Militärgeschichte
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ereits vereinzelt damit begonnen, die<br />
Flüchtlinge der feindlichen Volksgruppe<br />
systematisch zu ermorden.<br />
In den frühen Morgenstunden des<br />
22. Juli suchten beide Kriegsparteien<br />
letzte Geländegewinne zu erzielen, um<br />
sich vor Inkrafttreten des mit Hilfe der<br />
NATO und der UNO ausgehandelten<br />
Waffenstillstands aus einer Position der<br />
Stärke heraus in die anstehenden Verhandlungen<br />
zu begeben. Bei Kyrenia<br />
landete die Türkei mit weiteren Truppen.<br />
Jedoch war nicht zu übersehen,<br />
dass die türkische Militärführung die<br />
taktische Initiative verloren hatte. Es<br />
war der türkischen Armee nicht gelungen,<br />
die Hauptverbindungsstraße zwischen<br />
der Küste und der zypriotischen<br />
Hauptstadt vollständig in Besitz zu<br />
nehmen. Ankara und die türkischen<br />
Zyprioten kontrollierten zwischenzeitlich<br />
weniger Territorium als noch vor<br />
Beginn der Invasion. Der Flughafen<br />
von Nikosia befand sich nach wie vor in<br />
der Hand der Verteidiger. Fanati sche<br />
Nationalisten formierten in der sommerlichen<br />
Hitze jugendliche Freischärler<br />
zu einer Art »Volkssturm«, um dem<br />
türkischen Feind Einhalt zu gebieten.<br />
Nachrichten über Massaker und Gräueltaten<br />
an der türkisch-zypriotischen<br />
Volksgruppe erreichten zunehmend die<br />
US-amerikanische Botschaft in Nikosia.<br />
Es schwirrten aber auch Gerüch te über<br />
Folter und Massaker der türkischen Armee<br />
an griechischen Zyprioten, die von<br />
der örtlichen Presse noch geschürt wurden.<br />
In der Nähe der umkämpften Gebiete<br />
geriet die griechisch-zypriotische<br />
Zivilbevölkerung zunehmend in Panik.<br />
Vermehrt setzten Flüchtlingsbewegungen<br />
in Richtung Süden ein.<br />
Erneuter türkischer Angriff nach<br />
dreiwöchiger Waffenruhe<br />
Erst im August befanden sich die türkischen<br />
Kräfte in einer militärisch günstigeren<br />
Lage. Die Türkei hatte die drei<br />
Wochen andauernde Waffenruhe mit<br />
den griechischen Zyprioten intensiv<br />
genutzt, um in großem Stil Nachschub<br />
und Verstärkungen heranzuführen.<br />
Den 45 000 griechisch-zypriotischen<br />
Bewaffneten standen nun nicht weniger<br />
als 32 000 türkische Armeeangehörige<br />
gegenüber. Im Gegensatz zu den<br />
Verteidigern waren die türkischen<br />
Kräfte jedoch voll mechanisiert und<br />
mit schwerer Artillerie, Hunderten von<br />
M-47-Panzern und M-113-Truppentransportern<br />
ausgestattet. Auch kontrollierte<br />
die türkische Luftwaffe unverändert<br />
den Luftraum über der Insel.<br />
Griechenland hingegen war militärisch<br />
nicht imstande, selbst in das Kriegsgeschehen<br />
einzugreifen, oder die Zyperngriechen<br />
auf dem Seeweg mit Nachschub<br />
zu versorgen.<br />
In der Nacht des 13. August begannen<br />
türkische Jagdbomber von ihrem<br />
Fliegerhorst Incirlik aus, die militärischen<br />
Einrichtungen des Gegners<br />
mit massiven Bombenteppichen zu belegen.<br />
Bodentruppen durchbrachen<br />
die griechisch-zypriotischen Verteidigungsstellungen<br />
und stießen von den<br />
Außenbezirken der Hauptstadt aus im<br />
Eiltempo in Richtung ihres östlich gelegenen<br />
Angriffsziels Famagusta vor.<br />
