stellungdes <strong>Verband</strong>es weitgehend zugunsten von Beteiligungs- und Mitspracherechtenfixierte. Zugleich wurden die Kommandeure ermächtigt und verpflichtet, den Vertreterndes <strong>Verband</strong>es günstige Arbeitsmöglichkeiten zu sichern und sie erfor<strong>der</strong>lichenfallsauch materiell zu unterstützen.Sieht man die Dinge nüchtern, entsprach <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> mit dieser Arbeitsweise nichtnur den elementaren Vorstellungen <strong>der</strong> Mehrheit seiner Mitglie<strong>der</strong>. Die Anwesenheitseiner Vertreter an den Beratungstischen <strong>der</strong> Kommandeure und militärischenFührungen aller Ebenen mag im Einzelfall sicher einmal die Konturen <strong>der</strong> militärischenEinzelleitung verwischt haben. Insgesamt aber trug sie zur gegenseitigenInformation, zur frühen Berücksichtigung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>interessen und damit zuneuerlicher Festigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Vorgesetzten undUnterstellten bei.<strong>Der</strong> Einfluß des VBS auf einzelne Führungsentscheidungen, Gesetzentwürfe o<strong>der</strong>militärische Bestimmungen ist heute kaum noch dokumentarisch nachzuweisen.Allenfalls könnten Zeitzeugen Auskunft über diese o<strong>der</strong> jene Detailfrage geben.


Insgesamt aber hatte <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bereits in denturbulenten Anfangsmonaten des Jahres 1990 durch sein Wirken auf allen Ebeneneinen beträchtlichen Anteil an <strong>der</strong> Konsolidierung <strong>der</strong> Armee. Er stand damit in <strong>der</strong>Reihe jener Kräfte, die durch ihre Unterstützung des friedlichen Übergangs zurDemokratie in jener Zeit dazu beigetragen haben, die deutsche Vereinigung zuermöglichen. Dem damaligen Minister für Nationale Verteidigung, Admiral TheodorHoffmann, seit dem 23. Februar selbst Mitglied des VBS, galt er als „das positivsteErgebnis <strong>der</strong> Militärreform auf dem Gebiet <strong>der</strong> Demokratisierung“. (3)Ende April 1990 erfaßte <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> mehr als zwei Drittel <strong>der</strong> Anfang 1990 in <strong>der</strong>NVA dienenden <strong>Berufssoldaten</strong>. (4) Die Ergebnisse <strong>der</strong> Wahlen zur Volkskammer<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> am 18.März hatten – obwohl dies damals noch nicht jedem augenscheinlichwurde – den Weg für den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland freigemacht. In <strong>der</strong>NVA war die erste Phase stürmischer Verän<strong>der</strong>ungen im Rahmen <strong>der</strong> begonnenenMilitärreform einer schrittweisen und sich eher verlangsamenden Umsetzung beabsichtigterUmgestaltungen gewichen. Das erste Mal in ihrer Geschichte trug nun einPolitiker die Verantwortung für die Armee. Bereits sein Titel war Programm <strong>der</strong>weiteren EntwicklungDie Mühen <strong>der</strong> EbenenVor dem VBS standen nun „die Mühen <strong>der</strong> Ebenen“: seine weitere Formierung undorganisatorische Festigung und auf dieser Grundlage die Behauptung und Erweiterungseiner Kontakte und Einflußnahme im politischen Raum unter den verän<strong>der</strong>tenBedingungen nach den Wahlen im März 1990. Auf kommunaler Ebene hatte<strong>der</strong> <strong>Verband</strong> es seinen Glie<strong>der</strong>ungen freigestellt, bei den nachfolgenden Kommunalwahlenin <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> mit eigenen Kandidaten anzutreten. Diese Möglichkeit wurdeam 06.Mai 1990 in 30 Kreisen wahrgenommen und dabei wurden 16 Mandate inKreistagen gewonnen, so u.a. in Apolda, Eisenberg, Guben, Niesky, Strausberg,Havelberg sowie auf Rügen. Weitere 50 Sitze errang <strong>der</strong> VBS in den Räten vonStädten und Gemeinden. Forciert wurden zugleich die Bemühungen, über dieKlientel <strong>der</strong> aktiven <strong>Berufssoldaten</strong> hinaus an<strong>der</strong>e Gruppen, <strong>der</strong>en Interessen sich<strong>der</strong> <strong>Verband</strong> verpflichtet fühlte, stärker an sich zu binden. (5)Eine dieser Gruppen, denen <strong>der</strong> VBS sich nun prononcierter zuwandte, war die <strong>der</strong>Armeeangehörigen <strong>der</strong> Reserve, außer Dienst sowie <strong>der</strong> Hinterbliebenen. <strong>Der</strong>enIntegration in das <strong>Verband</strong>sleben orientierte sich an spezifischen Interessen dieserGruppe; sie reichten von ihren Bindungen an die Einheiten, in denen sie einmal gedienthatten, bis zur Vertretung und Wahrung ihrer festgeschriebenen Rechte. Vielevon ihnen beklagten seit langem, daß es in <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> kein System und wohl auch keinson<strong>der</strong>liches Interesse am Fortbestand regelmäßiger Beziehungen zwischen Soldaten<strong>der</strong> Reserve (auch nicht von <strong>Berufssoldaten</strong>) und den Stäben, Truppenteilen undEinrichtungen gab, aus denen sie kamen. So war <strong>der</strong> Gedanke, in <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> einenReservistenverband zu schaffen, in den 70er und Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre stetsgescheitert. Die Umbrüche in <strong>der</strong> Gesellschaft ließen zudem befürchten, daßbisherige versorgungsrechtliche Ansprüche in Frage gestellt würden. Die Begrenzung<strong>der</strong> „Staats“renten durch die neugewählte Volkskammer auf 2010,00 M berührtezwar nur wenige direkt, ließ aber viele an Weiterungen denken.Dieser beson<strong>der</strong>en Interessenlage entsprechend entstanden bei einem Teil <strong>der</strong>Truppen- und Ortssektionen des VBS sogenannte „Fachsektionen“, in denen – neben<strong>der</strong> Entwicklung des Zusammengehörigkeitsgefühls und <strong>der</strong> Beziehungen zuden ehemaligen Einheiten - die Probleme und Interessen <strong>der</strong> Reservisten artikuliert


