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Das Verhaltnis der Psychiatrie, aber auch der Psychologie<br />
<strong>und</strong> Padagogik zur Homosexualitat, lasst sich<br />
als eine "belastete Geschichte" (HUBSCHMID 1996, s.<br />
1184) beschreiben. Bis 1994 lernten z.B. angehende<br />
Arzte wahrend ihres Medizinstudiums, Homosexualitat<br />
"als sexuelle Deviation zu diagnostizieren" (MEDIGAY<br />
1996, S. 1931). In medizinischen Lehrbuchern wurde<br />
Homosexualitat lange Zeit als Perversion bezeichnet,<br />
<strong>und</strong> man nahm an, dass Homosexualitat die "Folge<br />
einer StOrung in der psychosexuellen Entwicklung" sei<br />
(HUBSCHMID 1996, s. 1184). Wegen ihrer angeblichen<br />
Unreife wurden Schwule <strong>und</strong> Lesben unter anderem von<br />
bestimmten psychotherapeutischen Ausbildungen ausgeschlossen.<br />
Auch heute noch werden Menschen mit<br />
einer anderen als der heterosexuellen Orientierung "in<br />
schwerwiegender Weise diskriminiert" (HUBSCHMID<br />
1996, s. 1184). Der Chefarzt der Universitaren Psychiatrischen<br />
Dienste Bern, Dr. med. Tedy HUBSCHMID fragt<br />
angesichts dieser Bef<strong>und</strong>e: "Wann beginnt die Vergangenheitsbewaltigung?"<br />
(HUBSCHMID 1996).<br />
Auch in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit <strong>und</strong><br />
dort insbesondere in der jugendhilfe werden Lesben,<br />
Schwule <strong>und</strong> ihre Angehorigen als Zielgruppe stark vernachlassigt<br />
(vgl. HARK 2000, S. 48; vgl. auch HOFSAss<br />
1999, s. 9 ff.). Padagoglnnen, Sozialarbeiterlnnen <strong>und</strong><br />
Psychologlnnen in psychosozialen Beratungsstellen,<br />
jugendamtern <strong>und</strong> jugendhilfeeinrichtungen mussen<br />
reflektieren, inwieweit sie die Existenz lesbischer oder<br />
schwuler Klientel in ihren Handlungsfeldern uberhaupt<br />
wahrnehmen <strong>und</strong> welche Konsequenzen sich daraus<br />
fUr ihr berufliches Handeln ergeben.<br />
Lesbische <strong>und</strong> schwule Ratsuchende stellen eine besondere<br />
Herausforderung fUr die Mitarbeiterlnnen in Beratungsstellen<br />
des psychosozialen Versorgungssystems<br />
dar <strong>und</strong> werden dort erst in jungster Zeit allmahlich als<br />
eigene Zielgruppe erkannt. In der wohl am weitesten<br />
verbreiteten institution ellen Form der psychosozialen<br />
Versorgung, der Erziehungsberatung (EB), erweist sich<br />
die »belastete Geschichte« des Umgangs mit Homosexualitat<br />
als besonders problematisch, da sich in ihr<br />
nicht allein die ausgrenzenden Traditionen von Psychologie,<br />
Psychiatrie <strong>und</strong> Padagogik, sondern auch<br />
diejenigen der konfessionellen Trager von Erziehungsberatungsstellen<br />
wiederfinden.<br />
Beitrag der gegenwartigen<br />
Homosexuellenforschung<br />
In Deutschland waren es vor allem drei historische Ereignisse,<br />
die die gegenwartige Homosexuellenforschung<br />
hervorgebracht haben: Die Teil-Entkriminalisierung der<br />
"mannmannlichen Wollust" in der Strafrechtsreform<br />
von 1969, der gesellschaftskritische Impetus der Studentenbewegung<br />
mit seinen Folgen fUr die Wissenschaftskultur<br />
sowie die Frauenbewegung mit ihrem<br />
Emanzipationsanliegen (ZILLICH 1993, s. 353). Neue<br />
Studien entstanden in Disziplinen wie Sexualwissenschaft<br />
