zds#11
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die<br />
dame in<br />
blau<br />
14<br />
24,3 Prozent der Bevölkerung Vegesacks<br />
ist 65 Jahre oder älter, sagen die Statistiker.<br />
Das liegt deutlich über dem Bremer<br />
Durchschnitt. Und der Trend, auch das haben<br />
die Statistiker errechnet, wird sich in<br />
den kommenden 20 Jahren noch verstärken.<br />
Kein schlechtes Pflaster also, um das<br />
Kleidungsverhalten der älteren Generation<br />
zu studieren. Wir wollen wissen: Gibt<br />
es noch modebewusste Exoten oder doch<br />
nur eine beige Masse?<br />
Jacke beige,<br />
Hose beige,<br />
Schuhe beige,<br />
Haare<br />
dunkelweiß<br />
Der erste Eindruck stützt das Vorurteil.<br />
Jacke beige, Hose beige, Schuhe beige,<br />
Haare dunkelweiß. Kein Kontrast zum<br />
grauen Winterhimmel. Um uns strömt es.<br />
Die Gesichter aber gehen unter. Schon<br />
naht das Ende der Einkaufsmeile.<br />
Erst langsam schärft sich unser Blick. Wir<br />
erkennen Unterschiede, bilden Kategorien.<br />
„Graue Oma“ etwa ist recht häufig, meist<br />
gehört auch ein Rollator dazu. Die<br />
„Norddeutschen“, Männer vornehmlich,<br />
immer ganz in Blau, mit Jeans, Jacke und<br />
Fischermütze. Nicht zu verwechseln mit<br />
den „Sportlichen“, frisch vom Nordic<br />
Walking und noch in Trainingshose oder<br />
auf dem Fahrrad. Und natürlich „Mittelstand“,<br />
mit Steppjacke und Weste von<br />
Peek & Cloppenburg, der einzigen Kette<br />
und einziges größeres Bekleidungsgeschäft<br />
vor Ort. Gut und auf eine bestimmte<br />
Weise auch trendy angezogen<br />
sind diese Senioren. Rot, so unser Eindruck,<br />
ist die bevorzugte Akzentfarbe<br />
dieser Saison. Ordentliche, aufeinander<br />
abgestimmt Pärchen kommen uns entgegen,<br />
mit viel Sorgfalt und Bedacht gekleidet.<br />
Rote Tupfer lassen sich in allen<br />
Nuancen entdecken. Spannend ist es<br />
trotzdem nicht.<br />
Schlangenlederschuhe<br />
und<br />
Leopardenmantel<br />
Dann aber dies: Eine ältere Frau, die<br />
sich schon von Weitem abhebt aus der<br />
Masse. Sie trägt einen Mantel mit Leopardenmuster<br />
und zieht einen lila Trolley<br />
hinter sich her. Wir mustern sie schüchtern,<br />
sie blickt uns grimmig an. Wir gehen<br />
weiter: Moment verpasst. Schade eigentlich.<br />
So kann das nicht weitergehen.<br />
Da! Ein schickes Rentnerpärchen bummelt<br />
die Geschäfte entlang. Sie trägt einen<br />
schwarzen Mantel mit Stiefeln. Er<br />
eine dunkelgrüne Steppjacke mit Schottenmusterfutter<br />
im Jägerlook. Wir fassen<br />
uns ein Herz und gehen hin. Ob sie ihr<br />
Outfit bewusst aufeinander abgestimmt<br />
hätten? Die Frau verdreht die Augen,<br />
flüchtet in die nächste Modeboutique. Ihr<br />
Begleiter bleibt zurück, beantwortet widerwillig<br />
unsere Frage: Bewusst aufeinander<br />
abgestimmt hätten sie sich bestimmt<br />
nicht, sondern sich einfach so angezogen<br />
wie immer, wenn sie in die Stadt gingen.<br />
Im Übrigen kämen sie nicht aus Bremen,<br />
