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Geheimer Autor<br />

3. Anonyme Gay Romance Geschichte<br />

Nebelfeuer


Kapitel I<br />

Der Nebel umgibt mein Pferd und mich wie eine silbergraue Wand, die sämtliche<br />

Geräusche verschluckt. Alles, was ich hören kann, sind die dumpfen Hufschläge auf<br />

weichem Gras, das Knarren des Sattelleders und ab und zu das Schnauben meiner Stute.<br />

Die Sichtweite beträgt nahezu null, es fühlt sich an, als würden wir durch eine<br />

unwirkliche Szenerie traben, völlig losgelöst von der übrigen Welt. Ich liebe diese Ausritte<br />

im Herbst, wenn von den Bäumen gerade noch die Wipfel zu sehen sind, und die Spitzen<br />

der Kirchtürme über einem grauen Meer zu schwimmen scheinen. Heute jedoch kann ich<br />

dieses Schauspiel nicht so recht genießen. Meine Gedanken kreisen um das Verhalten<br />

meines Mannes. Vincent benimmt sich seit einiger Zeit – gelinde gesagt – merkwürdig.<br />

Dass er aufgrund seines Jobs als Versicherungsdetektiv häufig unterwegs ist, weiß ich. Es<br />

fing damit an, dass er immer häufiger auswärts übernachtete, selbst dann, wenn sein<br />

aktueller Fall es gar nicht erforderte.<br />

»Ich will eben nicht mitten in der Nacht noch Auto fahren müssen«, hatte er erklärt.<br />

Für eine Weile habe ich das akzeptiert, doch dann spürte ich, wie Vincent sich<br />

veränderte. Langsam, schleichend nur, aber ich bemerkte es, schließlich lebte ich mit ihm<br />

seit über neun Jahren zusammen. Er war immer der ruhigere von uns beiden,<br />

introvertiert, wo ich aufgeschlossen und kontaktfreudig bin. Das ist auch eine<br />

Vorrausetzung für meinen Beruf, meine Reitschüler rekrutieren sich aus allen<br />

Altersschichten. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und sogar ein paar Senioren sind dabei.<br />

Die älteste ist siebzig und der jüngste sechs Jahre alt. Gerade bei den Teenagern darf man<br />

nicht auf den Mund gefallen sein, aber auch die Erwachsenen fordern mich ganz schön.<br />

Vincent dagegen zieht sich zurück, sobald es ihm zu gesellig und laut wird. Partys zu<br />

feiern überlässt er lieber anderen. Doch jetzt bekomme ich ihn kaum noch zu Gesicht, ist<br />

er mal zu Hause, igelt er sich in seinem Büro ein, und als Krönung des Ganzen schließt er<br />

mittlerweile sogar ab. Und mich aus. Irgendetwas nagt an ihm, denn er schläft auch<br />

schlecht. Wirft sich des Nachts oft hin und her, wimmert oder stöhnt im Schlaf, und das<br />

nicht auf die Art, die auf feuchte Träume hindeutet. Eher auf Albträume. Jede meiner<br />

Nachfragen schmettert er ab, lässt mich nicht mehr an sich heran.<br />

Ich seufze tief, richte meine Aufmerksamkeit wieder auf mein Pferd, obwohl die Stute<br />

ihren Weg durchaus alleine findet. Sanft tätschele ich ihr den Hals. »Was hältst du von<br />

einem kleinen Galopp, Süße?«<br />

Sie antwortet mit einem Schnauben und wirft den Kopf hoch.<br />

»Okay, das war eine blöde Frage, ich weiß.« Grinsend setze ich mich zurecht und<br />

nehme die Zügel etwas auf. Ein Rennpferd zu fragen, ob es galoppieren will? Ist der Papst<br />

katholisch? Der Nebel hat sich ein klein wenig gelichtet, viel zu erkennen ist zwar immer<br />

noch nichts, aber die langgestreckte Wiese vor uns ist eben und misst etwa drei Kilometer<br />

in der Länge. Rechts und links zieht sich der Wald am Wiesenrand entlang, am Ende der<br />

Wiese geht diese in eine leichte Steigung über, bevor eine Hecke sie von der<br />

dahinterliegenden Straße trennt. Ideal, um meine Stute Malika mal wieder ein bisschen<br />

rennen zu lassen. Auf der Bahn liegt ihr Rekord bei über fünfundsechzig<br />

Stundenkilometern, da ist es schwer in der Natur Strecken zu finden, wo ich sie gefahrlos<br />

in vollem Tempo galoppieren lassen kann.


Kurz darauf erreichen wir den Rand der Wiese, die erst vor kurzem gemäht worden ist.<br />

Ideale Bedingungen also. Ich atme tief durch, stelle mich in die Bügel. Die Stute vibriert<br />

unter mir vor unterdrückter Energie. Kurz ziehe ich die Zügel an, gebe sie dann frei.<br />

»Lauf!«<br />

Das lässt sich Malika nicht zweimal sagen. Mit einem Riesensatz, der mich beinahe<br />

aus dem Sattel geholt hätte, galoppiert sie los, ihr Hals streckt sich, die Nüstern sind<br />

weit gebläht. Ihre Mähne peitscht mir ins Gesicht, ich greife mit den Händen nach vorne,<br />

in die wehenden Strähnen. Lasse die Zügel einfach los. Hinein in den silbergrauen Nebel<br />

galoppiert sie, die Hufe trommeln ihren Rhythmus von Freiheit auf dem weichen Gras. Ihr<br />

Körper strafft sich unter mir, sie wird noch schneller, scheint förmlich zu fliegen. Wind<br />

treibt mir Tränen in die Augen, Adrenalin rauscht wie eine Droge durch meine Adern. Ich<br />

lache, schreie in den Nebel hinein, breite die Arme aus. Fliegen ohne Flügel.<br />

Viel zu schnell rückt das Ende der Wiese näher, schemenhaft taucht die mannshohe<br />

Hecke vor uns auf. Ich greife in die Zügel, ziehe leicht daran. »Ruhiger, meine Schöne, der<br />

Spaß hat leider ein Ende.« Sie gehorcht nur unwillig, was ich absolut nachvollziehen<br />

kann. Am liebsten wäre es mir auch gewesen, dieser Galopp würde nie enden. Doch leider<br />

muss ich wieder nach Hause zurück. Zu Vincent.<br />

Die Stute fällt in einen leichten Trab, ich lenke sie auf einen schmalen Waldweg, der in<br />

einem Bogen zurück zum Hof führt. Der Nebel ist mittlerweile ganz verschwunden, nur<br />

noch einzelne Fetzen wabern wie verloren gegangene Tücher über der Wiese. Die Sonne<br />

steigt als roter Ball darüber auf, taucht alles in ein unwirkliches Licht, Vögel begrüßen<br />

den neuen Tag mit ihrem Gesang. Einige Rehe kreuzen unseren Weg, vom Morgentau<br />

benetzte Spinnennetze hängen in den Zweigen der Büsche und Bäume. Herbstliche<br />

Dekoration, für die ich jedoch nur einen flüchtigen Blick habe. Meine Gedanken sind schon<br />

wieder bei Vincent. Er ist letzte Nacht sehr spät wiedergekommen, müde und wortkarg<br />

hat er sich neben mich ins Bett gelegt und war schnell eingeschlafen. Es hätte genauso<br />

gut ein Fremder gewesen sein können, der da neben mir schnarchte.<br />

~*~<br />

Vor uns tauchen die ersten Stallgebäude auf, der Reitplatz mit den bunten<br />

Hindernissen und dahinter das Wohnhaus. Das ehemalige Bauernhaus war in einem<br />

schrecklichen Zustand, als Vincent und ich den Hof gekauft haben. Es musste komplett<br />

entkernt werden, weil das Mauerwerk feucht und schimmelig gewesen ist, vom maroden<br />

Dach ganz zu schweigen. Dank unserer Freunde, von denen einige Handwerker sind, war<br />

es uns möglich, die Renovierung überhaupt erst zu finanzieren. Im nächsten Jahr wollen<br />

wir das Stallgebäude sanieren lassen.<br />

»Simon!« Wild winkend macht unser Stallbursche Jonas auf sich aufmerksam.<br />

Ich zügele die Stute vor dem Stall. »Was ist los, Jonas?«<br />

»Der Chef war vorhin hier, hat einen ziemlich merkwürdigen Eindruck gemacht, wenn<br />

