James Tiptree Jr.-Reader
Leseproben der 7 Bändigen Werkausgabe des Septime Verlag, sowie der Biografie von Julie Phillips.
Leseproben der 7 Bändigen Werkausgabe des Septime Verlag,
sowie der Biografie von Julie Phillips.
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irdischen und Sorgen intergalaktischer Verwaltungsbeamter. Er war ein hervorragendes<br />
schöpferisches Talent mit einer Stimme wie kein Zweiter: wissend, intensiv, überaus<br />
überzeugt von seiner Autorität und der Dringlichkeit seiner Botschaft. Niemand hatte<br />
jemals den Besitzer dieser Stimme gesprochen oder zu Gesicht bekommen. Er schrieb<br />
Briefe, warmherzige, offene und witzige Briefe an andere Schriftsteller, Lektoren und<br />
Science-Fiction-Fans. Seine Briefe waren persönlich und aufschlussreich, dennoch<br />
wussten auch seine nächsten Freunde kaum mehr über »Tip« als seine Anschrift: ein<br />
Postfach in McLean, Virginia.<br />
Ihm wurde nachgesagt, ein Regierungsbeamter oder Geheimagent zu sein. Er schien<br />
sich bestens mit Klatsch aus dem Spionage-Milieu auszukennen: Seine Protagonisten<br />
arbeiteten in »einer unwichtigen Einheit der CIA« oder bemerkten: »Paranoia bringt<br />
einen in meiner Branche schon seit Jahren nicht mehr weiter, aber man wird die Gewohnheit<br />
nur schwer wieder los«. Er hatte Ansichten über das Angeln, die Entenjagd<br />
und die Politik. Er war höflich und flirtete mit den Frauen. Als einer seiner Freunde,<br />
der Schriftsteller Robert Silverberg, ihm einen Brief schickte, den er auf dem Briefpapier<br />
seiner Frau geschrieben hatte, antwortete Tip, er habe sich vor dem Lesen »rasiert<br />
und Rasierwasser aufgetragen«. Silverberg stellte sich Tip vor als »einen Mann von<br />
schätzungsweise 50 oder 55 Jahren, vermutlich nicht verheiratet, gerne in der freien<br />
Natur, ruhelos in seinem Alltag, ein Mann, der viel von der Welt gesehen hat und sie<br />
eingehend begreift«. Männer bewunderten ihn, seine weiblichen Freunde verliebten<br />
sich in ihn.<br />
Die Geschichten, die<br />
aus dem Postfach Nr. 315<br />
hervorkamen, wurden<br />
zusehends brillanter und<br />
beunruhigender. Es war<br />
nicht der Sex und auch<br />
nicht der Tod, sondern<br />
die Verquickung beider.<br />
Seine Storys lasen sich<br />
wie eindringliche Botschaften<br />
aus einem Geisterhaus,<br />
an der Kreuzung<br />
von Eros und Sterblichkeit.<br />
Menschen begegnen<br />
fremdartigen Wesen und<br />
geben ihre bloße Seele auf<br />
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