zds#28
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22 | Reportage<br />
Wer Trampen will, braucht Geduld. Und guten Kaffee. André Beinke<br />
hatte zum Glück beides.<br />
reportage | 23<br />
Auf ins<br />
Paradies<br />
Ein Schild, ein Handy. Unser Autor will<br />
endlich mal wieder raus. Per Anhalter, irgendwohin.<br />
Ob es ihm gelingt?<br />
Text: André Beinke<br />
Fotos: Begüm Yücelay & André Beinke<br />
Das Handy zeigt 11 Uhr. Es wird nicht der letzte<br />
Blick auf mein Smartphone sein an diesem denkwürdigen<br />
Tag. Sonnenfinsternis und Frühlingsanfang<br />
zur selben Zeit – wäre ich der Gründer des<br />
Mayakalenders, hätte ich den Weltuntergang nicht<br />
für Silvester 2013 geplant, sondern genau für diesen<br />
Moment. Aus dem verdunkelten Himmel peitscht<br />
ein apokalyptischer Wind in mein Gesicht, als ich<br />
an dem Ort ankomme, der mich heute für mehrere<br />
Stunden gefangen halten wird: die Tankstelle in<br />
der Plantage.<br />
Schwer bepackt betrete ich den Laden und genieße<br />
für einige Sekunden die schwache Wärme,<br />
die mir entgegenströmt. Doch die eisigen Blicke<br />
des in die Jahre gekommenen Mannes, der hinter<br />
der Kasse steht, lassen die netten Worte, die ich<br />
mir zurechtgelegt habe, gefrieren. Er schaut auf<br />
meinen blauen Reiserucksack und weiß genau,<br />
was ich vorhabe.<br />
„Ist es okay, wenn ich heute von Ihrer Tankstelle<br />
aus trampe?“<br />
„Nein.“<br />
Ich schlucke. So habe ich mir das nicht vorgestellt.<br />
Ich versuche, den grimmigen Verkäufer zu bearbeiten.<br />
Aber er bleibt hart. Ein Mann, ein Wort.<br />
Mist. Auch den Namen der Tankstelle dürfe ich in<br />
meiner Reportage nicht erwähnen.<br />
Ich gehe aus Du-weißt-schon-wo wieder heraus<br />
und stelle mich vor die Ausfahrt. Von diesem<br />
öffentlichen Grund kann mich niemand verscheuchen.<br />
Es kann losgehen.<br />
Also Daumen raus: Auf, auf ins Paradies. So<br />
steht es zumindest auf meinem Pappschild. Anfangs<br />
noch hoch motiviert, blicke ich den aus der<br />
Tankstelle herausfahrenden Autos hinterher. Der<br />
Ort ist besser besucht, als ich es für so eine ruhige<br />
Straße gedacht hätte. Vielleicht liegt das an den<br />
niedrigen Kaffeepreisen. Für 1,40 Euro bekommt<br />
man richtig viel und leckeren Kaffee eingeschenkt.<br />
Nach den ersten zwei Stunden des Wartens ist der<br />
auch bitter nötig.<br />
Nach einer weiteren Stunde komme ich mir<br />
mit meinem Paradies-Pappschild dumm vor. Naiv.<br />
Idealistisch. Werde ich hier heute wirklich irgendwann<br />
noch wegkommen? Ein Gedanke macht sich<br />
breit: für 4,90 Euro all die Zweifel in der Waschanlage<br />
abzuwaschen. Doch dann habe ich eine bessere<br />
Idee: Trampen 2.0! Das ist es.<br />
Ich nehme mein Handy aus der Tasche und<br />
strapazierte mein Datenvolumen, das für diesen<br />
Monat schon fast ausgereizt ist. Eine App nach der<br />
anderen saust von irgendwo da oben über Satellit<br />
und Sendemast auf mein Smartphone: Couchsurfing,<br />
BlaBlaCar, Navigator und Hitchwiki Maps.<br />
Ich fühle mich mächtig. Mit dieser geballten Handy-Power<br />
wird sich doch irgendwo eine Mitfahrgelegenheit<br />
finden lassen.<br />
Ich entscheide mich für BlaBlaCar. Eine Software,<br />
mit der man überall in Europa Mitfahrgelegenheiten<br />
finden kann. Ohne Anmeldung.<br />
Kostenlos. Praktisch. Die ersten Antworten auf<br />
meine Anfrage kommen rasch. Mein Handy hört<br />
gar nicht mehr auf zu piepen. Nach Hannover,<br />
nach Hamburg, nach Göttingen – überall hin wollen<br />
mich Leute mitnehmen. Ich entscheide mich<br />
für Lucy. Lucy und ihr Freund Julian schreiben,<br />
dass sie für ein paar Tage entspannen wollen. Einfach<br />
mal abschalten. Ihr Trip geht von Köln nach<br />
Cuxhaven, innerhalb der nächsten Stunde sind sie<br />
da. Für nur 4 Euro. Paradies, ich komme!<br />
Entspannt lehne ich mich an meinen Rucksack.<br />
Da hält plötzlich ein beiger Passat neben mir<br />
an. Werner, nettes Gesicht, kurz vor der Rente,<br />
steigt mit seiner Frau aus und geht auf mich zu.<br />
„Wenn Sie wollen, kann ich Sie ein Stück weit ins<br />
Paradies mitnehmen.“<br />
Mit großen Augen blicke ich Werner an. Er lächelt.<br />
„Sie wollen doch ins Paradies, oder?“, fragt<br />
er und deutet auf mein Schild. Werner erzählt,<br />
dass er selbst früher in Schweden und Frankreich<br />
getrampt ist. Mein Reporterherz schlägt schneller.<br />
In meinem Kopf entwickle ich schon eine Geschichte<br />
über Werner und seine Abenteuer. Aber<br />
ich kann Lucy und ihrem Freund jetzt doch nicht<br />
mehr absagen! Sie sind nur noch 15 Kilometer von<br />
Bremen entfernt. Werner fährt ohne mich weiter.<br />
Eine halbe Stunde warte ich noch. Dann erblicke<br />
ich zwischen den vorbeifahrenden VWs,<br />
Renaults und Twingos den Toyota, der mich von<br />
diesem tristen Ort wegschaffen soll. Endlich. Lucy<br />
hält mir mit breitem Lächeln die hintere Tür auf.<br />
Ich quetsche mich mit meinem Rucksack hinein.<br />
Cuxhaven, meine Perle<br />
Drinnen ist alles dicht bepackt. Rechts von<br />
mir sitzt Michaela, die heute in Findorff ihre beste<br />
Freundin besucht hat und nun wieder nach Hause<br />
will. Sie ist regelmäßig in Bremen, erzählt sie, um<br />
dort ihr Rheuma behandeln zu lassen. „In Bremen<br />
sind einfach die besseren Ärzte“, sagt sie. „Die findest<br />
du in Cuxhaven nicht. Da findest du nichts,<br />
außer Touristen. Und wenn nicht gerade Sommer<br />
ist, findest du in Cuxhaven gar nichts.“