Sie mich fragen. Sie sollten besser mal nach ihm sehen.«<br />

»Vincent?« Rasch schwinge ich mich aus dem Sattel. »Was ist mit ihm?« Als ich<br />

aufgestanden bin, hat er noch selig geschlafen, nachdem er in der Nacht erst sehr spät<br />

nach Hause gekommen ist. Wieder einmal.<br />

Jonas nimmt die Zügel und führt Malika in die Stallgasse. »Er ist hinten am Heu,


Boss.«<br />

Am Heu? Was zum Geier … Vincent liebt Pferde, ist früher selbst geritten, doch als sich<br />

eine schwere Heustauballergie bei ihm entwickelte, war Schluss damit. Den Stall betritt er<br />

nur noch in Ausnahmefällen und nicht ohne seine Medikamente. Sorge breitet sich in mir<br />

aus. »Reib sie mit Stroh ab, leg eine Decke über den Rücken und gib ihr zwei Maß von der<br />

eingeweichten Gerste, okay? Später kann sie wieder auf die Koppel.« Liebevoll tätschele<br />

ich der Araberstute den Hals, streichele über das samtweiche Maul. »Bist meine Beste,<br />

hm?« Was sie tatsächlich ist, ihre Rennkarriere ist zwar schon lange vorbei, doch als<br />

Distanzpferd sammelt sie fleißig Kilometer und Medaillen. Seufzend reiße ich mich von ihr<br />

los, gehe tiefer in den Stall hinein. Das Heu für den Tagesbedarf lagern wir am Ende der<br />

Stallgasse, dort befindet sich auch die Sattelkammer.<br />

»Vince?« Keine Antwort. Suchend blicke ich mich um. Heugabeln, eine Schubkarre,<br />

leere Futtersäcke … kein Vincent. Stopp mal, was ist denn das? Die Tür zur Sattelkammer<br />

ist nicht geschlossen und aus dem Spalt ragen ein Paar Beine. »Scheiße!« Hastig stoße ich<br />

die Tür ganz auf und knipse das Licht an. Mein Mann liegt auf dem Boden, eine Hand um<br />

ein Stück Papier gekrallt, an seiner rechten Schläfe prangt eine Beule in der Größe eines<br />

Tennisballes. In den braunen Haaren kleben Blut, Schmutz und Strohhalme. »Vince!«<br />

Ich falle neben ihn auf die Knie, fühle mit bebenden Fingern seinen Puls. Hoffentlich<br />

hat er seine Medikamente genommen, bevor er in den Stall gegangen ist … Sein Puls<br />

schlägt flach, aber regelmäßig, die Atmung scheint ebenso normal zu sein. Ein riesiger<br />

Stein fällt mir vom Herzen. Sanft drehe ich ihn um. »Vince? Schatz, wach auf, ja?«<br />

Er stöhnt herzzerreißend, seine Hände zucken, dann – endlich – schlägt er die Augen<br />

auf. Sein Blick ist verschwommen, irrt verständnislos umher, bis er auf mir hängenbleibt.<br />

»Simon?«<br />

Ich lache erleichtert auf. »Ja. Mein Gott, hast du mir eine Angst eingejagt! Was zum<br />

Teufel ist passiert?«<br />

Vince befühlt seine Beule, verzieht schmerzvoll das Gesicht. »Ich weiß es nicht, in<br />

einem Augenblick stehe ich in der Sattelkammer, im nächsten kriege ich einen Schlag auf<br />

den Kopf und zack! Gehen bei mir die Lichter aus.«<br />

Vorsichtig helfe ich ihm auf die Beine. »Okay, erst mal muss du zu einem Arzt, diese<br />

Beule da ist nicht von schlechten Eltern, vielleicht hast du auch eine<br />

Gehirnerschütterung.«<br />

Doch er wehrt ab. »Nein, kein Arzt. So schlimm ist es nicht.«<br />

»Wirklich«, setzt er hinzu, als er meinen skeptischen Blick bemerkt. »Ich brauche nur<br />

ein paar Kopfschmerztabletten und einen starken Kaffee, dann bin ich wieder wie neu.«<br />

Seufzend füge ich mich, weil ich weiß, dass mein Mann stur wie ein Maulesel sein<br />

kann. »Na schön, aber versprich mir, dass du dich sofort hinlegst, wenn wir im Haus sind,<br />

ja?«<br />

»Glucke.«<br />

»Beschweren kannst du dich, wenn du im Bett liegst. Jonas!« brülle ich in die<br />

Stallgasse. »Herkommen, mithelfen!«<br />

»Komme, Boss!« Lautes Klappern verrät mir, dass er wohl Mistgabel und Schaufel<br />

einfach fallengelassen hat. Gleich darauf steht er vor uns.<br />

»Oh, Mann, Chef. Sie sehen aber echt beschissen aus.« Mit großen Augen starrt er<br />

Vince an. Jonas nennt mich Boss und meinen Mann Chef, damit es keine


Missverständnisse gibt. Dass wir ein Paar sind, stört ihn nicht. Sein Vorgänger dagegen<br />

wollte keine Schwuchteln als Arbeitgeber haben. Sein Pech, denn mit Jonas sind wir<br />

wirklich zufrieden.<br />

»Vielen Dank, Jonas.«<br />

Grinsend halt er Vince an der anderen Seite unter. »Immer gerne, Boss.«<br />

Mit Pausen schaffen wir es, Vince ins Haus und ins Schlafzimmer zu kriegen, wo Jonas<br />

uns alleine lässt.<br />

»Ist dir schwindelig? Schlecht?«<br />

»Nein, mir brummt nur der Schädel.« Aufstöhnend lässt er sich auf das Bett fallen.<br />

»Gott, ich bin vielleicht ein Esel. Ich hätte wissen müssen, dass es eine Falle war.«<br />

Alarmiert gucke ich ihn an. »Falle? Wovon redest du?«<br />

Er öffnet wortlos die Faust und hält mir den Zettel hin. »Lies selbst.«<br />

Besorgt mustere ich ihn, dann richte ich den Blick auf das Stück Papier. »Komm sofort<br />

in den Stall, es ist dringend. Simon«, lese ich laut vor. Verdammt. »Das habe ich nicht<br />

geschrieben, Vince!« Nie würde ich meinen Mann einfach so in den Stall holen, wegen<br />

seiner Allergie.<br />

»Ja, jetzt weiß ich das auch.«<br />

»Aber wer sollte …« In meinem Kopf kreisen die Gedanken wie aufgescheuchte<br />

Fledermäuse umher. Das seltsame Verhalten meines Mannes in den letzten Wochen, sein<br />

Fortbleiben, die fadenscheinigen Ausreden, die seiner Intelligenz Hohn sprechen. Und jetzt<br />

dieser Angriff auf ihn. »Es hängt mit deinem Job zusammen, oder?«<br />

Er nickt vorsichtig, sieht mich dabei nicht an. »Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen,<br />

Schatz.«<br />

»Gefahr? In was, zum Henker, bis du bloß hineingeraten?« Dass sein Job ihn mit<br />

Kriminellen in Kontakt bringt, war mir immer schon klar. Allerdings rangierten<br />

Versicherungsbetrüger bei mir nicht unter der Rubrik gewalttätig. Ich setze mich neben<br />

ihn, nehme seine Hand und streichele darüber. »Kannst du mir erzählen, was passiert<br />

ist?«<br />

Ein Lächeln zuckt um seine Mundwinkel. »Du gibst eh keine Ruhe, bis du nicht alles<br />

weißt.«<br />

»Stimmt. Vor allem, wenn der Mann, den ich liebe, verletzt wird. Du kannst deinen<br />

umwerfenden Arsch darauf verwetten, dass ich jedes Detail wissen möchte.«<br />

Er blinzelt mich an. »Umwerfend, hm?«<br />

»Oh ja, und sobald du wieder fit bist, werde ich dir auch beweisen, wie umwerfend er<br />

ist. Aber jetzt …«, ich versuche einen drohenden Ton anzuschlagen, »… erzählst du mir<br />

erst mal, in was für einen Schlamassel du dich hineingeritten hast.«<br />

»Das ist eine lange Geschichte«, seufzt er. »Mit Aspirin und einem starken Kaffee<br />

erzählt sie sich leichter, Schatz.«<br />

Grummelnd stehe ich auf. »Na schön, sollst du haben. Deine Allergietabletten bringe<br />

ich dir auch gleich mir, aber dann hast du keine Ausrede mehr, verstanden? Ich will die<br />

ganze Geschichte hören, keine Ausflüchte mehr.«<br />

»Geht klar, Boss.«<br />

Widerwillig muss ich schmunzeln, trotzdem mir gerade eher danach ist, auf etwas –<br />

oder jemanden – einzuschlagen. Bevorzugt auf den Kerl, der meinen Mann verletzt hat.<br />

