zds#11
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In der<br />
Mausefalle<br />
34<br />
platz-Szene“, weg vom Sedanplatz, wo es<br />
ständig zu Konflikten mit Anwohnern,<br />
Geschäftsleuten und Passanten kam, weg<br />
vielleicht auch aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit.<br />
Ortsamt, Beirat und die Polizei<br />
machten sich für eine Verlagerung<br />
des Treffpunkts im nahen Umfeld stark.<br />
Und betonten zugleich das Recht auch<br />
dieser Bürger, sich im öffentlichen Raum<br />
aufzuhalten. Der neue Treff liegt keine<br />
200 Meter weiter, auf der anderen Seite<br />
des Bürgerhauses. Die Innere Mission hat<br />
die Fläche gepachtet, Kirchengemeinden<br />
und kirchliche Institutionen finanzieren<br />
Wesemanns Stelle. Die Streetworkerin<br />
begleitet ihre Besucher zu Anwälten und<br />
Behörden, unterstützt sie bei der Wohnungssuche<br />
und bei Umzügen. Vor allem<br />
aber hat sie ein offenes Ohr für sie. Das<br />
hat schon einigen geholfen.<br />
Du hast den<br />
Zahnarzt<br />
angerufen,<br />
nicht ich. Ich<br />
habe dir nur<br />
auf die Sprünge<br />
geholfen<br />
„Viele, die hier entlanggehen und herschauen,<br />
denken sich, da treffen sich nur<br />
Drogenabhängige, die sich ihr Zeugs reinpfeifen.<br />
Aber so ist es halt nicht“, sagt<br />
Wesemann mit Blick auf die Beschwerden<br />
von Passanten und Anwohnern, die es<br />
regelmäßig gibt. Gerade steht wieder<br />
eine Frau an der Hecke und blickt<br />
suchend herüber, läuft dann zielstrebig<br />
über den Platz in Richtung Unterstand.<br />
„Wo ist die Streetworkerin?“, wirft sie<br />
ohne stehen zu bleiben in die Runde.<br />
Gimmy Wesemann ist auch in diesem<br />
Falle Ansprechpartnerin.<br />
Links eine Hauswand, hinten Gestrüpp–<br />
rechts trennt ihn ein Zaun mit Hecke<br />
zum Fußweg ab. Zur Straße hin steht<br />
ebenfalls eine hüfthohe Hecke, die nur einen<br />
Durchgang lässt.„Mausefalle“ heißt<br />
der Treff im Szenejargon auch. Der Unterstand<br />
vor dem Gestrüpp, den Wesemanns<br />
Vorgänger mit den Besuchern zusammen<br />
gebaut hat, ist für viele hier zum<br />
Wohnzimmer geworden. An diesem Vormittag<br />
sitzen und stehen auf dem Platz<br />
etwa 20 Menschen. Über den Tag verteilt<br />
schauen meist dreimal so viele vorbei.<br />
„Meine Leute“ nennt Wesemann sie. Die<br />
meisten hocken auch bei gutem Wetter<br />
auf der Bank unter dem Dach. Wenn es<br />
regnet wie heute, wird es eng dort. Drei<br />
Viertel der Besucher sind männlich, die<br />
Mehrzahl zwischen 25 und 50 Jahre. Viele<br />
sind heroinabhängig, manche bekommen<br />
täglich Methadon oder andere Ersatzmittel.<br />
Der Geruch von offenen<br />
Bierflaschen und nassen Klamotten liegt<br />
über dem Platz. Einige der Besucher wärmen<br />
sich mit Kaffee auf oder schlürfen<br />
aus Plastikbechern die heiße Brühe, die<br />
Wesemann mitgebracht hat.. Für einige<br />
ist das manchmal das Einzige, das sie am<br />
Tag zu sich nehmen.<br />
Auch an die Hunde der Besucher denkt<br />
die Streetworkerin, stellt ihnen immer einen<br />
Wassernapf raus. Zwei Rüden jagen<br />
einem Weibchen hinterher, ihre Besitzer<br />
unterhalten sich lautstark – insgesamt zu<br />
laut für einige. Etwa für den 40-jährigen<br />
Torsten, dem es sichtlich schwerfällt,<br />
gegen das Gebrüll der anderen anzukommen.<br />
Er ist selten hier, verbringt den Tag<br />
lieber im Vegesacker Stadtpark, wo es<br />
ruhig ist und nicht so viele Leute auf<br />
einem Fleck. Vor allem aber will er nicht<br />
wieder reingezogen werden in die Drogenszene,<br />
jetzt, wo er seit zwei Jahren<br />
endlich clean ist. Heute aber zwingt ihn<br />
das schlechte Wetter unters Teerpappdach.<br />
Auf seinem blauen Trainingsanzug<br />
mit den gelben Streifen und seiner Baseballmütze<br />
sind die Regentropfen nicht zu<br />
übersehen. „Gimmy, schenkst du mir<br />
eben einen Kaffee ein?“, fragt er.<br />
Torsten ist 40 und hat schon vieles hinter<br />
sich in seinem Leben. Erst eine Ausbildung<br />
zum Bäcker. Dann vier Jahre als<br />
Zeitsoldat. Dass er die nicht verlängert<br />
hat, bedauert er noch heute. „Das war<br />
der sicherste Arbeitsplatz überhaupt.“ Er<br />
schüttelt den Kopf. So aber fällt er in ein<br />
Loch, fängt mit 30 an, Drogen zu nehmen.<br />
Alle in seiner WG machten das, sagt er.<br />
Irgendwann auch er. „Is’ doch total blöd“,<br />
ärgert er sich. Torsten stürzte tief. Zweieinhalb<br />
Jahre lang putzt er die Maschinen<br />
im Atomkraftwerk Unterweser, im Vollschutzanzug.<br />
Immer nach ein paar Stunden,<br />
erinnert er sich, mussten sie wieder<br />
raus, wegen der Strahlung. Seinem nächsten<br />
Job, auf einem Krabbenkutter, setzt<br />
ein Knurrhahn ein Ende. Torsten zeigt auf<br />
seine Hand. Er habe den Fisch zu früh angefasst,<br />
die Folgen sind schmerzhaft: Ein<br />
Ausschlag an der Hand, es bilden sich Blasen.<br />
Die Verletzung überträgt sich auf die<br />
andere Hand, setzt ihn sechs Wochen<br />
lang außer Gefecht. Zu lange für seinen<br />
damaligen Chef: Der schmeißt ihn raus.<br />
Torsten wechselt ins Dachdeckergewerbe,<br />
schlägt sich dort vier weitere Jahre<br />
durch. Er macht einen Entzug, erfolgreich.<br />
Seither wartet er auf eine Festanstellung.<br />
„Egal, als was“, wie er betont.<br />
Zwei Rüden<br />
jagen einem<br />
Weibchen<br />
hinterher, ihre<br />
Besitzer<br />
unterhalten<br />
sich lautstark<br />
Lebenswege wie den von Torsten haben<br />
viele beim „Szenetreff“ hinter sich.<br />
Verlieren irgendwann den Arbeitsplatz –<br />
nicht wenige infolge der „Vulkan“- Pleite – ,<br />
flüchten sich in die Sucht. Viele leben allein,<br />
haben kaum noch Kontakte zu Nicht-<br />
Süchtigen. Beim „Szenetreff“ suchen sie<br />
Gesellschaft oder, wie viele es ausdrücken,<br />
„jemanden für ein gemeinsames<br />
Bier“. Tatsächlich sitzen viele den ganzen