Baugesuch - Engadiner Post
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14 Dienstag, 9. Oktober 2007<br />
Beobachtungsglück auch in Maloja<br />
Viele Zugvögel unterwegs<br />
nach Süden<br />
Von blossem Auge, mit Fernrohr<br />
und Feldstecher verfolgten<br />
am Wochenende<br />
schweizweit 4000 Personen<br />
den Vogelzug Richtung Süden.<br />
Auch vom Malojapass<br />
aus, einer der wichtigen Ausfallschneisen<br />
der Alpen<br />
Richtung Süden, war eine<br />
Vielzahl von Zugvögeln<br />
auszumachen.<br />
Marie-Claire Jur<br />
Rund 40 000 Personen nahmen<br />
europaweit an der EuroBirdwatch-<br />
Veranstaltung vom letzten Wochenende<br />
teil, die dem Vogelzug gewidmet<br />
war und noch einige Aktionen zum<br />
Schutz von gefährdeten Vogelarten<br />
beinhaltete. In 31 Ländern Europas<br />
konnten dabei gegen zwei Millionen<br />
Zugvögel auf ihrem Weg nach Süden<br />
gezählt werden.<br />
Schweizweit 4000 Teilnehmer<br />
Auch in der Schweiz wurde unter<br />
kundiger Leitung mit Feldstechern<br />
und Fernrohren am Samstag und<br />
Sonntag der Himmel abgesucht.<br />
Knapp 4000 Teilnehmern gelang es<br />
an den 50 Beobachtungs- und Informationspunkten,<br />
knapp 170 200<br />
vorbeiziehende Vögel zu zählen und<br />
zu bestimmen. Nicht nur Ornithologen<br />
machten an dieser alljährlich im<br />
Oktober stattfindenden Veranstaltung<br />
mit, auch interessierte Laien<br />
fanden sich an den Ständen des vom<br />
Schweizer Vogelschutz und BirdLife<br />
Schweiz zusammen organisierten<br />
Vogelschutztages ein.<br />
Bei vorwiegend schönem Wetter,<br />
das nur am Morgen durch Nebel<br />
getrübt war, konnten die Vögel auf<br />
ihrem Weg in wärmere Gefilde beobachtet<br />
werden. Gemäss Stefan<br />
Bachmann vom Schweizer Vogelschutz<br />
waren unter den 170 200 gezählten<br />
Zugvögeln vor allem Ringeltauben<br />
(68 143), Buchfinken (23 887)<br />
und Stare (8210) auszumachen. Nebst<br />
diesen schweizweit am häufigsten zu<br />
beobachtenden Vogelarten waren<br />
aber auch viele Greifvögel zu sehen.<br />
Als «ornithologischer Höhepunkt»<br />
galt gemäss Bachmann die Sichtung<br />
von einem Bartgeier, von Birkhühnern,<br />
einem Zwergadler und zwei<br />
Merlinen. Ausserdem wurden mehrere<br />
Fischadler, Beutelmeisen und<br />
viele Heidelerchen gesehen.<br />
Viele Vögel in Maloja gesichtet<br />
Beobachtungsglück war auch den<br />
16 Personen beschieden, die in Maloja<br />
vor dem Hotel Kulm und vom<br />
Belvedere-Turm aus den Vogelzug<br />
durch die Einfallschneise in Richtung<br />
Bergell verfolgten. Zwar trübte<br />
am Samstagmorgen noch Nieselregen<br />
ein wenig die Sicht. Dies hatte<br />
allerdings den Vorteil, dass die Vögel<br />
tiefer als am strahlend schönen Sonntag<br />
über den Malojapass zogen. Begünstigt<br />
wurde ihr Flug durch einen<br />
kräftigen Rückenwind. Anders als in<br />
den Vorjahren, wo dichter Nebel und<br />
starker Schneefall die Beobachtung<br />
stark eingeschränkt respektive zum<br />
Abbruch der Aktion geführt hatten,<br />
konnten die Beobachter kantonsweit<br />
am meisten Zugvögel sichten. Insgesamt<br />
vermeldete Maloja 2449 Sichtungen,<br />
wobei der Erlenzeisig, der<br />
Grünfink und der Buchfink zu den<br />
am häufigsten beobachteten Vogelarten<br />
zählten. Vom <strong>Engadiner</strong> Stützpunkt<br />
aus konnte auch einer der zwei<br />
Merline identifiziert werden, die die<br />
Schweiz am Wochenende in Richtung<br />
Süden verliessen. Der Merlin ist eine<br />
kleine Turmfalkenart, die gewöhnlich<br />
auf ihrem Zug nach Süden den<br />
Alpenbogen meidet und umfliegt.<br />
Seltene Vögel auch<br />
im Domleschg und in Obervaz<br />
Seltenere Vogelarten waren auch<br />
von den zwei anderen Bündner Vogelzug-Beobachtungsposten<br />
aus zu<br />
sehen. So zogen über den Glaspass<br />
bei Tschappina im Domleschg unter<br />
den gut 1600 Vögeln (speziell Stare,<br />
Buchfinken und Ringeltauben) auch<br />
ein Fischadler, Wiesen- und Rohrweihen<br />
