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TITEL A LBERT EINSTEIN<br />
Stillstand unterscheiden kann. Zwar sieht<br />
man draußen die Bäume am Fenster vorbeiziehen.<br />
Aber ob die Landschaft am<br />
stillstehenden Zug vorbeirast oder umgekehrt,<br />
lässt sich nicht sagen. „Wann<br />
hält Ulm an diesem Zug?“, soll Einstein<br />
bei einer Reise einmal gefragt haben. Dieses<br />
Zitat mag erfunden sein, doch es ist<br />
eine gute Illustration für das Relativitätsprinzip,<br />
ein Fundament von Einsteins<br />
Theorie: Wenn man zwei physikalische<br />
Situationen nicht unterscheiden kann,<br />
muss man sie als gleichwertig betrachten,<br />
und alle Naturgesetze müssen in beiden<br />
dieselbe Form haben.<br />
Wenn man nun im Eisenbahnwaggon<br />
gemächlich nach vorne spaziert, hat man<br />
– bezogen auf den Zug – eine geringe Geschwindigkeit.<br />
Vom Bahnsteig aus gesehen,<br />
an dem der Zug vorbeidonnert, ist<br />
man aber rasend schnell: Denn die Geschwindigkeit<br />
des Gehens addiert sich<br />
zur Geschwindigkeit des Zuges.<br />
Bei der Lichtgeschwindigkeit allerdings<br />
ist das anders: Sie ist in jedem Bezugssystem<br />
gleich. Dieser Grundsatz ist der Kern<br />
der speziellen Relativitätstheorie. Die<br />
Lichtgeschwindigkeit ist etwas ganz Besonderes.<br />
Sie ist eigentlich gar keine Geschwindigkeit<br />
im alltäglichen Sinn, denn<br />
kein Objekt im Universum kann die Lichtgeschwindigkeit<br />
erreichen. Die Lichtgeschwindigkeit<br />
ist eine Naturkonstante.<br />
In der Geometrie verwendet man für<br />
alle drei Raumdimensionen dieselben<br />
Einheiten. Es wäre unsinnig, Länge und<br />
Breite eines Zimmers in Metern anzugeben<br />
und die Zimmerhöhe in Fuß. Doch<br />
in der vierdimensionalen Raumzeit, die<br />
laut Einstein aus den drei Raumdimensionen<br />
und der Zeitachse gebildet wird,<br />
machen wir genau diesen Fehler: Wir<br />
messen die räumlichen Achsen in Metern<br />
und die zeitliche in Sekunden. Eigentlich<br />
sollte man zuerst das eine in das<br />
andere umrechnen – und das gelingt mit<br />
der Lichtgeschwindigkeit. In der Astronomie<br />
verwendet man gerne das Lichtjahr<br />
als Entfernungsangabe. Mithilfe des<br />
Lichts wird aus dem Zeitmaß „Jahr“ ein<br />
Längenmaß. Die Lichtgeschwindigkeit ist<br />
der Umrechnungsfaktor zwischen Raum<br />
und Zeit, so wie man mit fest definierten<br />
Faktoren Kilogramm in Pfund oder Meter<br />
in Yards umrechnen kann.<br />
Angenommen, ein Zug rast auf eine<br />
Stelle zu, in der ein Blitz einschlägt. Der<br />
Lokführer im Zug misst die Geschwindigkeit,<br />
mit der sich der Lichtblitz nähert,<br />
und ein Beobachter auf dem Bahnsteig<br />
daneben macht dasselbe. Müsste dann<br />
nicht der Beobachter im Zug, der dem<br />
Blitzlicht entgegenfährt, eine höhere<br />
Lichtgeschwindigkeit messen als der ruhende<br />
Kollege auf dem Bahndamm? Und<br />
müsste man in einem Zug, der dem Licht<br />
des Blitzes davoneilt, nicht eine langsamere<br />
Lichtgeschwindigkeit beobachten?<br />
Nein, erklärte Einstein: Wenn verschiedene<br />
Bezugssysteme physikalisch gleichwertig<br />
sind, gibt es keinen Grund, warum<br />
ein Beobachter die „wahre“ Lichtgeschwindigkeit<br />
messen soll, und der andere<br />
eine durch die eigene Bewegung verfälschte<br />
Geschwindigkeit. Alle würden<br />
exakt auf denselben Wert kommen. Damit<br />
war die Idee von der invarianten, beobachterunabhängigen<br />
Lichtgeschwindigkeit<br />
geboren: Diese ist das wahrhaft<br />
„Absolute“ in Einsteins Modell.<br />
NIELS BOHR UND<br />
ALBERT EINSTEIN (1930)<br />
Der Vater der Relativitätstheorie<br />
(re.) und<br />
einer der wichtigsten<br />
Pioniere der Quantenphysik.<br />
Beide erhielten<br />
Nobelpreise.<br />
22 <strong>profil</strong><strong>wissen</strong> 3 • 30. September 2015