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Foto: Philipp Wente<br />

kolumne:<br />

Der Ruhrgebietler<br />

Zwischen Nordrhein<br />

und Westfalen<br />

Ja, was isser denn jetzt eigentlich,<br />

der Ruhrgebietler? Isser Nordrheiner?<br />

Isser Westfale? Oder was<br />

isser?<br />

Nach der Antwort müssen wir nicht<br />

lange suchen. Der Ruhrgebietler ist<br />

nämlich ein Suchender. Und wonach<br />

sucht er? Jedenfalls nicht<br />

nach seiner Identität. Für sowas<br />

hat er keine Zeit. Er ist nämlich unterwegs.<br />

Nach Hause.<br />

Zu sich. Weit<br />

weg ist<br />

er nicht<br />

von Zuhause,<br />

er befi ndet sich bereits im<br />

Ruhrgebiet, ist also, wie er selbst<br />

sagt, „hier inne Nähe, quasi<br />

umme Ecke“. Trotzdem ist es ungewiss,<br />

wann er sein Zuhause erreicht.<br />

Als Ruhrgebietler im Ruhrgebiet<br />

unterwegs zu sich nach Hause z u<br />

sein, heißt nämlich in 95 von<br />

100 Fällen, dass man gerade<br />

im Auto sitzt. Das Auto aber<br />

steht. Und zwar auf der Bundesstraße<br />

1, der B1. Je nach- dem,<br />

wo man gerade auf der B1 steht,<br />

heißt sie auch A40. Die variierende<br />

Bezeichnung ist für den Ruhrgebietler<br />

aber von untergeordneter Bedeutung.<br />

B1 und A40 sind für ihn nur zwei verschiedene<br />

Namen für denselben Zustand:<br />

Das Ziel ist der Weg nach Hause.<br />

4 <strong>stadt</strong><strong>blatt</strong>: 1 | 2008 Februar - März<br />

Fritz Eckenga Statt Blumen<br />

Die naheliegende Schlussfolgerung, der<br />

Ruhrgebietler sei eigentlich nie zu Hause, ist<br />

deswegen falsch. Wenn er, wo auch immer,<br />

auf der B1 steht, ist er im Gegenteil ganz bei<br />

sich. Er ruhrt sozusagen in sich selbst. Er ist<br />

unterwegs, aber er steht. Er befi ndet sich<br />

auf einer Reise, weiß aber, dass diese Reise<br />

nicht zwangsläufi g aus einer körperlichen<br />

Bewegung bestehen muss. Er weiß deswegen<br />

auch, dass das „Zuhause“ ein Zufallsort<br />

ist. Immer und gleichzeitig auf dem Weg zu<br />

sich nach Hause hier ganz inne Nähe, praktisch<br />

umme Ecke, und trotzdem schon angekommen<br />

zu sein – ein solch transzendenter<br />

Zustand wird ansonsten nur von ganz ausgeschlafenen<br />

tibetanischen Mönchen nach<br />

Jahrzehnten knüppelharter, meditativer Maloche<br />

erreicht.<br />

Ist der Ruhrgebietler also der Buddhist<br />

unter den Nordrhein-Westfalen? Kann man<br />

so sagen. Er hat sein Mantra gefunden.<br />

„Kommsse heut‘ nicht, kommsse morgen“<br />

ist nicht von ungefähr der wahrscheinlich<br />

erste Satz, den man von ihm hören wird,<br />

wenn man ihn mal außerhalb<br />

seines Fahrzeuges jenseits<br />

der B1 antrifft. Die diesem<br />

Ausspruch innewohnende<br />

Weisheit ist nicht in Volkshochschulkursen<br />

angelernte Streßbewältigungstechnik,<br />

nicht Yoga<br />

für jedermann, sie ist im ganz engen<br />

Wortsinn „auf der Straße“ erworben<br />

worden. In 95 von 100 Fällen auf der B1. In<br />

den anderen fünf Fällen auf den Ausweichstrecken,<br />

also auf der A1, der A2, der A42,<br />

der A43 oder auf der A45.<br />

Irgendwo im Ruhrgebiet<br />

jedenfalls.<br />

Hier umme Ecke.<br />

Also inner Nähe von<br />

Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, Essen,<br />

Mülheim, Duisburg, Oberhausen, Bottrop,<br />

Gladbeck, Dorsten, Marl, Herten, Recklinghausen,<br />

Castrop-Rauxel, Lünen, Werne,<br />

Hamm, Kamen, Unna, Schwerte, Hagen,<br />

Hattingen – oder in einem der zahlreichen<br />

Vororte dieser Orte.<br />

� www.eckenga.de

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