sondern aus Bremerhaven, sagt er noch<br />
und flüchtet flugs seiner Frau hinterher,<br />
genervt von den Fragen, mit denen er<br />
nichts anfangen kann.<br />
Ob der ältere<br />
Herr sich wohl<br />
auch als<br />
Hipster sieht?<br />
Nummer drei ist eine ältere Dame mit<br />
Rollator, bunter Jacke und Schlangenlederschuhen,<br />
die an uns vorbeischlurft.<br />
„Tolle Farben, endlich mal Muster, super,<br />
dass Sie sich das trauen!“, loben wir. Die<br />
Dame versucht, uns durch ihre große<br />
Brille zu fokussieren. Nein, nein, an so<br />
was habe sie nicht gedacht. Sie sei fast<br />
blind und froh, überhaupt den Weg wieder<br />
nach Hause zu finden, sagt sie und<br />
setzt sich wieder in Bewegung. Ein bisschen<br />
ernüchtert gehen wir weiter.<br />
In der Bremer City gibt es nur noch Kleiderketten.<br />
In der Vegesacker Einkaufsmeile<br />
reihen sich dagegen noch die Boutiquen<br />
aneinander. Sie heißen „Brigitte<br />
Moden“ und „Das Hosenhaus“, „Macy-<br />
Mode“ und „Cinderella-Mode“. Hinter<br />
den Scheiben können wir die Vegesacker<br />
Saisontrends erkennen.<br />
Ein älterer Herr schlendert an uns vorbei.<br />
Er trägt einen Anorak in Türkis mit gelben<br />
Streifen und alte Sportschuhe mit<br />
gelben Schnürsenkeln, die farblich zum<br />
Anorak passen. Seine Brille ist riesig, alt<br />
und blau getönt. Angenommen, ein Mittzwanziger<br />
in Berlin würde dieselbe Kombination<br />
tragen, er wäre ein Hipster. Ob<br />
der ältere Herr sich wohl auch als Hipster<br />
sieht? „Heute morgen hatte ich einen<br />
Wasserrohrbruch und musste schnell<br />
raus. Da habe ich einfach angezogen, was<br />
ich greifen konnte“, erzählt er. Aufregend,<br />
finden wir. Andere würden es vielleicht<br />
als Ausrutscher sehen. „Kommen aus<br />
der Masse hervorstechende Modekombination<br />
in dieser Generation bloß aus<br />
Versehen zustande?“, fragen wir uns.<br />
Ein Hut<br />
aus Amsterdam<br />
Bis wir die ältere Dame treffen. Sie<br />
trägt einen schicken Hut, Lederhandschuhe<br />
und ist bis auf ihren knallblauen Rollkragenpullover,<br />
der unter ihrem Wollmantel<br />
hervorblitzt, ganz in Dunkelblau<br />
gekleidet. „Haben Sie den Pullover bewusst<br />
zu Ihrem Outfit kombiniert?“ Ihre<br />
Augen fangen an zu leuchten. Sie nickt.<br />
„Ja“, sagt sie selbstbewusst. „Den Pullover<br />
trage ich sehr gerne“, erzählt sie. „Ich<br />
habe extra keinen Schal angezogen, damit<br />
man ihn besser sieht.“ „Sie tragen einen<br />
wirklich schönen Hut! Das sieht man selten<br />
heutzutage“, staunen wir. „Ich trage<br />
sehr gerne Hüte. Ich habe insgesamt fünf,<br />
einen sogar aus Amsterdam, ein echter<br />
‚Mayser‘-Hut.“ – „Warum tragen Sie gerade<br />
Blau?“ – „Das trage ich am liebsten.<br />
Es passt am besten zu meinen Augen.<br />
Manchmal trage ich aber auch Rot oder<br />
Grau. Lila dagegen würde ich niemals tragen.<br />
Vor einiger Zeit war Lila furchtbar<br />
modern. In allen Geschäften hat man fast