sowie Mauerläufer durch. Die<br />
Vogelfreunde am Stützpunkt Valbella,<br />
Sartons machten unter den 908<br />
Zugvögeln (vor allem Buchfinken,<br />
Rauchschwalben und Grünfinke)<br />
auch zwei Kormoranformationen<br />
sowie Wespenbussarde und Rohrweihen<br />
am Bündner Himmel aus.<br />
Der Birdwatch-Tag diente nicht<br />
nur dem Zusammentragen von statistischem<br />
Material und dem Schulen<br />
von interessierten Personen. Er<br />
hatte auch zum Zweck, verschiedene<br />
naturschützerische Aktionen zu starten,<br />
die dem Erhalt des Lebensraums<br />
von Vögeln und der Artenvielfalt<br />
dienen. So wurden Unterschriften für<br />
die Landschaftsinitiative gesammelt,<br />
die eine Einschränkung des Landschaftenverbaus<br />
zum Ziel hat.<br />
Zusätzliche Infos: www.birdlife.ch<br />
Etliche Zugvögel fliegen auf ihrem Weg nach Süden über den Malojapass. Im<br />
Rahmen des europäischen Zugvogeltages suchten auch Mitglieder des Vogelschutzvereins<br />
Engadin und weitere interessierte Personen den Himmel mit Feldstechern<br />
ab. Foto: Marie-Claire Jur<br />
Für die Erforschung der Krankheitsursache braucht es auch Entnahmen von Augensekreten, wie Wildtiermediziner<br />
Marco Giacometti dies an einer von der Gämsblindheit befallenen toten Gämse tut. Foto: Fotoprojekt Gämsblindheit<br />
Weitere Erkenntnisse in Sachen Gämsblindheit<br />
Die Zeit ist bald reif für Schutzmassnahmen<br />
Die Gämsblindheit hat in<br />
den letzten Monaten speziell<br />
im Bergell und Oberengadin<br />
die Gämspopulationen dezimiert.<br />
Im Rahmen eines Vortrags<br />
der Naturforschenden<br />
Gesellschaft Engadin orientierte<br />
der Wildtiermediziner<br />
Marco Giacometti kürzlich<br />
über eine Tierseuche, die<br />
noch immer Rätsel aufgibt.<br />
Marie-Claire Jur<br />
1993 wühlten Fernsehbilder von<br />
unsicher daher trippelnden Steinböcken<br />
ob Arosa die Schweiz auf.<br />
Sie zeugten vom Aufkommen einer<br />
Tierkrankheit, die im Volksmund<br />
«Gämsblindheit» heisst und im Fachjargon<br />
mit IKK umschrieben wird.<br />
Diese infektiöse Keratokonjunktivitis<br />
befällt Gäms- und Steinwild, aber<br />
auch Schafe und Ziegen. Sie führt bei<br />
den betroffenen Wildtieren zumeist<br />
zur Erblindung und schliesslich zum<br />
Tod durch Verhungern oder Absturz<br />
in felsigem Gelände.<br />
Wie Marco Giacometti von Wildvet<br />
Projects Stampa unlängst auf<br />
Einladung der Naturforschenden<br />
Gesellschaft Engadin an der Academia<br />
Engiadina in Samedan ausführte,<br />
wusste zunächst niemand, wo<br />
die Ursache dieser rätselhaften Tierkrankheit<br />
lag. In der Folge wurde ein<br />
wissenschaftliches Projekt zur Erforschung<br />
lanciert, bei der Wildtiermediziner<br />
Giacometti massgeblich<br />
beteiligt war. Im Rahmen dieser mittlerweile<br />
14 Jahre dauernden Forschungsarbeit<br />
konnten viele Erkenntnisse<br />
über diese Krankheit, deren<br />
Verlauf und deren Erreger gewonnen<br />
werden. Vieles liegt aber noch im<br />
Dunkeln.<br />
In seinem Referat ging Giacometti,<br />
der die Koordination eines<br />
Schweizer Forschungsprojekts inne<br />
hat, das weltweit als führend erachtet<br />
wird, auf relevante Aspekte und<br />
Erkenntnisse im Zusammenhang mit<br />
der Tierseuche ein. Diese hat in den<br />
letzten Jahren wiederholt die Gämswild-<br />
(und Steinwild-) Populationen<br />
im Bergell und Oberengadin in Mitleidenschaft<br />
gezogen.<br />
So wurde inzwischen der Erreger,<br />
das so genannte «Mycoplasma conjunctivitae»,<br />
identifiziert, das kein<br />
Virus ist, aber auch nicht ein richtiges<br />
Bakterium. Entwickelt wurden<br />
auch Schnelltests für den Nachweis<br />
des Erregers. So weiss man, dass nur<br />
Tiere der Caprinae, aus der Gattung<br />
der Ziegenartigen, von der Infektion<br />
betroffen sind. Ausserdem ist<br />
bekannt, wie die Seuche übertragen<br />
wird und bei welchen Tieren sie die<br />
besten Wirte findet.<br />
Schafe Hauptüberträger<br />
Gemäss Giacometti konnte klar<br />
