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Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz<br />

AUS<br />

KATASTROPHEN<br />

LERNEN<br />

Honduras – bereit<br />

für den nächsten Sturm<br />

Libanon<br />

Farbstifte gegen<br />

Kriegstrauma<br />

Schweiz<br />

Arbeit und Gesundheit<br />

mit «Visite»<br />

Nr. 295 · 1/07


Forum<br />

24.02.2007<br />

Renzo für HEKS<br />

in Ennenda<br />

Der Mister Schweiz 2005 sprach<br />

[in Ennenda/GL] nachdenklich<br />

und doch hoffnungsvoll über die<br />

Situation von moldawischen<br />

Bauern.<br />

«Die Situation in Moldawien hat mir<br />

die Augen geöffnet und ist mir sehr eingefahren.»<br />

[…] Renzo Blumenthal, der das<br />

Projekt zunächst skeptisch beurteilte<br />

(«Zuerst müssen wir schauen, dass es den<br />

Schweizer Bauern besser geht»), steht<br />

heute voll und ganz dahinter: «Es ist ein<br />

Funken Hoffnung für ein Land, das jetzt<br />

Unterstützung braucht.» Für den Sommer<br />

hat er moldawische Bauern zu sich auf<br />

den Hof ins Bündnerland eingeladen.<br />

02.02.2007<br />

Prima Donna geht<br />

aufs Land<br />

Es ist eine unwirtliche Medienkonferenz,<br />

welche das HEKS und der Verein<br />

Impressum Nr. 295 · 1 / März 2007<br />

HANDELN. Magazin von HEKS, Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz. Erscheint 4-mal jährlich. Auflage 74 000 Redaktions -<br />

leitung: Hansjörg Bolliger (bol) Redaktion: Markus Züger (zue) Bildredaktion: Ruedi Lüscher (rl) Korrektorat: Erika Reist, Erlenbach<br />

Gestaltung: Alex Demarmels, Zürich Druck: Kyburz AG, Dielsdorf. Papier: alsaprint matt, 100 % Recycling Abonnement: Fr. 10.–/Jahr,<br />

wird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen Adresse: HEKS, Stampfenbachstr. 123, Postfach 332, 8035 Zürich, Telefon 044 360 88 00,<br />

Fax 044 360 88 01, E-Mail: info@heks.ch, Internet: www.heks.ch, bzw. www.eper.ch HEKS-Spendenkonto: Hilfswerk der Evangelischen<br />

Kirchen Schweiz, PC 80-1115-1 Mitarbeitende dieser Nummer: Delf Bucher, Pieder Casura, Maya Doetzkies, Regine Elsener,<br />

Rifat Eshrefi, Manuel Etter, Daniel Gassmann, Alexandra György, Sabina Handschin, Tildy Hanhart, Maya Krell, Alan Meier, Irene Rodriguez,<br />

Franz Schüle, Monika Zwimpfer<br />

2 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

Subita im Nieselregen in der Steinberggasse<br />

in Winterthur abhalten. […] Subita<br />

hat das Projekt Prima Donna, das sich an<br />

im Sexgewerbe arbeitende Frauen richtet,<br />

an HEKS abgegeben. […]<br />

Rund 65 000 Franken stehen Prima<br />

Donna jährlich zur Verfügung. Das Geld<br />

aufzutreiben sei schwierig, sagt Subita-<br />

Präsident Joachim Stucki. Und: «Das Musikgehör<br />

des Kantons ist in diesem Bereich<br />

mangelhaft.» Am Ende seien es meistens<br />

die Landeskirchen, die in die Bresche<br />

springen, sagt HEKS-Regionalleiterin<br />

Verena Kocher. […]<br />

Mit ihrer Arbeit versucht die Organisation,<br />

eine Vertrauensbasis aufzubauen,<br />

die Frauen über Gesundheitsrisiken aufzuklären<br />

und ihnen eine Perspektive zu geben.<br />

«Diese Perspektive kann der Ausstieg<br />

aus dem Sexgewerbe sein», sagt Kocher. […]<br />

Basteln für HEKS<br />

Die Fünftklässler des Schulhauses Iberg in Winterthur haben im Fach «Biblische<br />

Geschichte» auf Weihnachten Kärtchen gebastelt. Über die Festtage hat jedes Kind in<br />

seinem Familien- und Verwandtschaftskreis diese verkauft. So haben die Schülerinnen<br />

und Schüler 500 Franken gesammelt, die sie HEKS gespendet haben. Dafür danken<br />

wir den Fünftklässlern und ihren Familien.<br />

Wiisstanner Fazenet t l i<br />

Fazenettli sagen die älteren Bewohnerinnen und Bewohner im Weisstannental einem<br />

grossen Nastuch. 300 Menschen leben noch in diesem Bergtal im Sarganserland. Um<br />

der weiteren Abwanderung zu trotzen, haben sie verschiedene Selbsthilfeprojekte gestartet.<br />

So produzieren die Menschen im Weisstannental seit zehn Jahren ganz be -<br />

sondere Geschenke – das «Wiisstanner Fazenettli». Sorgfältig legen sie einheimische<br />

Spezialitäten auf die grossen Fazenettli, die sie zu köstlichen Geschenkpaketen<br />

schnüren und je nach Inhalt zu einem Preis zwischen 48 und 128 Franken verkaufen.<br />

Das Besondere daran: Die Tücher für das «Wiisstanner Fazenettli» stammen aus einem<br />

HEKS-Projekt in Indien und werden zu einem fairen Preis eingekauft. Insgesamt<br />

56 Familien aus dem Bundesstaat Andhra Pradesh stellen die Fazenettli her. Schon<br />

einige tausend Tücher kamen von Indien über den Ozean ins Weisstannental. So hat<br />

sich im kleinsten Rahmen und doch über eine riesige Distanz eine fruchtbare Zu -<br />

sammenarbeit entwickelt, die auf beiden Seiten Gutes bewirkt.<br />

Wollen auch Sie vielleicht ein «Wiisstanner Fazenettli» verschenken? Informationen und<br />

Bestellungen unter www.weiss tannental.ch; E-Mail fazenettli@weisstannental.ch;<br />

Tel. und Fax 081 723 48 65


Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Ich schreibe mein Editorial aus Äthiopien, aufgewühlt nach Besuchen bei Partner -<br />

organisationen und ihren Projekten. Einer der besuchten Orte heißt Kuer-geng,<br />

ganz im Westen des Landes im Regionalstaat Gambella gelegen, nahe an der Grenze<br />

<strong>zum</strong> Sudan. In der verschlafenen Siedlung am Rand der Savanne treffen wir in der<br />

Mittagshitze Frauen und Männer aus unserem Programm mit der Organisation<br />

ACORD: Ausgebildete Barfuss-Veterinäre, traditionelle Hebammen und Frauen<br />

der genossenschaftlichen Spar- und Kreditkasse. Für mich überraschend ergreifen<br />

an der Versammlung zuerst Frauen das Wort:<br />

Nyagou: «Früher waren wir unwissend, jetzt haben wir dank den Krediten eine<br />

Geiss oder eine Kuh, verdienen etwas und können die Kinder zur Schule schicken.»<br />

Nyakori ergänzt: «Wir sind die ersten weiblichen Veterinär-Hilfskräfte des Landes<br />

und sind stolz, dass unsere Herden gesund sind. Die Lücke zwischen<br />

Männern und Frauen hat sich geschlossen.»<br />

Mary, die dank einem Kredit einen kleinen Laden betreiben kann,<br />

bringt den neu erreichten Status auf den Punkt: «Jetzt spricht mich mein<br />

Mann sogar mit Mutter, mit dem Ehrentitel, an. Ich habe Verdienst und<br />

Respekt gewonnen.»<br />

Alles Zeichen der gewonnenen Würde. Wir finden sie auch beim<br />

Besuch der neuen Gemeinschaftsgärten in verschiedenen Dörfern.<br />

Frauengruppen der evangelischen Mekane Yesus Kirche haben sie nach<br />

einer Schulung im Hauptort Gambella angelegt. Die Mehrzahl der<br />

Frauen sind Witwen; sie hoffen auf ein Zusatzeinkommen und finden<br />

zugleich etwas Gemeinschaft unter Schicksalsgenossinnen.<br />

Gambella ist eine vergessene Region in einem der ärmsten Länder<br />

Afrikas. Immer wieder aufbrechende Konflikte zwischen den saisonal<br />

migrierenden und den sesshaften Ethnien prägen die Provinz. Aus dem<br />

benachbarten Sudan finden gewaltsame Übergriffe statt und Flüchtlinge<br />

drängen nach Gambella. Hunger, Krankheiten und eine erschreckende<br />

Kindersterblichkeit gehören <strong>zum</strong> Alltag. Die scheinbar<br />

kleinen Schritte in den Projekten sind für die Familien und die Dorf gemeinschaften<br />

wichtig. Sie werden durch Dialog- und Friedensprojekte gestützt.<br />

Ortswechsel: In Borana, dem Süden Äthiopiens, hat die Dürre des letzten Jahres<br />

ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen haben grosse Teile ihrer Viehbestände und<br />

damit ihre Lebensgrundlage verloren. Mit der einheimischen Organisation OSHO<br />

kann HEKS in Zusammenarbeit mit der Glückskette traditionelle Brunnen, die<br />

jahrzehntelang nicht mehr benutzt worden sind, freilegen und befestigen lassen.<br />

So kommen die Dorfgemeinschaften zu Brunnen mit Frischwasser. Sie können das<br />

Vieh tränken, vielleicht Gemüse ziehen und sind gegen die periodisch auftretenden<br />