Im Westen riegelten die türkischen<br />
Truppen die nördlichen Gebirgszüge<br />
westlich von Kyrenia ab und zwangen<br />
die dort verbliebenen Verteidiger zur<br />
Aufgabe. Türkische Schlachtschiffe unterstützten<br />
das taktische Vorgehen von<br />
See aus. In den Abendstunden des<br />
14. August belagerten die Angreifer die<br />
Ortschaft Morphou nahe der nördlichen<br />
Westküste der Insel. Die Invasoren<br />
kesselten auch den Flughafen von<br />
Nikosia ein. In Anbetracht der technischen<br />
und materiellen Überlegenheit<br />
der türkischen Truppen und des fehlenden<br />
Nachschubs der griechisch-zypriotischen<br />
Verteidiger war es letzten<br />
Endes nur noch eine Frage der Zeit, bis<br />
der Türkische Generalstab sein operatives<br />
Ziel erreichte.<br />
Mit der Einnahme Famagustas gelang<br />
es den Invasoren schließlich, den<br />
gesamten Nordostteil der Insel zu besetzen<br />
und den strategisch wichtigen<br />
Flugplatz Timbou zu erobern. Der türkische<br />
Expeditionsverband kappte<br />
auch die Versorgungsroute zwischen<br />
Nikosia und dem Seehafen von Larnaca.<br />
Der griechisch-zypriotische Widerstand<br />
erlahmte schrittweise. Die<br />
ver bliebenen Kräfte der Nationalgarde<br />
begannen ins südliche Kernland der<br />
Insel auszuweichen. Die Verteidiger<br />
waren damit faktisch geschlagen. Seit<br />
dem 17. August kam es zu keinen nennenswerten<br />
Kampfhandlungen mehr.<br />
Ankara kontrollierte mehr als ein Drittel<br />
der Insel, erklärte sich zu neuen<br />
Waffenstillstandsverhandlungen bereit<br />
und feierte das Unternehmen in der<br />
Heimat pompös als großen Sieg.<br />
SZ Photo/dpa<br />
520. Juli 1974: Landung türkischer Fallschirmjäger<br />
auf Zypern. Zunächst wurden<br />
die Lastenfallschirme abgeworfen.<br />
Die Schwächen des türkischen<br />
Militärs<br />
Das Ergebnis konnte jedoch nicht über<br />
die schweren Ausrüstungs- und Ausbildungsmängel<br />
der türkischen Streitkräfte<br />
hinwegtäuschen. Die türkische<br />
Militärführung hatte lediglich mit Hilfe<br />
ihrer materiellen Übermacht und der<br />
uneingeschränkten Luftherrschaft über<br />
der Insel einen technisch weit unterlegenen<br />
und vom Nachschub abgeschnittenen<br />
Gegner besiegt. Dabei hatte der<br />
türkische Generalstab großzügig auf<br />
modernes Rüstungsgerät der NATO<br />
zurückgegriffen, das Ankara eigentlich<br />
nur zum Zwecke der integrierten Verteidigung<br />
des Bündnisgebiets hätte<br />
verwenden dürfen. Ferner hatten die<br />
türkischen Landstreitkräfte – gemessen<br />
an der begrenzten Kampfkraft ihrer<br />
Gegner – erhebliche Verluste erlitten.<br />
Im Falle einer Konfrontation mit den<br />
mechanisierten, hochmobilen und zahlenmäßig<br />
überlegenen Luft- und Landstreitkräften<br />
des Warschauer Paktes<br />
hätte die Türkei in den 1970er Jahren<br />
ihren Auftrag zur Verteidigung der<br />
Südostflanke der NATO wahrscheinlich<br />
weit weniger effektiv wahrnehmen<br />
können, als dies in den strategischen<br />
Planungen des Supreme Allied Commander<br />
Europe vorgesehen war.<br />
Stefan Maximilian Brenner<br />
<strong>Militärgeschichte</strong> · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2016<br />
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