De:Bug 170
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Monster zu überlassen, das so von Lobbystrukturen durchzogen<br />
ist, dass man bestenfalls das eigene Wissen um die<br />
Marktverquickungen auffrischt. Wer seine strategischen<br />
Hoffnungen auf diese Richtung setzt, sei es mit Petitionen<br />
oder direktem politischen Handeln, der sollte - hat er ein<br />
Mal die Macht des Staates in eine passende Richtung gelenkt<br />
- den schnellen Absprung schon vorbereitet haben.<br />
Haifischbecken der Aufkäufe<br />
Start-ups und DIY-Szene, sofern sie im Haifischbecken<br />
der Aufkäufe und Patentzwänge überleben, haben nur eine<br />
Chance, die schon etwas mehr nach Dissidenz klingt.<br />
Sie müssen die systemischen Fehler, die Bahnen der notgedrungenen<br />
Überregulierung, die die Finanzflüsse der<br />
großen Vier aufrechterhalten, auch gegeneinander durchbrechen<br />
und für andere, freiere Informationsflüsse öffnen.<br />
Unter der Prämisse von Web 2., noch bevor dieser neue<br />
Kompass der Viererbande etabliert war, hatten wir von<br />
dort nahezu wöchentlich neue Ideen der Befreiung gehört.<br />
Was wir daraus lernten, war, dass jede Öffnung auch<br />
eine Angriffsfläche frei macht, die von den Großen einverleibt<br />
werden kann, sofern sie sich nur genug offene APIs<br />
auf die Fahnen schreiben. Gute Ideen sind zu viel wert, als<br />
dass man sie nicht kaputt machen müsste.<br />
Mittlerweile kann man - wie man sehr gut am Beispiel<br />
von Minivideos sehen konnte - die Reaktionszeit auf ein aufmüpfiges<br />
Start-up wie Snapchat schon in Wochen messen.<br />
Facebook hatte die Antwort an einem Wochenende<br />
mit Poke zusammengecodet, Twitter Vine hinzugekauft,<br />
schon war die Konkurrenz da und die Träume auf einen<br />
neuen Start-up-Star auf den nächsten verschoben. Und<br />
immer öfter tun sich gerade diese Start-ups schwer, aus<br />
den klaren aber höchst einseitigen Bereichen wie Cloud,<br />
Arbeit, Hardware, Mobile, Konsum, Identität, Soziales (deren<br />
Verquickung in einem Ökosystem eben genau die Macht der<br />
Vier Reiter auszeichnet und stabilisiert) auszubrechen und<br />
eine andere Idee für die eigene Weiterentwicklung zu haben,<br />
als: Ach, wir wollen auch eine Media-Company werden!<br />
Auch der Hacktivismus als Dissidenzmöglichkeit muss<br />
scheitern, weil er die zugrundeliegenden Strukturen des<br />
Netzes nicht kritisiert, sondern sich am untauglichen<br />
Versuch eines guten Lebens im falschen Netz versucht.<br />
Im Grunde arbeiten alle nur an der Stabilisierung eines<br />
Systems. Critical Engineering Manifesto hin oder her: Wer<br />
jätet, statt stutzt, schützt.<br />
Hoffnung Indie-Hardware<br />
Zur Zeit befinden wir uns in einer Phase, in der viele die<br />
Hoffnung auf Indie-Hardware richten. Auf Crowd-finanzierte<br />
Kickstarter, die kurzzeitige Banden zwischen uns und der<br />
Technologie, die wir uns wünschen, erlauben. Nicht wenige<br />
halten 213 für das Jahr, in dem Crowd-finanzierte Hardware<br />
- 3D-Printer, Arduino/Rasperry, - alles umkrempeln wird. Aus<br />
der vielbeschworenen Generation, die alles umsonst haben<br />
will, könnte eine werden, die ihre Zukunft durch minimale aber<br />
hochdistribuierte Investitionen selbst finanziert. Ob aber aus<br />
dieser Szene eine disruptive Technologie entstehen wird, die<br />
mehr ist als ein kurzer neuer Gadget-Hype, oder der Applaus<br />
für eine Millionen Investitionsgelder, muss abgewartet werden.<br />
Wichtig ist, dass hier das “Wir” mit den Start-ups ein<br />
neues Bündnis eingeht, das zumindest strukturell kurzfristig<br />
gute Chancen haben könnte. Am Ende dieser Entwicklung<br />
würde ein neues Internet stehen, das die strukturellen Fehler<br />
