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Die Wirtschaft August 2015

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&LEBEN 29<br />

ter aus der alten Zeit<br />

ine Herausforderung für einen Uhrmacher –und sie lassen Herzen begeisterter Sammler<br />

s Raesfeld bringt Andreas Hidding alten Zeitmessern wieder den richtigen Takt bei.<br />

Geschichtenerzähler: Der Kommandant hat diese Beoachtungsuhr von Bord gerettet, bevor er auf Geheiß der Nazis vor Kriegsende sein U-Boot versenken musste.<br />

Fotos (3): Maike Harhues<br />

kommen, einen Tresor in ihrem durch Alarmanlagen<br />

gesicherten Zuhause, um die Schätze häufiger<br />

in die Hand zu nehmen und genießen zu<br />

können.<br />

Welcher Zeitmesser in wessen Sammlung der<br />

Nächstrichtige ist, das hat Hidding meist schon<br />

im Hinterkopf, wenn ihm ein Sammlerstück angeboten<br />

wird oder er in die Schweiz zu Auktionen<br />

vonSotheby´s reist. Sein Spezialgebiet sind<br />

Taschenuhren, die etwa 70Prozent des Umsatzes<br />

ausmachen, die restlichen 30 Prozent verdient<br />

er mit klassischen mechanischen Armbanduhren.<br />

Hier schlägt sein Herz wiederum für<br />

Langeund Söhne, Glashütte, Omega, PatekPhilippe<br />

und Longines. „Zwar bieten wir auch einige<br />

Stückeüber das Internet an, aber die meisten Uhren<br />

verkaufe ich hier im Geschäft am Schloss“,<br />

bilanziert der Handwerksmeister. ImGegensatz<br />

zum münsterischen Prinzipalmarkt (den Hidding<br />

als langjähriger Angestellter von Oeding-<br />

Erdel gut kennt) eigentlich eine 3b-Lage –beschert<br />

der Standort als Touristenmagnet eher der<br />

benachbarten Gastronomie Laufkundschaft.<br />

Aber die würde manchmal auch nur stören im<br />

gediegenen Ladenlokal zwischen astronomischer<br />

Wanduhr und zahlreichen Stand- und<br />

Tischuhren: „Für die Verkaufsgespräche nehme<br />

ich mir viel Zeit, die Kunden schätzen dabei die<br />

ruhigeAtmosphäre, undeswärenicht unbedingt<br />

dienlich, wenn andauernd jemand hereinkäme,<br />

der ein neues Uhrarmband oder Ähnliches<br />

möchte“, erläutert Hidding Vorzüge seines Geschäftsstandortes.<br />

Den er 2003 fand und der zum Glück ausbaufähig<br />

war: Unter dem Dach hat der Raesfelder für<br />

sich und seinen Mitarbeiter, ebenfalls Uhrmacher,<br />

eine Werkstatt eingerichtet; und er hat<br />

in zahlreichen, breiten Schubladen seine praktisch<br />

unbezahlbaren Schätze akribisch geordnet:<br />

„Über Jahrehabe ich die Werkstattnachlässe von<br />

Kollegen, die aufgegeben haben oder in Rente<br />

gegangen sind, aufgekauft –viele Originalteile,<br />

Ziffernblätter,angelaufene Zeiger,massiveNeusilberplatinen,<br />

Kronräder und, und, und“, schildert<br />

der Meister. Mit seinem eigenen Zeitmanagement<br />

hadert der Herr über die Zeitmesser<br />

allerdings mitunter. Denn es fehlte ihm bisher<br />

ein Puffer von Arbeitstagen für sein Wanduhr-<br />

Prunkstück im Laden –eine astronomische Uhr<br />

aus dem 19. Jahrhundert aus Portugal: „Dafür<br />

muss ich drei Wochen einplanen, deshalb schiebe<br />

ich das Projekt etwas vor mir her“, gesteht<br />

Hidding. Obwohl ein Kunde sein Herz bereits an<br />

den Hingucker in der Freiheit verloren hat und<br />

bereit ist, dafür den Preis eines mittleren Kleinwagens<br />

hinzublättern. Aber dann dürfen weder<br />

Tierkreiszeichen, Mondphasen, Zeitzonen,<br />

Schaltjahre, Wochentagsanzeige noch das Vollkalendarium<br />

einen Tacken mehr aus dem richtigen<br />

Takt geraten.<br />

Maike Harhues<br />

FAKTEN UND ZAHLEN<br />

<strong>Die</strong> Zunft schrumpft rapide: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Uhrmacherbetriebe<br />