bewiesen werden, dass die Schafe<br />
als Hauptüberträger und «Reservoir»<br />
der Krankheit fungieren. Die<br />
Gämse hingegen sowie die anderen<br />
für den Erreger empfänglichen Tierarten<br />
werden lediglich als «Dead<br />
end Host», als «Sackgassenwirte»<br />
erachtet. Systematische Blutuntersuchungen<br />
im Bündner, Berner<br />
und Freiburger Alpengebiet haben<br />
zu dieser Erkenntnis geführt. Auch<br />
wenn grundsätzlich eine Übertragung<br />
des Erregers von Wildtieren<br />
auf die Schafe möglich ist, so erfolgt<br />
diese offenbar viel weniger häufig<br />
und ist auch nicht so folgenschwer,<br />
wie die Ansteckung vom Schaf zum<br />
Wildtier. Innerhalb der Schafpopulationen,<br />
die den Erreger grösstenteils<br />
in sich tragen, hat der Ausbruch der<br />
Krankeit in der Regel keine schwerwiegenden<br />
Folgen, betrifft sie doch<br />
normalerweise die Jungtiere, bei denen<br />
die Seuche ausheilt und die dann<br />
immun werden. Viel virulenter ist die<br />
Krankheit hingegen bei den Gämsen<br />
und beim Steinwild, wo keine spontane<br />
Heilung beobachtet werden<br />
konnte.<br />
Fest steht mittlerweile auch, dass<br />
die Verbreitung des Erregers durch<br />
Aerosole erfolgt oder durch Augen<br />
besuchende Insekten. Vier verschiedene<br />
Fliegenarten werden derzeit<br />
für die Übertragung verantwortlich<br />
gemacht.<br />
Die artinterne Ansteckung hängt<br />
offenbar auch vom Verhalten der<br />
Tiere ab. Je näher sich ein infiziertes<br />
und ein nicht infiziertes Tier kommen<br />
und je länger diese Begegnung dauert,<br />
desto höher ist die Übertragungswahrscheinlichkeit.<br />
Mögliche Gegenmassnahmen<br />
Noch fehlt gemäss Giacometti ein<br />
kluges Konzept für die Umsetzung<br />
von Massnahmen, die die Ausbreitung<br />
der hoch ansteckenden Krankheit<br />
und deren Folgen bei Wildtieren<br />
eindämmen könnten. Denkbar wäre<br />
die Entwicklung eines Impfstoffes<br />
(für Schafe), doch ein solcher würde<br />
noch weitere zeit- und kostenintensive<br />
Forschung bedingen. Immerhin<br />
könnte der Infektionsdruck während<br />
der Sömmerung auf den Alpweiden<br />
vermindert werden. Dort kommen<br />
nämlich Schafe und Wildtiere zusammen<br />
und nutzen die gleichen Nahrungsgrundlagen.<br />
Eine überlegte Anbringung der<br />
so genannten Salzlecker, aber auch<br />
Herdenschutzmassnahmen wie Zäune<br />
oder Herdenschutzhunde könnten<br />
die Ansteckungsgefahr reduzieren<br />
helfen.<br />
Weitere offene Fragen<br />
Noch bestehen in Bezug auf die<br />
Gämsblindheit viele offene Fragen,<br />
die geklärt werden müssten. Dazu<br />
gehört die gerade auch im Oberengadin<br />
in den letzten Monaten wieder<br />
gemachte Beobachtung, dass sich<br />
die Krankheit sprunghaft ausbreitet.<br />
Punktuell am Ende eines Tales auftaucht,<br />
dann plötzlich in einem anderen<br />
Tal und dann wieder einen neuen<br />
Herd im vorherig befallenen Gebiet<br />
bildet. Hierfür müssten die Bewegungen<br />
der Wildtiere, also Gämsen<br />
und Steinböcke, verfolgt werden können,<br />
beispielsweise mittels Markern.<br />
Weitere Erkenntnisse verspricht<br />
man sich von der Entzifferung des<br />
kompletten genetischen Codes des<br />
Erregers. Sollte diese schon in die<br />
Wege geleitete komplette Gen-<br />
Analyse erfolgreich durchgeführt<br />
werden können, hätte man es mit der<br />
allerersten in der Schweiz erfolgten<br />
gesamthaft sequenzierten Genoms<br />
eines Lebewesens zu tun.<br />
Das Patronat des Projekts zur Erforschung<br />
der Gämsblindheit hatte<br />
bis vor Kurzem noch die Naturforschende<br />
Gesellschaft Graubünden.<br />
Dieses Jahr ging es an die Stiftung<br />
«Naturschutz und Wild» von Jagd-<br />
Schweiz über, deren Sekretär Marco<br />
Giacometti ist. Dadurch wurde das<br />
Forschungsprojekt ein nationales.<br />
Zudem wurde es international verankert.<br />
So ist die Kooperation mit Forschergruppen<br />
aus Frankreich, Italien<br />
und Spanien aufgegleist worden.