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Ausgabe zum Herunterladen - Heks

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Persönlich<br />

Leticia Flores,<br />

HEKS-Koordinatorin in Honduras<br />

MIT MUTIGEM,<br />

WACHEM BLICK<br />

Leticia Flores, HEKS-Koordinatorin in der honduranischen Millionen -<br />

metropole Tegucigalpa, lässt sich trotz den alltäglichen Schrecken nicht<br />

davon abbringen: Auch in Honduras werden die Träume eines Tages wahr.<br />

Delf Bucher (Text), Pieder Casura (Foto)<br />

Tegucigalpa, zehn Uhr nachts: Leticia<br />

Flores verlässt ihr Büro. Plötzlich fährt<br />

von hinten ein Motorrad heran, der Fahrer<br />

entreisst ihr die Handtasche. Kein grosses<br />

Ereignis in einem Land, in dem täglich<br />

zehn Morde geschehen. Zum Vergleich:<br />

Die Schweiz mit annähernd gleich grosser<br />

Einwohnerzahl zählt im Jahr 180 Tötungs -<br />

delikte.<br />

Kriminalität ist das Schreckgespenst<br />

der honduranischen Gesellschaft. Auch für<br />

Leticia Flores: «Obwohl der Überfall zwei<br />

Jahre zurückliegt, fürchte ich mich immer<br />

noch, nachts alleine nach Hause zu gehen.»<br />

Der bewaffnete Sicherheitswächter,<br />

der vor dem gemeinsamen Büro dreier<br />

Schwei zer Hilfsorganisationen patrouilliert,<br />

bringt Flores <strong>zum</strong> Taxi, wenn sie wieder<br />

einmal bis in die Nacht arbeitet.<br />

Und doch: Ihre Angst macht sie nicht<br />

blind. Sie will nicht wie die Medien von<br />

den wahren Ursachen der Angst ablenken.<br />

«Die Medien sind schnell mit einer Erklärung<br />

zur Hand: Alle Schuld schieben sie<br />

den Jugendbanden zu. Aber die sozialen<br />

Hintergründe, die zu den Gewaltausbrüchen<br />

in unserer Gesellschaft führen,<br />

blenden sie aus.»<br />

Zwei Drittel sind arm<br />

Damit ist die 41-Jährige bei ihrem Spezialgebiet<br />

angelangt. Unerbittlich misst sie den<br />

Elendskosmos ihres Landes aus. 70 Prozent<br />

14 HEKS Handeln 295 · 1/07<br />

der Honduranerinnen und Honduraner<br />

leben unter der Armutsgrenze. Ein Drittel<br />

der Menschen ist unterernährt. Die Arbeitslosigkeit<br />

liegt offiziell bei 29 Prozent.<br />

«Realistischer sind aber 40 Prozent», korrigiert<br />

Flores. 5000 Kinder leben alleine in<br />

Tegucigalpa auf der Strasse. 10 Prozent der<br />

Menschen sind in die USA ausgewandert,<br />

ihre Überweisungen von 1,3 Milliarden<br />

Dollar überflügeln alle anderen Deviseneinnahmen<br />

des Landes.<br />

«Samen der Hoffnung»<br />

Was Leticia Flores im Schnellzugstempo<br />

an Fakten serviert, ist entmutigend. Warum<br />

kehrt sie als studierte Agrarökonomin<br />

ihrer Heimat nicht einfach den Rücken?<br />

Flores’ Antwort hört sich schon fast<br />

sozialromantisch an: «Ich bin froh, dass ich<br />

die Möglichkeit habe, den Samen der<br />

Hoffnung zu säen.»<br />

«Samen der Hoffnung» – das klingt<br />

poetisch und weist auf Flores’ grosse Leidenschaft<br />

hin. «Ich liebe es, in die Nächte<br />

hinein zu lesen», sagt sie. Vor allem lateinamerikanische<br />

Schriftstellerinnen und Autoren,<br />

darunter viele Romane von Isabel<br />

Allende, Gabriel García Márquez und<br />

Paulo Coelho, füllen ihr Bücherregal.<br />

Gute Bettlektüre kann sie brauchen,<br />

denn derzeit sind ihr die Nächte lang. Nur<br />

schwer findet sie Schlaf. «Ich bin dabei, das<br />

grösste Projekt meines Lebens zu verwirk-<br />

lichen.» Leticia Flores ist schwanger.<br />

Aber neben ihrem privaten «Hoffnungsprojekt»<br />

liegen ihr auch die Entwicklungsprojekte<br />

von HEKS am Herzen.<br />

Ihre grösste Hingabe gilt dabei der bäuerlichen<br />

Selbsthilfeorganisation Adepes. Im<br />

steilen Hügelland im Süden von Honduras,<br />

das dauernd von Bodenerosion durch<br />

Trockenheit und starke Niederschläge bedroht<br />

ist, entstand in nur wenigen Jahren<br />

eine blühende Landschaft.<br />

Gerne wäre sie mit dem Besuch aus<br />

der Schweiz dorthin gefahren. Aber ihre<br />

Schwangerschaft lässt lange Autofahrten<br />

nicht mehr zu. Und so erzählt sie im Büro<br />

von Tegucigalpa vom Kleinbauer Teofilo,<br />

der sich vom Alkoholiker <strong>zum</strong> initiativen<br />

Bauernführer gewandelt hat. Sie schwärmt<br />

von der Vielfalt der Ackerfrüchte und des<br />

Obsts auf den terrassierten Feldern. Adepes<br />

ist für Leticia Flores eine Chiffre für<br />

ein neues Honduras: «Viele Menschen<br />

sind durch das HEKS-Projekt aus ihrer<br />

Lethargie herausgerissen worden und haben<br />

wieder Visionen.» Das sei sehr wichtig.<br />

Denn viele Honduranerinnen und<br />

Honduraner würden mit ihrem Schicksal<br />

hadern. «Sie denken: Ich bin arm geboren,<br />

und ich bleibe arm», sagt die Agrarwissenschaftlerin,<br />

die als Tochter eines Bauarbeiters<br />

und einer Wäscherin einst selbst arm<br />

geboren wurde – und heute den Samen der<br />

Hoffnung sät.

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