Der Kaffee ist schnell fertig, dazu mache ich uns noch Sandwiches, schließlich habe ich


noch gar nicht gefrühstückt, packe die Tabletten dazu und mache mich wieder auf den<br />

Weg nach oben. »So, hier ist dein …« Vincent ist eingeschlafen.<br />

»Na toll. Das war’s dann wohl mit der Geschichte.« Leise stelle ich das Tablett auf das<br />

Nachtschränkchen neben dem Bett. Gehe ins Badezimmer, feuchte einen Waschlappen an<br />

und kehre ins Schlafzimmer zurück. Behutsam reinige ich die Blessuren, tupfe das Blut<br />

und den Schmutz aus den Haaren, so gut es geht. Ebenso behutsam entkleide ich ihn,<br />

werfe die schmutzigen Klamotten in den Wäschekorb. Vincent regt sich nicht, er scheint<br />

völlig erschöpft zu sein, was sicher nicht nur dem Angriff geschuldet ist. Dass er schlecht<br />

schläft, habe ich schon länger gemerkt, auf Nachfrage aber nie eine konkrete Antwort<br />

erhalten. »Sturer Kerl«, flüstere ich und streiche sanft über seine Wange. Aber so ist er,<br />

um Hilfe zu bitten viel ihm schon immer schwer, lieber macht er alles mit sich selbst aus.<br />

Lächelnd betrachte ich ihn, die zerzausten, braunen Haare, das schmale Gesicht, seinen<br />

schlanken Körper mit den definierten Muskeln, der auch mit beinahe vierzig Jahren noch<br />

kein Gramm Fett angesetzt hat. »Schlaf, mein Herz«, raune ich an seinen Lippen, hauche<br />

einen Kuss auf sie und verlasse widerstrebend das Zimmer. Im Stall wartet noch eine<br />

Menge Arbeit auf mich, aber lieber würde ich jetzt an Vincents Seite bleiben, über ihn<br />

wachen. Er hat recht, ich bin eine Glucke.


Kapitel II<br />

»Könntest du das bitte noch mal wiederholen?« Ich umklammere meine Kaffeetasse<br />

und starre ungläubig auf Vincent, der mir auf der Couch gegenübersitzt. Es ist Abend, ich<br />

bin ziemlich geschafft und kann immer noch nicht so recht fassen, was mein Mann mir<br />

gerade erzählt hat.<br />

»Das kommt gar nicht so selten vor«, verteidigt er sich. »Bei diesem Kerl ist es<br />

allerdings schon extremer ausgeprägt.«<br />

»Das ist eine verdammt zahme Wortwahl für einen Brandstifter«, gebe ich angesäuert<br />

zurück. Ja, ich bin sauer. Stinksauer. Auf Vincent, dass er sich auf diesen Fall eingelassen<br />

hat, vor allem aber auf seinen Chef, der ihn einfach ins offene Messer hat laufen lassen.<br />

»Der Kerl ist ein Psychopath, wieso kümmert sich nicht die Polizei um ihn?«<br />

»Weil sie bislang noch nicht genug Beweise hatte. Uns ist er aufgefallen, weil zwei der<br />

Gebäude, die er abgefackelt hat, auf den Namen seiner Frau eingetragen waren. Die<br />

Dame ist allerdings bereits seit zehn Jahren tot. Ein Autounfall.«<br />

»Er wollte die Versicherungssumme nachträglich kassieren?«<br />

»Genau. Beide Gebäude hätten aufwendig saniert werden müssen, wenn er sie<br />

weiterverkaufen wollte. So brauchte er nur Benzin und Streichhölzer.«<br />

»Das leuchtet mir ein, dazu muss man nicht studiert haben.« Ich nippe an meinem<br />

Kaffee. »Du hast gesagt, dass er noch in drei weiteren Fällen verdächtigt wird.«<br />

Vincent schluckt nervös und weicht meinem Blick aus. »Ja, das ist der Teil, der dir<br />

nicht gefallen wird.«<br />

Ich hebe die Augenbrauen. »Ehrlich? Mir gefällt alles an diesem Fall nicht und schon<br />

gar nicht, dass du verletzt worden bist.«<br />

Seufzend stellt er seine Tasse weg. »Ich weiß, und das tut mir auch leid, aber ich hatte<br />

keine Ahnung, dass der Kerl mich schon seit längerer Zeit verfolgt. Erinnerst du dich an<br />

den beschädigten Zaun auf der großen Sommerweide?«<br />

»Natürlich. Jetzt sag nicht, das war er.« Wir hatten Jugendliche, die dort häufig im<br />

Sommer zelteten und Saufgelage veranstalteten, im Verdacht gehabt. Nachweisen<br />

konnten wir allerdings niemandem was.<br />

»Er war es auch, der die Tränke mit Fäkalien verunreinigt hat, ebenso die Sache mit<br />

den angezündeten Strohballen.«<br />

»Verdammte Scheiße, dabei hätten Menschen und Tiere verletzt werden können!«<br />

Mein Mann sieht total geknickt aus, als er zugibt: »Sind sie auch. Bei einem von ihm<br />

gelegten Brand sind zwei Menschen schwer verletzt worden, Obdachlose. Es handelte sich<br />

um ein altes Lagerhaus, die Ermittlungen wurden ziemlich rasch eingestellt.«<br />

»Sicher«, sage ich bitter. »Waren ja nur Obdachlose.« Mir wird übel, bei dem Gedanken<br />

daran, dass jetzt Vincent im Fokus dieses Psychopathen steht … und damit auch unser<br />

Hof. »Du hast das alles gewusst, deswegen bist du kaum noch zu Hause gewesen, oder?<br />

Du wolltest nicht, dass der Kerl dich hierher verfolgt. Nun, der Schuss ist ja dann wohl<br />

nach hinten losgegangen.«<br />

»Du bist wütend«, flüstert er mit erstickter Stimme.<br />

»Ja. Bin ich. Weil ich dich liebe, du Hornochse und nicht will, dass dir was passiert!<br />

Heute war es nur eine Beule am Kopf, aber was fällt dem Typen als Nächstes ein? Zündet


er uns das Haus über dem Kopf an? Oder den Stall? Skrupel scheint er ja keine zu<br />

haben.«<br />

»Ich könnte in ein Hotel …?«<br />

»Oh nein! Ich lasse dich keinen Schritt mehr von hier weg.«<br />

»Aber, du …«<br />

»Nein!«<br />

»Simon, du könntest ebenso verletzt werden.«<br />

»Mir egal, ich lasse dich nicht mehr aus den Augen. Wir sind ein Paar, Vince. In guten<br />

wie in schlechten Zeiten, weißt du noch?«<br />

Er seufzt kellertief. »Wer ist jetzt hier der Sturkopf?«<br />

»Das hast du gehört?«<br />

»Hmm …« Sein Blick wird weicher. »Simon?«<br />

»Ja?«<br />

»Ich liebe dich.«<br />

»Ich dich auch, Schatz. Ich dich auch.«


Kapitel III<br />

Vincent schläft bald nach unserem Gespräch wieder ein, ich lasse ihn schlafen, denn<br />

obwohl er es nie zugeben würde, macht ihm seine Verletzung doch zu schaffen. Ganz zu<br />

schweigen davon, dass er in den letzten Wochen anscheinend kaum noch richtig<br />

geschlafen hat. Ich dagegen bin noch viel zu aufgedreht, um Ruhe zu finden. Grübelnd<br />

sitze ich in unserem kleinen Wintergarten, der bei Tageslicht einen herrlichen Blick auf<br />

den kleinen Fluss bietet, der sich an unserem Hof vorbeischlängelt. Hier habe ich schon so<br />

manche Stunde verbracht und dem Plätschern des Wassers gelauscht, wenn ich mir über<br />

etwas den Kopf zerbrochen habe. Auch jetzt beruhigt mich das monotone Geräusch, dazu<br />

trägt natürlich auch der Whisky bei, den ich mir eingeschenkt habe. Die Herbstabende<br />

sind schon ziemlich kühl, doch der Alkohol und eine kuschelige Decke wärmen mich,<br />

während mein Hirn sich mit diversen Horrorszenarien beschäftigt. Dieser verfi …fluchte<br />

Brandstifter bedroht den Mann, den ich über alles liebe, mich und meinen Hof. Ein<br />

brennendes Streichholz an der richtigen Stelle, und der ganze Pferdestall brennt wie<br />

Zunder. Leichte Beute für diesen gestörten Psycho. Wieso hat mir Vince nicht eher erzählt,<br />

was da abgeht? Seinen Chef werde ich mir morgen mal vorknöpfen, Sven Bauer hat<br />

bislang eigentlich nicht den Eindruck auf mich gemacht, dass er seine Mitarbeiter solchen<br />