werden konnten. Mit dieser Orientierung, die zur Bildung einer beson<strong>der</strong>en Kommissionbeim Hauptvorstand des VBS und im Mai 1990 zu konzeptionellen Diskussionensowie zur Herausgabe von Empfehlungen für eine entsprechende Arbeit <strong>der</strong>Truppen- und Ortssektionen führte, griff <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> zugleich auf Erfahrungen an<strong>der</strong> Basis zurück. Vor allem Sektionen des VBS in den Wehrorganen, bei denen seitlängerem Reservistenbeiräte bestanden, hatten teilweise bereits selbst in dieseRichtung gehende Initiativen ergriffen. Schon ab 21.Februar 1990 hatte die Sektiondes VBS beim Wehrkreiskommando Stadtroda beispielsweise monatliche Sprechstundenfür aktive Soldaten und Reservisten eingeführt, die von den Reservistenangenommen und gern genutzt wurden. Die Liste <strong>der</strong> Probleme, <strong>der</strong>er sich <strong>der</strong> VBShier anzunehmen hatte, war lang. Es ging um die Anrechnung <strong>der</strong> Dienstzeit in <strong>der</strong>NVA auf die spätere Betriebszugehörigkeit und die Gewährleistung von Dienstbeschädigungsrenten,um die Anerkennung bei <strong>der</strong> NVA erworbener Qualifikationenund die Sicherung medizinischer Untersuchungen <strong>der</strong> Invalidenrentner in denMilitärlazaretten, immer öfter aber auch um die Einglie<strong>der</strong>ung in den Arbeitsprozeßo<strong>der</strong> in Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen.Eine weitere, wenn auch zahlenmäßig weitaus kleinere Gruppe, die stärker in denBlickpunkt <strong>der</strong> Arbeit rückte, waren die Frauen in <strong>der</strong> NVA. Weibliche Armeeangehörigegab es sowohl als Berufs- als auch als Zeitsoldaten nicht nur in militärmedizinischen,son<strong>der</strong>n auch in Nachrichten- und an<strong>der</strong>en Verwendungen. Seit <strong>der</strong>Einführung eines Studiengangs für weibliche Berufsoffiziere an <strong>der</strong> Offiziershochschule<strong>der</strong> Landstreitkräfte in den 80er Jahren war ihre Zahl weiter angestiegen.Neben spezifischen sozialen und rechtlichen Problemen warf <strong>der</strong> Militärdienst vonFrauen angesichts <strong>der</strong> sich abzeichnenden Perspektiven <strong>der</strong> Armee Fragen nachdessen Zukunft auf. <strong>Der</strong> VBS reagierte mit <strong>der</strong> Einrichtung einer Frauenkommissionbeim Hauptvorstand und mit <strong>der</strong> Einberufung einer Frauentagung, die unter demThema „Frauen im Dienstverhältnis – Anspruch, Realität und Perspektiven“ vom 08.bis zum 10.Juni 1990 in Leipzig stattfand.Die zu diesem Zeitpunkt laufenden staatlichen Vorbereitungen für die Wie<strong>der</strong>einführung<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>struktur auf dem Territorium <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> stellten den VBS vorstrukturelle Fragen. Abzusehenden Verän<strong>der</strong>ungen in den Organisationsstrukturen<strong>der</strong> Parteien und Organisationen, <strong>der</strong> Runden Tische u.a. mußte <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> raschentsprechen, denn damit wechselten auch die kompetenten Ansprechpartner vonBezirks- auf Landesebene. Aus den Kreisverbänden des VBS heraus waren innerhalb<strong>der</strong> Territorien <strong>der</strong> künftigen Län<strong>der</strong> bereits im Mai/Juni 1990 Initiativgruppenentstanden, die die Gründung von Landesverbänden anstrebten und vorbereiteten.Vertreter des Hauptvorstandes berieten am 21.Juni1990 in Dessau mit Teilnehmernaus allen Bereichen des VBS über die Wege zur Bildung von Landesverbänden.Zugrunde lagen dem die Erfahrungen einer Koordinierungskommission für die Bildungdes Landesverbands Sachsen/Anhalt. <strong>Der</strong> Hauptvorstand akzeptierte die bisherigeEntwicklung als „vorläufige“, die zum gegebenen Zeitpunkt unkompliziertoffiziellen Charakter erhalten sollte, und beschloß eine Empfehlung zur Bildung <strong>der</strong>Landesvorstände. Danach sollte die Bildung <strong>der</strong> Landesverbände durch Landeskonferenzenlegitimiert und ein Landesvorstand gewählt werden. Dieser sollte imInteresse <strong>der</strong> Effektivität <strong>der</strong> Arbeit personell klein gehalten werden (7 – 8 Mitglie<strong>der</strong>).Zeitlich war dies für September/ Oktober 1990 vorgesehen.Über Monate hinweg unternahm <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> darüber hinaus Anstrengungen für denAufbau einer För<strong>der</strong>gesellschaft nach dem Beispiel des DBwV. Auch die Finanzregelungensollten mit denen <strong>der</strong> För<strong>der</strong>gesellschaft des DBwV übereinstimmen.Hauptfrage war die vertragliche Bindung von Unternehmen, die bereit waren, den


Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> För<strong>der</strong>gesellschaft des VBS Rabatte zu gewähren. Bis September1990 war dieses Vorhaben relativ weit gediehen, u.a. war ein Gruppenvertrag mit<strong>der</strong> Hamburg-Mannheimer Versicherungs-AG vorbereitet.Seine Hauptanstrengung mußte <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> aber spätestens seit Juni 1990 auf dieVertretung <strong>der</strong> Interessen <strong>der</strong> Soldaten im Vereinigungsprozeß richten, und nach <strong>der</strong>Einführung <strong>der</strong> Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 01.Juli 1990 gewannenseine Aktivitäten auf diesem Gebiet rasch eine alles an<strong>der</strong>e überragende Bedeutung.<strong>Der</strong> VBS im VereinigungsprozeßZu diesem Zeitpunkt war die NVA eine Armee ohne Rückhalt im Volk, ohneVerbündete und ohne Gegner. Die gestern Verbündete waren, standen selbst in o<strong>der</strong>vor gesellschaftlichen Umbrüchen und hatten ihren einstigen „Waffenbru<strong>der</strong>“faktisch preisgegeben. Die gestern Gegner waren, rückten heute ein und for<strong>der</strong>tenden Abbau <strong>der</strong> Feindbil<strong>der</strong>, ohne allerdings ihre eigenen aufzugeben; zielstrebigsetzten sie ihre eigenen Vorstellungen von einer künftigen deutschen Armee um.Selbst in <strong>der</strong> PDS, <strong>der</strong> ein Teil <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> weiterhin angehörte, verlangte esviele nach totaler Abrüstung. Niemand in <strong>der</strong> Gesellschaft äußerte sich klar zuAuftrag und Zukunft <strong>der</strong> Soldaten.Nach anfänglicher Stabilisierung <strong>der</strong> Lage in <strong>der</strong> Armee entstand in den Stäben,Einheiten und Einrichtungen erneut zunehmende Unruhe. Man empfand Mangel anInformation, ein Defizit an Entscheidungen und ungenügende Zusammenarbeitzwischen politischer und militärischer Führung <strong>der</strong> NVA; vor allem aber klagte manüber fehlende Konzepte zu Aufgaben und Perspektiven künftiger deutscherStreitkräfte und zum eigenen Platz darin. So weckte <strong>der</strong> Gedanke des Fortbestandszweier Armeen in Deutschland, von Minister Eppelmann noch mit Verve vertreten,als die Zeit schon darüber hinweg gegangen war, unbegründete Hoffnungen. Um sogrößer die mehrmaligen Enttäuschungen, als alle Denkansätze über