Dürren besser gerüstet. Die beteiligten Männer und Frauen erhalten für ihre Arbeit eine<br />

kleine Entlöhnung, mit der Lebensmittel eingekauft werden. Das schreibt sich alles<br />

leicht; in der Realität ist die Handarbeit in den bis zu vierzig Meter tiefen Brunnen<br />

schwer und gefährlich: Die Kübel mit dem Aushub werden von Mann zu Mann im<br />

Brunnen hochgereicht und oben durch die Frauen weggebracht.<br />

Die Unterstützung durch HEKS ist für die Partner und die betroffenen Menschen<br />

wichtig. Die Hauptarbeit wird aber durch die Beteiligten selber erbracht. Wenn uns<br />

bei Besuchen für die Unterstützung gedankt wird, kann ich auf die vielen Spendenden<br />

in der Schweiz hinweisen. Ich gebe Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, den Dank<br />

gerne weiter.<br />

Franz Schüle, Zentralsekretär<br />

Im Überblick<br />

Brennpunkt<br />

Honduras:<br />

Weg von der Strasse 4<br />

Sri Lanka:<br />

Erfolgreicher Wiederaufbau 4<br />

Philippinen:<br />

Nothilfe nach Taifun Durian 5<br />

Libanon:<br />

Mit Farbstiften gegen das Kriegstrauma 6<br />

Indien:<br />

Unterschrift statt Fingerabdruck 8<br />

Niger:<br />

Gemüsegärten gegen die Hungerspirale 8<br />

AUS<br />

KATASTROPHEN<br />

LERNEN<br />

Thema 9<br />

Honduras:<br />

Bereit sein für den nächsten Sturm 10<br />

Humanitäre Hilfe<br />

Wissen, was Not tut 13<br />

Persönlich<br />

Leticia Flores, Honduras 14<br />

Vor Ort<br />

Glücklich ist, wer Arbeit hat 15<br />

Magazin<br />

Friedens- und Versöhnungsarbeit 16<br />

19. HEKS-Osteuropa-Tag 17<br />

Valentin Prélaz 18<br />

Notabene 20<br />

Titelfoto: Kurt Kestenholz<br />

Indien<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 3


Brennpunkt<br />

Patenschaft Honduras<br />

WEG VON<br />

DER STRASSE<br />

Strassenkinder und Jugendbanden gehören in der honduranischen Hauptstadt<br />

Tegucigalpa <strong>zum</strong> Alltag. Die Armut zwingt viele Kinder und Jugendliche, ent -<br />

weder <strong>zum</strong> Familieneinkommen beizutragen oder sich alleine durchzuschlagen. In<br />

ihrer Not treten viele Strassenkinder Jugendbanden bei oder beginnen, Drogen zu<br />

nehmen. Weit verbreitet ist das Schnüffeln von Klebstoff, einer gefährlichen Einstiegsdroge.<br />

Die Casa Alianza, ein Zentrum für Strassenkinder, liegt mitten in Tegucigalpa.<br />

Die achtzehnjährige Karla Yadira Padilla Gómez kam 2004 <strong>zum</strong> ersten Mal hierher.<br />

Zu Hause wurde sie misshandelt, sie wurde von ihrer Mutter zur Prostitution gezwungen<br />

und musste das Geld abgeben. Sie lief mehrmals von zu Hause weg, lebte<br />

auf der Strasse, bis sie in die Casa Alianza kam. Heute ist sie wieder bei ihrer Mutter<br />

und nimmt an einem Reintegrationsprogramm für Familien teil. In der Casa Alianza<br />

konnte sie die Schule abschliessen, nun möchte sie an die Universität gehen und Anwältin<br />

werden.<br />

In der Casa Alianza leben die Kinder und Jugendlichen wie in einer Grossfamilie.<br />

Sie essen zusammen, besorgen den Haushalt und besuchen die öffentliche Schule<br />

oder machen eine Lehre. Dazu gehören auch Einzel- oder Gruppentherapien, in<br />

denen sie ihr Selbstbewusstsein stärken können. HEKS unterstützt das Zentrum<br />

2007 mit 40 000 Franken. (Markus Züger)<br />

Weitere Informationen und den Anmeldetalon für eine Patenschaft<br />

finden Sie auf dem Umschlagblatt dieses Magazins.<br />

Karla fand Hilfe in der Casa Alianza. (Foto: Alan Meier)<br />

4 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

Sri Lanka<br />

Erfolgreicher<br />

Wieder aufbau<br />

nach dem<br />

See beben<br />

Das Wiederaufbauprogramm «Ca s h<br />

for Repair and Reconstruction»<br />

wird von HEKS in diesem Frühjahr<br />

abgeschlossen. Andreas Sicks,<br />

HEKS-Nothilfebeauftragter für<br />

Südostasien, zieht eine positive<br />

Bilanz: «Es ist das effizienteste<br />

und erfolgreichste Wiederaufbauprojekt<br />

in Sri Lanka nach dem<br />

Seebeben.» In Zusammenarbeit<br />

mit Bund (DEZA) und Glückskette<br />

wurde im Distrikt Matara an der<br />

Südküste des Landes Hilfe in der<br />

Höhe von 10,75 Millionen Franken<br />

geleistet. Mehr als 6000 zerstörte<br />

oder beschädigte Häuser<br />

wurden wieder aufgebaut und repariert.<br />

30 000 Menschen haben<br />

wieder ein Dach über dem Kopf.<br />

Für die Bauarbeiten waren die<br />

Familien weitgehend selbst verantwortlich:<br />

Eigeninitiative und<br />

Nachbarschaftshilfe wurden gross -<br />

geschrieben.<br />

Aufgrund der Grösse des Projekts<br />

wurde – eine operative Neuerung<br />

– die Verwendung der Spendengelder<br />

durch die Prüfungsgesellschaft<br />

PricewaterhouseCoopers<br />

kontrolliert und das gesamte Projekt<br />

vor Abschluss extern und unabhängig<br />

evaluiert, um nötigenfalls<br />

Anpassungen vornehmen zu<br />

können.<br />

Nach dem Seebeben in Südost -<br />

asien von Ende 2004 leistet HEKS<br />

mit Unterstützung der Glückskette<br />

in Sri Lanka, Indien und Indonesien<br />

Hilfe in der Höhe von<br />

15 Millionen Franken. (zue)


Philippinen<br />

PROJEKT<br />

ZÜRICH<br />

Neuer Geschäftsführer von HEKS<br />

Ueli Locher tritt am 1. Juli die Nachfolge<br />

von HEKS-Zentralsekretär Franz Schüle an.<br />

Locher ist mit der Hilfswerksarbeit bestens<br />

vertraut. Der 54-jährige diplomierte Psychologe<br />

arbeitete beim Hilfswerk Terre des<br />

hommes mehrere Jahre in Mauretanien,<br />

Marokko und Indien sowie für eine amerikanische<br />

NGO in Pakistan. Nach seiner Rückkehr<br />

in die Schweiz war er dreizehn Jahre<br />

Stiftungsratsmitglied des Schweizer Kinderhilfswerks.<br />

Vielfältige Führungserfahrung<br />

hat Ueli Locher in leitenden Positionen auf<br />

kommunaler, kantonaler und Bundesebene<br />

gesammelt. Er prägte die Stadtzürcher Drogenpolitik<br />

und war als Vizedirektor beim<br />

Bundesamt für Gesundheit zuständig für<br />

Drogenpolitik, Tabak-, Alkohol- und Aids -<br />

prävention. Zuletzt leitete er die Bewäh -<br />

rungs- und Vollzugsdienste des Kantons<br />

Zürich. «Der rote Faden meiner beruflichen<br />

Tätigkeit ist bis heute der Einsatz für Menschen,<br />

die aus welchen Gründen auch immer<br />

am Rande der Gesellschaft leben und die den<br />

Weg in diese zurück suchen», bringt Ueli<br />

Locher seinen bisherigen beruflichen Werdegang<br />

auf den Punkt.<br />

BERN<br />

Stellennetz für Erwerbslose<br />

Auf Anfang Jahr hat die HEKS-Regionalstelle<br />

Bern vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk<br />

SAH den Betrieb des kantonalen Programms<br />

Stellennetz übernommen. Stellennetz vermittelt<br />

Erwerbslosen befristete Arbeitseinsätze in<br />

sozialen und öffentlichen Betrieben. Die insgesamt<br />

achtzig Jahresplätze in den Regionen<br />

Berner Oberland und Oberaargau/Emmental<br />

helfen Stellensuchenden, ihre beruflichen<br />

Brennpunkt<br />

NOTHILFE NACH TAIFUN DURIAN<br />

(Foto: Pat Roque, Keystone)<br />

Die Philippinen sind 2006 von neunzehn tropischen Wirbelstürmen<br />

heimgesucht worden. Der letzte Taifun raste Mitte<br />

November über den Südostzipfel von Luzon, brachte Häuser <strong>zum</strong><br />