Risiken aussetzt, aber so gut kenne ich ihn ja auch nicht. Gelegentlich sind wir uns<br />

begegnet, wenn ich Vince zu den obligatorischen Firmenfeiern begleitet habe.<br />

Seufzend lege ich den Kopf zurück, schließe die Augen und nippe an dem Whisky.<br />

Welche Optionen haben wir? Zur Polizei gehen? Das hat Bauer mittlerweile schon getan,<br />

doch ohne einen konkreten Hinweis tappen die uniformierten Jungs im Dunkeln. Der<br />

Feuerteufel konnte ihnen bis jetzt immer entkommen. Sie haben seinen Namen, seine<br />

Adresse, alles das und trotzdem treibt dieser Mistkerl weiter sein Unwesen. Ein<br />

Privatdetektiv scheidet auch aus, Vince ist mindestens ebenso gut in diesem Job, und<br />

wenn er schon nichts ausrichten kann … Ganz langsam kristallisiert sich eine Idee in<br />

meinen Gehirnwindungen heraus. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss<br />

eben der Berg handeln … oder so ähnlich.<br />

~*~<br />

»Du willst was?« Vince starrt mich perplex an. Er sieht immer noch ziemlich<br />

mitgenommen aus, was mich in meinem Plan nur bestärkt. »Bist du verrückt geworden?«<br />

»Es könnte funktionieren, oder hast du eine bessere Idee?«<br />

»Die Polizei …«<br />

»War bislang nicht besonders erfolgreich, das kannst du nicht leugnen.«<br />

»Das ist komplett …«, er wedelt hektisch mit der Hand, »… hirnrissig, Simon.<br />

Außerdem … glaubst du wirklich, er kommt? Hierher?«<br />

»Er war schon hier, Vince. Hat unseren Hof sabotiert und dich verletzt. Alles was es<br />

braucht, um ihn ein weiteres Mal herzubekommen, ist ein Lockvogel, dem er nicht<br />

widerstehen kann.«<br />

»Aha. Und der willst ausgerechnet du sein?«


Gekränkt verschränke ich die Arme vor der Brust. »Warum nicht? Ich habe vielleicht<br />

nicht solche Muskeln wie du, aber ein Schwächling bin ich nicht!« Vince ist beinahe einen<br />

halben Kopf größer, als ich und das regelmäßige Training im Fitnessstudio sieht man ihm<br />

durchaus an. Aber die körperlich schwere Arbeit auf dem Hof hat mir nicht geschadet,<br />

obwohl ich eher der Typ hager und zäh bin. Sage ich. Mein Mann bezeichnet mich als<br />

schlank und sehnig. Da ich häufig an Distanzritten teilnehme, muss ich natürlich auch fit<br />

sein, nicht nur mein Pferd. Viele Kilometer läuft man da nämlich nebenher, anstatt zu<br />

reiten.<br />

»Ich habe nie behauptet, dass du ein Schwächling bist, Schatz. Aber Frank Kössing ist<br />

ein Bulle von Mann, gegen ihn hast du niemals eine Chance.«<br />

»Frank Kössing? So heißt er?«<br />

Vince nickt, in seinen Augen schimmert Besorgnis. »Er gilt als absolut kaltblütig und<br />

brutal, sein Vorstrafenregister enthält nicht nur das Spiel mit dem Feuer. Einbruch,<br />

Diebstahl und schwere Körperverletzung sind auch mit dabei.«<br />

»Dass der Kerl kein Chorknabe ist, habe ich schon mitgekriegt, Vince«, entgegne ich<br />

angesäuert. Bin doch kein Volldepp.<br />

Er lächelt mich an. »Jetzt sei nicht gleich eingeschnappt, ja? Ich will doch nur nicht,<br />

dass dir was passiert.«<br />

»Dito.«<br />

Wir gucken uns einen Moment lang an, dann brechen wir unisono in Lachen aus, was<br />

die Anspannung zwischen uns löst. Klar habe ich Schiss, wie Vince schon sagte: Kössing<br />

ist kein Chorknabe. Aber tatenlos zusehen, wie er mich und meinen Liebsten terrorisiert?<br />

Nein. Mein Plan ist vielleicht nicht der brillanteste, aber immer noch besser, als gar nichts<br />

zu unternehmen. Einen Vorteil hat er jedenfalls: Wir sind auf Frank Kössing vorbereitet<br />

und haben den Heimvorteil. Hoffe ich.<br />

~*~<br />

»Jonas, bring bitte mit Kathrin und Sabine die Ponys auf die große Weide, ja? Vince<br />

und ich kümmern uns um Malika und die anderen Stuten.«<br />

»Okay, Boss. Sonst noch was?«<br />

»Ja, kontrolliert auf jeden Fall die Tränke und die Zäune. Nimm dazu das Quad,<br />

damit bist du schneller und kannst Werkzeug mitnehmen.«<br />

Er nickt und macht sich an die Arbeit. Ich mag den Jungen, mit seinen neunzehn<br />

Jahren ist er zuverlässiger und fleißiger als manch Erwachsener, den ich vorher eingestellt<br />

hatte. Jonas ist eines Abends hier aufgetaucht, nur einen verschlissenen Rucksack in der<br />

Hand, mager und ungewaschen. Das Leben auf der Straße habe ich ihm schon von<br />

weitem angesehen, doch die Gründe, warum er da gelandet ist, hat er mir bis heute<br />

verschwiegen. Ich habe ihm eine Chance gegeben und es nie bereut.<br />

Sabine und Kathrin gehören zu meinen Reitermädels, die sich gegen Mithilfe im Stall<br />

und bei den Pferden einige Reitstunden gratis verdienen. Auch zu den beiden habe ich<br />

größtes Vertrauen, sie gehen verantwortungsvoll mit den Tieren um und kümmern sich<br />

auch gerne um die jüngsten Reitschüler. Schmunzelnd schaue ich dem Dreigespann nach,<br />

zwei der acht Ponys am Führstrick und ununterbrochen plappernd. Wie Jonas das nur<br />

aushält? Ich habe ja den Verdacht, dass Kathrin, die ältere der beiden Mädels,


verschossen in den jungen Mann ist.<br />

Zeit, die anderen Pferde wehzubringen. Die zehn Zuchtstuten, allesamt Vollblutaraber<br />

und Anglo-Araber, sollen auf eine Wiese, die ich gestern mit Vince und Jonas zusammen<br />

eingezäunt habe. Mein Nachbar, ein Landwirt, der uns auch Heu und Stroh liefert, hat sie<br />

uns kurzfristig zur Verfügung gestellt. Die Wiese liegt gut versteckt hinter einem kleinen<br />

Wäldchen, besitzt einen großen Weideunterstand und eine Selbsttränke. Normalerweise<br />

stehen hier die Jungrinder des Bauern, doch für uns hat er sie woanders untergebracht.<br />

Jens Höllmann war richtig entsetzt, als ich ihm erzählt habe, was bislang passiert ist.<br />

»Kein Problem, Ihre Rösser können auf die Wiese«, hat er mir sogleich angeboten und<br />

auch tatkräftig beim Einzäunen mitgeholfen. »Passen Sie nur gut auf sich und Ihren<br />

Mann auf.«<br />

Auch selten, dass man auf dem Land als schwules Paar so ganz ohne Vorbehalte<br />

akzeptiert wird, aber Jens und seine Frau Maria sind aufgeschlossene, sehr freundliche<br />

Menschen. Vince und ich sind froh, sie als Nachbarn zu haben. »Werde ich machen, und<br />

danke, Jens.«<br />

»Ach was.« Er winkt ab. »Diesem Mistkerl muss das Handwerk gelegt werden, ich<br />

möchte ja nicht, dass er meiner Maria und mir das Dach über dem Kopf anzündet!«<br />

Scheiße, daran habe ich nicht gedacht. »Ich will Sie nicht in Gefahr bringen, Jens. Wir<br />

können die Stuten auch woanders …«<br />

»Blödsinn, junger Mann! Die Rösser bleiben auf dieser Wiese und mein Sohn schaut<br />

jede Nacht ein – zwei Mal nach ihnen, okay? Florian ist Soldat bei der Bundeswehr, der<br />

verpasst Ihrem Brandstifter einen ordentlichen Tritt in den Hintern, sollte er sich bei uns<br />

blicken lassen!«<br />

»Ich dachte, Ihr Sohn ist in Afghanistan stationiert?« Florian gehört zu den<br />