eine Zukunftwenigstens von Teilen <strong>der</strong> NVA stufenweise entschwanden. Erinnert sei hier an dieGenese <strong>der</strong> veröffentlichten Vorstellungen zu deutschen Streitkräften nach <strong>der</strong>Vereinigung – von <strong>der</strong> These von zwei Armeen über den Gedanken an relativeigenständige Territorialstreitkräfte mit einem Kräfteansatz von bis zu 25 Prozent <strong>der</strong>künftigen deutschen Streitkräfte bis zum Denkansatz „50000 Mann <strong>der</strong> Bundeswehrim Osten“ – wobei <strong>der</strong> Anteil an NVA-Kräften darin gedanklich von Mal zu Malreduziert wurde. Am Ende stand das schließlich realisierte Demontagekonzept:kurzfristige Entlassung <strong>der</strong> „älteren“ (Führungs)Ka<strong>der</strong>, Wartezeit für die Mehrheit,selektive zeitweilige Übernahme eines kleinen Kontingents von Unteroffizieren undjüngerer Offiziere als Zeitsoldaten.Für erhebliche Unruhe sorgten <strong>der</strong> Befehl 26/90 (Auflösung <strong>der</strong> Organe für StaatsbürgerlicheArbeit) und <strong>der</strong> wenig später folgende Befehl über die Entlassung allerüber 55-jährigen <strong>Berufssoldaten</strong> per 30.September 1990. Beide wurden von vielen<strong>Berufssoldaten</strong> als Beginn einer Entlassungswelle verstanden. In manchen Truppenteilenund einigen Sektionen und Kreisverbänden des VBS kam es zu spontanenProtesthandlungen, die bis zu Aktionen in <strong>der</strong> Volkskammer <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> führten. <strong>Der</strong>Hauptvorstand des VBS wurde einerseits mit telefonischen und fernschriftlichenAnfragen und Protesten von Sektionen und einzelnen Mitglie<strong>der</strong>n überschüttet undzum demonstrativen Handeln aufgefor<strong>der</strong>t, galt an<strong>der</strong>erseits im Ministerium wegenseiner kritischen Äußerungen zur Führung aber selbst als Störenfried und Panikmacher.Zu diesem Zeitpunkt (bis 31.Juli) waren bereits knapp 12000 Berufssolda-


ten <strong>der</strong> NVA entlassen, ca. drei Viertel waren in Arbeitsverträge, in die beginnendenUmschulungsmaßnahmen o<strong>der</strong> in die befristete erweiterte Versorgung vermitteltworden. <strong>Der</strong> Rest war arbeitslos – ein Begriff, den die meisten bis dahin nur aus denGeschichtsbüchern kannten.Im Bemühen um eine reale Lageeinschätzung und um die Aufrechterhaltung <strong>der</strong>Ordnung in den Streitkräften for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Hauptvorstand des VBS die Teilnahme anden wöchentlichen Ministerberatungen und erreichte diese auch ab 21.August –sechs Wochen vor Ultimo. Von nun an wurde er auch über den Verhandlungsstandbeim Einigungsvertrag informiert und konnte die Standpunkte und Interessen seinerMitglie<strong>der</strong> einbringen. Eine Woche danach war mit Unterstützung des VBS auch <strong>der</strong>- bis dahin ebenfalls nicht berücksichtigte – Rat <strong>der</strong> Kommandeure in <strong>der</strong> Ministerrundevertreten.Am 14.August 1990 hatte <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> den Hauptvorstand zur Lageeinschätzungeinberufen und dazu den parlamentarischen Staatssekretär Dr. Wieczorekeingeladen. Dieser informierte über Stand und Probleme bei <strong>der</strong> Vorbereitung desEinigungsvertrages. Seine protokollarisch erfaßten Ausführungen machen heute, mitnahezu zehn Jahren Abstand, drastisch deutlich, in welchem Maße die politischeFührung des MfAV wissentlich o<strong>der</strong> unwissentlich in die Desinformations- und Hinhaltetaktikgegenüber den <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> NVA einbezogen war. So erklärte Dr.Wieczorek vor dem Hauptvorstand u.a., nach Ablauf des Einigungsvertrages (nacheiner vierjährigen Übergangsfrist) gelte gleicher Sold für jeden, <strong>der</strong> übernommenwürde; wer dann im Ruhestand sei, erhalte die gleiche Pension wie ein entsprechen<strong>der</strong>Dienstgrad in Bundeswehr; ein Großteil <strong>der</strong> aus dem Wehrdienst Entlassenenerhielte einen Platz in <strong>der</strong> Wehrverwaltung (12 –15 000 Stellen), bis zum 2.Dezember würde es Regelungen geben, welche militärischen Einrichtungen, Verbändeund Dienststellen <strong>der</strong> ehemaligen NVA fortbestehen bzw. neu geglie<strong>der</strong>twerden; <strong>der</strong> Zeitvertrag bei Übernahme sei nur eine Übergangsregelung – in <strong>der</strong> Zeitmüsse entschieden werden, ob die Übernahme als Berufssoldat erfolgt; die Bundeswehrmüsse 80 000 nach Haus schicken, wenn sie auf 370 000 Mann kommenwolle. Und später, als Antwort auf Fragen, erklärte er, Abrüstung sei nicht Demontage<strong>der</strong> Armee; die Bundeswehr schicke sogar 160 000 Mann nach Hause.Im Beschluß dieser Sitzung verlangte <strong>der</strong> Hauptvorstand jedenfalls von seinen Mandatsträgernungeschminkte Darstellung <strong>der</strong> Lage und Hartnäckigkeit bei <strong>der</strong>Durchsetzung <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ungen des <strong>Verband</strong>es sowie abgestimmtes Handeln;demonstrative und unkontrollierbare Aktionen seien zur Durchsetzung <strong>der</strong> Ziele undInteressen des <strong>Verband</strong>es ungeeignet. Von <strong>der</strong> politischen und militärischen Führung<strong>der</strong> NVA for<strong>der</strong>te er u.a. die bessere Abstimmung bei Aussagen zu Sicherheitsundmilitärpolitischen Aspekten in <strong>der</strong> Öffentlichkeit, und bei Grundsatzentscheidungenverlangte er erneut und nachdrücklich die Einbeziehung des <strong>Verband</strong>es aufallen Ebenen.Von nun an überschlugen sich die Ereignisse. Am 24. August hörte <strong>der</strong> Ausschuß fürAbrüstung und Verteidigung <strong>der</strong> Volkskammer den Vorsitzenden des VBS und denVorsitzenden <strong>der</strong> Gewerkschaft <strong>der</strong> Armeeangehörigen (GdAA) an. Beide übergabenFor<strong>der</strong>ungslisten, die GdAA führte Klage über mangelnde Information durch dasMfAV und ungenügende Einbeziehung des Personalrats in Personalentscheidungendes Ministers (von dem Befehl über die Entlassung <strong>der</strong> über 55-jährigen <strong>Berufssoldaten</strong>erhielt <strong>der</strong> Personalrat vorab nicht einmal Kenntnis). <strong>Der</strong> Ausschuß legte fest,erfor<strong>der</strong>liche Auskünfte vom Minister für Abrüstung und Verteidigung einzuholen, u.a.über die prinzipielle Konzeption zur einheitlichen Führung <strong>der</strong> Streitkräfte und zurpersonellen und materiellen Konversion.


