50 Jahre Universitätsklinik für Orthopädie im AKH Wien
Jubiläumsbuch 2012: Die Erfolgsstory der universitären Orthopädie in Wien: 50 Jahre Universitätsklinik für Orthopädie im AKH Wien/125 Jahre Orthopädie im AKH Wien (Vorstand o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager
Jubiläumsbuch 2012:
Die Erfolgsstory der universitären Orthopädie in Wien: 50 Jahre Universitätsklinik für Orthopädie im AKH Wien/125 Jahre Orthopädie im AKH Wien (Vorstand o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager
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1887 – 2012<br />
e-book-edition<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
R. Windhager/C. Chiari, <strong>Wien</strong> 2012
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
Herausgeber: Reinhard Windhager, Catharina Chiari<br />
Medizinische Universität <strong>Wien</strong>, <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
Konzept & Gestaltung: Unl<strong>im</strong>ited Media<br />
<strong>Wien</strong>, Dezember 2012<br />
ISBN: 978-3-200-02880-7
Die Erfolgsstory der universitären <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong><br />
Fünfzig <strong>Jahre</strong> ist es her, als am 7. Dezember 1962<br />
Prof. Dr. Karl Chiari freudestrahlend die Eröffnung<br />
der ersten österreichischen <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>Wien</strong>er <strong>AKH</strong> bekannt gab. Für<br />
das Fach <strong>Orthopädie</strong> war das ein wichtiger Tag,<br />
da endlich die lang ersehnte Eigenständigkeit<br />
als selbstständiges Lehrfach und eigenes Forschungsgebiet<br />
auch offiziell bestätigt wurde.<br />
Die Tradition reicht jedoch 125 <strong>Jahre</strong> zurück. Denn<br />
schon durch viele Jahrzehnte beeinflusste vor allem<br />
<strong>Wien</strong> die Entwicklung des Faches, richtungsgebend<br />
<strong>für</strong> die ganze Welt. Die Erfolgsgeschichte<br />
der <strong>Orthopädie</strong> begann, als Adolf Lorenz das Fach<br />
unter seine Fittiche nahm. Er galt als Vater der<br />
österreichischen <strong>Orthopädie</strong>, aber eine eigene orthopädische<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> zu gründen gelang<br />
zwar vielen seiner deutschen Weggefährten, ihm<br />
blieb es leider verwehrt. Die Entwicklungen und<br />
Wandlungen des Faches an der Universität <strong>Wien</strong><br />
waren durch sechs Persönlichkeiten geprägt.<br />
Neben Adolf Lorenz haben Julius Hass, Gerhard<br />
Haberler, Albert Lorenz, Karl Chiari und zuletzt<br />
Rainer Kotz wesentlich zu den Fortschritten in der<br />
Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen<br />
beigetragen. Lagen die Forschungsbeiträge anfangs<br />
noch mehr <strong>im</strong> Bereich der Kinderorthopädie,<br />
so hat sich das Spektrum über die Jahrzehnte<br />
hinweg in Richtung der Behandlung degenerativer<br />
Erkrankungen sowie hoch spezialisierter Behandlungen<br />
wie Neoplasien verlagert. Vor allem in den<br />
letzten 25 <strong>Jahre</strong>n konnte die <strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong><br />
unter Prof. Dr. Rainer Kotz den Stellenwert<br />
der österreichischen <strong>Orthopädie</strong> international<br />
weiter festigen. Sowohl <strong>im</strong> Bereich der Forschung<br />
als auch bei orthopädischen Weltkongressen war<br />
die <strong>Wien</strong>er Klinik stets am Puls der Zeit.<br />
Im Jubiläumsjahr 2012 wird diese Tradition weiter<br />
fortgesetzt und intensiviert. „<strong>Orthopädie</strong><br />
Translational” sei die neue Richtung innerhalb<br />
der orthopädischen Chirurgie genannt. Dabei ist<br />
die translationale Medizin an der Schnittstelle<br />
zwischen präklinischer Forschung und klinischer<br />
Entwicklung angesiedelt und beinhaltet die Übertragung<br />
von diagnostischen und therapeutischen<br />
Modellen auf die Anwendung am Menschen.<br />
„<strong>Orthopädie</strong> Translational” kann sehr unterschiedlich<br />
interpretiert werden; wobei die Wandlung der<br />
<strong>Orthopädie</strong> von den Ursprüngen, die Nicola Andry<br />
beschrieben hat, bis zur Gegenwart die Bedeutung<br />
dieses Begriffes am ehesten trifft.<br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> Wandel bedeutet aber auch, dass<br />
es keinen Stillstand gibt, dass das Fach laufend<br />
weiter entwickelt wird – ein Ziel, das auch <strong>für</strong><br />
die nächsten <strong>Jahre</strong> oberste Priorität hat. Wir<br />
werden weiterhin alle Anstrengungen unternehmen,<br />
den Triple-Track aus Forschung, Lehre und<br />
Klinik zu einer harmonischen Symbiose zu führen<br />
und <strong>für</strong> alle lebenswerter zu machen. Wichtig<br />
sind dabei aber auch <strong>im</strong>mer die einzelnen<br />
Personen. Sie sind unsere wichtigste Ressource,<br />
die es zu pflegen gilt, da sie einzig und allein<br />
den Fortschritt gewähren. Es ist eine besondere<br />
Ehre und Freude, die Klinik in dieses Jahr des<br />
Jubiläums zu führen.<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager, Leiter der<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, MedUni <strong>Wien</strong>;<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari, Leiterin des<br />
Kinderorthopädie-Teams<br />
Einerseits geht es darum, das <strong>50</strong>-jährigen Bestehen<br />
der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> und<br />
gleichzeitig die 125 <strong>Jahre</strong> akademische <strong>Orthopädie</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> Revue passieren zu lassen. Aber<br />
es geht auch um eine Standortbest<strong>im</strong>mung und<br />
Weiterentwicklung der heutigen <strong>Orthopädie</strong>, um<br />
die nicht enden wollende Erfolgsgeschichte der<br />
<strong>Wien</strong>er <strong>Orthopädie</strong> weiterzuführen. Als Zusammenfassung<br />
<strong>für</strong> diesen Überblick dient auch das<br />
vorliegende E-Book, das auch durch die Form der<br />
digitalen Verbreitung die Weiterentwicklung und<br />
Trendwende unterstreichen soll.
VORWORT<br />
Die Erfolgsstory der universitären <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> 3<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager<br />
GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK<br />
Der große Tag <strong>für</strong> die <strong>Orthopädie</strong> vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n 8<br />
o. Prof. Dr. Karl Chiari<br />
Ein wissenschaftliches Leben <strong>für</strong> die <strong>Orthopädie</strong> 20<br />
o. Prof. Dr. Rainer Kotz<br />
<strong>Orthopädie</strong> Translational 32<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager<br />
FACHBEITRÄGE AUS DER ORTHOPÄDIE<br />
125 <strong>Jahre</strong> Kinderorthopädie an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> 48<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari<br />
Die neuromuskuläre Fußambulanz 54<br />
Univ.-Prof. in Dr. in Michaela Auer-Grumbach<br />
Die Entwicklung der Tumororthopädie an der<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> 58<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Dominkus<br />
Tumororthopädische Entwicklung auf dem Gebiet<br />
der Weichteilsarkome 62<br />
Ass.-Prof. PD Dr. Philipp Funovics<br />
Die chirurgische Behandlung<br />
von Wirbelsäulentumoren 70<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Petra Krepler<br />
Psychologische Behandlung und<br />
Forschung in der <strong>Orthopädie</strong> 74<br />
Dr. Georg Fraberger/Mag. Gisela Mathiak<br />
Entwicklung der Prothesenversorgung in Österreich 80<br />
OA Dr. Alexander Kolb<br />
Bedeutung der perioperativen Schmerztherapie 82<br />
OA Dr. Bernd Kubista<br />
Endoprothetik des Knie- und Hüftgelenkes 88<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Giurea/OA Dr. Bernd Kubista
Protheseninfektionen in der <strong>Orthopädie</strong> 92<br />
OA Dr. Johannes Holinka<br />
Das femoroacetabuläre Impingement der Hüfte –<br />
eine eigene Erkrankung? 102<br />
Dr. Stephan Domayer, PhD<br />
Osteoporose in Klinik und Forschung 106<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer<br />
Die dreid<strong>im</strong>ensionale Deformität<br />
der Wirbelsäule 110<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Grohs<br />
Spezialisierung <strong>im</strong> Fokus – Rheumaorthopädie 112<br />
als notwendiges Ganzheitskonzept<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Hugo Axel Wanivenhaus<br />
Die Geschichte der Sportorthopädie 116<br />
Ass.-Prof. Dr. Klaus-Dieter Schatz<br />
Die Entwicklung der modernen Schulterund<br />
Ellenbogenchirurgie aus sportorthopädischer Sicht 118<br />
Ass.-Prof. PD Dr. Manuel Sabeti-Aschraf<br />
Aktuelle Therapiekonzepte von Knorpelschäden 120<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari<br />
Entwicklung <strong>im</strong> Biomechaniklabor 122<br />
Ass.-Prof. Dr. Gobert Skrbensky<br />
Knochenforschung – vom Osteosarkom<br />
bis zur „Bone Quality” 124<br />
Dr. Jochen G. Hofstätter<br />
Tissue Engineering und zellbiologisches Forschungslabor 128<br />
Mag. Dr. Stefan Tögel/Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari/<br />
Dr. in Sonja Walzer<br />
UNTERNEHMEN IN DER ORTHOPÄDIE<br />
Über 125 <strong>Jahre</strong> <strong>im</strong> Dienst der Medizin 134<br />
DIE WIENER UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR ORTHOPÄDIE<br />
Ärzte an der <strong>Universitätsklinik</strong> seit 1990 140<br />
Publikationen der <strong>Universitätsklinik</strong> seit 1990 142
GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK
Der große Tag <strong>für</strong> die <strong>Orthopädie</strong> vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
Antrittsvorlesung von o. Prof. Dr. K. Chiari,<br />
Eröffnung der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong>, 7. 12. 1962<br />
Für das Fach <strong>Orthopädie</strong> ist heute in <strong>Wien</strong> ein großer<br />
Tag. Durch viele Jahrzehnte wurde in <strong>Wien</strong> und<br />
in anderen österreichischen Forschungsstätten die<br />
Entwicklung des Faches gefördert und richtungsgebend<br />
<strong>für</strong> die ganze Welt beeinflusst. Heute dürfen<br />
wir endlich die Anerkennung der <strong>Orthopädie</strong> als<br />
selbstständiges Lehrfach und eigenes Forschungsgebiet<br />
an der <strong>Wien</strong>er Universität feiern. Dankbar<br />
müssen wir aller jener Forscher und ihrer Mitarbeiter<br />
gedenken, die die Grundlagen in dieser Entwicklung<br />
gelegt haben. Obwohl Adolf Lorenz als<br />
Vater der deutschen <strong>Orthopädie</strong> gilt, haben andere<br />
deutsche Kollegen ihn darin übertroffen, indem sie<br />
sich an den Universitäten hervorragende Stellungen<br />
sicherten. Fritz Lange gelang es bereits 1913,<br />
in München eine orthopädische <strong>Universitätsklinik</strong><br />
zu gründen. Die meisten deutschen Universitäten<br />
folgten dem Beispiel Münchens, und gegenwärtig<br />
fehlen nur mehr an drei deutschen Universitäten<br />
die orthopädischen Kliniken.<br />
Wir österreichische Orthopäden freuen uns nun,<br />
dass auch wir diesen Schritt vorwärts tun konnten.<br />
Ich selbst bin natürlich glücklich, dass gerade<br />
mir vergönnt ist, nun als Erster in Österreich<br />
eine selbstständige orthopädische <strong>Universitätsklinik</strong><br />
führen zu dürfen. Ich danke dem Professorenkollegium<br />
<strong>für</strong> das Vertrauen, mich <strong>für</strong> dieses<br />
Amt in Vorschlag gebracht zu haben, und danke<br />
dem Herrn Bundespräsidenten und dem Herrn<br />
Unterrichtsminister <strong>für</strong> die ehrenvolle Ernennung.<br />
Ich hoffe, und werde mich ganz da<strong>für</strong> einsetzen,<br />
dieser schwierigen Aufgabe gewachsen zu sein.<br />
Beruflicher Werdegang<br />
In einem solch feierlichen Augenblick gedenke<br />
ich dankbar meiner Lehrer, die mich auf meinem<br />
Berufsweg unterwiesen und förderten. Seit<br />
früher Kindheit stand <strong>für</strong> mich fest, dass nur der<br />
ärztliche Beruf infrage käme. Daran waren wohl<br />
die lange Familientradition und besonders das<br />
Beispiel meines Vaters schuld, der mit unendlicher<br />
Begeisterung seinem Beruf als Internist<br />
nachging. Leider verlor ich ihn, noch bevor ich<br />
mein Hochschulstudium begann. In den ersten<br />
Studienjahren fesselte mich besonders die<br />
Persönlichkeit des Anatomen Ferdinand Hochstetter.<br />
Bei seinem Nachfolger Eduard Pernkopf<br />
wurde ich als Demonstrator und nach dem Absolutorium<br />
<strong>für</strong> ein Jahr als Assistent beschäftigt.<br />
Hier konnte ich wissenschaftliche Exaktheit<br />
kennenlernen, als ich eine bescheidene Hilfe <strong>für</strong><br />
Adolf Lorenz,<br />
<strong>Wien</strong><br />
Fritz Lange,<br />
München<br />
Ärzteteam an der 1. Chirurgischen <strong>Universitätsklinik</strong><br />
in <strong>Wien</strong> <strong>im</strong> Jahr 1957<br />
Ärzteteam der Orthopädischen Univ.-Klinik <strong>im</strong> Jahr<br />
1969 mit Karl Chiari (Bildmitte)<br />
Karl Chiari<br />
(1912 – 1982)<br />
8<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ende als treuer Freund mit uns arbeitete und viele<br />
wertvolle Ratschläge erteilte, Prof. Alfred Saxl, der<br />
<strong>im</strong> Frühjahr von uns ging und sich über den heutigen<br />
Tag sicher sehr gefreut hätte. Mein besonders<br />
inniger Dank gilt weiterhin Prof. Schönbauer, der<br />
meinen Weg wohl entscheidend als Vorstand der<br />
I. Chirurgischen Klinik beeinflusste. Seiner Initiative<br />
danke ich es, dass ich mich noch während<br />
meiner orthopädischen Tätigkeit in der allgemeinen<br />
Chirurgie weiterbilden durfte, und er eröffnete<br />
mir dadurch den Weg, auch in der <strong>Orthopädie</strong> eine<br />
mehr operative Richtung einzuschlagen, wie dies<br />
die moderne <strong>Orthopädie</strong> erfordert.<br />
Die Zusammenarbeit mit den anderen Stationen<br />
der Klinik wurde intensiver, dadurch stieg auch<br />
die gegenseitige Achtung. In der schweren Nachkriegszeit<br />
sorgte Prof. Schönbauer um jedes einzelne<br />
Mitglied seiner Klinik und half uns, wo er konnte,<br />
obwohl er selbst wohl auch viel zu tragen hatte.<br />
Immer verfolgte er die Entwicklung der Orthopädischen<br />
Station mit größtem Interesse. Er räumte<br />
der <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> Rahmen des chirurgischen<br />
Unterrichts breiteren Raum ein. Ich war glücklich,<br />
nach dem Ausscheiden von Albert Lorenz wegen<br />
Erreichung der Altersgrenze mit der Leitung der Orthopädischen<br />
Station betraut zu werden. Ich danke<br />
ihm <strong>für</strong> das große Vertrauen, das er mir schenkte,<br />
und danke ihm <strong>für</strong> den wohlmeinenden Rat und die<br />
Förderung, die ich viele <strong>Jahre</strong> ständig bei ihm fand.<br />
So wurde die Zeit reif, dass nun in <strong>Wien</strong> mehrere<br />
chirurgische Teilfächer ihre Selbstständigkeit bekamen,<br />
und wir danken Prof. Fuchsig, diese Entwicko.<br />
Prof. Dr. Karl Chiari<br />
Pernkopfs einmaliges anatomisches Lehrbuch<br />
leisten durfte. Bald zog es mich aber zur praktischen<br />
chirurgischen Arbeit, und so trat ich vor<br />
mehr als 25 <strong>Jahre</strong>n als Hilfsarzt bei Ranzi ein.<br />
Unter seiner strengen, <strong>im</strong>mer gütigen Führung<br />
lernte ich einen mustergültigen klinischen Betrieb<br />
kennen und wurde in die Grundzüge der<br />
Chirurgie eingeführt und arbeitete unter seinen<br />
Assistenten Oppolzer, Paul Huber, Deuticke,<br />
Fuchsig, Avancini und Gerhard.<br />
Als <strong>im</strong> Februar 1938 eine Vertretung <strong>für</strong> die Orthopädische<br />
Station wegen eines Erkrankungsfalles<br />
gesucht wurde, meldete ich mich dorthin und<br />
arbeitete bei Julius Hass, der mich sehr freundlich<br />
aufnahm. Wenige Wochen später musste er mit<br />
vielen anderen ins Exil gehen, und ich wurde auf<br />
der <strong>Orthopädie</strong> festgehalten, obwohl ich eigentlich<br />
zunächst zur Chirurgie zurückstrebte. Nun wurde<br />
Gerhard Haberler mein Lehrer, dem ich meine<br />
Fachausbildung verdanke. Hervorgegangen aus der<br />
Schule Hocheneggs und Hass’, hatte er einige <strong>Jahre</strong><br />
an der Münchner Klinik gearbeitet. Ich hatte an<br />
ihm ein hervorragendes Beispiel eines gewissenhaften<br />
Arztes und eines hervorragenden kritischen<br />
Diagnostikers, der die Tradition der konservativen<br />
<strong>Wien</strong>er orthopädischen Schule weiterpflegte.<br />
Ab 1946 leitete Albert Lorenz die Orthopädische<br />
Station, der uns viel von der persönlichen Arbeit<br />
seines Vaters überliefern konnte und der mir in<br />
einmaliger Großzügigkeit die Freiheit gab, meine<br />
Arbeit weiterzuführen. Noch eines Mannes möchte<br />
ich hier in Dankbarkeit gedenken, der seit Kriegs-<br />
„Ich bin glücklich, dass gerade<br />
mir vergönnt ist, nun als Erster<br />
in Österreich eine selbstständige<br />
orthopädische <strong>Universitätsklinik</strong><br />
führen zu dürfen.”<br />
o. Prof. Dr. Karl Chiari<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 9
lung zu Ende geführt zu haben. Ich glaube, gleich<br />
hier versichern zu können, dass die Chirurgie in<br />
<strong>Wien</strong> dadurch nicht zerrissen worden ist, sondern<br />
dass wir alle durch persönliche Freundschaft und<br />
Zusammenarbeit den universellen Charakter der<br />
<strong>Wien</strong>er Chirurgie erhalten werden.<br />
Die Entwicklung der <strong>Orthopädie</strong> in Österreich<br />
An einem Festtag wie dem heutigen ist es wohl naheliegend,<br />
Rückschau zu halten, wie sich das Fach<br />
der <strong>Orthopädie</strong> überhaupt und speziell in Österreich<br />
entwickelt hat. Ich habe dieses Thema <strong>für</strong> die<br />
heutige Vorlesung gewählt, um dann aus der Entwicklung<br />
die Aufgaben, die uns jetzt bevorstehen,<br />
abzuleiten. Es liegt nahe, dass, solange es eine<br />
Heilkunde gibt, die Deformitäten des Rumpfes und<br />
der Extremitäten zu Versuchen Anlass geben, mit<br />
mehr oder weniger tauglichen Mitteln an der Korrektur<br />
zu arbeiten. Vor dem großen Aufschwung<br />
der Chirurgie musste aber den konservativen Maßnahmen<br />
der Vorzug gegeben werden. Wir finden<br />
dort, wo Aufzeichnungen geführt wurden, genaue<br />
treffende Beschreibungen der einzelnen angeborenen<br />
und erworbenen Fehlformen der Extremitäten<br />
und des Rumpfes. Die Schriften des Hippokrates<br />
geben uns bereits die Beschreibung der konservativen<br />
Behandlung der Deformitäten durch langsame,<br />
etappenweise Korrektur – z.B. des Klumpfußes. In<br />
der Folge wird die Behandlungsmethode nur noch<br />
abgewandelt und mit wechselnder Ausdauer und<br />
unterschiedlichem Geschick durchgeführt.<br />
Das Prinzip blieb gleich: schrittweise, langsame<br />
Korrektur. Zur Retention wurden diverse Materialen<br />
wie Holz, Eisen, Pflaster- und Harzverbände,<br />
schließlich Gips angewendet. Die neueste Entwicklung<br />
konnte nach 2.000 <strong>Jahre</strong>n nun wieder das alte<br />
Prinzip aufgreifen und heute wissenschaftlich untermauern<br />
und in ihrer Technik ausbauen. Kite hat<br />
vor einigen <strong>Jahre</strong>n das Prinzip des Aufdehnens der<br />
Klumpfußdeformität in allen Einzelheiten studiert<br />
und nachgewiesen, dass oft bei schwerster Deformität<br />
operative Eingriffe vollkommen unterbleiben<br />
können, weil das Bindegewebe, unter Spannung<br />
fixiert, nach einigen Tagen, am besten am dritten<br />
bis fünften Tag, einer neuerlichen Dehnung fähig<br />
ist. Auch die <strong>im</strong> Altertum verwendeten Extensionsbänke,<br />
z.B. mit einem Perinealpflock, erinnern an<br />
unsere heutigen Extensionstische. Streckmaßnahmen<br />
wurden auch damals schon bei Wirbelsäulenverbiegungen<br />
angewendet. Allgemein wird <strong>im</strong><br />
Altertum und auch später vor Gewaltmaßnahmen<br />
gewarnt – wegen der Schmerzen und der Gefahr<br />
der traumatischen Schädigung oder der Gangrän.<br />
Zur orthopädischen Behandlung war besonders<br />
handwerkliches Geschick erforderlich, neben unendlicher<br />
Geduld und Ausdauer. So werden uns<br />
aus dem 16. und 17. Jahrhundert zahlreiche Formen<br />
von Korrekturschienen nach dem Schraubenprinzip<br />
überliefert, die als Meisterwerke des Mechanikerhandwerkes<br />
betrachtet werden dürfen.<br />
Abb. 1 Abb. 2<br />
Die <strong>im</strong> Altertum verwendeten Extensionsbänke erinnern an die heutigen Extensionstische<br />
Chirurgische Geräte zur orthopädischen Behandlung: neben handwerklichem<br />
Geschick war viel Geduld und Ausdauer gefragt<br />
10<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Es ist kein Wunder, dass die <strong>Orthopädie</strong> vielfach<br />
von handwerklich gebildeten Laien betrieben wurde.<br />
So haben die „Bone-Setters” und „Truss makers”<br />
in England ausgezeichnete Behandlungserfolge<br />
zu verzeichnen gehabt, während die Ärzte<br />
sich mit den Deformitäten noch wenig beschäftigten.<br />
Die Erfahrungen dieser Laien wurden durch<br />
Familientradition überliefert, durften aber nicht<br />
aufgeschrieben werden. Erst die Zusammenarbeit<br />
der Medizin mit der mechanischen <strong>Orthopädie</strong><br />
konnte Fortschritt auf breiterer Basis erzielen. Die<br />
Erforschung der Pathologie und Ätiologie der Gelenksleiden<br />
musste zuerst vorangetrieben werden.<br />
Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, über alle<br />
diese Forschungen zu berichten. Ich darf nur die<br />
Namen Francis Glisson und Percivall Pott nennen,<br />
die als Chirurgen in der Wirbelsäulenpathologie<br />
wertvollste Erkenntnisse erarbeiteten. Zu einer<br />
wirklich breiteren Entwicklung der <strong>Orthopädie</strong> waren<br />
Anstalten notwendig, die orthopädische Kranke<br />
aufnehmen konnten. Venel gebührt das Verdienst,<br />
1780 in Orbe in der Schweiz eine Anstalt<br />
gegründet zu haben, die bald Weltruf, besonders<br />
<strong>für</strong> die Klumpfuß- und Skoliosebehandlung, erlangte.<br />
Aufgrund sein großes Organisationstalentes<br />
konnten <strong>im</strong> Haus Apparate durch Mechaniker<br />
hergestellt werden. Dadurch bekamen die meist<br />
kindlichen Patienten neben der meisterhaften<br />
ärztlichen Betreuung auch Heilgymnastik, Massage<br />
sowie Unterricht in der Anstalt.<br />
Dass die Anstalt nach seinem frühen Tod rasch<br />
an Bedeutung verlor, zeigt, wie groß die Persönlichkeit<br />
und Genauigkeit Venels gewesen ist, um<br />
seine Heilerfolge zu erzielen. Jeder einzelne Fall<br />
wurde mit einmaligem wissenschaftlichem Eifer<br />
beobachtet, individuell behandelt. Abgüsse vor<br />
und nach der Behandlung ließen den Behandlungserfolg<br />
objektivieren. In Frankreich fand das<br />
Beispiel bald Nachahmung. In Anstalten unter orthopädischer<br />
Führung erzielte man ausgezeichnete<br />
Behandlungserfolge. Zu Delpech, Charles<br />
Gabriel Pravaz, Guerina eilten die körperbehinderten<br />
Patienten, um Heilung zu finden.<br />
Auch in Deutschland erfolgte die Gründung zahlreicher<br />
Anstalten, meist konfessioneller Natur,<br />
die noch heute vielfach als <strong>Universitätsklinik</strong>en<br />
und hervorragende Anstalten orthopädischer Forschung<br />
weiterbestehen. Zuerst wurde 1816 von<br />
Johann Georg Heine, einem Instrumentenmacher<br />
der Universität Würzburg, eine Orthopädische Anstalt<br />
gegründet, die bald Weltruf erlangte. Heine<br />
studierte die Fehlformen und bekämpfte sie mit<br />
mechanisch ausgezeichnet wirkenden Apparatanordnungen,<br />
meist mit Federdruck und -zug. Der<br />
Großzügigkeit des Chirurgen Textor ist es zu danken,<br />
dass ihm als Laien die Krankenbehandlung<br />
nicht verboten wurde. Er soll gesagt haben: „Lasst<br />
ihn nur machen, unsere Kunst vermochte bisher<br />
nichts gegen diese Übel auszurichten; vielleicht<br />
findet er ein zweckmäßiges Verfahren.”<br />
Viele Formen von Korrekturschienen und frühen Prothesen<br />
waren Meisterwerke des Mechanikerhandwerkes<br />
Francis Glisson,<br />
England<br />
Percivall Pott,<br />
England<br />
Jean-André Venel,<br />
Schweiz<br />
Johann Georg Heine,<br />
Deutschland<br />
Charles Gabriel<br />
Pravaz, Frankreich<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 11
<strong>Orthopädie</strong> in der Hand einzelner Chirurgen<br />
Nur einzelne Chirurgen befassten sich damals<br />
mit orthopädischen Problemen. Chirurgen standen<br />
in dieser Zeit in aller Welt oft noch auf dem<br />
Standpunkt, dass schwerste Klumpfüße amputiert<br />
werden müssten. Eine neue Wendung erhielt<br />
die Entwicklung der <strong>Orthopädie</strong> durch Einführung<br />
speziell orthopädischer Operationen.<br />
Delpech und Strohmeyer, die durch die Einführung<br />
der subkutanen Tenotomie <strong>für</strong> die Behandlung des<br />
Klumpfußes und des Schiefhalses sowie anderer<br />
Kontrakturen ungeahnten Erfolg hatten, brachten<br />
der orthopädischen Behandlung neue medizinische<br />
Anregungen. Dieffenbach und Little sorgten <strong>für</strong> die<br />
Verbreitung dieser Methoden in Deutschland und<br />
England. Die subkutane Tenotomie war auch vor<br />
der Antisepsis und ohne Narkose zumutbar. Unvorstellbar<br />
ist, dass schon 1826 Barton in Amerika eine<br />
Fehlstellung der Hüfte durch Knochentrennung des<br />
Schenkelhalses mit der Säge korrigierte und ein<br />
rechtwinkelig gebeugtes Kniegelenk durch eine allerdings<br />
in fünf Minuten ausgeführte Keilresektion<br />
beseitigen konnte. Strohmeyer soll übrigens diese<br />
Methode als Übertreibung abgelehnt haben.<br />
1840: <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong><br />
Dieffenbach besuchte 1840 <strong>Wien</strong> und zeigte hier<br />
erstmals die neuen Tenotomien bei Schiefhals<br />
und Klumpfuß, die mit großem Interesse aufgenommen<br />
wurden. Wie stand es nun damals in<br />
<strong>Wien</strong> um die <strong>Orthopädie</strong>? Die Behandlung lag in<br />
der Hand des Chirurgen und bildete einen wesentlichen<br />
Bestandteil seiner Arbeit. Wattmann<br />
zeigte in seinem Handbuch der Chirurgie und in<br />
seiner Abhandlung über die Verrenkung des Hüftgelenkes<br />
Interesse <strong>für</strong> die Extremitätenchirurgie.<br />
Sein Schüler Lorinser pflegte besonders die konservative<br />
Behandlung der Skoliose und zog be<strong>im</strong><br />
Schiefhals seinen Streckapparat der Tenotomie<br />
vor. Er gründete 18<strong>50</strong> ein orthopädisches Institut,<br />
das großen Zulauf hatte. Seine Arbeiten lassen<br />
das Prinzip des Quengelverbandes als Grundsatz<br />
bei der Kontrakturbehandlung erkennen. Die<br />
Skoliose beschäftigte ihn in mehreren Publikationen.<br />
Vor Lorinser ist in <strong>Wien</strong> Wolfsohn zu erwähnen.<br />
Er führte um 1800 eine orthopädische<br />
Praxis und war gleichzeitig Inhaber einer k. u. k.<br />
privilegierten Fabrik <strong>für</strong> chirurgische Maschinen.<br />
Er verfertigte dort Prothesen, die besonders gut<br />
beweglich gewesen sein sollen, sonstige Stützapparate<br />
und chirurgische Maschinen.<br />
Er verwendete als einer der ersten Gummizüge in<br />
seinen Apparaten und bezeichnete sich als Bandagist.<br />
Ihm wird auch die Erfindung des Hühneraugenringes<br />
zugeschrieben.<br />
An der chirurgischen Klinik wurde Dumreicher<br />
der Nachfolger Wattmanns. In seine Amtsperiode<br />
fällt die Einführung der Narkose und später<br />
der Listerschen Antisepsis. Obwohl in aller Welt<br />
die Einführung der Narkose einen unerhört ra-<br />
Theodor<br />
Billroth, <strong>Wien</strong><br />
Johann Friedrich<br />
Dieffenbach, Berlin<br />
Eduard<br />
Albert, <strong>Wien</strong><br />
Leopold Ritter von<br />
Dittel, <strong>Wien</strong><br />
Carlos<br />
Nicoladoni, <strong>Wien</strong><br />
Jacques Matthieu<br />
Delpech, Frankreich<br />
Ludwig Strohmeyer, Deutschland,<br />
revolutionierte die Klumpfuß-Behandlung<br />
12<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
schen Aufschwung in der Größe der Operation<br />
brachte, blieb Dumreicher gerade auf dem Gebiet<br />
der Extremitätenchirurgie konservativ. In<br />
vielen Kliniken Europas wurden tuberkulöse Gelenke<br />
reseziert, wodurch viele Todesfälle an Miliartuberkulose<br />
und Sepsis sowie Amputationen<br />
und schwerste Verunstaltungen der Extremitäten<br />
verschuldet wurden. Dumreicher wandte<br />
sich gegen diese Methode. Bei der Osteomyelitis<br />
empfiehlt er, die Sequestrotomie in möglichst<br />
kleinen Schnitten, eventuell mit Zerstückelung<br />
des Sequesters, auszuführen. Dies ist ein durchaus<br />
moderner Gedanke. In seinen spärlichen<br />
Arbeiten berichtet er unter anderem über die<br />
Hüftverrenkung, die verzögerte Knochenbruchheilung.<br />
Dumreicher wird als hervorragender<br />
Lehrer gefeiert. Seine Schüler Eduard Albert,<br />
Carlos Nicoladoni und Leopold Ritter von Dittel<br />
sind als die eigentlichen Wegbereiter der modernen<br />
österreichischen <strong>Orthopädie</strong> anzusehen.<br />
Der Einfluss Billroths<br />
Es wäre aber falsch, sollte man annehmen, dass<br />
Billroth den orthopädischen Problemen ganz fern<br />
stand. In seinen früheren Arbeiten, noch aus<br />
Berlin aus der Langenbeckschen Klinik und aus<br />
Zürich, befasste er sich mit den Problemen der<br />
Extremitätenchirurgie. Besonders ist seine Arbeit<br />
über Knochenresorption zu erwähnen. Er veröffentlichte<br />
dabei interessante histologische Befunde<br />
über die Tätigkeit mehrkerniger Osteoklasten,<br />
womit er erkannte, dass es sich bei der Knochenresorption<br />
nicht um einen einfachen Zerfall der<br />
Knochenzelle mit ihrem umgebenden Lamellensystem,<br />
sondern um einen Resorptionsvorgang<br />
handelt.<br />
Wir finden in den Abhandlungen über Fußmissbildungen<br />
seinen Standpunkt, dass der kindliche<br />
Klumpfuß meist durch zwe<strong>im</strong>al wöchentlich gewechselte<br />
Gipsverbände zu heilen sei. Es ist dies<br />
die heutige Methode nach Kite.<br />
In der Amputationsfrage n<strong>im</strong>mt er energisch gegen<br />
die Prothesenbauer Stellung, die den Exartikulationsstumpf<br />
<strong>im</strong> Knie als minder günstig bezeichnen.<br />
Er sagt, es dürfte kein Zent<strong>im</strong>eter mehr von<br />
einer Extremität geopfert werden als notwendig<br />
und die Prothesenbauer haben sich den Verhältnissen<br />
unterzuordnen. Ein Standpunkt, den wir heute<br />
wohl nicht mehr ganz teilen können. Interessant<br />
ist eine Abhandlung über die Kniegelenksresektion<br />
in der Kriegschirurgie, die bei Kniedurchschüssen<br />
die Prognose wesentlich verbessert. Seine negative<br />
Ansicht über die Skoliosebehandlung, die in<br />
dem Ausspruch gipfelt, „der gute Schneider sei<br />
noch <strong>im</strong>mer die beste Behandlung der Skoliose”,<br />
wurde ihm als absolute Absage an die <strong>Orthopädie</strong><br />
angerechnet. In seiner <strong>Wien</strong>er Zeit kehrte er sich<br />
von den orthopädischen Problemen ab, und Adolf<br />
Lorenz, der die Größe Billroths restlos bewunderte,<br />
stellt fest, dass er von Billroth in der <strong>Orthopädie</strong><br />
nichts Wesentliches habe lernen können.<br />
Pioniere der <strong>Orthopädie</strong>:<br />
Eduard Albert, Dittel und Nicoladoni<br />
Dagegen sind Eduard Albert, Dittel und Nicoladoni<br />
Pioniere der <strong>Orthopädie</strong> geworden. Dittel veröffentlichte<br />
grundlegende Arbeiten über Skoliosen,<br />
Fußdeformitäten, Coxitis usw., bevor er sich der<br />
Urologie zuwandte, die ihn später in ihren Bann<br />
zog. Nicoladoni, ein einfallsreicher Chirurg, hat den<br />
Ruhm, als Erster die Sehne eines funktionstüchtigen<br />
Muskels auf einen gelähmten als Kraftspender<br />
übertragen zu haben. Eine Idee, die in der Folge<br />
in unzähligen Variationen geübt wurde und noch<br />
<strong>im</strong>mer Anwendung findet. Seine Arbeiten über die<br />
Schwächung der Achillessehnen in der Behandlung<br />
des Plattfußes zeigen sein funktionelles Denken.<br />
Zu erwähnen ist endlich seine klassische Beschreibung<br />
der Ischiasskoliose. Er erkennt, dass sie oft<br />
bei monoradikulären Störungen der Ischiasnerven<br />
vorkommen. Nicoladoni führte bis 1902 die chirurgische<br />
Klinik in Graz.<br />
Eduard Albert, der Nachfolger Dumreichers, in<br />
<strong>Wien</strong> <strong>im</strong>mer gerühmt wegen seines Lehrtalentes<br />
und seiner meisterhaften Sprache, befasste sich<br />
mit Vorliebe mit orthopädischen Problemen, die,<br />
wie erwähnt, Billroth in seiner <strong>Wien</strong>er Zeit nicht<br />
mehr fesselten. Die raschen Erfolge der Chirurgie<br />
ließen vielen Chirurgen kaum mehr Zeit, sich mit<br />
den zeitraubenden Problemen der Extremitäten zu<br />
befassen. Albert wollte nicht die waghalsige Entwicklung<br />
der modernen antiseptischen Chirurgie<br />
mitmachen. Sein Grundsatz war: „Eine riskante<br />
Operation darf nie vorgeschlagen werden, wenn<br />
der Vorteil nicht auf der Hand liegt.” So ist er wie<br />
Leopold Ritter von Dittel ein Gegner der Resektion<br />
tuberkulöser Gelenke. Er stellt ruhig und sorgt <strong>für</strong><br />
gute Lebensbedingungen. Der scharfe Löffel fresse<br />
den Tuberkelbazillus nicht auf. Die Gründung eines<br />
He<strong>im</strong>es in St. Pelagio in Istrien <strong>für</strong> knochentuberkulöse<br />
Kinder ist die erste Durchführung einer<br />
Heilstättenidee, seiner Zeit weit voraus. Eine neue<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 13
Lorenz gründete mit anderen<br />
Orthopäden die Deutsche orthopädische<br />
Gesellschaft und wurde<br />
auf der ganzen Welt anerkannt.<br />
Fast in allen Kapiteln der <strong>Orthopädie</strong><br />
leistete Lorenz Pionierarbeit.<br />
segensreiche Idee ist die operative Versteifung des<br />
Kniegelenkes bei Lockerung durch Lähmung. Neben<br />
zahlreichen Arbeiten über andere orthopädische<br />
Probleme stellen neue Untersuchungen über<br />
die Mechanik der Gelenke wichtige Beiträge zur<br />
Entwicklung der <strong>Orthopädie</strong> dar.<br />
Adolf Lorenz: der Lieblingsschüler Alberts<br />
Wir sehen, dass Adolf Lorenz, der Lieblingsschüler<br />
Alberts in Österreich, nicht ohne Grundlage<br />
seine Arbeit begann. An vielen Stellen war die<br />
<strong>Orthopädie</strong>, bei der oft die Operation weniger<br />
wichtig war, sondern die exakte, mühsame Nachbehandlung<br />
den Ausschlag <strong>für</strong> den Erfolg gab, <strong>für</strong><br />
den Chirurgen weniger interessant geworden als<br />
andere Gebiete der Chirurgie. Adolf Lorenz wollte<br />
sich zunächst auch der Bauchchirurgie zuwenden.<br />
Nach dreijähriger Tätigkeit konnte seine Haut die<br />
übermäßige Karbolanwendung der Lister-Aera<br />
nicht vertragen; die Chirurgie schien ihm nun<br />
verschlossen. Eduard Albert vertraute nun Lorenz<br />
ein Gebiet an, das ihm <strong>im</strong>mer am Herzen lag und<br />
wo Lorenz zu einmaligen Erfolgen kommen sollte.<br />
Es war die zunächst unblutige <strong>Orthopädie</strong>.<br />
Er verfasste grundlegende Arbeiten über Skoliosen,<br />
Platt- und Klumpfuß und befasste sich intensiv<br />
mit der konservativen Behandlung der Tuberkulose.<br />
Die Ruhigstellung in Gehgips wurde bei der<br />
Gelenktuberkulose konsequent bis zur Ausheilung<br />
durchgeführt. Für die Spondylitis gab er die Ruhigstellung<br />
<strong>im</strong> Gipsbett an. Bei seinem 90. Geburtstag<br />
bezeichnete Lorenz selbst das Gipsbett als eine seiner<br />
größten Entdeckungen. Vor Einführung dieser<br />
Behandlung muss das Elend der Spondylitiskranken<br />
<strong>für</strong> uns unvorstellbar gewesen sein. Adolf Lorenz’<br />
Tätigkeit wuchs so rasch an, dass die chirurgischen<br />
Ambulanzen seine Patienten nicht mehr<br />
fassen konnten. Sein Schwager Frank, der die II.<br />
Chirurgische Abteilung führte, trat ihm schließlich<br />
noch einen Raum ab. 1886 erhielt er dann in den<br />
Räumen der alten, zu klein gewordenen Spitalsküche<br />
zwei Behandlungsräume; auf sein unermüdliches<br />
Drängen schließlich vier Gastbetten. Dabei<br />
führte er doch blutige Operationen aus!<br />
Prof. Saxl erzählte uns, dass Lorenz oft frisch<br />
operierte Patienten in einem nahegelegenen<br />
Gasthaus untergebracht hatte und sie nachmittags<br />
mit einer Wärterin besuchte. Seine meisten<br />
Patienten musste er in Privatanstalten verlegen.<br />
Auf mehreren Studienreisen hatte Lorenz die Behandlungsversuche<br />
der angeborenen Hüftverrenkung,<br />
besonders in Frankreich bei Pravaz, gesehen,<br />
der durch sehr lange Extension und nachfolgende<br />
jahrelange funktionelle Nachbehandlung einige<br />
Heilungen erzielen konnte. Bei Hoffa in Würzburg<br />
sah er dann blutige Repositionen, die allerdings<br />
wegen der hochgradigen Muskelverletzungen<br />
kaum gute Erfolge boten. Bergmann soll einmal<br />
gesagt haben: „Die unbehandelten Kinder watscheln<br />
bei Hüftluxationen wie gesunde Enten, die<br />
von Hoffa operierten wie kranke Enten.”<br />
Lorenz begann in dieser Zeit wieder seine Operationstätigkeit,<br />
wobei er die Alkoholwaschung<br />
verwendete. Er bereitete die blutige Reposition<br />
durch Längszug zur Aufdehnung der Muskelverkürzungen<br />
vor. Die <strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 1895 in einer<br />
Monographie zusammenfassten 200 Fälle bieten<br />
<strong>für</strong> damals, aber auch <strong>für</strong> heutige Verhältnisse<br />
14<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
erstaunliche Erfolge. Er hatte die Funktion erhalten.<br />
Komplikationen hatten sich aber doch<br />
auch eingestellt, und drei Fälle hatte er durch<br />
Sepsis verloren. Nun begann die Suche nach<br />
der Möglichkeit der unblutigen Reposition, deren<br />
Ausführungsmöglichkeit zunächst während<br />
der Operation studiert wurde und die schließlich<br />
unblutig ausgeführt wurde. Die inzwischen<br />
möglich gewordene Röntgenkontrolle verschaffte<br />
den Beweis der gelungenen Reposition; die<br />
darauf folgende lange Retention <strong>im</strong> Gips führte<br />
oft zu einer normalen Gelenksentwicklung. 1897<br />
demonstrierte er seine neue Methode in Berlin,<br />
wurde aber vom Vorsitzenden Franz König in einer<br />
denkwürdigen Sitzung scharf kritisiert, weil<br />
diese phantastischen Gedanken <strong>für</strong> ein wissenschaftliches<br />
Forum nicht geeignet seien.<br />
Damit vollzog sich auch äußerlich die Trennung<br />
von der Chirurgie, und Lorenz gründete mit anderen<br />
Orthopäden die Deutsche orthopädische<br />
Gesellschaft. Lorenz behielt recht und wurde auf<br />
der ganzen Welt anerkannt. Fast in allen Kapiteln<br />
der <strong>Orthopädie</strong> leistete Lorenz Pionierarbeit.<br />
Seine Methoden waren einfach; das modellierende<br />
Redressement ersetzte be<strong>im</strong> Klumpfuß<br />
die damals in Mode gekommene operative Korrektur.<br />
Das Schiefhalsleiden wurde durch einfache<br />
Tenotomie und Ausgleich der Skoliose in<br />
Überkorrektur in Gips festgehalten. Trotz seiner<br />
ungeheuren Verdienste konnte Lorenz erst 1914<br />
die Errichtung einer kleinen orthopädischen Abteilung<br />
mit 40 Betten erzielen, die Errichtung<br />
einer großen Spezialklinik wurde ihm versagt.<br />
Lorenz hatte nach dem Krieg sein Vermögen<br />
verloren und reiste nun jedes Jahr nach Amerika,<br />
wo sein Ruhm ihm reiche Tätigkeit sicherstellte.<br />
Er konnte in dieser Zeit durch seine Verbindungen<br />
vielen österreichischen Kindern Hilfe<br />
bringen. 1924 verabschiedete er sich <strong>im</strong> Alter<br />
von 70 <strong>Jahre</strong>n von seiner Abteilung.<br />
Nachfolger von Lorenz<br />
Bei seiner Verabschiedung gab er, aus uns heute<br />
wenig verständlichen Gründen, seine Abteilung<br />
an die Chirurgie zurück. Er hat das Fach<br />
von der Chirurgie übernommen, entwickelte es<br />
und gab es als fertiges Werk zurück. Eiselsberg<br />
und Hochenegg verwalteten die Stationen nun<br />
gemeinsam. Julius Hass führte die Station, fand<br />
aber wenig Förderung. Manchmal drohte sogar<br />
die Auflösung. Schließlich wurden von Hochenegg<br />
1935 die Schwestern der orthopädischen Kinderstation<br />
abgezogen, da<strong>für</strong> überließ er die ganze<br />
restliche <strong>Orthopädie</strong> der I. Chirurgischen Klinik.<br />
Die Kinder der orthopädischen Station mussten<br />
<strong>im</strong> ersten Hof als Gäste der chirurgischen Kinderstation<br />
untergebracht werden. Alle Bestrebungen<br />
von Hass waren vergeblich, die orthopädische<br />
Station zu vergrößern, geschweige denn wieder<br />
selbstständig zu machen, obwohl er durch seine<br />
zahlreichen Arbeiten weit über die Grenzen Ös-<br />
Adolf und Albert Lorenz Gedenkstätte <strong>im</strong> 1. <strong>Wien</strong>er Gemeindebezirk: Die Ordination in der Rathausstraße 21 ist bis heute unverändert erhalten und dient nun als museale Gedenkstätte <strong>für</strong><br />
die <strong>Orthopädie</strong>. Adolf Lorenz unterhielt ab 1903 <strong>im</strong> 2. Stock seine gut gehende Privatpraxis<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 15
terreichs hinaus bekannt war. Eine Sehnenverpflanzung<br />
zur Behandlung der Radialislähmung<br />
trägt seinen Namen, die extraartikuläre Arthrodese<br />
des Hüftgelenkes wurde von ihm besonders<br />
gepflegt. Auch Probleme der Luxation und der<br />
Gelenksplastik lagen ihm <strong>im</strong>mer am Herzen.<br />
Unter meinem Lehrer Haberler, der sich besondere<br />
Verdienste um die Frühestbehandlung der angeborenen<br />
Hüftluxation erworben hat, konnte die<br />
Orthopädische Station während des Zweiten Weltkrieges<br />
auf 80 Betten vergrößert werden, da das<br />
Orthopädische Spital von der Wehrmacht beansprucht<br />
wurde und zu wenig Raum zur Aufnahme<br />
von Zivilpatienten vorhanden war. Nach dem Krieg<br />
konnte die Bettenzahl der Station erhalten bleiben.<br />
Die Geschichte der <strong>Wien</strong>er <strong>Orthopädie</strong> wäre aber<br />
unvollständig, wollte man nur über Lorenz und<br />
seinen Schüler sprechen. Hans Spitzy, ein Schüler<br />
Escherichs und Hoffas, führte von 1898 bis<br />
1913 eine Kinderchirurgische Station an der Grazer<br />
Kinderklinik. Er war besonders den Fragen<br />
der körperlichen Erziehung unserer Jugend aufgeschlossen<br />
und veranlasste die Modernisierung<br />
des Turnunterrichtes unserer Schuljugend.<br />
Größten Ruhm erwarb er sich nach seiner Rückkehr<br />
nach <strong>Wien</strong>, als er <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg sein<br />
hervorragendes Organisationstalent bewies, indem<br />
er 1915 eine Lazarettgruppe übernahm,<br />
um Kriegsversehrte zu versorgen. Mit dem<br />
Zentrum in der Gassergasse unterstanden ihm<br />
schließlich 4.000 Betten. Im Lazarett und in der<br />
Invalidenschule wurden Kriegsversehrte erstmalig<br />
ärztlich, sozial und wirtschaftlich betreut.<br />
Er zeigte das Vorbild einer Arbeit, die heute als<br />
Rehabilitation bezeichnet wird. Das orthopädische<br />
Spital blieb nach dem Ersten Weltkrieg erhalten<br />
und wurde eine erstrangige Forschungsstelle<br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>. Wir verdanken Spitzy ein<br />
reiches Schrifttum. In der Luxationsbehandlung<br />
brachte er die Pfannenplastik erstmalig in eine<br />
brauchbare Form. Im Zweiten Weltkrieg arbeiteten<br />
zahlreiche Schüler Spitzys wieder <strong>im</strong> Orthopädischen<br />
Lazarett in der Gassergasse. Trotz<br />
des Bombenschadens der Gassergasse konnte<br />
Erlacher die Anstalt nach dem Krieg zuerst in<br />
der Hofburg weiter erhalten und jetzt in Speising<br />
in schönem neuem Rahmen weiterführen.<br />
Erlachers Rührigkeit und Umsicht sowie seiner<br />
reichen wissenschaftlichen Tätigkeit verdanken<br />
wir eine internationale Zusammenarbeit nach<br />
dem Krieg, die in der Veranstaltung des Internationalen<br />
<strong>Orthopädie</strong>kongresses <strong>im</strong> nächsten<br />
Jahr in <strong>Wien</strong> ihren Höhepunkt finden wird.<br />
Im Anschluss an Spitzys Orthopädisches Spital<br />
entstand nach dem Ersten Weltkrieg die Körperbehindertenschule<br />
unter der Leitung von Reg.-<br />
Rat Hans Radl. Sie wurde zu einem hervorragenden<br />
Zentrum der Körperbehinderten<strong>für</strong>sorge.<br />
Radls Initiative danken wir auch die Schaffung<br />
eines Körperbehindertenhe<strong>im</strong>es in Rodaun, und<br />
Hans Spitzy,<br />
Graz<br />
Arnold Wittek,<br />
Graz<br />
Behandlung der Schulter: nicht <strong>im</strong>mer steht eine operative<br />
Therapie <strong>im</strong> Mittelpunkt<br />
Ärzteteam rund um Karl Chiari 1976<br />
16<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ich danke ihm <strong>für</strong> die vielen Anregungen, die ich<br />
von ihm in den Fragen der Körperbehinderten<strong>für</strong>sorge<br />
in den <strong>Jahre</strong>n unserer engen Zusammenarbeit<br />
erhielt.<br />
Orthopädisches Wirken in ganz Österreich<br />
Für die Betreuung der Knochentuberkulose erwarb<br />
sich Arnold Wittek in Graz, der bedeutende<br />
Schüler Nicoladonis, einmalige Verdienste durch<br />
die Gründung der Heilstätte auf der Stolzalpe.<br />
Ihm verdanken wir auch einen Neubau <strong>für</strong><br />
die Knochenstation in der Heilstätte Gr<strong>im</strong>menstein,<br />
deren Patienten derzeit von meiner Klinik<br />
mitbetreut werden. Ich konnte heute nur<br />
ausschnittsweise, ohne Anspruch auf Vollständigkeit<br />
zeigen, wie die <strong>Orthopädie</strong> in Österreich<br />
gegen viele Widerstände langsam an Bedeutung<br />
gewann. In den letzten <strong>Jahre</strong>n schien es mir von<br />
größter Bedeutung, gut ausgebildete Fachärzte<br />
zur Niederlassung in den Provinzstädten zu veranlassen.<br />
Nur dadurch konnten die orthopädischen<br />
Fälle rechtzeitig erfasst werden.<br />