Bauhelmtruppen, die in diesem zerrütteten Land den brüchigen Frieden sichern sollen.<br />

Gesehen habe ich ihn das letzte Mal, bevor er zu seinem zweiten Einsatz einberufen<br />

worden ist. Florian ist ein echt netter Kerl, sieht ein bisschen aus wie Chris Hemsworth,<br />

trägt einen Goatee und hat graugrüne Augen.<br />

»Er ist vor drei Tagen zurückgekommen, zu Hause ist er aber erst seit gestern.«<br />

Höllmann ist deutlich anzuhören, dass er stolz auf seinen einzigen Sohn ist. Seine Frau<br />

konnte nach Florian keine Kinder mehr bekommen. Dass sie Florian vergötterten versteht<br />

sich daher von selbst.<br />

»Jonas kann sich mit Florian bei den Nachtwachen abwechseln, okay?«<br />

»Der Kleine arbeitet noch bei Ihnen?« Höllmann runzelt die Stirn.<br />

Ich weiß, dass er, wie einige der anderen Dorfbewohner auch nicht viel von Jonas hält.<br />

Einen Herumtreiber haben sie ihn genannt, und das waren noch die freundlicheren<br />

Begriffe. »Jonas ist absolut zuverlässig, ich vertraue ihm«, gebe ich entschieden zurück<br />

und ernte einen nachdenklichen Blick vom Bauern.<br />

»Schön, schön, dann geht das für mich in Ordnung, Simon. Ich habe da noch ein altes<br />

Wohnmobil, dass schleppe ich mit dem Traktor dorthin. Ist doch besser zum nächtigen,<br />

als im Freien.«<br />

»Das ist eine hervorragende Idee, danke.«


Kapitel IV<br />

»Heute ist es schon die dritte Nacht, die wir uns um die Ohren schlagen«, brummt<br />

Vincent neben mir und gähnt scheunentorweit. »Ob er was ahnt?«<br />

Florian und Jonas dürfen heute mal in ihren eigenen Betten schlafen, diese Nacht<br />

übernehmen Vince und ich die Wache. Bequem ist was Anderes, obwohl es durchaus<br />

romantisch ist, mit seinem Liebsten zusammen im Schlafsack zu kuscheln. Ich schmiege<br />

mich an ihn. »Glaube ich nicht, vielleicht ist er woanders beschäftigt. Dein Chef hat<br />

allerdings diesbezüglich keine Infos bekommen. Möglicherweise ist der Kerl auch nur<br />

vorsichtig, ich an seiner Stelle wäre es.«<br />

»Hmm …« Mein Schatz dreht sich zu mir, schiebt ein Bein zwischen meine, sodass sein<br />

Knie anregend gegen meine Hoden drückt. »Du, Liebling, würdest so einen Scheiß gar<br />

nicht erst abziehen.« Der Druck wird fester, schickt ein verheißungsvolles Kribbeln durch<br />

meinen Körper, mein Schwanz wird in Sekundenschnelle hart.<br />

»Nein, würde ich ni … ahhh, verdammt!« Stöhnend werfe ich meinen Kopf zurück, als<br />

Vincent nach unten zwischen unsere Körper greift und mich massiert. Quälend langsam,<br />

was mich allerdings rasend schnell von Null auf Hundert bringt. Was mein Mann nur zu<br />

gut weiß. »Vince …«<br />

Sein dunkles Lachen schickt mir heiße und kalte Schauer über den Rücken. »Ganz<br />

ruhig, Süßer, ich werde mich schon um dich kümmern.«<br />

»Das ist genau das, was ich befürchte!«<br />

Später liegen wir eng aneinandergeschmiegt und angenehm erschöpft im Schlafsack,<br />

ich inhaliere tief den Duft meines Mannes, genieße seine Wärme und Nähe. Fast könnte<br />

ich vergessen, warum wir hier sind, aber leider drängt sich der Brandstifter erneut in<br />

meine Gedanken. Wo ist er, und was plant dieser Psychopath als Nächstes? Mich<br />

schaudert immer noch, welchen Schaden er hätte anrichten können.<br />

»Meinst du, er kommt heute Nacht noch?«<br />

»Es klingt bestimmt verrückt, aber ich hoffe es«, flüstere ich. »Dann hätte dieser Spuk<br />

vielleicht ein Ende.«<br />

»Es tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe, Simon.«<br />

»Hey, das konntest du doch gar nicht ahnen, okay? Klar bin ich sauer auf deinen Chef,<br />

denn der wusste sicher, dass Kössing kein harmloser Betrüger war!«<br />

Vince drückt sich näher an mich, küsst mich federleicht auf die Schläfe. »Danke, dass<br />

du mir hilfst, Schatz.«<br />

»Oh Vince …« Ich rolle mich herum, sodass ich ihn ansehen kann. »Hast du wirklich<br />

geglaubt, ich würde dich einfach im Stich lassen?«<br />

Sein Lächeln fällt leicht gezwungen aus. »Ich weiß, wie sehr du an den Pferden und an<br />

dem Hof hängst, und ich bin daran schuld, dass Kössing überhaupt erst den Weg hierher<br />

gefunden hat.«<br />

»Du bist das Wichtigste in meinem Leben, Vince. Dich zu verlieren …« Ich schlucke,<br />

verdränge die Bilder wieder aus meinem Hirn, die dort ungewollt auftauchen. Vince …<br />

blutend am Boden, Kössing, der über ihm steht und triumphierend lacht.<br />

Mein Mann scheint zu ahnen, was in meinem Kopf vorgeht, er nimmt mich in die


Arme, küsst mich zärtlich und haucht an meinen Lippen: »Er wird dich und mich nicht<br />

kriegen, mein Herz, versprochen.«


Kapitel V<br />

Lautes Bellen reißt mich aus dem Schlaf, neben mir fährt Vince hoch und blinzelt noch<br />

ziemlich verpennt. »Was ist denn das für ein Krach?«<br />

Ich rappele mich ebenfalls auf, krieche aus dem warmen Schlafsack und schlüpfe in<br />

Jeans und Sweatshirt. »Das ist der Hund vom Höllmann, ich gehe mal nachsehen, okay?«<br />

»Als ob ich dich alleine rausgehen lasse«, knurrt Vince und steigt ebenfalls in seine<br />

Klamotten.<br />

»Du bist echt süß, wenn du den Beschützer raushängen lässt«, erwidere ich grinsend.<br />

Insgeheim bin ich aber froh, dass er mitkommt. Die Setter Hündin Lisa gehört eigentlich<br />

nicht zu den notorischen Kläffern, momentan jedoch hört sie sich regelrecht hysterisch<br />

an. Mit einem mulmigen Gefühl öffne ich die Tür des Wohnmobils und äuge nach<br />

draußen. Scheiße! Verdammter Mist, das wird Höllmann nicht gefallen.<br />

»Großer Gott.« Vince starrt erschüttert auf den blutigen Kadaver des Kälbchens, der<br />

nur wenige Meter entfernt auf dem Boden liegt. Irgendjemand – nein, nicht<br />

irgendjemand, ich weiß, dass es Kössing war - hatte dem armen Tier die Kehle<br />

durchgeschnitten und es ausgeweidet.<br />

Mein Magen will mir in die Kehle steigen, ich schlucke krampfhaft mehrmals, würge<br />

die Übelkeit hinunter. Dieser perverse Scheißkerl … »Wir müssen sofort zu den Pferden!<br />

Und Höllmann Bescheid sagen.«<br />

Vince nickt, sein Blick klebt weiterhin an dem Kälbchen. »Warum tut er sowas?<br />

Simon?« Er hebt den Kopf, sieht mich an. Traurig, fassungslos. Verstört. »Warum?«<br />

Rasch gehe ich zu ihm, umarme ihn ganz fest. »Weil er ein perverses Arschloch ist. Ihm<br />

geht dabei wahrscheinlich auch noch einer ab. Komm, es wird allerhöchste Zeit, dem Kerl<br />

das Handwerk zu legen.«<br />

Bevor wir ins Auto steigen, hole ich noch schnell eine Decke und lege sie über das tote<br />

Kalb. Lisa springt unaufgefordert auf den Rücksitz, wedelt erwartungsvoll mit dem<br />

Schwanz.<br />

»Braves Mädchen« lobe ich sie und tätschele ihren Kopf. »Das hast du gut gemacht.«<br />

Während der Fahrt zum Hof von Höllmann geht mir das tote Kalb einfach nicht mehr aus<br />

dem Kopf. Wie verroht muss ein Mensch sein, was geht in so einem kranken Hirn vor, bei<br />

so einer Tat? Aber Kössing macht auch vor Menschen nicht halt, wie ich aus den<br />

