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De:Bug 170

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TEXT EIKE KÜHL<br />

Knapp zwanzig Jahre hat Dave Sumner gebraucht,<br />

um seine Technoentwürfe in ein eigenes Album zu<br />

packen. Dafür hat er nach dem Ende von Sandwell<br />

District auf Ostgut Ton eine neue Heimat gefunden –<br />

und seinen Sound noch einmal ausgebaut.<br />

Dave Sumner ist müde. Dabei ist es erst Nachmittag und<br />

er noch gar nicht so lange wach. Gerade hat er am Telefon<br />

ein Interview gegeben und jetzt folgt schon das nächste.<br />

Eigentlich wollte er dazu ins Café um die Ecke gehen, doch<br />

Sumner bevorzugt nach einem Blick aus dem Fenster und<br />

Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt dann doch sein<br />

Wohnzimmerstudio. "Dass ich zwei große Projekte in so<br />

kurzer Zeit habe, kam auch noch nie vor", sagt der New<br />

Yorker, der seit fünf Jahren in Berlin wohnt und vor allem als<br />

Function bekannt ist. Nächtens brütet er gerade über einem<br />

Mix für die "Fabric"-Reihe, der unter dem Namen Sandwell<br />

District erscheinen wird, sein gemeinsames Projekt mit Karl<br />

O'Connor alias Regis und John Mendez, besser bekannt<br />

als Silent Servant. Ihr gleichnamiges Label beendete das<br />

Trio vor etwas mehr als einem Jahr überraschend auf dem<br />

Höhepunkt des Erfolges. Eine Entscheidung, die Sumner<br />

bis heute nicht bereut: "Das hat uns alle befreit", sagt er auf<br />

seine nachdenkliche Weise, "es begann sporadisch und hat<br />

sich dann immer mehr zur Routine entwickelt, bis wir am<br />

Ende das Gefühl hatten, zwingend etwas abliefern zu müssen.<br />

Sobald die Dinge eine bestimmte Form annehmen,<br />

erwarten die Leute immer etwas. Aber so geht das nicht,<br />

für uns sind Spontaneität und ein gewisses Chaos wichtig.<br />

Und überhaupt wäre mein Album auf Sandwell District gar<br />

nicht möglich gewesen."<br />

Womit wir beim zweiten angesprochenen Projekt wären,<br />

das Sumner gerade etwas den Schlaf raubt: sein Album.<br />

Das ist zwar inzwischen längst fertig, aber mit der ganzen<br />

Situation muss sich Sumner bei aller Erfahrung erst noch<br />

vertraut machen. Es ist schließlich nicht nur sein erstes<br />

Album als Function, sondern überhaupt sein erstes richtiges<br />

Soloalbum. Ein <strong>De</strong>büt also im Alter von 39 Jahren – da ist<br />

klar, dass der Titel "Incubation" auch irgendwie Programm<br />

ist, das <strong>De</strong>stillat einer fast zwanzigjährigen Karriere quasi,<br />

die 199 in New York begann, als Sumner zum ersten<br />

Mal das legendäre Limelight betrat. <strong>De</strong>r Zeitpunkt war gut<br />

gewählt, schließlich emanzipierte sich Techno gerade von<br />

<strong>De</strong>troit und kehrte in die New Yorker Clubs ein. <strong>De</strong>r junge<br />