Am 01.September 1990 legte <strong>der</strong> VBS die Anlage 15 zum Staatsvertrag II (faktischden militärischen Teil dieses Vertragswerks), die ihm selbst einen Tag zuvor bekanntgeworden war, einer erweiterten Hauptvorstandsitzung mit 131 Mandatsträgern biszur Ebene <strong>der</strong> Kreisvorstände vor. <strong>Der</strong> <strong>Verband</strong>svorsitzende konstatierte „Vertrauensverlustin die politische und militärische Führung <strong>der</strong> NVA in unvertretbarenDimensionen“ infolge von Sprachlosigkeit, mangeln<strong>der</strong> Transparenz und einer beispiellosenMedienkampagne gegen die NVA. Er formulierte die For<strong>der</strong>ungen des<strong>Verband</strong>es an die Verhandlungsführer, so die Ablehnung einer Probezeit für <strong>Berufssoldaten</strong><strong>der</strong> NVA vor Übernahme in die Bundeswehr, die Aufhebung <strong>der</strong> altersmäßigenBegrenzung bei <strong>der</strong> Übernahme, die Ablehnung subjektiv auslegbarerEntlassungsgründe wie persönliche Eignung, mangeln<strong>der</strong> Bedarf o<strong>der</strong> erscheintunzumutbar und die Erhaltung des Besoldungs- und Versorgungsniveaus von<strong>Berufssoldaten</strong> und Reservisten sowie die Gewährung eines Übergangsgeldesunabhängig vom Dienstalter. Er verlangte den Ausschluß von Kann-Bestimmungen,Regelungen analog des Berufsför<strong>der</strong>ungsdienstes <strong>der</strong> Bundeswehr bei <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungvon <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> NVA in das zivile Berufsleben, die Sicherung desWohnrechts und die definitive Festschreibung, in den künftigen Wehrverwaltungenüberwiegend ehemalige NVA-Angehörige und Zivilbeschäftigte sowie beson<strong>der</strong>sFrauen einzustellen. Als Ziel des <strong>Verband</strong>es nannte er, zu erreichen, „daß wir alsStaatsbürger in Uniform behandelt werden, daß wir bei real durchgeführter Abrüstungmateriell und sozial abgesichert sowie vorbehaltlos in die Gesellschaft integriertwerden.“ Und er for<strong>der</strong>te im Namen des <strong>Verband</strong>es nochmals eine klare Führungskonzeptionfür die Streitkräfte bis zum Tag <strong>der</strong> deutschen Einheit, eine für die Truppespürbare Zusammenarbeit zwischen politischer und militärischer Führung <strong>der</strong> NVA,eine Konzeption für die Entlassung von <strong>Berufssoldaten</strong>, darunter mehr als 2000Frauen, einen Konverversionshaushalt.Neben Minister Eppelmann äußerten sich die Staatssekretäre Dr. Krause undMarczinek, Herr Reiche als Vertreter des Volkskammerausschusses für Abrüstungund Verteidigung sowie Herr Engelmann als Chef des Personalamts zum bisherigenVerhandlungsergebnis. Sie machten deutlich, daß die NVA keine Freunde habe unddaß das Verhandlungsergebnis das günstigste war, was „herausgeholt“ werdenkonnte. Wie<strong>der</strong> geisterten Zahlen durch den Raum: Staatssekretär Dr. Krause meinte,die Bundeswehr müsse 120 000 Mann abbauen und befand sich damit exakt in<strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> im August von Staatssekretär Wieczorek genannten Zahlen. Die 50 000Mann <strong>der</strong> Bundeswehr wurden so dargestellt, daß <strong>der</strong> Eindruck entstehen mußte,das würden tatsächlich überwiegend ehemalige NVA-Angehörige sein. Dr. Krausesprach wörtlich von Erstbeteiligung <strong>der</strong> NVA-Angehörigen an <strong>der</strong> Truppenaufstellungim Osten, Herr Engelmann nutzte weiterhin den Begriff Territorialstreitkräfte un<strong>der</strong>klärte, entlassene <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> NVA könnten danach den Dienstgrad a. D.mit Fug und Recht weiterführen. Minister Eppelmann legte ein neuerliches Bekenntniszu seiner Fürsorgepflicht für die Soldaten <strong>der</strong> NVA ab. In <strong>der</strong> zum Teil sehr emotionalenDiskussion wurde die konkrete Lage in den Territorien bis zur Situationeinzelner schon entlassener <strong>Berufssoldaten</strong> drastisch deutlich – im Raum Eggesin -Ückermünde beispielsweise 20 Prozent Arbeitslose, 40 Prozent Kurzarbeiter, unddazu die bevorstehende Auflösung <strong>der</strong> dort stationierten Division und eines Ausbildungszentrums.Ein 55jähriger Major, nach 34 Dienstjahren in die Arbeitslosigkeitentlassen, berichtete von 129,54 Arbeitslosengeld pro Woche. Kernpunkt war dieFor<strong>der</strong>ung nach Einhaltung <strong>der</strong> Sorgepflicht des Staates gegenüber den aktiven undehemaligen Soldaten <strong>der</strong> NVA. Im Beschluß <strong>der</strong> Sitzung wurde deshalb u.a. aucheine Briefaktion aller Sektionen des VBS an Volkskammer und Regierung <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>