Einsturz, knickte Palmen, brach Telefonmasten und spülte Strassen<br />

weg. Die anhaltenden Regenfälle schwemmten Schlamm- und<br />

Geröll lawinen vom Vulkan Mayon ins Tal. Die Bilanz des Taifuns<br />

Durian: 590 Tote, 1995 Verletzte, 749 Vermisste. Mehr als zwei<br />

Millionen Menschen sind zu Schaden gekommen.<br />

HEKS hat über seine Partnerorganisationen sofort Nothilfe<br />

geleistet. Obdachlosen wurden Nahrungsmittel (Reis, Milch,<br />

Zucker, Bohnen, Büchsenfleisch), Schlafmatten, Kochtöpfe,<br />

Zahnbürsten, Moskitonetze und Taschenlampen verteilt. In den<br />

Gemeinden Malilipot und Bacacay wurde schon zwei Wochen<br />

nach der Katastrophe mit einem nachhaltigen Wiederaufbauprogramm<br />

begonnen. Wer mithilft – und das tun alle – erhält als Lohn<br />

zusätzliche Nahrungsmittel.<br />

HEKS hat 200 000 Franken für Nothilfe gesprochen, davon<br />

werden 50 000 Franken für Soforthilfe und 150 000 Franken für<br />

den Wiederaufbau verwendet. So kann rund 6000 Menschen geholfen<br />

werden. (Maya Doetzkies)<br />

Qualifikationen zu erweitern und dadurch<br />

ihre Chancen für eine Anstellung zu steigern.<br />

Die Teilnehmenden besuchen während ihrer<br />

Einsätze ergänzende Bildungs- und Trainingsmodule<br />

an den Schulungsstandorten Burgdorf<br />

und Thun. Das Stellennetz erfüllt eine<br />

staatliche Aufgabe und wird für das laufende<br />

Betriebsjahr durch das Berner Wirtschaftsamt<br />

mit 890 000 Franken finanziert.<br />

ZÜRICH<br />

HEKS tritt ACT Development bei<br />

HEKS ist neu Mitglied von ACT Development.<br />

Diese globale ökumenische Allianz koordiniert<br />

die langfristige Entwicklungszusammenarbeit<br />

ihrer Mitgliederorganisationen. Sie arbeitet<br />

eng mit der Nothilfekoordination der<br />

Schwesterallianz ACT International zusammen.<br />

Durch gemeinsame Aktionen und gemeinsames<br />

Auftreten soll ACT Development<br />

ein Pendant zu den grossen internationalen<br />

Werken wie UNICEF und Allianzen wie Caritas<br />

Internationalis bilden.<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 5


Brennpunkt<br />

Libanon<br />

MIT FARBSTIFTEN GEGEN DAS<br />

KRIEGSTRAUMA<br />

Ein kurzer, heftiger Krieg im Sommer 2006. Israel bombardierte<br />

den Süden des Libanon, um die schiitische Hisbollah auszuschalten.<br />

Die Menschen flohen aus ihren zerstörten Dörfern.<br />

HEKS unterstützt seine Partnerorganisation<br />

Najdeh: zuerst in der Nothilfe,<br />

dann in den länger angelegten psycho -<br />

sozialen Projekten.<br />

Regine Elsener (Text und Foto)<br />

Die Zeichnungen der Kinder wirken<br />

luftig, fast flüchtig. Das Grauen, das<br />

sie gesehen haben, erscheint fast durchsichtig<br />

auf dem Papier. Wie würden die<br />

Bilder der Kinder wohl wirken, könnten<br />

sie sich mit Kräftigerem wie Malfarbe oder<br />

Ölkreide ausdrücken? Die Farbstifte verleihen<br />

den fallenden Bomben, den Flugzeugen,<br />

den kaputten Häusern, den liegenden<br />

Menschen eine Zartheit, die in<br />

krassem Gegensatz <strong>zum</strong> Krieg steht, der<br />

im vergangenen Sommer über den Libanon<br />

hereinbrach.<br />

Freies Zeichnen für Kinder ist ein Teil<br />

der psychosozialen Programme, die kurz<br />

nach dem Krieg von der lokalen palästinensischen<br />

Nichtregierungsorganisation<br />

(NGO) Najdeh realisiert wurden. «Auch<br />

Gesang, Tanz, Spiel und Sport gehören<br />

dazu», sagt Leila El Ali, Geschäftsführerin<br />

von Najdeh. Die Aktivitäten sind zugeschnitten<br />

auf die Bedürfnisse der Kinder<br />

und Jugendlichen, behutsames Nachfragen<br />

und Zuhören sind auf einer spielerischen<br />

Ebene integriert. Animatorinnen<br />

und Freiwillige teilen sich dabei die vielfältigen<br />

Aufgaben. Die psychosozialen<br />

Aktivitäten helfen den Kindern, ihre<br />

6 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

Kriegserlebnisse zu verarbeiten,<br />

ihre Ängste abzubauen, um seelisch<br />

zu genesen.<br />

Ein weiterer wichtiger Teil der<br />

Arbeit von Najdeh sind die Förderung<br />

des Dialogs zwischen den Kulturen<br />

und die Entwicklung einer<br />

freien Zivilgesellschaft. Die langjährige<br />

Partnerorganisation von HEKS<br />

arbeitet vorwiegend in den Palästinenserlagern<br />

und in verschiedenen<br />

Dörfern und unterhält landesweit 26<br />

Zentren. Najdeh kümmert sich – gerade<br />

auch jetzt in der unsicheren Nachkriegszeit –<br />

primär um Frauen und Kinder, insbesondere<br />

allein erziehende Mütter. «Frauen haben<br />

immer, in jeder Situation, alle Hände<br />

voll zu tun – sie kümmern sich um die Erziehung<br />

und Betreuung der Kinder, machen<br />

die Hausarbeit, kochen, waschen, putzen»,<br />

sagt El Ali, «und nun leiden sie nicht<br />

nur unter den eigenen Kriegserlebnissen,<br />

sondern sind zusätzlich mit den Traumata<br />

ihrer Männer und Kinder konfrontiert.»<br />

Viele Mütter sind ausgebrannt, psychisch<br />

am Anschlag. Ihnen bietet Najdeh durch<br />

Einzelgespräche, Beratungen, Gesprächsrunden<br />

und Workshops eine Stütze.<br />

Gut organisierte<br />

Hilfsgüterverteilung<br />

Im Süden Libanons haben viele Bauernfamilien<br />

ihr ganzes Hab und Gut, ihren Hof,<br />

die Tiere, die Ernte und damit ihre Existenzgrundlage<br />

verloren: Nach den israelischen<br />

Angriffen verunmöglichen Minen<br />

und unzählige nicht detonierte Streubomben<br />

die Arbeit in den Tabakfeldern, in Oliven-<br />

und Zitruspflanzungen und in den<br />

Gemüsegärten. Die Familienväter und<br />

jungen Männer ergattern zwar manchmal<br />

einen Tagesjob, meist sind sie aber zur Untätigkeit<br />

verurteilt.<br />

Im Dorf Majdelzuen, auf der Anhöhe<br />

hinter der Stadt Tyr gelegen, werden Hilfs-


Zeichnen hilft libanesischen Kindern, ihre Kriegserlebnisse zu verarbeiten.<br />

güter an Bedürftige<br />

verteilt. Das Gemeindehaus<br />

wurde kurzzeitig<br />

in ein Depot umfunktioniert.Dorfvorsteher<br />

Assad Salman<br />

legt selber Hand an,<br />

schaut <strong>zum</strong> Rechten<br />

und hat den Überblick:<br />

«Wir haben 875 Einwohner, und ich<br />

kenne alle. Ich weiss, welche Familie wie<br />

viele Kinder hat, wie alt sie sind.» Das ist<br />

gut so, denn die Kinderkleider sind säuberlich<br />

in Plastiksäcke verpackt und mit<br />

Altersangaben versehen. Bei der <strong>Ausgabe</strong><br />

gibt es kein langes Suchen nach den gewünschten<br />

Grössen: Die vielen flinken<br />

Helferhände greifen nach dem richtigen<br />

Paket. Fedda, Hala und Nawal, drei<br />

Frauen von Najdeh, kontrollieren die<br />

Übergabe anhand einer Liste, auf der<br />

alle Empfängerfamilien aufgeführt sind.<br />

Wem Kinderkleider, Schulmaterial, Decken<br />

und Hygienepakete (speziell für die<br />

Frauen) ausgehändigt werden, der muss<br />

unterschreiben – wer nicht unterschreiben<br />

kann, drückt seinen Daumen auf das<br />

Stempelkissen und dann auf die Liste.<br />

Die Vergabe der Hilfsgüter verläuft ruhig<br />

und gesittet.<br />

Ganz anders im Nachbardorf Al<br />

Mansouri. Vor dem Güterdepot – einer<br />

Garage – hat sich eine Menschentraube<br />

gebildet, die von dem halb heruntergelassenen<br />

schweren Tor in Schranken gehalten<br />

wird. Im Innern ist es düster, nicht einmal<br />

eine nackte Glühbirne spendet Licht, im<br />

hinteren Teil des Raums türmen sich Pakete<br />

und Plastiksäcke. Die Hilfsgüterverteilung<br />

verläuft gleich wie in Majdelzuen:<br />

Najdeh-Frauen überwachen die Vergabe<br />

mithilfe von lokalen Freiwilligen – keine<br />

Empfängerin soll zu kurz kommen, kein<br />

Empfänger bekommt mehr als die zugeteilten<br />

Güter. «Bis <strong>zum</strong> Jahresende 2006<br />

haben wir die Hilfsgüter an die Menschen<br />

in den Dörfern und in den Lagern übergeben<br />

– wir wollten ein positives Zeichen setzen<br />

fürs neue Jahr», sagt Leila El Ali.<br />

Im Zentrum der NGO sitzen derweil<br />

die kleinen Mädchen und Buben erneut<br />

über ihre Zeichnungsblätter gebeugt und<br />

führen mit Hingabe die leichten Stifte<br />

übers Papier. Im Zimmer herrscht gelöste<br />

Stille, ab und zu kindliches Getuschel und<br />

Gekicher – wie unter Knirpsen üblich. Ein<br />

PROJEKT INFOS<br />

Brennpunkt<br />

Mädchen zeigt sein Werk: ein blassblaues<br />

Meer, am Ufer zwei Kinder unter einem<br />

Sonnenschirm. Und es sagt leise: «Das ist<br />

der Krieg: Wir durften im Sommer nicht<br />

ans Meer.»<br />

Najdeh wurde 1978 als unabhängige, registrierte<br />

libanesische NGO gegründet. Die<br />

Organisation unterhält landesweit 26 Zentren<br />

und ist auf Frauen und Kinder fokussiert.<br />

In den palästinensischen Flüchtlingslagern<br />

im Libanon werden insgesamt 600<br />

Kinder betreut. Najdeh engagiert sich in<br />

den Bereichen Bildung und Entwicklung,<br />

führt Kindergärten und -krippen, bietet<br />

Mutter-Kind-Aktivitäten und Berufsbildungskurse<br />

an (Informatik, Buchhaltung,<br />

Nähen, Stickerei etc.) und vergibt Mikrokredite.<br />

Weiter führt die Organisation<br />

Workshops zu familiärer Gewalt, zu Menschenrechten,<br />

den Rechten der Frau, insbesondere<br />

auch den Rechten der palästinensischen<br />

Flüchtlinge durch. 2007 unterstützt<br />

HEKS in Zusammenarbeit mit DEZA und<br />

Glückskette die Aktivitäten von Najdeh mit<br />

100 000 Franken.<br />

Spenden: Libanon<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 7


Brennpunkt<br />

8 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

(Foto: Pieder Casura)<br />

Indien<br />

Unterschrift<br />

statt Finger -<br />

abdruck<br />

«<br />

Das kann ich nicht!», sagt Lakshmiammal<br />

und lacht. Dann nimmt sie<br />

zögernd den Kugelschreiber trotz dem<br />

in die Hand. Erstmals schreibt<br />

Lakshmiammal den eigenen Namen.<br />

Statt des bisherigen Fingerabdrucks<br />

zeich net sie nach Vorlage ihre Unterschrift.<br />

Angeleitet wird sie von Latha<br />

Raj, der HEKS-Sozialar beite rin im<br />

südindischen Gliedstaat Andhra Pradesh.<br />

Lakshmiammal ist eine 48-jährige<br />

Klein bäue rin, ihr Dorf Babulettupalli<br />

liegt im abgelegenen Dürregürtel,<br />

wo HEKS sein Indienprogramm betreibt.<br />

Die anderen Mitglieder der<br />

Frauen gruppe – Analphabetinnen wie<br />

sie – applaudie ren, sie lächelt verlegen,<br />

auch ein wenig stolz. Menschen wie<br />

Lakshmi ammal, denen das Recht auf<br />

Bildung verwehrt blieb, gewinnen<br />

durch die Fähigkeit, mit ihrem Na men<br />

unterschreiben zu können, an Achtung,<br />

an Würde und an Selbstsicherheit. Die<br />

Unter schrift verleiht ihnen Identität.<br />

Mit ihrer Unterschrift bestätigt<br />

Lak shmiammal, dass sie sich an den<br />

Bemü hungen zur Ein richtung ei ner<br />

staatlichen Primarschule im Dorf be -<br />

teiligt. Mit Unterstützung von HEKS<br />

for dern die Frauen das Recht auf Ausbildung<br />

für ihre Kin der, damit diese<br />

einmal mehr als nur ihre Unter schrift<br />

schreiben können. (Pieder Casura)<br />

Spenden: Indien<br />

Niger<br />

GEMÜSEGÄRTEN<br />

GEGEN DIE<br />

HUNGERSPIRALE<br />

Alexandra György (Text und Foto)<br />

Die Hirseernte im Dorf Akoradji Enderfan in der Region Tahoua fiel mager aus.<br />

Der Vorrat reicht schätzungsweise für knapp drei Monate. «Wir haben nicht einmal<br />

genug für dreissig Tage», klagen viele Familien. Der Regen zwischen Juli und September<br />

war nicht ausreichend, die Hirse konnte nicht reifen.<br />

Deshalb hat HEKS, zusammen mit ACT International (Action by Churches Together)<br />

und Christian Aid, vergangenen Oktober zwei weitere Nothilfeprogramme mit einem<br />

