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James Tiptree Jr.-Reader

Leseproben der 7 Bändigen Werkausgabe des Septime Verlag, sowie der Biografie von Julie Phillips.

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welchen besorgten Fremden zu erklären,<br />

dass sich ein umfassendes Wissen über<br />

das kognitive Verhalten von Ratten eben<br />

nicht klinisch anwenden ließ.<br />

Aber seine Antennen waren bestens<br />

in Schuss. Er wickelte bereits seine Feldflasche<br />

ein und hängte sich sein Bündel<br />

wieder um.<br />

»Hören Sie, ich wollte Sie nicht stören.<br />

Die Brise lässt nach. Nachher wird es<br />

schön. Wenn Sie nichts dagegen haben,<br />

gehe ich einfach zu dem angetriebenen<br />

Baumstamm da runter und ruhe mich<br />

ein bisschen aus, bevor ich weiterziehe.<br />

Danke für das Wasser.«<br />

Die »Brise« heulte mit dreißig Knoten,<br />

und der große Mahagonistamm unten<br />

am Strand war im Flugsand kaum zu<br />

sehen. Wenn das ein Trick war, dann ein<br />

lachhafter.<br />

»Nein. Sie haben mich bei nichts gestört.<br />

Wenn Sie noch abwarten wollen,<br />

dann bleiben Sie ruhig hier im Schatten.«<br />

»Ich hab schon mal bei dem Stamm<br />

gepennt.« Er grinste mich aus seiner knochigen<br />

Höhe an. Sein Tonfall war nicht<br />

aufgesetzt, sondern einfach ruhig und<br />

entschieden, und seine Zähne waren sehr<br />

weiß und geputzt.<br />

»Dann nehmen Sie wenigstens noch<br />

ein paar Grapefruits mit; ich habe mehr,<br />

als ich essen kann.«<br />

»Oh, ja, gut …«<br />

Im Rückblick lässt sich kaum sagen, an<br />

welcher Stelle und warum es mir anscheinend<br />

wichtig wurde, dass er nicht<br />

ging, sondern blieb. Auf jeden Fall hatte<br />

sich mein Eindruck von ihm ungefähr<br />

an diesem Punkt radikal geändert. Ich<br />

betrachtete ihn jetzt als kompetent, was<br />

diesen Landstrich und sein merkwürdiges<br />

Leben betraf, wie auch immer es<br />

aussehen mochte; zweifelsohne war er<br />

mir an Kompetenz voraus. Kein Treibgut.<br />

Und er brauchte auch nicht irgendwelche<br />

normale Hilfe. Aber im weiteren<br />

Verlauf des Abends gewann ich durch irgendetwas<br />

– vielleicht durch eine Projektion<br />

meinerseits, vielleicht durch das unablässige<br />

Heulen des Windes – vielleicht<br />

auch nur durch die seltsame Art, wie sich<br />

das Meereslicht in seinen blassen Augen<br />

spiegelte – den Eindruck, dass er, nun ja,<br />

gezeichnet war. Nicht etwa »vor die Hunde<br />

gegangen« – was hierzulande nichts<br />

Ungewöhnliches ist, vor allem wenn<br />

man sich weigert, den richtigen Beamten<br />

seinen Obolus zu entrichten. Auch<br />

nicht »traumatisiert« durch irgendeine<br />

schlimme Erfahrung. Oder verfolgt von<br />

Feindesaugen. Ich hatte bloß das beunruhigende<br />

Gefühl, dass mein Gast gerade<br />

in einer besonderen Beziehung zu einer<br />

dunklen und mächtigen Kraft stand, der<br />

gegenüber er extrem verwundbar war –<br />

ich wusste nicht, was für eine, nur dass<br />

sie dort draußen auf ihn wartete, irgendwo<br />

im einsamen Sand.<br />

Aber was er sagte, hätte zunächst<br />

kaum weniger bedrohlich klingen können.<br />

Er verstaute die schrumpeligen<br />

Grapefruits und erzählte mir, dass er diese<br />

Küste jedes Jahr hinuntergewandert<br />

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