2008_Funktionen_von_Wahlkämpfen
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Literaturbericht im Bereich Innenpolitik<br />
Hauptseminar: Bundestagswahlkämpfe seit 1949<br />
Fakultät<br />
Helmut-Schmidt-Universität<br />
Universität der Bundeswehr Hamburg<br />
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
Holstenhofweg 85<br />
22043 Hamburg<br />
Welche <strong>Funktionen</strong> erfüllen Wahlkämpfe in der repräsentativen<br />
Demokratie der Bundesrepublik Deutschland?<br />
Verfasser:<br />
Ferid Giebler<br />
Stoltenstraße 13<br />
22119 Hamburg
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung S. 1<br />
2. <strong>Funktionen</strong> demokratischer Wahlen S. 1<br />
3. Aufgaben und <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> Wahlkampf S. 3<br />
3.1. Träger des Wahlkampfes S. 4<br />
3.2. Wahlkampffunktionen nach Dörner/Vogt S. 4<br />
3.3. Idealtypus demokratischer Wahlkämpfe S. 6<br />
4. Kritik am Wahlkampf S. 7<br />
5. Schlussbetrachtung S. 8<br />
Literaturverzeichnis S. 9
1. Einleitung<br />
Hinsichtlich der Warnung Angela Merkels vor einem überstürzten Wahlkampfbeginn<br />
1 lässt sich ein unterschwelliges Bedürfnis der Bundeskanzlerin zum Machterhalt<br />
kaum leugnen. Zumal Wahlkämpfe Parteien enorme Anstrengungen abverlangen, um<br />
ihre Machtpositionen zu festigen oder zu erlangen. Ein frühzeitiger Einstieg in den<br />
Wahlkampf bedeutet nicht selten eine Vernachlässigung wichtiger politischer Debatten,<br />
weil er zeit-, kosten- und arbeitsintensiv ist. Deshalb sind amtierende Regierungen<br />
bestrebt, den Wahlkampfstart möglichst lange hinaus zu zögern, um sich voll<br />
und ganz dem tagespolitischen Geschäft widmen zu können. Schließlich belegen<br />
jedoch spätestens die größtenteils bereits feststehenden Spitzenkandidaten der Parteien<br />
(z.B. Künast und Trittin in gemeinsamer Spitzenkandidatur für die „Grünen“) eine<br />
frühzeitige Ausrichtung der Parteien auf den bevorstehenden Wahlkampf für die<br />
Bundestagswahlen im Herbst 2009. Vor diesem Hintergrund fragt die vorliegende<br />
Arbeit zentral nach den <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> <strong>Wahlkämpfen</strong> im demokratischen System<br />
der Bundesrepublik Deutschland und welche Ausprägung einem idealtypischen<br />
Wahlkampf am ehesten gerecht wird. Damit soll eine effiziente Grundlage für die<br />
kritische Beobachtung des kommenden Wahlkampfes geschaffen werden. Abschließend<br />
werden die wichtigsten Kritikpunkte an <strong>Wahlkämpfen</strong> umrissen und erläutert.<br />
Die wichtigsten für diese Arbeit herangezogenen Werke stammen <strong>von</strong> Wichard<br />
Woyke 2 , Andreas Dörner 3 , Ludgera Vogt 4 und Werner Wolf 5 .<br />
2. <strong>Funktionen</strong> demokratischer Wahlen<br />
Aus verfassungsrechtlicher Perspektive leiten sich die <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> <strong>Wahlkämpfen</strong><br />
aus den ursächlichen Hauptfunktionen <strong>von</strong> Wahlen ab. Verankert sind diese im Artikel<br />
20, Absatz 2 des Grundgesetzes. Hiernach geht alle Staatsgewalt „vom Volke aus.<br />
Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der<br />
Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ 6 . Im<br />
ergänzenden Artikel 38 heißt es weiter: „Die Abgeordneten des Deutschen<br />
1 Merkel warnt die SPD vor verfrühtem Wahlkampf, in: Welt Online Politik,<br />
http://www.welt.de/politik/article2080288/Merkel_warnt_die_SPD_vor_verfruehtem_Wahlkampf.ht<br />
ml, zuletzt abgerufen: 08.06.<strong>2008</strong><br />
2 Woyke, Wichard 2005: Stichwort: Wahlen: Ein Ratgeber für Wähler, Wahlhelfer und Kandidaten<br />
