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Starnberger Bote 12 Titelthema<br />
Leutstetten – das „königlich-bayrische“ Pferdedorf<br />
den die Pferde nicht mehr gebracht,<br />
er kommt zu ihnen, im blauen<br />
Einsatzgefährt. Die alte Schmiede der<br />
Familie Andrä wird deshalb kaum noch<br />
gebraucht. In ihrem Inneren scheint die<br />
Zeit eingefroren zu sein.<br />
Auch die übrigen Einrichtungen des<br />
ehemals königlichen Dorfes sind verschwunden.<br />
Der Kolonialwarenhändler<br />
Ziegler gab seinen Laden an der<br />
Einmündung der Wangener zur<br />
Altostrasse im Jahr 1966 auf. Später<br />
schloss auch der zweite, durch dessen<br />
große Scheibe man jetzt in das<br />
Büro einer Gerichtsvollzieherin blickt.<br />
Der Ort Leutstetten ist, wie viele andere<br />
in Bayern fast zu einem reinen<br />
Schlafdorf geworden. Lediglich eine<br />
Lederwerkstatt, ein Innenausbauer, ein<br />
Immobilienmakler, ein Designer, ein Kfz-<br />
Meisterbetrieb und eine Spedition halten<br />
die „Zunftfahne“ hoch. Torfstecher,<br />
land- und forstwirtschaftliche Betriebe,<br />
der letzte Kuhstall, die königliche<br />
Schlossgärtnerei, der Dorfladen, und die<br />
Bäckerei mit dem echten Leutstettener<br />
Holzofenbrot sind jedoch Vergangenheit.<br />
Das war einst ganz anders. Ausgang<br />
für das Wachstums des Ortes war<br />
das Schloss, mit seinen Bediensteten,<br />
deren Berufe man auf den Grabsteinen<br />
auf dem Friedhof von St. Alto wiederfindet:<br />
Förster, Gestütsmeister,<br />
Schlossverwalter und Beschließerin.<br />
Leutstetten besaß „eine Schule<br />
mit Gemeindekanzlei, eine Post ein<br />
Krämerladen und eine Gärtnerei. Sie<br />
alle haben den Strukturwandel, der<br />
besonders in den siebziger Jahren stattfand,<br />
nicht überlebt. Um das Schloss<br />
hatten sich im Laufe der Zeit zahlreiche<br />
Kleinbauern angesiedelt, deren<br />
Anwesen sich das Haus Wittelsbach<br />
nach und nach einverleibte. Die meisten<br />
Höfe wurden für das Gestüt und das Gut<br />
umgebaut und erweitert und dienten als<br />
Wohnungen für Gesinde, Hofstaat und<br />
diverse Prinzen und Prinzessinnen.<br />
Die letzten Wittelsbacher die in<br />
Leutstetten mit ihren Familien als Teil<br />
der Dorfgemeinschaft in Erscheinung<br />
traten waren die Prinzen Ludwig und<br />
Rasso. Prinz Ludwig bewirtschaftete das<br />
Gut Schwaige, Prinz Rasso das Gut<br />
Rieden. Fast täglich ritten sie auf ihren<br />
Pferden durch das Dorf. Prinz Ludwig<br />
war sogar von 1945 bis 1960 Mitglied<br />
des Leutstettener Gemeinderats, wo ihn<br />
sein Bruder ablöste (was die „Trauer-<br />
Gemeinderatssitzung“ im Jahre 2008<br />
verständlich macht, Anm. d. Verf.). Die<br />
recht intensive Beziehung, die Prinz<br />
Ludwig und Rasso zu Leutstetten und<br />
seiner Bevölkerung aufgebaut hatten,<br />
fehlte den direkten Erben von Kronprinz<br />
Rupprecht jedoch völlig.“ (2)<br />
Die Veränderung<br />
7. Baumanns „Schlösschen“, errichtet<br />
ab 1885<br />
Bereits 1966 drohte der Ausverkauf des<br />
Wittelsbacher Imperiums in Leutstetten.<br />
Herzog Albrecht und dessen Sohn<br />
Prinz Franz beantragten etwa 90.000<br />
qm Grund in Bauland umzuwidmen.<br />
„Eine Art „Trabantenstadt“ für wohlhabende<br />