Gesamtbudget von rund einer Million Franken gestartet. Bereits seit April 2005 leistet<br />

das Hilfswerk Nothilfe in fünfzig Dörfern der Region Tahoua im Zentrum Nigers.<br />

«Deshalb sieht die Situation heute trotz der schlechten Ernte weniger dramatisch aus als<br />

vor einem Jahr», berichtet Bachir Barké, HEKS-Koordinator in Niger.<br />

Gras auf unfruchtbarem Boden<br />

Die in der ersten Nothilfephase eingerichteten Getreidespeicher erfüllten ihren Zweck:<br />

Die Bauern hatten die Möglichkeit, Hirse trotz der dürrebedingten Inflation zu günstigeren<br />

Preisen zu erwerben. Auch die Cash- und Food-for-Work-Programme waren ein<br />

Erfolg. Viele Männer mussten nicht abwandern, um Arbeit zu finden. In der Nähe der<br />

Dörfer wurden etwa halbmondförmige Vertiefungen in kahle Landstriche gegraben. Das<br />

Wasser hat sich während der Regenzeit darin gestaut. Nun spriesst Gras aus dem zuvor<br />

unfruchtbaren Boden und kann als Weideland für das Vieh genutzt werden.<br />

Diese Bemühungen werden weiterhin durch die aktuelle Not hilfe verstärkt, als weitere<br />

Massnahme werden Ernährungszentren für Kleinkinder eingerichtet. Der Bau von<br />

Brunnen und das Anlegen von Gemüsegärten, die dank ausgeklügeltem Bewässerungssystem<br />

während der Trockenzeit bewirtschaftet werden können, sind weitere Aktivitäten,<br />

die nachhaltigen Effekt haben. Neben der Nothilfe sollen künftig auch vermehrt wieder<br />

mehrjährige Entwicklungsprojekte wie etwa Weiterbildung im Bereich der Ernährungssicherung<br />

umgesetzt werden.<br />

Spenden: Niger<br />

Ohne Wasser kein Leben für Mensch und Tier.


AUS<br />

KATASTROPHEN<br />

LERNEN<br />

Thema<br />

Zerstörte Bananenstauden nach dem Hurrikan Mitch 1998 in Honduras.<br />

(Foto: Gregory Bull, Keystone)<br />

Seit Mitte der siebziger Jahre nimmt die Anzahl folgenschwerer Naturkatastrophen zu.<br />

Während die Zahl der Erdbeben und Vulkanausbrüche stabil bleibt, sind es vor allem klima -<br />

bedingte Ereignisse wie Überschwemmungen, Trockenperioden und Wirbelstürme, die sich<br />

häufiger und heftiger ereignen. Dabei zeigt sich, dass arme Länder im Süden am härtesten<br />

getroffen werden. Nicht nur sind sie aufgrund ihrer geografischen Lage besonders häufig<br />

klimatischen Extremen ausgesetzt; sie sind auch schlecht gerüstet, um im Katastrophenfall<br />

ihrer Bevölkerung rasch und effizie nt Hilfe zu leisten. Zudem sind oft gerade be sonders gefährdete<br />

Lagen wie Steilhänge, Flussufer und Küsten dicht besiedelt, was die Zahl der Opfer<br />

in die Höhe schnellen lässt.<br />

Organisationen wie HEKS sind gefordert. In Zukunft wird noch mehr humanitäre Hilfe geleistet<br />

werden müssen. Dabei kommt auch der Katastrophenvorsorge eine immer grössere<br />

Bedeutung zu. Denn durch kluge Vorsorge lassen sich die Schäden begrenzen. Dabei ist besonders<br />

wichtig, dass aus vergangenen Katastrophen die richtigen Lehren gezogen werden.<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 9


Thema<br />

Honduras<br />

BEREIT SEIN<br />

FÜR DEN NÄCHSTEN STURM<br />

Hochwasser, Hurrikane und Dürren: In Honduras ist schon längst Realität,<br />

was der Klimawandel für viele Gegenden der Erde verspricht. Wie sich<br />

kluge Nothilfe mit Katastrophenprävention und Ernäh rungs siche rung<br />

verbinden lässt, zeigen HEKS-Projekte im zentralamerikanischen Land.<br />

Delf Bucher (Text ), Alan Meier (Fotos)<br />

Den 29. Oktober 1998 vergisst Maria<br />

Azucana nie. Das Wasser des Flusses<br />

überschwemmte die Strassen. Überall<br />

Wasser. Das machte der damals hochschwangeren<br />

Frau Angst. Zwei Stunden<br />

bevor die grosse Flutwelle kam, flüchtete<br />

sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern.<br />

Drei Tage später kam mitten im<br />

Chaos der überbelegten Krankenstation<br />

ihre Tochter Brenda auf die Welt. Die Flutwelle<br />

hatte inzwischen einen Namen:<br />

«Mitch», ein Wirbelsturm, der die Wolkenmassen<br />

vom Atlantik bis in den Süden von<br />

Honduras schleuderte.<br />

«Lange haben wir gezögert, unsere<br />

Koffer zu packen. Im Radio waren die<br />

Nachrichten widersprüchlich», sagt Maria<br />

Azucana. Hier im Süden des Landes, nahe<br />

der Pazifikküste, fühlten sich die Menschen<br />

sicher. Selbst die grossen Wirbelstürme<br />

Fifi (1974), Hugo (1988) und Gert<br />

(1989) sind nicht bis <strong>zum</strong> Pazifik vorgestossen.<br />

«Wäre ich nicht schwanger gewesen,<br />

dann wären wir hier geblieben – wie<br />

unsere Nachbarn, die in der Flut umgekommen<br />

sind», sagt sie.<br />

Wenig für den Katastrophenschutz<br />

Das fehlende Frühwarnsystem ist einer<br />

der Gründe, warum Wirbelsturm Mitch in<br />

Honduras mehr als 5000 Menschenleben<br />

forderte. «In Ländern mit gut ausgebauter<br />

Desasterprävention wie Kuba oder die<br />

10 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

USA ist die Zahl der Opfer bei vergleichbar<br />

starken Wirbelstürmen wesentlich<br />

kleiner», sagt Marco Burgos in der Zentrale<br />

des nationalen Zivilschutzes Copeco<br />

und betont die Wichtigkeit der Katastrophenprävention.<br />

In Honduras hat nach<br />

Ansicht des stellvertretenden Copeco-<br />

Direktors nicht nur ein Alarm-system für<br />

Katastrophen gefehlt, sondern auch der<br />

staatliche Wille, Risiko- und Gefahren -<br />

karten zu erstellen und Bebauungs pläne<br />

durchzusetzen.<br />

«Nach der Mitch-Katastrophe sagten<br />

die Politiker: Wir werden aus dem Desaster<br />

lernen», erinnert sich der ranghohe Zivilschützer.<br />

Katastrophenschutz sei das<br />

Thema der Stunde gewesen. Indes: Nur<br />

wenig Geld wurde von der internationalen<br />

Wiederaufbauhilfe – insgesamt 2,7 Milliarden<br />

Dollar – für den Katastrophenschutz<br />

reserviert. Immerhin: Die nationale<br />

Equipe des Zivilschutzes zählt mittlerweile<br />

siebzig Leute. «Damit stossen wir<br />

aber bei jedem mittleren Unwetter an<br />

unsere Grenzen», gesteht Burgos ein. Zudem<br />

geschieht es im Katastrophenland<br />

Honduras auch heute noch, dass Copeco<br />

von regionalen Desastern erst aus der<br />

Zeitung erfährt.<br />

Einen positiven Mitch-Effekt nennt<br />

Burgos die intensivere Kooperation zwischen<br />

Nichtregierungsorganisationen und<br />

dem honduranischen Zivilschutz Copeco.<br />

So haben sich mehrere Hilfswerke zusammengeschlossen,<br />

um Soforthilfe und präventive<br />

Bildungsarbeit gemeinsam zu koordinieren.<br />

Treibende Kraft, damit sich<br />

unter dem organisatorischen Dach der<br />

Hilfswerksallianz Action by Churches<br />

Together International (ACT) verschiedene<br />

Donatoren zusammenfanden, war<br />

HEKS. Der Zivilschutzexperte Burgos begrüsst<br />

solche Initiativen: «Die Hilfswerke<br />

von ACT International verfügen im Krisenfall<br />

oft über ein besseres Kommunikationsnetz<br />

und über die bessere Koordination,<br />

um die Nothilfe zu kanalisieren.» Vor<br />

allem könnten sie in ihren langfristig angelegten<br />

Entwicklungsprogrammen auch<br />

die Katastrophenprävention in den Projekten<br />

verankern.<br />

Aufforstung und Terrassierung<br />

Ein Ortstermin im Süden zeigt dies, in der<br />

Bergregion der Provinz Choluteca, an der<br />

Grenze zu Nicaragua. Nach der Mitch-<br />

Katastrophe haben hier die Campesinos,<br />

die Mitglieder der von HEKS unterstützten<br />

Bauernorganisation Adepes sind, vor<br />

allem eines gelernt: keine Häuser mehr auf<br />

abschüssigem Terrain bauen. Und Teofilo<br />

Valladares, gewählter Bauernführer und<br />

Promotor, hat es den Adepes-Mitgliedern<br />

eingeschärft: «Nur terrassierte Felder helfen<br />

gegen Schlammlawinen bei Sturzregen<br />

und gegen Erosion bei Trockenheit.»