3 Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera 2002: Der Wahlkampf als Ritual – Zur Inszenierung der Demokratie<br />
in der Multioptionsgesellschaft<br />
4 Ebd.<br />
5 Wolf, Werner: Wahlkampf und Demokratie<br />
6 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20, Absatz 2<br />
1
Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer<br />
Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des gesamten Volkes, an Aufträge und Weisungen<br />
nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ 7 . In jenen grundsätzlichen<br />
verfassungsrechtlichen Normen manifestieren sich die wesentlichen Elemente, die<br />
<strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> Wahlen und <strong>Wahlkämpfen</strong> beschreiben. Diesbezüglich sichern sich<br />
die Hauptakteure Parlament und Regierung die Legitimation ihrer demokratischen<br />
Herrschaft durch Wahlen 8 , welche sie durch den in der Stimmabgabe ausgedrückten<br />
Willen des Wählers, als Fundament ihres politischen Handelns, verliehen bekommen.<br />
Außerdem gewährleisten Wahlen die Kontrolle der politischen Macht, die vor allem<br />
<strong>von</strong> der parlamentarischen Opposition in Verbindung mit der Öffentlichkeit wahrgenommen<br />
wird 9 . Sie übt Kritik an der Regierungsarbeit Kritik und unterbreitet dem<br />
Wähler alternative Vorschläge. Eine tatsächliche Kontrollfunktion des einzelnen<br />
Wählers hingegen erfährt am jeweiligen Wahltag eine gewisse Bedeutung, wenn er<br />
durch seine Stimmabgabe zur Abwahl, Bestätigung oder Neuwahl <strong>von</strong> politischen<br />
Amts- und Mandatsträgern (in erster Linie die Abgeordneten im Parlament) beiträgt.<br />
Andererseits sei darunter auch die Kontrolle der Regierung durch das Parlament verstanden,<br />
denn die Regierung ist auf die mehrheitliche Unterstützung desselben angewiesen,<br />
kann bei Erfordernis vom Parlament abberufen werden. Die Regierung unterliegt<br />
demgemäß der Kontrollfunktion des vom Volk gewählten Parlamentes 10 .<br />
Dass Regierung und Opposition in ständiger Konkurrenz um die Gunst der Wähler<br />
stehen, ist bereits angeklungen. Für den politischen Amtsträger bedeutet dies einen<br />
konstanten Leistungsdruck, stets mit dem besseren politischen Programm aufzuwarten,<br />
weil ansonsten die Ab- oder Nichtwahl droht. Im Idealfall trägt dies dazu bei,<br />
dass die besten und nachhaltigsten Lösungen für gesamtgesellschaftliche Probleme<br />
gewählt werden, was jedoch eine umfangreiche Information des Wählers voraussetzt.<br />
Eine weitere Funktion <strong>von</strong> Wahlen in liberal-pluralistischen Demokratien, wie der<br />
Bundesrepublik Deutschland, verbirgt sich im Artikel 20 GG, der nach gängiger In-<br />
7 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 38, Absatz 1<br />
8 Woyke, Wichard/Steffens, Udo 2005: Stichwort: Wahlen: Ein Ratgeber für Wähler, Wahlhelfer und<br />
Kandidaten, S. 21<br />
9 Vgl. Ebd., S. 23<br />
10 Vgl. Rudzio, Wolfgang 2006: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland,<br />
7.aktualisierte Auflage, S. 197<br />
2
terpretation vor allem das Prinzip der Repräsentation betont. Denn nicht die Mehrheit<br />
der Wahlberechtigten übt die politische Herrschaft tatsächlich aus, sie entscheidet<br />
vielmehr mittels Wahlen, wer sie ausübt. Indem der Wähler seine Repräsentanten<br />
(Parlamentarier) bestimmt, partizipiert er, zwar in geringem Maße, dennoch am politischen<br />
Willens- und Entscheidungsbildungsprozess. Aus dieser Verbindung zwischen<br />
Wähler und Repräsentanten kristallisiert sich eine integrative Funktion heraus.<br />
3. Aufgaben und <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> Wahlkampf<br />