Heute arbeiten mehrere meiner Schüler in verschiedenen<br />
Provinzstädten, und ich bin überzeugt,<br />
dass dadurch der Volksgesundheit ein<br />
wesentlicher Nutzen erwachsen ist, weil nun<br />
Frühbehandlungen angeborener Leiden be<strong>im</strong><br />
leicht erreichbaren Facharzt durchgeführt werden<br />
können. Viele Fälle, die früher zu spät an die<br />
Klinik gewiesen wurden, kommen jetzt rechtzeitig<br />
zur Behandlung. Allerdings ergibt sich die<br />
Schwierigkeit <strong>für</strong> die Fälle, bei denen operative<br />
oder konservative Spitalsbehandlung notwendig<br />
ist, orthopädische Betten bereitzustellen.<br />
Wir müssen in Zukunft danach streben, zusätzliche<br />
orthopädische Behandlungsstationen<br />
zu errichten.<br />
Das <strong>AKH</strong> als Zentrum der <strong>Orthopädie</strong><br />
Die Klinik soll nämlich <strong>im</strong> neuen Allgemeinen<br />
Krankenhaus keine Vermehrung, sondern sogar<br />
weniger Betten erhalten, als sie heute besitzt.<br />
Zusätzliche orthopädische Betten sind also<br />
notwendig. Die Stadt <strong>Wien</strong> hat <strong>im</strong> letzten Jahr<br />
durch die Errichtung der orthopädischen Abteilung<br />
auf der Baumgartner Höhe einen erfreulichen<br />
Anfang gemacht. In Salzburg ergriff Prof.<br />
Domanig die Initiative, eine Orthopädische Abteilung<br />
zu schaffen. Auch in der Betreuung <strong>für</strong><br />
Körperbehinderte werden wir nach Aufbau und<br />
Neuerrichtung von Anstalten streben müssen.<br />
Wir sind in Österreich auch in dieser Hinsicht<br />
weit hinter dem Ausland zurück.<br />
Wir wissen, dass wir nun nach der Errichtung einer<br />
Klinik große Aufgaben in wissenschaftlicher,<br />
volksgesundheitlicher und sozialer Hinsicht zu<br />
erfüllen haben werden. Nach der Tradition unterscheidet<br />
sich unsere orthopädische Arbeit von<br />
zahlreichen ausländischen Kliniken dadurch, dass<br />
die Unfallchirurgie nicht auch mitversorgt wird.<br />
Bekanntlich haben in Österreich Eiselsberg und<br />
Hochenegg die Unfallchirurgie durch die Schaffung<br />
der Unfallstationen gefördert. Durch die einmaligen<br />
Verdienste Böhlers ist dieses Fach bei uns<br />
von der <strong>Orthopädie</strong> getrennt zu hervorragender<br />
Blüte gelangt. Unser eigenes Fach hat sich in<br />
den letzten <strong>Jahre</strong>n, in denen ich die Entwicklung<br />
mitmachte, wesentlich verändert. Eine dauernde<br />
Fortentwicklung ist festzustellen. Es umfasst heute<br />
die chirurgische und konservative Behandlung<br />
vorwiegend chronischer Erkrankungen, der angeborenen<br />
Fehlbildungen des Bewegungsapparates<br />
einschließlich Apparat- und Prothesenversorgung<br />
sowie die Rehabilitation. Unsere Arbeitsmethoden<br />
und unser Krankengut haben sich grundsätzlich<br />
geändert. Es wurden neue Arbeitsgebiete erschlossen,<br />
die unser Fach wesentlich erweitern.<br />
Adolf Lorenz hatte wohl nicht recht mit seiner<br />
Vorhersage, dass er das Fach sozusagen zu Ende<br />
entwickelt habe. Ein Wort, das sich so verhängnisvoll<br />
auf die weitere Entwicklung in Österreich<br />
auswirkte. Ebenso wenig können wir Böhler recht<br />
geben, der am heurigen <strong>Orthopädie</strong>kongress aussprach,<br />
dass die <strong>Orthopädie</strong> durch die Prophylaxe<br />
und Ausschaltung von Rachitis, Tuberkulose und<br />
angeborenen Missbildungen ihre wesentlichsten<br />
Arbeitsgebiete verloren habe.<br />
Ich möchte nun an einigen Beispielen moderne<br />
Probleme der <strong>Orthopädie</strong> aufzeigen, die uns<br />
jetzt an der Klinik laufend beschäftigen und an<br />
denen wir weiterzuarbeiten trachten. Bleiben wir<br />
zunächst be<strong>im</strong> Krankheitsbild der angeborenen<br />
Hüftverrenkung. Zur Zeit von Adolf Lorenz war es<br />
eine unerhörte Neuerung, die bis dahin unbeeinflussbare<br />
Missbildung soweit heilen zu können,<br />
dass die Funktion <strong>im</strong> Kindesalter vollkommen<br />
wiederhergestellt schien. Leider zeigte sich, dass<br />
mancher zunächst günstige Fall später einen ungünstigen<br />
Verlauf nahm, weil nur die Fälle, die<br />
wirklich eine vollkommene Wiederherstellung,<br />
also eine anatomische Heilung erzielten, auf eine<br />
dauernd gute Funktion rechnen können.<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 17
Ganz neue Probleme wirft die<br />
Altersorthopädie auf, die durch<br />
das höhere durchschnittlich<br />
erreichte Lebensalter in der<br />
Bevölkerung <strong>im</strong>mer mehr an<br />
Bedeutung gewinnt.<br />
Das Ziel kann einerseits durch die Frühbehandlung<br />
erreicht werden. Man durfte nicht warten,<br />
bis bei Gehbeginn das Hinken auftrat; man<br />
musste Wege finden, schon <strong>im</strong> frühen Säuglingsalter<br />
zur Diagnose zu kommen. Zunächst<br />
schien dieser Weg insofern zu enttäuschen, als<br />
der Oberschenkelkopf <strong>im</strong> ersten Lebensjahr<br />
sehr empfindlich ist und durch eine unblutige<br />
Einrenkung leicht mechanisch geschädigt werden<br />
kann. Die Gelenkspfanne bildete sich wohl<br />
besser aus, der Oberschenkelkopf war jedoch<br />
häufig deformiert und <strong>für</strong> das spätere Leben<br />
dauernd geschädigt. Hier konnte erst die Frühestbehandlung<br />
in den ersten Lebenswochen<br />
volle Abhilfe schaffen, die in <strong>Wien</strong> von Haberler<br />
und Arnulf Meier eingeführt wurde. Durch einfache<br />
Lagerung konnten die Kinder von ihrem Leiden<br />
definitiv befreit werden. Auch bei späterer<br />
Diagnose lernten wir durch vorherige Extension<br />
und vorsichtiges, zartes Vorgehen bei der Einrichtung<br />
Schädigungen seltener zu machen.<br />
Trotz aller Aufklärung und organisatorischer Arbeit<br />
gelingt es auch jetzt noch nicht, alle Fälle<br />
rechtzeitig zu erfassen. Für ältere Fälle sind <strong>im</strong><br />
Ausland, besonders in Frankreich und Italien, <strong>im</strong>mer<br />
mehr die operativen Methoden zur Einrichtung<br />
der angeborenen Hüftgelenksverrenkung<br />
herangezogen worden, weil die unblutige Einrichtung<br />
die Gefahr der Oberschenkelkopfnekrose in<br />
sich birgt. Auch wir mussten <strong>für</strong> manche Fälle, in<br />
denen eine Repositionsschwierigkeit besteht, den<br />
operativen Weg wählen. Es wurde eine ganz schonende<br />
Methode der operativen Einrichtung ausgearbeitet,<br />
die auch kleinsten Säuglingen ohne<br />
Gefahr zugemutet werden kann und die das Repositionshindernis,<br />
das in der Kapselspannung liegt,<br />
durch einen sehr kleinen Eingriff beseitigt. Wir<br />
nähern uns in diesem Punkt also der operativen<br />
Einstellung der französischen Schule von Levuef<br />
und Bertrand. Allerdings will unsere Operation an<br />
den Vorteilen der Lorenzschen Behandlung festhalten.<br />
Wir folgten nach der offenen Einrichtung<br />
der Originalmethode der unblutigen Behandlung<br />
von Lorenz, während die Franzosen, wenn sie<br />
schon operieren, der Natur vorgreifen und gleich<br />
ein künstliches Pfannendach und eine Schenkelhalsumstellung<br />
ausführen, obwohl diese zusätzlichen<br />
Eingriffe durch die natürliche Entwicklung<br />
häufig überflüssig werden. Ich halte es <strong>für</strong> eine<br />
Aufgabe prinzipieller Natur, heute dem Streben<br />
nach der unnötigen Ausdehnung der Operationen<br />
die Vorteile der konservativen Behandlung gegenüberzustellen<br />
und diese nie zu vergessen. Wir<br />
sollen auch nach der Grundidee von Lorenz und<br />
Albert <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Einfachen den Vorteil sehen.<br />
Im gleichen Sinne ist es mir gelungen, die Pfannendachplastik,<br />
die seinerzeit von Spitzy angegeben<br />
wurde, wesentlich zu vereinfachen und in<br />
ihrer Wirkung zu verbessern. Spitzy stellte aus<br />
transplantierten Knochen bei einer Subluxation<br />
eines Hüftgelenkes mit flacher Gelenkspfanne ein<br />
künstliches Dach her, indem er Knochenspäne<br />
fest in das Hüftbein oberhalb des Gelenkes eintrieb.<br />
Die Operation führt zu guten Ergebnissen,<br />
wenn die Knochenheilung ungestört vor sich geht.<br />
Die funktionellen Ergebnisse sind aber nicht ideal,<br />
weil die krankhafte Stellung des Oberschenkelkopfes,<br />
der nach lateral verlagert ist, nicht korri-<br />
18<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
giert wird. Durch eine quere Durchtrennung des<br />
Beckenringes knapp ober dem Kapselansatz und<br />
Medialverschiebung des ganzen Hüftgelenkes gelingt<br />
es, die Meißelfläche über das Hüftgelenk zu<br />
schieben. So entsteht in kurzer Zeit ohne Knochenverpflanzung<br />
ein gutes Pfannendach und der<br />
Oberschenkelkopf ist wieder an die normale Stelle<br />
gerückt, so dass eine normale Funktion in mehr<br />
als zwei Drittel der Fälle zu erzielen ist. Es war <strong>für</strong><br />
mich eine große Befriedigung, auf Kongressen und<br />
in persönlicher Aussprache aus aller Welt über gute<br />
Resultate mit dieser Methode zu hören.<br />
Probleme der Altersorthopädie<br />
Ganz neue Probleme wirft die Altersorthopädie<br />
auf, die durch das höhere durchschnittlich erreichte<br />
Lebensalter in der Bevölkerung <strong>im</strong>mer<br />
mehr an Bedeutung gewinnt. Es sind hier die<br />
Abnützungserkrankungen an den Gelenken, die<br />
uns beschäftigen müssen. Es zeigt sich, dass viele<br />
degenerative Gelenkserkrankungen, die wir<br />
als Arthrosis deformans bezeichnen, deswegen<br />
auftreten, da statisch ungünstige Veränderungen<br />
<strong>im</strong> Hüftgelenk vorliegen. Es ist eine wichtige Erkenntnis<br />
von Pauwels, dass es möglich ist, bei<br />
rechtzeitiger Verbesserung der statischen Verhältnisse<br />
besonders <strong>im</strong> Hüftgelenk eine schon <strong>im</strong><br />
Gange befindliche Arthrose auch bei alten Patienten<br />
noch zum Rückgang zu bringen.<br />
Die verschiedenen Korrekturoperationen <strong>im</strong> Sinne<br />
der Varisierung und Valgisierung des Schenkelhalses<br />
führen durch Schaffung günstigerer statischer<br />
Bedingungen zu einer röntgenologisch nachweisbaren<br />
Verbreiterung des Gelenkspaltes und zur<br />
Normalisierung der Struktur <strong>im</strong> Oberschenkelkopf<br />
und <strong>im</strong> Pfannendach. Die Schmerzen lassen nach.<br />
Auch die früher geschilderte und von mir angegebene<br />
Beckenosteotomie kann bei Erwachsenen<br />
ähnliche Verbesserungen bringen. Bei schwerster<br />
Hüftarthrose hat die Muskeldurchschneidung nach<br />
Voss, die sogenannte Hängehüfte, zu weitgehender<br />
Linderung der Schmerzen geführt. Größere<br />
operative Eingriffe können durch die Verbesserung<br />
der Narkosemöglichkeiten bei alten Leuten ausgeführt<br />
werden. Die Gelenksplastik, mit der wir uns<br />
seit <strong>Jahre</strong>n beschäftigen, befriedigt noch nicht voll,<br />
wenn wir auch bei strengster Indikation vielen Patienten<br />
besonders <strong>im</strong> hohen Alter helfen konnten.<br />
In der Behandlung der Skoliose sind die konservativen<br />
Bestrebungen seit Jahrzehnten nicht viel<br />
besser geworden. In der ganzen Welt werden die<br />
Skoliosen, die ein rasches Fortschreiten zeigen,<br />
mit operativen Methoden behandelt. Nach vorheriger<br />
Formkorrektur in Gipsmieder und Gipsbett<br />
werden große Wirbelsäulepartien operativ versteift,<br />
um der zunehmenden Verformung der Wirbelsäule<br />
und des Brustkorbes entgegenzutreten.<br />
Wir sehen, dass es an Problemen in unserem Fach<br />
nicht mangelt, obwohl ich nur einzelne Ausschnitte<br />
aufzeigen konnte. Wir werden <strong>im</strong>mer bestrebt sein,<br />
an dem Fortschritt unseres Faches teilzunehmen,<br />
um mit dem Ausland schrittzuhalten, aber doch an<br />
den bewährten, konservativen, ärztlich ausgerichteten<br />
Prinzipien der <strong>Wien</strong>er Schule festhalten.<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Chiari<br />
Biografie o. Prof. Dr. Karl Chiari<br />
9.6.1912 Geburtstag<br />
1930 Matura am Schottengymnasium<br />
in <strong>Wien</strong><br />
1936 Promotion Dr. med.<br />
1936 Hilfsarzt zu Egon Ranzi an der<br />
I. Chirurgische Univ.-Klinik<br />
1938 Schüler von Julius Hass und<br />
später Gerhard Haberler an<br />
der Orthopädischen Station<br />
dieser Klinik.<br />
1939 Oberarzt der Orthopädischen<br />
Station<br />
ab 1945 Tätigkeit unter Albert Lorenz an<br />
der Orthopädischen Station<br />
1951 – 1962 Nachfolger von Lorenz/<br />
Leitung der Orthopädischen<br />
Station<br />
1953 Habilitation über die Acrylharzprothesen<br />
<strong>im</strong> Hüftgelenk und<br />
erste Publikationen über die<br />
Beckenosteotomie<br />
1961 ao. Professor<br />
7.12.1962 erster Ordinarius <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong><br />
1962 – 1982 Vorstand der neuen Univ.-Klinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>Wien</strong>er<br />
<strong>AKH</strong><br />
18.1.1982 Chiari stirbt in <strong>Wien</strong><br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 19
Ein wissenschaftliches Leben <strong>für</strong> die <strong>Orthopädie</strong><br />
Abschiedsvorlesung von<br />
o. Prof. Dr. Rainer Kotz,<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong>,<br />
am 30.9.2009:<br />
Bevor ich ein Resümee der 25 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
an der Univ.-Klinik in <strong>Wien</strong> unter meiner<br />
Leitung gebe, möchte ich einen kurzen historischen<br />
Rückblick machen. Während an der I.<br />
Chirurgie Prof. Billroth <strong>im</strong> 19. Jahrhundert sensationelle<br />
Operationen <strong>im</strong> Hörsaal vor Studenten<br />
in Zivilkleidung vollführte, arbeitete Prof.<br />
Albert zur gleichen Zeit an der II. Chirurgischen<br />
<strong>Universitätsklinik</strong>, die sich damals <strong>im</strong> Alten <strong>AKH</strong><br />
befand und später zur I. Chirurgie wurde, <strong>im</strong><br />
Stillen. Auch er operierte <strong>im</strong> Hörsaal zwischen<br />
zivilgekleideten Studenten, hatte aber zur damaligen<br />
Zeit Randgebiete der Chirurgie <strong>im</strong> Auge<br />
wie die Extremitätenbehandlung, aber auch die<br />
plastische Chirurgie und die Neurochirurgie geht<br />
auf Eduard Albert zurück. Sein Lieblingsschüler<br />
allerdings war Adolf Lorenz, der von 1854 bis<br />
1946 lebte und als junger Mann unter Eduard<br />
Albert mit einer glänzenden chirurgischen Karriere<br />
begann, die allerdings jäh durch ein Karbolekzem<br />
bei der damals notwendigen Antisepsis<br />
ein jähes Ende nahm.<br />
Eduard Albert, der ihn aber wegen seiner Begabung<br />
sehr schätzte, riet ihm damals: „Wenn’s mit<br />
der nassen Chirurgie nicht geht, versuchen Sie’s<br />
doch mit der trockenen.” Dadurch wurde Lorenz<br />
zur unblutigen Einrenkung der luxierten Hüften<br />
inspiriert. Damit wurde er nach seinem Vortrag<br />
1901 in Berlin Mitbegründer der deutschen Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> und weltberühmt. Die<br />
Gründung einer eigenen Klinik in <strong>Wien</strong> blieb der<br />
<strong>Orthopädie</strong> aber bis zum Jahr 1962 versagt,<br />
und Prof. Adolf Lorenz wurde nur außerordentlicher<br />
Universitätsprofessor ohne Bezüge. Die<br />
hatte er allerdings nicht notwendig, da er einer<br />
der bestverdienenden Ärzte seiner Zeit war. Er<br />
hatte eine gutgehende Privatordination in der<br />
Rathausstraße 21 und eine wunderschöne Jugendstilvilla<br />
in Altenberg an der Donau, die heute<br />
der Sitz der Konrad-Lorenz-Gesellschaft ist,<br />
die seinem jüngeren Sohn und österreichischen<br />
Nobelpreisträger gewidmet ist. Die Ordination<br />
in der Rathausstraße 21 ist durch einen glücklichen<br />
(nämlich durch die Stiftung einer Witwe<br />
des Sohnes Albert Lorenz)unverändert erhalten<br />
und ist heute eine museale Gedenkstätte <strong>für</strong> die<br />
<strong>Orthopädie</strong>. In der <strong>Orthopädie</strong> hat es zurzeit des<br />
1. Weltkrieges einen zweiten, etwas jüngeren,<br />
sehr prominenten Chirurgen gegeben, der sich<br />
Theodor Billroth<br />
(1829 – 1894)<br />
Eduard Albert<br />
(1841 – 1900)<br />
Adolf Lorenz<br />
(1854 – 1946)<br />
Die Ordination von Prof. Lorenz ist heute<br />
eine Gedenkstätte der <strong>Orthopädie</strong><br />
Das Arbeitsz<strong>im</strong>mer von Prof. Lorenz ist<br />
noch <strong>im</strong> Originalzustand erhalten<br />
20<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
o. Prof. Dr. Rainer Kotz<br />
mit <strong>Orthopädie</strong> und Rehabilitation beschäftigte,<br />
nämlich Hans Spitzy, der von 1872 bis 1956 gelebt<br />
hat und seine Karriere mit der Organisation<br />
eines Lazaretts <strong>im</strong> 1. Weltkrieg begründet hat.<br />
Spitzy war auch Mitbegründer der SICOT (Orthopädische<br />
Weltgesellschaft), die 1929 in Paris<br />
aus der Taufe gehoben wurde und <strong>für</strong> die er speziell<br />
die Statuten beigetragen hat. Spitzy selbst<br />
hat die Rehabilitation aus der Gassergasse in<br />
das orthopädische Spital in Speising überführt<br />
und war dort tätig. 1924 kam er in einem Zweier-Vorschlag<br />
gemeinsam mit Arnold Wittek aus<br />
Graz <strong>für</strong> die Besetzung der Nachfolge von Adolf<br />
Lorenz als Extraordinarius infrage. Die Besetzung<br />
wurde aber nie durchgeführt, zu einem<br />
Teil wurde sie auch von Adolf Lorenz, der in ihm<br />
einen Konkurrenten sah, verhindert, zum anderen<br />
war Wittek schon in Graz etabliert. Dadurch<br />
wurde der Schüler von Adolf Lorenz – Julius<br />
Hass – der Nachfolger in der orthopädischen Ambulanz<br />
<strong>im</strong> <strong>AKH</strong>. Nachdem Hass 1939 nach New<br />
York emigrierte, wurde Gerhard Haberler nach<br />
<strong>Wien</strong> berufen. Auch er war ein ehemaliger Schüler<br />
von Adolf Lorenz, der zwischenzeitlich nach<br />
München zu Prof. Fritz Lange gegangen war, der<br />
schon seit 1914 einen Lehrstuhl <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
hatte. Gerhard Haberler (1897 – 1980), der in<br />
der Kriegszeit tätig war und die Frühbehandlung<br />
der Hüftluxation durch Röntgenuntersuchung<br />
eingeführt hat, konnte nach dem Krieg seine Position<br />
nicht behalten, und es ist dann der ältere<br />
Sohn von Adolf Lorenz, nämlich Albert Lorenz<br />
(1885 – 1970) Nachfolger geworden. Unter ihm<br />
hat schon ein aufstrebender, junger Orthopäde<br />
gearbeitet, nämlich Dr. Karl Chiari (1912 – 1982),<br />
dem es <strong>im</strong> Jahr 1962 endlich gelungen ist, auch<br />
Die Vorstände der<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
o. Prof. Dr. Eduard Albert<br />
ao. Prof. Dr. Adolf Lorenz<br />
ao. Prof. Dr. Julius Hass<br />
Dr. Gerhard v. Haberler<br />
Doz. Dr. Albert Lorenz<br />
o. Prof. Dr. Karl Chiari<br />
o. Prof. Dr. Rainer Kotz<br />
o. Prof. Dr. Reinhard Windhager<br />
Hans Spitzy<br />
(1872 – 1956)<br />
Julius Hass – ein Schüler von Adolf Lorenz – wurde<br />
Nachfolger in der orthopädischen Ambulanz <strong>im</strong> <strong>AKH</strong><br />
Gerhard Haberler (1897 – 1980) in jungen<br />
<strong>Jahre</strong>n und rechts als erfahrener Orthopäde<br />
Albert Lorenz<br />
(1885 – 1970)<br />
Karl Chiari<br />
(1912 – 1982)<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 21
in <strong>Wien</strong> einen Lehrstuhl <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> einzurichten.<br />
Damit beginnt die eigentliche <strong>50</strong>-jährige Geschichte<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong><br />
und an der Universität <strong>Wien</strong> bzw. der Medizinischen<br />
Universität ab 2002.<br />
Entwicklung der Klinik<br />
Ab 1970 bin ich Zeitzeuge der Entwicklung dieser<br />
Klinik, habe anfangs selbst noch die handgeschriebenen<br />
Krankengeschichten verfasst und die<br />
stürmische Entwicklung der Endoprothetik miterlebt.<br />
In Nachfolge von Prof. Martin Salzer, der das<br />
Tumor-Department der <strong>Orthopädie</strong> aus der Taufe<br />
gehoben hat, konnte ich dieses Department bis<br />
zu meinem Pr<strong>im</strong>ariat <strong>im</strong> Krankenhaus Hera weiterführen.<br />
In dieser Zeit wurde die revolutionäre<br />
Chemotherapie in Amerika gefunden und in<br />
Deutschland und in Österreich weiterentwickelt.<br />
Es wurde vor allem die Extremitäten erhaltende<br />
Chirurgie der malignen Knochentumoren begründet,<br />
einerseits durch Implantation von Endoprothesen,<br />
andererseits durch die Umkehrplastik. In<br />
einer Gemeinschaftsarbeit haben Martin Salzer,<br />
Mechtild Salzer-Kuntschik, Gerhard Lechner und<br />
Manfred Immenkamp unter meiner Führung <strong>im</strong><br />
Handbuch <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> den Band 3 „Tumoren<br />
und tumorähnliche Erkrankungen” verfasst, der<br />
dann best<strong>im</strong>mend <strong>für</strong> die Diagnostik und Behandlung<br />
von Knochentumoren <strong>im</strong> gesamten deutschen<br />
Sprachraum wurde.<br />
Chiari selbst war auf der ganzen Welt ähnlich<br />
berühmt wie Adolf Lorenz, er hat mit seiner<br />
Chiari’schen Beckenosteotomie eine revolutionäre<br />
Methode zur Behandlung der Hüftdysplasie<br />
entwickelt, die vergleichbar mit der Revolution<br />
der unblutigen Behandlung der Hüftluxation<br />
durch Lorenz zu werten ist. Er hat selbst 2.000<br />
Patienten operiert und mit dieser Methode wesentlich<br />
zum internationalen Ruf der Univ.-Klinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> aus <strong>Wien</strong> beigetragen.<br />
Drei Perioden des Ordinariats von Prof. Kotz<br />
Von 1984 bis 2009 war ich nach Chiari Vorstand<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> und Ordinarius und<br />
möchte diesen Rückblick in drei Abschnitte gliedern.<br />
Der erste Zeitraum von 1984 bis 1992 fand<br />
noch <strong>im</strong> alten <strong>AKH</strong> statt. In der Zeit von 1992 bis<br />
2002 <strong>im</strong> neuen <strong>AKH</strong> existiert die medizinische Fakultät<br />
noch <strong>im</strong> Rahmen der Universität <strong>Wien</strong> mit<br />
einem Dekan. Von 2002 bis 2009 gab es eine eigene<br />
„Medizinische Universität” und die entsprechenden<br />
Gremien zur Führung dieser Universität<br />
wurden gebildet, an denen ich beteiligt war.<br />
Altes <strong>AKH</strong> (1984 – 1992)<br />
Der erste Abschnitt von 1984 bis 1992 war gekennzeichnet<br />
durch eine Re-Organisation der Klinik,<br />
in dem die Krankengeschichten mit Schreibmaschinschrift<br />
geschrieben wurden und zunächst<br />
durch die Direktion des <strong>AKH</strong> die Reparatur aller<br />
beschädigten Wände und Böden vorgenommen<br />
Martin Salzer führte das<br />
Tumor-Departement ein<br />
Chiari’sche<br />
Becken osteotomie<br />
Statt Computer-unterstützem Arbeiten gab es<br />
früher handgeschriebene Krankenblätter<br />
Bis 1992 wurde noch <strong>im</strong> Alten <strong>AKH</strong> gearbeitet. Links ist das Röntgenarchiv<br />
zu sehen, rechts das Chefsekretariat<br />
22<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
wurde. Die Aufarbeitung des großen Röntgenarchivs<br />
mit wertvollen Unterlagen <strong>für</strong> die Beckenosteotomie,<br />
aber auch der Beginn der Analyse<br />
der Wirbelsäulenoperationen, die von Prof. Fritz<br />
Meznik damals nach einem Amerikaaufenthalt initiiert<br />
worden waren, konnte begonnen werden.<br />
Als dann der Übersiedlungszeitpunkt sich von vier<br />
auf acht <strong>Jahre</strong> bis 1992 verschoben hat, habe ich<br />
einen Antrag auf Umbau der Räumlichkeiten be<strong>im</strong><br />
Ministerium gestellt, der auch bewilligt wurde. Es<br />
war damals bereits die „Neurochirurgische Klinik”<br />
fertig gestellt, die unter Prof. Koos in das neue<br />
Haus am Gürtel übersiedelt ist. Es wurde die neurochirurgische<br />
Bettenstation frei, und es konnte<br />
so eine neue Bettenstation <strong>für</strong> die <strong>Orthopädie</strong> geschaffen<br />
werden. Ambulanz, Schreibz<strong>im</strong>mer und<br />
Röntgenstation, die sich in einem sehr gedrängten<br />
Zustand befanden, wurden durch die freiwerdende<br />
Bettenstation entlastet. Die alte Männerbettenstation<br />
wurde nach Übersiedlung zu einer<br />
modernen Ambulanz mit ähnlichem Kabinensystem<br />
wie die alte. Die Schreibstube wurde zu einem<br />
modernen Großraumbüro, und das Röntgen<br />
war <strong>im</strong> Wartebereich deutlich entlastet. Es wurde<br />
damals das Röntgen noch komplett von der <strong>Orthopädie</strong><br />
betrieben und anfangs mit Prof. Gerhard<br />
Lechner und später mit einem seiner Oberärzte<br />
zu einer gemeinschaftlichen orthopädisch-radiologischen<br />
Röntgenbesprechung umfunktioniert.<br />
Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine neue<br />
Krankengeschichtendokumentation ausprobiert,<br />
die dann schon als Vorbereitung <strong>für</strong> die Übersiedlung<br />
ins neue Haus gedient hat.<br />
Die Antrittsvorlesung am 18.10.1984 hatte zum<br />
Thema, die <strong>Orthopädie</strong> als Prüfungsfach <strong>im</strong> medizinischen<br />
Studium aufscheinen zu lassen, eine<br />
patientenbezogene, klinische Forschung zu forcieren,<br />
die orthopädische Patientenbetreuung in<br />
ganz Österreich zu erreichen, eine Umstrukturierung<br />
der Univ.-Klinik <strong>im</strong> Sinne eines Teamsystems<br />
durchzuführen und eine Ausbildung der Ärzte an<br />
der <strong>Orthopädie</strong> zum aufrechten Menschen „auch<br />
<strong>im</strong> übertragenen Sinn” zu erreichen. Die Durchführung<br />
der Renovierung der Klinik mit Übersiedlung<br />
der Bettenstation und der Änderung der Ambulanz<br />
und des Röntgens sowie des Schreibz<strong>im</strong>mers<br />
wurde dann nach Plänen meines Bruders, Arch.<br />
DI Norbert Kotz durchgeführt, der diese der Univ.-<br />
Klinik kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Gleichzeitig<br />
wurde die Frauen- und Kinderstation, die<br />
auch noch in Großsälen untergebracht waren, auf<br />
ein Kojensystem geändert, in dem jeweils nur zwei<br />
Patienten untergebracht waren. Somit konnte die<br />
Int<strong>im</strong>sphäre besser gewahrt werden. Insgesamt ist<br />
die <strong>Orthopädie</strong> ein Jahr nach meiner Übernahme<br />
in einem akzeptablen baulichen Zustand gewesen<br />
und durch organisatorische Änderungen wie die<br />
Einführung der EDV als Testklinik <strong>für</strong> die Übersiedlung<br />
ins neue Haus zu einer zeitgemäßen Arbeitsstätte<br />
– trotz der Situation <strong>im</strong> alten <strong>AKH</strong> geworden.<br />
Fritz Meznik: Analyse<br />
der Wirbelsäulen-OPs<br />
Die alte Ambulanz in der<br />
Garnisongasse<br />
Die alte Untersuchungskoje<br />
Pläne <strong>für</strong> die Durchführung der Renovierung der Klinik mit Übersiedlung der Bettenstation<br />
und der Änderung der Ambulanz sowie Röntgenstation nach Plänen D.I. Norbert Kotz<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 23
In der ersten Zeit haben sich auch viele personelle<br />
Veränderungen ergeben, die habilitierten<br />
Kollegen der Klinik haben Pr<strong>im</strong>ariatspositionen<br />
übernommen, wie Niki Böhler das Pr<strong>im</strong>ariat <strong>im</strong><br />
<strong>AKH</strong> Linz, Peter Bösch das Pr<strong>im</strong>ariat in <strong>Wien</strong>er<br />
Neustadt, Gerald Pflüger das Pr<strong>im</strong>ariat <strong>im</strong> Sanatorium<br />
Hera in meiner Nachfolge und Karl Zweymüller<br />
das Pr<strong>im</strong>ariat in Gersthof. Weitere Schüler<br />
aus dieser Zeit haben Leitungsfunktionen übernommen,<br />
wie Hans Leber am Sanatorium Treibach<br />
Althofen, Georg Lukeschitsch Warmbad<br />
Villach sowie Johannes Kirchhe<strong>im</strong>er, Wolfgang<br />
Ramach Kirchdorf an der Krems und Wolfgang<br />
Kickinger St. Andrä am Zicksee, das damals aus<br />
der Betreuung der orthopädischen Klinik in die<br />
Selbstständigkeit entlassen wurde.<br />
Die medizinischen Errungenschaften dieser ersten<br />
Periode von 1984 bis 1992 waren einerseits<br />
die Einführung der modularen Tumorendoprothethik<br />
als erstes dieser Systeme auf der Welt, die<br />
Verwendung zementfreier Knieendoprothethik<br />
durch das PCA-System von Hungerford, der Beginn<br />
mit der Implantation von Wachstumsprothesen<br />
bei Kindern seit 1986 und der Abschluss des<br />
Handbuchbeitrages Knochentumoren bei gleichzeitiger<br />
Leitung des Arbeitskreises Knochentumoren<br />
der deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
und Traumatologie (DGOT).<br />
Hüftendoprothesen-Studien<br />
Mit der Übernahme der Klinik habe ich auch sofort<br />
mit randomisierten Hüftendoprothesen-Studien<br />
begonnen, die in der Folge wichtige Informationen<br />
über die Zweymüller-Prothese gebracht<br />
haben und die von Schülern in wissenschaftlichen<br />
Arbeiten verwirklicht wurden (Richard Eyb, Alexander<br />
Grübl). Neue Operationsmethoden in<br />
dieser Zeit waren die sogenannte Sugioka-Osteotomie<br />
bei der Hüftkopfnekrose, die polygonale<br />
Beckenosteotomie bei der Hüftdysplasie als<br />
Tripleosteotomie jeweils mit etwa <strong>50</strong> Fällen. Ein<br />
Höhepunkt in dieser Zeit war meine Präsidentschaft<br />
in der „Österreichischen Gesellschaft <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong>” 1989 mit dem Hauptthema „Luxatio<br />
coxae congenita” zu Ehren von Prof. Chiari, <strong>für</strong><br />
den ein Steinrelief von Prof. Rudolf Friedl angefertigt<br />
wurde, das anlässlich des Kongresses enthüllt<br />
wurde und heute in der Ambulanz der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> steht. Als unmittelbare<br />
Vorbereitung <strong>für</strong> die Übersiedlung ins neue Haus<br />
<strong>im</strong> Jahr 1992 habe ich auf Anraten von Dr. Fodor<br />
von der „Psychiatrischen Klinik”, der zur psychologischen<br />
Betreuung des sehr überlasteten Tumorteams<br />
zur Verfügung stand, ein Teamsystem<br />
an der <strong>Orthopädie</strong> eingeführt. Die Vorbereitung<br />
da<strong>für</strong> wurde durch ein Psychologen-Team, das ich<br />
mit Drittmitteln finanziert habe, unter der Leitung<br />
von Dr. Lindner, vorgenommen. Es wurde eine<br />
Analyse der Ist-Situation durch Interviews durchgeführt,<br />
darauf folgte ein Seminar, dann ein ab-<br />
Karl Zweymüller<br />
(1969 – 1993)<br />
Zementfreie Knieendoprothethik<br />
Erste randomisierte Hüftendoprothesenstudie 1984 (Eyb):<br />
zementierte vs. zementfreie Hüftendoprothese<br />
Jede Zeit hat ihre Operationen: Sugioka-Osteotomie – 51 Fälle 1975 – 1996:<br />
24 Fälle sehr gut-gut, 10 Fälle mäßig, 7 schlecht, 10 o.A.v<br />
24<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
schließendes Workshop zur Erstellung der Teamstruktur<br />
und zuletzt eine Testphase, sodass die<br />
Umstrukturierung Ende 1992 abgeschlossen war.<br />
Es wurde sechs Teams eingerichtet, die schon auf<br />
die Spezialitäten der <strong>Orthopädie</strong> damals Bezug<br />
genommen haben, nämlich ein Tumor-Team, das<br />
dem wichtigsten Schwerpunkt der Klinik gewidmet<br />
war, ein Rheuma-Team, ein Endoprothesen-<br />
Team, ein Wirbelsäulen-Team, ein Sport-Team<br />
und ein Kinder-Team, die jeweils einem Teamleiter<br />
bzw. einer Teamleiterin persönliche und räumliche<br />
Ressourcen bei fachlicher Selbstständigkeit<br />
des Teams zugestanden haben.<br />
Übergeordnet waren regelmäßige, gemeinsame<br />
Besprechungen, wie die Morgenbesprechung, die<br />
Chefvisite einmal in der Woche und Spezialsitzungen,<br />
wie die Tumor-Sitzung, sowie auch andere<br />
von den Teams organisierte Sitzungen. Bei<br />
der Nachadjustierung nach zwei <strong>Jahre</strong>n, auf der<br />
das Psychologen-Team bestanden hat, stellte sich<br />
heraus, dass die Spezialisierung als sehr einseitig<br />
empfunden wurde und <strong>für</strong> Karrierschritte hinderlich<br />
war. Ich habe deshalb, um die Einseitigkeit<br />
zu reduzieren, dann nur einen Ambulanztag <strong>für</strong><br />
die Spezialität und einen zweiten <strong>für</strong> die allgemeine<br />
orthopädische Ambulanz <strong>für</strong> jedes Team<br />
eingerichtet. Dadurch blieb allen Teams die <strong>Orthopädie</strong><br />
in ihrer Gesamtheit offen, wobei allerdings<br />
Spezialfälle mit den jeweiligen Teams gemeinsam<br />
durchgeführt wurden. Ich hatte keine<br />
eigene Privatstation, sondern habe auch meine<br />
Privatpatienten mit den jeweiligen Teams operiert<br />
und konnte so die neuen Entwicklungen in der<br />
<strong>Orthopädie</strong> neben meinen eigenen miterleben.<br />
Jedes Team hatte eine eigene Vormerkliste, und<br />
Privatpatienten durften nicht vorgezogen werden.<br />
Später wurde dies sogar vom Kontrollamt überprüft.<br />
Die <strong>Orthopädie</strong> hat <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> insofern hervorragend<br />
abgeschnitten, weil die durchschnittlichen<br />
Wartezeiten der Privatpatienten auf eine Operation<br />
kaum von der der sozialversicherten Patienten<br />
abgewichen ist. Dies war auch der Tatsache zu<br />
verdanken, dass die Wartezeiten aller Patienten<br />
so kurz wie möglich gehalten wurden.<br />
Neues <strong>AKH</strong> (1992 – 2002)<br />
Nach einem großartigen Abschiedsfest <strong>im</strong> September<br />
1992 <strong>im</strong> 9. Hof mit einem gebratenen Ochsen<br />
und vielen prominenten Gästen ist die Übersiedlung<br />
als 1. chirurgisches Fach ins neue Haus sechs<br />
Monate früher als geplant, durchgeführt worden.<br />
Ich konnte am 2. September die erste Operation<br />
überhaupt <strong>im</strong> neuen Haus durchführen. Damit war<br />
die 1. Periode abgeschlossen und eine neue Periode<br />
mit Aufbau der <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> neuen Haus hat<br />
begonnen. Anfangs war es notwendig, <strong>für</strong> die sechs<br />
Teams eine Organisationsstruktur zu erstellen, die<br />
einerseits die Betten gerecht verteilt hat, andererseits<br />
das Personal entsprechend den Bedürfnissen<br />
zugeteilt hat. Hier hatte das Tumor-Team mit 18<br />
1987 – 1994: 35 Operationen: Eine neue Dreifach-Osteo tomie,<br />
„polygonale Beckenosteo tomie” (PPO) <strong>für</strong> Hüftdysplasie<br />
Steinrelief:<br />
Karl Chiari<br />
Das alte <strong>AKH</strong> – gezeichnet von Josef<br />
und Peter Schafer <strong>im</strong> Jahr 1784<br />
Abschied vom alten <strong>AKH</strong> (v.li.n.re.): Reinhard Krepler,<br />
Bernhard Gisinger, Wolfgang Schwägerl be<strong>im</strong> Feiern<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 25
Das Hauptgewicht der wissenschaftlichen<br />
Arbeiten bestand<br />
aber <strong>im</strong>mer noch in der klinischen<br />
Arbeit mit Nachuntersuchungen,<br />
vor allem der begonnenen randomisierten<br />
Hüftprothesenstudien.<br />
Betten den Vorrang vor den anderen Teams, die je<br />
zwölf Betten hatten bzw. das Kinder-Team, das fünf<br />
Betten mit variabler Ausdehnung nach Bedarf auf<br />
der kinderchirurgischen Belegstation hatte. Dementsprechend<br />
war das Tumor-Team das größte und<br />
das Kinder-Team das kleinste. Eine ausreichende<br />
personelle Besetzung war aber möglich, da die<br />
Ärzteanzahl <strong>im</strong> Rahmen der Übersiedlung von 16<br />
auf 30 vermehrt werden konnte. Dadurch konnte<br />
der „Kleinschusterbetrieb”, wie das Psychologen-<br />
Team die vorherige Struktur nannte, auf eine moderne<br />
umgestellt werden. Der Teamleiter war dann<br />
<strong>für</strong> die Urlaube und Freistellungen <strong>für</strong> Kongresse<br />
und Ausbildungen der Ärzte selbst verantwortlich<br />
und es hat sich die Einteilung der Wochenarbeit der<br />
Teams mit zwei Ambulanztagen und zwei Operationstagen<br />
als äußert sinnvoll erwiesen, wobei der<br />
fünfte routinefreie Wochentag <strong>für</strong> wissenschaftliche<br />
Tätigkeit, unter anderem auch <strong>im</strong> neuerrichteten<br />
orthopädischen Labor, genützt werden konnte.<br />
Das Hauptgewicht der wissenschaftlichen Arbeiten<br />
bestand aber <strong>im</strong>mer noch in der klinischen Arbeit<br />
mit Nachuntersuchungen, vor allem der begonnenen<br />
randomisierten Hüftprothesenstudien. Um<br />
aber das orthopädische Labor entsprechend einrichten<br />
und in Betrieb nehmen zu können, waren<br />
Auslandsstipendien maßgebend. Der dreijährige<br />
Stipendien-Aufenthalt von Erich Fellinger am Sloan<br />
Kettering Cancer Center in New York, der zweijährige<br />
Biomechanik-Aufenthalt von Florian Gottsauner-Wolf<br />
an der Mayo-Clinic in Rochester waren die<br />
Ersten. In der Folge waren noch andere Kollegen<br />
erfolgreich <strong>im</strong> Ausland tätig, wie Stefan Nehrer<br />
an der Harvard University/Boston, Alexander Giurea<br />
<strong>im</strong> La Hoya-Hospital/San Diego, Andreas Roposch<br />
in Toronto, Christian Wurnig in Cleveland/<br />
Ohio und Wolfram Brodner in Columbus/Missouri.<br />
Dadurch ist es gelungen ein zellbiologisches und<br />
ein molekular biologisches sowie ein biomechanisches<br />
Labor an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
Große Pläne <strong>für</strong><br />
die Zukunft<br />
Das alte und<br />
das neue <strong>AKH</strong><br />
Hüftendoprothesen mit Keramik-Polyethylen<br />
bzw. mit Metall-Metall.<br />
Florian Gottsauner-Wolf<br />
(1986 – 2003)<br />
Erich Fellinger<br />
(1984 – 1998)<br />
Stefan Nehrer<br />
(1992 – 2011)<br />
26<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
einzurichten. Das große Lager an Knochentumorpräparaten<br />
wurde sinnvoll verwendet. Serumlager<br />
wurden <strong>für</strong> Metallspiegeluntersuchungen angelegt,<br />
die völlig neu waren und auch die Überprüfungsmöglichkeit<br />
von Metallpaarungen der Hüftendoprothesen<br />
revolutioniert haben. In dieser Zeit hatten<br />
wir auch Gastärzte aus Japan, die durch wissenschaftliche<br />
Arbeit <strong>im</strong> Labor der <strong>Orthopädie</strong> neue<br />
Impulse gaben (Polyethylen-Partikel-Untersuchungen<br />
und Muskelstudien bei extremitätenerhaltenden<br />
Operationen mit Tumorprothesen). Weitere<br />
Kollegen, die ein Stipendium in Amerika absolviert<br />
haben, waren Franz Menschik am Hospital for Special<br />
Surgery in New York <strong>für</strong> biomechanische Studien,<br />
Gerold Holzer am Mount Sinai Hospital in New<br />
York <strong>für</strong> Osteoporose-Studien. Für klinische Tätigkeit<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Wirbelsäulenchirurgie waren<br />
Michael Nikolas in Cleveland/Ohio und Wolfram<br />
Brodner in Columbia/Missouri. Einen sehr frühen<br />
Stipendienaufenthalt in Japan hat die erste Frau an<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Prof. Petra Krepler,<br />
in Kanzawa zugebracht und dort sich mit großen<br />
Wirbelsäulentumoroperationen vertraut gemacht.<br />
Zwei wichtige Errungenschaften<br />
über Auslandsaufenthalte<br />
Die zwei wichtigsten Errungenschaften, die über<br />
Auslandsaufenthalte eingebracht wurden, war die<br />
Entdeckung des Antigens <strong>für</strong> das Ewing-Sarkom<br />
durch Erich Fellinger und das Forschungsprojekt<br />
„Enhanced Tendon Attachment” (ETA) an Endeprothesen<br />
(from bench to bed side) durch Florian<br />
Gottsauner-Wolf an der Mayo-Clinik in Rochester.<br />
Beide Projekte hatten auch eine klinische Auswirkung,<br />
das Fellinger-Projekt durch die <strong>im</strong>munhistochemische<br />
Analyse von Ewing-Sarkomen und das<br />
Projekt von Gottsauner-Wolf als Verankerungsprojekt<br />
von Sehnen an Tumorprothesen <strong>im</strong> Rahmen<br />
der modularen Endoprothetik, die an der Klinik verwendet<br />
wurde. Eine weitere Auswirkung hatte auch<br />
das Studium der Knorpelzelltransplantation durch<br />
Stefan Nehrer in Boston an der Harvard University,<br />
sodass ein Teil des Labors vollkommen <strong>für</strong> die<br />
Knorpelforschung und später Meniskusforschung<br />
durch Catharina Chiari eingenommen wurde.<br />
In diese Zeit fallen auch die wichtigen Pr<strong>im</strong>ariatsbesetzung<br />
durch Alfred Engel <strong>im</strong> SMZ Ost,<br />
Peter Ritschl als Nachfolger von Prof. Salzer in<br />
Gersthof, Franz Menschik mit dem neuen orthopädischen<br />
Pr<strong>im</strong>ariat in Mistelbach, Erich Fellinger<br />
mit dem orthopädischen Pr<strong>im</strong>ariat <strong>im</strong> Sanatorium<br />
Hera und Florian Gottsauner-Wolf mit<br />
dem Pr<strong>im</strong>ariat in Nachfolge Schindelmaißers in<br />
Krems. Als besonderer Höhepunkt muss die Besetzung<br />
und Gründung der Grazer Univ.-Klinik<br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> durch Reinhard Windhager ebenfalls<br />
einem Tumorspezialisten wie Wolfgang Ramach<br />
und Peter Ritschl gesehen werden. In all<br />
diesen <strong>Jahre</strong>n und auch bis zu meiner Emeritierung<br />
war Axel Wanivenhaus mein Stellvertreter,<br />
Alfred Engel<br />
(1978 – 1994)<br />
Peter Ritschl<br />
(1981 – 1995)<br />
Windhager: Gründer<br />
der Grazer Univ.-Klinik<br />
Hugo-Axel<br />
Wanivenhaus<br />
Vienna Medical Academy/<strong>Wien</strong>er Medizinische Akademie: postgraduelle<br />
Fortbildung <strong>im</strong> Namen der Medizin seit 1924<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 27
zuletzt gemeinsam mit Martin Dominkus, und hat<br />
sehr erfolgreich an der Führung und Organisation<br />
der Klinik mitgewirkt. Ich selber war in der Zeit<br />
von 1992 bis 2002 Präsident der medizinischen<br />
Akademie <strong>im</strong> 1. Hof des alten <strong>AKH</strong>. Auch hier<br />
habe ich nach Übernahme der Präsidentschaft<br />
eine komplette Reorganisation der medizinischen<br />
Akademie mit Erweiterung und komplettem Neubau<br />
der Räumlichkeiten mit der Unterstützung<br />
durch die Universität <strong>Wien</strong> durchführen können,<br />
von der die Medizinische Akademie heute noch<br />
profitiert. 1997 war ich dann Präsident der „Deutschen<br />
Gesellschaft <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> und Traumatologie”<br />
(DGOT) und konnte den großen Drei-Länder-<br />
Kongress Deutschland, Schweiz, Österreich 1997<br />
nach <strong>Wien</strong> bringen, der in der Hofburg veranstaltet<br />
wurde. Der Höhepunkt in dieser Zeit war aber<br />
meine dreijährige Präsidentschaft bei der SICOT.<br />
Es war besonders schwierig, den Kongress in San<br />
Diego 2002 nach den Ereignissen des Terroranschlages<br />
von 11.9.2001 in New York gegen das<br />
World Trade Center durchzuführen. Besonders die<br />
Beteiligung der Amerikaner, die Angst vor Massenveranstaltungen<br />
hatten, hat sich bei diesem<br />
Kongress negativ niedergeschlagen, und der Ausschluss<br />
vieler arabischer Kollegen durch Einreisebeschränkungen.<br />
Eine Beteiligung von 3.000 Teilnehmern<br />
mit einem Gewinn <strong>für</strong> die SICOT von<br />
einer 1.000.000 Dollar war doch ein großer Erfolg.<br />
Die hohe Beteiligung der Mitglieder der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> hat mir damals ganz besondere<br />
Freude gemacht.<br />
Ein Anliegen in dieser Zeit war mir auch die Beschäftigung<br />
von Frauen in der <strong>Orthopädie</strong>. Bei<br />
insgesamt 99 Ärzten, die ich in meiner Zeit ausgebildet<br />
habe, war der Anteil von zwölf Frauen<br />
als Erfolg zu werten. Es war nicht leicht, Frauen<br />
an der Univ.-Klinik zu halten, da der Betrieb<br />
doch zeitlich und körperlich sehr konsumierend<br />
war und nicht von allen Kolleginnen durchgehalten<br />
wurde. Insbesonders seien diejenigen, die<br />
auch Leitungsfunktionen übernehmen konnten,<br />
erwähnt – Petra Krepler 1992, Maria Sluga 1995<br />
und Catharina Chiari 2001.<br />
Die neue „Medizinische Universität”<br />
(2002 – 2009)<br />
Erreicht wurde in dieser Zeit die stabile Etablierung<br />
des orthopädischen Labors, das als molekularbiologisches<br />
„Karl Chiari Labor” und biomechanisches<br />
„Adolf Lorenz Labor”, in dem auch Gobert<br />
Skrbensky eine wesentliche Rolle spielt, große<br />
wissenschaftliche Erfolge erzielt hat. Forschungsschwerpunkte<br />
<strong>im</strong> eigenen Labor bestanden in der<br />
Biomechanik durch Überprüfung von Rotationsstabilität<br />
durch Florian Gottsauner-Wolf, durch den<br />
Einsatz des Knies<strong>im</strong>ulators durch Gobert Skrbensky<br />
sowie die Osteoporose-Forschung durch<br />
Gerold Holzer. Molekularbiologisch lag der Schwerpunkt<br />
in der Knorpelforschung durch Ronald<br />
Kongress in <strong>Wien</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 1997<br />
Peter Bösch, Rainer Kotz und Hans-<br />
Werner Springorum (<strong>Wien</strong> 1997)<br />
Rainer Kotz: Präsident<br />
bei der SICOT<br />
22. Internationaler Orthopädischer<br />
Weltkongress (San Diego 1997)<br />
Keramikpartikel an der Oberfläche von gestrahlten<br />
Titanprothesen<br />
28<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Dorotka, die Meniskustransplantation durch Catharina<br />
Chiari und die tumormolekulare Forschung<br />
durch Bernd Kubista in der Nachfolge von Clemens<br />
Trieb und Cyril Toma. In dieser Zeit konnten durch<br />
Stefan Nehrer zwei EU-Projekte akquiriert werden,<br />
die die Aktivitäten <strong>im</strong> Labor überhaupt erst<br />
ermöglicht haben. Klinische Ergebnisse aus den<br />
theoretischen Forschungen war einerseits ein neuer<br />
Prothesenstiel <strong>für</strong> das globale modulare Replacement-System<br />
<strong>für</strong> die Tumorendoprothethik und<br />
eine neue Oberfläche an der Hipstar-Prothese, die<br />
durch Forschung an Strahlpartikeln an der Oberfläche<br />
von Prothesen von Alexander Kolb aufgezeigt<br />
wurde. Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten<br />
wurden aber <strong>im</strong> Tumorteam der Univ.-Klinik <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> erzielt. Einerseits war es möglich, die<br />
Wachstumsprothesen in der Zeitschrift „Nature”<br />
zu publizieren, andererseits wurde ein neues Projekt<br />
