Denkmalpflegepreis 2016
Sonderdruck der Denkmalpflege des Kantons Bern und der Zeitschrift UMBAUEN+RENOVIEREN, Archithema Verlag
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« Wir könnten noch einiges machen, müssen<br />
aber nach der Verhältnismässigkeit und dem<br />
Substanzverlust fragen. » Sven Harttig<br />
Der Rebberg über der Stadt Biel um 1890,<br />
links oben die Villa Jägerstein. Noch ist<br />
das Land unbebaut (Regionales Gedächtnis,<br />
Annemarie Geissbühler-Lanz, Biel).<br />
R<br />
egula und Kuno Cajacob erinnern sich<br />
noch gut an ihre erste Besichtigung des<br />
Hauses an der Bieler Alpenstrasse:<br />
«Bei uns ist der Funke übergesprungen,<br />
als wir im Inneren all die Details sahen.<br />
Die alten Fenster haben uns begeistert, der<br />
grosse Kachelofen, das Raumgefühl ... Die Verkäufer<br />
haben gemerkt, dass wir diese Architektur<br />
schätzen und erhalten wollen. Vielleicht<br />
haben wir deshalb die Zusage erhalten.»<br />
Aus Distanz wirkt das Haus von 1903 wie<br />
eine stattliche Villa. Erst die beiden Eingänge<br />
und die Abtrennung im Garten lassen zwei<br />
selbstständige Haushälften erkennen. Mit der<br />
asymmetrischen Konzeption des Hauses reagierten<br />
die Architekten Bösiger & Daxelhoffer auf<br />
die Situation am südostorientierten Jurahang.<br />
Die Loggia und der gerundete Vorbau fangen für<br />
beide Hausteile möglichst viel Sonnenlicht ein.<br />
Historische Details und neue Bauteile<br />
2001 zogen die neuen Besitzer in die westliche<br />
Haushälfte ein. «Weil wir nicht vom Fach sind,<br />
haben wir uns für den Unterhalt bei spezialisierten<br />
Handwerkern und bei der Denkmalpflege<br />
erkundigt», berichten sie. So sind heute<br />
zum Teil noch die sorgfältig gepflegten alten<br />
Rollläden in Gebrauch. Viele der Fenster stammen<br />
ebenfalls aus der Bauzeit und wurden behutsam<br />
nachgerüstet. Für die restaurierte Haustür<br />
erhielt die Bauherrschaft ein Gitter aus dem<br />
Bauteillager der Denkmalpflege. Die bisher<br />
grösste Veränderung ist die erneuerte Küche.<br />
«Wir haben uns für eine moderne Möblierung<br />
entschieden. Die Spannung zwischen Alt und<br />
Neu fasziniert mich», sagt Regula Cajacob. Das<br />
Küchenfenster wurde zu einer Tür erweitert,<br />
die direkt in den Garten führt, ein kleiner Eingriff<br />
mit grossem Gewinn an Wohnqualität. Der<br />
Bauberater der Denkmalpflege unterstützt die<br />
Massnahme: «Es muss möglich sein, sich so<br />
einzurichten, dass man sich wohlfühlt.»<br />
Als sich der Verkauf des benachbarten<br />
Hausteils anbahnte, baten Cajacobs, bei der<br />
Suche nach einer Käuferschaft mitwirken zu<br />
dürfen. Sie wollten jemanden finden, der sich<br />
für die original erhaltene, aber unterhaltsbedürftige<br />
Innenausstattung begeistern liesse.<br />
Pragmatisches Vorgehen<br />
Bei Nina und Sven Harttig sprang der Funke<br />
ein zweites Mal über, sie wurden die neuen<br />
7<br />
6<br />
6 Die neuen Terrazzoböden<br />
in Küche und<br />
Bad könnten so auch<br />
1903 eingebaut worden<br />
sein. Die moderne Ausstattung<br />