Nach Wolf ist die Wahl in den westlichen Demokratien als der Kernbereich des staatlichen<br />
Lebens zu betrachten, da sie dessen Macht begründet und legitimiert 11 . Darauf<br />
aufbauend schlussfolgert er für eine Definition <strong>von</strong> Wahlkampf, dass dieser die<br />
„Form und die Methode des andauernden Streites um die Machtanteile und gleichzeitig<br />
sein Höhepunkt“ 12 sei. Radunski spricht <strong>von</strong> einer „Auseinandersetzung der Parteien<br />
um Zustimmung zu Programm und Person“ 13 . Im Vordergrund steht dementsprechend<br />
das Ringen um bestimmte politische Ämter, mit deren Hilfe das eigene<br />
Programm im politischen System umgesetzt werden soll. Weil sich bereits lange vor<br />
dem eigentlichen Wahltermin ein Großteil der Wähler insgeheim auf eine Partei oder<br />
einen Kandidaten festlegt, sind „die <strong>Funktionen</strong> des Wahlkampfes <strong>von</strong> besonderem<br />
Interesse“ 14 . Dergleichen unterscheidet Woyke grundsätzlich nach analytischen Gesichtspunkten<br />
zwischen Information, Identifikation und Mobilisierung 15 .<br />
Dem Wähler stehen in Wahlkampfzeiten sehr viele Möglichkeiten offen, sich mit<br />
den Zielen und Programmen der Parteien vertraut zu machen, die vermehrt, unter<br />
Verwendung <strong>von</strong> Wahlprogrammen und den unterschiedlichsten Medien, Auskünfte<br />
über ihre politische Arbeit und ihre zukünftigen Absichten geben 16 . Demzufolge erarbeiten<br />
und präsentieren sie zur gleichen Zeit eine Präferenzordnung der zu bewältigenden<br />
gesellschaftlichen Probleme. Die Identifikation nach Woyke zielt im Wahlkampf<br />
zuerst auf die Anhänger der eigenen Parteien ab. In diesem Zusam-<br />
11 Wolf, Werner 1985: Wahlkampf und Demokratie, S.9<br />
12 Ebd., S. 9-10<br />
13 Radunski, Peter 1980: Wahlkämpfe – Moderne Wahlkampfführung als politische Kommunikation,<br />
S. 11<br />
14 Woyke, Wichard/Steffens, Udo 2005: Stichwort: Wahlen: Ein Ratgeber für Wähler, Wahlhelfer und<br />
Kandidaten, S. 111<br />
15 Vgl. Ebd., S.111<br />
16 Radunski, Peter 1980: Wahlkämpfe – Moderne Wahlkampfführung als politische Kommunikation,<br />
S. 44<br />
3
menhang bietet der Wahlkampf Gelegenheit, sich zu seiner Partei zu bekennen, für<br />
ihr Programm zu werben und insgesamt eine verstärkte Außendarstellung in der Öffentlichkeit<br />
und den Medien zu konstruieren. Woykes Begriffsverständnis <strong>von</strong> Mobilisierung<br />
konzentriert sich im Kern ebenfalls auf die Motivation der eigenen Parteimitglieder<br />
oder aber parteinaher Wählergruppen und richtet sich überdies auch<br />
„symbolisch generalisierend an die Gesellschaft“ 17 .<br />
3.1 Träger des Wahlkampfes – die Parteien<br />
Zunächst soll das Augenmerk auf die hauptsächlichen Träger des Wahlkampfes in<br />
der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in erster Linie die Parteien, gelegt werden.<br />
Nur sie besitzen die für Wahlkämpfe erforderliche finanzielle Ausstattung (Parteienfinanzierung)<br />
und personellen Mittel, anhand derer eine effiziente und bundesweite<br />
Kampagne zu gewährleisten ist. Dabei präsentieren sie den Bürgerinnen und Bürgern<br />
ihre verschiedenen personellen und programmatischen Zielsetzungen, wobei ein unablässiges<br />
Werben um Zustimmung und Sympathie bei den Wählerinnen und Wählern<br />
immanent wichtig ist. Insbesondere zwischen Parteien mit grundsätzlich weit<br />
divergierenden Programmen verschärfen sich die Auseinandersetzungen bisweilen<br />
gehörig. Vor allem in der „heißen Phase“, den letzten drei bis vier Wochen vor dem<br />
entscheidenden Wahltag. Parteien verfügen zudem über Möglichkeiten, den Bürger<br />
intensiver und direkter anzusprechen. Ihnen stehen zum Beispiel Sendezeiten in<br />
