Militärgeschichte
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Der Militärische Abschirmdienst<br />
Der Spiegel 5/1978<br />
Nicht umsonst kamen über 80 Prozent<br />
aller Hinweise aus der Truppe.<br />
Neuere Forschungen zeigen, dass der<br />
MAD in der Berichterstattung der Medien<br />
bis in die Mitte der 1970er Jahre<br />
nur wenig vor-, und wenn, dann als<br />
»Geheimdienst ohne Skandale« sehr<br />
gut wegkam. Ab Mitte der 1970er Jahre<br />
änderte sich diese positive Berichterstattung.<br />
Vor allem das Fehlverhalten<br />
Einzelner im MAD, wie Flottillenadmiral<br />
Elmar Schmähling, aber auch einige<br />
öffentlichkeitswirksame und politisch<br />
instrumentalisierte Skandale brachten<br />
eine schlechte Presse. Einen Beitrag<br />
zum (positiven) Grundverständnis der<br />
Öffentlichkeit für die abschirmende Arbeit<br />
des MAD leisteten hingegen vier<br />
Tatort-Folgen des NDR, die zwischen<br />
1977 und 1985 ausgestrahlt wurden.<br />
Hauptfigur war Oberstleutnant Delius,<br />
gespielt von Horst Bollmann, der erfolgreich<br />
gegen diverse Agentenringe<br />
vorging. Unter der Regie von Jürgen<br />
Roland und unter der Mitwirkung des<br />
MAD sowie der Bundeswehr entstanden<br />
spannende Spionagethriller, die<br />
sich von den herkömmlichen »Mordund-Totschlag-Szenarien«<br />
bewusst absetzten.<br />
Die Ein schaltquoten lagen zwischen<br />
42 und 64 Prozent, wodurch ein<br />
Millionenpublikum zumindest einen<br />
Eindruck von der eigentlich recht unspektakulären,<br />
aber doch professionellen<br />
Arbeit des MAD erhielt.<br />
Der Verteidigungsminister muss<br />
zurücktreten<br />
Ende der 1970er Jahre war der MAD<br />
gut aufgestellt, auch wenn der Rücktritt<br />
von Bundesverteidigungsminister<br />
Georg Leber 1978 im Zuge einer Abhöraffäre<br />
des Dienstes nichts Gutes<br />
versprach. Dabei ging es um sogenannte<br />
Lauschmittel, deren Einsatz bis<br />
dahin vom Amtschef MAD angeordnet<br />
werden konnte. Nach einem Bericht in<br />
der Illustrierten »Quick« mit dem Titel<br />
»Lebers Sekretärin abgehört« vom Januar<br />
1978 reagierte das BMVg und ließ<br />
sämtliche Einsätze auflisten. Minister<br />
Leber hatte keine Kenntnis von allen<br />
Vorgängen und konnte deshalb den<br />
Bundestag nicht vollständig informieren.<br />
Dies war für ihn Grund genug, als<br />
verantwortlicher Minister seinen Rücktritt<br />
einzureichen.<br />
Doch es sollte schlimmer kommen:<br />
Die Kießling-Affäre und ihre Auswirkungen<br />
auf den MAD dominierten die<br />
1980er Jahre. Das Gerücht über die Homosexualität<br />
des stellvertretenden<br />
NATO-Oberbefehlshabers Europa<br />
löste 1983 Ermittlungen aus, die zur<br />
Versetzung General Günter Kießlings<br />
in den vorzeitigen Ruhestand führten.<br />
Bundesverteidigungsminister Manfred<br />
Wörner musste nach dem kläglichen<br />
Scheitern der Beweisführung den<br />
Vier-Sterne-General wieder einstellen<br />
und wenig später mit militärischen Ehren<br />
verabschieden (dazu ausführlich in<br />
<strong>Militärgeschichte</strong> 4/2013, S. 18-21). Das<br />
Fehlverhalten einiger weniger MAD-<br />
Mitarbeiter hatte einen der größten<br />
Der Spionagefall Lutze/Wiegel und der Rücktritt<br />
von Verteidigungsminister Georg Leber 1978<br />
Als Chefsekretärin des Leiters der Sozialabteilung<br />
im BMVg hatte Renate Lutze<br />
seit 1972 – aufgrund laxen Umgangs mit<br />
den VS-Vorschriften – beinahe beliebigen<br />
Zugang zu Verschlusssachen. Zusammen<br />
mit ihrem Ehemann Lothar-Erwin<br />
Lutze, 1972 erst auf Bitten seiner<br />
Frau und auf Empfehlung ihres Chefs<br />
Herbert Laabs als Posteingangsbearbeiter<br />
in der Abteilung Rüstung verwendet,<br />
und Jürgen Wiegel, tätig in der Geheimregistratur<br />
der Rüstungsabteilung des<br />
Marineführungsstabes, bildete sie einen<br />
Agentenring für die DDR-Auslandsaufklärung<br />
Hauptverwaltung A. Enttarnt<br />
wurde der Agentenring durch einen Zufall:<br />
Bei der Verhaftung des Koblenzer<br />
Agentenehepaares Frank und Christine<br />
Gerstner am 1. Juni 1976 wurde ein Zettel<br />
mit einem Hinweis auf Wiegel gefunden.<br />
Zwei Tage später wurden die drei<br />
Spione auf der Hardthöhe verhaftet. Als<br />
Verteidigungsminister Georg Leber davon<br />
erfuhr, war seine erste besorgte<br />
Frage: »Sind auch Soldaten unter den<br />
Verhafteten?« Das war nicht der Fall<br />
und so verlor der Minister schnell das Interesse.<br />
»Das Bundeskriminalamt ermittelte,<br />
der MAD ermittelte, die Stabsabteilung<br />
Fü S II ermittelte, und keiner<br />
wusste, was der andere jeweils tat. Die<br />
Herren arbeiteten mehr gegen- als miteinander«,<br />
so die Bilanz des Hamburger<br />
Magazins »Der Spiegel« Ende Januar<br />
1978. Anderthalb Jahre schleppten sich<br />
die Ermittlungen hin, Leber erkannte<br />
nicht die politische Brisanz des Falls.<br />
Auch der MAD stand in der Kritik der<br />
Presse: Laut »Spiegel« wurde das Ehepaar<br />
Lutze auf Antrag des Verdacht<br />
schöpfenden Leiters der Sozialabteilung<br />
einer erneuten Sicherheitsüberprüfung<br />
unterzogen – ohne Ergebnis. Dagegen<br />
wurde die Chefsekretärin des Ministers,<br />
Hildegard Holz, zu Unrecht vom MAD<br />
der Spionage für die DDR verdächtigt<br />
und ihre Privatwohnung ohne Rechtsgrundlage<br />
abgehört. Nun erkannte Leber<br />
die Brisanz der verschleppten Spionageermittlungen<br />
und machte sie zur<br />
Chefsache. Er unterstellte sich den MAD<br />
direkt. Lebers Durchgreifen kam aber zu<br />
spät. Am 1. Februar 1978 trat Georg Leber<br />
als Verteidigungsminister zurück.<br />
<br />
ks<br />
Der Spiegel 6/1978<br />
8 <strong>Militärgeschichte</strong> · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2016