der Dendritentherapie bei malignen Tumoren<br />
durch Martin Dominkus und Phillip Funovics in Angriff<br />
genommen. Insgesamt konnte in vier Dekaden<br />
<strong>im</strong> Rahmen des Knochen-Geschwulstregisters<br />
und des Tumorteams der Klinik eine Verbesserung<br />
der Prognose in der Behandlung von Knochen- und<br />
Weichteiltumoren in Zehn-<strong>Jahre</strong>s-Schritten von<br />
28 % auf 40 % bis 1985, auf 58 % bis 1995 und<br />
63 % bis 2005 gesteigert werden.<br />
Neues Curriculum<br />
Die Mitarbeiter am neuen medizinischen Curriculum<br />
hat vor allem Prof. Martin Dominkus zusätzlich<br />
zur Leitung des Tumor-Teams auf sich<br />
genommen. Er hat sich besonders der Lehre angenommen,<br />
wurde auch „Teacher of the Month”<br />
und zuletzt mein Stellvertreter, der mit der inter<strong>im</strong>istischen<br />
Leitung der Klinik bis zur Neubesetzung<br />
betraut wird. 17 Ordinariate und Pr<strong>im</strong>ariate<br />
konnten in allen drei Abschnitten besetzt<br />
werden, insgesamt wurden 24 Habilitationen<br />
verliehen, nämlich in der Periode I: Waniven-<br />
Der Höhepunkt in dieser Zeit<br />
war aber die dreijährige<br />
Präsident schaft bei der SICOT.<br />
Es war besonders schwierig, den<br />
Kongress in San Diego 2002 –<br />
nach den Ereignissen des<br />
Terroranschlages von 11.9.2001 in<br />
New York gegen das World Trade<br />
Center – durchzuführen.<br />
Das globale modulare<br />
Replacement-System<br />
Das Tumor-Team der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> konnte die Wachstumsprothesen<br />
in der Zeitschrift „Nature” publizieren<br />
Die Wachstumsprothese lässt sich<br />
stufenlos ohne Operation verlängern<br />
Martin<br />
Dominkus<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 29
haus, Engel, Lack, Ritschl, Fellinger, Windhager,<br />
Kirchhe<strong>im</strong>er, Trieb und Buchelt. In der Periode<br />
II: Wurnig, Kutscher, Gottsauner-Wolf, Sluga,<br />
Krepler, Dominkus, Holzer, Nehrer und in der<br />
Periode III: Brodner, Giurea, Roposch, Grohs,<br />
Dorotka, Toma und Chiari.<br />
Im dritten Abschnitt wurde die „Medizinische<br />
Universität <strong>Wien</strong>” (MUW) gegründet, an der<br />
ich von Anfang an zunächst <strong>im</strong> Gründungskonvent<br />
und später <strong>im</strong> Senat mitgearbeitet habe.<br />
Eine Arbeit, die viel Zeit gekostet hat und vor<br />
allem <strong>im</strong> Rahmen der Leitung der Professorenversammlung<br />
(2004 – 2006) wichtige Entschlüsse<br />
herbeiführen konnte. Der aus meiner Sicht<br />
wichtigste Beschluss war die einst<strong>im</strong>mige Bestätigung<br />
der Professorenversammlung, dass ärztliche<br />
Mitarbeiter der „Medizinischen Universität”,<br />
die die Fachausbildung abgeschlossen haben,<br />
eine Nebentätigkeit von zehn Wochenstunden<br />
ausüben dürfen. Dieser Antrag wurde von Rektor<br />
Prof. Wolfgang Schütz bestätigt und auch exekutiert.<br />
Meiner Meinung nach war es ein selbstloser<br />
Entscheid der Universitätsprofessoren, den<br />
angestellten Ärzten eine Aufbesserung der finanziellen<br />
Situation durch eigenverantwortliche<br />
Tätigkeit außerhalb des <strong>AKH</strong>s zu ermöglichen.<br />
Die Bone & Joint-Dekade<br />
Im Jahr 2000 wurde auch die Bone & Joint-<br />
Dekade von Lars Lidgren aus Lund/Schweden<br />
gegründet. 2003 habe ich mit den Mitstreitern<br />
der „Medizinischen Universität” Vilmos Vecsei,<br />
mit dem mich eine jahrelange Freundschaft verbindet,<br />
Josef Smolen und Veronika Fialka eine<br />
Bone & Joint-Gala in der Hofburg veranstaltet,<br />
an der die Frau des Bundespräsidenten Klestil<br />
sowie drei Ministerinnen und Minister und der<br />
Rektor der „Medizinischen Universität” Wolfgang<br />
Schütz teilgenommen haben. Unter dem Motto<br />
„täglich beweglich” wurde die Dekade in Österreich<br />
bekannt und durch zwei Pressekonferenzen<br />
und drei Galaabende nachhaltig gesichert.<br />
Dies hatte unter anderem auch die Begründung<br />
des „Muskuloskelettalen Schwerpunktes” an der<br />
„Medizinischen Universität” zur Folge.<br />
2005 durfte ich dann Präsident der „Österreichischen<br />
Gesellschaft <strong>für</strong> Chirurgie” sein und konnte<br />
einen Kongress in der Hofburg unter dem Titel<br />
„Machbares und Sinnvolles” veranstalten, der mit<br />
1.400 Teilnehmern einen sehr hohen Beteiligungsgrad<br />
erreicht hat. Von 2006 bis 2009 war ich dann<br />
der Organisator und Leiter des Forum Medizin,<br />
einer Fraktion der Professoren in Senat der „Medizinischen<br />
Universität <strong>Wien</strong>”, der als wichtigste<br />
Zielsetzung den Campus mit Vereinigung der medizinisch-theoretischen<br />
mit den klinischen Fächern<br />
<strong>im</strong> räumlichen Bereich des <strong>AKH</strong> zum Ziel hatte und<br />
unter meinem Nachfolger <strong>im</strong> Forum Medizin, Rudolf<br />
Valenta vom Universitätsinstitut Allergologie,<br />
weiter betrieben wird.<br />
Bone & Joint-Gala in der <strong>Wien</strong>er Hofburg<br />
mit Wolfgang Schütz und Dagmar Kotz<br />
Rainer Kotz als Präsident<br />
der Ö. Ges. f. Chirurgie<br />
„Vienna Science City”: Forschungsstätte <strong>für</strong><br />
medizinisch-theoretische und klinische Fächer<br />
Adolf Lorenz sah 1924 alle Probleme<br />
in der <strong>Orthopädie</strong> als gelöst an<br />
Karl Chiari<br />
(1912 – 1982)<br />
30<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Ausblick in die Zukunft<br />
Zuletzt möchte ich einen Ausblick <strong>für</strong> die <strong>Orthopädie</strong><br />
geben, wie es alle meine Vorgänger<br />
versucht haben. Aufgrund ihrer Aussagen zeigt<br />
sich, dass Vorhersagen nur schwer möglich sind.<br />
● Adolf Lorenz meinte 1924, dass alle Probleme in<br />
der <strong>Orthopädie</strong> gelöst sind und das Fach wieder in<br />
den Schoß der Chirurgie zurückkehren kann.<br />
● Lorenz Böhler hat 1962 gemeint, dass durch<br />
die Ausschaltung von Rachitis, Tuberkulose<br />
und angeborenen Missbildungen in der <strong>Orthopädie</strong><br />
wesentliche Arbeitsgebiete verloren gegangen<br />
sind.<br />
● Karl Chiari hat 1981 den Hüftultraschall <strong>für</strong> fragwürdig<br />
erachtet und gemeint, dass das Röntgen<br />
nicht ersetzt werden könne.<br />
● Ich habe 1988 vor einer Zusammenlegung von<br />
Unfallchirurgie und <strong>Orthopädie</strong> zu einem gemeinsamen<br />
Fach gewarnt und sie als irrelevant<br />
erachtet. In Deutschland habe ich auch in der<br />
Zukunft keine Fachtrennung erwartet, was sich<br />
aber nicht als richtig erwiesen hat.<br />
Das Zukunftsprogramm der DGOT von 1988 war<br />
allerdings wesentlich erfolgreicher in der Prognose.<br />
Es wurde gemeint, dass<br />
● eine weitere Vermeidung der Röntgenstrahlen<br />
gegeben sein wird,<br />
● Revisionseingriffe zunehmen werden,<br />
● mikrochirurgische Methoden zunehmend eingesetzt<br />
werden,<br />
● eine rückläufige Tendenz bei Entzündungen zu<br />
sehen sein wird (was aber nicht der Fall ist),<br />
● die Evidenzbasierte Medizin (EBM) in die <strong>Orthopädie</strong><br />
eingeführt wird und<br />
● die Zunahme des Gesundheitsbewusstsein eintreten<br />
und es damit auch zu mehr Klagsfällen<br />
kommen wird.<br />
Aus heutiger Sicht sind meine Voraussagen <strong>für</strong> die<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, die in drei <strong>Jahre</strong>n<br />
ihr <strong>50</strong>-jähriges Jubiläum feiern wird, folgende:<br />
● Als Vorgabe der Medizinischen Universität werden<br />
vorwiegend nur noch PhD-Studenten <strong>für</strong><br />
die Fachausbildung aufgenommen werden.<br />
● Die wissenschaftliche Arbeit wird weitgehend<br />
nur mehr in Zusammenarbeit mit anderen Kliniken<br />
und Instituten möglich sein.<br />
● Die internationale Konkurrenzfähigkeit wird nur<br />
mehr durch Kooperation mit ausländischen Universitäten<br />
und großen Firmen (europäischen<br />
und internationalen, vorwiegend aus dem angloamerikanischen,<br />
aber auch dem asiatischen<br />
Raum) gegeben sein.<br />
● Die Fachabgrenzung von der Unfallchirurgie<br />
wird <strong>für</strong> eine weitere Stärkung und Entwicklung<br />
der Schwerpunkte wichtig.<br />
● Eine weltoffene Einstellung zu neuen Methoden<br />
wird bei gleichzeitiger Wahrung und Verfolgung<br />
der eigenen Entwicklungen wichtig.<br />
Ich wünsche der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
<strong>für</strong> die Zukunft jedes nur erdenkliche Glück. Nach<br />
25 <strong>Jahre</strong>n Leitung werde ich das Geschick nun gerne<br />
in andere Hände legen und verspreche, dass ich<br />
mich nicht mehr einmischen werde.<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Kotz, Hip International<br />
1998 8,154-58<br />
o. Prof. Dr. Rainer Kotz<br />
1967 – 1969 Chirurgie (Chir. Abt.des KFJ-<br />
Spitals: Pr<strong>im</strong>. Jelinek)<br />
1968 – 1969 Innere Medizin (II. Med. Abt.<br />
des KFJ-Spitals: Prof. Jesserer)<br />
1969 – 1970 Hals-Nasen-Ohren (HNO-Abt.<br />
des KFJ-Spitals: Prof. Bauer)<br />
1970 Kinderheilkunde<br />
(Preyer´sches Kinderspital:<br />
Prof. Swoboda)<br />
1970 – 1971 Neurologie (KH Rosenhügel:<br />
Prof. Tschabitscher)<br />
1971 – 1974 Orthopädische Facharztausbildung<br />
(Orthop. Univ.-Klinik:<br />
Prof. Chiari)<br />
1974 Facharzt <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> und<br />
orthop. Chirurgie<br />
1974 Oberarzt der Orthopädischen<br />
Univ.-Klinik, Leiter des Tumordepartments<br />
der Orthop.<br />
Univ.-Klinik<br />
1979 Univ.-Dozent <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
Habilitation am 18.6.1979<br />
1984 o. Professor <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
1984 – 2009 Vorstand der Orthopädischen<br />
Univ.-Klinik<br />
seit 2009 Ärztlicher Direktor der<br />
<strong>Wien</strong>er Privatklinik<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 31
<strong>Orthopädie</strong> Translational<br />
Antrittsvorlesung von<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager<br />
am 6.5.2011<br />
<strong>Orthopädie</strong> Translational ist weder eine neue<br />
Richtung innerhalb der orthopädischen Chirurgie<br />
noch ein unabsichtlich grammatikalischer<br />
Irrtum. Bekanntlich ist translationale Medizin<br />
an der Schnittstelle zwischen präklinischer Forschung<br />
und klinischer Entwicklung angesiedelt<br />
und beinhaltet die Übertragung von diagnostischen<br />
und therapeutischen Modellen auf die<br />
Anwendung am Menschen. Translation kommt<br />
vom lateinischen transferre und hat in den verschiedenen<br />
Fachbereichen teilweise sehr unterschiedliche<br />
Bedeutungen. So steht Translation<br />
in der sprachlichen Praxis <strong>für</strong> Übersetzung in<br />
eine andere Sprache, in der Physik <strong>für</strong> geradlinige<br />
Bewegung eines Körpers, in der Strömungslehre<br />
<strong>für</strong> Flüssigkeitsfortbewegung ohne Stau,<br />
in der Mathematik <strong>für</strong> Parallelverschiebung, in<br />
der Biologie <strong>für</strong> Übersetzung der genetischen<br />
Informationen in ein Protein und schließlich in<br />
der Organisationslehre <strong>für</strong> die Übersetzung organisatorischer<br />
Entwicklungen in organisationsfremde<br />
Fachgebiete.<br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> Wandel<br />
<strong>Orthopädie</strong> Translational kann somit sehr unterschiedlich<br />
interpretiert werden. Wobei die Wandlung<br />
der <strong>Orthopädie</strong> von den Ursprüngen, die Nicola<br />
Andry beschrieben hat, bis zur Gegenwart<br />
respektive zum Ausblick, den die <strong>Orthopädie</strong><br />
durch unterschiedliche Entwicklung getriggert<br />
erfahren wird, die Bedeutung dieses Begriffes<br />
am ehesten trifft. Die Entwicklungen und Wandlungen<br />
des Faches an der Univ. <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in<br />
<strong>Wien</strong> wurde durch sechs Persönlichkeiten in den<br />
letzten 125 <strong>Jahre</strong>n wesentlich mitgestaltet. Die<br />
Leistungen von Adolf Lorenz, Julius Hass, Gerhard<br />
Haberler, Albert Lorenz, Karl Chiari und zuletzt<br />
Rainer Kotz haben wesentlich zu den Fortschritten<br />
in der Behandlung muskuloskelettaler<br />
Erkrankungen beigetragen.<br />
Lagen die Forschungsbeiträge anfangs noch<br />
mehr <strong>im</strong> Bereich der Kinderorthopädie, so hat<br />
sich das Spektrum über die Jahrzehnte hinweg<br />
in Richtung der Behandlung degenerativer Erkrankungen<br />
sowie hoch spezialisierter Behandlungen<br />
wie Neoplasien verlagert. Getriggert<br />
wurde diese Entwicklung <strong>im</strong> Wesentlichen durch<br />
die massive Zunahme der Lebenserwartung<br />
<strong>im</strong> letzten Jahrhundert. So hat die Lebenser-<br />
Adolf Lorenz<br />
(1889 – 1924)<br />
Julius Hass<br />
(1924 – 11939<br />
Gerhard v. Haberler<br />
(1839 – 1945)<br />
Albert Lorenz<br />
(1945 – 1951)<br />
Karl Chiari<br />
(1951 – 1982)<br />
Rainer Kotz<br />
(1984 –2009)<br />
32<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager<br />
wartung von Männern von 40 auf beachtliche<br />
76 <strong>Jahre</strong> und die von Frauen von 45 auf knapp<br />
über 80 <strong>Jahre</strong> zugenommen. Aufgrund dieser<br />
Entwicklung haben sich Strukturveränderungen<br />
in den verschiedensten Geweben wie Knochen,<br />
Knorpel und Bänder, die mit zunehmendem Alter<br />
auftreten, massiv in den Vordergrund gedrängt.<br />
Laut Mikrozensus der Statistik Austria von 2007<br />
stellen Probleme mit Beweglichkeit oder Mobilität<br />
auch die häufigste Ursache dauerhafter<br />
Beeinträchtigungen dar und liegen damit sehr<br />
deutlich vor Problemen be<strong>im</strong> Sehen, bei nervlichen<br />
oder psychischen Problemen, Problemen<br />
be<strong>im</strong> Hören, Lernen oder Sprechen.<br />
In der gleichen Statistik zeigt sich auch, dass<br />
die Probleme bei funktionellen Tätigkeiten wie<br />
Taschen heben und tragen, Bücken und Niederknien,<br />
Treppen steigen und Gehen mit zunehmendem<br />
Alter deutlich ansteigen und sich nach<br />
dem 75. Lebensjahr mehr als verdoppeln, wobei<br />
Frauen hier <strong>im</strong>mer deutlich häufiger betroffen<br />
sind als Männer. Diese skizzierte Entwicklung<br />
lässt sich auch in der Anzahl der Publikationen <strong>im</strong><br />
Bereich der muskuloskelettalen Chirurgie nachvollziehen.<br />
So ist die Anzahl der Publikationen<br />
<strong>im</strong> Bereich der Kinderorthopädie in den letzten<br />
60 <strong>Jahre</strong>n nur langsam angestiegen, während<br />
die Anzahl der Veröffentlichungen über arthroskopische<br />
Chirurgie insbesondere Kniechirurgie,<br />
Hüftchirurgie, Arthrose- und vor allem Wirbelsäulenchirurgie<br />
einen exponentialen Anstieg in den<br />
letzten 30 <strong>Jahre</strong>n zeigten.<br />
Entwicklung der Medizin<br />
Diese scheinbar unübersehbare Flut an Informationen<br />
drängt die Frage, auf wohin sich die <strong>Orthopädie</strong><br />
in Zukunft weiterentwickeln wird. Um<br />
hier Orientierung zu gewinnen, bedarf es einer<br />
genaueren Betrachtung der Entwicklung der Medizin<br />
in den letzten Jahrtausenden. Unter dieser<br />
Betrachtungsweise zeigt sich, dass die rapide<br />
Entwicklung der letzten Jahrhunderte durch<br />
wenige Entdeckungen massiv getriggert wurde.<br />
Nachdem durch Hippokrates und Galen die Periode<br />
des Supernaturalismus um 4<strong>50</strong> vor Christus<br />
abgelöst wurde, dauert es weitere 1.000 <strong>Jahre</strong>,<br />
bis systematische Forschung <strong>im</strong> 15. Jahrhundert<br />
durch A. Vesalius und W. Harvey in der Medizin<br />
eingeführt wurde und einen neuen Zugang zur<br />
Medizin ermöglichte.<br />
Mit dem Einzug von Technologie wurde die Forschung<br />
Anfang des 18. Jahrhunderts wesentlich<br />
intensiviert, wobei die Asepsis durch Lister sowie<br />
die Einführung des Carbolsprays erstmals größere<br />
Eingriffe ermöglichte. Vor allem die Entdeckung<br />
der Röntgenstrahlen durch C. W. Röntgen und die<br />
damit verbundene Visualisierung öffnete eine bis<br />
dahin ungeahnte Möglichkeit der Behandlungsplanung<br />
und Ergebnisauswertung und generell<br />
Verständnis über orthopädische Krankheitsbilder.<br />
Die Trends innerhalb der orthopädischen Chirurgie<br />
habe ich bereits <strong>im</strong> Konzept <strong>für</strong> die Etablierung<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> und orthopädische<br />
Chirurgie an der Universität Graz <strong>im</strong><br />
Rahmen meiner damaligen Berufung skizziert<br />
„<strong>Orthopädie</strong>, Majestät, das ist die<br />
Kunst, die Krummen gerade und<br />
die Lahmen gehend zu machen.“<br />
Adolf Lorenz <strong>im</strong> Jahr 1896<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 33
„Die wirkliche Entdeckungsreise<br />
besteht nicht in der Suche nach<br />
neuen Landschaften, sondern in<br />
einer neuen Art zu sehen.“<br />
Marcel Proust<br />
und den zukünftigen Weg über die min<strong>im</strong>al- oder<br />
gering-invasive Chirurgie sowie interventionelle<br />
Verfahren bis hin zur molekularen <strong>Orthopädie</strong>,<br />
welche gemeinhin mit dem Schlagwort Tissue<br />
Engineering plakativ und einschränkend behaftet<br />
ist, beschrieben. Bestätigt wurde diese Richtung<br />
durch eine Erhebung der American Academy<br />
of Orthopaedic Surgeons <strong>im</strong> Jahr 2003, bei der<br />
Spezialisten aus allen Bereichen die zukünftigen<br />
Entwicklungen in ihrem orthopädischen Spezialgebiet<br />
definiert haben. Dabei wurden Tissue<br />
Engineering und die Zellbiologie als wichtigste<br />
zukünftige Forschungsfelder bezeichnet. Weitere<br />
Prioritäten wurden in der Definition von Biomarker<br />
sowie der Gentherapie, der Epidemiologie<br />
und Prävention von Verletzungen, der Alterung<br />
sowie der Infektionsbeherrschung zugeordnet.<br />
Aber auch der Kinematik und Computed Modelling<br />
sowie Ergebnisstudien, Biomaterialien und<br />
Schmerzforschung wurde eine große Bedeutung<br />
beigemessen. Das Ziel aller dieser Forschung<br />
richtet sich allerdings nur auf ein Ziel, das Adolf<br />
Lorenz <strong>im</strong> Jahr 1896 so beschrieben hat, als er<br />
versucht hatte, den Fachbereich dem damaligen<br />
Kaiser mit folgenden Worten zu erklären: „<strong>Orthopädie</strong>,<br />
Majestät, das ist die Kunst, die Krummen<br />
gerade und die Lahmen gehend zu machen.”<br />
Drei Forschungsfelder<br />
Was sind nun translationale Trigger <strong>für</strong> die Entwicklung<br />
der <strong>Orthopädie</strong>, und wohin sollen wir in<br />
Zukunft unser Augenmerk richten? Aus dem Dargestellten<br />
ergeben sich <strong>im</strong> Wesentlichen drei große<br />
Forschungsfelder, die unsere Aufmerksamkeit<br />
jetzt und in den nächsten <strong>Jahre</strong>n bzw. Jahrzehnten<br />
auf sich ziehen werden. Und zwar die Visualisierung,<br />
die Miniaturisierung und die Biom<strong>im</strong>etik.<br />
Visualisierung<br />
Wenden wir uns zuerst der Visualisierung zu, die<br />
bereits mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen<br />
wesentlich zum weiteren Verständnis der Zusammenhänge<br />
<strong>im</strong> Bereich des Bewegungsorganes<br />
geführt hat und die Grundlage <strong>für</strong> das biomechanische<br />
Verständnis in der <strong>Orthopädie</strong> gelegt hat.<br />
So sehr uns die konventionelle Röntgendiagnostik<br />
ebenso wie die Einführung und Weiterentwicklung<br />
der Schichtbildverfahren wie Computertomographie<br />
und Magnetresonanztomographie in<br />
der weiteren differenzierten Entwicklung des Faches<br />
unterstützt haben, so ist auf Basis dieser<br />
Techniken unser Verständnis eher von statischen<br />
Bedingungen geprägt.<br />
Im Gegensatz dazu stehen uns Techniken <strong>für</strong><br />
kinematische Untersuchungen wie die instrumentierte<br />
Ganganalyse seit verhältnismäßig geraumer<br />
Zeit zur Verfügung und ermöglichen uns<br />
nicht nur, komplexe Bewegungen und Achsfehlstellungen<br />
in dynamischer Form nach zu verfolgen,<br />
sondern kleinste Abweichungen mit aufwendiger<br />
Technik exakt und differenziert zu messen<br />
und zu kontrollieren. Dies ermöglicht, Unterschiede<br />
zu erkennen, die sich unserer Beobachtung<br />
möglicherweise entziehen und mit freiem Auge<br />
mit Sicherheit nicht quantifiziert werden können.<br />
So konnten wir bei instrumentierter Ganganalyse<br />
von Patienten, die entweder mit einer konventionellen<br />
min<strong>im</strong>alinvasiven <strong>im</strong>plantierten Hüfttotal-<br />
34<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
endoprothese oder einem Resurfacing versorgt<br />
worden waren, klinisch keine Unterschiede <strong>im</strong><br />
postoperativen Verlauf <strong>im</strong> Bezug auf Harris Hip<br />
Score und Womac Score entdecken. Die instrumentierte<br />
Ganganalyse hingegen zeigt uns signifikante<br />
Unterschiede nach drei Monaten, die sich<br />
in weiterer Folge nicht nivellierten, sondern bei<br />
der Sechs-Monats-Kontrolle noch ausgeprägter<br />
waren und zugunsten der konventionellen min<strong>im</strong>alinvasierten<br />
Hüfttotalendoprothese ausfielen.<br />
Die Visualisierung spielt auch nicht nur in der<br />
prä- und postoperativen Diagnostik bzw. Ergebnisanalyse<br />
eine wichtige Rolle, sondern intraoperativ<br />
<strong>für</strong> Positionierung von Schrauben, Nägeln oder<br />
Implantaten. Während sich andere Fächer wie<br />
die Neurochirurgie sehr früh dreid<strong>im</strong>ensionaler<br />
Operationsplanung oder intraoperative Ergebnisüberprüfung<br />
zuwandten, dominierte in unserem<br />
Bereich der C-Bogen mit der zweid<strong>im</strong>ensionalen<br />
Bilddarstellung bis heute das intraoperative<br />
Geschehen. Die Navigation war ein erster Versuch,<br />
die dritte D<strong>im</strong>ension in der intraoperativen<br />
Bilddarstellung einzuführen, der wir uns bereits<br />
1998 mit der navigierten Implantation von Hüfttotalendoprothesen<br />
gewidmet haben. Damalige<br />
Systeme bedurften einer aufwendigen Vorbereitung<br />
mittels präoperativer Computertomografie<br />
und Implantationsplanung, aber vor allem der<br />
intraoperativen Abst<strong>im</strong>mung, dem sogenannten<br />
Matchen zwischen der Anatomie des Patienten<br />
und dem virtuellen Bild des Computers. Die Probleme<br />
und Ungenauigkeiten, die durch diesen intraoperativen<br />
Abst<strong>im</strong>mungsvorgang resultierten,<br />
führten dazu, dass diese Technik aufgrund des<br />
fehlenden klinischen Benefits wieder verlassen<br />
wurde. Im Gegensatz dazu hat sich die Navigation<br />
in der Knieendoprothetik, die wir vor knapp<br />
zehn <strong>Jahre</strong>n begonnen haben, deutlich rascher<br />
verbreitet und höhere Akzeptanz gefunden, vor<br />
allem bei Systemen, die keine präoperative Planung<br />
benötigen, sondern anatomische Daten<br />
durch Abtasten der individuellen Patientenanatomie<br />
generierten. Mithilfe dieser Systeme war<br />
sowohl eine Achsausrichtung in allen D<strong>im</strong>ensionen,<br />
aber vor allem auch die Überprüfung der<br />
Weichteilbalance möglich.<br />
Große Herausforderungen in der operativen Versorgung<br />
und damit opt<strong>im</strong>ale Applikationsmöglichkeiten<br />
<strong>für</strong> die Navigation stellen komplexe<br />
Strukturen wie das Becken dar. So konnten wir<br />
auch zeigen, dass durch exakte präoperative Planung<br />
die Rate an inadäquaten Resektionen von<br />
pr<strong>im</strong>är malignen Beckentumoren signifikant verbessert<br />
werden konnte. Eine weitere vor vielen<br />
<strong>Jahre</strong>n begonnene Entwicklung der Navigation<br />
bei Beckentumoren stellten individuelle Schnittblöcke<br />
dar, wie sie zurzeit <strong>im</strong> Bereich der Knieendoprothetik<br />
als Innovation gefeiert werden. Neben<br />
der sicheren Resektion resultiert auch eine<br />
exakte Schnittfläche, <strong>für</strong> welche die individuelle<br />
Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten haben sich Strukturveränderungen in den<br />
verschiedensten Geweben wie Knochen, Knorpel und Bänder, die <strong>im</strong> Alter auftreten, in den Vordergrund gedrängt<br />
Veränderung der Lebenserwartung: Beobachtungszeitraum<br />
1891 – 2002 (Statistisches Bundesamt, 2004)<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 35
Prothese geplant wurde und somit eine exakte<br />
Passform gewährleistet ist. Ein Nachteil dieser<br />
Methode ist die Notwendigkeit der ausgedehnten<br />
Freilegung von Knochenstrukturen und damit<br />
Muskelablösung, wodurch gluteale Muskelinsuffizienzen<br />
gefördert werden.<br />
Neue Navigationssoftware<br />
Neueste Entwicklung <strong>im</strong> Bereich der Navigationssoftware<br />
hingegen ermöglichen Informationen aus<br />
verschiedenen Untersuchungen wie CT, MRT und<br />
PET-CT zu fusionieren und in der präoperativen<br />
Planung zu berücksichtigen. Eine Verbesserung<br />
des Abst<strong>im</strong>mungsalgorithmus zwischen virtuellem<br />
und realem Bild führt zu einer deutlich exakteren<br />
Umsetzung der Prozedur <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
früheren Applikationen. Dennoch ist die Abst<strong>im</strong>mung<br />
oder besser die Fusion zwischen virtuellem<br />
und realem Bild, also das sogenannte Matchen,<br />
die Achillesferse jeder Navigationstechnik, sodass<br />
intensive Anstrengungen unternommen werden,<br />
diese Probleme zu el<strong>im</strong>inieren. Ein möglicher Ansatzpunkt<br />
ist die selbstkalibrierende Registrierung<br />
auf Basis von 3D-Ultraschalltechnik oder aber die<br />
dreid<strong>im</strong>ensionale intraoperative Bilddarstellung<br />
mit Computertomografie oder ähnlichen Geräten.<br />
Intraooperative 3D-Bildgebungen mittels Computertomografie<br />
beginnen langsam auch <strong>im</strong> orthopädischen<br />
Bereich Fuß zu fassen, wenngleich<br />
die Größe der Systeme und der Durchmesser der<br />
Gantry L<strong>im</strong>itationen auferlegen. Neueste Entwicklungen<br />
wie auf Angiographiegeräten basierende<br />
und ähnlich einem C-Bogen funktionierende<br />
3D-Bildgeräte erlauben bereits CT-ähnliche<br />
Bildqualitäten bei einfacher Handhabung. Neben<br />
der darauf gewährleisteten automatischen Registrierung<br />
nach Applikation eines Markers haben<br />
diese 3D-Geräte auch noch den Vorteil der sofortigen<br />
postoperativen Kontrolle bei komplexen<br />
Strukturen wie Becken oder Wirbelsäule.<br />
Radiostereometrische Analysetechnik<br />
Eine neue D<strong>im</strong>ension der Ergebnisbeurteilung lässt<br />
sich mit der radiostereometrischen Analysetechnik<br />
erstellen. Die Methode basiert auf s<strong>im</strong>ultaner Röntgenaufnahme<br />
eines Gelenkes in einem Winkel von<br />
mind. 40° und misst die Migration des in der Regel<br />
mit Tantulummarker bestückten Implantates in Relation<br />
zu den Markern, die in den Knochen <strong>im</strong>plantiert<br />
wurden. Die Sensitivität dieser Methode beträgt<br />
0,1 mm und stellt den Goldstandard in Bezug<br />
auf Migrationsanalysen von Endoprothesen, aber<br />
auch anderen Implantaten bzw. der Frakturheilung<br />
dar. So konnte in zahlreichen Studien eine Korrelation<br />
einer erhöhten Migrationsrate in den ersten<br />
zwei <strong>Jahre</strong>n mit einer signifikanten Erhöhung von<br />
Lockerungen nach mehreren <strong>Jahre</strong>n dargestellt<br />
werden. Auch die Qualität von Knochenzementen<br />
lässt sich exakt darstellen und hat in Einzelfällen<br />
zur vorzeitigen Rücknahmen aus dem Markt geführt.<br />
Mithilfe von Migrationsanalysen lässt sich<br />
Einführung der Navigation in der Hüftendoprothetik<br />
<strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 1998<br />
Navigation in der Knieendoprothetik <strong>im</strong><br />
<strong>Jahre</strong> 2002<br />
Min<strong>im</strong>alinvasive Stabilisierung<br />
der Wirbelsäule<br />
36<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
jedoch auch die Opt<strong>im</strong>ierung der Knochenqualität<br />
bei zementfreier oder auch zementierter Implantation<br />
überprüfen. So konnten wir in einer doppelblind<br />
randomisierten Studie von Patienten mit<br />
Hüftendoprothesen nachweisen, dass die einmalige<br />
Applikation von Zoledronsäure bei Risikopatienten<br />
mit Femurkopfnekrose zu einer signifikanten<br />
Reduktion der Migration der Pfanne, nicht jedoch<br />
des Schaftes innerhalb der ersten zwei <strong>Jahre</strong> führt.<br />
Biochemische Bildgebung<br />
Eine der jüngsten Innovationen <strong>im</strong> Bereich der Radiodiagnostik<br />
ist die biochemische Bildgebung, die<br />
<strong>für</strong> uns Orthopäden neue Horizonte in der Beurteilung<br />
entzündlicher, degenerativen und neoplastischer<br />
Prozesse darstellt. Von besonderem Vorteil<br />
ist die biochemische Bildgebung zur Ergebnisbeurteilung<br />
<strong>im</strong> postoperativen Verlauf von Knorpelregeneration,<br />
in dem sich der Proteoglykangehalt in<br />
der dGemric-Aufnahme mit dem klinischen Ergebnis<br />
korrelieren lässt und somit zur Objektivierung<br />
beiträgt. Dank der ausgezeichneten Kooperation<br />
mit dem Exzellenzzentrum <strong>für</strong> Hochfeld-MRT wurden<br />
auf Basis der Sieben-Tesla-Technologie bereits<br />
zahlreiche Projekte gestartet, mit dem Ziel,<br />
hochauflösende und biochemische Bildgebung verschiedener<br />
Strukturen wie Sehnen, Bandscheiben,<br />
Menisci und andere mit histologischen Daten, die<br />
in unserem Labor generiert werden, zu korrelieren.<br />
Miniaturisierung<br />
Die Verkleinerung der operativen Zugänge und<br />
schonende Operationstechniken haben in der<br />
Chirurgie, <strong>im</strong> Speziellen der orthopädischen Chirurgie<br />
seit Langem Eingang gefunden. Endoskopische<br />
Verfahren haben in unserem Bereich,<br />
Jahrzehnte bevor sie in der Allgemeinchirurgie <strong>im</strong><br />
großen Stil umgesetzt wurden, Aufsehen erregt<br />
und konnten durch kontinuierliche technische<br />
Opt<strong>im</strong>ierung und Entwicklung differenzierter rekonstruktiver<br />
Techniken auf andere Gelenke außer<br />
dem Kniegelenk ausgeweitet werden. Im Bereich<br />
der Endoprothetik haben sich schonende und<br />
gering invasive Operationsverfahren vor allem <strong>im</strong><br />
Hüftbereich durchgesetzt und dürfen bereits als<br />
Standardverfahren bezeichnet werden, während<br />
<strong>im</strong> Kniegelenk diese Techniken bei teilprothetischem<br />
Ersatz sinnvoll zur Anwendung kommen.<br />
An der Wirbelsäule sind min<strong>im</strong>alinvasive Verfahren<br />
wie Verteproblastie und Kyphoplastie ebenso<br />
etabliert, wenngleich ihre Indikation derzeit eine<br />
kritische Überarbeitung erfährt. Die Weiterentwicklung<br />
min<strong>im</strong>alinvasiver stabilisierender Verfahren<br />
an der Wirbelsäule ist derzeit noch nicht<br />
abgeschlossen und bedarf einer kritischen Observanz<br />
und Datengenerierung, um Evidenz auch in<br />
diesem Bereich zu erlangen. Im Bereich der Tumororthopädie<br />
hingegen konnte – abgesehen von<br />
Vertebroplastie und Radiofrequenzablation – nur<br />
wenig Fortschritt in der min<strong>im</strong>alinvasiven Ent-<br />
Durch die Navigation bei Beckentumoren können exakte individuelle Schnittblöcke erstellt werden. Neben der sicheren Resektion resultiert auch eine exakte Schnittfläche, <strong>für</strong> welche<br />
die individuelle Prothese geplant wird und somit eine exakte Passform gewährleistet<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 37
fernung von Tumoren erzielt werden. Einzig und<br />
allein zählt das Osteoidosteom zu den Entitäten,<br />
welches seit zwei Dekaden mit Radiofrequenzablation<br />
min<strong>im</strong>alinvasiv behandelt werden kann und<br />
Letzteres als Therapie der Wahl indiziert wird.<br />
Hochentwickelte Tumorentfernung<br />
Im Bereich der Tumororthopädie, in welchem<br />
min<strong>im</strong>alinvasive Verfahren weiter angewendet<br />
werden könnten, sind benigne Knochentumoren<br />
zu nennen, die nach Enneking intraläsional,<br />
aber makroskopisch <strong>im</strong> Gesunden curettiert<br />
werden. Derzeit werden diese Verfahren unter<br />
Sicht mit Anlegen eines ausgedehnten Knochenfensters,<br />
welches in der Regel 2/3 der Läsion<br />
umfasst, durchgeführt. Wenig verständlich ist,<br />
dass bis dato keine Anstrengungen unternommen<br />
wurden, um diese Läsionen mithilfe spezieller<br />
Instrumente zu curettieren. Eine Reihe<br />
verschiedener Prototypen ermöglicht es, mit<br />
einem flexiblen Kugelfräskopf bzw. rotierenden<br />
auslinkbaren propellerartigen Fräsköpfen unter<br />
Bildwandlerkontrolle eine Tumorentfernung<br />
durchzuführen (siehe Abbildungen). Die gleichzeitige<br />
Verwendung endoskopischer Instrumente<br />
ermöglicht eine exakte Kontrolle zur Überprüfung<br />
der Komplettheit dieser interventionellen<br />
Therapieoption.<br />
Biom<strong>im</strong>etik<br />
Wie eingangs erwähnt stellen die min<strong>im</strong>alinvasive<br />
Chirurgie ebenso wie die interventionellen<br />
Therapieverfahren lediglich eine Zwischenstation<br />
in den Bemühungen dar, durch Manipulationen<br />
in kleineren und molekularen Strukturen<br />
biologische Wiederherstellung zur erlangen oder<br />
zumindest zu <strong>im</strong>itieren. Der Terminus technicus<br />
<strong>für</strong> diese Interventionen auf molekularer Ebene<br />
ist unter dem Schlagwort Tissue Engineering<br />
bestens bekannt und hat als Hype in den letzten<br />
<strong>Jahre</strong>n mehr Hoffnungen erweckt als Vorstellungen<br />
erfüllt. Die vorwiegend in tierexper<strong>im</strong>entellen<br />
Untersuchungen dargestellten Möglichkeiten,<br />
biologische Strukturen wie Bänder, Sehnen,<br />
Knorpel, Meniskus, Knochen und Bandscheiben<br />
aus pluripotenten Stammzellen wiederherzustellen,<br />
hat viele dazu verleitet, das Ende der<br />
Ära der Endoprothetik vorzeitig anzukündigen<br />
bzw. sogar einzuläuten. Nach zwei Jahrzehnten<br />
intensiver Forschung ist eine gewisse Ernüchterung<br />
eingetreten, zumal die komplexen<br />
Zusammenhänge zwischen Zellen, Matrix und<br />
Wachstumsfaktoren zur Wiederherstellung verschiedener<br />
Gewebe nur bruchteilhaft bekannt<br />
sind. Während biologische Wiederherstellungen<br />
bei Knochendefekten am weitesten fortgeschritten<br />
sind, sind die Ergebnisse in absteigender<br />
Reihenfolge von Knorpeldefekten über Menisci,<br />
Sehnen bis hin zu Disci unbefriedigend und noch<br />
bei Weitem nicht ausgereift.<br />
An der Wirbelsäule sind min<strong>im</strong>alinvasive<br />
Verfahren wie Vertebroplastie etabliert<br />
Navigation mit Bildfusion: Moderne Navigationssoftware ermöglicht, Informationen aus verschiedenen Untersuchungen<br />
wie CT, MRT und PET-CT zu kombinieren<br />
38<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Für die biologische Rekonstruktion von Knochendefekten<br />
und <strong>im</strong> Besonderen zystischen Veränderungen<br />
steht uns eine Reihe von alternativen<br />
Knochenersatzstoffen neben Knochen aus der<br />
Gewebebank zur Verfügung. Um große Knocheneffekte<br />
jedoch einem raschen Durchbau zuzuführen,<br />
bedarf es einer St<strong>im</strong>ulation, die entweder<br />
mit der Applikation von Zellkonzentraten oder<br />
Wachstumsfaktoren möglich ist. Die präoperative<br />
Inkubation von hochporösen Knochenersatzstoffen<br />
mit explantierten Stammzellen lässt mittels<br />
Konfokalmikroskopie eine homogene Verteilung<br />
dieser Zellen bis hinein in die zentralsten Porenkanäle<br />
erkennen. Weiters konnten wir zeigen,<br />
dass die Kultivierung dieser Konstrukte in<br />
einem osteogen induzierenden Medium zu einer<br />
Expression von Knochenmarkern führen und damit<br />
eine Differenzierung der Stammzellen in die<br />
osteogene Linie darstellt. In vivo wird derzeit nur<br />
die direkte Applikation von Knochenmarksaspiraten<br />
aus dem Beckenkamm und Applikation auf<br />
Knochenersatzstoffe als Trägersubstanz verwendet,<br />
wodurch eine gute und rasche Osteointegration<br />
propagiert wird. Prospektiv randomisierte<br />
Studien hierzu sind jedoch noch ausständig. Eine<br />
weitere Opt<strong>im</strong>ierung dieses Systems sollte durch<br />
Zentrifugierung und der damit verbundenen Konzentration<br />
der Stammzellen aus diesen Knochenmarksaspiraten<br />
möglich sein.<br />
Problematischer als Knochenzysten mit großteils<br />
erhaltenem Cortex sind interkaläre Defekte, wo<strong>für</strong><br />
in der Regel autologe oder homologe Knochentransplantate<br />
respektive Kombinationen aus<br />
beiden inklusive vaskularisiertem Fibulatransfer<br />
herangezogen werden. Eine wichtige und etablierte<br />
Alternative ist die Distraktionsosteogenese,<br />
bei welcher durch Osteotomie und Transport eines<br />
Knochenzylinders mit einer Geschwindigkeit<br />
von 1 mm pro Tag über den Defekt hinweg neuer<br />
Knochen durch enchondrale oder desmale Ossifikation<br />
entsteht. Die Vaskularisation des umliegenden<br />
Gewebes spielt hierbei eine wesentliche<br />
Rolle, weswegen in der originalen Methode von<br />
Iizarov die externe Fixation zur Schonung der<br />
regionalen Durchblutung forciert wurde. Eigene<br />
exper<strong>im</strong>entelle Untersuchungen konnten jedoch<br />
nachweisen, dass auch auf Basis einer Plattenosteosynthese<br />
das biologische Prinzip der Distraktionsosteogenese<br />
reproduzierbar ist. Die Qualität<br />
des entstehenden Knochens ist zudem auch<br />
mechanisch induziert, indem bei stabilen Verhältnissen<br />
die intramembranöse Ossifikation bei<br />
eher instabileren Verhältnissen die enchondrale<br />
Ossifikation <strong>im</strong> Vordergrund steht. Bei sehr großen<br />
Defekten und Distraktionsstrecken kann jedoch<br />
die Konsolidierungsphase mehrere Monate<br />
in Anspruch nehmen, was bei externer Fixaktion<br />
abgesehen von der psychischen Belastung der<br />
Patienten auch zu andern Komplikationen wie Infektionen<br />
und Instabilitäten führen kann.<br />
Tumor Removal System – endoskopisch assistierte<br />
Aus räumung einer aneurysmatischen Knochenzyste<br />
3D-Migration und Verteilung von Humanen mesenchymalen Stammzellen in porösen Knochenersatzstoffen<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 39
Laut Mikrozensus der Statistik<br />
Austria (2007) stellen Probleme<br />
mit Beweglichkeit oder Mobilität<br />
auch die häufigste Ursache dauerhafter<br />
Beeinträchtigungen dar und<br />
liegen damit sehr deutlich vor<br />
Problemen be<strong>im</strong> Sehen,<br />
bei nervlichen oder psychischen<br />
Problemen, Problemen be<strong>im</strong><br />
Hören, Lernen oder Sprechen.<br />
Die Applikation von pluripotenten mesenchymalen<br />
Stammzellen ist auch hier eine Option, die nicht<br />
nur tierexper<strong>im</strong>entell, sondern auch human Anwendung<br />
gefunden hat, indem isolierte Stammzellen<br />
extern amplifiziert und in die teilweise<br />
mehrere Zent<strong>im</strong>eter betragenden membranösen<br />
Defekte der Distraktionsstrecke injiziert werden.<br />
Wir konnten auch dieses Verfahren als erste Institution<br />
bei der Distraktionsosteogenese in Österreich<br />
anwenden und in einem Heilversuch 60 Millionen<br />
Stammzellen bei verzögerter Konsolidierung<br />
in einen fünf Zent<strong>im</strong>eter langen Defekt injizieren.<br />
Die dadurch induzierte Knochenneubildung führte<br />
zu einer guten Verknöcherung des Defektes,<br />
jedoch fehlenden Konsolidierung, die auch durch<br />
eine zweite Applikation nicht vervollständigt werden<br />
konnte. Diese zeigt auch klar, dass bei Sistieren<br />
der Distraktion und fehlender Expression<br />
von Angiogenesefaktoren die Zellapplikation alleine<br />
nicht ausreichend ist, um das Endprodukt<br />
der Knochenneubildung zu erzielen. Dem Aspekt<br />
der Veränderung der Stammzellen unter mechanischer<br />
Belastung wurde in einer eigenen Studie<br />
Rechnung getragen, die erstmals die Auswirkungen<br />
von mechanischer Belastung auf die weitere<br />
Entwicklung undifferenzierter humaner, mesenchymaler<br />
Stammzellen analysiert hat.<br />
Die Ergebnisse dieser auf Transkriptionsebene<br />
kontrollierten Studie zeigten, dass bei sehr heterogenen<br />
Ausgangsbedingungen zwischen den<br />
einzelnen Individuen eine Expression sowohl von<br />
Genen, die mit osteogener als auch chondrogener<br />
Differenzierung assoziiert waren, erfolgte. Diese<br />
und zahlreiche andere Studien beleuchteten die<br />
hohe Sensitivität von mesenchymalen Stammzellen<br />
auf mechanische Belastung, wenngleich der<br />
Trigger <strong>für</strong> die Differenzierung in die eine oder andere<br />
Richtung nicht exakt geklärt werden konnte.<br />
Mithilfe neuer Technologien der Genanalyse anhand<br />
von Gene Arrays war es auch möglich, komplexere<br />
Information über die Differenzierung zu<br />
erlangen. So haben wir das Genexpressionsprofil<br />
von humanen mesenchymalen Stammzellen aus<br />
dem Knochenmark während der Expansion und<br />
Differenzierungen in Richtung Osteoblasten mit<br />
einem Microarray bestehend aus 30.000 Elementen<br />
untersucht.<br />
Nach zehn Passagen und 26 Zellverdoppelungen<br />
resultierte ein unveränderter Phänotyp sowie eine<br />
osteogene und adipogene Differenzierungspotenz.<br />
Aus diesen 30.000 Elementen konnten zwölf Gencluster<br />
isoliert werden, die in unterschiedlicher<br />
Konstellation während der Proliferationsphase,<br />
der Matrixreifung und der Mineralisation hinauf<br />
oder hinunter reguliert wurden. Dieses komplexe<br />
Muster der Genexpression spiegelt auch die Bedeutung<br />
der Bone Morphogenetic Proteins (BMP)<br />
dar, die Marshall Urist in den 60er <strong>Jahre</strong>n postuliert<br />
und die in den 70er/80er <strong>Jahre</strong>n in kleinen<br />
Mengen isoliert wurden. Diese jahrzehntelange<br />
Entwicklung kumulierte in der Klonierung von<br />
BMP-DNA und der Produktion von rekombinanten<br />
BMP in großen Mengen aus genetisch modifizierten<br />
Bakterienkulturen in den 90er <strong>Jahre</strong>n.<br />
Dies ist eine der größten molekularbiologischen<br />
Erfolgsgeschichten in der orthopädischen Chirurgie,<br />
die jedoch auch den Aufwand und die<br />
Schwierigkeiten zeigt bis ein wissenschaftliches<br />
40<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Produkt in die klinische Verwendung translationiert<br />
werden kann. Die heutzutage verwendeten<br />
BMPs stellen allerdings nur einen einzigen Faktor<br />
von vielen dar, die während der Osteogenese<br />
expr<strong>im</strong>iert werden, und repräsentieren somit<br />
bestenfalls ein Blitzlicht <strong>im</strong> kanonischen Ablauf<br />
der Wachstumsfaktoreninteraktion. Die klinische<br />
Anwendung weist auch Grenzen auf und<br />
obwohl das Hundertfache der Gesamtkörpermenge<br />
an BMP bei einer Operation lokal appliziert<br />
wird, ist der Effekt bedingt durch teilweise<br />
Aktivierung auch der Osteoklasten beschränkt.<br />
Dies trifft vor allem <strong>für</strong> das BMP 2 zu, das in<br />
erster Linie klinisch angewendet wird, während<br />
BMP 6 eine wesentliche effizientere osteoplastische<br />
Aktivität <strong>im</strong> Vergleich zu BMP 2 und BMP 7<br />
entfalten kann. Dieses Produkt, welches in min<strong>im</strong>aler<br />
Menge appliziert werden muss und somit<br />
auch kosteneffizienter ist, soll nun <strong>im</strong> Rahmen<br />
eines FP7-Health-EU-Projektes unter dem Namen<br />
Osteogrow untersucht werden und es freut<br />
mich besonders, dass ich mit meiner Klinik Teil<br />
des Studiensteringkomitees bin.<br />
Die Verwendung von Genprodukten<br />
Eine weitere Möglichkeit, die Knochenst<strong>im</strong>ulation<br />
vor Ort zu st<strong>im</strong>ulieren, ist die Verwendung von<br />
Genprodukten, die Wachstumsfaktoren wie zum<br />
Beispiel BMP 2 oder TGF-beta kodieren und entweder<br />
ex vivo oder in vivo in humanes Gewebe eingebracht<br />
werden. Der Vorteil dieser Methode ist<br />
die mehrwöchige Aktivität vor Ort und damit die<br />
dauerhafte Produktion von Wachstumsfaktoren.<br />
Durch langjährige Kooperation mit Chris Ewans<br />
von der Harvard-Universität konnten wir Einblicke<br />
in Reparationsstrategien sowohl <strong>für</strong> Knochen<br />
als auch Knorpel erlangen. Im Gegensatz zu Knochen<br />
ist die Regeneration <strong>im</strong> Knorpelgewebe wesentlich<br />
aufwendiger und auch weniger effektiv.<br />
Biologische Rekonstruktionen von Knorpeldefekten<br />
durch Mosaikplastik, Mikrofrakturierung oder<br />
autologe Chondrozytentransplantation sind zwar<br />
lange etabliert, jedoch in der Anwendbarkeit bis<br />
zu einem Alter von etwa <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n l<strong>im</strong>itiert. Die<br />
Wertigkeit der einzelnen Verfahren wurde erst in<br />
letzter Zeit durch zunehmende Evidenz auf Basis<br />
hochqualitativer Stu dien nivelliert und ist somit<br />
kritisch zu betrachten. Die Gentherapie stellt<br />
auch hier die Möglichkeit zur Verfügung, Wachstumsfaktoren-koodierende<br />
Genprodukte in ein<br />
Blutkoagel einzubringen und dieses in den Defekt<br />
zu <strong>im</strong>plantieren. Wie wir zeigen konnten, ist<br />
diese Methode auch in der höheren Tier reihe bis<br />
zum Schaf hin nachvollziehbar und führt zu einem<br />
Regenerat, welches hyalinem Knorpel sehr<br />
ähnlich und in Bezug auf Glykosaminoglykangehalt<br />
nahezu ident ist.<br />
Die Biom<strong>im</strong>etik ist in Bezug auf biologische Rekonstruktion<br />
und Regeneration von Strukturen<br />
unterschiedlich weit hervorgeschritten und in der<br />
Knochendefektrekonstruktion mit Tricalciumphosphat und Beckenkammaspirat<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 41
oben dargestellten Reihenfolge in abnehmender<br />