Rundfunk und Fernsehen zur Verfügung sowie die Möglichkeit, massiv Werbung in<br />
öffentlichen Einrichtungen (z.B. Kinosäle) zu platzieren. Im Gegensatz zu den anderen<br />
beiden Hauptakteuren im Wahlkampf, die Wähler und die Medien, kann den Parteien<br />
ein gestaltender Charakter beigemessen werden 18 .<br />
3.2 <strong>Funktionen</strong> nach Dörner/Vogt<br />
Wenngleich Woyke mit Information, Identifikation und Mobilisierung die wesentlichen<br />
<strong>Funktionen</strong> des Wahlkampfes treffend darstellt, können diese sinnvoll durch die<br />
Argumente <strong>von</strong> Vogt und Dörner ergänzt werden. Die beiden formulieren dahingehend<br />
sechs zentrale <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> <strong>Wahlkämpfen</strong>. Der ökonomischen Demokratietheorie<br />
<strong>von</strong> Schumpeter und Downs ähnelnd, konstatieren Dörner und Vogt, dass das<br />
Wählen an sich zunehmend die Züge eines Marktgeschehens annimmt. Allerdings<br />
17 Kamps, Klaus 2007: Politisches Kommunikationsmanagement – Grundlagen und Professionalisierung<br />
moderner Politikvermittlung, S. 164<br />
18 Vgl. Kuhn, Y<strong>von</strong>ne 2007: Professionalisierung deutscher Wahlkämpfe, S. 13<br />
4
degradieren Schumpeter und Downs das Handeln politischer Akteure so rigide, dass<br />
es dem wirtschaftlicher Akteure auf einem Markt 19 entspricht, wonach im Sinne des<br />
Rational-Choice-Ansatzes Wahlkämpfe nur Mittel zum Zweck des Macherhalts oder<br />
der Machterlangung sind. Dies wiederum impliziert bzw. unterstellt ein nur sehr geringes<br />
Interesse an inhaltlicher Substanz der Wahlkampfkonzepte 20 . Nach dieser Argumentation<br />
orientieren sich Parteien und Politiker mit dem Ziel der Stimmenmaximierung<br />
fast ausschließlich an ökonomischen Prinzipien, wodurch Wahlkampf zur<br />
reinen Managementaufgabe 21 des Politikers mutiert, der nunmehr als politischer Unternehmer<br />
22 zu verstehen ist, weil er nicht erstrangig nach seinem Gewissen handelt,<br />
sondern sich vorrangig dem „systematischen Stimmenfang“ verschrieben hat.<br />
Dementgegen kann den sechs zentralen <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> Dörner und Vogt zumindest<br />
teilweise ein normativer Gehalt zugeschrieben werden, ihre Positionen sind weniger<br />
extrem, weshalb ihr mitunter realistischeres Bild einer Mischung aus normativen und<br />
ökonomischen Begründungen zweckmäßig erscheint. Erstens nützt die Kommunikation<br />
im Wahlkampf, die jeweiligen Positionen in die Öffentlichkeit zu tragen und den<br />
Akteuren Wähler und Medien zu präsentieren 23 . Zweitens zielt Wahlkampfkommunikation<br />
nicht lediglich auf Gehör bei Medien und Wählern, sondern richtet sich ferner<br />
auch auf die eigenen Parteimitglieder. In diesem Zusammenhang soll ein „Feel-<br />
Good-Faktor“ erzeugt werden. Wahlkampf ist eine parteiweite Aufgabe und überzeugte<br />
Parteigenossen können sich bisweilen motivierter und durchsetzungsfähiger<br />
in den Auseinandersetzungen um Stimmen behaupten 24 . Woykes Mobilisierungsbegriff<br />
betrachten Vogt und Dörner differenzierter. Einesteils sollen – drittens – Wahlkämpfe<br />
eine „klassische Funktion“ erfüllen und die bereits bestehende Stammwählerschaft<br />
zur Stimmabgabe motivieren 25 , in der noch immer ein nicht zu vernachlässigendes<br />
Potential steckt, anderseits werden in der modernen Gesellschaft angesichts<br />
19 Vgl. Buchstein, Hubertus 2005: Anthony Downs – Ökonomische Theorie der Politik, S. 236 in:<br />
Massing, Peter/Breit, Gotthard (Hrsg.): Demokratie-Theorien – Von der Antike bis zur Gegenwart<br />
2005, S. 233-240<br />
20 Vgl. Ebd., S. 238<br />