sowie an Bundestag, Präsidenten, Kanzler und Verteidigungsminister <strong>der</strong> BRD festgelegt.Zur von Minister Eppelmann für den 12.September angesetzten Kommandeurstagungsetzte <strong>der</strong> VBS durch, daß entgegen <strong>der</strong> ursprünglichen Absicht auch alleRegimentskommandeure und Gleichgestellte eingeladen wurden. Drei Wochen vordessen Vollzug wurden die Kommandeure mit den die NVA betreffenden, endgültigenFestlegungen im Einigungsvertrag und in dessen Anlagen bekannt gemacht.Die Kommandeure durften Fragen stellen.<strong>Der</strong> VBS trug diese Festlegungen nicht mit. In einer Stellungnahme „<strong>Der</strong> Einigungsvertragals ‚soziale Endlösung‘ für die NVA“ erklärte er, daß die NVA sich durch denVertrag getäuscht sehe, erhob noch einmal seine For<strong>der</strong>ungen und kündigteAktionen an. Aber die Entscheidungen waren längst gefallen. Vor dem <strong>Verband</strong>stand nun zwingend die Frage, was in <strong>der</strong> bevorstehenden Vereinigung aus ihmwürde. Wie sollte er die Interessen seiner Mitglie<strong>der</strong> und aller <strong>Berufssoldaten</strong> nachdem 03.Oktober vertreten?Selbständigkeit o<strong>der</strong> Beitritt?Erstmals war diese Alternative am Vorabend <strong>der</strong> Wirtschafts-, Währungs- undSozialunion im Hauptvorstand (29./30.Juni 1990) diskutiert worden, als nicht nur dieVereinigung als solche sichere Perspektive wurde, son<strong>der</strong>n sich zugleich auch eineerhebliche Fristenverkürzung andeutete. Die Ausgangsvorstellung hieß: keine Fusionmit dem DBwV, Zusammenarbeit auf <strong>der</strong> Basis einer Vertragsgemeinschaft.Dazu sollte eine paritätisch zusammengesetzte gemeinsame Arbeitsgruppe Konzepteentwickeln.Dieser Denkansatz war nicht unumstritten – ein Teil <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> des Hauptvorstandeshielt die Vereinigung zu einem gemeinsamen <strong>Verband</strong> für geeigneter, dieInteressen <strong>der</strong> VBS-Mitglie<strong>der</strong> wirksam zu vertreten, ohne dabei einen „Ausverkauf“des VBS zuzulassen. Schon zu diesem Zeitpunkt gab es allerdings Zweifel, ob dieBasis des DBwV eine Vereinigung bei<strong>der</strong> Verbände mittragen würde. Man bildeteschließlich eine Arbeitsgruppe, die Überlegungen zum Proce<strong>der</strong>e eines Zusammenschlusses,zu Führungsstrukturen sowie zu Eigentums- und an<strong>der</strong>en Sachfragenvorbereiten sollte.Die Vereinigungsüberlegungen fußten neben Zweckmäßigkeitserwägungen sicherauch auf den bisherigen Erfahrungen aus zahlreichen Kontakten mit dem Bundesvorstanddes DBwV, mit Mandatsträgern auf Landes- und Kameradschaftsebene undmit Teilen <strong>der</strong> Mitgliedschaft. Die Zusammenarbeit zwischen DBwV und VBS hatteunmittelbar nach dessen Gründung begonnen. Schon davor suchte Oberst Wenzel,seinerzeit Bundesvorsitzen<strong>der</strong> des DBwV, eine Kontaktaufnahme. Am Rande einesSPD-Parteitages in West-Berlin hatte er im Ministerium für Nationale Verteidigungum ein Treffen mit dem VBS gebeten, dessen beabsichtigte Gründung wenig zuvoröffentlich geworden war. Am 19. Dezember wurden er und <strong>der</strong> Schatzmeister desDBwV, Hauptmann Michels, am damaligen Grenzübergang Oberbaumbrücke empfangenund hatten, da es den <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> ja noch nichtgab, Gelegenheit zu einem Gespräch mit Vertretern des MfNV. Oberst Wenzelbekundete sein Interesse an rascher Verbindungsaufnahme mit den Spitzen des zugründenden <strong>Verband</strong>es und informierte ausführlich über Stellung und Arbeitsweisedes DBwV. Manche seiner Anregungen fand sich später in den Gündungsdokumentendes VBS wie<strong>der</strong>. (6)


Schon Ende Februar kam es dann zur ersten Kontaktaufnahme zwischen DBwV undVBS; <strong>der</strong> Bundesvorsitzende sowie sein Schatzmeister nahmen an einer Sitzung desHauptvorstands des VBS teil, trafen mit dem damaligen Minister, Admiral Hoffmann,zusammen und stellten sich auf einem Forum den Fragen von Offizieren des MfNV .Anfang März besuchte eine Delegation des Hauptvorstands des VBS den DBwV undnahm dort an einer Sitzung des Bundesvorstands teil. Ein Vertrag über die Zusammenarbeit<strong>der</strong> Verbände auf allen Ebenen wurde unterzeichnet. WechselseitigeKonsultationen zwischen Vertretern <strong>der</strong> Vorstände, in <strong>der</strong> Regel geführt von denVorsitzenden, wurden alsbald zur Regel. <strong>Der</strong> DBwV beriet dabei den VBS aufzahlreichen Gebieten, so in Rechtsfragen o<strong>der</strong> im Bereich <strong>der</strong> Pressearbeit, undunterstützte ihn bei <strong>der</strong> Erarbeitung von Dokumenten. Umgekehrt arbeiteten Vertreterdes VBS zeitweilig in Arbeitsgruppen des DBwV mit, so zu Fragen <strong>der</strong> Sicherheitspolitik,<strong>der</strong> Reservistenarbeit und des Dienstrechts. Große Bedeutung für den Beginn<strong>der</strong> Kommunikation zwischen den Mitglie<strong>der</strong>n bei<strong>der</strong> Verbände hatten zweigemeinsame Seminare, im März zu sicherheitspolitischen Fragen in Bonn, im Junizur sozialen und rechtlichen Stellung des Soldaten im Konversions- und Abrüstungsprozeßin Berlin-Grünau. Landesverbände des DBwV übernahmen Patenschaften fürKameradschaften des DBwV in den Gebieten <strong>der</strong> späteren neuen Bundeslän<strong>der</strong>, sozwischen Bayern und Sachsen, Hessen und Thüringen, Schleswig-Holstein undMecklenburg-Vorpommern. Erste Begegnungen wuchsen vielerorts zu festenPartnerschaften. Insgesamt, so schätzte man im Hauptvorstand des VBS ein, hattensich in den wenigen Monaten zwischen März und September 1990 etwa 70 000Mitglie<strong>der</strong> bei<strong>der</strong> Verbände ausgetauscht. In diesen Begegnungen war manchesKlischee vernünftigem Urteil gewichen. <strong>Der</strong> DBwV hatte den VBS mit Rat und Tatunterstützt, und er war dabei durchaus auch Risiken eingegangen. Beispielsweisewar es keineswegs für je<strong>der</strong>mann selbstverständlich, daß im März 1990 die ersteVBS-Delegation in <strong>der</strong> Uniform <strong>der</strong> NVA nach Bonn reiste.Am 29. August berieten die Spitzen bei<strong>der</strong> Verbände