Polizeiberichten und von Vince weiß. Dass er meinen Mann noch nicht schlimmer verletzt<br />

hat, war sicher kein Mitleid, sondern reines Kalkül Irgendwas hat dieser Kerl vor, mir<br />

wäre wesentlich wohler, wenn ich nur wüsste was …<br />

»Okay, da sind wir.« Ich lasse den Wagen im sauber gekiesten Innenhof ausrollen. Das<br />

große Bauernhaus stammt wie unseres aus dem neunzehnten Jahrhundert, wurde aber<br />

immer wieder um – und ausgebaut. Die Fassade besteht aus hellgrauen Natursteinen,<br />

das Dach kontrastiert mit roten Ziegeln dazu. Die Holzbalkone sind mit Blumenkästen<br />

geschmückt, aus denen Geranien und Begonien in allen Farben hervorquellen. Auch vor<br />

der Haustür aus massiven Eichenholz stehen bepflanzte Kübel.<br />

Lisa springt aus dem Auto heraus, kaum, dass ich die Tür geöffnet habe, rast über den<br />

Hof und verschwindet laut bellend in einem der langgestreckten Stallgebäude, die den<br />

Hof einrahmen. Kurz darauf erscheint Höllmann, er trägt den typischen Arbeitsoverall


und Gummistiefel. Anscheinend ist er gerade dabei, seine Kühe zu melken. Mit<br />

ausholenden Schritten kommt er auf uns zu.<br />

»Morgen, Jungs«, begrüßt er uns. »Dass ihr schon so früh hier seid, hat wohl nichts<br />

Gutes zu bedeuten?«<br />

»Leider nein, Jens. Können wir das im Haus besprechen? Ein starker Kaffee wäre jetzt<br />

sehr willkommen.«<br />

»Klar, ich sage nur schnell Ludwig Bescheid, der kann den Rest der Arbeit alleine<br />

erledigen, wir sind fast durch. Geht ihr doch schon mal ins Haus, meine Frau ist eh in der<br />

Küche.« Er pfeift nach seinem Hund und verschwindet wieder im Stall.<br />

Vince und ich betreten die helle, geräumige Diele, hängen unsere Jacken an die<br />

Garderobe und ziehen die Schuhe aus. Ute Höllmann führt ein strenges Regiment,<br />

schlammbespritzte Treter haben im Haus nichts zu suchen. Dafür habe ich absolut<br />

Verständnis, denn in unserem Domizil sieht es meistens aus, als hätte eine Bombe<br />

eingeschlagen! Unsere Reitschüler, die zahlreichen Katzen und wir selbst tragen reichlich<br />

Dreck ins Haus. Putzen gehört leider nicht zu unseren Lieblingsbeschäftigungen, was<br />

dann einmal pro Woche zu lautstarken Diskussionen und anschließender Putzorgie<br />

ausartet.<br />

Der herrliche Duft nach Speck, Kaffee und Toast lockt uns in die riesige Küche, der<br />

Holztisch in der Mitte bietet sicherlich locker zehn Personen Platz.<br />

»Jungs! Guten Morgen.« Ute begrüßt uns mit einer herzlichen Umarmung. Die zierliche<br />

Frau mit den kurzen, graumelierten Haaren strahlt uns an. »Ihr seht aus, als könntet ihr<br />

einen Kaffee vertragen. Rühreier mit Speck sind auch gleich fertig.«<br />

»Guten Morgen, Ute. Ja, Kaffee wäre super, Jens kommt auch gleich.« Ich beschließe<br />

mit den Hiobsbotschaften lieber zu warten, bis wir zumindest ein paar Bissen und Kaffee<br />

im Magen haben.<br />

Wir helfen ihr beim eindecken des Tisches, unterhalten uns über das herbstlich-schöne<br />

Wetter, die anfallenden Arbeiten vor dem ersten Wintereinbruch und dann kommt auch<br />

Höllmann in die Küche. Mit einem liebevollen Kuss begrüßt er seine Frau, bevor er uns an<br />

den Tisch bittet. »Okay, Jungs, haut rein. Danach erzählt ihr mir, was passiert ist.«<br />

Wir nicken beide und anschließend machen wir uns über das reichhaltige Frühstück<br />

her, dass Ute gezaubert hat. Normalerweise begnügen Vince und ich uns mit Kaffee und<br />

vielleicht noch einer Scheibe Toast, bevor wir an die Arbeit gehen. Oft fällt auch noch das<br />

Mittagessen aus, Vince isst meistens in der Kantine und ich bin zu faul, nur für mich<br />

etwas zu kochen.<br />

»Schmeckt himmlisch«, kaue ich mit vollem Mund.<br />

Ute lächelt und schenkt mir noch Kaffee nach. »Dann hau rein, Junge. Du und Vince<br />

könntet etwas mehr auf den Rippen vertragen.« Sie schnalzt missbilligend mit der Zunge.<br />

»Bei euch fehlt einfach eine Frau im Haus, die euch anständig bekocht.«<br />

Ich verdrehe innerlich die Augen. Ute akzeptiert zwar unsere Partnerschaft, ist aber<br />

der Meinung, dass Männer ohne eine Frau im Haus einfach nicht überlebensfähig sind!<br />

»Mir reichen meine Reitermädels, die veranstalten mehr Chaos, als Vince und ich,<br />

ehrlich.«<br />

Sie lacht und zwinkert mir zu. »das sind ja auch Teenager. Frage mich nicht, wie das<br />

Zimmer von unserem Sohnemann ausgesehen hat, als er noch nicht bei der Bundeswehr<br />

war.«


»Chaotisch«, bestätigt auch Jens. Er schenkt sich Kaffee nach, schiebt seinen Stuhl<br />

zurück und macht es sich bequem. »So, Jungs. Raus mit der Sprache, was ist passiert?<br />

Irgendwas mit den Pferden? Ich war heute früh schon auf der Weide, da schien alles in<br />

Ordnung zu sein.«<br />

Ich wechsele mit Vince einen Blick, bevor ich Jens antworte. »Kössing hat eines deiner<br />

Kälber getötet und vor das Wohnmobil gelegt. Lisa hat wie wild gebellt, als wir<br />

daraufhin nachgesehen haben, fanden wir das Kalb. Es war … kein sehr schöner Anblick,<br />

Jens.«<br />

Seine Finger verkrampfen sich um die Tasse, in seiner Wange zuckt ein Muskel, doch er<br />

bleibt ruhig. »Lisa war bei euch, sagst du?«<br />

Wir nicken, was ihm ein Stirnrunzeln entlockt. »Seltsam, ich hatte sie gestern Abend in<br />

ihren Zwinger gesperrt. Normalerweise darf sie auch nachts ins Freie, aber nachdem ihr<br />

mir von diesem Kössing erzählt habt, schien es mir sicherer, sie einzusperren. So wie es<br />

aussieht, macht dieser Kerl vor gar nichts Halt. Ist das Kalb noch dort?«<br />

»Ja, ich habe eine Decke darübergelegt, aber wilde Tiere hält das sicher nicht ab.«<br />

»Gut, ich fahre mit Ludwig sofort dahin.« Etwas schwerfällig steht er auf, man sieht<br />

ihm an, dass der Vorfall ihm nahegeht. Jens betrachtet zwar seine Rinder als Nutztiere,<br />

aber er hängt an den Tieren und behandelt sie gut, was der Grund ist, dass wir Fleisch<br />

und Milch nur von seinem Hof beziehen. »Ute, weckst du Florian und Jonas? Wir müssen<br />

besprechen, wie wir weiter vorgehen.«<br />

»Mach ich.« Sie legt ihm tröstend die Hand auf die Schulter. »Soll ich die Polizei<br />

verständigen?«<br />

Er überlegt, sieht uns der Reihe nach an. »Was meint ihr?«<br />

»Bis jetzt haben die ja nicht viel ausrichten können«, gebe ich zu bedenken. »Wegen<br />

eines toten Kalbes werden die sich nicht den Arsch aufreißen, fürchte ich.«<br />

Jens seufzt und wendet sich ab. »Okay, dann müssen wir eben die Augen weiterhin<br />

offenhalten. Bis später.«<br />

Ute sieht ihrem Mann sichtlich besorgt nach. »Es nimmt ihn mehr mit, als er zeigen<br />

will.« Sie dreht sich zu uns um. »Für euch war es sicher auch ein gewaltiger Schock,<br />

oder?«<br />

»Ja, das war es allerdings.« Ich erhebe mich ebenfalls. »Vince und ich werden nach<br />