Weise effizient. L<strong>im</strong>itierend <strong>für</strong> alle biologischen<br />
Regenerationen ist die Vitalität und biologische<br />
Aktivität des Empfängerorgans, der zwar klinisch<br />
Rechnung getragen wurde, indem z. B. Chondrozytentransplantationen<br />
nur bis zu einem gewissen<br />
Alter durchgeführt wurden, welche jedoch bis<br />
dato nicht in umfangreicher Weise wissenschaftlich<br />
aufgearbeitet wurde. Da die mitochondriale<br />
Aktivität als Marker <strong>für</strong> die biologische Aktivität<br />
in anderen Bereichen der Medizin etabliert ist,<br />
haben wir uns daran gemacht, auch hier einen<br />
Forschungsschwerpunkt zu etablieren und die Alterationen<br />
von Mitochondrien bei degenerativen<br />
Erkrankungen weiter zu erforschen.<br />
Glykobiologie<br />
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Glykobiologie, die<br />
durch die Expertise von Dr. Tögel in unser Labor<br />
eingeflossen ist. Im Gegensatz zu DNA-Sequenzen<br />
und deren Produkten, den Proteine, sind Glykoproteine<br />
Eiweisstoffe, die durch Carbohydrate modifiziert<br />
sind, wodurch deren Komplexität noch deutlich<br />
höher liegt, andererseits jedoch aufgrund der<br />
Veränderungen an der Oberfläche die Möglichkeit<br />
der Andockung von Galectinen, Produkten und<br />
Medikamenten erlauben. Als Basis und derzeitiger<br />
Schwerpunkt des Labors sollte in erster Linie<br />
die Expression und das Verteilungsmuster dieser<br />
Carbohydrate und Galectine von orthopädischen<br />
Geweben definiert und physiologische und pathophysiologische<br />
Funktionalitäten der veränderten<br />
Glykoproteine evaluiert werden.<br />
Bei all diesen innovativen Ansätzen bleibt letztendlich<br />
die Frage, ob wir ausreichend Personalressourcen<br />
haben werden, um die orthopädische<br />
Forschung in Zukunft entsprechend voranzutreiben.<br />
Eine rezente Studie aus den USA, die bei in<br />
Ausbildung Stehenden erhoben wurde, zeigt, dass<br />
9 % definitiv keine und 21 % wahrscheinlich keine<br />
Forschung betreiben werden. 28 % waren unsicher<br />
und 32 % bekannten sich dazu, wahrscheinlich Forschung<br />
in Zukunft durchzuführen. Lediglich 10 %<br />
waren bereit und entschlossen, neben einer klinischen<br />
Tätigkeit auch Wissenschaft zu betreiben.<br />
Diese ernüchternden Erkenntnisse zeigen uns,<br />
dass Forschung nicht nur attraktiv, sondern auch<br />
lebenswerter gemacht werden muss. Kollegen, die<br />
in Ausbildung stehen, sind in der Regel überfordert,<br />
neben der Wissensakquisition <strong>für</strong> die Ausbildung<br />
noch zusätzlich Forschung zu betreiben.<br />
Eine andere Studie aus den USA aus dem Jahr<br />
2009 belegt auch, dass die psychische Belastung<br />
während der ersten drei von fünf Ausbildungsjahren<br />
deutlich erhöht ist und somit <strong>für</strong><br />
die Organisation <strong>für</strong> Forschung berücksichtigt<br />
werden muss. Ziel sollte es sein die Systematik<br />
der Forschung noch vor der klinischen Ausbildung<br />
zu erlernen, wo<strong>für</strong> sich die unterschiedlichen<br />
PhD-Programme, die auch in der medi-<br />
Expression von Galektinen in osteoarthritischen Chondrozyten<br />
Abbildung von Chondrozyten-Mitochondrien<br />
42<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
zinischen Universität <strong>Wien</strong> angeboten werden,<br />
eignen. Wenn aber muskuloskelettale Erkrankungen<br />
ein Schwerpunktprogramm der MUW<br />
darstellen sollen, so muss es unser Ziel sein, ein<br />
Programm über muskuloskelettale Forschung,<br />
das <strong>im</strong> translationalen Bereich angeordnet sein<br />
könnte, zu etablieren, zumal eine entsprechende<br />
Abbildung in den etablierten PhD-Programmen<br />
nicht gegeben ist.<br />
Entdeckungsreise in die Zukunft<br />
<strong>Orthopädie</strong> Translational ist die Notwendigkeit<br />
der Bewegung in allen Bereichen der klinischen<br />
Tätigkeit Forschung, aber auch Ausbildung und<br />
Lehre, um den Anforderungen, die vor uns stehen<br />
und auf uns zukommen, gerecht werden<br />
zu können. Um hier erfolgreich zu sein, bedarf<br />
es der Bereitschaft, gewohnte Pfade zu verlassen<br />
und eine neue Sicht der Dinge zuzulassen<br />
und mit Marcel Proust zu sprechen: „Die wirkliche<br />
Entdeckungsreise besteht nicht in der Suche<br />
nach neuen Landschaften, sondern in einer<br />
neuen Art zu sehen.” Wir müssen Anstrengungen<br />
unternehmen, den Triple-Track aus Forschung,<br />
Lehre und Klinik zu einer harmonischen Symbiose<br />
zu führen und <strong>für</strong> alle lebenswerter zu machen.<br />
Personen sind unsere wichtigste Ressource,<br />
die es zu pflegen gilt, da sie einzig und allein den<br />
Fortschritt gewährleisten.<br />
Niemand geringerer als Herbert Markl, früherer<br />
Präsident des DFG und Präsident der Max Plank Gesellschaft,<br />
hat dies auf den Punkt gebracht mit seiner<br />
Feststellung: Die Figuren und nicht die Strukturen<br />
best<strong>im</strong>men den medizinischen Fortschritt. In<br />
diesem Sinne freue ich mich, mit meinem Team die<br />
dargelegten Ziele weiterzuverfolgen.<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Windhager, Tögel, Magritte<br />
„Wir müssen Anstrengungen<br />
unternehmen, den Triple-Track<br />
aus Forschung, Lehre und Klinik<br />
zu einer harmonischen Symbiose<br />
zu führen und <strong>für</strong> alle lebenswerter<br />
zu machen. Personen sind<br />
unsere wichtigste Ressource, die<br />
es zu pflegen gilt, da sie einzig<br />
und allein den Fortschritt<br />
gewährleisten.“<br />
Reinhard Windhager<br />
Das Logo der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> mit seinem „Vorbild”<br />
„Die Entdeckungsreise besteht nicht in der Suche nach<br />
neuen Landschaften, sondern in einer neuen Art zu sehen”<br />
<strong>Orthopädie</strong> – quo vadis? <strong>Orthopädie</strong> Translational ist die notwendige Bewegung<br />
in allen Bereichen der klinischen Forschung, Tätigkeit, Ausbildung und Lehre<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 43
27 28 29<br />
31<br />
32<br />
18<br />
20<br />
22<br />
30<br />
24<br />
33<br />
19<br />
26<br />
10<br />
11<br />
21<br />
14<br />
23<br />
16<br />
25<br />
17<br />
9<br />
12<br />
15<br />
13<br />
1<br />
2<br />
3<br />
5<br />
7<br />
8<br />
6<br />
4<br />
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager (5) umgeben von seinem Team: Dr. Georg Fraberger (1), ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Dominkus (2), ao. Univ.-Prof. Dr. Hugo Axel Wanivenhaus (3),<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Petra Krepler (4), ao. Univ.-Prof. Dr. Catharina Chiari (6), ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Giurea (7), Ass.-Prof. Dr. Klaus-Dieter Schatz (8), Dr. Michael Matzner (9),<br />
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Manuel Sabeti-Aschraf (10), Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Philipp Funovics (11), Ass.-Prof. Dr. Gobert von Skrbensky (12), ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Grohs (13)<br />
44<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Dr. Erdal Cetin (14), ao. Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer (15), Dr. Bernd Kubista (16), Dr. Ulrich Koller (17), Dr. Jochen Hofstätter (18), Dr. Alexander Kolb (19), Dr. Verena Stockhammer (20),<br />
Dr. Joannis Panotopoulos (21), Dr. Eleonora Schneider (22), Dr. Markus-Johannes Handl (23), Dr. Ulrike Marquart (24) Dr. Andreas Lunzer (25), Dr. Max<strong>im</strong>ilian Schmidt (26), Dr. Stefan<br />
Tögel (27), Dr. Sonja Walzer (28), Gastarzt (29), Dr. Nevenka Drmic (30), Dr. Florian Sevelda (31), Dr. Gerhard Hobusch (32), Dr. Johannes Holinka (33)<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 45
fachbeiträge aus der orthopädie
125 <strong>Jahre</strong> Kinderorthopädie<br />
an der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
Die Anfänge der <strong>Orthopädie</strong> stehen in engem<br />
Zusammenhang mit kinderorthopädischen<br />
Erkrankungsbildern. Adolf Lorenz (1854 – 1946)<br />
wird als der Gründer der <strong>Wien</strong>er <strong>Orthopädie</strong><br />
gesehen. Seine Unverträglichkeit <strong>für</strong> Carbol<br />
machte ihm das Operieren unmöglich, weshalb<br />
er sich auf die „unblutige <strong>Orthopädie</strong>” spezialisierte.<br />
Die Initiative dazu ging von Lorenz’<br />
Lehrer, Eduard Albert, Vorstand der 1. Chirurgischen<br />
Abteilung, aus, der Lorenz zu diesem<br />
Schritt riet. Lorenz betrieb damals eine eigene<br />
Ambulanz <strong>im</strong> 7. Hof des Allgemeinen Krankenhauses<br />
und hatte fünf Gastbetten auf der chirurgischen<br />
Abteilung zur Verfügung. Aufgrund<br />
seiner Erfolge wurden ihm diese Räumlichkeiten<br />
bald zu klein. Die Krankheitsbilder, auf die<br />
er sich damals fokussierte, fasste er in Monographien<br />
zusammen. Es ging um die Behandlung<br />
des Plattfußes, Klumpfußes und der Skoliose.<br />
Seine Entwicklung war das modellierende Redressement,<br />
also das etappenweise Korrigieren<br />
von Fehlstellungen. Dies stand <strong>im</strong> Gegensatz zu<br />
dem damals in Frankreich populären Brisement<br />
forcé, das mit gewaltsamen Einrenkungsbewegungen<br />
versuchte, Fehlformen zu beseitigen<br />
und mit einem entsprechendem Frakturrisiko<br />
verbunden war.<br />
Einfache Operationen als Ergänzung<br />
zu konservativen Methoden<br />
In weiterer Folge konnte Lorenz sich auch wieder<br />
chirurgischen Eingriffen zuwenden, was durch<br />
die Entwicklung der Asepsis mittels Alkoholwaschung<br />
möglich wurde. Sein Konzept bestand jedoch<br />
darin, möglichst einfache und kleine Operationen<br />
als Ergänzung zu konservativen Methoden<br />
anzuwenden. Heute würde man von min<strong>im</strong>alinvasiver<br />
Chirurgie sprechen – es handelte sich<br />
vorwiegend um subkutane Sehnenschnitte und<br />
Osteotomien über winzige Hautinzisionen. Zum<br />
Teil dürfte dieses Vorgehen auch dadurch bedingt<br />
gewesen sein, dass die beengte Bettensituation<br />
ihn dazu zwang, seine Patienten in umliegenden<br />
Gasthöfen unterzubringen, ein Vorgehen, das bei<br />
großen Knochenoperationen nicht möglich gewesen<br />
wäre. Ein typisches Beispiel dieser Strategie<br />
betrifft ebenfalls ein kinderorthopädisches<br />
Krankheitsbild, den muskulären Schiefhals. Lorenz<br />
erkannte, dass die einfache Abtrennung des<br />
Muskelansatzes an Brust- und Schlüsselbein mit<br />
anschließender Überkorrektur <strong>für</strong> vier Wochen<br />
<strong>im</strong> Gips narbige Veränderungen, die nach sonst<br />
üblichen großen Operationen auftraten, verhindern<br />
konnte 1-3 .<br />
a b c<br />
Lorenz bei einer unblutigen<br />
Hüftgelenksreposition<br />
Kräftediagramm Beckenosteotomie<br />
nach Chiari<br />
Klumpfußosteoklast<br />
nach Lorenz<br />
Klumpfußbehandlung nach Ponseti. Ettappengipse (a), Zustand nach<br />
perkutaner Achillessehnentenotomie (b), Abduktionsschiene (c)<br />
Tibiaverlängerung<br />
mittels Fixateur<br />
48<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari<br />
Die Behandlung der Hüftdysplasie<br />
<strong>im</strong> Wandel der Zeit<br />
Die größte Errungenschaft von Adolf Lorenz<br />
war die Behandlung der angeborenen Hüftgelenksluxation.<br />
Bis 1890 galt dieses Leiden als<br />
nicht behandelbar. Die ersten Versuche einiger<br />
Chirurgen waren die Einstellung des Gelenks<br />
durch ausgedehnte Muskeldurchtrennungen<br />
und Gelenkvertiefungen, die jedoch keine guten<br />
Ergebnisse brachten.<br />
Lorenz versuchte zunächst auch eine operative<br />
Behandlung, die er mit einer Extensionsbehandlung<br />
vorbereitete, und so das Ausmaß<br />
der Muskeldurchtrennung reduzieren konnte.<br />
Außerdem operierte er jüngere Kinder als seine<br />
Kollegen, weil er die Fehlstellung in einem Stadium<br />
behandeln wollte, in dem diese noch nicht<br />
so ausgeprägt war. Trotz guter Ergebnisse, die<br />
er 1895 publizierte, verlor er einige Patienten<br />
durch septische Komplikationen, was ihn dazu<br />
bewegte, das Gelenk bei der Operation ohne<br />
Eröffnung der Kapsel einzustellen.<br />
In weiterer Folge entwickelte er die geniale Idee,<br />
dass sich die Natur selbst helfen würde, wenn<br />
man fehlgebildete Gelenke gut aufeinander einstellt.<br />
Dies brachte ihn dazu, schon sehr junge<br />
Kinder <strong>im</strong> 2. bis 3. Lebensjahr zu behandeln.<br />
Er fixierte die Hüftgelenke in einer abnormen<br />
Spreizstellung, die die Gelenksentwicklung so<br />
weit ermöglichte, ohne dass eine Reluxation eintrat.<br />
Durch die damals bereits verfügbare Röntgenkontrolle<br />
konnte der Beweis <strong>für</strong> die gelungenen<br />
Repositionen geliefert werden. Tatsache war,<br />
dass die von Lorenz eingeführte revolutionäre<br />
Behandlungsmethode auf Ablehnung vor allem<br />
bei Chirurgen stieß. Der Bruch mit den Chirurgen<br />
führte 1901 zur Gründung einer eigenständigen<br />
„Deutschen Orthopädischen Gesellschaft”. Dies<br />
war die Geburtsstunde des Faches <strong>Orthopädie</strong>.<br />
Kleine orthopädische<br />
Abteilung mit 40 Betten<br />
Erst 1914 gelang es Lorenz, eine kleine orthopädische<br />
Abteilung mit 40 Betten zu errichten.<br />
1924 verabschiedete er sich mit 70 <strong>Jahre</strong>n und<br />
gab die Abteilung an die Chirurgie zurück, was<br />
<strong>für</strong> die weitere Entwicklung des Faches problematisch<br />
war. Julius Hass führte die orthopädische<br />
Station bis 1938, die Kinder wurden damals<br />
als Gäste auf der kinderchirurgischen Station<br />
untergebracht. Unter diesen Bedingungen war<br />
es <strong>für</strong> Hass schwierig, das Fach gebührend zu<br />
entfalten, obwohl er ein ausgezeichnetes Lehrbuch<br />
schrieb und sich um die <strong>Orthopädie</strong> mit<br />
der Entwicklung neuer Operationstechniken<br />
verdient machte.<br />
Unter anderen beschäftigte er sich auch speziell<br />
mit der Behandlung der Hüftgelenksluxation<br />
und der Gelenksplastik. Die <strong>Wien</strong>er Schule<br />
stellte damals die Frühestbehandlung der Hüftdysplasie<br />
durch spezielle Lagerung, wie sie von<br />
anderen europäischen Orthopäden durchgeführt<br />
wurde, infrage. Hass bevorzugte die offene<br />
Hüftgelenksreposition nach Ludloff mit<br />
Die größte Errungenschaft von<br />
Adolf Lorenz war die Behandlung<br />
der angeborenen Hüftgelenksluxation.<br />
Bis 1890 galt dieses<br />
Leiden als nicht behandelbar.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Kinderorthopädie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mi, 9.00 – 10.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in C. Chiari (Leitung)<br />
OA Dr. Alexander Kolb<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 49
Nachbehandlung durch eine Gipslade. Weiters<br />
wurde die Pfannendachplastik nach Lance angewendet,<br />
in veralteten Luxationsfällen erfolgte<br />
die „Lorenz'sche Gabelung”, eine Operation, bei<br />
der das prox<strong>im</strong>ale Femurende durch eine subtrochantäre<br />
Osteotomie in eine Bifurkation verwandelt<br />
wurde, die sich am Becken und in der<br />
Pfannengegend abstützte.<br />
Schwerpunkt in der Behandlung<br />
der Hüftdysplasie<br />
Gerhard Haberler aus München übernahm dann<br />
1938 bis 1945 die Nachfolge. Er setzte wieder<br />
einen Schwerpunkt in der Behandlung der Hüftdysplasie.<br />
Gemeinsam mit dem Kinderarzt Arnulf<br />
Maier führte er die Frühestbehandlung der<br />
Dysplasien ein. Durch den Zweiten Weltkrieg<br />
war die Arbeit Haberlers schwierig. Die orthopädische<br />
Station wurde in dieser Zeit auf 80<br />
Betten vergrößert. Und diese Zahl konnte auch<br />
nach dem Krieg erhalten bleiben. Karl Chiari<br />
kam 1936 an die orthopädische Station und war<br />
ein Schüler Haberlers.<br />
In dieser Zeit kam Hans Spitzy 1915 aus Graz<br />
nach <strong>Wien</strong> und gründete das „Orthopädische<br />
Spital” zur Behandlung Kriegsversehrter, aus<br />
dem nach dem Krieg ein ziviles „Orthopädisches<br />
Spital” in der Gassergasse hervorging. Spitzy<br />
publizierte 1922 seine Pfannendachplastik zur<br />
operativen Behandlung von Restzuständen der<br />
kindlichen Hüftgelenksdysplasie. Diese Operation<br />
wurde auch an der Abteilung von Haberler<br />
durchgeführt. Eine missglückte Operation, bei<br />
der das Becken ungewollt oberhalb der Hüftgelenkspfanne<br />
durchtrennt wurde, löste bei Chiari<br />
die Idee zu seiner später entwickelten Beckenosteotomie<br />
aus.<br />
1946 bis 1955 wurde die orthopädische Station<br />
von Albert Lorenz, dem Sohn von Adolf Lorenz,<br />
geführt, Chiari arbeitete mit ihm in dieser Zeit<br />
gemeinsam. Franz Endler war ebenfalls an der<br />
Abteilung tätig, er forcierte die Frühbehandlung<br />
der Hüftdysplasien und führte die Umstellungsosteotomien<br />
am prox<strong>im</strong>alen Femur ein.<br />
Der nächste Meilenstein in der Behandlung der<br />
Hüftdysplasie war die Einführung der Beckenosteotomie<br />
nach Chiari.<br />
Chiari übernahm die Station 1955 von Lorenz,<br />
1962 entstand daraus die eigenständige „<strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>”, die sich zunehmend<br />
operativ ausrichtete. Die Beckenosteotomie<br />
nach Chiari hatte deutliche biomechanische<br />
Vorteile gegenüber den bisher üblichen Pfannendachplastiken,<br />
da sie durch eine Medialisierung<br />
des Gelenks eine vollständige Überdachung<br />
des Hüftkopfes ermöglicht und sich günstig auf<br />
Kraft- und Lastarm auswirkt.<br />
Chiari führte an die 3.000 Beckenosteotomien<br />
durch, wobei die Indikationsstellung in den<br />
<strong>50</strong>er und 60er <strong>Jahre</strong>n in erster Linie Kinder und<br />
Jugendliche mit luxierten Gelenken betraf, die<br />
s<strong>im</strong>ultan reponiert wurden und teilweise auch<br />
zweizeitig oder s<strong>im</strong>ultan mit prox<strong>im</strong>alen Femursosteotomien<br />
eingestellt wurden. Später<br />
wurde die Indikation auch auf Erwachsene mit<br />
Restdysplasien und sogar Dysplasiearthrosen<br />
ausgeweitet, sodass auch über 60-Jährige mit<br />
dieser Operation versorgt wurden. Die Auswertung<br />
der ersten Langzeitergebnisse durch Chiari<br />
selbst brachten ihn jedoch dazu, die Indikation<br />
enger zu sehen. Der Salter-Osteotomie, die in<br />
den 60er <strong>Jahre</strong>n in Toronto entwickelt wurde,<br />
stand er zunächst skeptisch gegenüber, führte<br />
sie jedoch in den 70er <strong>Jahre</strong>n <strong>für</strong> die Gruppe der<br />
jüngeren Kinder an der eigenen Klinik ein 4 .<br />
Chiari-Beckenosteotomie – führende<br />
Operation zur Behandlung der Hüftdysplasie<br />
Später wurde auch die Pemberton-Osteotomie in<br />
das Repertoire aufgenommen. Die hervorragende<br />
technische Beherrschung der Chiari-Beckenosteotomie<br />
führte dazu, dass sie bis in die 90er<br />
<strong>Jahre</strong> die führende Operation zur Behandlung der<br />
Hüftdysplasie an der „<strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong>”<br />
blieb. Die späteren Publikationen von Windhager<br />
und Lack zeigten, dass die Langzeiterfolge der<br />
Operation <strong>im</strong> Wesentlichen vom Ausmaß der Arthrose<br />
zum Zeitpunkt der Beckenosteotomie abhängig<br />
waren, also eine bereits bestehende Dysplasiearthrose<br />
eine schlechtere Voraussetzung<br />
bedeutete. Rezente noch unpublizierte Daten<br />
überblicken 416 Patienten (519 Beckenosteotomien)<br />
mit einer durchschnittlichen Nachuntersuchungsdauer<br />
von 36 <strong>Jahre</strong>n, die eine mediane<br />
Überlebensrate von 32,7 <strong>Jahre</strong>n mit Hüfttotalendoprothese<br />
oder Arthrodese als Endpunkt in der<br />
Kaplan-Meier-Analyse zeigte. 40 % der Patienten<br />
waren zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung<br />
noch ohne Hüftgelenksersatz.<br />
Damals erfolgte auch die Einführung des Frühröntgens<br />
zur Entdeckung von stummen Frühdysplasien<br />
als Screening-Methode. Gemeinsam mit<br />
<strong>50</strong><br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Herbert Kristen wurde eine dosissparende Röntgenuntersuchungsmethode<br />
entwickelt. 1986<br />
wurde das Ultraschallscreening nach Graf eingeführt.<br />
Durch die ultraschallgesteuerte Behandlung<br />
der Dysplasien bereits <strong>im</strong> Säuglingsalter<br />
ging die Anzahl der chirurgischen Eingriffe deutlich<br />
zurück. Parallel dazu führte die Entwicklung<br />
der Endoprothetik zu einem weiteren Rückgang<br />
der Beckenosteotomien <strong>im</strong> Erwachsenenalter, da<br />
bei Dysplasiearthrosen dem künstlichen Gelenksersatz<br />
der Vorzug gegeben wird.<br />
Eine weitere Entwicklung zur chirurgischen Behandlung<br />
der Hüftdysplasie war die polygonale<br />
Beckenosteotomie durch Rainer Kotz <strong>im</strong> Jahr<br />
1992 5 , die eine Reorientierung der Hüftgelenkspfanne<br />
bei kongruenten Gelenksverhältnissen<br />
ermöglicht. Aufgrund der Gefahr der Überkorrektur<br />
und des Risikos von Impingement wurde<br />
die Technik wieder aufgegeben.<br />
Aktuelle Strategie<br />
Die aktuelle Strategie in der Behandlung von<br />
Hüftgelenksdysplasien hat sich in den letzten 25<br />
<strong>Jahre</strong>n wenig geändert. Wir führen weiterhin den<br />
international etablierten Goldstandard der ultraschallgesteuerten<br />
Abspreiz-Therapie nach Graf<br />
<strong>im</strong> Säuglingsalter durch. Eine Vorbehandlung<br />
mit Overhead-Extension und anschließender geschlossener<br />
Reposition mit Arthrographie-Kontrolle<br />
und Fettweis-Gips ist bei luxierten Hüften<br />
angezeigt. Seit einigen <strong>Jahre</strong>n hat sich die Repositionskontrolle<br />
mittels MRT bewährt. In den<br />
seltenen Fällen, in denen eine offene Reposition<br />
erforderlich ist, erfolgt diese nach Ludloff oder<br />
über einen anterolateralen Zugang. Dysplasien<br />
<strong>im</strong> Kindesalter werden je nach Altersgruppe und<br />
Gelenksanatomie mit Osteotomien nach Dega<br />
bzw. Pemberton oder Salter behandelt. Bei Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen setzen sich<br />
die Triple-Osteotomie und die periazetabuläre<br />
Beckenosteotomie durch. Bei Dysplasiearthrosen<br />
erfolgt die endoprothetische Versorgung 1,2,3,6 .<br />
Klumpfußtherapie an der<br />
<strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong><br />
Die erste Publikation zur Klumpfußbehandlung<br />
stammt von Adolf Lorenz aus dem Jahr 1884,<br />
hier berichtet er über die operative Therapie des<br />
Klumpfußes 7 . Seine wesentliche Errungenschaft<br />
auf diesem Gebiet war jedoch die Einführung der<br />
unblutigen Klumpfußbehandlung mit dem sogenannten<br />
modellierenden Redressement. Der<br />
Lorenz'sche Osteoklast 8 fand weltweite Verbreitung.<br />
Sein Schüler Julius Hass publizierte 1913<br />
einige Modifikationen bzw. Ergänzungen zur<br />
Lorenz'schen Redressur 9 , die aus der zusätzlichen<br />
Anwendung von Calcaneuszügeln, Vorfußzügeln<br />
und einer elastischen Gummibinde zur Fixierung<br />
des Korrekturergebnisses bestand.<br />
1929 wies Gerhard Haberler nochmals auf die<br />
Bedeutung der unblutigen Behandlungsmethode<br />
hin. Die damals durchgeführten chirurgischen<br />
Eingriffe waren mit einer hohen Rate an Komplikationen<br />
und Rezidiven verbunden. Die Weiterentwicklung<br />
der Lorenz'schen Redressur führte<br />
zu einer Ergänzung des modellierenden Redressements<br />
um eine subkutane Achillessehnentenotomie<br />
zur Korrektur der Spitzfußkomponente<br />
Die Einführung der Beckenosteotomie<br />
nach Chiari war ein<br />
Meilenstein in der chirurgischen<br />
Dysplasiebehandlung. Heute<br />
werden pfannenreorientierende<br />
Osteotomien bevorzugt.<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 51
Die Klumpfußtherapie wird heute<br />
pr<strong>im</strong>är konservativ nach der<br />
Ponseti-Methode durchgeführt.<br />
Die Pränataldiagnostik erlaubt<br />
eine frühzeitige Aufklärung der<br />
Eltern über die Therapiemöglichkeiten.<br />
mit anschließendem Gipsverband. Unweigerlich<br />
muss man hier die Parallele zu der heute angewendeten<br />
Methode nach Ponseti ziehen. Unter<br />
Karl Chiari wurde eine pr<strong>im</strong>är konservative<br />
Therapie mit frühem Behandlungsbeginn propagiert,<br />
entsprechend der Gipstechnik nach Johann<br />
Bösch 10 . Die Fälle, die jedoch auf eine konservative<br />
Therapie nicht ansprachen, wurden einer<br />
operativen Korrektur zugeführt, die bereits zu<br />
einem relativ frühen Zeitpunkt erfolgte. Martin<br />
Salzer und Wolfgang Schwägerl veröffentlichten<br />
1969 die damals angewendete Operationstechnik,<br />
die in einer Verlängerung der Achillessehne,<br />
einer dorsalen Kapsulotomie des oberen und<br />
unteren Sprunggelenkes und je nach Bedarf<br />
Verlängerung der Tibialis posterior und Flexordigitorum-longus-Sehnen<br />
bestand.<br />
Die wesentliche Neuerung 11 bestand in einer Fixierung<br />
der Korrektur <strong>im</strong> Rückfußbereich durch<br />
zwei Kirschnerdrähte, die von plantar durch Calcaneus<br />
und Talus bis in die Tibia gebohrt wurden.<br />
Diese Technik wurde unter Rainer Kotz in ähnlicher<br />
Weise fortgesetzt, wobei je nach Fehlstellung<br />
ein zusätzlicher medialer Release erfolgte<br />
und ein dritter Bohrdraht über das Os naviculare<br />
in den Talus zur Korrektur der Adduktionskomponente<br />
eingebracht wurde. 2009 erfolgte die<br />
Einführung der Ponseti-Methode 12 , die derzeit<br />
weltweit als Gold-Standard in der Behandlung<br />
des angeborenen Klumpfußes gilt.<br />
Catharina Chiari konnte <strong>im</strong> Rahmen von Auslandsaufenthalten<br />
die Methode direkt vom Entwickler<br />
Ignacio Ponseti in Iowa und seinem<br />
Schüler John Herzenberg in Balt<strong>im</strong>ore erlernen.<br />
Somit steht nun wieder die konservative Therapie<br />
mit standardisierten Redressionsgipsen und<br />
subkutaner Achillessehnentenotomie <strong>im</strong> Vordergrund.<br />
Die wenigen Behandlungsversager<br />
werden einer dorsomedialen Release-Operation<br />
zugeführt. Zunehmende Bedeutung gewinnt<br />
auch die Pränataldiagnostik mit Ultraschall und<br />
MRT, die es erlaubt, Familien schon früh über die<br />
Therapieoptionen aufzuklären.<br />
Deformitätenkorrektur – Fixateur<br />
externe und Wachstumssteuerung<br />
Die Anwendung von Fixateuren zur Knochendistraktion<br />
und Deformitätenkorrektur wurde<br />
zunächst exper<strong>im</strong>entell untersucht. Die ersten<br />
Publikationen in diesem Zusammenhang gehen<br />
auf Gerald Pflüger zurück, der zwischen 1976 und<br />
1979 drei Artikel 13,14,15 veröffentlichte, die sich mit<br />
Kallusdistraktion <strong>im</strong> Tiermodell und der Analyse<br />
des Kallus <strong>im</strong> klinischen Modell beschäftigten. Reinhard<br />
Windhager beschäftigte sich ebenfalls mit<br />
der Kallusdistraktion bzw. dem Knochentransport.<br />
In einem Schafmodell untersuchte er ein<br />
Knochentransportmodell mit einem aus Platten<br />
konstruierten internen Fixateur 16 . Die klinische<br />
Einführung der Distraktionsosteogenese mittels<br />
Fixateur externe 1986 ist ebenfalls Windhager<br />
zu verdanken. Die erste Patientenserie bestehend<br />
aus 31 Verlängerungsoperationen zwischen<br />
1989 und 1995 wurde wissenschaftlich nachuntersucht<br />
17 . 1999 wurde der erste „Taylor Spatial<br />
Frame” von Stefan Nehrer <strong>im</strong>plantiert. Maria<br />
Sluga setzte die Anwendung dieser Methode<br />
weiter fort und veröffentlichte auch eine Arbeit zu<br />
52<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
diesem Thema 18 . Dieses Hexapod-System ist bis<br />
heute die bevorzugte Methode bei der mutiplanaren<br />
Deformitätenkorrektur. In weiterer Folge<br />
wurde die Expertise weiter ausgebaut.<br />
Catharina Chiari absolvierte ein sechsmonatiges<br />
Fellowship am „International Institute for L<strong>im</strong>b<br />
Lengthening” in Balt<strong>im</strong>ore USA, wo weltweit die<br />
größte Anzahl an Extremitätenverlängerungen<br />
durchgeführt werden, und konnte wertvolle Erfahrungen<br />
sammeln – insbesondere betreffend<br />
die Korrektur von congenitalen Deformitäten.<br />
So wurden auch monolaterale Fixateursysteme<br />
mit Gelenksüberbrückung in Kombination mit<br />
Ringsystemen angewendet. Achskorrekturen<br />
und Beinlängendifferenzen geringeren Ausmaßes<br />
während des Wachstumsalters finden mit<br />
Wachstumssteuerung durch Hemiepiphysiodesen<br />
bzw. totalen Epiphysiodesen statt. Während<br />
die Verwendung von Blount-Klammern eine<br />
exakte Berechnung des Implantationszeitpunktes<br />
und der gewünschten Winkelkorrektur über<br />
das Restwachstum sowie die Breite und Höhe<br />
der Wachstumsfuge mit einer Winkelfunktion erfordert,<br />
wie von Axel Wanivenhaus 19 publiziert,<br />
hat die Einführung der sogenannten 8-plate vor<br />
fünf <strong>Jahre</strong>n eine wesentliche Vereinfachung gebracht.<br />
Dieses Implantat kann temporär bis zur<br />
Ausgradung der Beinachse <strong>im</strong>plantiert werden<br />
und ermöglicht nach Entfernung ein weiteres<br />
Wachstum, da die Wachstumsfuge geschont<br />
wird. Dadurch besteht eine größere Flexibilität<br />
hinsichtlich des Operationszeitpunkts und eine<br />
Risikomin<strong>im</strong>ierung betreffend Über- oder Unterkorrekturen.<br />
Ausblick in die Zukunft<br />
Die Kinderorthopädie wird ein wichtiger Themenschwerpunkt<br />
der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
bleiben. Die Behandlung unserer kleinen Patienten<br />
und Jugendlichen findet seit der Übersiedlung in<br />
das „Neue <strong>AKH</strong>” auf der gemeinsamen Kinderbelegstation<br />
der chirurgischen Fächer 17B statt. An<br />
dieser Stelle möchten wir uns auch <strong>für</strong> den unermüdlichen<br />
Einsatz des Pflegeteams dieser Station<br />
unter der jahrelangen Leitung von DGKS Irmtraud<br />
Winter bedanken. Die Errichtung des chirurgischen<br />
Kinderzentrums und die damit geplante Übersiedlung<br />
der Kinderbelegstation und auch des kinderorthopädischen<br />
OPs werden mit Spannung erwartet.<br />
Literatur:<br />
1<br />
Chiari K; Rückschau und Ausblick der <strong>Orthopädie</strong>; <strong>Wien</strong><br />
Klin Wochenschr 1962;21:417-21<br />
2<br />
Chiari K; Die Stellung der <strong>Orthopädie</strong> in Österreich;<br />
Österreichische Ärztezeitung 1970;11:1423ff<br />
3<br />
Chiari K; Rückschau auf die österreichische <strong>Orthopädie</strong><br />
seit Dr. Adolf Lorenz. In: <strong>Wien</strong> DAL-HdS, ed. 10 <strong>Jahre</strong><br />
Dr Adolf Lorenz-He<strong>im</strong> der Stadt <strong>Wien</strong>. <strong>Wien</strong>: Dr. Adolf<br />
Lorenz-He<strong>im</strong> der Stadt <strong>Wien</strong>; 1974:7-17<br />
4<br />
Chiari K; Medial displacement osteotomy of the pelvis.<br />
Clin Orthop Relat Res 1974:55-71<br />
5<br />
Kotz R, Da Vid T, Helwig U, Uyka D, Wanivenhaus A,<br />
Windhager R; Polygonal triple osteotomy of the pelvis.<br />
A correction for dysplastic hip joints; Int Orthop<br />
1992;16:311-6<br />
6<br />
Kotz R; 100 <strong>Jahre</strong> Behandlung der sogenannten „Angeborenen<br />
Hüftluxation” an der Universität <strong>Wien</strong>. In: Kotz<br />
R, Engel A, Schiller C, eds. 100 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> an<br />
der Universität <strong>Wien</strong>; Verlag der <strong>Wien</strong>er Medizinischen<br />
Akademie 1987:47-61<br />
7<br />
Lorenz A; Über die operative <strong>Orthopädie</strong> des Klumpfußes;<br />
<strong>Wien</strong>er Klinik 1884;6 u. 7<br />
8<br />
Lorenz A; Heilung des Klumpfußes durch das modellierende<br />
Redressement; <strong>Wien</strong>er Klinik 1896;22<br />
9<br />
Hass J; Technik des modellierenden Redressements des<br />
Klumpfußes; Zeitschrift <strong>für</strong> orthop Chir 1913;30:457-62<br />
10<br />
Bösch J; Zur Technik der Klumpfußbehandlung; Z Orthop<br />
1964;85:429<br />
11<br />
Salzer M, Schwagerl W; Surgical treatment of clubfoot<br />
with transfixation of the calcaneal part of the foot; Z<br />
Orthop Ihre Grenzgeb 1969;106:368-73<br />
12<br />
Ponseti IV; Treatment of congenital club foot; J Bone<br />
Joint Surg Am 1992;74:448-54<br />
13<br />
Lenart G, Pfluger G, Bidlo G, Pinter J, Fischerleitner<br />
F; Crystallographic investigation of distraction<br />
callus (author’s transl); Arch Orthop Trauma Surg<br />
1979;93:303-5<br />
14<br />
Thoma H, Pfluger G, Wolner C; On the tension to<br />
stretch ratio performing leg-lengthening, method and<br />
clinical results (author’s transl); Biomed Tech (Berl)<br />
1977;22:299-302<br />
15<br />
Pfluger G, Rahn BA, Fischerleitner F, Thoma H, Wolner<br />
C; Osseous bridging of the distraction gap in leg<br />
lengthening procedures (author’s transl); Arch Orthop<br />
Unfallchir 1976;86:45-60<br />
16<br />
Windhager R, Groszschmidt K, Tsuboyama T et al.;<br />
Recorticalization after bifocal internal bone transport<br />
in the double-plated sheep femur; J Orthop Res<br />
1996;14:94-101<br />
17<br />
Schiessel A, Windhager R, Fellinger E, Kotz R; Bone<br />
lengthening and soft tissue correction using the Ilizarov<br />
technique; <strong>Wien</strong> Klin Wochenschr 1998;110:364-9<br />
18<br />
Sluga M, Pfeiffer M, Kotz R, Nehrer S; Lower l<strong>im</strong>b deformities<br />
in children: two-stage correction using the Taylor<br />
spatial frame; J Pediatr Orthop B 2003;12:123-8<br />
19<br />
Wanivenhaus A, Schiller C; Epiphysiodesis as a means<br />
of controlling growth (calculation of angle function for<br />
planning the correction of axis errors); Z Orthop Ihre<br />
Grenzgeb 1989;127:125-9<br />
20<br />
Steingress N; Adolf Lorenz 1854-1946. Etappen eines<br />
langen Lebens. Herausgeber: 1997 Adolf Lorenz Verein;<br />
Verlag der <strong>Wien</strong>er Medizinischen Akademie, Abb 27<br />
Fotos:<br />
Kotz 1987, Steingress 1997, Chiari, Windhager<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 53
Die neuromuskuläre Fußambulanz<br />
Die Entstehung einiger Formen orthopädischer Erkrankungen<br />
steht in engem Zusammenhang mit<br />
Störungen des peripheren und zentralen Nervensystems<br />
und/oder der Muskulatur. Durch Ausfall<br />
einzelner oder mehrerer Muskelgruppen, deren<br />
Funktion auf einen intakten Nerven<strong>im</strong>puls angewiesen<br />
ist, kann es infolge der eingeschränkten<br />
Muskelfunktion zu erheblichen Störungen der Gelenksfunktion<br />
oder des gesamten Bewegungsapparates<br />
kommen. Das pr<strong>im</strong>är neurologische Problem<br />
führt so zu sekundären Schädigungen mit oft<br />
schweren Ausfallserscheinungen wie etwa einer<br />
Gangstörung durch Fußdeformierung und Muskelschwäche,<br />
feinmotorischen Problemen der Hände<br />
oder einer Fehlhaltung der Wirbelsäule bis hin zu<br />
schweren Einschränkungen der Atemfunktion. Am<br />
besten bekannt und beschrieben sind diese neuroorthopädischen<br />
Erkrankungen wohl am Beispiel<br />
vererbter/genetischer Formen, die durch ihren oft<br />
frühen Krankheitsbeginn, das familiäre Auftreten<br />
und den lebenslangen Krankheitsverlauf besonderes<br />
herausfordernd und kompliziert sind. Die in<br />
den letzten beiden Jahrzehnten durchgeführten<br />
systematischen Untersuchungen von betroffenen<br />
Patienten und Familien hat deren Häufigkeit und<br />
Bedeutung in Österreich aufgezeigt.<br />
Das Ziel der seit Mai 2012 neu eingerichteten neuromuskulären<br />
Fußambulanz ist die österreichweite<br />
schwerpunktmäßige Betreuung von Patienten<br />
und Familien mit pr<strong>im</strong>ären und sekundären neuro-orthopädischen<br />
Erkrankungen (insbesondere<br />
hereditären Polyneuropathien, Myopathien und<br />
spastischen Paraparesen) entsprechend dem internationalen<br />
Standard. Durch eine rechtzeitige,<br />
opt<strong>im</strong>ale und an den zu erwartenden Krankheitsverlauf<br />
angepasste orthopädische Versorgung<br />
können schwerwiegende Folgeschäden in vielen<br />
Fällen verhindert werden. Andererseits ist durch<br />
die Identifikation der zugrunde liegenden genetischen<br />
Ursachen bereits in Einzelfällen eine kausale<br />
Therapie in greifbare Nähe gerückt. Folglich<br />
kommt der genauen Diagnostik und der Differenzialdiagnose<br />
muskuloskelettaler Fehlfunktionen<br />
zukünftig eine <strong>im</strong>mer größere Bedeutung zu.<br />
Im wissenschaftlichen Bereich konnte in den<br />
letzten 15 <strong>Jahre</strong>n eine hohe internationale Reputation<br />
erreicht werden. Unsere Forschungsergebnisse<br />
wurden in höchstrangigen Zeitschriften<br />
publiziert 1-10 . Neue Gene als zugrunde liegende<br />
Ursache wurden nach systematischen Familienuntersuchungen<br />
identifiziert und auch als Krankheitsursache<br />
<strong>im</strong>mer wieder bestätigt 11, 12 . Die Studien<br />
wurden laufend durch den österreichischen<br />
Forschungsfonds (FWF) und die Österreichische<br />
Prävalenz in Österreich<br />
CMT<br />
Parkinson<br />
Multiple Sklerose<br />
Zerebralparese<br />
0 <strong>50</strong>00 10000 1<strong>50</strong>00 20000<br />
Infolge eines gestörten Aufbaus der peripheren Nerven kommt es zu distalen Atrophien<br />
in Händen und Füßen: Atrophie der Handmuskulatur und Hohlfuß<br />
Mit einer Prävalenz von 1:2<strong>50</strong>0 ist das CMT-Syndrom<br />
fast halb so häufig wie etwa die Multiple Sklerose.<br />
Mai 2012: Eröffnung der neuromuskulären<br />
Fußambulanz <strong>im</strong> <strong>AKH</strong><br />
54<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Univ.-Prof. in Dr. in Michaela Auer-Grumbach<br />
Nationalbank (ÖNB) unterstützt, wo<strong>für</strong> hier <strong>im</strong><br />
Namen der Forscher, aber auch der Patienten und<br />
deren Familien herzlich gedankt wird. Das Wesen<br />
und der Krankheitsverlauf neuro-orthopädischer<br />
Erkrankungen a <strong>im</strong> Folgenden am Beispiel der hereditären<br />
Polyneuropathien beschrieben.<br />
Hereditäre Polyneuropathien<br />
(Charcot-Marie-Tooth = CMT-Syndrom)<br />
Die hereditären Polyneuropathien sind bereits<br />
1886 erstmals als eigenständiges Krankheitsbild<br />
durch Charcot und Marie in Frankreich und durch<br />
Tooth in England beschrieben worden. Nach ihren<br />
Erstbeschreibern wird die Erkrankung bis heute<br />
auch als Charcot-Marie-Tooth Syndrom (CMT-<br />
Syndrom) bezeichnet. Mit einer Prävalenz von<br />
1:2.<strong>50</strong>0 ist das CMT-Syndrom fast halb so häufig<br />
wie etwa die Multiple Sklerose (siehe Tabelle<br />
links). Dennoch ist die Erkrankung vergleichsweise<br />
noch sehr wenig bekannt. In Österreich rechnet<br />
man mit ca. 4.000 Betroffenen.<br />
Klinik und Verlauf des CMT-Syndroms<br />
Der Krankheitsbeginn liegt oft <strong>im</strong> Kindes- oder<br />
Jugendalter. Infolge eines gestörten Aufbaus der<br />
peripheren Nerven kommt es zu distalen Atrophien<br />
in Händen und Füßen, sensiblen Ausfällen sowie<br />
Reflexverlust oder auch -steigerung. Da gerade<br />
die kleinen Fußmuskeln aufgrund des hier sehr<br />
langen Nervenverlaufs unzureichend versorgt<br />
werden, entsteht die <strong>für</strong> die Erkrankung typische<br />
Fußdeformität. Allmählich tritt jedoch auch eine<br />
Schwäche der peronealen Muskelgruppen ein,<br />
und das Gangbild entwickelt sich zum typischen<br />
Steppergang. Auch die kleinen Handmuskeln verschwinden<br />
langsam, und die Feinmotorik ist erheblich<br />
beeinträchtigt. Gelegentlich stehen auch<br />
sensible Ausfälle und Wundheilungsstörungen,<br />
die zu tiefen Fußulzera, Osteomyelitiden und Amputationen<br />
führen können, <strong>im</strong> Vordergrund. Andere<br />
Zusatzsymptome kommen gelegentlich vor<br />
und können Hinweise <strong>für</strong> die zugrunde liegende<br />
genetische Ursache anzeigen. Der Krankheitsverlauf<br />
ist meist langsam, chronisch progredient.<br />
Molekulargenetik des CMT-Syndroms<br />
Das CMT-Syndrom ist eine monogene Erbkrankheit,<br />
die allen Mendel'schen Erbgängen folgen<br />
kann. In Österreich ist die autosomal dominante<br />
Vererbung am häufigsten, gefolgt von der<br />
x-gebundenen und schließlich der autosomal<br />
rezessiv vererbten Form. Nicht selten tritt die<br />
Erkrankung aber auch sporadisch infolge einer<br />
Neumutation auf. Die molekulargenetische Forschung<br />
in den letzten beiden Jahrzehnten hat<br />
eine überraschend hohe genetische Heterogenität,<br />
aber auch Variabilität der Krankheitsausprägung<br />
– selbst bei einheitlicher Mutation – gezeigt.<br />
Mutationen in mehr als <strong>50</strong> verschiedenen<br />
Genen wurden beschrieben. Dennoch kann noch<br />
<strong>im</strong>mer bei bis zu <strong>50</strong> % der Betroffenen eine genetische<br />
Zuordnung nicht erfolgen. Es wird<br />
daher angenommen, dass es noch zahlreiche<br />
andere ursächliche Gene gibt, die bisher noch<br />
Es ist zu erwarten, dass sich die<br />
genetische Diagnostik der hereditären<br />
Neuropathien, aber auch<br />
vieler anderer genetisch bedingter<br />
neuro-orthopädischer Erkrankungen<br />
in den nächsten <strong>Jahre</strong>n<br />
entscheidend weiterentwickeln<br />
und verbessern wird.<br />
Neuromuskuläre Fußambulanz<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Fr 9.00 – 12.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
Univ.-Prof. in Dr. in Michaela Auer-Grumbach<br />
(Leitung)<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 55
nicht erkannt wurden. Die Identifikation jedes<br />
einzelnen Gens liefert einen weiteren Baustein<br />
<strong>für</strong> das Verständnis der Pathogenese und somit<br />
auch wichtige Hinweise <strong>für</strong> die Entwicklung von<br />
Therapien, die den Krankheitsausbruch verhindern<br />
bzw. zumindest verzögern sollen.<br />
Auch wenn sich derzeit aus dem Wissen der genetischen<br />
Ursache meistens keine unmittelbare<br />
therapeutische Konsequenz <strong>für</strong> den Betroffenen<br />
ergibt, wird die genaue Diagnosestellung durch<br />
Nachweis der ursächlichen Mutation zur <strong>im</strong>mer<br />
größeren Herausforderung <strong>für</strong> den behandelnden<br />
Arzt und Humangenetiker. Zum einen, weil<br />
oft dadurch erst eine Beratung des Patienten in<br />
Hinblick auf den Krankheitsverlauf und das Weitervererbungsrisiko<br />
möglich wird, andererseits,<br />
um erworbene und eventuell bereits behandelbare<br />
Neuropathien sicher abzugrenzen. Auch <strong>für</strong><br />
zukünftige Therapiestudien ist es notwendig,<br />
den Genotyp zu kennen, um geeignete Patienten<br />
zu finden.<br />
Häufige CMT-Formen<br />
Der häufigste genetische Subtyp, bekannt als<br />
CMT1A-Syndrom, ist bedingt durch eine Duplikation<br />
am Genort 17p11.2. Patienten zeigen den<br />
klassischen Phänotyp mit Fußdeformität (meist<br />
Hohlfuß) und symmetrischen Atrophien, distalen<br />
sensiblen Ausfällen, Reflexabschwächung<br />
oder -verlust, und elektrophysiologisch fällt eine<br />
gleichförmige, ausgeprägte Demyelinisierung<br />
der sensiblen und motorischen Nerven auf (motorische<br />
NLG des N. medianus liegt <strong>im</strong>mer unter<br />
38 m/sec, Norm: > <strong>50</strong> m/sec). Die Deletion am<br />
56<br />
Genort 17p.11.2 führt zum Krankheitsbild der<br />
hereditären Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen<br />
(= HNPP), die durch die klassische Anamnese<br />
mit rezidivierenden passageren Paresen<br />
und sensiblen Störungen erkannt werden kann.<br />
Am zweithäufigsten ist die x-chromosomal vererbte<br />
hereditäre Polyneuropathie (CMTX) mit<br />
nachgewiesener Mutation <strong>im</strong> Connexin-32-Gen,<br />
die bei Männern meist wesentlich schwerer ausgeprägt<br />
ist als bei Frauen. Patienten mit Mutation<br />
<strong>im</strong> BSCL2-Gen (bekannt als distale hereditäre<br />
motorischew Neuropathie, dHMN Typ V) fallen<br />
durch einen asymmetrischen Muskelschwund<br />
auf, der in der Thenarmuskulatur und/oder <strong>im</strong><br />
M. interosseus dorsalis I beginnt. Da durch die<br />
ungewöhnliche Verteilung der Muskelatrophie<br />
CMT-Gene, die auch zur Beeinträchtigung anderer Organe führen<br />
CMT + Hörschädigung<br />
CMT + ausgeprägte Skoliose<br />
CMT + Skoliose, St<strong>im</strong>mbandlähmung (Heiserkeit),<br />
Körpergröße <strong>im</strong> unteren Normbereich, Atrophie der<br />
Schultergürtelmuskulatur, bei Kindern eventuell<br />
Arthro grypose bei Geburt, Zwerchfelllähmung<br />
CMT + asymmetrische Muskelatrophie initial beschränkt<br />
auf M. interos seus dorsalis I und Thenarmuskulatur –<br />
„falsches Sulcus ulnaris bzw. falsches Karpaltunnelsyndrom“,<br />
Paraspastik der unteren Extremitäten<br />
CMT + Überbeweglichkeit der Gelenke<br />
und Hyperelastizität der Haut<br />
CMT + Wundheilungsstörung, Fußulzera,<br />
Amputationen<br />
CMT + Herzrhythmusstörung<br />
CMT + Atrophie des N. opticus (Sehstörung)<br />
MPZ<br />
SH3TC2 (KIAA1985)<br />
TRPV4<br />
BSCL2<br />
FBLN5<br />
RAB7, SPTLC1,<br />
SPTLC2, ATL1<br />
LMNA<br />
MFN2<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Fehldiagnosen (wie Karpaltunnelsyndrom, Loge<br />
de-Guyon-Syndrom, Sulcus-ulnaris-Syndrom)<br />
nicht selten sind, hat die Kenntnis dieser Form<br />
eine besondere Bedeutung. Zusatzsymptome,<br />
die auch andere Organsysteme betreffen, kommen<br />
ebenso gelegentlich vor und sind dann oft<br />
richtungsweisend <strong>für</strong> die weitere genetische<br />
Dia gnostik (siehe Tabelle links).<br />
30 verschiedene CMT-Gene<br />
in Österreich bekannt<br />
Dank der engen Zusammenarbeit mit einigen<br />
neurologischen und orthopädischen Abteilungen<br />
in den Bundesländern konnten in Österreich<br />
derzeit ca. 2.000 Patienten aus mehr als<br />
700 Familien registriert und untersucht werden.<br />
Momentan sind somit in der österreichischen<br />