<strong>und</strong> Psychoanalyse, die sich traditionell dem<br />
Thema Homosexualitat verpflichtet sahen, aber auch<br />
zunehmend in bis dato "weitgehend desinteressierten<br />
Disziplinen wie Sozial-, Geschichts- <strong>und</strong> Literaturwissenschaft"<br />
(ebd., S. 353). In den Disziplinen Sexualwissenschaft<br />
<strong>und</strong> Psycho logie, die belastet waren<br />
durch das Erbe der Pathologisierung der Homosexualitat,<br />
schrieben DAN-<br />
NECKER <strong>und</strong> REICHE Lesbische <strong>und</strong> schwule Rat-<br />
(1974) den »modernen suchende stellen eine besondere<br />
Herausforderung fUr die<br />
Klassiker« der b<strong>und</strong>esdeutschen<br />
Homosexuellenfo<br />
rsch u ng.<br />
Mitarbeiterlnnen in Beratungsstellen<br />
des psychosozialen<br />
Versorgungssystems dar<br />
Hierin erfuhren Homo-<br />
sexuelle im Rahmen<br />
psychoanalytischer Theoriebildung <strong>und</strong> aus kulturkritischer<br />
Perspektive "eine lediglich defensive Rehabilitierung",<br />
der "pathologisierende Blick auf homosexuelle<br />
Manner" wurde jedoch nach wie vor nicht aufgegeben<br />
(ZILLICH 1993, S. 353 f.). Morgenthaler war es, der "mit<br />
der Theoretisierung einer unneurotischen Entwicklung<br />
zur Homosexualitat einen Umbruch im psychoanalytischen<br />
Denken anregte" (ebd., S. 354). Vor allem Lautmann<br />
ist es zu verdanken, dass sich in der deutschen<br />
Homosexuellenforschung seit Ende der 1970er jahre<br />
allmahlich eine sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise<br />
herausbildet.<br />
In den 1980ern <strong>und</strong> Anfang der 1990er jahre wurden<br />
im Zuge der AIDS-Epidemie einige Studien uber das<br />
Sexualverhalten schwuler Manner verOffentlicht. Die<br />
neuerliche Betrachtung des schwulen Mannes als ausschlieBliches<br />
Sexualwesen kann als Ruckschritt in<br />
der sozialwissenschaftlichen<br />
angesehen<br />
werden.<br />
Homosexuellenforschung<br />
1m Zuge der seit den 1990er jahren auszumachenden<br />
neuen Liberalisierungstendenzen gegenuber gleichgeschlechtlichen<br />
Lebensweisen, die auch als Erfolg der<br />
Schwulen- <strong>und</strong> Lesbenbewegung anzusehen sind, ist<br />
das Interesse von Politik <strong>und</strong> Verwaltung an Erkenntnissen<br />
der Homosexuellenforschung gestiegen. Unter<br />
anderem ist es der Einrichtung von speziellen, fUr die<br />
Belange homosexueller Menschen zustandiger sozialadministrativer<br />
Stellen in einzelnen Landesministerien,<br />
zum Beispiel 1996 im damaligen Ministerium fUr Arbeit,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziales (MAGS) des Landes Nordrhein-Westfalen,<br />
<strong>und</strong> einer veranderten Forderpolitik zu<br />
verdanken, dass neue, meist explorativ angelegte Studien<br />
zu diversen lesbischen <strong>und</strong> schwulen Fragestellungen<br />
in Auf trag gegeben wurden. Die Themen dieser<br />
Auf- tragsstudien wurden naturgemaB nach Ge-sichtspunkten<br />
der Ver- wertbarkeit fUr aktuelle Aufgaben von<br />
Politik <strong>und</strong> Verwaltung ausgewahlt. So wurde beispielsweise<br />
auf der Gr<strong>und</strong>lage der reprasentativen Bevolkerungsumfrage<br />
im Auf trag des Ministeriums fUr Frauen,<br />
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