und prominente Münchner im<br />
Landschaftsschutzgebiet östlich des<br />
Schlosses (bis einschließlich Thierkopf)<br />
war im Gespräch. Die klar ablehnende<br />
Haltung des damaligen Leutstettener<br />
Gemeinderates und die persönliche<br />
Intervention von Prinz Ludwig ließen<br />
diese Pläne für ein Siedlungsprojekt in<br />
Leutstetten wieder in der Schublade<br />
verschwinden. (2)<br />
Prinz Ludwig erklärte: “Ich finde es<br />
nicht richtig, wenn der Thronfolger mit<br />
schlechten Beispiel mit der Zersiedlung<br />
unserer bayrischen Landschaft vorangeht.“<br />
(MM 11.10.1966)<br />
Aus heutiger Sicht folgten dennoch<br />
teilweise aberwitzige Projekte um aus<br />
dem Schloss und den umliegenden<br />
Ländereien Geld zu schlagen.<br />
1970, Planung eines Feldafinger<br />
Kaufmanns für eine Art Country-<br />
Club in Leutstetten. Auf über einer<br />
Million qm (!) sollte eines der größten<br />
Erholungszentren Europas entstehen.<br />
Der Landschaftsschutz, eine viel zu<br />
kleine Kläranlage und der Protest der<br />
Bürger verhinderte das.<br />
Ein Jahr später wurde das Schloss<br />
samt Gutsbetrieb an den Planegger<br />
Großgrundbesitzer Baron Theo von<br />
Hirsch verkauft, nachdem Herzog<br />
Albrecht es seinem Sohn Franz übereignet<br />
hatte. „Die Begeisterung innerhalb<br />
der Familie war ziemlich gedämpft,<br />
die Leutstettener waren empört.“ Zum<br />
Paket „dazu gehörte eine Rinderherde<br />
und zur Hälfte eine Spiritusbrennerei.<br />
Prinz Ludwig von Bayern hätte gerne<br />
„gewisse Teile des Guts herausgekauft“.<br />
Das war nach seinen Worten<br />
aber nicht möglich weil der Käufer die<br />
Forderung stellte: „Alles oder Nichts“, so<br />
die Lokalzeitung am 10.<strong>04</strong>.1971. Der 25<br />
Millionen Mark-Deal platzte, als die verärgerten<br />
Leutstettener Prinzen Ludwig<br />
und Rasso von ihrem Vorkaufsrecht<br />
Gebrauch machten, sich damit aber<br />
innerhalb des Hauses Wittelsbach hoch<br />
verschuldeten.<br />
1973 folgte die Idee eines Freizeitund<br />
Erholungsparks Leustetten<br />
für 35 Millionen Mark. Das Aus für<br />
die 50 Hektar große Anlage im<br />
Landschaftsschutzgebiet kam<br />
durch das „Nein“ zweier regionaler<br />
Planungsverbände mit einer griffigen<br />
Argumentation, die man heute den<br />
GRÜNEN zuschreiben würde. (nach 2)<br />
Dennoch, der Grundbesitz der<br />
Wittelsbacher „schmolz“ auf andere<br />
Art und Weise: Gut Schwaige und Gut<br />
Rieden wechselten die Besitzer, rund<br />
200 Hektar Wald kaufte die katholische<br />
Kirche und 180 Hektar im Bereich des<br />
Leutstettener Mooses gingen für 6,5<br />
Millionen Mark an einen Neuperlacher<br />
Landwirt, nachdem Freistaat und<br />
Stadt Starnberg wegen der Höhe des<br />
Kaufpreises passen mussten. Der<br />
Käufer wolle seinen Besitz, laut Prinz<br />
Luitpold von Bayern, „als Jäger und<br />
Naturfreund vorsichtig nützen.“ (nach 2)<br />
Im Sommer 1977, ein Jahr vor der<br />
bereits feststehenden Eingemeindung<br />
nach Starnberg wurden die Bewohner<br />
Leutstettens erneut aufgeschreckt.<br />
„Der nun eigentliche Schlossbesitzer,<br />
die „Schlossbrauerei Kaltenberg“<br />
wollte mit der Südbaukommerz KG<br />