Bevölkerung Mutationen in bereits 30 verschiedenen<br />
CMT-Genen bekannt. Neben den oben<br />
genannten häufigen Formen sind Patienten mit<br />
der N88S-Mutation <strong>im</strong> BSCL2-Gen zu erwähnen,<br />
die auf einen Founder-Effekt <strong>im</strong> 17. Jahrhundert<br />
zurückgeführt werden kann und dadurch weit<br />
verbreitet ist.<br />
Die österreichische CMT-Statistik zeigt, dass<br />
noch viele Patienten und Familien trotz umfangreicher<br />
genetischer Testung keine eindeutige<br />
Diagnose haben und es daher wohl auch hier<br />
noch viele unbekannte CMT-Gene gibt. In unseren<br />
derzeit laufenden Studien wird versucht,<br />
durch Einsatz neuer Sequenziertechniken (Next<br />
Generation Sequencing) einen entscheidenden<br />
Beitrag zur Aufklärung weiterer ursächlicher<br />
Gene beizutragen.<br />
Ausblick<br />
Es ist zu erwarten, dass sich die genetische<br />
Dia gnostik der hereditären Neuropathien, aber<br />
auch vieler anderer genetisch bedingter neuroorthopädischer<br />
Erkrankungen verbessern wird.<br />
Die neuen Sequenziertechniken werden auch<br />
weitere zugrunde liegende genetische Ursachen<br />
<strong>für</strong> seltene Formen aufdecken. Dadurch besteht<br />
die berechtigte Hoffnung, dass das Wesen genetischer<br />
und somit auch vieler muskoskelettaler<br />
Erkrankungen zukünftig noch besser verstanden<br />
wird und sich daraus neue Möglichkeiten <strong>für</strong><br />
Prävention und Therapie ergeben.<br />
Literatur:<br />
1<br />
Auer-Grumbach M, Löscher WN, Wagner K et al.;<br />
Phenotypic and genotypic heterogeneity in hereditary<br />
motor neuronopathy type V (HMN V): A clinical,<br />
electrophysiological and genetic family study; Brain<br />
(2000);123:1612-1623.<br />
2<br />
Dawkins JL, Hulme DJ, Brahmbhatt SB et al.; Mutations<br />
in SPTLC1, encoding serine palmitoyltransferase, long<br />
chain base subunit-1, cause hereditary sensory neuropathy<br />
type I; Nat. Genet. (2001);27:309-312.<br />
3<br />
Verhoeven K, De Jonghe P, Coen K et al.; Mutations in<br />
the small GTP-ase late endosomal protein RAB7 cause<br />
Charcot-Marie-Tooth type 2B neuropathy; Am J Hum<br />
Genet (2003);72:722-727.<br />
4<br />
Windpassinger C, Auer-Grumbach M, Irobi J et al.; Heterozygous<br />
missense mutations in BSCL2 are associated<br />
with distal hereditary motor neuropathy and Silver syndrome;<br />
Nat Genet. (2004);36(3):271-6.<br />
5<br />
Auer-Grumbach M, Schlotter-Weigel B, Lochmüller H<br />
et al.; Phenotypes of the N88S Berardinelli-Seip congenital<br />
lipodystrophy 2 mutation; Annals of Neurology<br />
(2005);57:415-24.<br />
6<br />
Auer-Grumbach M, Olschewski A, Papić L et al.; Alterations<br />
in the ankyrin domain of TRPV4 cause congenital<br />
distal SMA, scapuloperoneal SMA and HMSN2C; Nat<br />
Genet. 2010 Feb;42(2):160-4.<br />
7<br />
Rotthier A*, Auer-Grumbach M*, Janssens K et al.;<br />
Mutations in the SPTLC2 Subunit of Serine Palmitoyltransferase<br />
Cause Hereditary Sensory and Autonomic<br />
Neuropathy Type I; Am J Hum Genet. 2010 Oct<br />
8;87(4):513-22 (*equal contribution)<br />
8<br />
Guelly C, Zhu PP, Leonardis L et al.; Targeted High-<br />
Throughput Sequencing Identifies Mutations in atlastin-1<br />
as a Cause of Hereditary Sensory Neuropathy<br />
Type I; Am J Hum Genet. 2011 Jan 7;88(1):99-105.<br />
9<br />
Auer-Grumbach M, Weger M, Fink-Puches R et al.;<br />
FBLN5 mutations link inherited neuropathies, agerelated<br />
macular degeneration and hyperelastic skin;<br />
Brain 2011; 134(Pt 6):1839-1852.<br />
10<br />
Z<strong>im</strong>oń M, Baets J, Allmeida-Souza L et al.; Lossof-function<br />
mutations in HINT1 cause axonal neuropathy<br />
with neuromyotonia; Nat Genet. 2012<br />
Oct;44(10):1080-1083.<br />
11<br />
Rotthier A, Baets J, De Vriendt E et al.; Genes for hereditary<br />
sensory and autonomic neuropathies: a genotype-phenotype<br />
correlation; Brain (2009);132:2699-<br />
711.<br />
12<br />
Z<strong>im</strong>oń M, Baets J, Auer-Grumbach M et al.; Dominant<br />
mutations in the cation channel gene transient receptor<br />
potential vanilloid 4 cause an unusual spectrum of<br />
neuropathies; Brain 2010 Jun;133(Pt 6):1798-809.<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Auer-Grumbach<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 57
Die Entwicklung der Tumororthopädie<br />
an der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
Schon 1922 wurden erste Versuche von „extremitätenerhaltenden<br />
Eingriffen” bei Sarkomen von<br />
Sauerbruch 1 in Form der sogenannten „Umkippplastik”<br />
an der unteren Extremität und von Tikhoff<br />
an der oberen Extremität 2 beschrieben. Die<br />
systematische Diagnose und Behandlung von<br />
Knochen- und Weichteiltumoren begann an der<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in den frühen<br />
60er <strong>Jahre</strong>n – vor genau <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n.<br />
Viele, vor allem benigne Knochenveränderungen<br />
wurden als „braune Tumoren” diagnostiziert. Es<br />
war vor allem das Verdienst von Mechtild Salzer-Kuntschik.<br />
Gemeinsam mit ihrem Mann,<br />
Martin Salzer, der unter Karl Chiari an der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> die Skeletttumoren operativ<br />
behandelte, begann sie die histologischen<br />
Schnitte und die alten Protokolle der braunen<br />
Tumoren nachzuklassifizieren. Dies führte zu<br />
Diagnosen wie „Osteoblastom”, Chondroblastom”<br />
und „Chondromyxoidfibrom”, die damals<br />
in <strong>Wien</strong> noch nicht bekannt waren 3 .<br />
<strong>Wien</strong>er Knochengeschwulstregister<br />
Unter der weiteren systematischen Aufbereitung<br />
und Dokumentation sämtlicher Knochentumoren<br />
entstand das <strong>Wien</strong>er Knochengeschwulstregister<br />
4 . Die ursprüngliche Dokumentation auf<br />
Lochkarteien wurde <strong>im</strong> Laufe der Zeit auf eine<br />
EDV-unterstützte Datenbank umgestellt, die<br />
mittlerweile über 9.000 Patienten beinhaltet. 215<br />
Patienten wurden rückreichend bis in die frühen<br />
20er <strong>Jahre</strong> nachdokumentiert.<br />
Die chirurgische Therapie, vor allem der malignen<br />
Knochentumoren, erfuhr durch Martin Salzer<br />
einen ganz neuen Stellenwert, indem er den Begriff<br />
der „onkologischen Radikalität” prägte und<br />
die operativen Resektionsgrenzen eines malignen<br />
Tumors in „intraläsional”, „marginal” oder „weit<br />
<strong>im</strong> Gesunden” klassifizierte 5 . Diese Einteilung der<br />
Knochentumoren von M. Salzer-Kuntschik wurde<br />
in die WHO-Klassifikation aufgenommen.<br />
Mit der systematischen Behandlung der malignen<br />
Knochentumoren begannen auch erste Versuche<br />
der endoprothetischen Rekonstruktion<br />
der unteren Extremität nach Tumorresektionen.<br />
1968 wurde die erste „custom-made Vitallium-<br />
Prothese” <strong>für</strong> das prox<strong>im</strong>ale Femur bei einem<br />
Patienten mit parostalem Osteosarkom <strong>im</strong>plantiert.<br />
Frühe Ergebnisse neoadjuvanter Chemotherapie<br />
be<strong>im</strong> Osteosarkom von Gerald Rosen<br />
und Norman Jaffey führten 1975 zum Einsatz<br />
der hochdosierten Methotrexatchemotherapie 6<br />
in <strong>Wien</strong>. Ein weiterer Meilenstein in der Sarkombehandlung<br />
war der histologische Nachweis des<br />
Röntgen der 1. Vitallium-<br />
Tumorprothese (1968)<br />
Klinisches Bild nach<br />
Umkehrplastik<br />
Exoprothetische Versorgung,<br />
Umkehrplastik<br />
Replantation des<br />
Oberarmes<br />
Erstes modulares<br />
Keramikprothesensystem<br />
Röntgenbild des<br />
prox<strong>im</strong>alen Humerus<br />
Tumorprothesensysteme<br />
KMFTR/HMRS<br />
58<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Dominkus<br />
präoperativen Chemotherapieeffektes auf den<br />
Tumor. Aus diesem „grading” entstand die Einteilung<br />
der Regressionsgrade nach Salzer-Kuntschik,<br />
die aus dem Anteil vitaler zu nekrotischen<br />
Tumorzellen in sechs Grade (1 – 3 Responder,<br />
4 – 6 Non-Responder) klassifiziert wurden. Die<br />
Erkenntnis über das Tumoransprechen auf die<br />
präoperative Chemotherapie hat bis heute unverändert<br />
Einfluss auf die Auswahl der postoperativen<br />
Chemotherapeutika und auf die Prognose<br />
der Patienten 7 . Seit damals wurden sehr<br />
effektive Chemotherapieprotokolle in Form der<br />
„Cooperativen Osteosarkom Studie” (COSS)<br />
und der „Cooperativen Ewing Sarkom Studie”<br />
(CESS) angewandt 8 .<br />
Chemotherapie brachte<br />
höhere Überlebenszahlen<br />
Mit der effektiven Chemotherapie und den damit<br />
verbundenen höheren Überlebenszahlen der<br />
Patienten mit malignen Knochentumoren änderte<br />
sich auch die chirurgische Behandlung. Als Alternative<br />
zur bisher meist angewandten Amputation<br />
lassen sich die extremitätenerhaltenden<br />
Eingriffe in Resektion-Rekonstruktion mit Endoprothesen<br />
und Resektion-Replantation nach<br />
segmentalen Tumorresektionen unterscheiden.<br />
Die Replantation an der unteren Extremität erfolgte<br />
als sogenannte Umkehrplastik (siehe Bild<br />
links). In den <strong>Jahre</strong>n 1974 bis 1986 wurde diese<br />
Technik häufig bei Jugendlichen mit Osteosarkomen<br />
des distalen Femurs als funktionell hervorragende<br />
Technik angewandt 9 . An der oberen<br />
Extremität erfolgte diese Technik als Resektion-<br />
Replantation.<br />
Tumorendoprothetik<br />
In der Tumorendoprothetik wurden schon 1972<br />
erste Versuche unternommen, die bisher meist<br />
als „custom-made Implantate” hergestellten<br />
Prothesen in Form von modularen Keramik-Humerusprothesen<br />
10 zu gestalten. Im <strong>Jahre</strong> 1975<br />
wurde die erste „custom-made Tumorprothese”<br />
<strong>für</strong> das Kniegelenk <strong>im</strong>plantiert.<br />
Bis 1982 konnten bei weiteren 15 Patienten Erfahrungen<br />
gesammelt werden, die über eine<br />
Vielzahl von Design- und Verankerungsmodifikationen<br />
zum weltberühmten modularen Prothesensystem<br />
KMFTR (Kotz Modular Femur Tibia<br />
Reconstruction System) führte. Die ersten 100<br />
konsekutiven Fälle mit einem Zehn-<strong>Jahre</strong>s-Follow-up<br />
wurden 2001 publiziert 11 . 1988 wurde das<br />
System gemeinsam mit Campanacci zum HMRS<br />
(Howmedica Modular Resection System) modifiziert,<br />
wobei auf Beobachtungen wie „Stress<br />
shielding”, „Bushing-Abrieb” und die Möglichkeit<br />
von extrakortikalem „Bone bridging” durch Designmodifikationen<br />
eingegangen wurde.<br />
Besonders das Problem von „Bushing-Abrieb”<br />
konnte von 41 % nach zehn <strong>Jahre</strong>n be<strong>im</strong> Vorgängermodell<br />
zu 16 % be<strong>im</strong> HMRS reduziert<br />
werden. Weitere Verbesserungen gemeinsam<br />
mit Jeff Eckardt (Los Angeles), Martin Malawer<br />
(Washington) und Mario Mercuri (Bologna)<br />
Mit der effektiven Chemotherapie<br />
und den damit verbundenen<br />
höheren Überlebenszahlen der<br />
Patienten mit malignen Knochentumoren<br />
änderte sich auch die<br />
chirurgische Behandlung.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Tumororthopädie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Do, 8.00 – 13.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
Ass.-Prof. PD. Dr. Philipp Funovics<br />
Dr. Joannis Panotopoulos<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 59
ließen die angloamerikanischen Erfahrungen<br />
mit dem MRS-System mit dem europäischen<br />
HMRS-System zu einem neuen globalen Prothesensystem<br />
(GMRS) zusammenwachsen, wobei<br />
die wesentlichen Neuerungen <strong>im</strong> Kniegelenksmechanismus<br />
des amerikanischen „rotating<br />
hinge Designs” und dem „press-fit Schaft” zur<br />
zementfreien Verankerung ohne Laschen und<br />
Schrauben aus der europäischen Kooperation<br />
entstanden. Dieses System wird seit 2002 mit<br />
großer Beliebtheit angewandt.<br />
Entwicklung verlängerbarer<br />
„Wachstumsprothesen”<br />
Die bisher be<strong>im</strong> wachsenden Skelett häufig angewandte<br />
Umkehrplastik wurde mit der Entwicklung<br />
der modularen Endoprothesen in Form<br />
von verlängerbaren „Wachstumsprothesen” abgelöst.<br />
Die ersten min<strong>im</strong>alinvasiv manuell zu<br />
verlängernden Modelle 12 wurden 1986 <strong>im</strong>plantiert,<br />
seither wurden 71 Kinder behandelt, 44<br />
sind seither ausgewachsen. Das hohe Risiko<br />
von Infektionen und Komplikationen durch die<br />
wiederholten Verlängerungseingriffe führte zur<br />
Entwicklung „automatischer” Wachstumsprothesen,<br />
die sich durch Beugung des Kniegelenks<br />
selbstständig verlängerten 13 . Die zuletzt angewandte<br />
Prothese 14 (ISEM) fand auch international<br />
große Beachtung.<br />
Maligne Tumoren des Beckens<br />
Bei malignen Tumoren des Beckens war lange<br />
Zeit die Hemipelvektomie die einzige Möglichkeit<br />
der radikalen Tumorresektion. Seit 1982 werden<br />
auch beinerhaltende innere Hemipelvektomien<br />
oder Beckenteilresektionen durchgeführt. Die<br />
damals favorisierte Rekonstruktionstechnik bestand<br />
in der Implantation von „custom-made<br />
Beckenprothesen”, die nach einem CT-Modell<br />
des Patienten angefertigt wurden. Besonders<br />
die Anzahl unradikaler Eingriffe durch die subtilere<br />
präoperative Planungsmöglichkeit konnte<br />
deutlich reduziert werden 15 .<br />
Nach vielversprechenden, frühfunktionellen Ergebnissen<br />
zeigte sich jedoch eine sehr hohe<br />
Komplikationsrate durch Lockerungen und Infektionen,<br />
die zu einem Umdenken in der Beckenrekonstruktionstechnik<br />
führte. Bei Typ-<br />
II/III-Resektionen, bei denen noch Teile des<br />
Os ilium erhalten werden können, wurde seit<br />
dem Jahr 2000 sehr erfolgreich die Schöllner-<br />
Sockelpfanne <strong>im</strong>plantiert. Dieses wesentlich<br />
kleinere Implantat überzeugte durch den Verzicht,<br />
den Beckenring schließen zu müssen, und<br />
durch die axiale Krafteinleitung in den Beckenknochen.<br />
Die Komplikationsrate 16 konnte dramatisch<br />
reduziert werden.<br />
Auch an der Wirbelsäule hat das Prinzip der onkologischen<br />
Radikalität bei den sehr seltenen<br />
pr<strong>im</strong>är malignen Tumoren zu einer wesentlich<br />
a b c<br />
Technische Detailzeichung (a), Röntgenbild (b) und Aufnahme (c) der ersten<br />
„Custom-made Tumorprothese” des distalen Femurs (1975)<br />
Wachstumsprothese<br />
HMRS<br />
Beckenmodell nach CT-Daten mit<br />
„Custom-made Beckenprothese”<br />
Schöllner-Sockelpfanne<br />
in situ<br />
60<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
verbesserten Überlebensstatistik geführt. Während<br />
die intraläsionale, stückweise Entfernung<br />
des Tumors meist sehr rasch zu Lokalrezidiven,<br />
verbunden mit Querschnittlähmungen und dem<br />
frühen Tod des Patienten führte, hat die Anwendung<br />
einer modifizierten Technik der „En-bloc-<br />
Spondylektomie” nach Tomita 17 zu funktionell<br />
und onkologisch hervorragenden Langzeitergebnissen<br />
geführt.<br />
Funktionsverbessernde<br />
Weichteilrekonstruktionen<br />
Neben den funktionellen Verbesserungen nach<br />
Tumorresektionen durch Endoprothesen wurde<br />
vor allem <strong>im</strong> letzten Jahrzehnt vermehrt Augenmerk<br />
auf funktionsverbessernde Weichteilrekonstruktionen<br />
gelegt. Es zeigte sich, dass der<br />
ursprünglich unerwünschte Fibrosierungseffekt<br />
eines Polyester-Kreuzbandersatzes (LARS) in einer<br />
anderen Anwendungsform zunutze gemacht<br />
werden konnte. Aus den LARS-Polyester-Fasern<br />
wurde ein Tumorband gewebt, das individuell<br />
zur Augmentation oder der vollständigen zugfesten<br />
Überbrückung von lasttragenden Muskel-<br />
oder Sehnenanteilen herangezogen werden<br />
kann. Histologische Untersuchungen bestätigten<br />
das hervorragende Einwachsverhalten des Bandes<br />
in das umliegende Gewebe 18 .<br />
Mit dieser Technik konnte vor allem das funktionelle<br />
Ergebnis nach extraartikulären Kniegelenksresektionen<br />
und Streckapparatresektionen<br />
verbessert werden 19 , das Indikationsspektrum<br />
beinhaltet aber auch die Prothesenfixation bei<br />
prox<strong>im</strong>alem Humerusersatz, den Luxationsschutz<br />
bei Beckenprothesen und viele andere. Durch<br />
konsequenten Fortschritt sowohl in Diagnose als<br />
auch onkologischer Therapie und orthopädischer<br />
Behandlung von Skeletttumoren konnte über Jahrzehnte<br />
erfolgreich das Gesamtüberleben der Patienten<br />
deutlich gesteigert werden.<br />
Literatur:<br />
1<br />
Sauerbruch F; Die Umkippplastik bei einem Sarkom<br />
des Oberschenkels; Zbl. Dtsch Chir 1922<br />
2<br />
Tikhoff; Resectio interscapulo-thoracica; Tomsk 1922<br />
3<br />
Salzer M, Salzer-Kuntschik M; Das benigne Osteoblastom;<br />
Langenbecks Arch. klin. Chir. 302, 755-<br />
778 (1963)<br />
4<br />
Salzer M, Salzer-Kuntschik M; Das <strong>Wien</strong>er Knochengeschwulstregister;<br />
<strong>Wien</strong>er klinische Wochenschr 21,<br />
401-402 (1968)<br />
5<br />
Salzer M, Salzer-Kuntschik M; Comparative radiographic,<br />
pathological-anatomical studies of osteosarcoma<br />
in relation to the height of amputation; Arch Orthop<br />
Unfallchir. 64:229-44 (1969)<br />
6<br />
Kotz R; Osteosarkom 1978 – Die Wende der Prognose<br />
durch adequate Chirurgie und adjuvante Chemotherapie;<br />
<strong>Wien</strong> Klin Wochenschr 90 Suppl 93:1-25 (1978)<br />
7<br />
Salzer-Kuntschik M, Delling G, Beron G, Sigmund R;<br />
Morphological grades of regression in osteosarcoma after<br />
polychemotherapy - study COSS 80; J Cancer Res<br />
Clin Oncol. 1983;106 Suppl:21-4<br />
8<br />
Winkler K, Becker W, Kotz R; Presentation of the collaborative<br />
osteosarcoma study COSS 77; Chemotherapia<br />
Oncologica 2:225-228, 1978<br />
9<br />
Kotz R, Salzer M; Rotation-Plasty for Childhood Osteosarcoma<br />
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10<br />
Kotz R, Salzer M; Resection therapy of malignant<br />
tumors of the shoulder girdle; Österr Z Onkol 2:97-<br />
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11<br />
Mittermayer F, Krepler P, Dominkus M, Schwameis<br />
E, Sluga M, Heinzl H, Kotz R; Long-Term followup of<br />
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12<br />
Dominkus M, Krepler P, Schwameis E, Windhager<br />
R, Kotz R; Growth prediction in extendable tumor<br />
prostheses in children; Clin Orthop Relat R 390:212-<br />
220, 2001<br />
13<br />
Windhager R, Robioneck B, Bien M, Müller H, Kotz R;<br />
Wachstumsendoprothese <strong>für</strong> Kinder mit automatischer<br />
Verlängerung; MOT 115 (1995) 152-154<br />
14<br />
Kotz R, Windhager R, Dominkus M, Robioneck B, Müller-Daniels<br />
H; A self-extending paediatric leg <strong>im</strong>plant;<br />
Nature 406, 143-144, 2000, Top. 29. 491<br />
15<br />
Windhager R, Karner J, Kutschera HP, Polterauer P,<br />
Salzer-Kuntschik M, Kotz R; L<strong>im</strong>b salvage in periacetabular<br />
sarcomas: review of 21 consecutive cases; Clin<br />
Orthop Relat Res. 1996 Oct;(331):265-76. Review<br />
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Dominkus M, Darwish E, Funovics P; Reconstruction of<br />
the pelvis after resection of malignant bone tumours<br />
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17<br />
Tomita K, Kawahara N, Baba H, Tsuchiya H, Fujita<br />
T, Toribatake Y; Spine (Phila Pa 1976). 1997 Feb<br />
1;22(3):324-33<br />
18<br />
Trieb K, Blahovec H, Brand G, Sabeti M, Dominkus M,<br />
Kotz R; In vivo and in vitro cellular ingrowth into a<br />
new generation of artificial ligaments; Eur Surg Res<br />
2004;36:148-151<br />
19<br />
Dominkus M, Sabeti M, Toma C, Abdolvahab F, Trieb<br />
K, Kotz I; Reconstructing the extensor apparatus<br />
with a new polyester ligament; Clin Orthop 453,<br />
2006, 328-334<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Dominkus<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 61
Tumororthopädische Entwicklung<br />
auf dem Gebiet der Weichteilsarkome<br />
Weichteilsarkome sind ausgesprochen seltene,<br />
jedoch höchst aggressive, lebensbedrohliche<br />
Tumoren, die eine große Herausforderung<br />
in Dia gnostik und Therapie darstellen können.<br />
Der Altersgipfel ihres Auftretens liegt um<br />
das 65. Lebens jahr und ihre Inzidenz bei etwa<br />
11.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Europa; in<br />
Österreich entspricht dies etwa 2,4 Fällen pro<br />
100.000 Einwohner <strong>im</strong> Jahr. Es handelt sich dabei<br />
um eine heterogene Gruppe von Tumoren<br />
mit teilweise sehr unterschiedlicher Prognose<br />
und stark abweichendem Behandlungsverlauf;<br />
alleine unter den malignen Formen werden entsprechend<br />
der aktuellen WHO-Klassifikation<br />
mehr als <strong>50</strong> histologische Entitäten unterschieden.<br />
N<strong>im</strong>mt man alle niedrig- und hochmalignen<br />
Entitäten zusammen, so kann man unter<br />
gegenwärtiger Therapie grob von einem Gesamtüberleben<br />
von etwa 40 – 67 % ausgehen,<br />
abhängig von Tumorbiologie und Ausdehnung,<br />
der Aggressivität der chirurgischen Entfernung<br />
und dem Ansprechen auf adjuvante Therapien.<br />
Seit den frühen 1980er <strong>Jahre</strong>n gilt in diesem Zusammenhang<br />
die radikale oder weite Resektion<br />
– jedenfalls also die Entfernung des Tumors in<br />
einem Mantel an gesundem Gewebe – als Goldstandard<br />
der chirurgischen Therapie. Die Verletzung<br />
des Tumors während seiner Entfernung<br />
entweder entlang oder nur innerhalb seiner Kapsel<br />
hinterlässt mikro- oder gar makroskopische<br />
Reste, die zur Ausbildung von Lokalrezidiven und<br />
auch Metastasierung führen können und damit<br />
die Prognose der betroffenen Patienten deutlich<br />
verschlechtern. Demnach muss bereits die präoperative<br />
Diagnostik und Therapieplanung der<br />
Möglichkeit einer weiten Resektion Rechnung<br />
tragen. Neben der chirurgischen Behandlung<br />
haben mit der zunehmenden Entwicklung von<br />
Strahlen- und Chemotherapie auch adjuvante<br />
Verfahren eine zunehmende Bedeutung erlangt<br />
und sind mittlerweile aus dem heutigen Therapieplan<br />
dieser Erkrankungen nicht mehr wegzudenken.<br />
Daneben haben wesentliche Fortschritte<br />
in radiologischer, nuklearmedizinischer und<br />
vor allem histopathologischer Diagnostik zu einer<br />
ständigen Adaptierung der Klassifikationen<br />
und damit der an den Tumor individuell angepassten<br />
Therapiemodalitäten geführt.<br />
Diese komplexen Anforderungen an eine eng<br />
verwobene interdisziplinäre Kooperation einerseits,<br />
gemeinsam mit der seltenen Inzidenz der<br />
Sarkome andererseits, unterstreichen die Bedeutung<br />
ihrer Tumorbehandlung an spezialisierten<br />
Zentren.<br />
Beispiel einer intraoperativen Tumornavigation am Becken (v.li.n.re.): Unter Verwendung einer Kamera und entsprechender Tracker und Referenzpunkte am knöchernen Skelett des Beckens,<br />
kann der Pointer (dem Handgriff entsprechend) in einem digitalisierten CT/MRT-Fusionsdatensatz (türkise Linie) des Patienten <strong>im</strong> Raum zur Darstellung gebracht werden<br />
62<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Ass.-Prof. PD Dr. Philipp Funovics<br />
Prinzipien der Diagnostik und Therapie<br />
Etwa ein Drittel der Weichteilsarkome an Stamm<br />
und Extremitäten liegt oberflächlich mit einem<br />
mittleren Durchmesser von 5 cm. Diese Tumoren<br />
zeigen <strong>im</strong> Allgemeinen eine bessere Prognose<br />
und werden meist auch früher entdeckt. Die<br />
Mehrheit der Weichteilsarkome hingegen liegt in<br />
tiefen Muskelschichten oder <strong>im</strong> Körperstamm und<br />
entzieht sich trotz einer Größe von meist über<br />
10 cm aufgrund einer nur geringen Symptomatik<br />
oft lange der Diagnostik. Zumindest 10 % aller<br />
Weichteilsarkome sind daher bei Diagnosestellung<br />
bereits metastasiert. Entsprechend sollte eine klinisch<br />
unklare, tumorsuspekte Weichteilveränderung<br />
dringend weiterführend abgeklärt werden.<br />
Dies betrifft vor allem Läsionen über 5 cm, mit<br />
tiefer Lage oder mit klinischen Malignitätszeichen<br />
(Gefäßzeichnung, Einblutung, rasches Wachstum).<br />
Als Basisdiagnostik können mitunter bereits<br />
(in seltenen Fällen) Röntgen oder aber Ultraschall<br />
ausreichen, <strong>im</strong> Zweifelsfall bietet die MRT derzeit<br />
wahrscheinlich die zuverlässigste Dia gnostik. Bestätigt<br />
sich der Tumorverdacht in der Bildgebung,<br />
sollte vor der geplanten Entfernung (selbst oberflächlicher<br />
Läsionen) <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>im</strong>mer eine<br />
Biopsie erfolgen (siehe Abb. 1).<br />
Die Biopsie dient der Gewinnung ausreichenden<br />
und repräsentativen Gewebes aus der Läsion. Dabei<br />
ist bereits bei der Planung der Biopsie die spätere<br />
Resektion zu berücksichtigen, da der Biopsietrakt<br />
<strong>im</strong> Falle einer malignen Histologie <strong>im</strong>mer als<br />
tumorkontaminiert einzustufen ist und mit dem<br />
Tumor entfernt werden muss. Falsch durchgeführte<br />
Biopsien können daher spätere Resektionen deutlich<br />
erschweren oder sogar unmöglich machen.<br />
Beispielsweise können inkorrekt gewählte Zugänge<br />
wichtige anatomische Strukturen wie Nerven<br />
oder Gefäße einbeziehen, die in weiterer Folge<br />
mitreseziert werden müssen. Weit ausgestochene<br />
Drainagen oder postoperative Hämatome bei unzureichender<br />
Blutstilllung machen nicht se ten aufwendige<br />
plastische Deckungen notwendig. Arth-<br />
tief oder sarkomverdächtig<br />
TUMOR-Zentrum<br />
Weichteiltumor<br />
MRT (+KM)<br />
oberflächlich<br />
> 5 cm<br />
oberflächlich<br />
< 5 & > 2 cm<br />
Inzisionsbiospsie<br />
FNA/CNB<br />
Sonographie<br />
oberflächlich<br />
< 2 cm<br />
Exzisionsbiopsie<br />
maligne beligne maligne beligne<br />
Nachsorgekontrolle<br />
Abb. 1: Algorithmus zur Diagnostik und Zuweisung an ein<br />
spezialisiertes Tumorzentrum: Dieses Flussdiagramm ist<br />
Ergebnis des österreichischen „Konsensus Diagnose und<br />
Therapie von Weichteilsarkomen”, der 2011 gemeinsam von<br />
den verschiedenen beteiligten Abteilungen der Universitäten<br />
<strong>Wien</strong>, Graz und Innsbruck erarbeitet wurde (Brodowicz<br />
2012). Mit dieser Veröffentlichung ist Österreich gegenwärtig<br />
eines der weltweit ersten Länder, das über ein nationales<br />
Konsensuspapier verfügt.<br />
Während das Fünf-<strong>Jahre</strong>s-<br />
Gesamtüberleben in den 1980er<br />
<strong>Jahre</strong>n noch bei 40 % lag,<br />
beträgt es <strong>für</strong> Patienten, die<br />
seit dem <strong>Jahre</strong> 2000 behandelt<br />
wurden, 67 Prozent.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Tumororthopädie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Do, 8.00 – 13.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
Ass.-Prof. PD Dr. Philipp Funovics<br />
Dr. Joannis Panotopoulos<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 63
Kaplan-Meier-Kurven des Gesamt- und lokalrezidivfreien<br />
Überlebens von 621 Patienten mit Weichteilsarkomen,<br />
die an der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
in <strong>Wien</strong> operativ versorgt wurden: Das mediane Überleben<br />
aller Patienten war 73 Monate, das Fünf- und<br />
Zehn-<strong>Jahre</strong>s-Überleben lag bei 54 % beziehungsweise<br />
41 %. Mit nur 64 Lokalrezidiven betrug die Lokalrezidivrate<br />
10 %, was <strong>im</strong> internationalen Vergleich ein<br />
sehr aggressives chirurgisches Vorgehen repräsentiert.<br />
Das entsprechende Fünf- und Zehn-<strong>Jahre</strong>s-Überleben<br />
lag bei 87 % beziehungsweise 83 %.<br />
roskopische Eingriffen an Weichteilsarkomen des<br />
Gelenkes können einen Extremitätenerhalt unter<br />
Umständen sogar ganz unmöglich machen und erzwingen<br />
so eine zuvor prinzipiell nicht notwendige<br />
Amputation. Die nach onkologisch-chirurgischen<br />
Richtlinien durchgeführte offene Biopsie erlaubt<br />
meist eine zuverlässige histologische Diagnose.<br />
Als min<strong>im</strong>alinvasive Biopsievarianten stehen hier<br />
auch bildunterstütze Punktionsverfahren wie die<br />
Ultraschall-gezielte oder die MRT-gezielte Biopsie<br />
zur Verfügung. Großer Vorteil dieser Methoden ist<br />
die Visualisierung des Tumors, die eine Identifikation<br />
vitaler, repräsentativer Tumoranteile erlaubt<br />
und so verhindern kann, dass beispielsweise ein<br />
niedrigmaligner oder nekrotischer Abschnitt eines<br />
hochmalignen Sarkoms getroffen wird (sog. sampling<br />
error). Jedenfalls aber sollten auch Punktionszugänge<br />
anatomisch auf die spätere Resektion<br />
abgest<strong>im</strong>mt werden.<br />
Grundlegendes Ziel der Resektion ist die ausreichend<br />
weite Entfernung des Tumors, ohne mikrooder<br />
makroskopischer Reste zu hinterlassen. Dies<br />
ist <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>im</strong>mer dann indiziert, wenn von<br />
einem nicht metastasierten Prozess ausgegangen<br />
wird und die Operabilität des Patienten gewährleistet<br />
ist. Das bedeutet <strong>für</strong> den Normalfall, dass<br />
die Resektion sich ausschließlich an der anatomischen<br />
Ausdehnung des Tumors zu orientieren hat<br />
und entsprechend vom Tumor eingeschlossene<br />
Strukturen entfernt oder ersetzt werden müssen.<br />
Die Mehrzahl der Weichteilsarkome an Extremitäten<br />
und Rumpf kann selbst bei Einhaltung weiter<br />
Resektionsränder häufig isoliert entfernt werden.<br />
Gerade an den Extremitäten können große Sarkome<br />
jedoch bei Nahebezug auch die Entfernung eines<br />
Knochensegmentes, den Gefäßersatz oder die<br />
Resektion von Nerven notwendig machen. Prinzipiell<br />
sind derartige Defekte bis zu einem gewissen<br />
Maße zu rekonstruieren und erlauben dennoch<br />
exremitätenerhaltende Eingriffe mit zufriedenstellender<br />
Funktion, können damit jedoch nicht selten<br />
sehr komplex werden und ein interdisziplinäres<br />
chirurgisches Management erfordern.<br />
Whoops-Procedure<br />
Aufgrund ihres seltenen Vorkommens werden<br />
Weichteilsarkome <strong>im</strong>mer noch häufig nicht <strong>für</strong><br />
solche gehalten und ohne ausreichende diagnostische<br />
Planung unter Annahme eines gutartigen<br />
Geschehens (beispielsweise der eines<br />
häufigen Lipoms) reseziert. Derartige Eingriffe<br />
(<strong>im</strong> Englischen gerne als „Whoops-Procedure”<br />
bezeichnet – lautmalerisch <strong>für</strong> den Ausruf des<br />
Erstaunens während der Operation) führen<br />
praktisch <strong>im</strong>mer zur unzureichenden Resektion<br />
und in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle<br />
zum Verbleib von Resttumor. Überdies genügen<br />
derartige Resektionsversuche selten den onkologisch-chirurgischen<br />
Ansprüchen und führen<br />
durch die Kontamination großer Wundgebiete<br />
und wichtiger Strukturen meist zu einer deutlich<br />
erschwerten Folgeoperation. Im Zusammenhang<br />
mit der auch gegenwärtig noch <strong>im</strong>mer viel zu<br />
hohen Anzahl ungeplanter Resektionen von Sarkomen<br />
in Österreich ist nochmals dringend auf<br />
die Bedeutung der rechtzeitigen Behandlung der<br />
betroffenen Patienten an einem spezialisierten<br />
Tumorzentrum hinzuweisen.<br />
64<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Interdisziplinäre Behandlung<br />
von Weichteilsarkomen<br />
Die Behandlung von Knochen- und Weichteilsarkomen<br />
hat, basierend auf den grundlegenden Vorarbeiten<br />
bedeutender österreichischer Vertreter der<br />
Tumororthopädie, an der Medizinischen Universität<br />
in <strong>Wien</strong> wohl auch <strong>im</strong> internationalen Vergleich eine<br />
ganz besondere Tradition. Davon ausgehend hat<br />
sich der medizinische Standort <strong>Wien</strong> neben Bologna,<br />
Birmingham und Münster heute zu einem der<br />
bedeutendsten Zentren der mult<strong>im</strong>odalen Therapie<br />
von Knochen- und Weichteilsarkomen in ganz Europa<br />
entwickelt. Es kann nicht genug hervorgehoben<br />
werden, dass eine derartige Entwicklung nur<br />
das Ergebnis einer bestmöglichen, interdisziplinären<br />
Kooperation aller an Diagnostik, Therapie und<br />
Nachbehandlung beteiligten Kliniken und Institute<br />
unter dem akademischen und institutionellen Dach<br />
der „Medizinischen Universität <strong>Wien</strong>” und des „Allgemeinen<br />
Krankenhauses“ sein konnte und kann.<br />
Die Anfänge der tumororthopädischen Entwicklung<br />
fallen dabei in <strong>Wien</strong> praktisch zeitgleich mit<br />
der Gründung der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
zusammen. Bereits <strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> der Etablierung<br />
der eigenständigen Klinik konnte auf Basis der zum<br />
damaligen Zeitpunkt wegweisenden Arbeiten von<br />
Salzer und Salzer-Kuntschik 1962 das <strong>Wien</strong>er Knochen-<br />
und Weichteilgeschwulstregister ins Leben<br />
gerufen werden, das Ausgangspunkt <strong>für</strong> die seither<br />
bestehende enge interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />
war. Insgesamt überblickt diese Datenbank<br />
zum 1. Juli 2012 9.226 Patienten mit Tumoren des<br />
Bewegungsapparates und stellt damit eines der<br />
größten Register seiner Art in Europa dar.<br />
Eine rezente Publikation (Funovics 2010) der<br />
<strong>Wien</strong>er Klinik aus dem Jahr 2011 umfasst alleine<br />
682 Patienten – von insgesamt 752 – mit Weichteilsarkomen,<br />
die seit Einführung des Registers<br />
an unserer Abteilung behandelt wurden. In der<br />
überwiegenden Mehrzahl, bei 621 von diesen<br />
Patienten (91 %), wurde eine chirurgische Resektion<br />
des Tumors durchgeführt (siehe Tabelle<br />
rechts). Darunter wurde bei 348 Patienten (56 %)<br />
eine weitere adjuvante Chemotherapie indiziert,<br />
eine Strahlentherapie bei 441 (71 %). Im mittleren<br />
Nachuntersuchungszeitraum von 62 Monaten<br />
verstarben mit 378 Patienten mehr als die Hälfte<br />
(55 %) durchschnittlich 39 Monate nach Diagnose<br />
an ihrer Grunderkrankung, was den bis heute aggressiven<br />
Verlauf dieser Tumoren widerspiegelt.<br />
Besonders auffällig erscheint der Prozentsatz an<br />
Patienten mit Nachresektion von knapp 42 %, also<br />
Patienten, die zunächst an auswärtigen Institutionen<br />
unzureichend und nicht nach adäquaten onkologisch-chirurgischen<br />
Kriterien behandelt wurden,<br />
bevor an unserer Abteilung eine entsprechende<br />
Erweiterung des Resektionsausmaßes <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer sekundären Operation durchgeführt wurde.<br />
Dieser hohe Anteil an Fällen einer „Whoops-<br />
Procedure” wird von nahezu allen Tumorzentren<br />
berichtet und reflektiert das nach wie vor geringe<br />
Bewusstsein <strong>für</strong> diese seltenen Tumorentitäten.<br />
Glücklicherweise konnte unserer und anderer Erfahrung<br />
nach gezeigt werden, dass bei einer raschen<br />
Überweisung an ein Tumorzentrum und weiter<br />
Nachresektion sowohl die Lokalrezidivrate als<br />
auch das Gesamtüberleben der Patienten von der<br />
vorangegangenen, inadäquaten Operation nicht<br />
Chirurgisch versorgte<br />
Patienten mit Weichteilsarkom<br />
Patientenanzahl insgesamt 621 (100%)<br />
Lokalisation<br />
Körperstamm 112 (18,0%)<br />
Obere Extremität 128 (20,6%)<br />
Untere Extremität 381 (61,4%)<br />
Histologie<br />
Liposarkom 94 (15,1%)<br />
Synovialsarkom 84 (13,5%)<br />
Leiomyosarkom 67 (10,8%)<br />
MFH 67 (10,8%)<br />
Fibrosarkom 57 (9,2%)<br />
NOS-Sarkom 42 (6,8%)<br />
Myxofibrosarkom 38 (6,1%)<br />
Spindelzellsarkom 36 (5,8%)<br />
Rhabdomyosarkom 26 (4,2%)<br />
Resektionsrand<br />
Kontaminiert 66 (10,6%)<br />
Frei 474 (76,3%)<br />
Unbekannt (aus histor. Gründen) 81 (13,0%)<br />
Chirurgische Resektion<br />
Nachresektion 259 (41,7%)<br />
Ohne spezielle<br />
Rekonstruktionsverfahren <strong>50</strong>3 (81,0%)<br />
Lappenplastik, Spalthauttransplantat 77 (12,4%)<br />
Mit Endoprothese 31 (5,0%)<br />
Mit Gefäßrekonstruktion 39 (6,3%)<br />
Amputation 107 (17,2%)<br />
Umkehrplastik/Resektion-Replantation 11 (1,8%)<br />
Komplikationen<br />
Mit chirurgischer Revision 59 (9,5%)<br />
Ohne chirurgische Revision 73 (11,8%)<br />
Chemotherapie 348 (56,0%)<br />
Strahlentherapie 441 (71,0%)<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 65
negativ beeinflusst werden. Die Zahl an aufwendigen<br />
plastisch-rekonstruktiven Verfahren ist jedoch<br />
deutlich höher. Verlängert sich der Zeitraum zwischen<br />
einer Whoops-Procedure und der notwendigen<br />
Nachresektion über zwölf Wochen hat dies<br />
allerdings fatale Auswirkungen auf das Überleben<br />
der Patienten. Es ist durch das häufige Fehlen histologischer<br />
Befunde zudem schwer abzuschätzen,<br />
wann und bei welchen Patienten nach ungeplanten<br />
Resektionen noch Resttumor vorhanden ist, sodass<br />
prinzipiell in jedem Fall die dringende Indikation<br />
zur Nachresektion gestellt werden muss.<br />
Bei 81 % der Patienten konnte die Tumorentfernung<br />
durch eine einfache Resektion ohne weitere<br />
spezielle Rekonstruktionsverfahren erzielt werden.<br />
Nahezu jeder fünfte Patient bedurfte allerdings einer<br />
aufwendigeren endoprothetischen, plastischchirurgischen<br />
oder gefäßchirurgischen Versorgung,<br />
was eindrucksvoll die Notwendigkeit einer interdisziplinären<br />
Behandlung aufzeigt.<br />
Weitere Entwicklungen<br />
Während die Qualität der chirurgischen Resektion<br />
(also der Vergleich von freien zu kontaminierten<br />
Tumorresektionsrändern) einen klinisch<br />
eindrucksvollen und statistisch signifikanten<br />
Einfluss auf das Überleben hat, zeigen sowohl<br />
Chemotherapie als auch Strahlentherapie keinen<br />
derartigen Effekt <strong>für</strong> die Gesamtheit aller Patienten.<br />
Eine rezente Untersuchung an der Medizinischen<br />
Universität <strong>Wien</strong> konnte den positiven<br />
Einfluss der Chemotherapie und fraktionierten<br />
Bestrahlung <strong>für</strong> hochmaligne Tumoren (G3) in<br />
der jüngeren Zeit allerdings bestätigen (Brodowicz<br />
2000, Fakhrai 2010).<br />
Eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang jedenfalls<br />
eine klinisch klar evidente und auch<br />
statistisch signifikante Besserung der Prognose<br />
über den langen Behandlungszeitraum hinweg.<br />
Für diesen deutlichen Behandlungsfortschritt<br />
sind in <strong>Wien</strong>, wie an anderen Tumorzentren,<br />
zahlreiche Entwicklungen <strong>im</strong> interdisziplinären<br />
Management von Patienten mit Weichteilsarkomen<br />
verantwortlich.<br />
Im diagnostischen Bereich haben grundlegende<br />
Weiterentwicklungen der MRT- und Ultraschalldiagnostik<br />
eine präoperative Abklärung von<br />
Weichteilsarkomen massiv erleichtert. Dynamische<br />
MRT-Sequenzen oder Diffussionssequenzen,<br />
beispielsweise, erlauben in den meisten Fällen<br />
eine verlässliche Dignitätsbeurteilung und eine<br />
wesentlich genauere Unterscheidung zwischen<br />
realer Tumorausdehnung und perifokalem Ödem,<br />
entscheidende Faktoren in der exakten Resektionsplanung.<br />
Neurale Strukturen in anatomischem<br />
Nahebezug zum Tumor lassen sich durch MRT-<br />
Traktographie genau lokalisieren und ermöglichen<br />
damit die Vermeidung einer begleitenden Resektion<br />
dieser vitalen Strukturen mit entsprechenden<br />
funktionellen Ausfällen. Für das Staging haben die<br />
<strong>im</strong> <strong>AKH</strong> mittlerweile praktisch unmittelbar verfüg-<br />
Unterschiedliche MRT-Darstellungen von Weichteilsarkomen (v.li.n.re.): Diffusionssequenzen, MRT-Traktographie des Nervus<br />
ischiadicus und dynamische Sequenzen mit kontinuierlicher Kontrastmittelgabe und entsprechenden Anflutungskurven<br />
Beispiel einer MRT-gezielten Biopsie bei einem Patienten<br />
mit einem Weichteilsarkom<br />
66<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
aren Modalitäten von Technetium-Szintigraphie,<br />
PET und PET-CT entscheidende Fortschritte in der<br />
raschen und exakten Abklärung von Metastasen<br />
gebracht (Karanikas 2002). Es bleibt abzuwarten,<br />
welche Bedeutung das in naher Zukunft am <strong>AKH</strong><br />
verfügbare PET-MRT in diesem Zusammenhang<br />
übernehmen wird. Die frühere Diagnose erlaubt<br />
dabei jedenfalls häufig noch die operative Therapie<br />
unter kurativem Behandlungsansatz. Die MRTund<br />
Ultraschall-gezielten Biopsieverfahren bieten<br />
<strong>im</strong> Weichteilbereich eine rasch verfügbare histologische<br />
Abklärung mit geringer Morbidität und einer<br />
Sensitivität, die nur unwesentlich hinter der<br />
offener Biopsien zurückliegt.<br />
Der beachtliche Vorteil liegt vor allem in einem<br />
kleinen Biopsietrakt, der eine sparsamere Resektion<br />
des gesunden Weichteilmantels erlaubt.<br />
Interventionell-radiologische Verfahren wie Embolisation<br />
(oder Chemo-Embolisation) und die<br />
Implantation eines Vena-cava-Filters erlauben <strong>im</strong><br />
präoperativen Setting ausgedehnter, hypervaskularisierter<br />
Tumoren eine erhebliche Reduktion der<br />
chirurgischen Morbidität. Im chirurgischen Bereich<br />
haben verschiedene Operationstechniken die Inzidenz<br />
des Extremitätenerhaltes gegenüber der<br />
Amputation erweitert. 1982 bereits wurde die erste<br />
modulare Tumorprothese nach Resektion eines<br />
Weichteilsarkoms mit begleitendem Knochenbefall<br />
<strong>im</strong>plantiert. Gegenwärtig kann man davon ausgehen,<br />
dass etwa 5 % aller Tumorprothesen aufgrund<br />
von Weichteilsarkomen verwendet werden.<br />
Gleichermaßen haben die enge Kooperation<br />
mit plastischer Chirurgie und Gefäßchirurgie,<br />
wie oben erwähnt, die Resektionsmöglichkeiten<br />
deutlich erweitert. Sarkome des Retroperitoneums<br />
oder des Körperstammes erfordern bei<br />
viszeraler Beteiligung zusätzlich die Zusammenarbeit<br />
mit Chirurgie und Urologie. Als jüngste<br />
Neuerung hat die intraoperative Navigation eine<br />
entscheidende Erleichterung in der Behandlung<br />
von Tumoren des Körperstammes gebracht, wodurch<br />
nun in vielen Fällen auch in anatomisch<br />
schwer zugänglichen Regionen eine exaktere<br />
Planung der Resektion ohne Gefährdung der onkologischen<br />
Radikalität möglich ist.<br />
Ebenso hat die Einführung verbesserter pathologischer<br />
Diagnoseverfahren, wie beispielsweise<br />
Immunhistochemie, molekularpathologische<br />
oder FISH-Analyse, in den klinischen Alltag die<br />
Kenntnis von genetischen Veränderungen wie<br />
chromosomalen Aberrationen dieser Tumoren<br />
erweitert und erlaubt heute eine wesentlich genauere<br />
Differenzierung der unterschiedlichen<br />
histologischen Entitäten und damit eine zielgerichtete<br />
Therapie des breiten Spektrums verschiedener<br />
Weichteilsarkome.<br />
Bei etwa 20 % aller Patienten mit Weichteilsarkom<br />
kommt es <strong>im</strong> Krankheitsverlauf zum Auftreten<br />
pulmonaler Absiedlungen. Die erste dokumentierte<br />
pulmonale Metastasektomie der Geschichte war<br />
die Entfernung einer Weichteilsarkommetastase<br />
durch den <strong>Wien</strong>er Chirurgen Josef Weinlechner<br />
Ende des 19. Jahrhunderts. Seit dieser Pionierleistung<br />
entwickelte sich die chirurgische Therapie<br />
pulmonaler Metastasen zu einem wesentlichen<br />
Bestandteil der Therapie. Obwohl es keine randomisierten<br />
kontrollierten Studien zum Nutzen einer<br />
chirurgischen Entfernung pulmonaler WTSA-Metastasen<br />
gibt, zeigen Patienten mit komplett resezierten<br />
Lungenmetastasen ein deutlich besseres<br />
Überleben als jene, bei denen eine komplette Resektion<br />
nicht möglich war. Deshalb wird die pulmonale<br />
Metastasektomie als wichtiger Bestandteil in<br />
der Therapie des systemischen Weichteilsarkoms<br />
gesehen. Ideal ist hier eine möglichst parenchymsparende<br />
Resektionsweise. Daher haben moderne<br />
Resektionsverfahren wie der YAG-Laser, wie<br />
sie an der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> Thoraxchirurgie<br />
des <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> angeboten werden, gegenüber den<br />
klassischen Resektionsmethoden einen wichtigen<br />
Stellenwert <strong>im</strong> mult<strong>im</strong>odalen Behandlungskonzept<br />
metastasierter Weichteilsarkome.<br />
Gleichermaßen haben die Entwicklungen auf dem<br />
Gebiet der Strahlentherapie, wie hyperfraktionierte<br />
Teletherapie, Brachytheraphie oder intraoperative<br />
Bestrahlung, gerade in der Behandlung<br />
von Weichteilsarkomen zunehmende Bedeutung<br />
erlangt. Im Jahr 2013 soll zudem das Schwerionentherapie-Zentrum<br />
MedAustron in <strong>Wien</strong>er<br />
Neustadt in Betrieb gehen, mit dem vonseiten<br />
des CCC-MST (siehe unten) bereits wissenschaftliche<br />
Kooperationen <strong>im</strong> Bereich der Sarkomtherapie<br />
ins Leben gerufen wurden.<br />
Schließlich hat <strong>im</strong> onkologischen Bereich die Suche<br />
nach adjuvanten Therapien insbesondere in<br />
der Behandlung des fortgeschrittenen Weichteilsakoms<br />
an der Medizinischen Universität<br />
<strong>Wien</strong> zudem nicht ganz unberechtigte Hoffnung<br />
in Subs tanzen wie Docetaxel (Brodowicz 1999,<br />
Köstler 2001) oder die hypertherme Chemotherapie<br />
gesetzt (Locker 2011). Derzeitige Forschungsprojekte<br />
fokussieren sich vermehrt auf<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 67
„targeted therapies” mit Tyrosinkinase-Hemmern,<br />
VEGF-Antikörpern oder Inhibitoren der Hedgehogoder<br />
mTOR-Signalkaskade. All diese vielfältigen<br />
Entwicklungen zeigen eindrucksvoll die intensive<br />
interdisziplinäre Kooperation in der mult<strong>im</strong>odalen<br />
Behandlungsstrategie von Weichteilsarkomen an<br />