des aktuellen Netzes nicht wiederholt.<br />
Dronenet, Sneakernet oder Subnetz<br />
Ganz auf uns geworfen, mit einer gewissen Erfahrung von DIY,<br />
Hackertum und dem Wissen, dass Software immer genug<br />
Brüche erzeugt, sind Projekte oder Visionen wie Dronenet,<br />
Sneakernet oder hyperlokale Subnetze sicherlich vielversprechend.<br />
Sie könnten neue Möglichkeiten des Netzes aufmachen<br />
und so die Zukunft in neue Bahnen lenken. Nicht selten<br />
sind solche Bereiche aber von den Think Tanks der Großen<br />
gleich mitbesetzt oder der Vorsprung der Alltagstechnik ist<br />
einfach zu groß. <strong>De</strong>nn ein Problem des derzeitigen Internets<br />
ist ein einfacher Netzwerk-Effekt: kritische Masse, größter<br />
Haufen. Wer groß ist, wird größer.<br />
Aber selbst AR-Träume einer hochgefilterten Welt sollten<br />
mit Sergej Brins Google-Brille nicht zu Ende sein, die<br />
Hoffnung auf ein freies und mobiles Filesharing-Netzwerk<br />
als widerstandsfähige Kommunikationsbasis nie aussterben.<br />
Das immer und immer wieder bemühte Beispiel des<br />
arabischen Frühlings als Social-Media-Dissidenz muss<br />
nicht darüber hinwegtäuschen, dass so ein Internet vielleicht<br />
den viralen Zündstoff für Revolutionen liefern könnte<br />
- aber genau so eine Revolution zukünftig nicht überstehen<br />
wird. Die Stabilisierung der Zeit danach, das Konzept<br />
jenseits der Disruption, die Sustainability einer Zukunft ist<br />
in unserem sozialen Arsenal von Zusammenschlüssen nur<br />
mager implementiert und stößt schnell an Grenzen, die<br />
gerade staatliche Eingriffe in diese Systeme (Facebook,<br />
Google, wo sind die Aufrührer?) noch enger schnüren<br />
könnten.<br />
Mehr Feinde, mehr Dissidenz, mehr Risiko<br />
Keine Frage, die Arbeit an Jailbreaks, die unermüdliche<br />
Scene, die gelegentlich quietschigen Aktionen loser<br />
Zusammenschlüsse wie Anonymous, zeigen immer wieder:<br />
Nichts ist in Stein gemeißelt, unser technologisches Epitaph<br />
ist noch nicht geschrieben. So groß die Hoffnung aber auch<br />
sein mag: Hier legt sich die flexibel organisierte Crowd nicht<br />
nur mit den Reitern der Infokalypse an, sondern auch immer<br />
gleich mit dem Staat. Mehr Feinde, mehr Dissidenz,<br />
mehr Risiko. <strong>De</strong>nnoch würden wir uns wünschen, flexiblere<br />
und gleichzeitig tragbarere, das eigene Überleben sichernde<br />
Strategien des Widerstands zu sehen, die den Hype, den<br />
Nervenkitzel, den kurzen Aufruhr auf eine strukturell sichere<br />
Basis danach zu heben vermögen. Eine Welt also, die nicht<br />
von vier Prinzipien einer technokratischen Hegemonie bestimmt<br />
werden kann.<br />
<strong>170</strong>— 15<br />
LORE – START: 01.11. 2012<br />
EIN FILM VON CATE SHORTLAND<br />
BILD © PIFFL MEDIEN GMBH 2012<br />
WWW.LICHTER-FILMFEST.DE<br />
FRANKFURTS INTERDISZIPLINÄRES FILMFEST<br />
Leitthema 2013: Stadt / Werkschau Rhein-Main<br />
PROGRAMM<br />
„Gimme the Loot“ (Adam Leon), „Bellas Mariposas“<br />
(Salvatore Mereu), „My Brooklyn“ (Kelly Anderson),<br />
„Neighboring Sounds“ (Kleber Mendonca Filho),<br />
„Freispielen“ (Niko Apel), „Götter wie wir“ (Carsten<br />
Strauch), „Vergiss mein nicht“ (David Sieveking),<br />
„Lore“ (Cate Shortland) u.a.<br />
Retrospektive<br />
James Gray<br />
LICHTER STREETVIEW<br />
Projektionen im öffentlichen Raum<br />
mit on/off, !Mediengruppe Bitnik, Node – Forum for<br />
Digital Arts u.a.<br />
Gesprächsmarathon zu Stadt & öffentlicher Raum<br />
Leitung: Arno Brandlhuber, Nikolai von Rose<br />
LICHTER ART AWARD<br />
mit Arbeiten von Etienne de France, Jennifer Gelardo<br />
and Iván Robles Mendoza, Lena Grewenig, Henrike<br />
Naumann, John Skoog<br />
PARTYS, KONZERTE, DEBATTEN