im Münsterland fast halbiert, von 163 im Jahr 1994 auf aktuell 87. Uhrmachermeister<br />

wie Gesellen werden händeringend gesucht –laut Handwerkskammer Münster kann ein Bewerber<br />

zwischen fünf freien Stellen wählen. Allerdings bilden aktuell nur vier Betriebe im gesamten<br />

Münsterland überhaupt jeweils einen Lehrling aus, für das Ausbildungsjahr <strong>2015</strong> ist<br />

kein einziger neuer Lehrvertrag imUhrmachergewerbe des Münsterlandes geschlossen worden.<br />

„<strong>Die</strong> Ausbildung ist für den Lehrbetrieb sehr aufwendig“, weiß Reinhold Flüthe, der immer<br />

einen Lehrling in seinen Betrieb integriert hat, aus eigener Erfahrung. Bis der Auszubildende<br />

wirklich vollwertig mitarbeiten könne, bräuchte ersehr viel Input durch den Meister.<br />

Zudem sei nicht nur die Armbanduhr Schwerpunkt des Lehrplans, sondern auch die Großuhr.<br />

„Das macht Dreck, da fliegen Metallspäne, das ist nicht unbedingt förderlich, wenn ich als Juwelier<br />

im Nebenraum ein Brillantcollier verkaufen will“, veranschaulicht der Telgter.<br />

<strong>Die</strong>nstleister im<br />

Sommerpalast des Zaren<br />

Fachkreis Historische Uhren Schloss Raesfeld betreut weltweit wertvollste Uhren<br />

<strong>Die</strong> Lieblingsuhr Katharinas<br />

der Großen hat er in St.Petersburg<br />

wieder zum<br />

Ticken gebracht: „Da<br />

weiß man wirklich,<br />

weshalb man morgens aufgestanden<br />

ist“, gesteht Reinhold Flüthe<br />

voller Inbrunst. Der Telgter Uhrmachermeister<br />

ist eines von 49<br />

Mitgliedern aus ganz Deutschland<br />

des Fachkreises Historische<br />

Uhren Schloss Raesfeld.<br />

1996 vonAndreas Hidding mitbegründet<br />

aus einer Zertifikats-Seminarreihe<br />

am Europäischen<br />

Zentrum für Denkmalpflege,<br />

macht sich der Verein stark<br />

für Wahrung, Austausch und Weitergabe<br />

von Kenntnissen und Arbeitstechniken<br />

im Uhrmacherhandwerk.<br />

Zudem strecken die Uhrenspezialisten<br />

ihre ehrenamtlichen Fühler in Sachen<br />

Uhrenrestauration weltweit aus: Seit<br />

2001 reist eine Gruppe von sechs Uhrmachern<br />

aus dem Fachkreis<br />

einmal jährlich<br />

für 14 Tage,<br />

und oft in wechselnder Besetzung, auf<br />

eigene Kosten nach St. Petersburg, um<br />

unentgeltlich die Museumsuhren das Peterhofes<br />

zu überholen und zu reparieren.<br />

Und sogar im Palastmuseum des Maharadschas<br />

von Jodhpur in Indien haben<br />

Mitglieder der Gruppe 2011 und 2012<br />

ehrenamtlich wertvolle Zeitmesser auf<br />

Vordermann gebracht.<br />

Um mehr Liebhaber für historische Uhren<br />

zubegeistern, aber auch die Werbetrommel<br />

für den Uhrmacherberuf zu<br />

rühren, veranstaltet der Fachkreis am<br />

26. und 27. September <strong>2015</strong> eine Messe<br />

im Max-Born-Berufskolleg in Recklinghausen.<br />

ma<br />

Feuervergoldetes Glanzstück im Peterhof: Reinhold Flüthe hat die<br />

Lieblingsuhr Katharinas der Großen restauriert und stellt sie zurück<br />

ins Schlosskabinett.

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