über <strong>der</strong>en Vereinigung. OberstWenzel und sein Stellvertreter, Oberstabsfeldwebel Grodzki, erklärten, daß es imDBwV dazu keine einheitlichen Vorstellungen gäbe; im Vorstand wäre eine Mehrheitdafür, Interesse bestünde jedoch vor allem an aktiv weiterdienenden, nicht an ausgeschiedenenSoldaten <strong>der</strong> NVA; ein <strong>Verband</strong>stag am 07.09. müsse entscheiden, sieerwarteten jedoch keine Zustimmung zur geschlossenen Aufnahme des VBS.Am 31.August kam <strong>der</strong> Hauptvorstand des VBS zu dem Schluß, daß <strong>der</strong> <strong>Verband</strong>sein Profil neu bestimmen müsse. Die bisherige Arbeit sei auf die Vorstellunggegründet, die NVA würde noch länger existieren. Nun müsse entschieden werden,welcher Weg weiter zu beschreiten sei. Die Diskussion verlief erneut kontrovers.Wie<strong>der</strong> gab es Stimmen, das Ende <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> müsse auch das des VBS sein, weildanach keine wirksame Interessenvertretung mehr möglich sei. Man erwarte, daß<strong>der</strong> DBwV den Eintritt von <strong>Berufssoldaten</strong> abblocken würde, <strong>der</strong> VBS könne dannbestenfalls ein Traditionsverband ohne politische Bedeutung sein. Wie<strong>der</strong> gab esaber auch eine Mehrheit für die Erhaltung eines selbständigen <strong>Verband</strong>es; auchwenn man sich über die Möglichkeiten des <strong>Verband</strong>es dann keine Illusionen machendürfe, sei es moralische Pflicht gegenüber den Mitglie<strong>der</strong>n, niemand sonst würde fürsie eintreten – so <strong>der</strong> Tenor <strong>der</strong> Beratung. <strong>Der</strong> Beschluß sah schließlich die Erhaltungdes <strong>Verband</strong>es und die Bildung <strong>der</strong> schon vorbereiteten Landesverbände vor.Auf <strong>der</strong> schon erwähnten erweiterten Hauptvorstandssitzung am 01. Septemberstimmten die Teilnehmer diesem Herangehen mehrheitlich zu und sprachen sich imBeschluß für die Vorbereitung eines außerordentlichen <strong>Verband</strong>stages im Dezember1990 aus. Dieser sollte die Rolle des VBS im vereinigten Deutschland bestimmen


und die erfor<strong>der</strong>lichen Än<strong>der</strong>ungen in Satzung und Programm einleiten. Als wesentlicheVoraussetzungen für das künftige Wirken des <strong>Verband</strong>es sah man die Erhöhungseiner Mitglie<strong>der</strong>zahl und die Sicherung stabiler <strong>Verband</strong>sstrukturen außerhalb<strong>der</strong> Truppe und ohne die bisherige materielle Unterstützung durch die Armee an.<strong>Der</strong> <strong>Verband</strong>stag des DBwV am 7.September in Leverkusen entschied sich erwartungsgemäßebenfalls gegen eine Vereinigung bei<strong>der</strong> Verbände. Auch <strong>der</strong> DBwVunterlag in dieser Frage Zwängen. Natürlich hätte die geschlossene Übernahme <strong>der</strong>Mitgliedschaft des VBS ihn mit einem Schlage um einiges gewichtiger gemacht, und<strong>der</strong> allgemeine Einheitsrausch jener Tage hätte ohne Zweifel noch zusätzliche Wirkungengehabt. Schließlich sprach man öffentlich ja gern von <strong>der</strong> „Armee <strong>der</strong>Einheit“. An<strong>der</strong>erseits richtete sich das Interesse des DBwV vor allem auf aktiveSoldaten, und je deutlicher wurde, daß davon nur wenige in die Bundeswehr übernommenwerden würden, desto geringer mußte dieses Interesse sein. Auch dieSatzung, in <strong>der</strong> die Mitgliedschaft durch freiwilligen Beitritt des Einzelnen begründetwar (und ist), stand einem geschlossenen Beitritt und einer eventuellen spezifischenUnterorganisation im Osten entgegen. Vor allem aber trug wohl die Mehrheit <strong>der</strong>Basis die Vorstellungen im Vorstand nicht mit und machte dies deutlich. Die Begegnungenzwischen Mitglie<strong>der</strong>n bei<strong>der</strong> Verbände hatten trotz ihrer großen Zahl nureinen Teil <strong>der</strong> Mitgliedschaft des DBwV erfaßt, und nicht je<strong>der</strong> warf nach einemersten Gespräch gleich seine bisherigen Urteile über Bord. Die alten und fortwirkendenFeindbil<strong>der</strong>, die im Jahrgang 1990 <strong>der</strong> <strong>Verband</strong>szeitschrift „Die Bundeswehr“in Leserbriefen hinreichend dokumentiert sind, erwiesen sich schließlich dochals zu hartnäckig.Einem Teil <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> des VBS ging es nicht an<strong>der</strong>s. Es soll hier nicht verschwiegenwerden, daß Wi<strong>der</strong>stände solcher Art auch in den Sektionen des VBS zukontroversen Diskussionen und einer Reihe von Austritten führten, weil mancheMitglie<strong>der</strong> eine allzu enge Zusammenarbeit o<strong>der</strong> gar eine Vereinigung mit dem DBwVablehnten. Das wurde vor allem mit fehlendem Vertrauen o<strong>der</strong> mangeln<strong>der</strong> Kompetenzdes Bundeswehrverbandes o<strong>der</strong> direkt mit Vorbehalten gegenüber <strong>der</strong>Bundeswehr begründet.Schon im August war zwischen den Vorsitzenden bei<strong>der</strong> Verbände und ihrenStellvertretern ein an<strong>der</strong>es Modell angedacht worden, das einen Ausweg bot und aufdas sich <strong>der</strong> <strong>Verband</strong>stag des DBwV nun festlegte. Laut Protokoll <strong>der</strong> dem <strong>Verband</strong>stagfolgenden 5. Bundesvorstandssitzung rechnete man damit, daß <strong>der</strong> VBSzunächst bis etwa 1993 weiterbestehen würde. <strong>Der</strong> DBwV