Function war vorne mit dabei. Zunächst als DJ, ab Mitte<br />

der Neunziger auch als Produzent auf Damon Wilds Label<br />

Soundwave, wo er klare, bleepende Technotracks veröffentlichte,<br />

die erstaunlich gut gealtert sind. Ganz anders als die<br />

New Yorker Technoszene, die von den Behörden und der<br />

Gentrifizierung nach und nach aufgelöst wurde, weshalb<br />

Sumner sich in Richtung Europa orientierte. In Birmingham<br />

fand er mit Karl O'Connor einen neuen Partner, der eine<br />

ähnliche Auffassung von Techno hatte: Präzise musste es<br />

sein, treibend und energetisch. Funktional eben. Mit der<br />

Gründung von Sandwell District und dem anschließenden<br />

Umzug nach Berlin begann schließlich die vielleicht erfolgreichste<br />

Phase in Sumners Karriere.<br />

Befreien vom Prozess<br />

Dass es trotzdem noch ein paar Jahre dauerte, bis das<br />

Album im Kasten war, lag nicht etwa am sumpfigen Berliner<br />

Nachtleben, sondern schlicht am Timing. Zum einen sollte<br />

es mit etwas Abstand zu der LP erscheinen, die Sumner<br />

21 mit seinen Kollegen als Sandwell District aufnahm.<br />

Zum anderen merkte er, dass der Erfolg als DJ in Europa<br />

bis dato unbekannte Probleme mit sich brachte: "Es ist ja<br />

eine schwierige Sache mit der DJ-Kultur, die mir erst kürzlich<br />

wirklich bewusst wurde. Bands haben den Luxus, ihre<br />

Zeit zwischen Tour und Studio klar einzuteilen und jeder<br />

"Ich bin nicht zufrieden,<br />

bevor nicht der Typ,<br />

der Milli Vanillis 'Girl<br />

You Know It's True'<br />

gemacht hat, meine<br />

Platte abmischt!"<br />

akzeptiert, wenn sie ein paar Monate lang nicht auftreten.<br />

Die Produzenten von elektronischer Musik können sich das<br />

nicht leisten. Die müssen immer auf dem neusten Stand<br />

sein und ständig Bookings annehmen. Das macht es nicht<br />

leichter. Bis man nach einem Wochenende wieder in der<br />

Spur ist, ist es Dienstag und am Freitag geht es schon wieder<br />

weiter. Wir sind wie Jazz Musiker, die auch immer am<br />

Touren waren und nebenbei in kurzen Sessions dann die<br />

Platten aufnahmen", fasst Sumner seinen Alltag zwischen<br />

Studio und Club zusammen.<br />

In einer dieser kurzen Sessions ist dann auch der<br />

Großteil des Albums entstanden. Im Januar vergangenen<br />

Jahres hat Sumner zwei Wochen intensiv daran gearbeitet,<br />

nur um es anschließend einige Monate wieder beiseite<br />

zu legen. "<strong>De</strong>r Abstand war nötig", erklärt er, "denn es<br />

ist leicht, sich im Prozess zu verlieren. Dank der Technik<br />

kann man heute an dutzenden Tracks gleichzeitig arbeiten.<br />

Das ist zwar toll, aber man verliert schnell das Ziel aus<br />

den Augen." Erst im Sommer machte er sich wieder ans<br />

Werk, feilte die bestehenden Skizzen noch einmal behutsam<br />

aus und fügte die letzten Tracks hinzu. Und er merkte,<br />

dass in diesem Prozess ein Album entstand, das weniger<br />

ein Best-of als vielmehr eine Momentaufnahme ist. Zwar<br />

hört man den auch für Sandwell District stellvertretenden<br />

Technoentwurf durch, bei dem der Futurismus mit peitschender<br />

Percussion und einem stets klaustrophobischen<br />

Grollen auf den Boden des Clubs zurückgeholt wird. Aber<br />

eben nicht nur. <strong>De</strong>nn "Incubation" löst sich immer wieder<br />

von diesem Dancefloordiktat und lässt ganze andere, überraschende<br />

Referenzmuster anklingen.<br />

Ambient, Krautrock und Milli Vanilli<br />

"Auf eine bizarre Art und Weise ist es ein Ambient-<br />

Album, also von der Atmosphäre her. Ich wollte dieses<br />

Element unbedingt aufgreifen, ohne in dieses Klischee<br />

von beatlosen Tracks mit Drones und Streichern zu geraten",<br />

sagt Sumner. Diese Absicht hört man in Tracks wie<br />

"Voiceprint" und "Inter", die mühelos zwischen Ambientund<br />

Technoreferenzen pendeln oder bei "Counterpoint",<br />

dessen pulsierende Synthesizer-Akkorde eher an Manuel<br />

Göttschings Klassiker "E2-E4" erinnern als an eine verschwitzte<br />

Nacht im Berghain. Darauf angesprochen, hellt<br />

sich Sumners Miene auf und ein Lächeln huscht über die<br />

angegrauten Bartstoppeln: "Ich sehe das als Kompliment,<br />

denn 'E2-E4' ist eines meiner Lieblingsalben, die ultimative<br />

minimalistische Technoplatte! Ich habe im vergangenen<br />

Jahr tatsächlich viel Ash Ra Tempel und Krautrock gehört,<br />

und wenn man diesen Einfluss auf dem Album heraushören<br />

kann, habe ich meine Arbeit richtig gemacht."<br />

<strong>De</strong>n letzten Schliff bekam "Incubation" schließlich<br />

vom Ostgut-Label-Kollegen Tobias Freund, der sich um<br />

das abschließende Abmischen kümmerte. Ein echter<br />

Wunschkandidat, sagt Sumner, auch wenn es nicht leicht<br />

war, nach Jahren des Selbermachens einen wichtigen Teil<br />

der Arbeit in die Hände Dritter abzugeben. Aber wie auch<br />

die Musik, sei eben auch die Selbstreflexion des Künstlers<br />

über die Jahre gewachsen, erklärt er: "Ich habe über die<br />

Jahre gemerkt, dass Soundqualität meine Schwachstelle<br />

ist. Ich bin Perfektionist und ich muss inzwischen einfach<br />

zugeben, dass ich nicht die nötigen Skills besitze, um aus<br />

meinen Tracks den bestmöglichen Klang rauszuholen. Ich<br />

kenne Tobias schon seit einer ganzen Weile und weiß um<br />

seine Erfahrung. Da fällt mir eine Geschichte ein: Vor einigen<br />

Jahren saß ich betrunken mit Karl in einem Hotelzimmer<br />

und ich sagte zu ihm: Ich bin nicht zufrieden, bevor nicht<br />

der Typ, der Milli Vanillis 'Girl You Know It's True" gemacht<br />

hat, meine Platte abmischt!'"<br />

Function, Incubation,<br />

ist auf Ostgut Ton/Kompakt erschienen.<br />

MAERZ<br />

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F ESTIV ALF Ü R<br />

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0 3 2013<br />

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