der MUW während der letzten <strong>Jahre</strong>.<br />
68<br />
Wesentliche Kennzahlen der Unit <strong>für</strong> muskuloskelettale Tumoren<br />
des Vienna Comprehensive Cancer Center (CCC-MST)<br />
Kennzahlen CCC-MST Stand Juni 2012<br />
Beteiligte Kliniken 16<br />
Verantwortliche Mitarbeiter > <strong>50</strong><br />
Tumorboards 1<br />
Laufende klinische Studien 19<br />
Laufende Projekte der Grundlagen forschung 8<br />
Laufende nationale/internationale Kooperationsprojekte 11<br />
Peer-reviewed-Publikationen der <strong>Jahre</strong> 2010 und 2011 31<br />
Erstvorstellungen mit Sarkom an der Onkologie pro Jahr ca. 1<strong>50</strong><br />
Operativ versorgte maligne Knochen-/Weichteiltumoren an der <strong>Orthopädie</strong> pro Jahr ca. 200<br />
Die mult<strong>im</strong>odale Behandlung<br />
<strong>im</strong> Rahmen des CCC-MST<br />
Gegenwärtig werden <strong>im</strong> Rahmen des interdisziplinären<br />
„Tumorboards <strong>für</strong> onkologische <strong>Orthopädie</strong>”<br />
unter Einschluss aller oben angeführten Fachdisziplinen<br />
alle neu zugewiesenen Fälle von Tumoren<br />
des Bewegungsapparates wöchentlich aufgearbeitet.<br />
Damit hat das orthopädische Tumorboard<br />
ganz wesentliche Forderungen des österreichischen<br />
Gesundheitsplanes an eine mult<strong>im</strong>odale<br />
Krebstherapie bereits umgesetzt. Die Zahl der bearbeiteten<br />
klinischen Fälle ist dadurch nach einer<br />
rezenten universitätsinternen Statistik die höchste<br />
<strong>im</strong> ganzen <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>. Die Einführung des neuen<br />
Wissenschafts- und Dokumentationssystems des<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> (AKIM und RDA) erlaubt zudem die Integration<br />
des traditionellen <strong>Wien</strong>er Knochen- und<br />
Weichteilgeschwulstregisters, das 2012 begonnen<br />
wurde, sowie die weitere Zusammenführung mit<br />
Datenbanken der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> Onkologie<br />
oder anderer Abteilungen – möglicherweise auch<br />
außerhalb unserer Klinik.<br />
Die rege interdisziplinäre Kooperation hat schließlich<br />
ebenfalls 2012 in der Gründung einer eigenen<br />
„Unit <strong>für</strong> muskuloskelettale Tumoren” <strong>im</strong> Rahmen<br />
des jungen Vienna Comprehensive Cancer Center<br />
(CCC-MST) ihren Niederschlag gefunden. Ziele<br />
dieser neuen Einheit sind die Schaffung neuer<br />
sowie weiterführender Vernetzung, die Bündelung<br />
und Erweiterung bestehender Aktivitäten<br />
der mit der Behandlung von muskuloskelettalen<br />
Tumoren betrauten Mitarbeiter, Kliniken und Institute<br />
in allen Bereichen der interdisziplinären<br />
Forschung, Lehre und Patientenbetreuung. Neben<br />
der Verflechtung bestehender und neuer klinikinterner,<br />
institutsübergreifender und (inter-)<br />
nationaler Forschungsprojekte sollen auch Ausbildungsprogramme<br />
wie PhDs und internationale<br />
Fellowships etabliert werden. Insgesamt sind<br />
bisher bereits 16 unterschiedliche Kliniken und<br />
Institute der Medizinischen Universität <strong>Wien</strong> beteiligt<br />
(siehe Tabelle links). Darüber hinaus sollen<br />
infrastrukturelle Neuerungen wie eine klinische<br />
Forschungseinheit, die Einführung der isolierten<br />
Extremitätenperfusion, ein virtuelles Tumorboard<br />
oder ein nationales Sarkomregister helfen, die<br />
Forschungsmöglichkeiten weiter auszubauen.<br />
Zusammenfassung<br />
Die stetigen Entwicklungen <strong>im</strong> Bereich der mult<strong>im</strong>odalen<br />
Therapie von Weichteilsarkomen an der<br />
Medizinische Universität <strong>Wien</strong> in allen beteiligten<br />
Fachrichtungen sind einerseits Spiegelbild einer<br />
ausgezeichneten interdisziplinären Kooperation<br />
und haben andererseits wesentlich zur Verbesserung<br />
der medizinischen Versorgung unserer<br />
Patienten beigetragen. Die laufende Forschung<br />
weckt berechtigte Hoffnung, dass auch neue<br />
Wege gefunden werden, diese Entwicklung weiter<br />
voranzutreiben.<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Literatur:<br />
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Fotos:<br />
Abbildung 1/Grafik: Windhager/Leithner<br />
1962 Gründung der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Etablierung des <strong>Wien</strong>er Knochen- und<br />
Weichteilgeschwulstregisters<br />
1981 Gründung der ISOLS (International Society of L<strong>im</strong>b Salvage) in Rochester, Minnesota,<br />
mit Prof. Kotz und Prof. Knahr als Gründungsmitglieder<br />
1982 erste Implantation einer KMFTR-Tumorprothese nach Resektion eines Weichteilsarkoms<br />
1983 ISOLS-Kongress in <strong>Wien</strong>, Prof. Kotz wird <strong>für</strong> drei <strong>Jahre</strong> Präsident der ISOLS<br />
1987 Gründung der EMSOS (European Musculoskeletal Oncology Society) in Trevisio mit<br />
Prof. Kotz und Prof. Salzer-Kuntschik als Gründungsmitglieder<br />
1988 der allererste EMSOS-Kongress findet in <strong>Wien</strong> statt<br />
1991 Prof. Kotz wird Präsident der EMSOS<br />
2007 Gründung der AMSOS (Österr. Gesellschaft <strong>für</strong> Tumororthopädie) auf Initiative von Prof. Dominkus<br />
2009 Gründung des ersten internationalen Tumorendoprothesenregisters durch die Universitäten<br />
Medizinische Universität <strong>Wien</strong>, Istituto Ortopedico Rizzoli Bologna, Harvard Medical School,<br />
University of South Florida Tampa und University of Miami (Henderson 2011)<br />
2010 Behandlung von bisher insgesamt 752 Weichteilsarkomen seit Einführung des <strong>Wien</strong>er<br />
Knochen- und Weichteilgeschwulstregisters, 682 Patienten davon wurden chirurgisch versorgt<br />
2011 erste navigierte Resektion eines extraskelettalen Osteosarkoms der Ischiadicusloge<br />
2011 Prof. Windhager wird in Peking zum Präsidenten der ISOLS 2013-2015 gewählt<br />
2012 Gründung des CCC-MST auf Initiative von Prof. Windhager<br />
2013 Volldigitalisierung der Tumordatenbank <strong>im</strong> Rahmen des neuen <strong>AKH</strong>-Dokumentationsund<br />
Wissenschaftssystems AKIM/RDA<br />
2014 nach 26 <strong>Jahre</strong>n wird der EMSOS-Kongress wieder nach <strong>Wien</strong> zurückkehren<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 69
Die chirurgische Behandlung von Wirbelsäulentumoren<br />
Die ersten Berichte über En-bloc-Resektionen<br />
liegen bereits mehr als 40 <strong>Jahre</strong> zurück. Lievre<br />
3 beschreibt 1968 die Resektion eines Riesenzelltumors<br />
der Lendenwirbelsäule zweizeitig<br />
ventrodorsal. Von Stener 4 wurde 1971 über die<br />
Resektion eines Chondrosarkoms über drei Etagen<br />
<strong>im</strong> Bereich der Brustwirbelsäule berichtet.<br />
Diese Idee wurde von Roy-Camille weiterverfolgt.<br />
Er berichtet über eine Wirbelsäulentumorresektion<br />
von einem rein dorsomedianen Zugang<br />
(1981). Diese Idee der zirkumferenten Resektion<br />
über einen dorsalen Zugang griff Tomita auf<br />
und entwickelte sie technisch weiter. Er konnte<br />
dabei auch auf die Weiterentwicklung der Implantate<br />
mit stabilen Pedikelschrauben-Doppelstabfixierungen<br />
zur Stabilisierung zurückgreifen.<br />
Dadurch wurde die Morbidität eines derartigen<br />
Eingriffes auch mit den Weiterentwicklungen der<br />
anästhesiologisch-intensivmedizinischen Möglichkeiten<br />
eingedämmt. Das Bekanntwerden der<br />
Tomita-Methode hat die Entwicklung der Resektion<br />
pr<strong>im</strong>är maligner Tumoren weltweit vorangetrieben.<br />
Es hat dadurch neue Impulse gegeben,<br />
sodass vor allem bereits vorher etablierte große<br />
tumororthopädische Zentren <strong>im</strong> zentraleuropäischen,<br />
asiatischen und amerikanischen Raum<br />
diese Idee aufgegriffen haben.<br />
Anpassung der Resektion an<br />
die Tumorausdehnung<br />
Die einzelnen Zentren haben diese Entwicklung<br />
an ihre jeweiligen Überlegungen angepasst und<br />
haben die chirurgische Resektion pr<strong>im</strong>är maligner<br />
Tumoren der Extremitäten weiterentwickelt 1,8,18 .<br />
Da Tomita seine Teilung des Wirbelkörpers <strong>im</strong>mer<br />
<strong>im</strong> Bereich der Pedikel durchführt, konnte es bei<br />
Ausdehnung des Tumors in den Pedikel zu einer<br />
intraläsionalen Resektion trotz technisch hochaufwendiger<br />
Resektion kommen. Die Anpassung<br />
der Resektion an die Tumorausdehnung war eine<br />
Weiterentwicklung, die insbesondere von der<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> vorangetrieben<br />
wurde. Eine andere Weiterentwicklung,<br />
die vor allem durch die Etablierung des WBB-<br />
Klassifikationssystems entstand, war die Loslösung<br />
vom dorsalen Zugang und die Anpassung<br />
des Operationszuganges an die Tumorlage.<br />
Die chirurgische Behandlung<br />
von Wirbelsäulentumoren<br />
Aufgrund der Entwicklung des tumorchirurgischen<br />
Schwerpunkte s der Klinik (beginnend mit<br />
Salzer, weiterführend mit Kotz und allen nachfolgenden<br />
Teamleitern der muskuloskelettalen<br />
Schematische Darstellung einer weiten Resektion eines pr<strong>im</strong>är malignen Tumors<br />
der Wirbelsäule durch eine totale Vertebrektomie<br />
Resektat nach Resektion eines Osteosarkoms<br />
eines Brustwirbelkörpers<br />
Intraoperativer Situs der Rekonstruktion nach<br />
Resektion eines Ewing-Sarkoms<br />
70<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Petra Krepler<br />
onkologischen Chirurgie) wurde in <strong>Wien</strong> neben<br />
der allgemeinen Wirbelsäulenchirurgie unter<br />
Meznik auch die chirurgische Behandlung der<br />
Wirbelsäulentumore forciert. Dies wurde möglich<br />
durch die Kooperation der anästhesiologisch-intensivmedizinischen<br />
Möglichkeiten des<br />
Hauses und die früh einsetzende interdisziplinäre<br />
Kooperation mit allen onkologisch tätigen<br />
Spezialitäten, die die internationale Entwicklung<br />
der „Tumorboards” vorwegnahm.<br />
Sekundär maligne Tumoren der Wirbelsäule<br />
Da lange Zeit der Ausgangspunkt der therapeutischen<br />
Überlegungen die Tatsache war, dass die<br />
Behandlung von Metastasen die Prognose des<br />
Pr<strong>im</strong>ärtumors nicht beeinflusst, war die chirurgische<br />
Behandlung pr<strong>im</strong>är nicht <strong>im</strong> Therapieplan.<br />
Die Operationsindikation wurde bei eingetretener<br />
Instabilität, neurologischer Symptomatik<br />
mit Parese oder Konus-Kauda-Symptomatik<br />
oder nichttherapierbarer Schmerzen gestellt.<br />
Aufgrund der bevorzugten Lage der Metastasen<br />
<strong>im</strong> Wirbelkörperbereich wurde die Operation<br />
von ventral bevorzugt durchgeführt.<br />
Es erfolgte eine Metas tasenresektion mit Dekompression<br />
des Spinalkanals von ventrolateral<br />
und die Rekonstruktion mit einer Verbundosteosynthese,<br />
bestehend aus einem ventralen<br />
Doppelstab- oder Plattensystem. Der Wirbelköperersatz<br />
erfolgte zumeist mit Zement. Eine<br />
dorsale Stabilisierung wurde nur bei multisegmentalem<br />
Befall der Wirbelsäule durchgeführt.<br />
Da nach einer Aufarbeitung der Fälle ein mittleres<br />
Überleben postoperativ von elf Monaten bestand,<br />
musste die Rekonstruktion <strong>für</strong> diese Zeit<br />
Bestand haben. Zur opt<strong>im</strong>ierten Palliation sollte<br />
die Zeit der Hospitalisierung kurz sein, die Mobilität<br />
bei opt<strong>im</strong>ierter Lebensqualität eine Bewältigung<br />
des Alltags ermöglichen und möglichst<br />
kein weiterer Eingriff aufgrund dieser Diagnose<br />
erforderlich sein.<br />
Paragd<strong>im</strong>enwandel brachte proaktiveren<br />
Zugang zur chirurgischen Behandlung<br />
Im letzten Jahrzehnt kam es zu einem Paradigmenwandel.<br />
Mehrere Publikationen konnten aufzeigen,<br />
dass durch ein chirurgisches Vorgehen<br />
die Lebensqualität des Patienten deutlich verbessert<br />
wird. Dies führt zu einem proaktiveren<br />
Zugang zur chirurgischen Behandlung. Außerdem<br />
schwenkte die Meinung um zu einer Bevorzugung<br />
eines dorsalen Vorgehens mit einer<br />
dorsalen Stabilisierung, entweder mit einer Behandlung<br />
des ventralen Tumoranteils vom dorsalen<br />
Zugang oder als kombiniert dorsoventrales<br />
Vorgehen. Verbessert wurde diese Idee noch<br />
durch die Entwicklung min<strong>im</strong>alinvasiver Schraubensysteme,<br />
die über mehrere Etagen eine dorsale<br />
Stabilisierung mit jeweils nur 1,5 cm kleinen<br />
Hautschnitten zum Einbringen der Schrauben ermöglichte.<br />
Dadurch kann das Operationstrauma<br />
weiter min<strong>im</strong>iert und die Idee der Palliation durch<br />
die Verringerung der Morbidität eines derartigen<br />
Eingriffes unterstützt werden.<br />
Aufgrund der Entwicklung des<br />
tumorchirurgischen Schwerpunktes<br />
der Klinik wurde in<br />
<strong>Wien</strong> neben der allgemeinen<br />
Wirbelsäulen chirurgie auch die<br />
chirurgische Behandlung der<br />
Wirbelsäulen tumore forciert.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Wirbelsäule<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Fr, 8.00 – 10.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Petra Krepler (Leitung)<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Grohs<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 71
Die weite oder radikale Resektion<br />
eines pr<strong>im</strong>är malignen Tumors<br />
der Extremitäten, das heißt einer<br />
Entfernung eines Tumors mit<br />
einem Rand nichttumortragenden,<br />
gesunden Gewebes, hat sich in<br />
den letzten zwei Jahrzehnten als<br />
Gold-Standard etabliert.<br />
Pr<strong>im</strong>är maligne Tumoren<br />
Die weite oder radikale Resektion eines pr<strong>im</strong>är<br />
malignen Tumors der Extremitäten nach Enneking,<br />
das heißt einer Entfernung eines Tumors<br />
mit einem Rand nichttumortragenden, gesunden<br />
Gewebes, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten<br />
als Goldstandard etabliert. Was pr<strong>im</strong>är<br />
als Prinzip bei der Resektion pr<strong>im</strong>är maligner<br />
Tumoren der Extremitäten als Standard etabliert<br />
wurde, nämlich die adäquate Resektion,<br />
das bedeutet die Resektion des Tumors zumindest<br />
mit einem Rand gesunden Gewebes in allen<br />
Bereichen; oder die Resektion des gesamten<br />
tumortragenden Kompartments. Für pr<strong>im</strong>är maligne<br />
Tumoren der Wirbelsäule war die Applikation<br />
dieser chirurgisch-onkologischen Prinzipien<br />
durch die unmittelbar umgebenden neurologischen<br />
und vaskulären Strukturen hochgradig<br />
erschwert. Eine radikale Operation nach Enneking,<br />
gleichbedeutend mit der Resektion des gesamten<br />
Kompartments, in dem der Tumor gelegen<br />
ist, ist durch den longitudinalen Verlauf der<br />
neurogenen Strukturen zumeist nicht applikabel.<br />
Eine weite Resektion, das heißt die Entfernung<br />
des Tumors mit einem Rand gesunden Gewebes,<br />
erschien zwar als technisch, chirurgisch<br />
und anästhesiologisch als ein sehr aufwendiges<br />
Vorhaben, die Anwendbarkeit dieser Prinzipien<br />
rückte durch eine Verbesserung der anästhesiologischen,<br />
chirurgischen und <strong>im</strong>plantologischen<br />
Möglichkeiten aber in greifbare Nähe.<br />
Verbesserungen und Weiterentwicklungen der<br />
radiologischen Diagnostik und eine Erarbeitung<br />
einer chirurgischen Systematik zur präoperativen<br />
Planung erleichterte die Anwendung. Bereits<br />
1989 wurde eine weite Resektion eines Leiomyosarkoms<br />
der Brustwirbelsäule mit anschließender<br />
Rekonstruktion durchgeführt. Es folgten<br />
weitere Fälle bei pr<strong>im</strong>är malignen Tumoren, und<br />
entsprechend der Lernkurve kam es auch zu einem<br />
Herantasten an die L<strong>im</strong>its der Resektionsmöglichkeiten.<br />
„Operationen nach Tomita”<br />
Es wurden modifizierte „Operationen nach Tomita”<br />
bei sechsjährigen Kindern durchgeführt.<br />
Zudem folgten Fälle mit einer Ausdehnung über<br />
vier Wirbelkörper und ein Fall mit ausgedehntem<br />
Weichteilanteil und einem Einwachsen in<br />
die Lunge, sodass eine Lungenteilresektion gemeinsam<br />
mit dem Wirbelsäulentumorresektat<br />
erfolgen musste. Die Bedeutung der Langzeitstabilität<br />
durch das Erzielen knöcherner Stabilität<br />
neben der <strong>im</strong>plantatinduzierten Stabilität<br />
wurde zum Teil auch durch eingetretene Komplikationen<br />
erfahren.<br />
Eine weitere Herausforderung war das Einwachsen<br />
des Tumors in die Dura. Bei diesem Fall eines<br />
voroperierten Osteosarkoms musste die Dura<br />
über eine Längenausdehnung von 10 cm drittelzirkumferent<br />
reseziert und ersetzt werden.<br />
Mit demselben Eingriff wurde auch ein Schwenklappen<br />
zur Weichteildeckung durchgeführt. Die<br />
lange Rehabilitationszeit des Patienten ließ die<br />
Grenzen der Anwendbarkeit erahnen. Die weite<br />
Resektion und das Langzeitüberleben des Patienten<br />
über nun 15 <strong>Jahre</strong> und die soziale und<br />
berufliche Wiedereingliederung rechtfertigte<br />
72<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
dieses ausgedehnte chirurgische Vorgehen. Die<br />
Entwicklung einer prä-, peri- und postoperativen<br />
Systematik und die erforderlichen Scores<br />
der Einteilung, der chirurgischen Planung, der<br />
Resektion sowie der erforderlichen Rekonstruktion<br />
nach Tumorresektion brachten diese Operationen<br />
von einem risikoreichen Abenteuer zu<br />
einem weitgehend standardisierten Eingriff. Die<br />
Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit,<br />
die Summe aller Einzelleistungen auf<br />
hohem Niveau zur Erreichung einer Kompetenz,<br />
die einem solchen Kompetenzzentrum den Namen<br />
verleiht und damit rechtfertigt, kann nicht<br />
genug betont werden.<br />
Ausblick <strong>für</strong> die Zukunft<br />
Als Ausblick <strong>für</strong> die Zukunft kann sowohl <strong>für</strong> die<br />
pr<strong>im</strong>ären als auch die sekundären Tumore der<br />
Wirbelsäule daran gearbeitet werden, dass durch<br />
eine kontinuierliche Verbesserung der Technik,<br />
des Managements und der Systematik, die perioperative<br />
Belastung eines solchen Eingriffes reduziert<br />
werden kann.<br />
Literatur:<br />
1<br />
Boriani S, De Iure F, Bandiera S; Chondrosarcoma of<br />
the mobile spine: report on 22 cases; Spine 2000,<br />
25:804 – 812<br />
2<br />
Chi JH, Sciubba DM, Rhines LD, Surgery for pr<strong>im</strong>ary<br />
vertebral tumors: en bloc versus intrale-sional resection.<br />
Neurosurg Clin N Am 2008, 19:111 – 117<br />
3<br />
Lievre JA, Darcy M, Pradat P; Giant cell tumor of the<br />
lumbar spine; total spondylectomy in 2 states; Rev<br />
Rhum Mal Osteoartic 1968, 35:125 – 130<br />
4<br />
Roy-Camille R, Saillant G, Bisserie M; Total excision of<br />
thoracic vertebrae (author’s transl); Rev Chir Orthop<br />
Reparatrice Appar Mot 1981, 67:421 – 430<br />
5<br />
Stener B; Total spondylectomy in chondrosarcoma<br />
arising from the seventh thoracic vertebra; J Bone<br />
Joint Surg Br 1971, 53:288 – 295<br />
6<br />
Fidler MW; Radical resection of vertebral body tumours;<br />
J Bone Joint Surg 1994, 76-B:765 – 772<br />
7<br />
Tomita K, Kawahar N, Baba H; Total en bloc spondylektomy<br />
for solitary spinal metastases; Int Orthop<br />
1994, 18:291 – 298<br />
8<br />
Melcher I, Disch AC, Khodadadyan-Klostermann C;<br />
Pr<strong>im</strong>ary malignant bone tumors and solitary metastases<br />
of the thoracolumbar spine: results by management<br />
with total en bloc spondylecto-my; Eur Spine J<br />
2007, 16(8):1193 – 1202<br />
9<br />
Abe E, Sato K, Tazawa H; Total spondylectomy for pr<strong>im</strong>ary<br />
tumor of the thoracolumbar spine; Spinal Cord<br />
2000, 38:146 – 152<br />
10<br />
Boriani S, Weinstein JN, Biagini R; Pr<strong>im</strong>ary bone tumors<br />
of the spine. Terminology and surgi-cal staging;<br />
Spine 1997, 22:1036 – 1044<br />
11<br />
Tomita K, Toribatake Y, Kawahara N; Total en bloc<br />
spondylectomy and circumspinal decom-pression<br />
for solitary spinal metastasis; Paraplegia 1994,<br />
32:36 – 46<br />
12<br />
Tokuhashi Y, Matsuzaki H, Oda H; A revised scoring<br />
system for preoperative evaluation of metastatic spine<br />
tumor prognosis; Spine 2005; 30:2186 – 2191<br />
13<br />
Tomita K, Kawahara N, Kobayashi T; Surgical strategy<br />
for spinal metastases; Spine 2001, 26:298 – 306<br />
14<br />
Krepler P, Windhager R, Bretschneider W; Total vertebrectomy<br />
for pr<strong>im</strong>ary malignant tumours of the spine;<br />
J Bone Joint Surg Br 2002, 84:712 – 715<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Krepler<br />
Häufigkeiten von<br />
Wirbelsäulentumoren<br />
Benigne Wirbelsäulentumoren*<br />
Osteoblastom 24,6 %<br />
Hämangiom 21,5 %<br />
Aneurysmatische Knochenzyste 13,6 %<br />
Benignes fibröses Histiozytom 12,5 %<br />
Neurilemmom 11,1 %<br />
Osteoidosteom 8,0 %<br />
Chondromyxoidfibrom 3,6 %<br />
Riesenzelltumor 2,9 %<br />
Osteochondrom 1,8 %<br />
Chondroblastom 1,6 %<br />
Chondrom (solitär) 1,2 %<br />
Pr<strong>im</strong>äre maligne Wirbelsäulentumoren*<br />
Myelom 32,5 %<br />
Angiosarkom 14,3 %<br />
Chordom 14,0 %<br />
Malignes Lymphom 10,0 %<br />
Ewing-Sarkom 4,8 %<br />
Fibrosarkom 4,1 %<br />
Chondrosarkom 4,1 %<br />
Malignes fibroses Histiozytom 2,8 %<br />
Osteosarkom 1,6 %<br />
* Immenkamp u. Härle 1994<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 73
Psychologische Behandlung<br />
und Forschung in der <strong>Orthopädie</strong><br />
Die <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> genießt <strong>für</strong><br />
die Diagnostik und Behandlung von Tumorerkrankungen,<br />
von angeborenen und erworbenen<br />
Fehlbildungen des Skelettsystems, Wirbelsäulenbeschwerden<br />
und Sportverletzungen Weltruf. Bei<br />
vielen Krankheitsbildern spielen psychische Faktoren<br />
begleitend, manchmal auch ursächlich eine<br />
Rolle. Vor allem die Übermittlung der Diagnose<br />
Krebs, das Procedere der Behandlung und die<br />
unter Umständen auftretende Schmerzbelastung<br />
stellen hohe Anforderungen an die emotionale<br />
Belastbarkeit des Patienten.<br />
Im Vordergrund stehen die Phasen der Krankheitsverarbeitung,<br />
die Einwilligung in die Behandlung<br />
und die Angehörigenbetreuung.<br />
Zusätzlich verändern Prothesen oder Endoprothesen<br />
die Lebensumstände des Patienten. Unter<br />
Umständen macht nicht alles, was technisch<br />
machbar ist, <strong>für</strong> den Einzelnen auch Sinn. Der<br />
sinnvolle Einsatz der Möglichkeiten medizinischer<br />
Behandlung ist vom späteren Alltag des<br />
Patienten abhängig.<br />
Psychologische Studien evaluieren deshalb den<br />
Behandlungserfolg orthopädischer Verfahrensweisen<br />
unter Berücksichtigung der Perspektive<br />
des Patienten. Insgesamt spielt <strong>für</strong> den Erfolg<br />
einer Behandlung die Kommunikation zwischen<br />
Arzt und Patient eine zentrale Rolle. „Hat der<br />
Patient mich verstanden?”, fragt sich der Arzt.<br />
„Kann ich der Behandlung vertrauen?”, lautet die<br />
unausgesprochene Gegenfrage des Patienten. Im<br />
Gespräch wirken emotionale Faktoren entweder<br />
vertrauensbildend oder -hemmend. Hier können<br />
realistische Erwartungen von Patienten sowie die<br />
Bereitschaft, neue Denk- und Bewegungsmuster<br />
zu erlangen, bearbeitet werden.<br />
Forschung international –<br />
Psyche und Krankheit<br />
Der Zusammenhang von Psyche und Krankheit<br />
wurde in den vergangenen Jahrzehnten unter<br />
wechselnder Perspektive erforscht. Frühe Studien<br />
konzentrierten sich auf die vermeintliche mentale<br />
Disposition <strong>für</strong> verschiedene Krankheiten. Erste<br />
Fachartikel 1 zu diesem Thema erschienen Mitte der<br />
<strong>50</strong>er <strong>Jahre</strong>. Damals begab man sich auf die Suche<br />
nach Persönlichkeitsmerkmalen, die bei der Entstehung<br />
von Krebs ursächlich sein sollten. Ihren<br />
Höhepunkt erreichte diese Richtung in der Postulierung<br />
einer Krebspersönlichkeit Typ C, wie von<br />
Morris 2 beschrieben.<br />
Seinerzeit erachtete man eine überdurchschnittlich<br />
depressive, harmoniebedürftige und gefühlsorientierte<br />
Haltung des Patienten als krankheitsfördernd.<br />
In der sozialen Interaktion wiesen Krebspatienten<br />
Rainer Kotz behandelt ein Kleinkind in der Ambulanz<br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
Nach der Operation lernen die Patienten<br />
den Eingriff verstehen und begreifen<br />
Psychische und physische Betreuung<br />
stehen nach der OP <strong>im</strong> Mittelpunkt<br />
Patient freundet sich mit seiner<br />
Prothese vor der Operation an<br />
74<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Dr. Georg Fraberger/Mag. Gisela Mathiak<br />
ein hohes Maß an Verleugnung der eigenen Bedürfnisse<br />
auf. Ihr Stressniveau wurde als chronisch<br />
überlastet beschrieben. Weiterhin wurde be<strong>im</strong> Typ<br />
C ein überdurchschnittlich häufiger Verlust von Lebenszielen<br />
und Lebensinhalten festgestellt.<br />
In weiteren Studien wandte man Persönlichkeitstests<br />
zur Verifizierung dieser Eigenschaftsskala<br />
an. Ein Zusammenhang von Persönlichkeitsstruktur<br />
und Krebs wurde von diesen Arbeiten nicht<br />
bestätigt. Die bis heute jedoch populär zirkulierende<br />
Auffassung, eine Krebserkrankung sei persönlichkeitsbedingt,<br />
war und ist <strong>für</strong> den Patienten<br />
problematisch. Selbstzweifel und Schuldgefühle<br />
sind eine häufige Folge. Heutige Ansätze thematisieren<br />
mit der Psycho<strong>im</strong>munologie die Wechselwirkung<br />
zwischen Lebenssituation, Verhaltensweisen<br />
und organischer Befindlichkeit des Patienten. Sie<br />
erforschen unter anderem den Einfluss von Stressund<br />
Risikofaktoren auf das Immunsystem und die<br />
Hormonausschüttung. Daneben steht die Beobachtung<br />
der Rahmenbedingungen und mentalen Voraussetzungen,<br />
die bei der Ausbildung subjektiver<br />
Krankheitstheorien, dem sogenannten Coping, und<br />
bei der Krankheitsbewältigung eine Rolle spielen.<br />
Auf ein und dieselbe Diagnose reagieren Patienten<br />
zum Teil sehr unterschiedlich.<br />
Seit den 70er <strong>Jahre</strong>n steht deshalb die subjektive<br />
Sichtweise des Patienten auf seine Krankheit sowie<br />
dessen Bewertung des Behandlungs- und Heilungsverlaufs<br />
<strong>im</strong> Vordergrund 3 . Dazu zählen Erhebungen<br />
zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität<br />
bei zahlreichen Krankheitsbildern <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
Familie, Beruf, Sexualität etc. Die Sichtweise des<br />
Patienten ist wichtig, weil sie dessen Verhalten<br />
und Entscheiden <strong>im</strong> Verlauf der Behandlung mit<br />
best<strong>im</strong>mt. Sie steht in einem direkten Zusammenhang<br />
mit dem Behandlungserfolg. Wie schätzt ein<br />
Patient sich selbst, seine Erkrankung und deren<br />
Auswirkungen auf den Alltag ein? Deckt diese<br />
Sichtweise sich mit der des Arztes?<br />
Die klinische Psychologie zielt in erster Linie darauf<br />
ab, das Ausmaß der psychischen Belastungen,<br />
die mit organischen Erkrankungen einhergehen,<br />
Eckdaten der Psychologie<br />
80er <strong>Jahre</strong>: Erste Einbeziehung klinisch-psychologischer<br />
Methoden an der <strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong>. Diese betrifft den Bereich Arzt-Patienten-<br />
Beziehung (Teamrunden nach Balint) sowie wissenschaftlich<br />
die Bereiche Amputation, Umkehrplastik<br />
und psychische Belastung bei Krebs.<br />
seit 2002: Stellenausschreibung zur klinischen und<br />
Gesundheitspsychologie an der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>. Dr. Georg Fraberger übern<strong>im</strong>mt den<br />
systematischen Aufbau einer psychologische Betreuung<br />
und Behandlung orthopädischer Patienten. Dazu<br />
zählen u. a. Diagnostik, Krisenintervention, Angehörigenbetreuung<br />
und fallbezogene Gespräche mit dem<br />
Behandlungsteam.<br />
zu diagnostizieren, bereits frühzeitig zu erkennen<br />
und auch zu behandeln. Das Risiko einer Depression,<br />
einer Angststörung oder einer Suchtproblematik,<br />
das sich aus einer Erkrankung entwickeln<br />
bzw. diese zeitweilig begleiten kann, wird auf<br />
diese Weise min<strong>im</strong>iert. Auf Initiative des damaligen<br />
Klinikvorstandes, Reinhard Kotz, wurden Anfang<br />
der 80er <strong>Jahre</strong> an der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> sogenannte Balint-Gruppen (benannt<br />
nach dem Psycho analytiker Michael Balint) eingerichtet.<br />
Im Rahmen regelmäßig stattfindender<br />
2002: Beginn wissenschaftlicher Studien in<br />
diesem Bereich.<br />
seit 2008: Ausbildung von Berufspraktikanten an<br />
der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Ausbildung zum Klinischen und Gesundheitspsychologen.<br />
seit 2002: Kongressbeiträge, Vorträge und Seminare<br />
<strong>für</strong> wissenschaftliches Fachpublikum, ärztliches<br />
und pflegendes Personal zu den Themen Psychoonkologie/Umgang<br />
mit Behinderung (Tumorkurs). Für<br />
den Bereich Wissenschaft und Fortbildung zeichnet<br />
der Klinische und Gesundheitspsychologe Dr. Georg<br />
Fraberger verantwortlich.<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 75
Die klinische Psychologie zielt in<br />
erster Linie darauf ab, das Ausmaß<br />
der psychischen Belastungen,<br />
die mit organischen Erkrankungen<br />
einhergehen, zu diagnostizieren,<br />
frühzeitig zu erkennen und zu<br />
behandeln.<br />
Schwerpunkte der<br />
psychologischen Diagnostik<br />
1. Klärung des psychischen Zustandsbildes<br />
(Vorliegen einer Belastungsreaktion,<br />
Depression, Fatigue etc.)<br />
2. Klärung der individuellen kognitiven<br />
Stärken und Schwächen (Leistungstests,<br />
Selbstwert etc.)<br />
3. Identifizierung von Korrelaten zwischen<br />
Erkrankung, Behandlungserfolg und Verhalten<br />
des Patienten<br />
Gesprächsrunden reflektierten Ärzte und Ärztinnen<br />
die Beziehung zu ihren jeweiligen Patienten und<br />
den Behandlungsverlauf. Nach Balint 4 sollte über<br />
die Bewusstwerdung der zwischen Arzt/Ärztin und<br />
Patient/in wirksamen psychischen Übertragung<br />
(bezüglich Krankheitstheorie, Erwartungshaltung<br />
und Verhalten <strong>im</strong> Behandlungsverlauf) eine Opt<strong>im</strong>ierung<br />
der medizinischen Behandlung erzielt<br />
werden. Außerdem strebte man <strong>im</strong> Sinne gegenseitiger<br />
Unterstützung eine emotionale Entlastung<br />
des Behandlungsteams an.<br />
In betrieblicher Hinsicht spielten psychologische<br />
Faktoren ebenfalls eine Rolle. So wurde zu Beginn<br />
der 90er <strong>Jahre</strong> unter Hinzuziehung von Dr.<br />
Fodor ein neues Konzept der Aufgabenteilung <strong>für</strong><br />
das Ärzteteam der <strong>Universitätsklinik</strong> erarbeitet.<br />
In Workshops diskutierte die Belegschaft die Effizienz<br />
bisheriger Arbeitsabläufe. Im Ergebnis<br />
wurden diese neu strukturiert. Fortan gliederte<br />
sich das Behandlungsteam in die sechs Schwerpunkte<br />
Wirbelsäule, Tumor, Rekonstruktion,<br />
Sport, Rheuma und Patienten <strong>im</strong> Kindesalter. Die<br />
ärztliche Belegschaft wurde und wird seitdem<br />
<strong>im</strong> ein- bis zweitägigen Turnus in den Bereichen<br />
OP, Station und Ambulanz eingeteilt. Ziel ist eine<br />
größtmögliche fachliche und personelle Transparenz<br />
und die Möglichkeit, einen Patienten von<br />
Anfang an durchgehend behandeln zu können.<br />
Ein Patient wird seither vom Operateur in der<br />
Ambulanz begutachtet, anschließend vom selben<br />
Arztteam sowohl operiert als auch ambulant<br />
weiterbehandelt. Die Stationen erhielten darüber<br />
hinaus seit 2002 eine/n verantwortliche/n Stationsarzt<br />
oder -ärztin zugeteilt.<br />
Psychologie <strong>im</strong> Behandlungsverlauf:<br />
Diagnostik spielt entscheidende Rolle<br />
Die psychologische Diagnostik kann bei der medizinischen<br />
Diagnostik eine wichtige Rolle spielen.<br />
Dabei orientiert sie sich an den Schwerpunkten<br />
der Abteilung und umfasst drei Aspekte:<br />
Der erste Schwerpunkt liegt in der Klärung des<br />
psychischen Zustandsbildes. Abgeklärt wird z.B.<br />
das Vorliegen einer Belastungsreaktion, einer<br />
Depression oder Fatigue. Danach kommt es zur<br />
Klärung der individuellen kognitiven Stärken und<br />
Schwächen (Leistungstests, Selbstwert etc.). Be<strong>im</strong><br />
dritten Schwerpunkt geht es um die Identifizierung<br />
von Korrelaten zwischen Erkrankung, Behandlungserfolg<br />
und Verhalten des Patienten.<br />
Jede psychologische Diagnostik sollte den Zeitpunkt<br />
einer Erkrankung sowie die Umstände eines<br />
Krankenhausaufenthaltes berücksichtigen.<br />
Die Frage, ob und ggf. welche psychische Erkrankung<br />
bei einem Patienten zusätzlich zu einer körperlichen<br />
besteht, ist essenziell. Es ist schwierig,<br />
psychische Erkrankungen <strong>im</strong> Spitalsumfeld auch<br />
<strong>im</strong>mer als solche zu erkennen. Das Vorliegen einer<br />
von der Pr<strong>im</strong>ärerkrankung und ihren Begleiterscheinungen<br />
unabhängigen Depression wird<br />
deshalb oft nicht erkannt.<br />
Das Schmerzerleben vollzieht sich in einer Wechselbeziehung<br />
zwischen Umweltfaktoren und körperlicher<br />
Ursache. Deshalb sollten neben organisch<br />
bedingten Schmerzen auch Umweltfaktoren und<br />
deren subjektive Bewertung durch den Patienten<br />
berücksichtigt werden. Aufgabe des Psychologen<br />
ist es, jene Patienten zu identifizieren, deren Symptome<br />
eher auf psychische Probleme, denn auf<br />
76<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
körperliche Ursachen hindeuten. Stichwort Psychosomatik:<br />
In ihrer extremsten Form wird die psychophysiologische<br />
Beteiligung als psychomedizinisches<br />
Krankheitsbild gedeutet.<br />
Übermittlung der Diagnose<br />
Der Arzt teilt unbewusst dem Patienten mit der<br />
Diagnose auch seine eigene persönliche Überzeugung<br />
mit. Patienten realisieren sehr schnell, ob<br />
und inwieweit der Arzt einen Eingriff, eine Prognose<br />
etc. positiv oder negativ bewertet – unabhängig<br />
davon, was explizit mitgeteilt wird. Heilungserwartung<br />
und -verlauf des Patienten werden auf<br />
diese Weise von der Perspektive des Arztes beeinflusst,<br />
wie auch umgekehrt das Verhalten des<br />
Patienten das des Arztes mitbest<strong>im</strong>mt. Aus psychologischer<br />
Sicht ist zu klären, ob und inwieweit<br />
ein Patient die krankheitsbedingte Belastung bewältigt.<br />
Horowitz 5 unterscheidet zwischen einer<br />
„normalen” und einer „pathologischen” Reaktion<br />
auf eine Diagnose.<br />
Die normale Reaktion verläuft danach in fünf<br />
Phasen – vom emotionalen Ausbruch über das<br />
Verleugnen, Aufdrängen und Durcharbeiten bis<br />
hin zum Abschließen. Eine pathologische Reaktion<br />
ist gekennzeichnet durch Überreaktionen<br />
des Patienten in Form von Panik, Aggression,<br />
Erschöpfung etc. Hieraus kann eine psychosomatische<br />
oder Persönlichkeitsstörung entstehen.<br />
In der Akutphase einer Erkrankung ist eine Krisenintervention<br />
(keine Psychotherapie!) sinnvoll,<br />
um den Patienten emotional zu stabilisieren.<br />
Früh sollte Informationsmaterial zur Verfügung<br />
gestellt werden. Auf diese Weise kann die Erkrankung<br />
auf einer emotionalen Ebene zunächst<br />
„neutral” verarbeitet und eine sachlich fundierte<br />
subjektive Krankheitstheorie ausgebildet werden.<br />
Gefestigte Annahmen über die Ursachen einer<br />
Erkrankung, das Auftreten von Symptomen<br />
und deren voraussichtliche Dauer beeinflussen<br />
das Verhalten des Patienten <strong>im</strong> Behandlungsverlauf<br />
positiv 6 .<br />
Präoperative Begleitung<br />
Präoperativ werden alle Patienten psychologisch<br />
betreut, denen ein Eingriff bevorsteht, der die<br />
körperliche Integrität stark beeinträchtigt: Dies<br />
trifft vor allem bei einer Arm- oder Beinamputation<br />
oder Umkehrplastik zu sowie auf Patienten,<br />
denen eine körperliche Unversehrtheit sehr wichtig<br />
ist. Beispielsweise erfolgt die psychologische<br />
Betreuung von Patienten mit Umkehrplastik. Die<br />
Schwierigkeit liegt in der unnatürlichen Veränderung<br />
des Körperbildes, die als psychisch stark<br />
belastend erfahren werden kann 7 .<br />
Die Vorteile dieses Eingriffs liegen <strong>im</strong> Ausschluss<br />
von Phantomschmerzen, der Belastbarkeit des<br />
verbleibenden Fußes und dem weiteren Wachstum<br />
des Unterschenkels bei Kindern. Ziel der<br />
Betreuung ist die Erzeugung einer realistischen<br />
Erwartungshaltung des Patienten an die OP. Dazu<br />
gehört die Vorbereitung auf die <strong>im</strong> Alltag sich ergebenden<br />
Auswirkungen. Die Vorbereitung des<br />
Eingriffs erfolgt anhand von Gesprächen, Fotos<br />
oder Videos über Ablauf und Folgen der OP, mittels<br />
Kontakt zu Patienten, die einen solchen Eingriff<br />
bereits hinter sich haben, etc. Mit Kindern<br />
wird spielerisch gearbeitet.<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
Diagnostik:<br />
Krankheitsbewältigung, psychisches<br />
Zustandsbild, Behandlungserfolg, Schmerzerleben,<br />
Compliance<br />
Psychoonkologie:<br />
Diagnose Krebs, Information über Tumorart<br />
und Behandlungsverlauf, prä- und postoperative<br />
Betreuung, Palliativmedizin/<br />
Sterbe begleitung<br />
Kinderpsychologie:<br />
Knochentumore <strong>im</strong> Kindesalter, Wachstumsstörungen,<br />
angeborene Fehlbildungen,<br />
Elternberatung, Krankheit und Umwelt<br />
Gerontopsychologie:<br />
Umgang mit Schmerz, Verlust an Selbstständigkeit<br />
und Mobilität, Anerkennung von<br />
Hilfsbedürftigkeit, Durchgangssyndrom<br />
Rehabilitation und Sport:<br />
neue Bewegungsmuster, verändertes<br />
Körperbild und neues Rollenbild, neue<br />
Denkmuster in Beruf, Partnerschaft und<br />
Sexualität, Annahme von Hilfsmitteln und<br />
-angeboten<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 77
Messung von Behandlungserfolg<br />
Allgemein gelten der Fortfall von Schmerzen sowie<br />
die Erweiterung der Mobilität als Behandlungserfolg.<br />
Schwerwiegende Erkrankungen erfordern<br />
jedoch differenziertere Bewertungssysteme. Orthopäden<br />
und Psychologen entwickeln deshalb vermehrt<br />
diagnostische Verfahren zur Messung von<br />
Behandlungserfolgen <strong>im</strong> Bereich Lebensqualität 8 .<br />
Das Problem der subjektiv bewerteten Lebensqualität<br />
besteht jedoch darin, dass allein der Glaube,<br />
gesund zu sein, sich in einer besseren Lebensqualität<br />
zeigt, dass man aber deshalb noch lange nicht<br />
organisch gesund sein muss. Eine Arbeit von Bradley<br />
9 zeigt, dass Patienten, die objektiv betrachtet<br />
schlechtere medizinische Werte aufwiesen als eine<br />
Vergleichsgruppe, eine subjektiv höhere Lebensqualität<br />
haben können. Das am häufigsten identifizierte<br />
Korrelat von Lebensqualität ist die Depression.<br />
Sie manifestiert sich als Einflussfaktor<br />
sowohl auf die subjektive Bewertung von Lebensqualität<br />
als auch <strong>im</strong> Bereich Coping, Sexualität,<br />
Selbstwert und Schmerzempfinden 10, 11 .<br />
Rehabilitation<br />
Die Rehabilitationspsychologie konzentriert sich<br />
auf die Erwartungshaltung, die Motivation, die Bereitschaft<br />
<strong>für</strong> neue Denk- und Bewegungsmuster<br />
sowie <strong>für</strong> die Reintegration in den Alltag. Orthopädische<br />
Eingriffe verändern das Körperbild und die<br />
Lebensumstände des Patienten unter Umständen<br />
entscheidend. Dies stellt dessen Selbstbild und<br />
Identität häufig infrage. Hiermit verbunden ist<br />
meist ein Verlust an Selbstständigkeit. Die Patienten<br />
müssen neue Bewegungsmuster und ggf. neue<br />
gesellschaftliche Rollenmuster erlernen. Je nach<br />
Art der Erkrankung konzentriert sich der Psychologe<br />
auf das Ausmaß der psychischen Belastung.<br />
Eine seiner Aufgaben besteht darin, dem Patienten<br />
bewusst zu machen, dass „Behindert-Sein” mit<br />
sich „Behindert-Fühlen” stärker in Zusammenhang<br />
steht als mit dem tatsächlichen Erscheinungsbild<br />
des Körpers. Rehabilitationspsychologie beinhaltet<br />
auch Fragen zur Berufswahl oder zur Partnerschaft.<br />
Untersuchungen zu Sexualität und Behinderung<br />
haben ergeben, dass das Bedürfnis der Patienten<br />
nach Information über potenzielle Veränderungen<br />
<strong>im</strong> sexuellen Bereich vom medizinischen Personal<br />
zu wenig wahrgenommen wird. Durch gezielte<br />
Ansprache von Tabuthemen und -fragen kann der<br />
Psychologe hier als Vermittler auftreten.<br />
Kinder, Jugendliche und ältere Patienten<br />
An der <strong>Orthopädie</strong> werden Kinder und Jugendliche<br />
mit Knochentumoren oder (seltener) mit einer angeborenen<br />
Fehlbildung, der sog. Dysmelie, behandelt.<br />
Der Psychologe trägt in diesem Bereich eine<br />
besondere Mitverantwortung <strong>für</strong> das Selbstbild des<br />
Patienten. Oftmals werden Kinder mit körperlichen<br />
Besonderheiten vorschnell in Sonderschulen untergebracht.<br />
Die psychologische Diagnostik hilft,<br />
Psychologische Begleitung in Form<br />
von Gesprächen mit Patienten<br />
„From bone to brain”<br />
und zurück<br />
Junger Patient wird kurz vor der<br />
Operation betreut<br />
Die Ästhetik liegt in der Funktion: myoelektrische<br />
Hand ohne kosmetischen Handschuh<br />
Ein wichtiges Thema: die<br />
Wirkung von Medikamenten<br />
78<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
das Leistungspotenzial der Patienten zu erkennen<br />
und zu nutzen. Das Spezialgebiet Knie- und<br />
Hüftrekons truktion betrifft <strong>im</strong> Wesentlichen ältere<br />
Menschen. Diese sind meist auf dauernde Hilfe und<br />
Rücksichtnahme Dritter angewiesen. Oft fragt sich<br />
der Patient, ob er Angehörige, Partner etc. mit der<br />
Erkrankung nicht zu stark belastet. Dies kann zu<br />
einer Verminderung seines Selbstwerts und zum sozialen<br />
Rückzug führen. Die Psychologie unterscheidet<br />
deshalb Hilfeleistungen in Selbstwert-fördernde<br />
und Selbstwert-mindernde. Mit dem Patienten wird<br />
geklärt, ob, wann und in welchem Ausmaß dieser<br />
Hilfe benötigt und von welcher Seite er sie in Anspruch<br />
nehmen kann. Der Bereich Palliativ-Medizin<br />
macht die Berücksichtigung der Patientenperspektive<br />
in besonderer Weise notwendig. Hier besteht die<br />
Aufgabe des Psychologen in der emotionalen Unterstützung<br />
des Patienten und seiner Angehörigen.<br />
Ausblick<br />
Das breite Aufgabenspektrum der klinischen Psychologie<br />
an einer orthopädischen Abteilung zeigt<br />
die Notwendigkeit einer Spezialisierung in diesem<br />
Fach. Schon die klassische Einteilung in Rehabilitations-,<br />
Notfallpsychologie sowie klinische und<br />
Gesundheitspsychologie ergab sich nicht nur aus<br />
der zeitlichen Lage <strong>im</strong> Behandlungsverlauf, sondern<br />
vor allem aus dem jeweiligen emotionalen<br />
Status des Patienten. Die Gewährleistung einer<br />
differenzierten psychologischen Betreuung ist deshalb<br />
weltweit zum Qualitätsstandard geworden.<br />
Die <strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> bietet<br />
eine Betreuung ihrer Patienten auch in diesem Bereich<br />
auf internationalem Niveau.<br />
Literatur:<br />
1<br />
Blumberg E, West P & Ellis F; A Possible Relationship<br />
Between Psychological Factors and Human Cancer;<br />
Psychosomatic Medicine 1954, XVI, p. 277-286<br />
2<br />
Morris T; „Type C” for cancer?: low trait anxiety in the<br />
pathogeneis of cancer; Cancer Detect Prev 1980, 3, p302<br />
3<br />
Marquardt E, Popplow K & Hillig A; Psychologische Probleme<br />
in Verbindung mit Amputationen; Rehabilitation<br />
1976, 15, S. 174-181<br />
4<br />
Balint M; Der Arzt, sein Patient und die Krankheit;<br />
Stuttgart 1966: Klett-Cotta. Original: The doctor, his<br />
patient and the illness, 1957: Churchill Livingstone<br />
5<br />
Horowitz MJ; Stress response syndromes: a review<br />
of posttraumatic stress and adjustment disorders. In:<br />
Wilson JB & Raphael B, 1993, p.49-60<br />
6<br />
Filipp SH, Aymanns P; Bewältigungsstrategien (Coping),<br />
1997. In: Adler RH, Herrmann JM, Köhle K,<br />
Schonecke OW, von Uexküll Th, Wesiack W (Hrsg.):<br />
Psychosomatische Medizin. 87: München; <strong>Wien</strong>; Balt<strong>im</strong>ore,<br />
5. Auflage<br />
7<br />
Kotz R & Salzer M; Rotation-Plasty for Childhood Osteosarcoma<br />
of the Distal Part of the Femur; The Journal<br />
of Bone and Joint Surgery 1982, 64, (7), 959-969<br />
8<br />
Angermeyer C, Kilian R & Matschinger H; WHOQOL100<br />
und WHOQOL-BREF. Handbuch <strong>für</strong> die deutschsprachiger<br />
Version der WHO Instrumente zur Erfassung von<br />
Lebensqualität. Göttingen 2000: Hogrefe<br />
9<br />
Bradley C; Importance of differentiating health status<br />
from quality of life; Lancet 2001; 357 (6). p. 7-8<br />
10<br />
Dobkin R, Leiblum S, Rosen R, Menza M & Marin H;<br />
Depression and sexual functioning in minority women:<br />
current status and future directions; Journal-of-sexand-maritaltherapy;<br />
2006, 32, (1), 23-36<br />
11<br />
Zahlten-Hinguranage A, Fraberger G et al.; Quality of<br />
life, coping behaviour and subjective health in patients<br />
with malignant tumors of bone – a multicenter prospective<br />
outcome study; 14. International Symposium<br />
on L<strong>im</strong>b Salvage, Hamburg 2007, 11-14<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Fraberger<br />
Unter Umständen macht nicht<br />
alles, was technisch machbar<br />
ist, <strong>für</strong> den Einzelnen auch Sinn.<br />
Der sinnvolle Einsatz der<br />
Möglichkeiten medizinischer<br />
