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Von Florian Aigner<br />

Herz und Verstand<br />

einstein war ein allround-<br />

Intellektueller. nicht nur<br />

die Physik, sondern auch<br />

Politik und Kunst waren<br />

ihm wichtig.<br />

Der militante Pazifist<br />

Einstein und die Politik: Er hasste Drill,<br />

Gehorsam und Kriegspropaganda – und machte<br />

sich zeitlebens für Freiheit, Menschen würde<br />

und demokratische Ideale stark.<br />

ch bin nicht nur Pazifist, ich bin militanter<br />

Pazifist“, schrieb Albert Ein-<br />

„ I<br />

stein. „Wir müssen unsere Kinder gegen<br />

Militarismus impfen, indem wir sie<br />

im Geiste des Pazifismus erziehen.“ Dass<br />

gerade Einstein als überzeugter Kriegsgegner<br />

eine Rolle bei der Entwicklung<br />

der Atombombe spielen sollte, ist eine<br />

verrückte Ironie der Geschichte.<br />

Angeblich soll Einstein schon als Kind<br />

Militärmusik und marschierende Soldaten<br />

abgelehnt haben. 1901 erhielt er die<br />

Schweizer Staatsbürgerschaft und wurde<br />

zur Musterung für den Militärdienst bestellt.<br />

Aufgrund von „Plattfüßen, Krampfadern<br />

und Fußschweiß“ blieb ihm allerdings<br />

der Dienst mit der Waffe erspart.<br />

Mit Abscheu beobachtete Einstein, wie<br />

der Nationalismus in Europa immer stärker<br />

wurde und schließlich zum Ersten<br />

Weltkrieg führte. Der Berliner Goethebund<br />

publizierte 1916 ein „vaterländisches<br />

Gedenkbuch“, ein Sammelalbum,<br />

für das zahlreiche deutsche Intellektuelle<br />

Texte über den Krieg beisteuerten. Einsteins<br />

Beitrag ist ein Appell für Frieden<br />

und für eine gesamteuropäische Politik:<br />

„Ich bin auch trotz der unsagbar traurigen<br />

Verhältnisse der Gegenwart der Überzeugung,<br />

dass eine staatliche Organisation<br />

in Europa, welche europäische Kriege<br />

ebenso ausschließen wird wie jetzt das<br />

Deutsche Reich einen Krieg zwischen<br />

Bayern und Württemberg, in nicht allzu<br />

ferner Zeit sich erreichen lassen wird.“<br />

Von jeder Art des Nationalismus distanzierte<br />

er sich klar: „Der Staat, dem ich als<br />

Bürger angehöre, spielt in meinem Gemütsleben<br />

nicht die geringste Rolle; ich<br />

betrachte die Zugehörigkeit zu einem<br />

Staate als eine geschäftliche Angelegenheit,<br />

wie etwa die Beziehung<br />

zu einer Lebensversicherung.“<br />

Diese Passage<br />

wollte der Goethebund<br />

allerdings nicht<br />

abdrucken. In einer An-<br />

sprache an der Sorbonne in Paris scherzte<br />

Einstein: „Wenn ich mit meiner Relativitätstheorie<br />

recht behalte, werden die<br />

Deutschen sagen, ich sei Deutscher, und<br />

die Franzosen, ich sei Weltbürger. Erweist<br />

sich meine Theorie als falsch, werden die<br />

Franzosen sagen, ich sei Deutscher und<br />

die Deutschen, ich sei Jude.“<br />

Auch Religion bedeutete Einstein<br />

nicht sonderlich viel. Er bekannte sich<br />

zwar zum Judentum, hatte aber niemals<br />

seine Bar Mizwa gefeiert. Die Idee, in Palästina<br />

ein neues jüdisches Heimatland<br />

zu schaffen, begrüßte Einstein. Er war zuversichtlich,<br />

dass Juden mit dem „Brudervolk“<br />

der Araber gleichberechtigt und<br />

friedlich zusammenleben könnten. Es<br />

ging ihm dabei eher um ein kulturelles<br />

und geistiges Zentrum, nicht unbedingt<br />

um einen Staat mit Grenzen, einer Armee<br />

und säkularer Macht: „Ich fürchte,<br />

das Judentum könnte innerlich Schaden<br />

nehmen“, meinte Einstein, „besonders<br />

durch das Aufkommen eines engen Nationalismus<br />

in unseren eigenen Reihen.“<br />

Als Israels erster Präsident Chaim<br />

Weizmann 1952 starb, wurde Einstein gefragt,<br />