Hause fahren, nach dem Rechten sehen. Danke für das Frühstück, Ute.«<br />

»Ach, keine Ursache. Passt auf euch auf, ja?«<br />

»Versprochen.«<br />

~*~<br />

Als wir an unserem Hof ankommen, sieht alles friedlich aus. Auch ein Rundgang über<br />

den Reitplatz, durch die Stallungen und der Scheune zeigt nichts Auffälliges. Kössing<br />

scheint sich in der Nacht nur bei Höllmann herumgetrieben zu haben. Das heißt<br />

allerdings, dass er über unsere Schritte genau im Bilde ist und uns verfolgt. Dieser<br />

Psychopath ist gerissen und keineswegs dumm. Der Polizei, und uns, ist er dadurch leider<br />

immer einen Schritt voraus. Ich bin mir sicher, dass die Aktion mit dem Kalb sorgfältig<br />

geplant gewesen ist. Mir macht vor allem Sorgen, dass Kössing auch den Hof der<br />

Höllmanns ausspioniert, wie Lisa bewiesen hat. Jens schließt den Zwinger immer ab,


wenn er sie dort einsperrt. Was selten der Fall ist, also hat sich Kössing schon länger<br />

dort herumgetrieben. Keine beruhigende Aussicht!<br />

Die Reitstunden habe ich für die nächsten Tage abgesagt, weil ich nicht auch noch<br />

meine Reitschüler in Gefahr bringen möchte. Daher sind Vince und ich mit den üblichen<br />

Arbeiten nach drei Stunden fertig. Die Pferde sind alle mit Heu und Wasser versorgt, wir<br />

haben die Zäune kontrolliert und die Boxen gemistet. Jetzt, kurz vor Mittag, hocken wir<br />

in der Küche und gönnen uns ein zweites Frühstück.<br />

»Jonas hat gerade angerufen, er und Florian kommen gleich zu uns«, teilt Vince mir<br />

mit und hält mir einen Kaffeebecher hin. »Hier, schwarz und stark.«<br />

Dankbar schlürfe ich die Brühe und greife zu einem der belegten Brote. »Gut, dann<br />

können wir einen neuen Plan ausarbeiten. Irgendwie muss dieser Kerl doch zu kriegen<br />

sein.«<br />

Vince macht den Mund auf, aber ich fahre dazwischen: »Nein, du wirst nicht den<br />

Lockvogel spielen! Das Thema hatten wir schon.«<br />

»Ach, aber du fühlst dich dazu berufen, ja?«<br />

Ich seufze, war ja klar, dass mein sturköpfiger Mann mitmischen will. »Hast du eine<br />

bessere Idee? Es ist ja nicht mal sicher, dass dieser Plan funktioniert. Kössing ist<br />

unberechenbar und verdammt schlau.«<br />

Er sieht mich ernst an. »Wie wäre es, wenn wir alles einfach auf uns zukommen<br />

lassen? Schatz, Kössing wird so oder so hierherkommen, wir müssen eben wachsam sein.<br />

Keiner geht alleine nachts irgendwo hin, okay? Am besten auch tagsüber nicht, dem Kerl<br />

ist alles zuzutrauen.«<br />

»Da bin ich mit dir einer Meinung. Hast du was von deinem Chef gehört? Vielleicht hat<br />

der etwas Neues für uns?«<br />

Aber Vince verneint. Okay, dann sind wir wohl auf uns selbst gestellt. Die ganze<br />

Situation kommt mir mittlerweile total irreal vor! Himmel, mein Mann ist<br />

Versicherungsdetektiv, ich Pferdewirtschaftsmeister. Nicht gerade die Sorte Beruf, in der<br />

man mit Psychopathen wie Kössing konfrontiert wird …


Kapitel VI<br />

Drei Tage später beschließe ich, den Reitbetrieb wiederaufzunehmen. Die Zuchtstuten<br />

lassen wir weiter auf der Weide von Höllmann, die Schulpferde und Ponys dagegen<br />

beziehen wieder ihre Boxen und Paddocks am Hof. Ich kann es mir nicht leisten, zu lange<br />

mit dem Unterricht auszusetzen. Allerdings schärfe ich Jonas ein, beide Augen offen zu<br />

halten und sofort Alarm zu schlagen, wenn ihm etwas Ungewöhnliches auffällt. Egal<br />

was.<br />

»Geht klar, Boss. Florian wird weiter nach den Stuten schauen, er hat noch Urlaub.«<br />

Etwas in seiner Mimik und seinem Ton lässt mich aufmerken. »Jonas? Alles okay?«<br />

Beiläufig zuckt er mit den Schultern und widmet sich konzentriert seiner Arbeit. »Passt<br />

schon, Boss.«<br />

Hm. »Den Eindruck habe ich nicht. Ist etwas vorgefallen? Zwischen dir und Florian?«<br />

Er blinzelt kurz zu mir, befördert mit Schwung die nächste Ladung Mist auf den<br />

Schubkarren. »Nein, wirklich alles okay. Florian ist ein echt netter Kerl.«<br />

Bilde ich mir das nur ein, oder wird Jonas tatsächlich gerade rot? Interessant. »Ja, er<br />

ist ein feiner Kerl«, stimme ich ihm schmunzelnd zu. »Wenn du mit dem Stall hier fertig<br />

bist, mach Feierabend, okay? Den Rest übernehme ich heute Abend.«<br />

»Klasse, Boss! Heute Abend läuft nämlich das Spiel Bayern gegen Werder Bremen.«<br />

Jonas ist Fußballfan, womit er bei uns so ziemlich alleine dasteht, weder Vince, noch<br />

ich können was mit dem runden Leder etwas anfangen. »Dann viel Spaß noch.«<br />

Ich starte noch einen Rundgang über den ganzen Hof, checke ganz besonders Scheune<br />

und Futterkammer auf irgendwelche verdächtigen Anzeichen. Auch die Sattelkammer, wo<br />

ich Vince gefunden habe, nehme ich genauestens unter die Lupe. Aber ich finde nichts<br />

Verdächtiges. Hätte mich auch gewundert, Kössing ist kein Anfänger, leider. Uns bleibt<br />

wohl wirklich nur, abzuwarten, wann er wieder auftaucht …<br />

~*~<br />

Es ist nebelig, der Schein meiner Taschenlampe dringt gerade mal ein paar Meter<br />

durch die silbergraue Suppe. Fröstelnd ziehe ich die Jacke enger um mich und stiefele auf<br />

den Stall zu. Nur noch ein kurzer Rundblick, dann geht es wieder zurück ins Warme. Die<br />

Temperaturen sind empfindlich kühler geworden, auch wenn es tagsüber noch schön<br />

sonnig ist. Mit Schwung schiebe ich das große Stalltor auf, es klemmt immer ein bisschen.<br />

Der Geruch nach Heu und Stroh empfängt mich. Ich betrete den dunklen Stall, leuchte in<br />

alle Ecken und die leeren Boxen. Die Pferde stehen auf den Paddocks, bei dem trockenen<br />

Wetter müssen sie nicht in den Stall. An der Sattelkammer angekommen, halte ich inne.<br />

Plötzlich sind alle meine Sinne in Alarmbereitschaft. Irgendetwas stimmt nicht. Ich<br />

lausche, kann aber nichts hören, außer meinem eigenen Atem und viel zu lauten<br />

Herzschlag. Nichts deutet darauf hin, dass ich nicht alleine bin und doch … sehr langsam<br />

bewege ich mich zurück in Richtung Stalltor. Stoppe immer wieder, lausche. Nichts. Ich<br />

schüttele über mich selbst den Kopf, schalte die Taschenlampe aus, als ich ins Freie trete.<br />

Ein leises Rascheln lässt mich herumfahren, den Schlag sehe ich noch kommen, hebe den


eflexartig Arm, um ihn abzuwehren. Zu spät, etwas trifft mich brutal an der Schläfe. Das<br />

letzte was ich höre, bevor es schwarz um mich wird, ist das irre Kichern eines Mannes.<br />

Kössing.<br />

~*~<br />

Als ich wieder zu mir komme, schmerzt mein Kopf höllisch und der durchdringende<br />

Gestank nach Benzin flutet meine Nase. Stroh raschelt unter mir, als ich mich bewege, ich<br />

will aufstehen, doch sofort wird mir schwindelig und übel. Den Brechreiz kämpfe ich nur<br />

mit Mühe zurück, der Benzingestank macht es nicht leichter. Moment. Benzin? Mein Hirn<br />

braucht ein bisschen, bis es die Zusammenhänge hergestellt hat. Verdammter Mist!<br />