der Nasszellen<br />
ist perfekt auf das Haus<br />
abgestimmt.<br />
7 Die Raumkonzeption<br />
des Dachgeschosses hat<br />
sich komplett verändert.<br />
Der Raum ist ein<br />
idealer Rückzugsort<br />
und strahlt heute Geborgenheit<br />
aus.<br />
Vom Rebberg zum Wohnquartier<br />
An bester Aussichtslage über der Seevorstadt entstand im frühen 20. Jahrhundert<br />
an der Stelle des Rebberges ein gehobenes Wohnquartier. Text: Ursula Maurer<br />
L<br />
ange stand sie ganz allein in luftiger<br />
Höhe: die schlösschenartige Villa<br />
Jägerstein, die sich der Architekt und<br />
leidenschaftliche Jäger Alexander<br />
Köhli 1863 erbaut hat. Wie alte Fotos belegen,<br />
bestand der Steilhang über der Seevorstadt zu<br />
jener Zeit noch ausschliesslich aus Rebland,<br />
das von kleinen Stützmauern durchzogen war.<br />
Erst 1896 entstand westwärts unterhalb des<br />
«Jägersteins» ein zweites Wohnhaus, bis zur<br />
Jahrhundertwende folgten in fast unmittel barer<br />
Nähe vier weitere. Stilistisch gehören sie mit<br />
ihren der Renaissance, dem Barock und dem<br />
Klassizismus entliehenen Dekorelementen alle<br />
zum Historismus.<br />
Zwischen 1900 und dem Ausbruch des Ersten<br />
Weltkriegs 1914 dehnte sich die Bebauung<br />
weiter nach Westen sowie hangaufwärts entlang<br />
der kleinen Rebbergwege aus. Es waren<br />
meist gut situierte Bürger, die hier an bester<br />
Aussichtslage bauten: Fabrikanten, ein Technikumsprofessor,<br />
ein Apotheker, ein «Handelsmann».<br />
Dazu kamen Architekten und Baugeschäfte,<br />
die auf eigene Rechnung Häuser<br />
erstellten und verkauften. Villen im Heimatstil<br />
waren jetzt besonders beliebt, zuweilen in<br />
Anlehnung an ein barockes Landhaus entworfen,<br />
oder auch mit zeitgemässem Touch.<br />
Ab 1904 baute die Stadt den Weg durch das<br />
schnell wachsende Quartier aus. 1908 setzten<br />
die Anwohner seine Umbenennung durch: Nicht<br />
mehr Jägersteinweg hiess er nun, sondern Alpenstrasse,<br />
zum Missfallen des Schweizer Heimatschutzes,<br />
der bedauerte, «dass der Sinn für<br />
gute Eigenart (…) einer gewissen Grossmannssucht<br />
hat weichen müssen.» Noch im gleichen<br />
Jahr begann man unterhalb der Strasse mit dem<br />
Bau des Gymnasiums, einem Monumentalbau<br />
mit dominierender Fernwirkung.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die<br />
Hangbebauung vervollständigt, zuerst noch<br />
vorwiegend im Heimatstil, ab 1930 zunehmend<br />
im Geist der Moderne. Auch die bedeutenden<br />
Architekten Salvisberg & Brechbühl sind hier<br />
vertreten: 1936 erstellten sie neben der Brücke<br />
unterhalb des «Jägersteins» ein grosszügiges<br />
Wohnhaus.<br />
Plan der Stadt Biel<br />
und Umgebung 1902,<br />
ausgeführt vom<br />
städtischen Katasterbüro<br />
(Vögeli).<br />
Im rechten oberen<br />
Drittel ist die<br />
«Villa Jägerstein» zu<br />
sehen, darunter der<br />
Jägersteinweg (die<br />
spätere Alpenstrasse)<br />
mit den ab 1896 entstandenen<br />
Wohnhäusern<br />
(Archiv Baudirektion<br />
der Stadt Biel).<br />
6<br />
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