07. - 13. März 2012 ITB Berlin - Skål International Deutschland

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24 stunden Im leBen von... Reiner Heiß, Hotel, Restaurant, Weinhaus „Bockshaut“, Darmstadt „Service macht mir Freude“ Mittwochvormittag, 10 Uhr. Wir sind verabredet. Reiner Heiß führt mich in die stimmungsvolle Apfelweinschänke. Rustikales Mobiliar, rote Deckchen auf den dunklen Holztischen, aus den zierlichen Väschen lugen echte Tulpen. Das Kännchen Kaffee für den Gast folgt sogleich, der Gastgeber trinkt Tee. Erste Frage: Wann ist er aufgestanden? Der 52-Jährige lacht, was er oft tut, und berichtet, dass er sich normalerweise zwischen neun und zehn Uhr aus den Federn begebe, aber heute wieder einmal alles anders gewesen sei. „Um sechs Uhr war die Nacht vorbei.“ Hotelgäste hatten durch Unachtsamkeit einen Alarm ausgelöst, und da der Melder in seinem Schlafzimmer steht, war er sofort hellwach. Die kleine Episode zeigt, was der Hausherr auch bestätigt: Kein Tag ist in der „Bockshaut“ wie der andere. Es kann immer etwas dazwischenkommen. Gute Selbstorganisation und bewährte Managementtechniken wie Prioritäten setzen helfen ihm, das Unternehmen trotzdem sehr erfolgreich am Laufen zu halten. Elf festangestellte Mitarbeiter und einen Auszubildenden beschäftigt die „Bockshaut“, dazu je nach Saison bis zu 15 Aushilfskräfte. 150 Plätze im Restaurant und in der Apfelweinschänke, nochmal dieselbe Zahl in den drei Banketträumen, 80 Plätze auf der lauschigen Gartenterrasse und 25 Zimmer im Drei-Sterne-Hotel sind zu bewirtschaften. Der Chef packt feste mit an: „Bis auf die Küche habe ich jeden Arbeitsplatz nur einmal besetzt, bei Urlaub und Krankheit springe ich ein.“ Reiner Heiß ist alleiniger Inhaber der „Bockshaut“, die er als eingetragener Kaufmann führt. Dass Hotel, Restaurant und seine Art der Betriebsführung ihm quasi einen 24-Stunden- 16 Skål-Journal DeutSchlanD 01-2012 Als einziges Haus in Hessen gewann die „Bockshaut“ Ende 2009 den Bundeswettbewerb „Historische Wirtshäuser in Deutschland – Tradition, Atmosphäre und gute Küche“. Zur großen Freude ihres Inhabers, des Darmstädter Skållegen und Vizepräsidenten Reiner Heiß. Denn sein Ziel ist es, „erste Adresse für deutsche Tradition und Gemütlichkeit in Darmstadt“ zu sein. Claudia Ehry verfolgte seinen Tageslauf. Die „Bockshaut“ – eine Perle der Darmstädter Gastronomie FOTO: MICHELS Stolz auf Skål FOTO: EHRY Dienst aufzwingen, macht ihm nichts aus. Die „Bockshaut“ ist sein Lebenswerk. Mit seiner Arbeit setzt er fort, was seine Vorfahren aufgebaut haben. 1918 war die Familie Heiß von Augsburg über Worms nach Darmstadt gekommen und hatte den Gastbetrieb an der Stadtkirche übernommen. Reiner Heiß wurde in der „Bockshaut“ groß, und obgleich er sich zunächst für Biologie interessierte und das Fach an der TU Darmstadt auch studierte, entschied er sich letztlich für den Familienbetrieb. 11.30 Uhr. Arbeitsbesprechung mit dem Servicepersonal. Was liegt an? Gibt es etwas Besonderes? Der Chef kann sich auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen. Den Takt gibt der im Sternzeichen Jungfrau Geborene mit vorausdenkender Planung vor. Er schätzt es, die Dinge rechtzeitig anzugehen. Küchenchef Andreas Freidel, der schon die
Freut sich über die gelungene Renovierung: Reiner Heiß beim Fassadenfest schwedische Königsfamilie und Prinz Charles bekocht hat, signalisiert grünes Licht für den bevorstehenden Mittagstisch. Die bekannt gute Küche der „Bockshaut“ ist sein Verdienst. Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch und was er sonst noch dazu braucht, bezieht er frisch von Produzenten und Händlern aus der Region. Um die Getränke kümmert sich der Hausherr selbst. Die Positionierung als Weinhaus verpflichtet. Rund 2.000 Flaschen lagern im Keller, doch die Hauptmenge ordert Heiß frisch von Winzern deutscher Anbaugebiete, darunter die so passende Lage „Bockshaut“ aus dem Rheinhessischen. Apfelwein spielt ebenfalls eine Rolle, und auch Bier darf – Weinhaus hin oder her – nicht fehlen, zumal die bayerische Familie Fürs Golfen bleibt nicht viel Zeit FOTO: PRIVAT im hessischen Darmstadt das Weißbier eingeführt hat. 12.00 Uhr. Mittagszeit. Im Restaurant nehmen die ersten Gäste Platz. Sie mögen das historische Ambiente mit den zahllosen Gemälden, Dokumenten, Porträts und Accessoires. Neugierig schweifen die Blicke über die Wände, und so verkürzt sich die Wartezeit zwischen Bestellung und Verzehr sehr angenehm. Stammgäste begrüßt der Chef persönlich und in bester Laune. „Der Service FOTO: MICHELS macht mir die meiste Freude“, bekennt der Kontaktfreudige, „weil ich dabei mit den Leuten schwätzen kann.