ob er nicht dessen Nachfolger werden<br />

wolle. Einstein lehnte ab: „Ich bin tief<br />

bewegt über das Anerbieten unseres<br />

Staates Israel, freilich auch traurig und beschämt<br />

darüber, dass es mir unmöglich<br />

ist, dies Anerbieten anzunehmen“, schrieb<br />

er. „Mein Leben lang mit objektiven Dingen<br />

beschäftigt, habe ich weder die natürlichen<br />

Fähigkeiten noch die Erfahrung<br />

im richtigen Verhalten zu Menschen in<br />

der Ausübung offizieller Funktionen.“<br />

Einstein bekannte sich zu sozialistischen<br />

Idealen. Er war der Meinung, dass<br />

die Wirtschaft Lenkung brauche, um dem<br />

Wohl aller zu dienen. Der Staat habe für<br />

ein Bildungssystem zu sorgen, das auf soziale<br />

Ziele hin orientiert ist. Die „ökonomische<br />

Anarchie des Kapitalismus“ war<br />

für ihn ein gefährliches Übel. Ein kommunistisches<br />

System nach sowjetischem<br />

Vorbild hätte sich mit seinen Ideen allerdings<br />

nicht vereinbaren lassen: Persönliche<br />

Freiheit und die Förderung der Individualität<br />

gehörten zu den Grundpfeilern<br />

seines politischen Denkens.<br />

In den USA setzte sich Einstein immer<br />

wieder für die Gleichbehandlung von Afroamerikanern<br />

ein. Furchtbaren Antisemitismus<br />

hatte er in Europa selbst erlebt<br />

– konsequenterweise konnte er auch keine<br />

Benachteiligung aufgrund der Hautfarbe<br />

gutheißen. Er unterschrieb außerdem<br />

die Petition des Sexualforschers Magnus<br />

Hirschfeld gegen den Paragrafen<br />

175 im deutschen Strafgesetzbuch, der<br />

Homosexualität unter Strafe stellte.<br />

Trotz seines konsequenten Einsatzes<br />

für Gleichheit und Frieden wird Einsteins<br />

Name auch immer wieder mit den Atombomben<br />

in Verbindung gebracht, die<br />

1945 auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen<br />

wurden. Aus seiner Formel E=mc²<br />

ergibt sich, dass relativ geringe Massen<br />

in gewaltige Energiemengen umgewandelt<br />

werden können. Allerdings kamen<br />

die entscheidenden Ideen, die zur Atombombe<br />

führen sollten, keineswegs aus<br />

der Relativitätstheorie, sondern aus kernphysikalischen<br />

Experimenten. Nach Gesprächen<br />

mit Leó Szilárd und anderen<br />

Physikerkollegen, die ihn auf die Möglichkeit<br />

nuklearer Bomben aufmerksam<br />

machten, unterschrieb Einstein 1939 einen<br />

Brief an US-Präsident Roosevelt. Er<br />

forderte eine Intensivierung der Nuklearforschung<br />

in den USA, angesichts der<br />

Gefahr, dass Deutschland eine Atombombe<br />

entwickeln könnte (siehe Kasten auf<br />

Seite 41).<br />

Das US-Atombombenprojekt hätte es<br />

wohl auch ohne diesen Brief gegeben,<br />

doch dass die Meinung eines so berühmten<br />

Wissenschafters wie Einstein die politischen<br />

Bemühungen in diese Richtung<br />

beschleunigte, ist durchaus plausibel.<br />

Der Chemie-Nobelpreisträger Linus<br />

Pauling berichtete nach Einsteins Tod,<br />

dass Einstein den Brief an Roosevelt später<br />

bereut habe. Einstein habe die Arbeit<br />

an der Bombe nur befürwortet, weil von<br />

einer Atombombe in den Händen der Nazis<br />

eine noch viel größere Gefahr ausgegangen<br />

wäre. Nach den Atombombenabwürfen<br />

in Hiroshima und Nagasaki<br />

setzte sich Einstein gegen ein atomares<br />

Wettrüsten ein. 1955 unterzeichnete er<br />

gemeinsam mit dem Philosophen und<br />

Mathematiker Bertrand Russell und anderen<br />

Wissenschaftern das „Russel-Einstein-Manifest“,<br />

das vor den Gefahren<br />

von Massenvernichtungswaffen warnte<br />

und zur Abrüstung aufrief.<br />

n<br />

30. September 2015 • <strong>profil</strong><strong>wissen</strong> 3<br />

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