Behandlung ist vom späteren<br />
Alltag des Patienten abhängig.<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 79
Entwicklung der Prothesenversorgung in Österreich<br />
Die Versorgung von Patienten mit Prothesen<br />
nach Verlust einer Gliedmaße ist eine der zentralen<br />
Aufgaben der konservativen <strong>Orthopädie</strong>.<br />
Bereits vor der Gründung der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
stand diese Aufgabe nach den Kriegsjahren<br />
an der orthopädischen Abteilung der Universität<br />
<strong>Wien</strong> unter der Leitung von Dozent Dr.<br />
Albert Lorenz <strong>im</strong> Fokus des wissenschaftlichen<br />
Interesses. Dieser historisch gewachsenen Aufgabe<br />
wurde ab 1962, dem Jahr der Gründung<br />
der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> der Universität<br />
<strong>Wien</strong>, Rechnung getragen.<br />
Erste Spezialambulanz bereits 1965<br />
Bereits 1965 wurde unter der Leitung von<br />
Univ.-Prof. Karl Chiari eine Spezialambulanz<br />
zur Versorgung von Patienten nach Amputation<br />
etabliert, die seit diesem Zeitpunkt bis heute<br />
fortgeführt wird. Diese Spezialambulanz wurde<br />
in den <strong>Jahre</strong>n 1965 bis 1989 wesentlich von<br />
Univ.-Prof. Herbert Kristen geprägt, der an zahlreichen<br />
Verbesserungen und Weiterentwicklungen<br />
der Amputationstechnik und Prothesenversorgung<br />
mitgewirkt hat. So wurde <strong>im</strong> Jahr 1967<br />
der postoperative Weißgipsverband zur Verbesserung<br />
der Stumpfformung und raschen Mobilisierung<br />
eingeführt.<br />
Wesentlich war dabei das Bemühen um die Unterschenkelamputation<br />
bei Durchblutungsstörungen<br />
und die Knieexartikulation als Alternative<br />
vor jeder Oberschenkelamputation. In den 70er<br />
<strong>Jahre</strong>n wurde die Umkehrplastik nach Borggreve<br />
in der Behandlung des kongenitalen Femurdefektes<br />
wieder eingeführt und fand dann auch<br />
sehr rasch bei Tumoren der unteren Extremität<br />
bei Lokalisationen <strong>im</strong> Femur- und Kniebereich<br />
Anwendung. Dies bedeutete zu dieser Zeit – als<br />
Alternative zur hohen Oberschenkelamputation<br />
– eine deutliche Verbesserung der Versorgung<br />
mit Prothesen.<br />
Einsatz von Ganganalysen<br />
In den Folgejahren trägt der Aufbau der Sonderkrankenanstalt<br />
Zicksee des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes<br />
<strong>für</strong> <strong>Wien</strong>, Niederösterreich<br />
und Burgenland unter der Leitung von Univ.-Prof.<br />
Herbert Kristen wesentlich zur Entwicklung der<br />
Prothesenversorgung in Österreich bei. An dieser<br />
Institution wurden zum ersten Mal in Österreich<br />
Ganganalysen zur Objektivierung von Rehabilitationserfolgen<br />
bei prothesenversorgten Patienten<br />
eingeführt und wissenschaftlich analysiert.<br />
Im Jubiläumsjahr 2012 wird die Prothesenversorgung<br />
an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> der<br />
Vor allem Kriegsopfer hatten unter dem<br />
Verlust ihrer Gliedmaßen zu leiden<br />
Klinische Prüfung von Passgenauigkeit und Funktion einer<br />
Prothesen-Erstversorgung<br />
Anlage eines postoperativen Weißgipsverbandes zur Stumpfformung<br />
und Frühmobilisierung<br />
80<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
OA Dr. Alexander Kolb<br />
„Medizinischen Universität <strong>Wien</strong>” unter der Leitung<br />
von Univ.-Prof. Reinhard Windhager neu<br />
strukturiert. Diese Neuausrichtung erfolgt <strong>im</strong><br />
Rahmen der Gründung des „Interdisziplinären<br />
Kompetenzzentrums <strong>für</strong> Amputationen und Prothesenversorgungen”<br />
(IKAP). Auch der Beitrag<br />
zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in<br />
diesem Aufgabengebiet wird durch diese interdisziplinäre<br />
Ausrichtung gefördert.<br />
Enge Zusammenarbeit mit der Industrie<br />
Neben der interdisziplinären Zusammenarbeit<br />
<strong>im</strong> medizinischen Bereich besteht eine enge<br />
Zusammenarbeit mit innovativen Partnern der<br />
Industrie <strong>im</strong> Rahmen des „Memorandum of<br />
Under standing” mit der „Medizinischen Universität<br />
<strong>Wien</strong>”. Die Zusammenarbeit mit der Sonderkrankenanstalt<br />
Zicksee des Kriegsopfer- und<br />
Behindertenverbandes <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>, Niederösterreich<br />
und Burgenland unter der Leitung von<br />
Pr<strong>im</strong>. Dr. Max<strong>im</strong>ilian Schmidt wird <strong>im</strong> Bereich<br />
der Patientenversorgung und Forschungstätigkeit<br />
stetig weiterentwickelt. Diese erneuerten<br />
Strukturen werden einen Grundstein <strong>für</strong> die weitere<br />
erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiet der Prothesenversorgung<br />
und Prothesenentwicklung in<br />
den kommenden <strong>Jahre</strong>n darstellen.<br />
Literatur be<strong>im</strong> Verfasser<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Kolb,<br />
Wikmedia Comons/Deutsche Fotothek<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Extremitätendeformitäten<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mi, 10.00 – 11.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari<br />
OA Dr. Alexander Kolb<br />
Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von verschiedenen medizinischen Partnern sowie mit der Industrie wird in den kommenden <strong>Jahre</strong>n auf dem Gebiet der Prothesenversorgung<br />
und Prothesenentwicklung <strong>für</strong> laufende Innovationen sorgen<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 81
Bedeutung der perioperativen Schmerztherapie<br />
„Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis,<br />
das mit aktueller oder potenzieller<br />
Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen<br />
einer solchen Schädigung beschrieben wird”<br />
– so die Definition von Schmerz der International<br />
Association of Pain (IASP). Daraus lässt sich<br />
eine Definition <strong>für</strong> den postoperativen Schmerz<br />
ableiten. Demnach handelt es sich be<strong>im</strong> postoperativen<br />
Schmerz um einen Akutschmerz, der als<br />
Folge einer Gewebeschädigung <strong>im</strong> Rahmen eines<br />
operativen Eingriffes entsteht. Zahlreiche Studien<br />
haben gezeigt, dass viele orthopädische Eingriffe<br />
zu den schmerzhaftesten Operationen zählen.<br />
Bei unzureichender Analgesie werden regelmäßig<br />
Werte zwischen sieben und zehn auf der „Visuellen<br />
Analogskala” (VAS) angegeben. Das Auftreten<br />
starker postoperativer Schmerzen ist eine <strong>für</strong><br />
den Patienten sehr unangenehme Erfahrung, die<br />
einen wesentlichen negativen Einfluss auf die Patientenzufriedenheit<br />
mit der Operation, dem Spital<br />
und dem behandelten Team hat.<br />
Neben dieser <strong>für</strong> den Patienten subjektiv sehr unangenehmen<br />
Empfindung ergeben sich auch eine<br />
Vielzahl anderer <strong>für</strong> den Heilungsverlauf negative<br />
Konsequenzen. So hat der postoperative Schmerz<br />
auch einen Einfluss auf zahlreiche andere Organsysteme<br />
und begünstigt Veränderungen der Psyche<br />
und des Verhaltens mit vielen negativen Konsequenzen.<br />
So konnten Studien zeigen, dass es<br />
durch postoperative Schmerzen zur vermehrten<br />
Ausschüttung von Transmittersubstanzen wie zum<br />
Beispiel Kortison, Katecholaminen und anderen<br />
Stresshormonen kommt. Dies hat negative Auswirkungen<br />
auf den Kreislauf, die lokale Durchblutung,<br />
die Immunabwehr und begünstigt katabole Stoffwechselprozesse.<br />
Zahlreiche Studien konnten auch<br />
belegen, dass postoperative Schmerzen das funktionelle<br />
Ergebnis sowie die Gesamtdauer der Rehabilitation<br />
negativ beeinflussen. Die Vermeidung<br />
postoperativer Schmerzen ist daher von großer<br />
Bedeutung <strong>für</strong> die moderne orthopädisch-chirurgische<br />
Versorgung – nicht nur um <strong>für</strong> den Einzelnen<br />
Eingriffe mit weniger Schmerzen zu ermöglichen,<br />
sondern auch aufgrund der enormen Kosten <strong>für</strong><br />
das Gesundheitssystem, die durch eine unzulängliche<br />
Schmerztherapie entstehen können. Trotz<br />
der zahlreichen Verbesserungen der letzten <strong>Jahre</strong><br />
zeigen zahlreiche Studien, dass noch <strong>im</strong>mer eine<br />
Vielzahl der Patienten nach Operationen starke bis<br />
sehr starke Schmerzen empfinden. Das zeigt, dass<br />
die derzeit gängigen Verfahren zur postoperativen<br />
Schmerztherapie leider noch <strong>im</strong>mer unzureichend<br />
sind. Es besteht der dringende Bedarf, die postoperative<br />
Schmerztherapie weiter zu verbessern.<br />
1860 wurde Kokain chemisch isoliert und die lokalanästhetische<br />
Wirkung u.a. von Sigmund Freud (1856 – 1939) beschrieben<br />
Morphium galt lange Zeit als Allheilmittel gegen<br />
schmerzhafte Zustände<br />
Ein Meilenstein in der perioperativen Analgesie war die Entwicklung<br />
der Chloroformnarkose Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
82<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
OA Dr. Bernd Kubista<br />
Geschichtlicher Rückblick<br />
Das Empfinden von Schmerzen und deren Behandlung<br />
ist schon in den Aufzeichnungen frühester<br />
Hochkulturen dokumentiert. Während anfänglich<br />
übernatürliche und religiöse Vorstellung<br />
von Schmerztherapie existierten, konnten in der<br />
neueren Zeit rationale und empirische Ansätze<br />
die Schmerztherapie verändern. Die moderne<br />
Schmerztherapie, die vorwiegend auf morphologischen<br />
und pathophysiologischen Grundsätzen<br />
beruht, ist eine in der Medizingeschichte relativ<br />
junge Disziplin. Erst <strong>im</strong> 19. Jahrhundert wurden<br />
die Theorien entwickelt, die zur Grundlage der<br />
modernen Schmerztherapie wurden. So wurden<br />
die verschiedenen Schmerzqualitäten und<br />
deren Weiterleitung definiert und auch erstmals<br />
Schmerzprojektionen in Hautareale, die sogenannten<br />
Headschen Zonen, durch den Neurologen<br />
Sir Henry Head beschrieben.<br />
Auch <strong>im</strong> Bereich der Pharmakologie kam es zu<br />
zahlreichen Entdeckungen, die die Schmerztherapie<br />
revolutionierten und eine perioperative<br />
Schmerztherapie in vielen Fällen erst ermöglichten.<br />
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelang<br />
es, aus Rohopium Morphin als Reinsubstanz<br />
herzustellen, und 1827 begann die industrielle<br />
Produktion. Erst die Entwicklung von Hohlnadeln<br />
erlaubte eine exakte intravenöse Dosierung.<br />
Rasch wurde auch das Suchtpotenzial der<br />
Opium derivate deutlich. Trotzdem galt Morphium<br />
lange Zeit als Allheilmittel gegen schmerzhafte<br />
Zustände. Die Entwicklung anderer Opioide erfolgte<br />
erst <strong>im</strong> 20. Jahrhundert, und diese Substanzen<br />
sind nach wie vor eine wichtige Option<br />
in der Bekämpfung perioperativer Schmerzen.<br />
Neben Opiaten wurden auch andere analgetisch<br />
wirksame Substanzen synthetisiert. So konnte<br />
1899 erstmals Acetylsalicylsäure durch die Firma<br />
Bayer kommerziell hergestellt werden und<br />
wird seither unter dem Namen Aspirin vertrieben.<br />
Weitere Meilensteine in der perioperativen<br />
Analgesie waren die Entwicklung der Ätherund<br />
Chloroformnarkose, die erstmals Mitte des<br />
19. Jahrhunderts zum Einsatz kamen.<br />
Auch <strong>im</strong> Bereich der Lokalanästhesie gelangen wesentliche<br />
Entdeckungen <strong>im</strong> 19. Jahrhundert. So<br />
wurde 1860 Kokain chemisch isoliert und die lokalanästhetische<br />
Wirkung unter anderen von Sigmund<br />
Freud beschrieben. So wurden schon bald<br />
Augenoperationen in Lokalanästhesie ermöglicht.<br />
In weitere Folge entwickelten sich daraus die verschiedenen<br />
Techniken der Nervenblockaden und<br />
rückenmarksnahen Leitungsblockaden bis hin zur<br />
Spinalanästhesie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
wurden auch weitere regional-anästhetische Verfahren<br />
wie etwa Plexusblockaden erstmalig durchgeführt.<br />
Weiters wurden neuere Opiatderivate mit<br />
verbesserten Eigenschaften entwickelt.<br />
Nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einer intensiven<br />
Forschung <strong>im</strong> Bereich der Schmerztherapie.<br />
Die sogenannte „Gate-Control-Theorie” wurde<br />
entwickelt und damit versucht, ein Gesamtmodell<br />
zum Verständnis von Schmerzentstehung<br />
und -verarbeitung zu entwickeln.<br />
Das Auftreten starker postoperativer<br />
Schmerzen ist eine <strong>für</strong> den<br />
Patienten sehr unangenehme<br />
Erfahrung, die einen wesentlichen<br />
negativen Einfluss auf die<br />
Patienten zufriedenheit mit der<br />
Operation, dem Spital und dem<br />
behandelten Team hat.<br />
Spezialambulanz <strong>für</strong><br />
orthopädische Schmerztherapie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mo bis Fr, 11.00 – 13.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager (Leitung)<br />
OA Dr. Bernd Kubista<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 83
Zu einer modernen mult<strong>im</strong>o dalen<br />
Schmerztherapie gehört auch<br />
eine ausführliche prä operative<br />
Schmerzanamnese und Patientenaufklärung.<br />
Diese sollte idealerweise<br />
einige Tage vor der Operation<br />
in kleinen Gruppen erfolgen.<br />
Durch eine verbesserte Patientenaufklärung<br />
werden Ängste vor der<br />
Operation, aber auch vor zu erwartenden<br />
Schmerzen abgebaut.<br />
Die Bemühungen, die Schmerztherapie weiter zu<br />
verbessern und zu standardisieren, führte 1972<br />
zur Etablierung der ersten Schmerzambulanz Österreichs<br />
am <strong>Wien</strong>er <strong>AKH</strong>. In dieser zentralen Einrichtung,<br />
unter Leitung der Anästhesie, werden<br />
vorwiegend Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen<br />
diagnostisch und therapeutisch betreut.<br />
Dabei besteht eine enge Kooperation mit<br />
verschiedenen Fachrichtungen, unter anderem<br />
auch mit der <strong>Orthopädie</strong> des <strong>Wien</strong>er <strong>AKH</strong>. Dabei<br />
kommen viele moderne Verfahren der Schmerztherapie<br />
zum Einsatz wie etwa Hypnose, Biofeedback,<br />
transkutane elektrische Nervenst<strong>im</strong>ulation<br />
(TENS), Neuraltherapie, Nervenblockaden, epidurale<br />
und spinale Applikation von Analgetika, patientenkontrollierte<br />
Analgesie (PCA) bis hin zur<br />
Implantation von Schmerzmittelpumpen und elektronischen<br />
Rückenmarkst<strong>im</strong>ulationsaggregaten.<br />
In weiterer Folge kam es schließlich 1975 zur Gründung<br />
der „International Association for the Study<br />
of Pain (IASP). Es wurden Klassifikationen von<br />
Schmerzen etabliert und gemeinsam mit der WHO<br />
ein Stufenschema der Schmerztherapie entwickelt.<br />
Der Erkenntnis, dass Schmerzempfinden und -therapie<br />
von Patient zu Patient äußerst unterschiedlich<br />
sein können, wurde mit der Entwicklung einer PCA<br />
Rechnung getragen. In den letzten <strong>Jahre</strong>n kam es<br />
zu einer regen Forschungstätigkeit <strong>im</strong> Bereich der<br />
Schmerztherapie, und wesentliche Erkenntnisse<br />
<strong>im</strong> Verständnis um die Entstehung von Schmerzen<br />
wurden erzielt. Dadurch konnten moderne mult<strong>im</strong>odale<br />
Schmerztherapien entwickelt werden, die<br />
zu einer weiteren Verbesserung der Versorgung<br />
der Patienten beigetragen haben.<br />
Einführung einer neuen<br />
mult<strong>im</strong>odalen Schmerztherapie<br />
Zu einer modernen mult<strong>im</strong>odalen Schmerztherapie<br />
gehört auch eine ausführliche präoperative<br />
Schmerzanamnese und Patientenaufklärung.<br />
Diese sollte idealerweise einige Tage vor der Operation<br />
in kleinen Gruppen erfolgen. Durch eine<br />
verbesserte Patientenaufklärung werden Ängste<br />
vor der Operation, aber auch vor zu erwartenden<br />
Schmerzen abgebaut. Da Angst schmerzverstärkend<br />
wirkt, kann schon allein dadurch eine postoperative<br />
Schmerzreduktion erreicht werden.<br />
Außerdem haben Studien gezeigt, dass Informationen<br />
von Patienten besser aufgenommen und<br />
erinnert werden, wenn Aufklärungsgespräche in<br />
der Gruppe stattfinden.<br />
Im Rahmen der Umsetzung des mult<strong>im</strong>odalen<br />
Konzeptes wurde eine wöchentlich stattfindende<br />
Patientenaufklärung etabliert. Dabei werden in<br />
kleinen Gruppen, Patienten die <strong>für</strong> einen Hüft-TEP<br />
oder Knie-TEP vorgemerkt wurden, einberufen<br />
und erhalten neben Informationsmaterial eine<br />
kurze Einführung über den bevorstehenden Eingriff,<br />
den Operationsablauf und das postoperative<br />
Management. Bei diesen Veranstaltungen sind<br />
jeweils Vertreter aller behandelnden Berufsgruppen<br />
anwesend. Der Orthopäde stellt Informationen<br />
zum operativen Ablauf und zu möglichen<br />
Komplikationen zur Verfügung. Der Anästhesist<br />
bespricht die verschiedenen Narkoseverfahren<br />
und analgetischen Therapieoptionen. Die Pflege<br />
erklärt den Patienten den üblichen Ablauf des<br />
stationären Aufenthaltes und hilft bei der Planung<br />
nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. Zu-<br />
84<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
letzt zeigt ein Physiotherapeut, welche Hilfsmittel<br />
nach der Operation die Remobilisierung erleichtern,<br />
beziehungsweise welche Bewegungen eher<br />
vermieden werden sollten. Zum Abschluss können<br />
alle Patienten Fragen stellen und sollten sich<br />
<strong>im</strong> Idealfall gut informiert fühlen und ohne Ängste<br />
zu ihrem Operationstermin erscheinen.<br />
Präemptive/Präoperative<br />
medikamentöse Behandlung<br />
Präemptive Schmerztherapie bedeutet die präoperative<br />
Verabreichung von verschiedenen Medikamenten,<br />
um eine zentrale Sensibilisierung und<br />
somit die Verstärkung postoperativer Schmerzen<br />
zu verhindern. Die Vermeidung der Entstehung<br />
von Schmerzen ist einfacher und effektiver als<br />
deren Bekämpfung. Durch die präemptive Therapie<br />
soll der lokale Entzündungsreiz, der durch<br />
das chirurgische Trauma entsteht, vermindert<br />
werden. Auch auf die lokale Nozizeption und<br />
Schmerzverarbeitung und -weiterleitung kann<br />
durch präoperative Gabe von analgetischen und<br />
antiphlogistischen Substanzen Einfluss genommen<br />
werden. Die präemptive Medikamentengabe<br />
in der mult<strong>im</strong>odalen Analgesie beginnt bereits<br />
lange – am besten Tage – vor dem chirurgischen<br />
Eingriff und sollte auch unmittelbar vor der Operation<br />
erfolgen. Dadurch wird erreicht, dass bei<br />
den Patienten eine ausreichende Medikamentenkonzentration<br />
<strong>im</strong> Gewebe besteht, welche die<br />
Entstehung von Schmerzmediatoren durch den<br />
chirurgischen Eingriff hemmen kann.<br />
Lokale intraoperative Schmerztherapie<br />
Durch lokale Wundinfiltration – vor allem <strong>im</strong> Bereich<br />
der Hüft- und Knieendoprothetik – kann man<br />
direkt am Ort der Schmerzentstehung analgetisch<br />
wirksame Medikamente applizieren. Dabei<br />
wird eine Mischung verschiedener analgetischer<br />
Substanzen intraoperativ <strong>im</strong> Bereich der Wunde<br />
appliziert. Seit der Etablierung der intraoperativen<br />
periartikulären Infiltrationstherapie sind verschiedenste<br />
Substanzen getestet worden. Diese<br />
sollen dem mult<strong>im</strong>odalen Gedanken folgend idealerweise<br />
an verschiedenen Orten der Schmerzentstehung<br />
und Weiterleitung wirken. Die in der<br />
Literatur verwendeten Protokolle verwenden zum<br />
Teil unterschiedliche Substanzen, die in einem<br />
„Schmerzcocktail” vereint werden. Die wichtigste<br />
analgetisch wirksame Komponente dieser Mischungen<br />
ist <strong>im</strong>mer ein zumeist lang wirksames<br />
Lokalanästhetikum. Hinzu wird meist noch ein<br />
Opioid beigefügt, das über zusätzliche Mechanismen<br />
analgetisch wirken kann. Neben Opioiden<br />
und lang wirksamen Lokalanästhetika, die hauptsächlich<br />
analgetische Wirkung besitzten, versucht<br />
man auch die inflammatorische Komponente der<br />
lokalen Gewebeschädigung zu unterdrücken. Um<br />
die Entstehung von Entzündungsmediatoren <strong>im</strong><br />
Operationsgebiet zu unterdrücken, werden häufig<br />
N. femoralis und N. ischiadicus-Block Patientenaufklärung in der Gruppe kann Ängste vor der<br />
Operation oder vor möglichen Schmerzen lindern<br />
Hüft-Total-Endoprothese und<br />
Knie-Total-Endoprothese<br />
International Association<br />
for the Study of Pain<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 85
In Zusammenarbeit mit Vertretern<br />
aller behandelnden Berufsgruppen<br />
wird derzeit ein neues<br />
mult<strong>im</strong> odales Schmerzkonzepte<br />
begonnen. Die Durchführung einer<br />
standardisierten Schmerztherapie<br />
und vor allem die Dokumentation<br />
des Behandlungsergebnisses sind<br />
elementare Bestandteile einer<br />
Qualitätssicherung.<br />
NSAR oder auch Kortikosteroide verwendet. Die<br />
einzelnen Medikamente werden schließlich zu einem<br />
Gesamtvolumen von etwa 80 bis 100 ml mit<br />
Kochsalzlösung verdünnt, um ein ausreichendes<br />
Volumen <strong>für</strong> die Infiltration der verschiedenen<br />
Strukturen zu erhalten.<br />
Postoperative Schmerzkontrolle<br />
In der postoperativen Phase kommen zunächst<br />
einfache physikalische Maßnahmen zum Einsatz.<br />
Dazu zählen die Applikation von Kältepackungen<br />
sowie eine eventuelle schmerzvermeidende<br />
Lagerung der betroffenen Extremität. Bei<br />
chronischen Schmerzen folgt die systemische<br />
Schmerztherapie dem WHO-Stufenschema. Dabei<br />
wird zunächst mit Nicht-Opioid-Analgetika<br />
begonnen und bei fortbestehenden Schmerzen<br />
wird über schwach wirksame Opioid-Analgetika<br />
zu stark analgetisch wirksamen Opioiden übergegangen.<br />
Im Gegensatz dazu richtet sich die<br />
postoperative Schmerztherapie nach den zu erwartenden<br />
Schmerzen.<br />
Ein wesentlicher Bestandteil der mult<strong>im</strong>odalen<br />
postoperativen Schmerztherapie ist jedoch<br />
die Kombination verschiedener Substanzen mit<br />
unterschiedlichen Wirkungsweisen unter Vermeidung<br />
von stark wirksamen Opioiden. Damit<br />
lassen sich synergistische Effekte bei geringerer<br />
Dosierung und gleichzeitiger Reduktion von<br />
Nebenwirkungen erzielen. Zur medikamentösen<br />
Basistherapie, <strong>im</strong> Rahmen einer mult<strong>im</strong>odalen<br />
Schmerztherapie, haben sich NSAR und vor allem<br />
COX-2-Inhibitoren durchgesetzt. Neben<br />
NSAR und COX-2-Inhibitoren wird in Österreich<br />
auch häufig Metamizol in der perioperativen<br />
mult<strong>im</strong>odalen Schmerztherapie verabreicht. Ein<br />
weiteres Präparat, das sich zur Therapie leichter<br />
bis mittelstarker Schmerzen eignet, ist Paracetamol.<br />
Es ist auch intravenös applizierbar und<br />
wirkt über eine Hemmung der Prostaglandinsynthese<br />
und Aktivierung inhibitorischer Neurone<br />
<strong>im</strong> Zentralnervensystem.<br />
Im deutschsprachigen Raum werden auch Kombinationen<br />
von Tramadol, Novalgin und einem<br />
Antiemetikum als sogenannter „Würzburger<br />
Tropf” in der postoperativen Schmerztherapie<br />
verwendet. Dieser Schmerzcocktail kann sowohl<br />
kontinuierlich als auch patientengesteuert<br />
eingesetzt werden. Wenn die Max<strong>im</strong>aldosis der<br />
Opioid-Analgetika ausgeschöpft ist und keine<br />
ausreichende Analgesie erreicht werden kann,<br />
kommen stark wirksame Opioide zum Einsatz.<br />
Eine Möglichkeit <strong>für</strong> den Patienten, die Medikamentendosis<br />
selbst zu best<strong>im</strong>men, besteht in<br />
einer PCA. Diese Applikationsform wird von den<br />
meisten Patienten positiv bewertet, da der Patient<br />
das Gefühl bekommt, seine Schmerztherapie<br />
selbst kontrollieren zu können. Vor allem<br />
bei älteren Patienten kommt es bei Verwendung<br />
einer PCA oft zu Verwirrung und Delirium. Um<br />
die Nebenwirkungen zu reduzieren, kann eine<br />
mult<strong>im</strong>odale Analgesie mit einer PCA kombiniert<br />
werden. Mit dieser Kombination wird nicht<br />
nur der Opioidbedarf gesenkt, sondern auch die<br />
Schmerzkontrolle verbessert. Ziel der mult<strong>im</strong>odalen<br />
Schmerztherapie ist es daher auch, durch<br />
vermehrten Einsatz peripherer kathetergestützter<br />
Nervenblockaden den Bedarf an stark wirk-<br />
86<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
samen Opioiden mit all ihren negativen Konsequenzen<br />
zu vermindern oder deren Einsatz<br />
sogar gänzlich zu vermeiden.<br />
Postoperative Schmerzdokumentation<br />
Um die Schmerztherapie auf ihre Effizienz zu<br />
überprüfen, ist eine lückenlose, standardisierte<br />
Schmerzdokumentation unbedingt erforderlich.<br />
Bereits <strong>im</strong> Aufwachraum wird die Dokumentation<br />
der Wirkung der Schmerztherapie erfolgen.<br />
Dabei wird <strong>für</strong> jeden Patienten postoperativ<br />
ein Überwachungsprotokoll angelegt. Im Rahmen<br />
der Visiten werden die Patienten zumindest<br />
zwe<strong>im</strong>al täglich bezüglich ihrer Schmerzen<br />
evaluiert. Es werden der Schmerzwert von 0 bis<br />
10 bei Ruhe und Bewegung ermittelt. Auch typische<br />
unerwünschte Wirkungen wie Sedierung,<br />
Atemdepression, Blutdruckabfall, Hemmung<br />
der Motorik, Übelkeit und Erbrechen, Juckreiz<br />
und Obstipation werden erfasst und dokumentiert.<br />
Sollte sich bei der Schmerzdokumentation<br />
heraus stellen, dass die Schmerztherapie unzureichend<br />
ist, muss rasch gegengesteuert werden,<br />
um Schmerzspitzen zu vermeiden.<br />
Ausblick in die Zukunft<br />
Trotz vieler Fortschritte in der Schmerztherapie<br />
ist eine inadäquate Analgesie nach wie vor ein<br />
häufig auftretendes Problem, dem Patienten außerordentlich<br />
große Bedeutung be<strong>im</strong>essen. Nach<br />
wie vor müssen Opioide in oft hoher Dosierung<br />
zur Schmerztherapie eingesetzt werden. Daher<br />
ist die Weiterentwicklung der Standardtherapie<br />
von größter Bedeutung. Derzeit wird an der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> eine mult<strong>im</strong>odale<br />
Analgesie etabliert. Durch das mult<strong>im</strong>odale Therapiekonzept<br />
steigt die Patientenzufriedenheit,<br />
und die Entstehung postoperativer chronischer<br />
Schmerzen wird verringert. Die opt<strong>im</strong>ale Durchführung<br />
einer solchen mult<strong>im</strong>odalen Analgesie<br />
wird am besten durch die Entwicklung eines<br />
standardisierten Schmerztherapieschemas erreicht.<br />
In Zusammenarbeit mit Vertretern aller<br />
behandelnden Berufsgruppen wird derzeit ein<br />
neues mult<strong>im</strong>odales Schmerzkonzept begonnen.<br />
Die Durchführung einer standardisierten<br />
Schmerztherapie und vor allem die Dokumentation<br />
des Behandlungsergebnisses sind elementare<br />
Bestandteile einer Qualitätssicherung. Sie<br />
sind aber darüber hinaus auch Grundvoraussetzung<br />
<strong>für</strong> die Durchführung klinischer Studien.<br />
Derzeit sind mehrere Studien geplant, die<br />
der Erforschung neuer Therapieverfahren und<br />
der weiteren Verbesserung des schmerztherapeutischen<br />
Konzeptes dienen sollen. Dabei werden<br />
auch Aspekte der Komplementärmedizin<br />
wissenschaftlich evaluiert. Weiters wird die Verbesserung<br />
der Schmerztherapie auch durch ein<br />
Qualitätssicherungsprogramm der „European<br />
Foundation for Quality Management” (EFQM)<br />
überprüft werden.<br />
Literatur be<strong>im</strong> Verfasser<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Kubista; Mayo Clinic<br />
Analgesic Pathway – Lennon, RL, Horlocker TT, Creative<br />
Commons, Kevin King, Unl<strong>im</strong>ited Media<br />
Highlights<br />
1772 Lachgas wird <strong>für</strong> zahnärztliche<br />
Eingriffe verwendet<br />
1827 Morphium wird industriell hergestellt<br />
1847 Äther-Narkose wird erstmalig<br />
beschrieben<br />
1884 S. Freud und K. Koller entdecken<br />
die lokalanästhetische Wirkung<br />
von Kokain<br />
1899 Acetylsalicylsäure wird erstmals als<br />
Aspirin erzeugt<br />
1972 Gründung der ersten Schmerzambulanz<br />
am <strong>Wien</strong>er <strong>AKH</strong><br />
1975 Gründung der International Association<br />
for the Study of Pain (IASP)<br />
1985 erstes orales retardiertes<br />
Morphinpräparat<br />
1991 Gründung der Österreichischen<br />
Schmerzgesellschaft<br />
2011 Etablierung der Mult<strong>im</strong>odalen<br />
Schmerztherapie an der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
2012 Anmeldung der Schmerztherapie <strong>im</strong><br />
Qualitätssicherungsprogramm der<br />
European Foundation for Quality<br />
Management (EFQM)<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 87
Endoprothetik des Knie- und Hüftgelenkes<br />
Die ersten künstlichen Gelenke wurden gegen<br />
Ende des 19. Jahrhunderts <strong>im</strong>plantiert. So war<br />
es der Berliner Chirurg Themistokles Gluck,<br />
der <strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 1890 ein aus Elfenbein gefertigtes<br />
Scharniergelenk als Kniegelenkersatz bei einem<br />
Patienten mit Knochentuberkulose <strong>im</strong>plantierte<br />
1 . Die ersten Ergebnisse dieser Versuche<br />
waren nur von geringem Erfolg gezeichnet, da<br />
es infolge mangelnder Asepsis sowie auch mangelnder<br />
Fixierung des Implantates zu frühen<br />
Komplikationen kam.<br />
Auch Hey-Groves verwendete 1922 Elfenbein als<br />
Ersatz <strong>für</strong> einen Hüftkopf, wobei auch hier sich<br />
das Material als untauglich erwies. 1923 <strong>im</strong>plantierte<br />
Smith-Peterson aus Boston eine Kappe aus<br />
Glas auf den Hüftkopf, wobei auch hier Materialbrüche<br />
und Unverträglichkeiten zu neuer Materialsuche<br />
führten 2 . Schließlich wurden Kunststoffe<br />
wie Pyrex und Bakelit bis schlussendlich auch<br />
Metalllegierungen aus Chrom, Kobalt, Molybdän<br />
(Vitalium) verwendet. Womit ein brauchbarer<br />
Metallwerkstoff <strong>für</strong> die Fertigung von Endoprothesen<br />
gefunden wurde. Dieses Vitalium wurde<br />
auch 1951 von Waldius als Werkstoff <strong>für</strong> eine<br />
achsgeführte Scharnierprothese <strong>im</strong> Kniegelenk<br />
verwendet 3 .<br />
Künstliche Gelenke:<br />
vom Elfenbein zur Metalllegierung<br />
Somit war schon in den späten 1940er <strong>Jahre</strong>n<br />
als geeignetes Implantatmaterial eine Metalllegierung<br />
aus Chrom, Kobalt, Nickel, Molybdän<br />
gefunden. Diese Entwicklung setzte sich<br />
schließlich fort, wobei als Artikulationsmaterial<br />
Kunststoffe und schließlich Polyethylen Einzug<br />
in die <strong>Orthopädie</strong> fanden. So war es John<br />
Charnley, der 1961 die sogenannte „Low friction<br />
arthroplasty” einführte 4 . Die bahnbrechenden<br />
Errungenschaften von Charnley waren einerseits<br />
die Fixierung der Prothese <strong>im</strong> Knochen durch die<br />
Anwendung von Knochenzement (Polymethylmetacrylat<br />
oder PMMA) sowie auch eine haltbare<br />
Gleitpaarung eines Metallkopfes gegen eine<br />
Polyethylenschale. Als ersten Kunststoff verwendete<br />
Charnley Teflon (damals in der Herzklappenchirurgie<br />
verwendet), wobei sich dieser<br />
Kunststoff bei den mechanischen Beanspruchungen<br />
des Hüftgelenkes als nicht standhaft<br />
erwies, bis Charnley schließlich hoch verdichtetes<br />
Polyethylen <strong>im</strong> <strong>Jahre</strong> 1963 verwendete.<br />
In der Kniechirurgie wurden die Prinzipien von<br />
Charnley (Implantatfixierung und Polyethylen)<br />
erstmals von Gunston 1969 angewendet 5 . Er war<br />
einer der ersten Kniechirurgen, die einen Oberflä-<br />
Ein Meilenstein: die berühmte<br />
Zweymüller-Hüftprothese<br />
Das Endoprothesen-Team beschäftigte sich mit neuen Operationsmethoden:<br />
modernes Navigationsgerät <strong>für</strong> Knie- und Hüft-TEP<br />
2008: die neue Knie-Revisions-Prothese wurde erstmals<br />
an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> <strong>im</strong>plantiert<br />
88<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Giurea/OA Dr. Bernd Kubista<br />
chenersatz und nicht ein Scharniergelenk erfolgreich<br />
in der Knieendprothetik verwendet haben.<br />
In England war es vor allem Freeman und in den<br />
USA Insall, die neben den jetzt bewährten Werkstoffen<br />
und Fixierungstechniken auch vermehrtes<br />
Augenmerk auf die standardisierte Operationstechnik<br />
sowie auch die Beachtung der Weichteile<br />
legte. In den 70er <strong>Jahre</strong>n kam es somit zu einer<br />
ersten Hochblüte, sowohl <strong>im</strong> Bereich der Knie- als<br />
auch der Hüftendoprothetik.<br />
Meilenstein in der Hüftendoprothetik<br />
Ein Meilenstein in der Hüftendoprothetik wurde<br />
durch Karl Zweymüller 1979 gelegt. Er entwickelte<br />
eine der erfolgreichsten zementfreien Hüfttotalendoprothesen<br />
weltweit. Das Prinzip bestand in<br />
der Erstellung eines rechteckigen Geradschaftes<br />
aus Titan mit hoher Biokompatibilität sowie in der<br />
Anwendung einer zementfreien Metallschraubpfanne<br />
6 . Dies war notwendig, nachdem die Polyethylenpfannen<br />
keine ausreichende Stabilität <strong>im</strong><br />
direkten Kontakt mit den Knochen ergaben. Die<br />
an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> durchgeführten<br />
Nachuntersuchungen von Grübl und<br />
Kolb et al. zeigten hervorragende Stand zeiten der<br />
Zweymüller-Hüftendoprothese von 94 % bei den<br />
10-<strong>Jahre</strong>s-Haltbarkeiten, 92 % (15 <strong>Jahre</strong>) und<br />
65 % (20 <strong>Jahre</strong>) 7, 8 .<br />
Dieses Prinzip wird bis zum heutigen Tag angewendet,<br />
wobei an der „Orthopädischen <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>Wien</strong>” auch eine Offset-Schaft-Variante<br />
mitentwickelt wurde. Ebenso waren die Untersuchungen<br />
der Metallgleitpaarungen mit Best<strong>im</strong>mung<br />
der Metallionenkonzentration <strong>im</strong> Blut, die<br />
von Brodner et al. durchgeführt wurden, von hohem<br />
akademischen Wert 8 .<br />
Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten<br />
und Publikationen – z. B. Hüft-TEP-Luxation von<br />
Giurea et al. 9 – konnten an der Univ.-Klinik <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong> erfolgreich über das Zweymüller-System<br />
abgeschlossen werden. Von Rainer<br />
Kotz wurden ebenso eine Geradschafthüftprothese<br />
(Hipstar) mitentwickelt, die auf den Erkenntnissen<br />
der Zweymüller-Prothese aufbaute und<br />
Verbesserungen <strong>im</strong> prox<strong>im</strong>alen Prothesenanteil<br />
(schmälere Schulter) sowie auch <strong>im</strong> Bereich des<br />
Prothesenhalses mit sich brachte.<br />
Navigierte Implantationstechnik<br />
von Knieprothesen<br />
Im Bereich der Knieendoprothetik wurde <strong>im</strong><br />
<strong>Jahre</strong> 2001 die Navigationstechnik an der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> eingeführt. Die<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong> zählt von der<br />
Frequenz und den Ergebnissen zu den führenden<br />
Kliniken bei der Anwendung der navigierten<br />
Implantationstechnik von Knieprothesen.<br />
Eine Multicenterstudie mit über 360 navigierten<br />
Knieendoprothesen wurde erfolgreich durchgeführt<br />
10 und zeigte eine sehr hohe Implantationsgenauigkeit,<br />
wobei 89 % der Knieprothesen in<br />
opt<strong>im</strong>aler Ausrichtung <strong>im</strong>plantiert wurden und<br />
die Lernkurve bei dieser Technik 30 Implantationen<br />
umfasste.<br />
Ein Meilenstein in der Hüftendoprothetik<br />
wurde durch<br />
Prof. Karl Zweymüller 1979<br />
gelegt. Er entwickelte eine der<br />
erfolgreichsten zementfreien<br />
Hüft totalendoprothesen weltweit.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Knie und Hüfte<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mi, 12.00 – 13.00 Uhr (Knie)<br />
Mi, 11.00 – 12.00 Uhr (Hüfte)<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Giurea (Leitung)<br />
OA Dr. Bernd Kubista<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 89
Die Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
in <strong>Wien</strong> hat viel Erfahrung auf dem<br />
Gebiet der computergesteuerten<br />
Implantatstechniken <strong>im</strong> Bereich<br />
der Knie- und Hüftendoprothetik.<br />
So wurden bereits frühzeitig<br />
Erkenntnisse auf dem Gebiet der<br />
Robotik und des Oberflächenersatzes<br />
gewonnen.<br />
Im November 2008 wurde erstmals eine neuentwickelte<br />
Knie-Revisions-Prothese an der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> <strong>im</strong>plantiert, die<br />
an unserer Abteilung maßgeblich mitentwickelt<br />
wurde (Enduro ® ). Seit bereits zehn <strong>Jahre</strong>n wird<br />
<strong>im</strong> Bereich der Knie- und Hüftendoprothetik vermehrt<br />
die muskelschonende Operationstechnik<br />
der min<strong>im</strong>alinvasiven Chirurgie praktiziert.<br />
Schwerpunkt Knie- und Hüftendoprothetik<br />
Entsprechend der Epidemiologie der Knie- und<br />
Hüftendoprothetik wurde an der Univ.-Klinik <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> ein Schwerpunkt <strong>für</strong> diesen<br />
Fachbereich errichtet. Mit der Übersiedlung vom<br />
Alten in des Neue <strong>AKH</strong> 1992 wurde ein Endoprothesen-Rekonstruktionsteam<br />
etabliert, das<br />
von Gottsauner-Wolf bis zum Jahr 2000 geleitet<br />
wurde. Mit der Berufung von Gottsauner-Wolf<br />
als Abteilungsleiter in Krems wurde die Teamleitung<br />
von Alexander Giurea übernommen.<br />
Das Team besteht aus fünf Personen (Alexander<br />
Giurea, Bernd Kubista, Richard Lass und zwei<br />
Ausbildungs assistenten) und verfügt über 14 Betten.<br />
Jeden Mittwoch wird eine Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Hüft- und Knieendoprothetik an der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong> betrieben.<br />
Das Endoprothesen-Team beschäftigte sich mit<br />
der Evaluierung neuer Operationsmethoden und<br />
neuer Implantatdesigns in kritischer Art und<br />
Weise. So wurden an unserer Klinik frühzeitig<br />
Erkenntnisse auf dem Gebiet der Robotik (Robodoc)<br />
und des Oberflächenersatzes gewonnen,<br />
die eine weitere Anwendung untersagte. Die<br />
Navigation, patientenspezifische Instrumente<br />
sowie allergiegeeignete Implantate überzeugten<br />
und werden bis dato erfolgreich angewendet.<br />
Ein wichtiger Schwerpunkt sind die Revisionen<br />
von Knie- und Hüftendoprothesen. So konnten<br />
in den <strong>Jahre</strong>n 2008, 2009, 2010, 2011 jeweils<br />
über 20 % Revisionsoperationen von Knie- und<br />
Hüftendoprothesen – <strong>im</strong> Vergleich zu den Pr<strong>im</strong>är<strong>im</strong>plantationen<br />
– durchgeführt werden. Die<br />
klinische Betreuung der Hüft- und Knie-Endoprothesen-Patienten<br />
wurde um eine interdisziplinäre<br />
Informationsveranstaltung (EZ Move =<br />
Exzelenz Zentrum Move), die regelmäßig am<br />
Montag abgehalten wird, erweitert. 2010 wurde<br />
die RSA (Radio Stereometrische Analyse)<br />
als zukunftsweisende klinisch-wissenschaftliche<br />
Methode eingeführt, um sowohl das Einwachsverhalten<br />
als auch die Funktionsanalyse bei<br />
Hüft- und Knieprothesen mit höchster Präzision<br />
zu evaluieren. Der Ausbildung wird <strong>im</strong> Endoprothesenteam<br />
der Univ.-Klinik eine besonders<br />
wichtige Stellung eingeräumt. So wird das Ausbildungsseminar<br />
der ÖGO „Hüft- und Knieendoprothetik”<br />
jährlich <strong>für</strong> alle in Ausbildung befindlichen<br />
Kollegen kostenfrei abgehalten.<br />
Zukunftsentwicklungen und Zukunftsvisionen<br />
Das größte Zukunftspotenzial, <strong>im</strong> Bereich der<br />
Knie- und Hüftendoprothetik besteht einerseits<br />
<strong>im</strong> Bereich der Implantatmaterialien und andererseits<br />
<strong>im</strong> Bereich verbesserter Implantationstechniken.<br />
Die Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong><br />
hat viel Erfahrung auf dem Gebiet der computergesteuerten<br />
Implantatstechniken <strong>im</strong> Bereich der<br />
Knie- und Hüftendoprothetik. Diese Implantati-<br />
90<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
onstechniken erlauben eine hohe Implantationsgenauigkeit<br />
sowie neben einer präzisen Knochenbearbeitung<br />
auch die Best<strong>im</strong>mung der Band- und<br />
Weichteilbalancierung. Ebenso erwarten wir von<br />
dieser Implantationstechnik höhere Sicherheit<br />
bei der Anwendung von min<strong>im</strong>alinvasiven Operationsmethoden.<br />
Die effiziente Versorgung unserer Patienten mit<br />
verkürzter Liegedauer durch schonende Operationsmethoden,<br />
opt<strong>im</strong>iertes Schmerzmanagement<br />
und verbesserte Organisationsabläufe ist ein<br />
wichtiges Thema <strong>für</strong> die Zukunft. Ebenso ist die<br />
Frühevaluation des Einwachsverhaltens und der<br />
Funktion von Prothesen mittels RSA ein Tätigkeitsbereich,<br />
der nicht nur unseren Patienten,<br />
sondern der gesamten akademischen Gruppe der<br />
Endoprothetiker zugute kommen wird.<br />
Zielsetzung<br />
Die Ziele in der Knie- und Hüftendoprothetik bestehen<br />
klinisch in einer Steigerung der Operations-<br />
und Versorgungsfrequenz, ebenso wie in<br />
der Mitentwicklung neuer Implantate und Implantationstechniken.<br />
Forschungsziele umfassen<br />
Outcome-Analysen, die sich nicht nur auf die<br />
Implantate (RSA, Design) und die Implantationstechniken<br />
beziehen, sondern auch auf die Verbesserung<br />
des Schmerzmanagements, die Opt<strong>im</strong>ierung<br />
der Asepsis und auf Faktoren der<br />
Patientenzufriedenheit. Somit besteht das Ziel in<br />
der Weiterführung und dem Ausbau einer äußerst<br />
erfolgreichen Tradition der orthopädischen <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>Wien</strong> auf dem Gebiet der Hüft- und<br />
Knieendoprothetik.<br />
Literatur<br />
1<br />
Gluck T; Verhandlung ärztlicher Gesellschaften; Berl.<br />
Klein Wschr 28:623 (1891)<br />
2<br />
Smith-Petersen MN; Arthroplasty of the hip. J Bone<br />
Joint Surg 21:269-288 (1939)<br />
3<br />
Waldius B; Arthroplasty of the knee using an endoproststhesis;<br />
Acta Orthop Scand 24:1-112 (1957)<br />
4<br />
Charnley J; Low friction arthroplasty of the hip;<br />
Springer, Berlin<br />
5<br />
Gunson FH; Polycentric knee arthroplasty; J Bone Joint<br />
Surg Br. 53; 272-277 (1971)<br />
6<br />
Zweymüller K et al.; Biologic Fixation of a Press-fit Titanium<br />
Hip Joint Endoprosthesis; Clin.Orthop.; 235:195-<br />
206,1988<br />
7<br />
Grübl A et al.; Cementless Total Hip Arthroplasty With<br />
a Tapered, Rectangular Stem and a Threaded Cup: A<br />
Min<strong>im</strong>um 10-year follow-up; J. Bone Joint Surg. (A),<br />
2002, 84:425-431<br />
8<br />
Kolb A et al.; Cementless Total Hip Arthroplasty with<br />
the Rectangular Titanium Zweymüller Stem. A Concise<br />
Follow-up, at a Min<strong>im</strong>um of Twenty Years, of a Previous<br />
Report; JBJS-A in press<br />
9<br />
Brodner W et al.; Serum cobalt levels after metal-onmetal<br />
total hip arthroplasty; J Bone Joint Surg Am.<br />
2003 Nov;85-A(11):2168-73<br />
10<br />
Giurea A et al.; Risikofaktoren <strong>für</strong> die Luxation einer<br />
zementfreien Hüfttotalendoprothese - Eine statistische<br />
Analyse; Z Orthop 139, S194-199; 2001<br />
11<br />
Jenny JY, Miehlke RK, Giurea A; Learning curve in navigated<br />
total knee replacement. A multicentre-study<br />
comparing experienced and beginners centers; The<br />
Knee 15 , pp. 80-84; 2008<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Giuera<br />
Meilensteine<br />
künstlicher Gelenke<br />
19. Jhdt. erste künstliche Gelenke<br />
1920er Glas- und Kunststoffe werden als<br />
Materialien verwendet<br />
1930 erste Implantate aus Metalllegierungen<br />
1940er Verwendung von Polyethylen als<br />
Artikulationsmaterial<br />
1961 „Low friction arthroplasty“ der<br />
Hüfte von Charnley mit haltbaren<br />
Gleitpaarungen und Prothesenfixierung<br />
mittels Knochenzement<br />
1969 erster Knieoberflächenersatz ohne<br />
Scharnier von Gunston<br />
1970er moderne Knie-TEP-Implantationstechnik<br />
durch Insall und Freeman<br />
mit Weichteilbalancierung<br />
1979 Erst<strong>im</strong>plantation der Zweymüller<br />
Hüft-TEP an der Univ.-Klinik <strong>Wien</strong><br />
1992 Etablierung des Endoprothesen-<br />
Rekonstruktions-Teams mit<br />
Schwerpunkt Hüft- und Knieendoprothetik<br />
an der Univ.-Klinik <strong>Wien</strong><br />
2001 Einführung der Navigation <strong>für</strong> Knie-<br />
TEP- und Hüft-TEP-Implantation<br />
an der Univ.-Klinik <strong>Wien</strong><br />
2008 Erst<strong>im</strong>plantation der Enduro ® -<br />
Knie-Revisionsprothese an der<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong><br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 91
Protheseninfektionen in der <strong>Orthopädie</strong><br />
Protheseninfektionen stellen eine der größten<br />
Herausforderungen und schwierigsten Komplikationen<br />
<strong>für</strong> Patient und Arzt dar. Die Lebensqualität<br />
der Patienten wird durch verlängerte<br />
Krankenhausaufenthalte, zusätzliche Operationen<br />
und wochenlange antibiotische Therapien<br />
deutlich beeinträchtigt 2 .<br />
Die Einführung des „Lamina Air Flow” und perioperativer<br />
Antibiotikaprophylaxe führten bereits<br />
zu einer deutlichen Verringerung der Inzidenz von<br />
Protheseninfektionen 1,3,4 . Die Inzidenz von Gelenksinfektion<br />
nach pr<strong>im</strong>ärem Gelenksersatz beträgt<br />
etwa 1 % <strong>für</strong> Hüftendoprothesen und Schulterprothesen,<br />
über 2 % <strong>für</strong> Knieprothesen, und bis<br />