würde seinen Organisationsbereichnach dem 3.Oktober auf das Beitrittsgebiet ausdehnen und dieSoldaten <strong>der</strong> Bundeswehr einschließlich <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> NVA übernommenen organisieren.Er würde „keine aktive Mitglie<strong>der</strong>werbung bei den ehemaligen Soldaten/Reservisten <strong>der</strong> NVA, die nicht übernommen wurden“, betreiben, Beitritten jedochoffen stehen. <strong>Der</strong> VBS würde seine freundschaftliche Kooperation mit dem DBwVfortsetzen.Drei Wochen später war auch dieses Modell zumindest in seinen Zeithorizontenüberholt. Ein Son<strong>der</strong>verbandstag des VBS am 29.September entschied, demVereinigungsgesetz folgend die Auflösung des <strong>Verband</strong>es auf den 31.Oktober 1990zu datieren. Die Übernahme in den Bundeswehrverband stand nunmehr allenMitglie<strong>der</strong>n durch individuelle Beitrittserklärung offen. Ab 01. November begann dieUmbildung <strong>der</strong> Kameradschaften in solche des DBwV mit Neuwahlen auf <strong>der</strong> Basisdessen Satzung. Bis zum 31.Oktober wurden 3 Mitglie<strong>der</strong> des Hauptvorstandes desVBS zur Wahrnehmung <strong>der</strong> Interessen des <strong>Verband</strong>es in den Bundesvorstand des


DBwV kooptiert und ein Arbeitsausschuß mit <strong>der</strong> Abwicklung des <strong>Verband</strong>es beauftragt.„<strong>Der</strong> <strong>Verband</strong> war keine Episode“, erklärte sein Vorsitzen<strong>der</strong>, Oberst Dr. Nickel, aufdiesem Son<strong>der</strong>verbandstag. „Er war eine objektiv notwendige Voraussetzung für dieSchaffung einer einheitlichen und starken Interessenvertretung für die Aktiven,Ehemaligen, Hinterbliebenen, Familienangehörigen <strong>der</strong> Soldaten in einem vereintenDeutschland, im Deutschen Bundeswehrverband.“ Und er erläuterte noch einmal dieSpielregeln <strong>der</strong> Interessenvertretung in einer parlamentarischen Demokratie – nur einstarker <strong>Verband</strong> könne etwas durchsetzen. Ihn durch eine Vielzahl von Mitglie<strong>der</strong>naus dem VBS zu stärken, sei nun die Aufgabe.Von den ehemals 46 000 Mitglie<strong>der</strong>n des VBS traten in den folgenden Wochen rund12 000 dem Deutschen Bundeswehrverband bei, in <strong>der</strong> Mehrheit nunmehr „Ehemalige“.Das war nicht das, was <strong>der</strong> DBwV erhoffte – er wollte vor allem aktivdienende Soldaten. Allerdings waren die Kameradschaften Ehemalige anfangs wohldie eigentliche Grundlage <strong>der</strong> Existenz und Arbeitsfähigkeit des LandesverbandesOst des DBwV. Es war aber auch nicht das, was <strong>der</strong> Hauptvorstand des VBSanstrebte, denn nur etwa jedes vierte VBS-Mitglied folgte dessen Intentionen. DieFrage nach den Ursachen führt zu einer vielschichtigen Gemengelage individuellerEnttäuschungen und bestätigter Vorurteile, in die sich Vertrauensverlust, Ohnmachtsgefühlund Resignation einerseits und <strong>der</strong> Wille, eigene, unabhängige Wegezu gehen, an<strong>der</strong>seits mischten.Eine Nachbetrachtung<strong>Der</strong> <strong>Verband</strong> war – entgegen <strong>der</strong> Auffassung seines Vorsitzenden – allenfalls durchseine bloße Existenz objektive Voraussetzung für eine starke Interessenvertretunginnerhalb des DBwV. Von seinen Zielen her wollte er eben dies nicht, und die langeZeit andauernden Diskussionen um Selbständigkeit o<strong>der</strong> Beitritt bestätigen dasnachdrücklich. Und er blieb, ebenso wie die staatliche Form <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> nach dem18.März 1990, natürlich eine Episode, nicht mehr. Das schmälert seine Verdienstenicht. Er war die erste demokratische Organisation in sozialistischen Streitkräften,ein Akt <strong>der</strong> Selbstbefreiung seiner Mitglie<strong>der</strong> aus jahrzehntelanger Bevormundung,für jeden von ihnen ein wichtiger Schritt zum mündigen „Staatsbürger in Uniform“.Auch in den Monaten hektischer politischer Betriebsamkeit, die dem 03.Oktober 1990vorausgingen, war er bemüht, die Interessen seiner Mitglie<strong>der</strong> zu formulieren, einzubringenund durchzusetzen.Aber <strong>der</strong> <strong>Verband</strong> war überfor<strong>der</strong>t. Für eine noch in <strong>der</strong> Konsolidierung stehendeInteressenvertretung liefen die Ereignisse zu rasch ab; vor allem aber folgten sieeinem Drehbuch, in das <strong>der</strong> VBS keinen Einblick hatte und das ihm bis zum Schlußverborgen blieb o<strong>der</strong> präziser – ihm verborgen wurde. Nichts belegt das mehr als dieFor<strong>der</strong>ung nach besserer Zusammenarbeit zwischen politischer und militärischerFührung <strong>der</strong> NVA. Wenn es sie nicht gab, war das wohl nicht zufällig. Und daß essie nicht gab, lag kaum an <strong>der</strong> militärischen Führung.Gesteht man <strong>der</strong> politischen Führung <strong>der</strong> NVA ehrliche Absichten und guten Willenzu, dann mußte auch sie ganz einfach als überfor<strong>der</strong>t gelten. In jedem Fall hatte sieniemals ein tragfähiges eigenes Konzept für eine Zukunft <strong>der</strong> NVA. Konzepte wurdenan<strong>der</strong>swo entwickelt. Es bleibt zu fragen, welches Verhältnis Minister Eppelmann undseine Staatssekretäre zu <strong>der</strong> ihnen anvertrauten Armee hatten. Vermutlich blieb sieihnen trotz aller internen Reformbemühungen und <strong>der</strong> spätestens seit <strong>der</strong> Episode