Terrassierte Felder gegen Schlammlawinen und Bodenerosion.<br />

Maria Azucana führt einen kleinen Laden in ihrem neuen Haus.<br />

So klettern heute bei vielen Kleinbauern<br />

gestufte Trockenmauern die Hänge hoch.<br />

«Wir haben auch wieder die Bergrücken be -<br />

waldet», sagt Valladares. Das lasse die Quellen<br />

auch in Trockenperioden länger fliessen<br />

und helfe zudem gegen Winderosion<br />

und Erdrutsche.<br />

2001 litt der Süden von Honduras besonders<br />

stark unter einer Dürre. Für die<br />

Bauern ist dieses regionale Desaster<br />

ebenso im kollektiven Gedächtnis geblieben<br />

wie der Wirbelsturm Mitch. Trockenheit<br />

ist in dieser Region seit Menschengedenken<br />

ein Thema. Jetzt aber wird den<br />

Bauern klar, dass das Versiegen der Quellen<br />

mit dem Waldfrevel zusammenhängt.<br />

In fast jedem Weiler ist die Botschaft auf<br />

Plakaten zu lesen: «Wer den Wald niederbrennt,<br />

liebt weder sein eigenes Leben<br />

noch das seiner Kinder.»<br />

Perspektiven für Mitch-Opfer<br />

Hundert Kilometer vom bergigen Bauernland<br />

entfernt liegt die Stadt El Triunfo.<br />

Hier, unten in der «Colonia Mayo de 21»,<br />

hat Maria Azucana vor dem Hurrikan gelebt.<br />

Nach der grossen Flut standen am<br />

Fluss nur noch Ruinen. Die Wände und<br />

Dächer aus Lehm und Wellblech wurden<br />

unter der Wasserwalze des Flusses La<br />

Pacona begraben.<br />

Nach dem Desaster deklarierte die<br />

Stadtverwaltung: Nie mehr sollte in dieser<br />

Risikozone gebaut werden. Aber die forcierte<br />

Landflucht in Honduras lässt nicht<br />

nur die Hauptstadt Tegucigalpa oder die<br />

Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula rasant<br />

wachsen. Auch El Triunfo ist von einst<br />

7000 Bewohnern zu einer Stadt mit 50 000<br />

Einwohnern angewachsen. Und so verwundert<br />

es nicht: Auch heute stehen wieder<br />

«Casitas», meist fensterlose Hütten aus<br />

Blech, Brettern und Lehm, am Fluss – ohne<br />

Strom, Latrinen und Wasseranschluss. Anders<br />

bei den Häusern des HEKS-Wiederaufbauprojekts<br />

Colonia Araujo.<br />

«Wir bewohnen das schönste Quartier<br />

in El Triunfo», sagt Maria Azucana stolz.<br />

Sie lebt in einem der Häuser in der Colonia<br />

Araujo. Ihre Tochter Brenda kommt<br />

gerade von der Schule. Sie pflückt im<br />

Obstgarten hinter dem Haus eine Banane.<br />

Thema<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 11


Thema<br />

Über grosszügige Familiengärten verfügen<br />

alle hundert Häuser, die für die<br />

Mitch-Opfer erstellt wurden. Optimal genutzt<br />

liefern sie genug Gemüse und Früchte<br />

für die Selbstversorgung. In Honduras, wo<br />

vierzig Prozent der Menschen arbeitslos<br />

sind, ist dies wichtig. So können sich die<br />

Familien auch in Zeiten ohne Einkommen<br />

ernähren. Im Garten steht eine Latrine<br />

und im Haus gibt es einen Wasseranschluss.<br />

Auch in der Trockenzeit ist dank<br />

dem Wasserturm, auf dem in überdimensionalen<br />

Lettern «HEKS» steht, die Versorgung<br />

garantiert.<br />

«Unsere Vision war, dass es den Menschen<br />

in ihrem neuen Domizil besser geht<br />

als zuvor», sagt Marco Tulio, Projektleiter<br />

für die Siedlung mit hundert Wohneinheiten.<br />

Vor dem Bau war hier eine Einöde.<br />

Heute ist auf dem Boden einer brach -<br />

liegenden Baumwollplantage eine kleine<br />

Gartenstadt mit 4000 Bäumen herangewachsen.<br />

Die wiedererwachte Lebensfreude<br />

und Geschäftigkeit der Menschen<br />

in der Colonia Araujo zeigt, wie sich Nothilfeprogramme<br />

und Nachhaltigkeit erfolgreich<br />

miteinander verbinden.<br />

PROJEKT INFOS<br />

Gleich drei HEKS-Projekte in Honduras<br />

haben das Ziel, Kleinbauernfamilien wie<br />

jene in der Colonia Araujo in nachhaltiger<br />

Landwirtschaft aus- und weiterzubilden.<br />

Die Bäuerinnen und Bauern lernen, durch<br />

das Anlegen von terrassierten Anbau -<br />

flächen der Bodenerosion vorzubeugen.<br />

Sie züchten lokales Saatgut und wissen<br />

biologische Pflanzenschutzmittel zu produzieren<br />

und anzuwenden. Durch den<br />

Bau von Holz sparenden Kochstellen leisten<br />

die Bauernfamilien einen wirkungsvollen<br />

Beitrag zur Verbesserung der Siedlungshygiene<br />

und <strong>zum</strong> Schutz der lebenswichtigen<br />

Bewaldung.<br />

HEKS wird sich in Zukunft zudem verstärkt<br />

für die Perspektiven der Jugendlichen einsetzen.<br />

So etwa in einem Projekt zur Rehabilitation<br />

und Reintegration von Strassenkindern<br />

in ihr soziales Umfeld. Damit<br />

soll auch ein Betrag geleistet werden zur<br />

Prävention von Gewalt bei Jugendlichen,<br />

die in Honduras immer erschreckendere<br />

Ausmasse annimmt.<br />

Spenden: Honduras<br />

12 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

Bauernführer Teofilo Valladares: «Wir haben die Bergrücken wieder bewaldet.»<br />

Bauern helfen Bauern – Teofilo Valladares gibt sein Wissen weiter.


Humanitäre Hilfe<br />

Wissen,<br />

was Not tut<br />

Rolf Stocker leitet bei HEKS die neu geschaffene Koordinationsstelle<br />

Humanitäre Hilfe. Für ihn hat die Mitch-Katastrophe die Bedeutung der<br />

Katastrophenvorsorge und Nothilfe bei HEKS verstärkt.<br />

Hansjörg Bolliger (Interview), Ruedi Lüscher (Foto)<br />

HANDELN: Vor fast zehn Jahren verwüstete Hurrikan Mitch<br />

Zentralamerika. Wie ist die Hilfe von HEKS aus heutiger Sicht<br />

zu beurteilen?<br />

Rolf Stocker: Was HEKS in Honduras geleistet hat, war sehr<br />

erfolgreich. Entscheidend war, dass wir die Spendenmittel nicht<br />

nur für unmittelbare Nothilfe, sondern auch für Entwicklungszusammenarbeit<br />

einsetzen konnten. In Honduras haben wir entwicklungsorientierte<br />

Nothilfe angewandt und gelebt.<br />

Was hat HEKS aus der Mitch-Katastrophe gelernt?<br />

Mitch hat bei HEKS die Bedeutung der humanitären Hilfe<br />

und Katastrophenvorsorge unterstrichen. Grösste Herausforderung<br />

war – wie immer bei humanitären Krisen – die Koordination<br />

der Aktivitäten. So muss gewährleistet sein, dass die richtigen<br />

Hilfsgüter zur richtigen Zeit am richtigen Ort ankommen. Sehr<br />

wichtig ist dabei die lokale Vernetzung. Es braucht Leute, die sich<br />

vor Ort auskennen und wissen, welches die jeweiligen Bedürfnisse<br />

sind. Wir haben dabei erkannt, dass wir unsere Partnerorganisationen<br />

in Fragen der Katastrophenvorsorge unterstützen müssen.<br />

Wie sieht diese Unterstützung konkret aus?<br />

Wir unterstützen die Partner sowohl auf organisatorischer wie<br />

auch auf materieller Ebene, etwa durch Bereitstellung der nötigen<br />

Infrastruktur und mit Know-how, damit sie bei der nächsten Katastrophe<br />

vorbereitet sind. Wir versuchen, einfache Frühwarnsysteme<br />

in den Dörfern aufzubauen. Darüber hinaus betätigen wir<br />

uns verstärkt in unserem Netzwerk ACT International und übernehmen<br />

im Fall von Honduras auch eine Führungsrolle.<br />

Werden in Zukunft solche Naturkatastrophen zunehmen?<br />

Ich denke schon. Klimarelevante Ereignisse wie Überschwem -<br />

mungen, Trock en perioden und Wirbelstürme kommen nicht von<br />

ungefähr, sondern haben mit dem Treibhauseffekt zu tun. Dass<br />

diese Ereignisse zunehmen, lässt sich bereits seit einigen Jahren<br />

klar beobachten. Inzwischen trifft es auch Länder, die in der<br />

Vergangenheit von solchen Katastrophen verschont geblieben<br />

sind. Für Organisationen wie HEKS heisst das, noch mehr Prävention,<br />

aber auch mehr Lobbyarbeit auf der politischen Ebene<br />

zu betreiben.<br />

Wird diese Zunahme von Naturkatastrophen auch die Entwicklungszusammenarbeit<br />

verändern?<br />

Ja, ökologische Themen müssen bei der Programmentwicklung<br />

stärker miteinbezogen werden. Ausserdem wird die Katastrophenprävention<br />

vermehrt in die Entwicklungszusammen -<br />

arbeit einfliessen. Die Förderung einer diversifizierten Land -<br />

wirtschaft beispielsweise verbessert die Bodenbeschaffenheit und<br />

kann damit die negativen Auswirkungen von starken Unwettern<br />

wie Erdrutsche und Überschwemmungen reduzieren.<br />

Koordination Humanitäre Hilfe<br />

Die neue Koordinationsstelle Humanitäre Hilfe ermöglicht, bei Katastrophen<br />

auch in Nicht-Schwerpunktländern schnell und effizient<br />

Hilfe zu leisten. In Ländern ohne eigene Vertretung arbeitet HEKS<br />

entweder mit eigenen speziell ausgebildeten Fachkräften oder über<br />

internationale Netzwerke wie ACT International (Action by Churches<br />

Together). Diese komplexe und intensive Zusammenarbeit verlangt<br />

eine professionelle Koordination.<br />

Entwicklungsorientierte Nothilfe<br />

Entwicklungsorientierte Nothilfe verfolgt drei Ziele: Erstens soll<br />

Menschen, die von Konflikten und Naturkatastrophen betroffen sind,<br />

effektiv und schnell geholfen werden. Zweitens sollen dabei gleich<br />

erste Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung nach der akuten<br />