21 Vgl. Kuhn, Y<strong>von</strong>ne 2007: Professionalisierung deutscher Wahlkämpfe, S. 14<br />
22 Vgl. Buchstein, Hubertus 2005: Anthony Downs – Ökonomische Theorie der Politik, S. 237 in:<br />
Massing, Peter/Breit, Gotthard (Hrsg.): Demokratie-Theorien – Von der Antike bis zur Gegenwart<br />
2005, S. 233-240<br />
23 Vgl. Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera 2002: Der Wahlkampf als Ritual – Zur Inszenierung der Demokratie<br />
in der Multioptionsgesellschaft, S. 16, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B15-16/2002, S.<br />
15-22<br />
24 Vgl. Ebd., S. 16<br />
25 Vgl. Ebd., S. 16<br />
5
des fortschreitenden Wertewandels feste Wählerbindungen seltener. Schon seit den<br />
70er Jahren schrumpfen die Anteile der Stammwählerschaften in den großen Volksparteien,<br />
Wähler müssen folglich stärker geworben werden. Bereits 1994 konnten<br />
knapp 50 Prozent der Bürgerinnen und Bürger als Wechselwähler deklariert werden,<br />
weshalb sich Wahlkampfkommunikation heute durchaus besser bezahlt macht, indem<br />
– viertens – noch unentschiedene oder im gegnerischen Lager befindliche Wähler<br />
leichter motiviert und angeworben werden können 26 . Fünftens weisen Vogt und<br />
Dörner explizit darauf hin, dass allein die Mobilisierung der Wählerschaft insgesamt<br />
bedeutsam für die Stabilität und Akzeptanz des politischen Systems ist. Im Gang zur<br />
Wahlurne offenbart sich das Grundfundament jeder Demokratie, besonders da die<br />
Stimmabgabe beim Wähler das Gefühl weckt, als Teil des politischen Systems aktiv<br />
am politischen Willens- und Entscheidungsprozess beteiligt zu sein. In einem repräsentativen<br />
System, wie in der Bundesrepublik Deutschland, ist dies die unmittelbarste<br />
und „gleichberechtigte Teilhabe aller an der politischen Willensbildung und der<br />
Machtzuteilung“ 27 . Als Voraussetzung für derlei Akzeptanz und politische Stabilität<br />
parlamentarischer Systeme 28 sehen Vogt und Dörner – sechstens – eine symbolische<br />
Funktion in <strong>Wahlkämpfen</strong> 29 , sie artikulieren Wahlkampf als rituelle Inszenierung des<br />
„demokratischen Mythos“, was aber nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit ist.<br />
3.3 Idealtypus demokratischer Wahlkämpfe<br />
„Eigentlich müsste die Zeit der Wahlkampagne für einen Demokraten eine stimulierende Zeit sein,<br />
denn sie gibt dem handelnden Politiker wie dem behandelten Publikum Gelegenheit, über Argumente<br />
nachzudenken, Anregungen aufzunehmen, Kritik zu vertiefen.“ 30<br />
Dass ein idealtypisches Bild vom Wahlkampf in der politischen Praxis vermeintlich<br />
nur recht beobachtbar ist, spricht einer grundsätzlichen Idealvorstellung desselben<br />
die Legitimation nicht ab. Idealtypisch sollte Wahlkampf, als Zeitraum stark<br />
26 Vgl. Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera 2002: Der Wahlkampf als Ritual – Zur Inszenierung der Demokratie<br />
in der Multioptionsgesellschaft, S. 117, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B15-16/2002, S.<br />
15-22<br />
27 Vgl. Kuhn, Y<strong>von</strong>ne 2007: Professionalisierung deutscher Wahlkämpfe, S. 14<br />
28 Anmerkung des Verfassers: Eine hohe Wahlbeteiligung lässt auf große Stabilität und hohe Integrationsleistung<br />
des politischen Systems sowie eine optimale Ausnutzung der Bürgerrechte (Wahl) der<br />
Bürgerinnen und Bürger schließen.<br />
29 Vgl. Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera 2002: Der Wahlkampf als Ritual – Zur Inszenierung der Demokratie<br />
in der Multioptionsgesellschaft, S. 17, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B15-16/2002, S.<br />
15-22<br />
30 Dönhoff, Marion Gräfin 1980: Jenseits <strong>von</strong> Wahl und Wahlkampf, in: DIE ZEIT, Nr. 40/1980,<br />
