08.12.2012 Aufrufe

Marko Lehanka - Weltkunst

Marko Lehanka - Weltkunst

Marko Lehanka - Weltkunst

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

den. Eine narrative Phänomenologie zeichnet das Werk aus. In<br />

den einzelnen Schlafabteilen sind die Betten detailgetreu bezogen,<br />

selbst an einen russischen Samowar ist gedacht, der zur<br />

Getränkeversorgung dient. Auch das Radio ist funktionstüchtig.<br />

Zur Steigerung der Authentizität ist das Rattern von Schienen zu<br />

hören. Bereits 1989 reisten Studenten der Städelschule mit der<br />

transsibirischen Eisenbahn, dabei hat <strong>Lehanka</strong> die Tonaufnahmen<br />

gemacht. Zur Erheiterung der Puppenwagennutzer kann<br />

die eingepasste Toilette sogar Dampf ablassen. Die Akribie für<br />

die Details lassen einen konkreten Sinn für Ordnung erkennen,<br />

alle kleinsten Garnituren erhalten ihren festen Platz im Objektgefüge.<br />

Die funktionstüchtigen Gegenstände dienen als Platzhalter<br />

für Alltagstauglichkeit und Lebensfähigkeit. Dies zeichnet auch<br />

das Boot Dolce vita, 2004–07, (Abb. 10) aus. Dieses fahrtüchtige<br />

Holzboot wurde auf dem Wasser bereits ausprobiert und von<br />

<strong>Lehanka</strong> gleich einem erfahrenen Bootsbauer gefertigt und liebevoll<br />

bemalt. Der Elektromotor ist ebenso funktionstüchtig wie<br />

der CD-Player und das Radio. Die zugehörigen Boxen stehen<br />

unter dem Bug, und der notwendige Strom wird von außen zugeführt.<br />

<strong>Marko</strong> <strong>Lehanka</strong> beweist mit dieser technischen Integration<br />

sein über die üblichen bildhauerischen Fähigkeiten hinausgehendes<br />

Können. Der Künstler wird, wie in Zeiten der<br />

Renaissance durchaus üblich und in der Person Leonardo da<br />

Vincis manifestiert, zum künstlerischen Allround-Talent.<br />

Mit dem Weinrad, 2004-07, (Abb. 11) hat <strong>Lehanka</strong> eine Hommage<br />

an Jan Ullrich geschaffen. Gleichzeitig war es als Ansporn<br />

für ihn gedacht, nachdem seine vergeblichen Versuche, erneut<br />

die Tour de France zu gewinnen, Anlass zum Weinen boten. Dieses<br />

umgedrehte Rennrad erhielt in der Kombination mit einem<br />

Riesenrad eine doppelte Radfunktion. Die mehrfache Bedeutung<br />

und die enthaltene Doppelbödigkeit wurden im Postament<br />

aufgenommen, durch eine Weinkiste untermauert und manifestiert.<br />

Mit den neuerlichen Dopingskandalen während der diesjährigen<br />

Tour de France gewinnt das Weinrad an Aktualität und<br />

bekommt weiteren Nährboden zum Weinen. <strong>Lehanka</strong> bevorzugt<br />

– wie bereits erwähnt – das Spiel mit den Wörtern und das Arbeiten<br />

mit Textbezügen. Er hat sich in Anspielung an die Fahrradproduktionsfirma<br />

Biancchi mit Lehanci namentlich im Weinrad<br />

verewigt. Generell sind Werktitel für den Künstler von großer<br />

Bedeutung und werden nach der Fertigstellung vergeben.<br />

Arbeiten, die fast ausschließlich mit Schrift arbeiten, sind die<br />

Schilderobjekte aus dem Jahr 2004 (Abb. 13 a+b). Die Einzelschilder,<br />

die in Bergwiesenheu stecken und Aufschriften tragen<br />

wie »500 m Angst«, aber auch Hinweise auf das Museum für<br />

Moderne Kunst Frankfurt »MMK Frankfurt Germany« geben<br />

oder die Richtung für das »Institut für neue Medien« weisen,<br />

sind teilweise biografisch begründet. Im deutschen Schilderwald<br />

bieten sie eine humorvolle Komponente und stellen die Frage<br />

nach der Notwendigkeit so mancher Verkehrs- und Hinweis-<br />

10<br />

schilder. Die Schrift-Bild-Komposition, wobei die Schrift zum<br />

Schriftbild mutiert, ist ebenso ein Charakteristikum für <strong>Lehanka</strong>-<br />