Krise geschaffen werden. Drittens soll diese Entwicklung die Be -<br />

völkerung vor Schäden durch weitere Katastrophen schützen. Die<br />

wichtigsten Elemente der entwicklungsorientierten Nothilfe sind die<br />

Soforthilfe (z. B. durch Nahrungsmittel, Zelte und ärztliche Betreuung),<br />

der krisenpräventive Wiederaufbau (z. B. durch erdbeben- und<br />

sturmresistente Häuser) und nachhaltige Projekte der Entwicklungszusammenarbeit,<br />

welche Katastrophenvorsorge und -prävention integrieren.<br />

Wichtig ist, dass diese Phasen nahtlos ineinandergreifen<br />

und aufeinander abgestimmt sind.<br />

Thema<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 13


Persönlich<br />

Leticia Flores,<br />

HEKS-Koordinatorin in Honduras<br />

MIT MUTIGEM,<br />

WACHEM BLICK<br />

Leticia Flores, HEKS-Koordinatorin in der honduranischen Millionen -<br />

metropole Tegucigalpa, lässt sich trotz den alltäglichen Schrecken nicht<br />

davon abbringen: Auch in Honduras werden die Träume eines Tages wahr.<br />

Delf Bucher (Text), Pieder Casura (Foto)<br />

Tegucigalpa, zehn Uhr nachts: Leticia<br />

Flores verlässt ihr Büro. Plötzlich fährt<br />

von hinten ein Motorrad heran, der Fahrer<br />

entreisst ihr die Handtasche. Kein grosses<br />

Ereignis in einem Land, in dem täglich<br />

zehn Morde geschehen. Zum Vergleich:<br />

Die Schweiz mit annähernd gleich grosser<br />

Einwohnerzahl zählt im Jahr 180 Tötungs -<br />

delikte.<br />

Kriminalität ist das Schreckgespenst<br />

der honduranischen Gesellschaft. Auch für<br />

Leticia Flores: «Obwohl der Überfall zwei<br />

Jahre zurückliegt, fürchte ich mich immer<br />

noch, nachts alleine nach Hause zu gehen.»<br />

Der bewaffnete Sicherheitswächter,<br />

der vor dem gemeinsamen Büro dreier<br />

Schwei zer Hilfsorganisationen patrouilliert,<br />

bringt Flores <strong>zum</strong> Taxi, wenn sie wieder<br />

einmal bis in die Nacht arbeitet.<br />

Und doch: Ihre Angst macht sie nicht<br />

blind. Sie will nicht wie die Medien von<br />

den wahren Ursachen der Angst ablenken.<br />

«Die Medien sind schnell mit einer Erklärung<br />

zur Hand: Alle Schuld schieben sie<br />

den Jugendbanden zu. Aber die sozialen<br />

Hintergründe, die zu den Gewaltausbrüchen<br />

in unserer Gesellschaft führen,<br />

blenden sie aus.»<br />

Zwei Drittel sind arm<br />

Damit ist die 41-Jährige bei ihrem Spezialgebiet<br />

angelangt. Unerbittlich misst sie den<br />

Elendskosmos ihres Landes aus. 70 Prozent<br />

14 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

der Honduranerinnen und Honduraner<br />

leben unter der Armutsgrenze. Ein Drittel<br />

der Menschen ist unterernährt. Die Arbeitslosigkeit<br />

liegt offiziell bei 29 Prozent.<br />

«Realistischer sind aber 40 Prozent», korrigiert<br />

Flores. 5000 Kinder leben alleine in<br />

Tegucigalpa auf der Strasse. 10 Prozent der<br />

Menschen sind in die USA ausgewandert,<br />

ihre Überweisungen von 1,3 Milliarden<br />

Dollar überflügeln alle anderen Deviseneinnahmen<br />

des Landes.<br />

«Samen der Hoffnung»<br />

Was Leticia Flores im Schnellzugstempo<br />

an Fakten serviert, ist entmutigend. Warum<br />

kehrt sie als studierte Agrarökonomin<br />

ihrer Heimat nicht einfach den Rücken?<br />

Flores’ Antwort hört sich schon fast<br />

sozialromantisch an: «Ich bin froh, dass ich<br />

die Möglichkeit habe, den Samen der<br />

Hoffnung zu säen.»<br />

«Samen der Hoffnung» – das klingt<br />

poetisch und weist auf Flores’ grosse Leidenschaft<br />

hin. «Ich liebe es, in die Nächte<br />

hinein zu lesen», sagt sie. Vor allem lateinamerikanische<br />

Schriftstellerinnen und Autoren,<br />

darunter viele Romane von Isabel<br />

Allende, Gabriel García Márquez und<br />

Paulo Coelho, füllen ihr Bücherregal.<br />

Gute Bettlektüre kann sie brauchen,<br />

denn derzeit sind ihr die Nächte lang. Nur<br />

schwer findet sie Schlaf. «Ich bin dabei, das<br />

grösste Projekt meines Lebens zu verwirk-<br />

lichen.» Leticia Flores ist schwanger.<br />

Aber neben ihrem privaten «Hoffnungsprojekt»<br />

liegen ihr auch die Entwicklungsprojekte<br />

von HEKS am Herzen.<br />

Ihre grösste Hingabe gilt dabei der bäuerlichen<br />

Selbsthilfeorganisation Adepes. Im<br />

steilen Hügelland im Süden von Honduras,<br />

das dauernd von Bodenerosion durch<br />

Trockenheit und starke Niederschläge bedroht<br />

ist, entstand in nur wenigen Jahren<br />

eine blühende Landschaft.<br />

Gerne wäre sie mit dem Besuch aus<br />

der Schweiz dorthin gefahren. Aber ihre<br />

Schwangerschaft lässt lange Autofahrten<br />

nicht mehr zu. Und so erzählt sie im Büro<br />

von Tegucigalpa vom Kleinbauer Teofilo,<br />

der sich vom Alkoholiker <strong>zum</strong> initiativen<br />

Bauernführer gewandelt hat. Sie schwärmt<br />

von der Vielfalt der Ackerfrüchte und des<br />

Obsts auf den terrassierten Feldern. Adepes<br />

ist für Leticia Flores eine Chiffre für<br />

ein neues Honduras: «Viele Menschen<br />

sind durch das HEKS-Projekt aus ihrer<br />

Lethargie herausgerissen worden und haben<br />

wieder Visionen.» Das sei sehr wichtig.<br />

Denn viele Honduranerinnen und<br />

Honduraner würden mit ihrem Schicksal<br />

hadern. «Sie denken: Ich bin arm geboren,<br />

und ich bleibe arm», sagt die Agrarwissenschaftlerin,<br />

die als Tochter eines Bauarbeiters<br />

und einer Wäscherin einst selbst arm<br />

geboren wurde – und heute den Samen der<br />

Hoffnung sät.


Zürich<br />

Glücklich ist, wer Arbeit hat<br />

Langzeitarbeitslosigkeit gefährdet die Gesundheit. HEKS Visite hilft<br />

Sozialhilfe beziehenden Erwerbslosen, durch wöchentliche Arbeits -<br />

einsätze neuen Lebensmut zu schöpfen.<br />

Markus Züger (Text), Rifat Eshrefi (Fotos)<br />

Der Mensch lebt nicht, um zu arbeiten, sondern er arbeitet, um<br />

zu leben. Wahre Worte – <strong>zum</strong>indest teilweise. Denn Menschen,<br />

die lange ohne Arbeit sind, verlieren bisweilen die Lust am<br />

Leben. Arbeit sorgt nicht nur für den Lebensunterhalt, sondern<br />

stiftet auch Lebenssinn. «Sie ist für mich wie eine Therapie», sagt<br />

Faik Basaric. Der gelernte Pädagoge kam 1992 als bosnischer<br />

Flüchtling in die Schweiz. Lange war er arbeitslos. «Ohne Arbeit<br />

fiel ich ins Grübeln, wurde depressiv», sagt er. «Meine jetzige Tätigkeit<br />

beruhigt mich.» Basaric ist Teilnehmer von HEKS Visite,<br />

einem Programm, das Teilzeitarbeiten im Rahmen der Sozialhilfe<br />

vermittelt.<br />

HEKS Visite richtet sich an ausgesteuerte Langzeitarbeitslose,<br />

die wenig Chancen auf eine reguläre Stelle haben. So geht es<br />

denn nicht darum, diesen Menschen eine Erwerbsarbeit zu verschaffen;<br />

vielmehr sollen sie in Arbeitseinsätzen von wöchentlich<br />

zwei bis acht Stunden dem lähmenden Nichtstun entkommen und<br />

eine geregelte Wochenstruktur erfahren. Faik Basaric arbeitet nun<br />

vier Stunden die Woche an der Fachhochschule für soziale Arbeit<br />

Zürich. Er ist «Mädchen für alles», erledigt kleinere Arbeiten im<br />

Büro und in der Hauswirtschaft des Betriebs.<br />

Keine Konkurrenz für Erwerbsarbeit<br />

«Wichtige Bedingung für HEKS Visite ist, dass wir keine reguläre<br />

Erwerbsarbeit konkurrenzieren», betont Programmleiter Roland<br />

Bänziger. «Die Teilnehmenden erledigen Tätigkeiten, die seitens<br />

der Betriebe wünschenswert, aber nicht notwendig sind – dadurch<br />

werden keine bestehenden Arbeitsplätze gefährdet.» Die Beschäftigungen<br />

reichen dabei von Reinigungsarbeiten, Tierbetreuung<br />

und Serviceaushilfe bis hin zur Hilfsarbeit im Bau- und Forst-<br />

gewerbe. Die Arbeit ist unentlöhnt. Die Teilnehmenden erhalten<br />

aber via Sozialhilfe einen kleinen Mehrbetrag. 180 Personen leisten<br />

mittlerweile bei HEKS Visite Einsätze im Grossraum Zürich.<br />

Sie arbeiten in Non-Profit-Organisationen und ge mein nützigen<br />

Institutionen.<br />

Etwa die 26-jährige Sonja Janser. Seit zweieinhalb Monaten<br />

hilft sie im Pflegeheim Oberi in Winterthur. «Seit ich hier arbeite,<br />

geht es mir besser. Ich nehme keine Drogen mehr», sagt sie. Sonja<br />

Janser schätzt es, dass die Pflegebedürftigen sie so akzeptieren,<br />

wie sie ist, und schmiedet sogar Zukunftspläne: «Ich überlege mir,<br />

eine Lehre im Pflegebereich zu machen.»<br />

HEKS Visite arbeitet bei der Bereitstellung von Einsatzplätzen<br />

mit den Zürcher Gemeinden zusammen. In Adliswil etwa werde<br />

dieses Angebot als überaus wichtig erachtet, sagt Anne- Christine<br />

Boss, Leiterin der Sozialberatung in der Gemeinde. «Immer wieder<br />

hört man, Sozialhilfebeziehende sässen gerne faul zu Hause,<br />

während das Geld fliesst. Ein Vorurteil, denn Arbeit stillt ein urmenschliches<br />

Bedürfnis und gibt den Menschen einen Platz in der<br />

Gemeinschaft. HEKS Visite hilft, dass es erwerbslosen Menschen<br />

besser geht. Der Aufwand für die Arbeitseinsätze zahlt sich aus,<br />

denn die Folgekosten von Arbeitslosigkeit – wie etwa Depressionen,<br />

Drogensucht und Alkoholismus – sind weit höher.»<br />

Film über HEKS Visite<br />

Der halbstündige, professionelle Dokumentarfilm zu HEKS Visite<br />

entstand in Zusammenarbeit mit Teilnehmenden des Programms.<br />

Möchten Sie ihn sehen oder vor Publikum vorführen?<br />

Dann melden Sie sich bei: Roland Bänziger, Tel. 052 202 68 00,<br />

E-Mail heks-visite@bluewin.ch, Internet http://visite.heks.ch<br />

Vor Ort<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 15


Magazin<br />

Menschenrechts- und Demokratieunterricht in Äthiopien: Respektierung der Menschenrechte ist die Grundlage für einen festen Frieden.<br />

