Militärgeschichte
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Afghanistan-Initiative 1980<br />
ullstein bild/IBERFOTO<br />
litionsregierung in Kabul nachdenken,<br />
einer Koalition zwischen den derzeitigen<br />
Machtinhabern und der Opposition,<br />
wobei die Garantie einer Nichteinmischung<br />
von außen abgegeben wird.«<br />
Falls der Wortlaut der den Bulgaren<br />
zugespielten Aufzeichnung stimmt –<br />
worauf die stark an Schmidt erinnern<br />
de Wortwahl hinzuweisen scheint<br />
–, dann ging der Bundeskanzler in dieser<br />
Situation deutlich über die mit Washington,<br />
mit den westeuropäischen Regierungen<br />
und mit seinem eigenen<br />
Außenminister und Koalitionspartner<br />
abgesprochenen Vorgaben hinaus.<br />
Statt eines vollständigen Abzugs als<br />
Vorbedingung für eine Nichteinmischungs-<br />
und Neutralitätsgarantie des<br />
Westens, was den Abzug an den Ende<br />
eines langwierigen Verhandlungsprozesses<br />
gesetzt hätte, wollte Schmidt offenbar,<br />
dass die Sowjets möglichst bald,<br />
wenn auch nur mit einem Teilabzug<br />
aus Afghanistan begannen. Auch ein<br />
völliger Einflussverlust Moskaus innerhalb<br />
Afghanistans durch die Absetzung<br />
Karmals war aus Sicht Schmidts<br />
weder notwendig noch opportun oder<br />
auch nur möglich. Wichtig war ihm allein,<br />
dass die sowjetische Führung sich<br />
jetzt bewegte, solange sie dies aus Prestigegründen<br />
noch konnte, damit die<br />
mit dem Einmarsch verbundenen weltpolitischen<br />
Verwerfungen nicht in voller<br />
Stärke auf die in den 1970er Jahren<br />
gerade erst mühsam stabilisierten Ost-<br />
West-Beziehungen durchschlugen.<br />
Widersprüchliche Signale aus<br />
dem Ostblock<br />
Der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid I. Breschnew und der afghanische<br />
Präsident Babrak Karmal am 27. Februar 1981 in Moskau.<br />
Kurz darauf spielte Schmidt seine Lösungsideen<br />
zunächst informell und<br />
dann auch offiziell an die polnische<br />
Adresse. Dem polnischen Stellvertretenden<br />
Premierminister Tadeusz<br />
Wrzaszczyk erklärte er bei dessen<br />
Bonn-Besuch am 25. April unumwunden,<br />
dass man in Warschau ja »vielleicht<br />
bereits gemerkt [habe], dass –<br />
ohne unsere Bündnistreue den<br />
Amerikanern oder anderen Verbündeten<br />
gegenüber in Frage zu stellen – die<br />
Bundesregierung an der Fähigkeit der<br />
Weltmächte Zweifel hege, mit Besonnenheit<br />
vorzugehen und die Gefahr eines<br />
Krieges zu vermeiden«. Vielmehr<br />
glaube er (Schmidt) zu wissen, dass<br />
auch die Führung in Warschau in dieser<br />
Situation »an die Grenze dessen<br />
gehe, was mit der Loyalität zur UdSSR«<br />
vereinbar sei. Die nicht-öffentlichen Signale,<br />
die Ende April und Anfang Mai<br />
1980 aus den Hauptstädten der Warschauer-Pakt-Staaten<br />
zurückkamen,<br />
scheinen außerordentlich ermutigend<br />
gewesen zu sein. Vizepremier Wrzaszczyk<br />
reagierte keineswegs pikiert auf<br />
Schmidts direkte Ansprache, sondern<br />
schien diese geradezu erwartet zu haben<br />
und beschwor umgehend die gemeinsamen<br />
Interessen in der Mitte des<br />
Kontinents: »Weder die Iran-Krise<br />
noch die Afghanistan-Krise [...] sollten<br />
einen so immensen Einfluss auf Europa<br />
und die Welt haben dürfen.<br />
Schließlich handele es sich um eine Region,<br />
die weder dem Warschauer Pakt<br />
angehöre noch direkte Interessen der<br />
Bundesrepublik Deutschland berühre.«<br />
Noch bedeutender waren seine<br />
Aussagen über die zu erwartende Reaktion<br />
Moskaus auf den Afghanistan-Vorschlag<br />
der EG bzw. Schmidts:<br />
Bei einer »Garantie der Nicht-Einmischung<br />
in die inneren Angelegenheiten<br />
Afghanistans würde der Sowjetunion<br />
ein rascher Abzug ihrer Soldaten aus<br />
Afghanistan leichter fallen.« Diese Einschätzung<br />
bestätigte kurz darauf auch<br />
Erich Honecker bei einem Vier- bzw.<br />
Achtaugengespräch mit Schmidt während<br />
der Belgrader Trauerfeierlichkeiten<br />
zur Beisetzung Josip Broz Titos.<br />
Die einzige bekannte Aufzeichnung<br />
des Belgrader Gesprächs findet sich in<br />
Schmidts Privatarchiv in Hamburg.<br />
Honecker, der Schmidt offenbar schon<br />
zwei Wochen vorher entsprechend<br />
hatte informieren lassen, betonte nun<br />
nochmals persönlich, dass »die Sowjetunion<br />
bereit sei, ihre Truppen aus Afghanistan<br />
abzuziehen, wenn durch<br />
eine Vereinbarung sichergestellt wer de,<br />
dass die Interventionen von außen eingestellt<br />
würden. Die Großmächte könnten<br />
ein solches Arrangement garantieren.«<br />
Doch zeitgleich gab es auch Signale<br />
der anderen Art: Während seiner Gespräche<br />
in Paris Ende April zeigte der<br />
sowjetische Außenminister Andrej A.<br />
Gromyko keinerlei Bereitschaft, »sich<br />
in irgendeiner Weise zu bewegen«, wie<br />
der Franzose Giscard d‘Estaing seinem<br />
deutschen Freund Helmut noch am<br />
selben Tag telefonisch berichtete. »Es<br />
sei kein Anzeichen für einen Verhandlungswillen<br />
der S[owjet]U[nion] sichtbar<br />
geworden. Dies gelte [...] insbesondere<br />
für Afghanistan.«<br />
Die Krise verfestigt sich<br />
Angesichts dieser widersprüchlichen<br />
Signale scheint Schmidt einmal mehr<br />
den richtigen Wind in der Nase gehabt<br />
zu haben. In Belgrad verhehlte er gegenüber<br />
Honecker denn auch keineswegs<br />
seine wachsende Skepsis. »Er<br />
wisse«, so Schmidt, »dass ein Abzug<br />
der sowjetischen Truppen inzwischen<br />
zu einer Prestigefrage geworden sei.<br />
Das erschwere eine Lösung.« Eine weitere,<br />
zunehmend problematischere<br />
16 <strong>Militärgeschichte</strong> · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2016