“ 15.00 Uhr. Die letzten Mittagsgäste sind gegangen. Frühstücksmuffel Heiß hat die erste richtige Mahlzeit des Tages zu sich genommen. Jetzt ist Zeit für die Büroarbeit. Rechnungen, Personalangelegenheiten, Steuerunterlagen, Kalkulationen, Korrespondenz und all die anderen Dinge einer Betriebsführung warten darauf, erledigt zu werden. Kontinuierlich halten ihn auch Großprojekte auf Trab. Sie sind dem Alter des Anwesens geschuldet oder entspringen regem Unternehmergeist. Im vergangenen Jahr war die komplette Außenrenovierung samt moderner Beleuchtungsanlage fällig, dieses Jahr fordert der Brandschutz neue Fluchtwege, müssen die Sanitäranlagen im Personalbereich renoviert werden. Die Tage zwischen den Jahren hat Heiß genutzt, um die brachliegende Kellerbar wiederzubeleben, und auch die Pläne für das leerstehende Ladengeschäft auf seinem Grundstück sollen noch dieses Jahr verwirklicht werden. 18.00 Uhr. Start frei für das Abendgeschäft, das den Hauptumsatz bringt. Darmstädter Unternehmen schätzen die „Bockshaut“ für Kundeneinladungen, vom nahen Kongresszentrum kommen Tagungsgäste, Vereine und Burschenschaften reservieren Plätze, und auch Betriebsfeiern und Familienfeste finden hier einen stimmungsvollen Rahmen. Für Gäste aus dem Ausland, die häufig übers Internet auf das Schmuckstück aufmerksam werden, hält Heiß die Speisekarte in englischer, französischer, italienischer, spanischer und russischer Sprache bereit. Mit Vorliebe werden die hessischen Spezialitäten des Hauses bestellt wie „Odenwälder Heuwagen“, „Heinerpfännchen“ oder gar das 24 stunden Im leBen von... sechsgängige „Großherzogliche Landhausmenü“. Zum Aperitif darf es gerne ein Glas Apfelweinsekt „Ernst Ludwig“ sein. Der kunstsinnige Großherzog, auf einem Wandgemälde verewigt, soll häufiger Gast in der „Bockshaut“ gewesen sein. Der Jugendstilbildhauer Ludwig Habich und Georg-Gottfried Gervinus, einer der politischen Köpfe der bürgerlichen Revolution von 1848, sind hier sogar geboren. Lebendig lässt der Hausherr die wechselvolle Geschichte seines Besitzes aufleben, wenn die Gäste Interesse zeigen. 1580 als Pfarrhaus erbaut, richtete sich Mitte des 18. Jahrhunderts eine Gerberei darin ein, später kamen die Räume einer Polizeistation und eines Pfandleihhauses hinzu, so dass die heutige „Bockshaut“ tatsächlich aus sieben Gebäuden besteht. „Gäste bewirten wir seit mehr als zweihundert Jahren“, lässt Heiß wissen. 23.00 Uhr. Offizieller Betriebsschluss. Wenn das Geschäft gut läuft, darf es auch später werden. Haben sich die Gäste verabschiedet, wird aufgeräumt, geputzt und fürs Frühstück eingedeckt. Vor Mitternacht kommt der Chef nicht zur Ruhe. 2.00 Uhr. Für Reiner Heiß eine übliche Zeit, schlafen zu gehen. So spät wird es auch, wenn er den Abend mal nicht im Betrieb verbracht hat. Denn dann nahmen ihn vermutlich seine zahlreichen Ehrenämter und gesellschaftlichen Engagements in Beschlag. Außer als Vizepräsident bei Skål Darmstadt-Südhessen ist er Vorstandsmitglied bei den Dehoga-Verbänden Darmstadt-Dieburg und Südhessen und Mitglied des Dehoga-Unterausschusses „Darmstadt à la carte“, er gehört der IHK-Vollversammlung und dem IHK-Tourismusausschuss an und ist außerdem Mitglied in verschiedenen Vereinen von der Liedertafel bis zum Freundeskreis Schlossmuseum. Nur im knapp bemessenen Urlaub kommt der Vater zweier erwachsener Kinder dazu, seine Hobbys Golf und Motorradfahren zu pflegen. Maximal vier Wochen Auszeit gönnt er sich im Jahr, portionsweise auf die schwachen Saisonzeiten verteilt. Pläne für 2012? Hat er: an der spanischen Costa Brava das Handicap verbessern und mit der 86er California II von Moto Guzzi durch Schottland und Südfrankreich touren. Davon mag er dem neuen Tag entgegenträumen, der ihn hoffentlich nicht mit einem Alarm, sondern mit seinem Lieblingsmorgensender Radio Harmony begrüßt. Skål-Journal DeutSchlanD 01-2012 17
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