ein Siedlungsprojekt mit bis zu 40<br />
Häusern auf der Pferdekoppel östlich<br />
des Schlosses in die Landschaft<br />
setzen. Der Plan scheiterte erneut.<br />
In einer ihrer letzten eigenständigen<br />
Bürgerversammlungen verabschiedeten<br />
die Leutstettener Bürger eine<br />
Resolution, nach der sowohl der damalige<br />
Gemeinderat als auch der zukünftige<br />
Stadtrat von Starnberg angehalten<br />
werden keine Großprojekte in Leustetten<br />
zu genehmigen.“ (nach (2)<br />
Heute eingewachsen in die Dorfstruktur<br />
ist die schlossbezogene Bebauung auf<br />
dem Gelände der ehemaligen königlichen<br />
Gärtnerei, die ab 1989 erfolgte.<br />
„Nach persönlicher Bedarfsanalyse“<br />
wurden von der Vertriebsgesellschaft<br />
ABS „exklusive Landhausvillen in massiver<br />
Bauweise“ schlüsselfertig im<br />
„ehemaligen Schlossgarten“ errichtet.<br />
Nach und nach folgte das, was<br />
bereits 1959 mit dem Abriss des<br />
romantischen „Schlösschens“ des<br />
Lokomotivfabrikdirektors Baumann<br />
und dem Plattmachen der Dorfschule<br />
(1975) begann. Die überkommene<br />
städtebauliche und bautypologische<br />
Struktur wurde „zeitgeistig“ verändert<br />
durch großvolumige „Betonvillen“,<br />
technologische Bautypen und biedere<br />
EFH´s (z.T. mit Vorgartenzwergen) denen<br />
bald darauf Toskanavillen und zuletzt<br />
die puristische Neo-Moderne die Stirn<br />
bieten mussten.<br />
Als Zeitmonument der aktuellen<br />
Energiewende werden z.Zt. an der<br />
Wangener Strasse für etwas unter einer<br />
Million Euro ein „Solid“ Kfw-70 Haus<br />
und „Premium“ Kfw 55-Haus („mit<br />
zusätzlicher hochwertiger Ausstattung<br />
wie z. B. eine Wärmepumpe“) durch<br />
ein „renommiertes Bauplanungsbüro“<br />
(30 Jahren Erfahrung) angeboten. „Das<br />
Unternehmen ist ausgesuchtes Mitglied<br />
in der Bayerischen Ingenieurkammer<br />
Bau. Nicht im Preis enthalten: das<br />
Kinderbad, die Erschließungskosten und<br />
die Außenanlagen“, so die Anzeige im<br />
Internet. Ohne Aufpreis hingegen gibt es<br />
dazu eine Architektur der 1960er Jahre.<br />
Da sollte man sofort zugreifen!<br />
Landluft macht frei<br />
8. Grossbaustelle auf dem ehemaligen<br />
Gestüt<br />
Kein aberwitziges „Großprojekt“,<br />
aber für Leutstettener Verhältnisse<br />
ein mächtiger Eingriff direkt am<br />
Landschaftsschutzgebiet, sind die<br />
beiden Reihenhausanlagen denen<br />
die nördlich der Altostrasse errichtete<br />
große Reithalle und die Gebäude für die<br />
Pferdezucht weichen mussten. Letztere<br />
waren vom Münchner Oberbaurat und<br />
spätere Stadtbaurat Karl Meitinger im<br />
„Geist des heimatgebundenen Bauens<br />
im Jahre 1935 errichtet worden. Wegen<br />
der engen stilistischen Beziehungen<br />
zum Gut Leutstetten ist Karl Meitinger<br />
auch für das Gestüt „Isarland“ in<br />
Heimathshausen als Architekt anzunehmen.“<br />
(12)<br />
Volumenmäßig ist die heutige Bebauung<br />
des sog. „Wohnguts Leutstetten“ angelehnt<br />
an die ehemalige Reithalle und<br />
die linearen Stallungen. Die Planung<br />
für das 6.800 qm große Areal geht auf<br />
einen Entwurf Münchner Architekten für<br />
die Kgl. Privatgutsverwaltung SKH Prinz<br />
Luitpold von Bayer zurück, die dem Bau-