Friedens- und Versöhnungsarbeit<br />

DER WEG ZUM FESTEN FRIEDEN<br />

Der Frieden ist eine zu ernste Angelegenheit, als dass man ihn den Politikern<br />

allein überlassen darf, heisst es. Für einen dauerhaften Frieden<br />

braucht es deshalb alle gesellschaftlichen Kräfte – auch die Kirchen und<br />

kirchlichen Organisationen.<br />

Maya Krell und Sabina Handschin (Text), Manuel Etter (Foto)<br />

Ohne Versöhnung bleibt Frieden brüchig.<br />

Doch Versöhnung braucht Zeit<br />

und Geduld. In fast der Hälfte aller «befriedeten»<br />

Länder brechen die gewaltsamen<br />

Konflikte nach wenigen Jahren wieder<br />

auf.<br />

Für HEKS-Zentralsekretär Franz<br />

Schüle sind Kirchen wegen ihres internationalen<br />

Beziehungsnetzes und ihrem Glaubwürdigkeitskapital<br />

für die Unterstützung<br />

von nachhaltigen Friedensprozessen besonders<br />

geeignet. «Wichtig ist, dass sie ihre<br />

Rolle nicht überschätzen und ihre Aufgaben<br />

mit Geduld und Bescheidenheit angehen»,<br />

sagt Schüle. Obwohl Versöhnung <strong>zum</strong> christlichen<br />

Kerngut gehöre, dürften Kirchen<br />

nicht a priori als Expertinnen der Versöhnungsarbeit<br />

angesehen werden, denn nicht<br />

selten seien sie selbst Teil der Konflikte.<br />

16 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

Die verschiedenen Wege der Versöhnung,<br />

die Kirchen und ihre Vertreterinnen<br />

und Vertreter einschlagen können, zeigen<br />

Beispiele aus den Philippinen, Mexiko,<br />

Rumänien, Serbien und dem Südsudan.<br />

Philippinen<br />

Helfen statt hassen: Auf der philippinischen<br />

Insel Mindanao leidet die Zivilbe -<br />

völkerung – ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit<br />

– unter den Kämpfen zwischen<br />

Rebellen und Regierungstruppen. «Wenn<br />

man Mütter und Babys weinen hört, fragt<br />

niemand mehr, ob es sich um Muslime oder<br />

Christen handelt», betont der katholische<br />

Priester Bert Layson, der einst Muslime<br />

hass te, weil Rebellen seinen Bischof ermordeten.<br />

Layson erkannte, dass Helfen nicht<br />

eine Frage der Wahl, sondern ein christlicher<br />

Leitsatz ist. Heute setzt er sich für das friedliche<br />

Zusammenleben der christlichen und<br />

muslimischen Bevölkerung Mindanaos ein.<br />

Mexiko<br />

Anwaltschaftliche Kirche: In der Diözese<br />

San Cristóbal de las Casas im mexikanischen<br />

Bundesstaat Chiapas verteidigen<br />

Bischof Samuel Ruíz und Priester<br />

Ituarte Gonzalo die Rechte der indigenen<br />

Bevölkerung. Sie walten als Übersetzer<br />

der indigenen Denkweise gegenüber Regierungsbehörden<br />

und haben dazu beigetragen,<br />

dass sich die indigenen Frauen und<br />

Männer von ihrem Selbstbild einer unterdrückten<br />

Minderheit lösen konnten. Die<br />

Indigenen haben sich mit ihrer Vergangenheit<br />

versöhnt und fordern nun selbstbewusst<br />

die Umsetzung ihrer Rechte.


Rumänien<br />

Heilendes Erinnern: Das Projekt «Heilendes<br />

Erinnern christlicher Kirchen in<br />

Rumänien» unter der Leitung von Dieter<br />

Brandes hat ebendies <strong>zum</strong> Ziel. Divergenzen<br />

zwischen Minderheits- und Mehrheitskirchen<br />

in Rumänien beruhen auf über<br />

Jahrhunderte zurückliegenden Ereignissen.<br />

Das «lange Gedächtnis» verhindert auch<br />

heute ein spannungsfreies Zusammenleben.<br />

Die Geschichtsschreibung der anderen<br />

zu verstehen, ist ein erster Beitrag zur<br />

Versöhnung.<br />

Serbien<br />

Schlüsselrolle für die Kirche: Die serbisch-orthodoxe<br />

Kirche ist einerseits konstruktive<br />

Kraft bei der Gestaltung einer<br />

gemeinsamen Zukunft, andererseits tut sie<br />

sich schwer mit der Anerkennung ihrer<br />

dualen Rolle während des Krieges. Auch<br />

in der Bevölkerung weicht die Tendenz des<br />

Wegsehens nur langsam, beobachtet die<br />

Menschenrechtlerin Tatjana Perić. Gerade<br />

die serbisch-orthodoxe Kirche hätte aber<br />

aufgrund des grossen Vertrauens in der<br />

Bevölkerung die Aufgabe, die Aufarbeitung<br />

der Vergangenheit voranzutreiben.<br />

Sudan<br />

Zu früh für Versöhnung?: Die Kirchen<br />

im Südsudan waren während der dreissig<br />

Jahre Krieg nicht nur Zufluchtsstätten von<br />

Hungernden und Verwundeten, sie waren<br />

auch Vermittlerinnen zwischen den Parteien.<br />

Erst seit dem Friedensabkommen<br />

von 2005 scheinen sie desorientiert zu sein.<br />

Womöglich ist der Frieden noch zu fragil,<br />

um sich mit Wahrheit, Gerechtigkeit und<br />

Versöhnung auseinandersetzen zu können.<br />

Die vorgestellten Projekte und Prozesse<br />

zeigen, dass kirchliches Engagement<br />

gefragt ist, ihm aber gleichzeitig auch<br />

Grenzen gesetzt sind. Dass es sich lohnt,<br />

das Mögliche auszuloten und zu tun, hat<br />

an der HEKS-Konferenz vom 21. September<br />

2006 der Austausch zwischen Hilfswerksmitarbeitenden<br />

und Fachleuten aus<br />

den Konfliktregionen gezeigt.<br />

Thema Frieden<br />

Ein kostenloser Reader zur HEKS-<br />

Konferenz «Zwischen Krieg und Frieden:<br />

Die Rolle der Kirchen in Versöhnungs -<br />

prozessen» kann bei HEKS, Stampfenbachstr.<br />

123, 8035 Zürich bestellt werden.<br />

19. HEKS-Osteuropa-Tag<br />

Magazin<br />

Solidarität<br />

schafft Entwicklung<br />

Am traditionellen Osteuropa-Tag sprachen HEKS-Projektpartnerinnen und<br />

-partner über Solidarität in den Gesellschaften Mittel- und Südosteuropas.<br />

« Solidarität schafft Entwicklung» lautete das Thema des Osteuropa-Tags vom 20. Januar in<br />

Bern. Doch was bedeutet der Begriff «Solidarität» heute?<br />

Hauptreferent Jakub S. Trojan, Professor für Theologische Ethik an der Universität Prag<br />

und Mitunterzeichner der Charta 77, sprach über den Wandel des Begriffs in den ehemals kommunistischen<br />

Staaten: «Die offizielle Solidarität im sozialistischen Block war künstlich erzeugt<br />

durch die Propaganda der herrschenden Bürokratie.» Diese verordnete Solidarität war <strong>zum</strong><br />

Scheitern verurteilt, denn echte Solidarität könne nur von unten wachsen, so Trojan. «Sie kann<br />

nur aus einer persönlichen Entscheidung erwachsen. Es darf in ihr nicht der leiseste Anschein<br />

eines Befehls oder eines Zwangs sein.»<br />

Feldbericht aus dem Kosovo<br />

Auch für die zweite Referentin der Tagung, Hamide Latifi, entsteht Solidarität unmittelbar<br />

zwischen den Menschen. Die Direktorin der HEKS-Partnerorganisation Women for Women<br />

International-Kosova (WfWI) ist überzeugt, dass Menschen, welche die Solidarität anderer<br />

erfahren haben, selbst auch solidarisch handeln werden. In ihrem Vortrag – sie nannte ihn<br />

«einen Feldbericht aus dem Kosovo» – sprach sie über den Weg, den Frauen als Opfer des<br />

Kriegs zurückzulegen haben, um zu einem selbstbestimmten Leben zu gelangen. «Meine<br />

Erfahrungen zeigen, dass keine Tradition, keine Mentalität und keine Gewalt die Frauen im<br />

Kosovo davon abhalten können, ihr Leben neu zu gestalten und für Frieden einzustehen, wenn<br />

sie nur ein klein wenig Hilfe erhalten», sagt Latifi, die während der Regierungszeit von<br />

Milošević als Journalistin über die Unterdrückungen geschrieben hat. Dabei überwinden diese<br />

Frauen nicht nur ihre eigene Unterdrückung. Sie werden Fürsprecherinnen und Vorbilder für<br />

andere unterdrückte Frauen und können so am Anfang einer starken Bewegung für Entwicklung<br />

stehen.<br />

Neben den Referaten von Latifi und Trojan waren am gut besuchten Osteuropa-Tag<br />

weitere «Feldberichte» von HEKS-Partnerinnen und -Partnern aus Albanien, Armenien,<br />

Kosovo, Pakistan, der Republik Moldau, Rumänien, Serbien und Tschechien zu hören. (zue)<br />