http://www.zeit.de/1980/40/Jenseits-<strong>von</strong>-Wahl-und-Wahlkampf, zuletzt abgerufen: 05.06.<strong>2008</strong><br />
6
verdichteter Information und Kommunikation zwischen Wähler und Gewählten,<br />
möglichst unmissverständlich, vor allem sachlich, geführt werden und sich auf die<br />
tatsächlich für die Gesellschaft immanent wichtigen Themen konzentrieren. Mit dem<br />
Ziel vor Augen, dass aus <strong>Wahlkämpfen</strong> stets eine Erneuerung und Verbesserung der<br />
Politik, durch beständige und zweckmäßige Anpassung an veränderte Umwelt- und<br />
internationale Rahmenbedingungen, erfolgen sollte, liegt es auf der Hand, dass die<br />
Parteien möglichst realistische Antworten auf die wichtigen Zukunftsprobleme entwickeln<br />
und dem Wähler bieten sollten. Fehler, wie etwa eine übermäßige Emotionalisierung<br />
der Wähler oder übermäßig heftig geführte verbale Auseinandersetzungen<br />
zwischen Wahlkandidaten, können eine wahrscheinlich notwendige politische Zusammenarbeit<br />
nach der Wahl (Koalitionsfähigkeit) <strong>von</strong> vornherein blockieren bzw.<br />
erschweren oder als Option im Vorfeld eliminieren. Daher sollte tunlichst vermieden<br />
werden, Wahlkämpfe in persönliche Streitigkeiten ausarten zu lassen, weil letzten<br />
Endes auch gewählte Amts- und Mandatsträger auf vorherige Gegner aus dem Wahlkampf<br />
angewiesen sein können, um eine regierungsfähige Koalition zu bilden.<br />
4. Kritik am Wahlkampf<br />
Weil der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den ursächlichen <strong>Funktionen</strong> <strong>von</strong> <strong>Wahlkämpfen</strong><br />
in der pluralistischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland liegt,<br />
soll abschließend die Kritik am Wahlkampf mit Langenbucher nur relativ grob nachgezeichnet<br />
werden. Als häufigste Kritikpunkte stellt er die folgenden heraus: Zunächst<br />
besteht die Gefahr der Problemblindheit oder aber der Verdrängung wichtiger<br />
Zukunftsausgaben 31 , gegebenenfalls weil keine geeigneten Lösungsmöglichkeiten<br />
formuliert werden können. Im Zusammenhang mit <strong>Wahlkämpfen</strong> werden oftmals<br />
politische Entscheidungsprozesse stark vereinfacht und auf markige Schlagworte<br />
reduziert, um sie dem nicht in allen Detailfragen kompetenten Bürgerinnen und Bürgern<br />
schmackhafter zu machen. Zweifellos kann ein zu häufiger Gebrauch der immer<br />
gleichen Argumente zu Monotonie führen und das genaue Gegenteil der eigentlichen<br />
Ziele bewirken, nämlich den Wähler verschrecken, der infolgedessen Ideenlosigkeit<br />
und mangelnde Kompetenz in den ständig gleichen Wiederholungen vermuten<br />
kann. Eine geringe Responsivität, also die mangelnde empathische Fähigkeit der<br />
amtierenden und designierten Gewählten für die wirklichen Sorgen und Ängste der<br />
31 Vgl. Langenbucher, Wolfgang R. 1983: Wahlkampf – ein ungeliebtes, notwendiges Übel?, S.116f<br />
in: Schulz, Winfried/Schönbach, Klaus (Hrsg.) 1983: Massenmedien und Wahlen,1983<br />
7
Bürger, kann sich zusätzlich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken. Ergänzend<br />
kann die bereits erwähnte Verknappung der politischen Argumente diese zu Leerformeln<br />
degenerieren und schlimmstenfalls zur Entpolitisierung des Wahlkampfes<br />
beisteuern, was obendrein nachteilige Auswirkungen auf die gesamte politische Kultur<br />
zur Folge hat. In Anbetracht dessen sinkt logischerweise das Vertrauen der Wählerinnen<br />
und Wähler in die Politik und die Politiker.<br />
5. Schlussbetrachtung<br />
Die Ausführungen <strong>von</strong> Woyke sowie Dörner und Vogt liefern gemeinsam ein differenziertes<br />