Arbeiten und findet auf eingravierten Bierflaschen, beschrifteten<br />

Objekten und in computergenerierten Texten künstlerische Anwendung.<br />

Erzählende Maschinen<br />

<strong>Lehanka</strong>s poetische Blume aus Münster (Abb. 14) steht auf dem<br />

Prinzipalmarkt, der zentralen Einkaufszone in Münster. Farbige<br />

Surfbretthälften bilden die kolorierten Blütenblätter, der Blütenkelch,<br />

gebildet von einem Monitor und einem Lautsprecher, ist<br />

zudem mit einem nicht wahrzunehmenden Computer verbunden.<br />

Die sprechfähige Blume zieht die Aufmerksamkeit der Passanten<br />

auf sich, die zusätzlich die erzählten Geschichten auf<br />

dem Monitor verfolgen können. Die Inhalte der Erzählungen, deren<br />

Ausgang bereits feststeht, besitzen einen semantischen Bezug<br />

zu Münster (vgl. S. 14, 15). Gleich dem Text von Allen Toten<br />

aus dem Jahr 1989 enden alle Handlungsstränge mit dem Tod<br />

der Protagonisten und stellen somit trotz aller Phantastereien<br />

letztlich endliche Lebensrealität her. Der Künstler wird hier nur<br />

zum Initiator, ansonsten übernimmt der programmierte Computer<br />

die Autorschaft. Erzählende Maschinen und fabulierende Tiere<br />

eröffnen eine Märchenwelt, in die uns <strong>Marko</strong> <strong>Lehanka</strong> mit seinen<br />

Kunstobjekten entführt. Auch seine Münsteraner Blume<br />

trägt märchenhafte, menschliche Züge, wenn sie nach Aussagen<br />

<strong>Lehanka</strong>s tagsüber Geschichten erzählt und nachts in Ruhestellung<br />

träumt. 11 Die <strong>Lehanka</strong>-Geschichten werden in dieser<br />

Blume zum skulpturalen Werk.<br />

Sprache ist das dem Menschen eigene Lautsystem und Ausdrucksmittel<br />

zur zwischenmenschlichen Verständigung. Sie birgt<br />

die Möglichkeit, Gedankengänge, Gefühle und Willensregungen<br />

darzustellen. Für <strong>Lehanka</strong> dient sie auch zur Bildung eines syntaktischen<br />

Werkkomplexes, den er für seine Lehrtätigkeit an der<br />

Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg nutzt. Bereits<br />

durch die umfassende Beschreibung entsteht eine Skulptur, eine<br />

Gedankenskulptur. Seit 2006 hat der hessische Künstler dort<br />

den Lehrstuhl für Bildhauerei inne. Der Kollege für Malerei und<br />

Kunsterziehung, Michael Munding, schreibt über die Lehrmethode<br />

des Bildhauers: »Auf virtuose Weise verkörpert <strong>Lehanka</strong> (…)<br />

die Rolle des Erzählers. Nahezu lyrisch sind seine Erfahrungen<br />

in Episoden und Geschichten gekleidet. Mit performativem Engagement<br />

dargebracht sind sie erfolgreiche Methode, zu den<br />

nicht sprachlich fassbaren Wurzeln künstlerischen Tuns vorzudringen.<br />

«12 Unorthodoxe Aufgabenstellungen prägen <strong>Lehanka</strong>s<br />

unkonventionelle Lehrmethoden. Eine Lerneinheit bestand in der<br />

Fertigung einer synthetischen Komposition eines skulpturalen<br />

Kunstwerkes, die von diversen Objekten plagiathaft entlehnt<br />

werden sollten. Diese Phase der plagiathaften Aneignung tauche<br />

in jedem Künstlerleben auf und solle mit Hilfe dieser Aufgabenstellung<br />

bereits in der Studentenzeit abgearbeitet werden,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!