WESTFÄLISCHES ÄRZTEBLATT
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12 INFO AKTUELL<br />
EUROPEAN RESUSCITATION COUNCIL<br />
Neue Leitlinien zur Reanimation<br />
<br />
von PD Dr. Andreas Bohn und Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Hugo Van Aken*<br />
Am 15.10.2015 erschienen die neuen Leitlinien<br />
zur Reanimation des European Resuscitation<br />
Council (ERC). Die zentralen Aussagen zur<br />
Versorgung Erwachsener sind nachfolgend<br />
zusammengefasst:<br />
Basismaßnahmen der Wiederbelebung<br />
Die Laien-Hilfe vor dem Eintreffen professioneller<br />
Helfer wird in besonderer Weise<br />
in ihrer Wichtigkeit betont. Hierzu ist eine<br />
Interaktion zwischen der Rettungsleitstelle<br />
und den Notfallzeugen essentiell. Leitstellen-Mitarbeiter<br />
sollen geschult sein, anhand<br />
der Schilderungen des Anrufenden einen<br />
Herz-Kreislauf-Stillstand sicher zu erkennen.<br />
Das Auftreten von sog. agonaler Atmung<br />
(„Schnappatmung“) kann hierbei als normale<br />
Atmung eines Bewusstlosen, motorische Entäußerungen<br />
im Rahmen der Asphyxie als Epileptischer<br />
Anfall fehlgedeutet werden. Die<br />
Leistungen des Leitstellenpersonals in der<br />
Erkennung eines Herz-Kreislauf-Stillstands<br />
und die sichere Anleitung der Notfallzeugen<br />
zur Wiederbelebung müssen dringend verbessert<br />
werden. Für Laien muss die Reanimation<br />
selbstverständlich werden. Bei Erwachsenen<br />
können zur Überbrückung bis zum Eintreffen<br />
des Rettungsdienstes in den ersten Minuten<br />
alleinige Thoraxkompressionen ausreichen, da<br />
das Blut über diesen Zeitraum noch mit Sauerstoff<br />
gesättigt ist. Helfer, die eine Beatmung<br />
beherrschen, sollen jeweils nach 30 Thoraxkompressionen<br />
zwei Beatmungen durchführen.<br />
Zur Reanimation bei Kreislaufstillstand<br />
empfehlen die Leitlinien eine Drucktiefe von<br />
5 — 6 cm. Die Frequenz soll bei 100 — 120 pro<br />
Minute liegen. Unterbrechungen sollen, außer<br />
zur Durchführung von Beatmungen, vermieden<br />
werden. Leitstellenpersonal soll im Falle<br />
eines Herz-Kreislauf-Stillstands zusätzliche<br />
Notfallzeugen, die nicht mit der Wiederbelebung<br />
beschäftigt sind, den Weg zu einem in<br />
der Nähe gelegenen Automatischen Externen<br />
Defibrillator (AED) weisen, wenn da durch gegenüber<br />
dem Eintreffen professioneller Hilfe<br />
ein relevanter Zeitvorteil entsteht. Derzeit<br />
ergibt sich kaum ein Nutzen von Öffentlichen<br />
AED, da der überwiegende Teil der Herz-Kreislauf-Stillstände<br />
nicht in der Öffentlichkeit,<br />
sondern in der Wohnung des Betroffenen<br />
stattfindet. Zudem fehlt es an Ersthelfern,<br />
die mit dem Umgang mit dem Gerät so gut<br />
vertraut sind, dass sie im Falle einer Reanimation<br />
damit umgehen können. Zukünftig<br />
könnten Alarmierungssysteme für in der Nähe<br />
des Notfalles befindliche Ersthelfer den Nutzen<br />
Öffentlicher AED deutlich verbessern. Ein<br />
System zur Ersthelfer- Alarmierung ist z. B.<br />
im Kreis Gütersloh implementiert (www.mobile-retter.de).<br />
Besonders sinnvoll erscheint<br />
zudem die Ausbildung von Schülern in Wiederbelebung.<br />
Eine Doppelstunde pro Jahr ab<br />
der 7. Klasse ist hierzu ausreichend, diese kann<br />
von ausgebildeten Lehrern gegeben werden.<br />
Entsprechende Empfehlungen wurden von<br />
der deutschen Kultusministerkonferenz und<br />
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgesprochen.<br />
Die Leitlinien-Autoren fassen<br />
zusammen: „Thoraxkompression rettet, Beatmung<br />
hilft, AED unterstützen“.<br />
Erweiterte Maßnahmen der Reanimation<br />
Darin ausgebildete Ärzte sollen im Rahmen<br />
der Reanimation eine Intubation vornehmen –<br />
wenn möglich, ohne dabei die Herzdruckmassage<br />
zu unterbrechen. Als Alternativen für die<br />
Atemwegssicherung gelten supraglottische<br />
Atemwegshilfen. Die Kapnographie während<br />
der Reanimation ist obligat zur Überwachung<br />