Bild <strong>von</strong> den <strong>Funktionen</strong>, die Wahlkämpfe in der repräsentativen Demokratie<br />
erfüllen. Demnach dienen Wahlkämpfe der Verbindung zwischen Wähler,<br />
Gewählten und den Medien als dritter Hauptakteur. Sie bieten den Bürgerinnen und<br />
Bürgern verdichtete Informationen über die Lösungsansätze der Parteien für die aktuellen<br />
und zukünftigen gesellschaftlichen Probleme. Klare Angebote für Parteiprogramme<br />
und Kandidaten auf bestimmte Ämter stehen hierbei im Idealfall zur Disposition,<br />
so dass die progressivsten Programme und Personen gewählt werden können.<br />
Die Wahlkampfzeit eignet sich zur verstärkten Identifikation der Parteimitglieder mit<br />
ihrer Partei, ermöglicht die Vorzüge des eigenen Lagers in der Öffentlichkeit zu präsentieren,<br />
sich selbst zu positionieren, auf die Missstände in den gegnerischen Parteien<br />
hinzuweisen und wechselbereite Wähler abzuringen. Vogt und Dörner erarbeiten,<br />
dass die verdichtete Kommunikation und eine Gesamtmobilisierung aller Bürger<br />
maßgeblich zur Akzeptanz und Stabilität des politischen Systems beiträgt. Die Bürger<br />
nutzen ihr Recht zur aktiven Beteiligung am politischen Willens- und Entscheidungsbildungsprozess<br />
durch ihre Stimmabgabe, dem fundamentalen Grundbaustein<br />
<strong>von</strong> Demokratie. Die Entscheidung für oder gegen Parteien und Personen kann dabei<br />
wesentlich durch den vorangegangenen Wahlkampf beeinflusst werden, weil gewohnte<br />
Stammwählerschaften immer seltener werden, der „Wähler <strong>von</strong> heute“ oftmals<br />
wechselbereit ist, sich häufig situativ entscheidet. Wahlkämpfe erweisen sich<br />
daher als lohnenswert, um den Wettbewerb der Ideen und Meinungen anzuheizen.<br />
Allein mit gesundem Menschenverstand lässt sich ein idealtypisches Bild <strong>von</strong> <strong>Wahlkämpfen</strong><br />
relativ schlüssig nachzeichnen, die im Hinblick auf zukünftig notwendige<br />
Koalitionspartner möglichst sachlich, fair aber durchaus kritikreich geführt werden<br />
sollten. Persönliche Diffamierungen und Häme sind folglich fehl am Platz.<br />
8
Literaturverzeichnis:<br />
Monografien:<br />
Kuhn, Y<strong>von</strong>ne: Professionalisierung deutscher Wahlkämpfe? - Wahlkampagnen seit<br />
1953, Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, 2007<br />
Langenbucher, Wolfgang R.: Wahlkampf – ein ungeliebtes, notwendiges Übel?,<br />
S. 116f, in: Schulz, Winfried/Schönbach, Klaus (Hrsg.): Massenmedien und<br />
Wahlen, Universitätsverlag Konstanz, 1983<br />
Massing, Peter/Breit, Gotthard (Hrsg.): Demokratie-Theorien – Von der Antike bis<br />
zur Gegenwart, 2. Auflage, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn,<br />
2005<br />
Radunski, Peter: Wahlkämpfe – Moderne Wahlkampfführung als politische<br />
Kommunikation, Günter Olzog Verlag, München, 1980<br />
Wolf, Werner: Wahlkampf und Demokratie, Verlag für Wissenschaft und Politik,<br />
Köln, 1985<br />
Woyke, Wichard: Stichwort: Wahlen: Ein Ratgeber für Wähler, Wahlhelfer und<br />
Kandidaten, 11. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2005<br />
Zeitschriften<br />
Dörner, Andreas/Vogt, Ludgera: Der Wahlkampf als Ritual – Zur Inszenierung der<br />
Demokratie in der Multioptionsgesellschaft, in: Aus Politik und<br />
Zeitgeschichte, B15-16/2002, S. 15-22, Bundeszentrale für politische Bildung,<br />
Bonn, 2002<br />
Internetquellen:<br />
Dönhoff, Marion Gräfin: Jenseits <strong>von</strong> Wahl und Wahlkampf, in: DIE ZEIT,<br />
Nr. 40/1980<br />
URL: http://www.zeit.de/1980/40/Jenseits-<strong>von</strong>-Wahl-und-Wahlkampf<br />
zuletzt abgerufen am: 05.06.<strong>2008</strong><br />
9