Kössing hat mich niedergeschlagen und jetzt will er vermutlich den Stall abfackeln. Mit<br />

mir darin. Dass ihm Menschenleben nicht viel bedeuten, wusste ich bereits, aber derart<br />

kaltblütig einen Menschen zu ermorden … das übersteigt mein Fassungsvermögen. Ich<br />

muss sofort raus hier! Erst nach dem dritten Versuch gelingt es mir, aufzustehen. Mit<br />

wackeligen Knien taste ich mich an den aufgestapelten Heuballen entlang, bis ich den<br />

kühlen Stahl der Tür zur Sattelkammer erspüre. Auf der Rückseite gibt es ein Fenster,<br />

durch das könnte ich entkommen …<br />

Ich fluche laut, als ich an der Klinke rüttele und die Tür sich nicht rührt. Natürlich,<br />

dieser Bastard hat dafür gesorgt, dass es keinen Fluchtweg gibt. Die einzige Möglichkeit<br />

ist das Stalltor, aber das bekomme ich niemals auf, wenn er es verriegelt hat. Jetzt bloß<br />

nicht panisch werden, Simon. Ich verlege mich aufs Rufen.<br />

»Vince! Jonas! Hört mich jemand? Hey!!«, brülle ich so laut, wie es mein<br />

angeschlagener Zustand erlaubt. Mir platzt fast der Schädel und die Übelkeit kommt in<br />

Wellen. Eine Gehirnerschütterung ist mir sicher, aber nicht mein größtes Problem. Wenn<br />

Kössing wirklich den Stall anzündet … Ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende<br />

gedacht, da fliegt etwas Glimmendes durch die Luft und fällt ins Stroh. Scheiße! Im<br />

nächsten Augenblick schießt eine gelborange Stichflamme hervor, es knistert<br />

unheilverkündend und Rauch steigt auf. Oh Gott, er hat es wirklich getan!<br />

Ich taumele durch die Stallgasse, an den leeren Boxen vorbei zum Tor. Rüttele daran.<br />

Nichts. Panisch sehe ich mich um. Die Fenster oberhalb der Boxen sind nur zum Kippen,<br />

aber vielleicht kann ich eines zerschlagen. Hastig taste ich mich erneut zur Sattelkammer<br />

vor, dort stellt Jonas auch sein Werkzeug ab. Mir fällt eine Schaufel in die Hand, okay,<br />

damit sollte es klappen. Hustend und würgend – der Rauch breitet sich immer weiter aus,<br />

das Feuer wütet bereits an der gesamten rechten Seite des Stalles. Es prasselt und<br />

knackt, wird immer heißer. Die Luft stickiger. Die Boxen bestehen aus imprägniertem Holz,<br />

ergeben ebenso guten Brennstoff, wie Heu und Stroh.<br />

Mit Mühe klettere ich auf die Trennwand zwischen zwei Boxen, stemme die Schaufel<br />

hoch. Schlage sie mit letzter Kraft gegen das Fenster. Einmal. Zweimal. Sprünge zeigen<br />

sich, doch mehr auch nicht. Verdammt! Noch mal, gib nicht auf, Simon. Hochstemmen,<br />

zuschlagen. Schwindel überfällt mich, meine Knie zittern, die Luft wird knapp. Ich habe<br />

das Gefühl Glut einzuatmen statt Sauerstoff. Wankend probiere ich es ein weiteres Mal.<br />

Vergeblich. Versuche zu schreien, Vince muss doch längst gemerkt haben, das was nicht<br />

stimmt, das Feuer ist sicher nicht mehr zu übersehen. Doch aus meiner Kehle entkommt<br />

nur ein heiseres Krächzen, die Schaufel fällt mir aus der Hand.


Vince. Was ist, wenn Kössing ihn sich schon geschnappt hat? Schwarze Punkte tanzen<br />

vor meinen brennenden Augen, meine Beine geben nach. Wie in Zeitlupe falle ich. Mein<br />

letzter Gedanke gilt meinem Mann, bevor mein Bewusstsein erlischt.


Kapitel VII<br />

»Na also, er kommt zu sich. Schön wachbleiben, Herr Wiesner.« Gott, die Stimme<br />

dieses Kerls klingt geradezu widerlich fröhlich. Mir dagegen ist eher zum Sterben zumute,<br />

so wie mein Schädel weh tut. Von der Übelkeit ganz zu schweigen. Ich schaffe es<br />

geradeso meine Augen zu öffnen. Gleich drei besorgte Gesichter starren mich an. Jonas,<br />

Vince und ein Mann in weißem Kittel. Ein Stethoskop baumelt um seinen Hals. Aha, ein<br />

Arzt. Ein Rundumblick verrät mir, dass ich mich in einem Krankenhaus befinde.<br />

»Simon!« Mein Mann lächelt mich erleichtert an. »Großer Gott, hast du mir vielleicht<br />

einen Schrecken eingejagt!«<br />

In meinem Hirn geht es noch ziemlich drunter und drüber, aber langsam setzen sich<br />

die fetzen zu einem Bild zusammen. Der Stall! Kössing. Ich will hochfahren, bereue das<br />

aber sofort. »Scheiße, ich glaube ich muss kotzen!«<br />

Sofort hält mir der Arzt eine Schüssel hin und ich übergebe mich herzhaft. Danach will<br />

ich eigentlich nur noch sterben, doch leider haben sowohl der Arzt, als auch Vincent was<br />

dagegen. Ersterer untersucht mich gründlich, steckt mich in eines der unsäglichen<br />

Krankenhaushemden, letzterer gluckt wie eine aufgescheuchte Henne um mich herum.<br />

Mein Hals fühlt sich an, wie die Wüste Gobi, sonst würde ich gerne lautstark protestieren.<br />

Mehr als »Wasser, bitte«, bringe ich leider nicht hervor.<br />

»In kleinen Schlucken trinken, Herr Wiesner«, ermahnt mich der Arzt.<br />

Vincent stützt mich, als ich trinke und bettet mich anschließend wieder behutsam in<br />

die Kissen. »Besser?«<br />

Ich nicke, zu mehr fühle ich mich gerade nicht in der Lage. Vince ist am Leben und<br />

unverletzt, was mit Kössing ist, geht mir erst mal am Allerwertesten vorbei. Schlafen,<br />

und der Stimme meines Mannes lauschen, mehr will ich nicht …<br />

Drei Tage später entlasse ich mich auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus –<br />

was denn, herumliegen kann ich auch Zuhause! – und Vincent fährt mich zum Hof.<br />

Mittlerweile bin ich wieder auf dem Laufenden, noch etwas angeschlagen, aber schon<br />

ganz munter. Kössing sitzt endlich im Knast, Vince und Jonas haben ihn dabei überrascht,<br />

wie er auch noch das Wohnhaus anzünden wollte. Vince hat ihn mit einer rechten<br />

Geraden ausgeknockt, wie Jonas mir stolz erzählt hat.<br />

Mein Held! Der Stall war allerdings nicht mehr zu retten, ist bis auf die Grundmauern<br />

niedergebrannt. Ich bin immer noch froh darüber, dass wir die Pferde draußen gelassen<br />

haben!<br />

»So, wir sind da.« Vince bremst den Wagen ab. »Brauchst du Hilfe, beim Aussteigen?«<br />

Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. »Untersteh dich, sehe ich etwa aus wie ein<br />

Invalide?«<br />

Er lacht nur, weiß um meinen Stolz und dass ich ein verdammt mieser Patient sein<br />

kann. Ohne im Geringsten beeindruckt zu sein, hilft er mir tatsächlich aus dem Auto und<br />

ins Haus. Ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen, aber ich bin doch heilfroh, als ich<br />

mich auf die mit Kissen gepolsterte Couch sinken lassen kann. Diese blöde<br />

Gehirnerschütterung und eine anständige Rauchvergiftung haben mir ganz schön<br />

zugesetzt. Was ich natürlich vor meinem Mann niemals zugeben würde. Als er sich jedoch<br />

neben mich setzt, hält mich nichts mehr zurück. Tief aufatmend kuschele ich mich eng an


ihn.<br />

»Hey, alles klar, Schatz?«, fragt er zärtlich.<br />

»Jetzt? Ja.« Du bist da. Lebst, und bist bei mir. Mehr brauche ich nicht.<br />

Sein leises Lachen dicht an meinem Ohr verrät mir, dass er ganz genau weiß, was in<br />

mir vorgeht. »Ich liebe dich auch, Simon.«<br />

ENDE


Texte: ?<br />

Bildmaterialien: 123rf.com; Bearbeitung: Caro Sodar<br />

Lektorat/Korrektorat: ?<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Tag der Veröffentlichung: 16.12.2016<br />

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