der Ventilation sowie zur frühen Erkennung<br />
eines wiedereintretenden Spontankreislaufes.<br />
Adrenalin wird weiterhin und unverändert<br />
empfohlen, ebenso Amiodaron bei persistierendem<br />
Kammerflimmern. Die Empfehlungen<br />
zur Defibrillation sind im Wesentlichen<br />
unverändert geblieben. Eine Defibrillation<br />
soll bei Kammerflimmern frühestmöglich erfolgen.<br />
Bei biphasischen Geräten erfolgt die<br />
erste Defibrillation mit 150 Joule. Nach Defibrillation<br />
werden die Thoraxkompressionen<br />
für zwei Minuten fortgesetzt, dann erfolgt<br />
eine erneute Beurteilung des EKG. Bei einem<br />
am EKG-Monitor beobachtetem Kammerflimmern<br />
sollen drei rasch aufeinander folgende<br />
Defibrillationen durchgeführt werden.<br />
Ultraschall wird zur besseren Feststellung<br />
der reversiblen Ursachen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes<br />
empfohlen. Der Einsatz ist<br />
auch im Rettungsdienst möglich und sinnvoll.<br />
Die routinemäßige Anwendung mechanischer<br />
Reanimationsgeräte wird nicht empfohlen,<br />
diese sind jedoch eine sinnvolle Alternative,<br />
wenn durchgehende, qualitativ hochwertige<br />
Thoraxkompressionen nicht möglich sind,<br />
beispielsweise auf dem Transport ins Krankenhaus.<br />
Ein Transport in eine Klinik, die extrakorporale<br />
lebensrettende Techniken zur Anwendung<br />
bringen kann, ist im Einzelfall sinnvoll<br />
und sollte für ausgewählte Patienten erwogen<br />
werden. Das Kapitel zur Postreanimationsbehandlung<br />
wurde neu in die Leitlinien aufgenommen.<br />
Darin wird die Notwendigkeit einer<br />
vordringlichen Koronarangiographie nach<br />
außerklinischem Kreislaufstillstand mit vermutet<br />
kardialer Ursache (> 70 % der Fälle)<br />
betont. Nach Kreislaufstillstand sind die<br />
Überlebenschancen höher, wenn die Patienten<br />
in spezialisierte Krankenhäuser, sogenannte<br />
„Cardiac Arrest Center“, transportiert werden.<br />
Ebenso bleibt ein zielgerichtetes Temperaturmanagement<br />
der Patienten wichtig. Hierbei<br />
ist, unabhängig vom initialen Herzrhythmus,<br />
die Körpertemperatur für mindestens 24<br />
Stunden auf 32 — 34 °C (alternativ 36 °C) zu<br />
halten. Fieber muss ebenso wie eine Hyperoxie<br />
in jedem Fall für 72 Stunden streng vermieden<br />
werden. Eine Prognostizierung nach<br />
Reanimation soll frühestens nach 72 Stunden<br />
erfolgen. Der Rehabilitation nach einem überlebten<br />
Kreislaufstillstand kommt ein großes<br />
Gewicht zu. Der weit überwiegende Anteil der<br />
Überlebenden eines Herz-Kreislauf-Stillstands<br />
erreicht eine gute bis sehr gute Lebensqualität.<br />
Herz-Kreislauf-Stillstand im Krankenhaus<br />
Die Überlebensraten beim innerklinischen<br />
Herz-Kreislauf-Stillstand gelten weiter als<br />
zu niedrig und überdies sind die meisten<br />
Ereignisse vermeidbar. Herz-Kreislauf-Stillstände<br />
im Krankenhaus sind im Regelfall keine<br />
plötzlichen Ereignisse, sondern gehen mit Hypotonie-<br />
und Hypoxämie-Phasen einher, die<br />
erkannt werden müssen, um eine Reanimation<br />
zu vermeiden. Krankenhäuser sollten Notfallteams<br />
etablieren, die bei definierten Zuständen<br />
alarmiert werden, um einen Kreislaufstillstand<br />
zu verhindern. Klare Kriterien sollten<br />
definiert werden, die zu einer Alarmierung des<br />
„Medical Emergency Teams“ führen. Der reine<br />
„Herzalarm“ zur Reanimation wird nicht mehr<br />
als ausreichend angesehen.<br />
Die Leitlinien sind kostenlos erhältlich unter:<br />
ERC-Leitlinien: http://www.cprguidelines.eu<br />
Deutsche Übersetzung des GRC: http://www.<br />
grc-org.de<br />
* PD Dr. Andreas Bohn ist Ärztlicher Leiter Rettungsdienst<br />
der Stadt Münster, Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Hugo Van Aken<br />
ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin<br />
und Schmerztherapie des Universitätsklinikums<br />
Münster.<br />
01|16 <strong>WESTFÄLISCHES</strong> <strong>ÄRZTEBLATT</strong>