Lilian Studer (l.),<br />

HEKS-Genderbeauftragte,<br />

und Hamide Latifi,<br />

Direktorin WfWI-Kosova.<br />

(Foto: Ruedi Lüscher)<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 17


Magazin<br />

Valentin Prélaz, Programmbeauftragter für Mosambik, Simbabwe und Südafrika<br />

«IHRE HOFFNUNG<br />

MOTIVIERT MICH»<br />

Hansjörg Bolliger (Text), Ruedi Lüscher (Foto)<br />

Nein, er hätte sich nie vorstellen können,<br />

einen anderen Beruf zu wählen.<br />

«Die Entwicklungszusammenarbeit hat<br />

mich von klein an geprägt», erklärt Valentin<br />

Prélaz, dessen Vater für die Direktion<br />

für Entwicklung und Zusammenarbeit<br />

(Deza) arbeitete. Seine Kindheit und<br />

Jugend verbrachte er nomadisierend: in<br />

Tunesien geboren, aufgewachsen in Paraguay,<br />

Madagaskar, Mali und Pakistan.<br />

Auch das prägt: Valentin Prélaz sieht die<br />

Welt mit den Augen des Nordens und des<br />

Südens. «Das alles blieb immer in meinem<br />

Kopf.»<br />

Im Alter von 20 Jahren kehrt der heute<br />

35-jährige Waadtländer und Kosmopolit<br />

in die Schweiz zurück. Er studiert Agro -<br />

nomie mit Spezialgebiet Agronomie der<br />

Tropen und meldet sich nach einem Forschungspraktikum<br />

beim IKRK. Das Rote<br />

Kreuz schickt ihn als Delegierten nach<br />

Liberia, Afghanistan und Angola. Nach<br />

drei Jahren kehrt er in die Schweiz zurück,<br />

arbeitet in einem landwirtschaftlichen<br />

Beratungszentrum in Lausanne, bis der<br />

Tsunami in Südostasien Tod und Zerstörung<br />

bringt. Kurz darauf ist Prélaz wieder<br />

beim IKRK, leistet humanitäre Hilfe in<br />

den Katastrophengebieten Sri Lankas.<br />

Von Sri Lanka geht es direkt zu<br />

HEKS. Als Programmbeauftragter für<br />

das südliche Afrika ist Prélaz zuständig<br />

für Mosambik, Simbabwe und<br />

Südafrika. Seine Arbeit beginnt er<br />

in einem äusserst schwierigen Umfeld.<br />

Eben hat in Simbabwe Präsident<br />

Mugabes Säuberungsaktion<br />

stattgefunden. Opfer dieser «Abfallbeseitigung»<br />

wird auch die HEKS-<br />

Partnerorganisation, deren Infrastruk-<br />

tur von Mugabes Bulldozern komplett zerstört<br />

wird. Prélaz reagiert schnell. Mit<br />

Hilfe der Deza gelingt es ihm, die Partnerorganisation<br />

rasch wieder aufzubauen und<br />

funktionstüchtig zu machen.<br />

Heute arbeiten nicht mehr viele Organisationen<br />

in Simbabwe, die meisten sind<br />

gegangen; vor allem jene, die direkt mit<br />

der Regierung zusammengearbeitet haben.<br />

Wer geblieben ist, verhält sich so diskret<br />

wie möglich. «Man muss aufpassen,<br />

was man sagt», erklärt Prélaz. «Die Zusammenarbeit<br />

mit den Partnern ist enorm<br />

schwierig, sie befinden sich in einer sehr<br />

kritischen Situation.»<br />

Inzwischen hat sich die ökonomische,<br />

soziale und politische Krise in Simbabwe<br />

weiter verschlimmert. «Weil sich alles so<br />

schnell verändert, ist es unmöglich, langfristige<br />

Strategien zu verfolgen.» Noch<br />

verhält sich die Bevölkerung abwartend<br />

fatalistisch. Wie lange noch, weiss niemand.<br />

Dennoch sind Verbesserungen<br />

möglich, wenn auch nur auf lokaler Ebene.<br />

«Wenn es etwa einer Gruppe von fünfzig<br />

Frau en gelingt, gemeinsam einen Gemüse -<br />

garten anzulegen und durch den Verkauf<br />

der Ernte etwas Geld zu verdienen, dann<br />

ist das für diese Frauen ein grosser Erfolg.»<br />

An diesen Erfolgen teilzuhaben, ist für<br />

Prélaz äusserst wichtig. So oft wie möglich<br />

sucht er deshalb den direkten Kontakt mit<br />

den Begünstigten. «Was mich tief beeindruckt,<br />

ist, wie die Menschen in einer dramatischen<br />

Situation um ihr Überleben<br />

kämpfen. Wie sie immer noch einen Funken<br />

Hoffnung haben, der Armut und dem<br />

Elend entrinnen zu können.» Es sei diese<br />

Hoffnung, die ihn motiviere, weiter mit ihnen<br />

zu arbeiten. Eine Lebensaufgabe.


(Foto: Pieder Casura)<br />

Die Anbieter der italienschen Luxuskloschüsseln peilen<br />

im südindischen Chennai wohl eine andere Käuferschaft<br />

an als die Slumbewohner, die direkt unter der Werbetafel<br />

leben. Diese von Armut gezeichneten Menschen verrichten<br />

mangels anderer Gelegenheit ihre Notdurft direkt in den<br />

Adayar-Fluss.<br />

Magazin<br />

HEKS Handeln 295 · 1/07 19


Notabene<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

Rosenaktion<br />

der Ökumenischen Kampagne:<br />

100 000 Rosen<br />

gegen Ausbeutung<br />

24. März, ganze Schweiz<br />

«Wir glauben. Arbeit muss menschenwürdig<br />

sein.» So lautet der Slogan der Ökumenischen<br />

Kampagne 2007 von Brot für alle, Fastenopfer<br />

und Partner sein. Im Rahmen der Kampagne,<br />

die bis Ende März läuft, werden am 24. März<br />

schweizweit Max-Havelaar-Rosen verkauft.<br />

Der Erlös geht vollumfänglich an Menschen im<br />

Süden, die sich für faire Arbeitsbedingungen<br />

und ein Leben in Würde einsetzen.<br />

Informationen zur Aktion unter<br />

www.oekumenischekampagne.ch<br />

15. Filmtage<br />

Nord/Süd 2007<br />

28. und 29. März,<br />

Institut für Bildungsmedien, Bern<br />

25. April, Festival visions du réel, Nyon<br />

2. Mai, Musée d’ethnographie, Genf<br />

30. und 31. Oktober, Weltfilmtage, Thusis<br />

jeweils 17.30 bis ca. 21.30 Uhr<br />

Alle zwei Jahre präsentieren die Filmtage<br />

Nord/Süd neue, für Bildungsarbeit und Unterricht<br />

ausgewählte Filme, die Verständnis<br />

für andere Menschen und Kulturen fördern,<br />

die Staunen auslösen, <strong>zum</strong> Schmunzeln bringen<br />

und Fragen aufwerfen. Filme, die dazu<br />

anregen, ein Thema aus ganzheitlicher Per-<br />

20 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

FILM-TIPP<br />

«The Rasheda Trust»<br />

Rasheda, eine ehemalige Tagelöhnerin im<br />

Südwesten von Bangladesch, und ihr Mann<br />

konnten dank einem Mikrokredit auf wenig<br />

Land eine Baumschule gründen. Der Filmemacher<br />

besuchte die beiden erstmals 1993.<br />

Zwölf Jahre später kehrt er zurück, um zu<br />

sehen, was aus der Familie geworden ist.<br />

«The Rasheda Trust» zeigt mit Rückblenden<br />

den letztlich erfolgreichen Weg, den<br />

Rasheda ge gangen ist. Trotz Rückschlägen<br />

und neuen Schulden blickt sie zuversichtlich<br />

in die Zukunft. Zum Bonusmaterial gehört<br />

ein Interview mit dem Friedensnobelpreis -<br />

träger 2006 und Gründer der Grameen-Bank,<br />

Muhammad Yunus.<br />

Dokumentarfilm (52 Min.)<br />

von Jürg Neuenschwander und Razia<br />

Quadir, CH/Bangladesch 2006<br />

DVD mit Extras und Begleitmaterial,<br />

Bengali, d/f/e, ab 16 Jahren<br />

spektive zu betrachten, vernetzt zu denken<br />

und couragiert zu handeln.<br />

Weitere Informationen <strong>zum</strong> Programm<br />

unter www.filmeeinewelt.ch<br />

HEKS-Info-Lunch<br />

Mexico, Chiapas:<br />

Rechte für Urvölker<br />

18. April, 12 bis 14 Uhr<br />

Helferei Grossmünster, Kirchgasse 13,<br />

Zürich<br />

Tildy Hanhart, langjährige HEKS-Mitarbeiterin<br />

und Beauftragte des Programms zur Unterstützung<br />

des Friedensprozesses in Mexiko<br />

PROPAZ, berichtet über die HEKS-Arbeit in<br />

Mexiko. Getränke werden bereitgestellt,<br />

Lunch bitte mitbringen. Anmeldung ist nicht<br />

erforderlich.<br />

«Ohne Glanz<br />

und Glamour!»<br />

Wanderausstellung: Frauenhandel<br />

und Zwangsprostitution im Zeitalter<br />

der Globalisierung – Szene Schweiz<br />

3. bis 20. April<br />

City-Kirche Offener St. Jakob, Zürich<br />

Die Ausstellung benennt die Abgründe von<br />

Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />

mitten in unseren Städten. Hunderttausende<br />

Frauen, meist aus Osteuropa, werden zur<br />

Prostitution gezwungen und sind Opfer moderner<br />

Sklaverei. Zwangsprostitution und<br />

Menschenhandel zählen zu den schwersten<br />

Menschenrechtsverletzungen der Gegenwart.<br />

Das Rahmenprogramm zur Ausstellung<br />

ist in Zusammenarbeit mit HEKS entstanden.<br />

Weitere Informationen unter<br />

www.offener-st-jakob.ch<br />

Verkauf und Verleih:<br />

Stiftung Bildung und Entwicklung<br />

Tel. 031 389 20 21<br />

verkauf@globaleducation.ch<br />

Ausführliche Informationen unter<br />

www.filmeeinewelt.ch<br />

Fair unterwegs:<br />

Die andere Reiseseite<br />

«Fair unterwegs» (www.fairunterwegs.org)<br />

ist ein unabhängiges, nicht gewinnorientiertes<br />

Reiseportal, ohne Reisewerbung und<br />

direkte Buchungsmöglichkeiten, dafür mit<br />

konkreten Handlungsmöglichkeiten für einen<br />

gerechten Umgang mit Mensch und<br />

Natur auf Reisen. Die Website bietet Tipps,<br />

wie Ferien zu einem einmaligen Erlebnis werden,<br />

und zugleich die Menschen im Gastland<br />

fair am Tourismus teilhaben. Hinter dem Portal<br />

steht der Verein Arbeitskreis Tourismus<br />

& Entwicklung. HEKS ist ein Träger dieser<br />

Schweizer Fachstelle, die den Tourismus aus<br />

entwicklungspolitischer Sicht hinterfragt.<br />

BUCH-TIPP<br />

«Déjame en paz!»<br />

Das Postkartenbuch «Déjame en paz!»<br />

(Lass mich in Frieden!) zeigt Bilder des<br />

kolumbianischen Fotografen Jesús Abad<br />

Colorado.<br />

Colorado dokumentiert seit vierzehn Jahren<br />

den bewaffneten Konflikt in Kolumbien.<br />

Seine Fotos zeigen in gleichem Masse<br />

Schmerz, Lebenswillen und Würde der Menschen<br />

inmitten grenzenloser Gewalt. Im über<br />

vierzigjährigen Konflikt ist die Zivilbevölkerung<br />

zur Zielscheibe geworden. Über drei<br />

Millionen Menschen wurden bisher gewaltsam<br />

aus ihren Wohnorten vertrieben.<br />

Für seine «Arbeit gegen das Vergessen»<br />

gewann Jesús Abad Colorado 2006 den Prix<br />

Caritas und in den USA den Press Freedom<br />

Award des Komitees <strong>zum</strong> Schutze der Journalisten.<br />

Die Postkarten können auf der Website<br />

der ask-Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien<br />

angeschaut und <strong>zum</strong> Preis von<br />

20 Franken bestellt werden – unter<br />

www.askonline.ch/shop.htm<br />

oder ask, Postfach 5254, 3011 Bern.<br />

Der Erlös geht zugunsten der Menschenrechts-<br />

und Friedensarbeit in Kolumbien.

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