<strong>der</strong> „Runden Tische“ erfolgten Öffnung nach außen fremd - und suspekt. Suspektsowohl im Hinblick auf die rasche Anbie<strong>der</strong>ung einiger als auch auf die „Parteiherkunft“aller <strong>Berufssoldaten</strong>, vor allem aber wegen des Potentials zur Störung„ihres“ Weges zur Einheit – des bedingungslosen Beitritts. An<strong>der</strong>s: das warenletztlich Zweifel an <strong>der</strong> Loyalität <strong>der</strong> Armee, auch nach <strong>der</strong> neuerlichen problemlosenVereidigung – o<strong>der</strong> gerade weil sie so problemlos verlief? Ein Selbstverständnis alsVolksarmee jedenfalls erkannte ihr niemand zu – we<strong>der</strong> vor noch nach dem03.Oktober. (7)So ist die kurze Geschichte des <strong>Verband</strong>es Teil <strong>der</strong> Geschichte einer „Wende“, diekeine war. Die <strong>DDR</strong> hatte sich nicht „gewendet“; sie war noch dabei, und sie endete,bevor sie dies wirklich konnte – wenn sie es denn hätte tun können. Sie trat nichtaufrecht in eine deutsche Wie<strong>der</strong>vereinigung, die auch ihrer Armee eine faire Chancegegeben hätte. Sie trat bei. Eine Armee aber kann nicht „beitreten“.Für den <strong>Verband</strong> <strong>der</strong> <strong>Berufssoldaten</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> gilt Ähnliches. Betrachtet manGründung und Wirken von ISOR, wäre ein Fortbestand des VBS wohl denkbargewesen. Er hätte sich dann allerdings den gleichen Anfeindungen aussetzenmüssen wie diese o<strong>der</strong> wie die PDS, und sein Einfluß wäre in den entscheidendenJahren nach 1991 wohl auch angesichts seiner Mitglie<strong>der</strong>zahl gering geblieben. Vorallem aber wäre er gering geblieben, weil er keine aktiven Soldaten, son<strong>der</strong>nausschließlich Zivilisten vertreten hätte, denen we<strong>der</strong> Dienstzeit in einer deutschenArmee noch Dienstgrad a. D. zuerkannt wurde und von denen die Mehrheit quasischon Rentner war. So blieb <strong>der</strong> Einzeleintritt, wenn auch nicht ohne innereÜberwindung <strong>der</strong> Beitretenden, in den DBwV folgerichtig. Über letzteren aber solltesich niemand beklagen. <strong>Der</strong> DBwV hat sich – auch seinerseits nicht ohne innereÜberwindung – ehrlich für seine neugewonnene Klientel eingesetzt, und er hat diesunbestritten erfolgreich getan. Auch wenn noch manches zu tun bleibt.Anmerkungen1. Es war dies das erste <strong>der</strong> Öffentlichkeit übergebene komplexe Dokument zu einerMilitärreform. Autoren waren Dr. Klaus Benjowski, Prof. Dr. BernhardGonnermann, Dr. Wolfgang Schwarz, Generalmajor Prof. Dr. Rolf Lehmann,Kapitän zur See Prof. Dr. Wolfgang Scheler und Oberst Prof. Dr. WilfriedSchreiber. Zuvor wurde bereits im Ministerium für Nationale Verteidigung einKonzept für eine Militärreform vorgelegt und diskutiert, das jedoch nichtveröffentlicht wurde.2. Informationsblatt „Militärreform in <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>“, Nr. 1/90, Seiten 2 f..3. So seine Einschätzung in einem Gespräch mit dem damaligen Bundesvorsitzendendes Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Rolf Wenzel, nach dessenWie<strong>der</strong>gabe4. Nach den Angaben von Theodor Hoffmann dienten Anfang 1990 rund 36 000Berufsoffiziere, fast 10 000 Fähnriche und knapp 16 000 Berufsunteroffiziere in<strong>der</strong> NVA. Darüber hinaus gab es infolge von Reduzierungsmaßnahmen mehr als6 000 <strong>Berufssoldaten</strong>, die außerhalb <strong>der</strong> gültigen Stellenpläne in geson<strong>der</strong>tenNachweisen geführt wurden. Siehe dazu Theodor Hoffmann: Das letzteKommando, 2.Aufl., Berlin/Bonn/Herford, 1994, S. 181.


5. Diese wie auch die nachfolgenden Ausführungen zu den Aktivitäten des VBSstützen sich auf eine Sammlung von Protokollen und an<strong>der</strong>en Unterlagen desHauptvorstandes des VBS (im Besitz <strong>der</strong> Autoren)6. Über dieses Treffen wurde in <strong>der</strong> Zeitschrift des DBwV berichtet ( siehe dazu „InNVA-Uniform nach Bonn“; in: „Die Bundeswehr“ Nr. 7/96, S.26/27). Die Vertreter<strong>der</strong> NVA blieben in diesem Beitrag lei<strong>der</strong> ungenannt: es waren GeneralleutnantLudwig, Chef Ka<strong>der</strong> und damals zugleich Leiter des InformationszentrumsMilitärreform in Strausberg, Oberst Dr.Schuster, Leiter <strong>der</strong> Grundsatzabteilungdes Hauptstabes, sowie Oberst Dr.Hartmann, damals Mitglied <strong>der</strong> KommissionMilitärreform und Leiter <strong>der</strong>en Arbeitsgruppe „Demokratische Mitbestimmung“.<strong>Der</strong> nicht genannte Autor des angeführten Beitrags stellt die Initiative zu diesemTreffen allerdings als von <strong>der</strong> NVA ausgehend dar. Das ist sachlich ebenso unrichtigwie die nachfolgende Aussage über eine DBwV-Delegation bei <strong>der</strong> Gründungskonferenzdes VBS am 20. 01. 1990 in Leipzig – eine solche Delegationgab es (noch) nicht.7. Theodor Hoffmann stellt einen Wandel in <strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong> politischen Führung <strong>der</strong>NVA zu <strong>der</strong> ihnen anvertrauten Armee im Vergleich zu ihren Standpunkten zurZeit <strong>der</strong> Runden Tische fest, <strong>der</strong> durch die westdeutschen Verhandlungspartner in<strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> NVA beeinflußt war. Vgl. TheodorHoffmann, wie Anm. 4.

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