zu 9 % bei Ellenbogenprothesen 5,6 . Darüber hinaus<br />
sind diese Infektionen mit erheblich Kosten assoziiert<br />
7 . Die Behandlung eines Patienten mit einer<br />
infizierten Prothese kostet <strong>im</strong> Durchschnitt mehr<br />
als <strong>50</strong>.000 Dollar pro Episode 7-10 . Hüft- und Knierevisionen<br />
werden zwischen 2005 und 2030 hochgerechnet<br />
auf um 137 % bzw. 601 % wachsen 11 .<br />
Für eine geeignete ant<strong>im</strong>ikrobielle Therapie spielen<br />
die Identifizierung des Erregers und Resistenzprüfung<br />
eine Schlüsselrolle. Deshalb sollten<br />
ausreichend Flüssigkeit, Abstriche, aber vor allem<br />
Gewebe aus den makroskopisch infizierten Arealen<br />
des Gelenks entnommen und bakteriologisch<br />
sowie histopatholgisch analysiert werden. Mit der<br />
Anzahl der abgenommenen Abstriche steigt auch<br />
die Sensitivität des bakteriellen Ke<strong>im</strong>nachweises.<br />
Deshalb sollten zumindest drei bis sechs Gewebeproben<br />
zur bakteriologischen Analyse aus dem<br />
Gelenk entnommen werden 12 . Aufgrund bereits<br />
eingeleiteter Antibiotikatherapie, Abnahmefehlern,<br />
unzureichender Menge an entnommenen<br />
Bakterien, ungeeignetem Transport und/oder<br />
niedrigvirulenter langsam wachsender Ke<strong>im</strong>e ergeben<br />
<strong>im</strong> Schnitt 20 % der Protheseninfektionen<br />
keinen Ke<strong>im</strong>nachweiß in der Kultur 13,14 . Als weiterer<br />
Grund <strong>für</strong> Kulturausfälle wird die Ummantelung<br />
der adhärenten Bakterien durch Antibiotikaunzugängliche<br />
Biofilme beschrieben 15 . Um die Ergebnisse<br />
der Kultur von Prothesenoberflächen zu<br />
verbessern, wurde versucht, die Erreger aus dem<br />
Biofilm zu lösen. Durch die Anwendung des langwelligen<br />
Ultraschalls bei explantierten Prothesen<br />
konnte die mikrobiologische Diagnostik signifikant<br />
verbessert werden 16 .<br />
Fehlender Konsensus<br />
bei Diagnostik und Therapie<br />
Die Endoprotheseninfektion ist so alt wie die Endoprothetik<br />
selbst, jedoch gibt es nach wie vor<br />
weder einen Konsens über die Diagnostik noch<br />
Sonifizierung der Prothesen<br />
Explantierte Prothese <strong>im</strong> Ultraschallbad<br />
Staphylococcus aureus mit Biofilm<br />
an einer Prothesenoberfläche<br />
92<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
OA Dr. Johannes Holinka<br />
über die beste Therapie 17 . Bei Beschwerden nach<br />
Totalendoprothesen<strong>im</strong>plantation ist so lange eine<br />
Infektion als Ursache anzunehmen, bis diese<br />
ausgeschlossen werden kann. Somit stellen die<br />
Protheseninfektionen in der <strong>Orthopädie</strong> auch in<br />
unserer Zeit eine große medizinische Herausforderung<br />
dar, die unter Berücksichtigung epidemiologischer,<br />
diagnostischer, therapeutischer und<br />
ökonomischer Aspekte einen interdisziplinären<br />
Konsensus verlangt.<br />
Einteilung der Protheseninfektionen<br />
Für die Einteilung der Protheseninfektionen existieren<br />
keine einheitlichen Empfehlungen. Insall<br />
trifft 1982 erstmals die Einteilung in Frühinfektionen,<br />
wenn diese max<strong>im</strong>al drei Monate nach Implantation<br />
auftreten, oder in Spätinfektionen – bei<br />
Auftreten nach mehr als drei Monaten. Rand unterscheidet<br />
1983 ebenfalls eine Frühinfektion (bis<br />
zwei Monate nach Implantation), eine intermediäre<br />
Infektion (zwischen zwei und 24 Monaten<br />
postoperativ) sowie in eine Spätinfektion nach<br />
mehr als 24 Monaten.<br />
In der Einteilung nach McPherson 1999 (siehe Tabelle<br />
rechts) wird der weitere Therapieplan einer<br />
Protheseninfektion nicht nur über den Zeitpunkt<br />
des Auftretens des Infektgeschehens, sondern<br />
auch in Zusammenschau mit der lokalen Wundsituation<br />
und systemischen Grunderkrankungen<br />
des Patienten und den damit zu erwartenden<br />
Komplikationen und Heilungsverzögerungen in<br />
einem Gruppenschema mit Unterpunkten definiert.<br />
Sowohl die chirurgische Therapie von einzeitigem<br />
und zweizeitigem Prothesenwechsel,<br />
Dauer der antibiotischen Therapie, aber auch die<br />
Einschätzung der Zumutbarkeit der chirurgischen<br />
Interventionen bei <strong>im</strong> Allgemeinzustand reduzierten<br />
Patienten sowie auch von <strong>im</strong>munsuppr<strong>im</strong>ierten<br />
Patienten soll mit diesem Schema nachvollziehbar<br />
und vergleichbar gegliedert werden. Das<br />
Risiko einer Reinfektion soll durch dieses Schema<br />
min<strong>im</strong>iert werden.<br />
Bildgebung<br />
Das ursprüngliche Röntgen bleibt nach wie vor<br />
das Mittel der Wahl der Erstdiagnostik, vor allem<br />
das Auftreten von Osteolysen und schleichenden<br />
Migrationen bei chronischen Infekten kann<br />
<strong>im</strong> Röntgenverlauf gut beurteilt werden. Bei einer<br />
septischen Lockerung kann in der Regel eine<br />
rasche Migration von zumindest 2 mm in sechs<br />
Monaten sowie eine rasche und irreguläre periprothetische<br />
Osteolyse beobachtet werden.<br />
Nuklearmedizin<br />
Zum Nachweis einer Prothesenlockerung bzw.<br />
einer Protheseninfektion wurden schon früh nuklearmedizinische<br />
Untersuchungen mit ihrer<br />
geringen Strahlenbelastung von etwa 5 mSv<br />
herangezogen. An Methoden stehen heute die<br />
Mehrphasen-Knochenszintigraphie sowie als<br />
Entzündungsszintigraphie der Galliumscan, der<br />
Granulozytenscan oder die Fluordeoxyglucose-<br />
Positronenemissiontomographie (FDG-PET) zur<br />
Einteilung der<br />
Protheseninfektionen<br />
Risikogruppen n. McPherson 32<br />
nach Beginn/Dauer<br />
I: postop. Frühinfekt < 4 Wochen Dauer<br />
II: akut hämat. Infekt < 4 Wochen Dauer<br />
III: chron. Spätinfekt > 4 Wochen Dauer<br />
Systemerkrankungen<br />
(rheumat. Arthritis, Alkoholabusus, Immundefizit,<br />
Leberzirrhose, kardiale Insuffizienz,<br />
DM, Malignome, Cortison)<br />
A: keine systemischen Faktoren<br />
B: < 2 systemische Faktoren<br />
C: > 2 systemische Faktoren<br />
Lokalstatus<br />
(Voroperation, 3 – 4 Monate lokale Infektion,<br />
multiple Narben, Fistel, venöse Insuffizienz,<br />
Sklerose, RTX)<br />
1: unauffällig<br />
2: < 2 Faktoren<br />
3: > 2 Faktoren<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 93
Verfügung. Bei der Mehrphasen-Skelettszintigraphie<br />
wird mittels Tc-99m-Bisphosphonaten ein<br />
Blutpoolphasenbild, ein Frühbild und ein Spätbild<br />
erstellt. Dabei zeigt sich <strong>im</strong> ersten Jahr nach Totalendoprothese<br />
(TEP) ein variables Muster des<br />
Knochenstoffwechsels, sodass nur eine unauffällige<br />
Knochenszintigraphie als Einzeluntersuchung<br />
klinisch aussagekräftig ist 18 . Eine negative<br />
Mehrphasen-Knochenszintigraphie schließt eine<br />
(a)septische Lockerung der Prothese mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit (NPV > 95 %) aus. Bei einer<br />
positiven Szintigraphie mit einer periprothetischen<br />
Anreicherung kann es sich einerseits um<br />
eine aseptische Lockerung oder eine Protheseninfektion,<br />
bei der eine Hyperämie und eine diffuse<br />
Mehranreicherung entlang der gesamten Prothese<br />
auffallend ist, handeln.<br />
Die weitere Abklärung erfolgt durch eine der<br />
Entzündungsszintigraphien, deren Einsatz zentrumsabhängig<br />
ist. Unter Berücksichtigung von<br />
Sensitivität und Spezifität liegen die Werte <strong>für</strong><br />
die „Genauigkeit” von Skelett-, Leukozyten-,<br />
Anti-Granulozyten-Szintigraphie oder FDG-PET<br />
zwischen 74 % und 95 %. Im Vergleich zum Hüftgelenk<br />
ergibt sich <strong>für</strong> die Beurteilung des Kniegelenkes<br />
eine geringere Spezifität und Genauigkeit.<br />
Als Granulozytenscan kommen radioaktiv markierte<br />
autologe Leukozyten oder Anti-Granulozyten-Antikörper<br />
zum Einsatz. Markierte Leukozyten<br />
verlangen eine ausgewiesene Expertise <strong>für</strong><br />
die sehr zeitaufwendige Präparation, sequenzielle<br />
Aufnahmen bis zu zwei Tagen sind erforderlich.<br />
Selbiges gilt auch <strong>für</strong> den Granulozytenscan<br />
mit monoklonalen murinen Antikörpern. Nachteil<br />
dieser Untersuchungstechnik mit monoklonalen<br />
Mausantikörpern sind bei wiederholtem Antikörperkontakt<br />
mögliche Immunreaktionen in Form<br />
einer humanen Anti-Maus-Antikörper-Reaktion<br />
(HAMA), weshalb oft eine sechsmonatige Wartezeit<br />
zwischen zwei Anwendungen empfohlen wird.<br />
Eine Dynamik der Infektion kann meistens schon<br />
nach einer Wartezeit von sechs Wochen gesehen<br />
werden. Eine Entzündungsszintigraphie mit markierten<br />
autologen Leukozyten kann jederzeit wiederholt<br />
werden.<br />
Der FDG-PET ist die modernste Untersuchungsmethode,<br />
wobei die Interpretation des Speicherungsmusters<br />
großer Erfahrung bedarf. Wenn oftmalige<br />
Wiederholungen <strong>im</strong> Rahmen der Entzündungsdiagnostik<br />
notwendig sind, empfiehlt sich die FDG-<br />
PET, die bezüglich der Leukozyten- und Granulozyten-Methoden<br />
gleichwertig ist 19 . Allerdings können<br />
bis zu vier bis sechs Wochen nach einer akuten<br />
Entzündung falsch positive Befunde beobachtet<br />
werden. Hierbei ist wiederum die Berücksichtigung<br />
von Vorbefunden und Vortestwahrscheinlichkeit<br />
von großer Bedeutung. Im Vergleich zum Röntgen<br />
ist die FDG-PET 20 zwar signifikant spezifischer<br />
(p = 0.035), aber weniger sensitiv (p = 0.016).<br />
Radiologie<br />
Die Multidetektor-Computertomographie hat die<br />
Vorteile einer gleichzeitigen Akquisition mehrerer<br />
Schichten (2 – 64), der Reduktion der Schichtdicke<br />
(0,6 mm) und der schnelleren Datenakquisition<br />
(ca. 12 sec). Artefakte können durch harte<br />
Strahlung, höhere Dosen und einen geringeren<br />
Tischvorschub reduziert werden. Die Domäne der<br />
MDCT liegt in der Beurteilung von komplexen ossären<br />
Strukturen, Abszessen und postoperativen<br />
Komplikationen. L<strong>im</strong>itationen ergeben sich durch<br />
Metallartefakte in Abhängigkeit von der TEP-Legierung.<br />
Die Magnetresonanztomographie bietet<br />
einen hohen Weichteilkontrast, kann aber auch<br />
in Abhängigkeit von der TEP-Legierung (ausgenommen<br />
Titan) ausgeprägte Metallartefakte zeigen.<br />
Die Domäne der MRT liegt in der Beurteilung<br />
von Weichteilveränderungen, Osteomyelitis und<br />
postoperativen Seromen. Die möglichen Kontraindikationen<br />
bei MRT-Untersuchungen (Schrittmacher,<br />
ferromagnetische Clips, Innenohr<strong>im</strong>plantate)<br />
sind unbedingt zu beachten. Bei Patienten<br />
mit beidseitigen Hüfttotalendoprothesen wurden<br />
Verbrennungen durch Strominduktion <strong>im</strong> Verlauf<br />
einer MRT beobachtet.<br />
Labormedizinisches Management<br />
Mikrobiologie: Als Untersuchungsmaterialien stehen<br />
in der Regel Gelenkspunktate (ev. Spülung),<br />
(intraoperativ gewonnene) Gewebeproben oder<br />
Abstriche und die Prothesen in toto zur Verfügung.<br />
Die Herausforderung bei der Beurteilung<br />
des kulturellen Erregernachweises besteht in der<br />
Unterscheidung zwischen einer Kontamination<br />
durch kommensale Mikroorganismen und einer<br />
Infektion durch Bakterien, die häufig ebenfalls<br />
der Hautflora entstammen.<br />
Wesentliche Bedingungen <strong>für</strong> die Probenentnahme<br />
sind kontaminationsfreies Arbeiten und Einsendung<br />
einer ausreichenden Menge an Probenmaterial.<br />
Die Antibiotikatherapie sollte zwei bis<br />
vier Wochen vor der geplanten Probengewinnung<br />
94<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
abgesetzt werden. Die Verwendung von Abstrichtupfern<br />
sollte nach Möglichkeit vermieden und<br />
Biopsien oder Aspirate eingeschickt werden. Die<br />
Biopsie sollte sofort nach Kapseleröffnung mit<br />
einem frischen Instrument entnommen werden.<br />
Bei zweizeitigem Hüft-TEP-Wechsel muss mit<br />
etwa 5 % falsch positiven Punktionsergebnissen<br />
gerechnet werden.<br />
Die intraoperative Kultur liefert bei Revisionshüft-<br />
TEP 13 – 31 % falsch positive Resultate. Es sollten<br />
mindestens drei bis sechs Gewebeproben aus unterschiedlichen<br />
Bereichen des infizierten Gewebes<br />
entnommen werden, da hiermit der mikrobiologische<br />
Befund deutlich an Aussagekraft gewinnen<br />
kann 21 . Bei drei oder mehr Gewebeproben mit einem<br />
identen Ke<strong>im</strong> beträgt die Wahrscheinlichkeit<br />
einer Infektion 96,4 %.<br />
Die Gramfärbung als schneller pr<strong>im</strong>ärer Erregernachweis<br />
besitzt bei Gelenkpunktaten eine<br />
Spezifität von > 90 % bei einer Sensitivität von<br />
10 – 30 %. In großen Studien zeigt sich <strong>für</strong> die<br />
Kultur eine Sensitivität von 60 – 90 % und eine<br />
Spezifität von 90 – 100 %.<br />
Mithilfe eines speziellen Nachweisverfahrens kann<br />
der Biofilm von den explantierten Prothesen gelöst<br />
werden und häufiger als mit den derzeitigen Standardmethoden<br />
Bakterien nachwiesen werden. Die<br />
einzelne Prothese wird in einen Container gegeben,<br />
400 ml Ringerlösung zugefügt, 30 Sekunden lang<br />
mit Vortex geschüttelt, danach fünf Minuten mit<br />
Ultraschallwellen (Sonication) behandelt, um den<br />
Biofilm mit den darin befindlichen Bakterien von<br />
der explantierten Prothese zu lösen. Als nichtkulturelles<br />
Nachweisverfahren kann die Breitspektrum-<br />
PCR oder die erregerspezifische PCR (Analyse über<br />
Sequenzierung) angewandt werden. Wegen der<br />
unsicheren Sensitivität und Spezifität kann diese<br />
kostenintensive und sehr kontaminationsanfällige<br />
PCR noch nicht als Standardverfahren empfohlen<br />
werden und ist nach Rücksprache mit dem mikrobiologischen<br />
Labor jenen Fällen mit klinischem<br />
Infektionsverdacht trotz wiederholter negativer<br />
Kulturen vorbehalten. Eine diagnostische Gewebsbiopsie<br />
sollte bei klinischem Infektionsverdacht in<br />
Fällen wiederholt mikrobiologisch negativer Punktionen<br />
durchgeführt werden, wobei die Entnahme<br />
einer Gewebsbiopsie am Hüftgelenk durch Zugang<br />
und Manipulation schwieriger ist als am Kniegelenk.<br />
Zusammenfassend ist nur der mikrobiologische<br />
Nachweis identer Erreger aus mehreren getrennt<br />
verarbeiteten Proben pathognomonisch. Die pr<strong>im</strong>ären<br />
Kulturbedingungen müssen auch die Anzucht<br />
kulturell anspruchsvoller Mikroorganismen und Anaerobier<br />
ermöglichen. Für die Beurteilung sind eine<br />
präzise Speziesidentifizierung und ein standardisiertes<br />
Antibiogramm erforderlich. Zum Nachweis<br />
seltener Erreger von Protheseninfektionen werden<br />
spezielle Anforderungen und ausreichende Materialmengen<br />
benötigt (siehe Tabelle rechts).<br />
Laborchemie – Entzündungsparameter<br />
Die postoperative Normalisierung der Blutsenkungsgeschwindigkeit<br />
(BSG) kann Wochen dauern,<br />
jene des C-reaktiven Proteins (CRP) Tage<br />
bis Wochen und des Interleukins-6 (IL-6) Tage 22 .<br />
IL-6 erreicht sein Max<strong>im</strong>um vier Stunden nach<br />
der chirurgischen Intervention. Interleukin -6-<br />
Werte über <strong>50</strong> pg/mL nach > 48 Stunden bzw.<br />
Gründe <strong>für</strong> falsch negatives<br />
mikrobiologisches Kulturergebnis<br />
● niedriges Inokulum<br />
● adhärente Bakterien<br />
● „Small colony variants“ (S. aureus)<br />
● intrazelluläre Persistenz in Osteoblasten<br />
● antibiotische Therapie, präoperative<br />
Antibiotikaprophylaxe<br />
● bakterizide Wirkung des<br />
Lokalanästhetikums<br />
● Entnahme- und Transportmängel<br />
● mangelhafte Bearbeitung <strong>im</strong> Labor<br />
● ursächlicher Erreger nicht <strong>im</strong><br />
Untersuchungsspektrum<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 95
Wegen der unsicheren Sensitivität<br />
und Spezifität kann die kostenintensive<br />
und sehr kontaminationsanfällige<br />
PCR noch nicht<br />
als Standardverfahren<br />
empfohlen werden.<br />
Werte über 10 pg/mL <strong>im</strong> Langzeitverlauf sollen<br />
auf eine mögliche Infektion hinweisen. CRP<br />
und IL-6 läuft über dieselben Mechanismen ab.<br />
Die Kombination von CRP und IL-6 deckt alle<br />
tiefen Infektionen auf. Bei erhöhter BSG oder<br />
erhöhtem CRP bzw. bei weiter bestehendem<br />
klinischem Verdacht sollte eine Punktion durchgeführt<br />
werden. Eine Zellzahl von > <strong>50</strong>.000/mm 3<br />
in der Synovialflüssigkeit mit > 80 % Neutrophilen<br />
ist hoch verdächtig auf das Vorliegen einer<br />
Infektion, allerdings der geringen Sensitivität<br />
bzw. des geringen positiven Vorhersagewertes<br />
wegen nicht beweisend.<br />
Histopathologie<br />
Proben aus einem hochverdächtigen Bereich<br />
sollten bereits während der Operation als Gefrierschnitt<br />
(Sensitivität 0,80 – 0,91; Spezifität<br />
0,94 – 0,99) untersucht werden. Dabei erfolgt<br />
eine Auswertung von fünf „high power fields”<br />
(= 40-fache Vergrößerung), wobei mehr als zehn<br />
neutrophile Granulozyten pro Feld auf eine Infektion<br />
hinweisen. Intraoperative Gefrierschnitte<br />
bieten sich als Schnelldiagnostik auch dann an,<br />
wenn BSG oder CRP aufgrund anderer Begleiterkrankungen<br />
erhöht sind. Die Histologie entspricht<br />
am ehesten dem diagnostischen Goldstandard.<br />
Klinik<br />
Die Anamnese (Schmerzen) sowie die Klinik (Hinken,<br />
Bewegungsschmerzen) geben neben der<br />
Beurteilung der Haut- und Weichteile die ersten<br />
Hinweise <strong>für</strong> eine Protheseninfektion. Fehlende<br />
Beschwerdefreiheit nach der Implantation und<br />
Ruheschmerzen sind nur sehr unspezifische Infektionsanzeichen.<br />
Eine gesicherte Infektion liegt<br />
vor, wenn derselbe Ke<strong>im</strong> in zumindest zwei Punktaten<br />
oder Gewebsproben vorkommt, histopathologisch<br />
akute Entzündungszeichen vorliegen,<br />
ein Fistelgang bis zur Prothese führt oder Eiter <strong>im</strong><br />
Punktat oder <strong>im</strong> Operationsgebiet auftritt.<br />
Erregerspektrum<br />
Die häufigsten Erreger von Protheseninfektion sind<br />
Staphylococcus aureus und gramnegative Stäbchen<br />
in der Frühphase (< 3 Monate post TEP),<br />
Koagulase-negative Staphylokokken und Propionibakterien<br />
(Propionibacterium acnes) in der chronischen<br />
Spätphase (3 – 24 Monate post TEP) sowie<br />
Streptokokken, S. aureus und gramnegative Stäbchen<br />
in der hämatogenen Phase (> 2 <strong>Jahre</strong> post<br />
TEP) 23 . In bis zu einem Drittel der Fälle handelt<br />
es sich um eine polymikrobielle Infektion. Zu den<br />
seltenen Ursachen <strong>für</strong> Implantat-assoziierte Infektionen<br />
zählen Corynebakterien, Listerien, Aktinomyceten,<br />
Nokardien, Clostridien, Mykobakterien,<br />
Mykoplasmen, Pilze oder sogar Echinokokken.<br />
Biofilm<br />
Protheseninfektionen werden typischerweise<br />
durch Biofilm-bildende Bakterien hervorgerufen.<br />
Diese Ke<strong>im</strong>e leben dicht zusammengedrängt in<br />
einer die Implantatoberfläche überziehenden,<br />
hydrierten, extrazellulären Matrix (Schle<strong>im</strong>). Dieser<br />
Biofilm bietet Bakterien eine Möglichkeit des<br />
Überlebens. In der Regel teilen sich Bakterien innerhalb<br />
des Biofilms nicht. Ein Biofilm kann sich<br />
innerhalb von 24 Stunden aufbauen und ist bei<br />
96<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
akterieller Besiedelung nach 48 Stunden und bei<br />
Candida-Besiedelung nach einer Woche als „ausgereift”<br />
zu bewerten. Der Biofilm führt zu einer<br />
bis zu 1.000-fach höheren Resistenz gegenüber<br />
wachstumsabhängigen ant<strong>im</strong>ikrobiellen Substanzen,<br />
da die min<strong>im</strong>ale Hemmkonzentration (MHK)<br />
bzw. min<strong>im</strong>ale bakterizide Konzentration (MBK)<br />
<strong>im</strong> Biofilm um ein Vielfaches größer als <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu der planktonischen (freilebenden) Form<br />
dieser Bakterien ist 24 .<br />
Die klassische Anti-Biofilm-Strategie ist heutzutage<br />
die operative Entfernung des Fremdkörpers, an<br />
dessen Oberfläche sich der Biofilm gebildet hat.<br />
Es gibt Versuche, eine ant<strong>im</strong>ikrobielle Therapie<br />
mit einem Biofilm-wirksamen Antibiotikum (z.B.<br />
Rifampicin) in Kombination mit einem pr<strong>im</strong>är<br />
gegen die Infektion wirkenden Antibiotikum einzusetzen<br />
25 . Einige der neuen Antibiotika haben<br />
neben einer guten Wirksamkeit gegen Staphylokokken<br />
oder Streptokokken ebenfalls eine Aktivität<br />
auf Biofilme, allerdings in deutlich höhrerer<br />
Dosierung; hierzu zählen Daptomycin, Moxifloxacin<br />
und Tigecyclin 26 . Die klinische Bedeutung<br />
dieser Aktivität bei Protheseninfektionen ist Gegenstand<br />
der aktuellen Forschung. Andere Ansatzpunkte<br />
sind der lokale Einsatz biozider Substanzen<br />
wie Alkohole, Taurolidin oder Peroxid 27 .<br />
Nach anderen innovativen Strategien mit neuen<br />
Materialien zur Beschichtung oder Imprägnierung<br />
der Prothesen wird geforscht. Die derzeit beste<br />
Strategie ist, Biofilm mittels chirurgischem Debridement<br />
abzulösen und eine Erreger-spezifische,<br />
hochdosierte, parenterale Antibiotika-Therapie<br />
durchzuführen.<br />
Ant<strong>im</strong>ikrobielle Therapie<br />
Die ant<strong>im</strong>ikrobielle Therapie von Protheseninfektionen<br />
ist facettenreich und teilweise sehr zentrumsspezifisch.<br />
Staphylokokken stellen die wichtigste<br />
Erregergruppe dar und müssen daher bei<br />
einer empirischen Therapie <strong>im</strong>mer berücksichtigt<br />
werden. Ein wesentlicher Punkt in der Auswahl<br />
der Substanz ist die Gewebegängigkeit. Die Antibiotikatherapie<br />
einer TEP-Infektion erfolgt meistens<br />
über einige Wochen bis Monate, sodass eine<br />
orale Langzeittherapie <strong>im</strong> Anschluss an eine initiale<br />
parenterale Therapie wünschenswert ist. Voraussetzung<br />
hier<strong>für</strong> ist eine gute Bioverfügbarkeit.<br />
Zunehmend an Bedeutung gewinnt die Tatsache,<br />
dass es bei modernen Antibiotika oft aus mannigfaltigen<br />
Gründen keine entsprechenden Zulassungsstudien<br />
gibt und in weiterer Folge nur ein<br />
Off-label-Einsatz dieser Substanzen übrig bleibt.<br />
Ein offener Punkt neben der Therapiedauer ist die<br />
Frage, inwieweit heutzutage die ant<strong>im</strong>ikrobielle<br />
Therapie mit Biofilm-inhibierenden Antibiotika<br />
von Anfang an kombiniert werden soll.<br />
Bei empfindlichen Methicillin-empfindlichen Staphylokokken<br />
(MSSA) ist die min<strong>im</strong>ale Hemmkonzentration<br />
(MHK) der „alten” Staphylokokken-Antibiotika<br />
teilweise niedriger als bei neuen<br />
Vertretern (z.B. Flucloxacillin vs. Linezolid). Bei<br />
Methicillin-sensiblen Staphylokokken sind Betalaktame<br />
wie Flucloxacillin, Cephalosporine<br />
der ersten (Cefazolin) bzw. zweiten Generation<br />
(Cefurox<strong>im</strong>) Mittel der Wahl. Clindamycin<br />
(Dalacin C ® ) und Fusidinsäure (Fucidin ® ) – beide<br />
Substanzen stehen sowohl peroral als auch parenteral<br />
zur Verfügung – sind weitere Eckpfeiler in der<br />
Staphylokokkentherapie. Fusidinsäure wirkt gut<br />
gegen Staphylokokken, jedoch nur schwach gegen<br />
Streptokokken und sollte in dieser Indikation<br />
nicht eingesetzt werden. Fusidinsäure wird häufig<br />
in der oralen Langzeittherapie eingesetzt und kann<br />
neben Rifampicin auch gut mit modernen Fluorchinolonen,<br />
in dieser Indikation vorzugsweise mit<br />
Moxifloxacin, kombiniert werden. Eine regelmäßige<br />
Kontrolle der Leberfunktionsparameter inklusive<br />
alkalischer Phosphatase ist angezeigt.<br />
Bei nachgewiesenen MRSA-Infektionen kommen<br />
die Glykopeptide Vancomycin oder Teicoplanin,<br />
Daptomycin, Linezolid oder Tigecyclin zum Einsatz.<br />
Cotr<strong>im</strong>oxazol kann bei entsprechendem Antibiogramm<br />
ebenfalls hochdosiert verwendet werde 28 .<br />
Vancomycin ist per se bei MSSA schwächer wirksam<br />
als ein Staphylokokken-Betalaktamantibiotikum<br />
und seine Gewebegängigkeit nicht opt<strong>im</strong>al. Teicoplanin<br />
(Targocid ® ) hat gegen Koagulase-negative<br />
Staphylokokken eine etwas geringere Aktivität als<br />
Vancomycin. Beide Glykopeptide waren jahrzehntelang<br />
die einzigen Antibiotika gegen MRSA-Infektionen.<br />
Teicoplanin ist besser gewebegängig als<br />
Vancomycin und zeichnet sich durch eine geringere<br />
Toxizität und eine sehr lange Halbwertszeit aus.<br />
Letztere ermöglicht ein modernes Therapieschema<br />
<strong>im</strong> Rahmen der ambulanten parenteralen Antibiotikatherapie.<br />
Bei beiden Glykopeptiden muss<br />
regelmäßig eine Talspiegelbest<strong>im</strong>mung erfolgen;<br />
die entsprechenden Teicoplanin-Spiegel sollten<br />
<strong>im</strong> Bereich von 25 – 30 µg/mL liegen. Daptomycin<br />
(Cubicin ® ) ist der erste Vertreter der Lipopeptide<br />
und zeichnet sich durch eine bakterizide Wirkung<br />
gegen Gram-positive Erreger und eine Biofilm-<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 97
inhibierende Aktivität aus. Die Substanz muss<br />
nur einmal täglich verabreicht werden, Spiegelbest<strong>im</strong>mungen<br />
sind nicht erforderlich. Die wichtigste<br />
Nebenwirkung sind dosisabhängige Creatininkinaserhöhungen,<br />
die bis zur Rhabdomyolyse<br />
führen können. Die Gewebepenetration in den<br />
Knochen ist gut. Linezolid (Zyvoxid ® ), der erste<br />
98<br />
Vertreter der Oxazolidinone, steht sowohl oral<br />
als auch parenteral in selber Dosierung (100 %<br />
Bioverfügbarkeit) zur Verfügung. Die Gewebepenetration<br />
ist exzellent. Die Indikation sind MRSA-<br />
Infektionen. Wöchentliche Blutbildkontrollen (Anämie,<br />
Thrombopenie) sind empfehlenswert, bei<br />
Therapien über 28 Tage muss auf das Auftreten<br />
Management von infizierten Knie-/Hüft-TEP<br />
Akuter Infekt (I+II)<br />
nein<br />
Typ 1 A<br />
Typ 1<br />
Einzeitiger Wechsel<br />
Ke<strong>im</strong>gewinnung<br />
antibiotikaresisenter Ke<strong>im</strong><br />
Typ B, C<br />
Typ 2, 3<br />
Toleriert 2 OP<br />
Zweizeitiger Wechsel<br />
nein<br />
Chron. Infekt (III)<br />
Girdlestone<br />
Arthrodese<br />
Amputation<br />
Toleriert 1 OP<br />
nein<br />
Drainage in LA<br />
von Neuropathien geachtet werden. Tigecyclin<br />
(Tygacil ® ) zählt zu den Glycylcyclinen, eine Weiterentwicklung<br />
des Minocyclins. Neben seiner Aktivität<br />
gegen MRSA und Enterokokken ist es auch<br />
hoch aktiv gegen Enterobakterien und Anaerobiern.<br />
Keine Aktivität besteht gegen Pseudomonaden.<br />
Das es <strong>im</strong> weitesten Sinne ein Tetracyclinvertreter<br />
ist, besteht absolute Kontraindikation<br />
bis zum achten Lebensjahr.<br />
Rifampicin (Rifoldin ® ) darf ausschließlich nur in<br />
Kombination mit einem weiteren Staphylokokken-<br />
Antibiotikum verabreicht werden, da es bei einer<br />
Monotherapie zu einer raschen Resistenzentwicklung<br />
kommt. Regelmäßige – anfangs wöchentliche<br />
– Kontrollen der Leberfunktionsparameter<br />
und des Blutbildes sind obligat. Rifampicin besitzt<br />
eine Biofilm-inhibierende Wirkung und ist auch<br />
gegen langsam wachsende Staphylokokkenstämme<br />
aktiv. Fosfomycin (Fosfomycin ® ) ist ebenfalls<br />
ein exzellenter Kombinationspartner und wird vor<br />
allem bei Osteomyelitiden bzw. Abszessen aufgrund<br />
seiner hervorragenden Gewebegängigkeit<br />
zu Therapieanfang eingesetzt. Aufgrund des hohen<br />
Natriumgehaltes sind entsprechende Elektrolytkontrollen<br />
notwendig.<br />
Antibiotika-hältiger Knochenzement<br />
Die Be<strong>im</strong>ischung zahlreicher Antibiotika (Cefazolin,<br />
Cefurox<strong>im</strong>, Gentamicin, Tobramycin, Vancomycin,<br />
Teicoplanin, Daptomycin, Linezolid,<br />
Fusidinsäure, Ciprofloxacin, Gatifloxacin, Levofloxacin)<br />
zum Knochenzement wird in der Literatur<br />
beschrieben. Der Einsatz von Antibiotika-Knochenzement<br />
wird aufgrund einer möglichen Ke<strong>im</strong>-<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
selektion sowie Resistenzentwicklung kritisch<br />
diskutiert. Aktuelle Studien bestätigen allerdings<br />
gute Spitzenspiegel sowie einen signifikanten<br />
klinischen und mikrobiologischen Benefit 29 . Eine<br />
Übersicht rät zu weiteren kontrollierten Studien,<br />
da ein eindeutiger Benefit bei der derzeitigen Datenlage<br />
nicht vorliegt 30 .<br />
Saug-Spül-Drainage<br />
In der Literatur sind nur wenige Fakten (Medline-Research<br />
mit max<strong>im</strong>al 2<strong>50</strong> Treffern) über<br />
die Saug-Spül-Drainage (SSD) wissenschaftlich<br />
belegt. In verschiedenen Studien wird bei Patienten<br />
mit infiziertem TEP mittels Debridement<br />
und SSD sowie einer längeren Antibiotikatherapie<br />
eine Erfolgsrate definiert als Prothesenerhalt<br />
von max<strong>im</strong>al 24 % – 29 % erreicht! Bei einem<br />
zweizeitigen Wechsel der Prothese erhöht sich<br />
die Erfolgsrate auf bis zu 100 %. Je früher (max.<br />
zwei Wochen nach TEP) und öfter ein Debridement<br />
durchgeführt wird, umso größer sind die<br />
Erfolgschancen.<br />
Dauer der ant<strong>im</strong>ikrobiellen Therapie<br />
Für die Frage der Therapiedauer gibt es zurzeit<br />
keine Vergleichsstudien. Oberste Priorität besitzt<br />
die Erregerabtötung, wobei auch langsam wachsende<br />
Varianten (SCV) beachtet werden müssen.<br />
Die rezentesten Empfehlungen stammen von der<br />
Schweizer Arbeitsgruppe um Trampus und Z<strong>im</strong>merli<br />
31 . Bei einem Prothesenverbleib oder einem<br />
ein- bzw. kurzen zweizeitigen Wechsel sollte eine<br />
ant<strong>im</strong>ikrobielle Therapie zumindest <strong>für</strong> drei Monate<br />
(Knie-TEP: sechs Monate) durchgeführt werden,<br />
anfangs <strong>für</strong> zwei bis vier Wochen parenteral.<br />
Chirurgische Therapie<br />
Die Inzidenz von Protheseninfektionen bei Patienten<br />
ohne Risikofaktoren beträgt in der rezenten<br />
wissenschaftlichen Literatur 1 bis 2 %. Bei<br />
gekoppelten Prothesen oder Immunsuppression<br />
werden Inzidenzraten von 16 bis 19 % erreicht.<br />
Bei einer Symptomdauer der Protheseninfektion<br />
unter zwei Wochen erzielte Wasielewski (1996)<br />
durch einen einzeitigen Prothesenwechsel eine<br />
Erfolgsrate von 90 %. Bei einer Symptomdauer<br />
von über zwei Wochen wurde dabei ein zweizeitiger<br />
Prothesenwechsel durchgeführt. Mithilfe eines<br />
mehrfachen Debridements und Prothesenretention<br />
kann bei Protheseninfektionen mit einer<br />
Symptomdauer unter 30 Tagen eine Erfolgsrate<br />
von 100 % erzielt werden. Bei einer Symptomdauer<br />
von über 30 Tagen liegt die Erfolgsrate<br />
bei 71 % (Mont, 1997). Mittels Antibiotikagabe<br />
und Aspiration konnte Hirakawa (1998) eine Erfolgsrate<br />
von 21 bis 38 % erzielen, Bengtson und<br />
Knutson (1991) 15 %. Durch Spülung und Debridement<br />
konnten Erfolgsraten zwischen 18 und<br />
85 % erreicht werden (Rand 1990; Burger 1991;<br />
McLaren 1996; Petty 1975; Cockarell 1998; Z<strong>im</strong>merli<br />
2004).<br />
Durch einen einzeitigen Prothesenwechsel (temporärer<br />
Wundverschluss, neu Abdecken, Re<strong>im</strong>plantation)<br />
und einer dre<strong>im</strong>onatigen Antibiotikatherapie<br />
aufgrund einer Lockerung der Prothese<br />
und einer tiefen Protheseninfektion mit grampo-<br />
Chirurgische Behandlung<br />
von tiefen Protheseninfektionen<br />
Prothesenretention:<br />
Antibiotika und Aspiration<br />
Spülung und Debridement<br />
Arthroskopie oder Arthrotomie<br />
Prothesenwechsel:<br />
Einzeitiger Wechsel<br />
Zweizeitiger Wechsel mit fixem oder artikulierendem<br />
Spacer<br />
Salvage Procedure:<br />
Arthrodese<br />
Resektionsarthroplastik<br />
Amputation<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 99
Die Endoprotheseninfektion<br />
ist so alt wie die Endoprothetik<br />
selbst, jedoch gibt es nach<br />
wie vor weder einen Konsens<br />
über die Diagnostik noch<br />
über die beste Therapie.<br />
sitiven Erregern erzielten Freeman et al. (1985)<br />
eine Erfolgsrate von 94 %. Auswahlkriterien in<br />
dieser Studie waren grampositive Erreger, Symptomdauer<br />
unter zwei Wochen, Immunkompetenz<br />
und intakte Weichteile.<br />
Bei einer tiefen Protheseninfektion <strong>im</strong> Bereich<br />
des Kniegelenkes ist ein zweizeitiger Prothesenwechsel<br />
Standard. In einer Zusammenfassung<br />
der wissenschaftlichen Daten von <strong>50</strong>3 Patienten<br />
aus den <strong>Jahre</strong>n 1983 bis 2007 konnte dabei eine<br />
Erfolgsrate von durchschnittlich 92,5 % (76,6 bis<br />
100 %) erzielt werden.<br />
Bei infizierten Hüft-Totalendoprothesen werden in<br />
der wissenschaftlichen Literatur (1977 bis 2007)<br />
ein- und zweizeitige chirurgische Verfahren miteinander<br />
verglichen. Bei einzeitigem Prothesenwechsel<br />
ohne antibiotikahältigen Zement konnte<br />
dabei <strong>im</strong> Mittel eine Infekteradikation von 55,5 %<br />
erreicht werden, bei Verwendung eines antibiotikahältigen<br />
Zementes eine Infekteradikation von<br />
85,5 %. Im Vergleich dazu konnten durch einen<br />
zweizeitigen Prothesenwechsel bessere Ergebnisse<br />
erzielt werden: Eradikationsrate ohne antibiotikahältigen<br />
Zement 92,1 %, mit antibiotikahältigem<br />
Zement 95,54 %.<br />
Die Daten aus gut kontrollierten Studien bestätigen,<br />
dass bei tiefen Protheseninfektionen<br />
der zweizeitige Prothesenwechsel „State of the<br />
Art” ist. Ein einzeitiger Wechsel kann nur <strong>für</strong> die<br />
Risiko gruppe I/A/1 nach McPherson empfohlen<br />
werden. Ein Debridement wird in ausgewählten<br />
Fällen durchgeführt.<br />
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Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Holinka<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 101
Das femoroacetabuläre Impingement<br />
der Hüfte – eine eigene Erkrankung?<br />
Die Coxarthrose des Hüftgelenkes betrifft etwa<br />
fünf Prozent der westlichen Bevölkerung. In 75 %<br />
der Fälle lassen sich krankheitsbedingte Folgezustände<br />
charakterisieren, welche durch eine Inkongruenz<br />
der Gelenkfächen einen vorzeitigen<br />
Verschleiß bedingen. Die Hüftdysplasie wurde<br />
früh als Ursache der Coxarthrose beschrieben<br />
und wird durch rekonstruktive chirurgische Verfahren<br />
– wie der Beckenosteotomie nach Chiari<br />
– bei jungen erwachsenen Patienten behandelt<br />
(Chiari 20 <strong>Jahre</strong>s paper). In 25 % der Fälle<br />
liegt keine offensichtliche Ursache vor. Mit der<br />
Beschreibung des femoroacetabulären Impingement<br />
1 (FAI) wurde ein möglicher neuer Pathomechanismus<br />
entdeckt, der sich nunmehr verstärkt<br />
<strong>im</strong> Fokus der orthopädischen Forschung befindet.<br />
Als Impingement der Hüfte bezeichnet man<br />
anatomische Prädispositionen des Hüftgelenkes,<br />
die bei Bewegung zu einem verfrühten Kontakt<br />
zwischen Schenkelhals und Acetabulum führen.<br />
Gegenwärtig werden zwei Hauptmechanismen 2<br />
unterschieden: Cam (Nockenwelle) und Pincer<br />
(Zangeneffekt). Be<strong>im</strong> Cam-Typ führt die unzureichende<br />
Taillierung des Kopf-Hals-Überganges zu<br />
einer Scherbelastung am Acetabulum, die zu einer<br />
großflächigen Delamination des Knorpels am<br />
Übergang zum Labrum führt (fibrokartilaginäre<br />
Separation). Männer sind hier häufiger betroffen<br />
als Frauen. Als Ursache ist die mangelhafte Ausheilung<br />
der Epiphysiolysis capitis femoris oder<br />
Morbus Perthes bekannt. In der Mehrzahl der Fälle<br />
liegt die Deformität aber idiopathisch vor.<br />
Be<strong>im</strong> Pincer-Typ ist die Pfanne durch eine zu<br />
starke Ausprägung <strong>im</strong> Sinne der Coxa profunda<br />
oder aber auch durch eine Retroversion des Acetabulums<br />
auslösend <strong>für</strong> das Impingement. Dieser<br />
Typ betrifft häufiger Frauen und weist eine<br />
andere Verteilung der Knorpelschädigung auf.<br />
Es kommt zu einer schmalen, aber zirkulären<br />
Schädigung des Knorpels und oft zu einer Ossifikation<br />
des Labrums, die die Situation sekundär<br />
aggravieren kann.<br />
In mehr als 80 % der Fälle liegen jedoch kombinierte<br />
Typen vor, sodass sich die Diagnostik und<br />
entsprechend auch die Behandlung der Deformitäten<br />
herausfordernd gestaltet. Es bleibt jedoch<br />
kritisch abzuwägen, wie groß das tatsächliche Risiko<br />
<strong>für</strong> die Manifestation der Coxarthrose ist.<br />
Bildgebende Diagnostik<br />
Die Basis der bildgebenden Diagnostik bleibt die<br />
a/p Beckenübersichtaufnahme <strong>im</strong> Nativröntgen.<br />
Hier wurde in den letzten <strong>Jahre</strong>n eine Vielzahl von<br />
radiologischen Zeichen 3 erkannt, die direkte Rück-<br />
Abb 1: Pathologisch erhöhter Alpha-<br />
Winkel bei Cam-Typ FAI<br />
Abb 2: Schema der radialen Rekonstruktion<br />
in der Schichtbildgebung<br />
Abb. 3: Beispiel einer jungen Patientin mit Cam-Typ FAI: a/p Aufnahme beidseits (li.), konventionelle<br />
axiale Aufnahme (Mitte). Im Dunn View (re.) kommt die Deformität zur Darstellung (Pfeil)<br />
102<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Dr. Stephan Domayer, PhD<br />
schlüsse auf die Tiefe und die Ausrichtung der Hüftpfanne<br />
erlauben. Die Grundbedingung ist jedoch<br />
eine technisch perfekte Ausführung der Aufnahme,<br />
da sonst sehr schnell falsch positive Zeichen gesehen<br />
werden können und der Wert der Aufnahme<br />
verloren geht. Zusammenfassend ist die Beurteilung<br />
der Pincer-Komponente des FAI gegenwärtig<br />
nur <strong>für</strong> die Beckenübersicht evaluiert, sodass diese<br />
Aufnahme <strong>für</strong> die chirurgische Planung auch dann<br />
wiederholt werden muss, wenn andere bildgebende<br />
Maßnahmen bereits vorliegen.<br />
In Hinblick auf die Beurteilung der Cam-Komponente<br />
des FAI gestaltet sich die Diagnostik erheblich<br />
komplexer. Es muss hier darauf hingewiesen<br />
werden, dass in der Mehrheit der Fälle das max<strong>im</strong>ale<br />
Ausmaß der Deformität in vorderen kranialen<br />
Anteil des Schenkelhalses zu finden ist. Die<br />
klassischen a/p und axialen Röntgenaufnahmen,<br />
aber auch coronar wie axial geführte Schichtbildverfahren<br />
stellen gerade diesen Aspekt des<br />
Femurs aber <strong>für</strong> eine diagnostische Beurteilung<br />
nicht ausreichend dar. Als Maß <strong>für</strong> die Schwere<br />
der Cam-Deformität wurde durch H. Nötzli 4<br />
der Alphawinkel (siehe Abb. 1) etabliert, der<br />
eine objektive Messung des mechanischen Konfliktes<br />
erlaubt. Ab 55° geht man von einer chirurgisch<br />
zu sanierenden Situation aus, und hier<br />
muss unbedingt die Stelle der größten Deformität<br />
beurteilt werden. Die genaue Beurteilung des<br />
Kopf-Schenkelhals-Überganges kann aus diesem<br />
Grund nur in radial geführten Schichtbildverfahren<br />
erfolgen. Die Bilder rotieren in einem Abstand<br />
von max<strong>im</strong>al 30° um die Achse des Schenkelhalses<br />
und erlauben so, sämtliche Aspekte zu<br />
erfassen (siehe Abb. 2).<br />
Die MRT hat sich hier wegen des Weichteilkontrastes<br />
und dem Wegfall von Strahlung gegen die CT<br />
als Goldstandard etabliert, wenngleich der technische<br />
Aufwand <strong>für</strong> die korrekte Messung nicht<br />
unerheblich ist und radiale MR-Bildgebung daher<br />
spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben sollte.<br />
Vor diesem Hintergrund ist die nativradiologische<br />
Bildgebung in der 2. Ebene be<strong>im</strong> FAI besonders<br />
differenziert zu werten. Es kann eine erhebliche<br />
Deformität des anterioren Schenkelhalses in der<br />
a/p Aufnahme so projizieren, dass ein normaler<br />
Übergang gesehen wird. Ebenso kann die <strong>für</strong> die<br />
Endoprothetik etablierte axiale Aufnahme ungünstig<br />
sein, da die Position besonders be<strong>im</strong> kontrakten<br />
Gelenk schwer reproduzierbar ist und der<br />
Kopf über den Schenkelhals projiziert, dadurch<br />
kann die Deformität übersehen werde.<br />
Der direkte Vergleich der verschiedenen Röntgenaufnahmen<br />
zeigte, dass die 45°-Dunn-View-<br />
Aufnahme (siehe Abb. 3.) eine besonders hohe<br />
Sensitivität <strong>für</strong> den anterior-cranialen Aspekt<br />
des Schenkelhalses aufweist: In Rückenlage<br />
wird die Hüfte 45° flektiert und 20° abduziert,<br />
aber nicht rotiert. Diese Position ist auch <strong>im</strong><br />
kontrakten Gelenk problemlos einstellbar und<br />
daher gut reproduzierbar und bringt die Position<br />
des Schenkelhalses, an der wir mit der höchsten<br />
Inzidenz der max<strong>im</strong>alen Deformität rechnen<br />
müssen, tangential in den Strahlengang. Der<br />
Mit der Beschreibung des<br />
femoroacetabulären Impingements<br />
wurde ein möglicher neuer<br />
Patho mechanismus entdeckt,<br />
der sich nunmehr verstärkt <strong>im</strong><br />
Fokus der orthopädischen<br />
Forschung befindet.<br />
Spezialambulanz <strong>für</strong> Hüfte<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit:<br />
Mi.: 11:00 – 12:00<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Giuera (Leitung)<br />
Dr. Bernd Kubista (Leitung)<br />
Dr. Stephan Domayer PhD<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 103
Vergleich mit der radialen Bildgebung zeigt eine<br />
Sensitivität von 96 % <strong>für</strong> die Detektion einer<br />
Cam-Deformität mit einem Alpha-Winkel über<br />
55°, sodass wir diese Aufnahme zum Screening<br />
bei Verdacht auf FAI empfehlen 5 .<br />
Chirurgische Hüftdislokation<br />
Die chirurgische Behandlung mit dem derzeit<br />
höchsten Evidenzgrad ist die chirurgische Hüftdislokation<br />
nach Ganz 6 , die allerdings wegen der<br />
hohen Invasivität der Methode unter Zurückhaltung<br />
eingesetzt wird. In Seitenlage wird nach<br />
einer Osteotomie des Trochaner major das Gelenk<br />
unter Durchtrennung des Ligamentum capitis<br />
femoris vollständig luxiert, um dann unter<br />
idealer Darstellung der Pathologie die Deformität<br />
am Schenkelhals zu korrigieren und acetabuläre<br />
Knorpelschäden sowie Läsionen des Labrums<br />
zu adressieren. Es wurde insbesondere die<br />
Wichtigkeit der Labrumrekonstruktion erkannt,<br />
da sich ein signifikant besseres Ergebnis gegen<br />
die Labrumresektion bereits <strong>im</strong> mittelfristigen<br />
Follow-up zeigt.<br />
Der große Vorteil der arthroskopischen Technik ist<br />
die weitaus geringere Invasivität und der Wegfall<br />
der Osteotomie, welche die Rehabilitationsdauer<br />
von gut acht Wochen nach der offenen Technik<br />
bedingt. Andererseits können Schäden an der<br />
Rückseite des Gelenkes arthroskopisch nur sehr<br />
l<strong>im</strong>itiert adressiert werden, weshalb offene Techniken<br />
bei komplexen Fällen sicher einen wichtigen<br />
Stellenwert behalten werden. Insgesamt<br />
aber besteht das Bestreben, das FAI möglichst<br />
früh zu erkennen und möglichst min<strong>im</strong>alinvasiv<br />
zu korrigieren, um den Übergang in die manifeste<br />
Früharthrose zu verhindern. Mit der Entdeckung<br />
des FAI und der Entwicklung der operativen Behandlungsmöglichkeiten<br />
ergibt sich in den letzten<br />
<strong>Jahre</strong>n weltweit ein rasanter Zuwachs vor allem<br />
an hüftarthroskopischen Eingriffen. Es muss an<br />
dieser Stelle aber darauf erneut hingewiesen,<br />
dass derzeit keine Evidenz besteht, dass das FAI<br />
zwangsläufig in die Coxarthrose führt. Wir können<br />
aktuell nur von einem Risikofaktor sprechen, dessen<br />
Größenordnung in der klinischen Forschung<br />
erst evaluiert werden muss 2 .<br />
Diagnostik früher Knorpelschäden<br />
Vor allem in der Endoprothetik sieht man durchaus<br />
Fälle von nativradiogisch eindeutigen, aber<br />
anamnestisch asymptomatischen Fällen von FAI,<br />
die erst mit 65 <strong>Jahre</strong>n oder mehr Beschwerden <strong>im</strong><br />
Sinne der Coxarthrose entwickeln. Hier stellt sich<br />
nun die komplexe Frage, ab welchem Grad des<br />
FAI oder ab welchen Grad des manifesten Schadens<br />
be<strong>im</strong> jungen Patienten eine chirurgische<br />
Therapie indiziert werden soll. Vor diesem Hintergrund<br />
fokussiert die Forschung an der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> auf die Diagnostik früher<br />
Knorpelschäden mit biochemischer MR-Bildgebung.<br />
Es wurden in den letzten <strong>Jahre</strong>n in enger<br />
Zusammenarbeit mit dem Zentrum <strong>für</strong> Hochfeld-<br />
MR-Technologien entwickelt, die eine Darstellung<br />
von best<strong>im</strong>mten ultrastrukturellen Elementen des<br />
Knorpels in vivo erlauben.<br />
So können etwa Glykosaminoglykangehalt (GAG)<br />
und Kollagenultrastruktur in Form von quantitativen<br />
Markern gemessen werden. Besonders in<br />
Darstellung des GAG-Gehaltes in radialen dGEMRIC-Datensätzen<br />
von Hüften mit Dysplasie (DDH) und FAI. Es wird<br />
zwischen den zentralen (blau) und peripheren Arealen (grün)<br />
unterschieden. Eine T1-Zeit von <strong>50</strong>0 ms wird als Schwellwert<br />
zur Unterscheidung zwischen Arthrose und gesunden Fällen<br />
angenommen. In den Kontrollen vor manifester Arthrose<br />
zeigt sich bei beiden Gruppen eine homogene GAG-Verteilung<br />
mit Max<strong>im</strong>a in den lasttragenden, superioren Arealen<br />
des Acetabulum.<br />
der Hüfte hat sich die dGEMRIC-Technik etabliert.<br />
Die T1-Zeit nach Kontrastmittelgabe richtet<br />
sich direkt proportional zum GAG-Gehalt des<br />
Knorpels. Mit speziellen Sequenzen kann dieser<br />
Mechanismus sichtbar gemacht und objektiviert<br />
werden. Im gesunden Knorpel findet man entsprechend<br />
höhere T1-Werte als in geschädigten<br />
Arealen. Unter diesem Aspekt hat sich in der<br />
Hüftbildgebung der dGEMRIC-Index als Einheit<br />
<strong>für</strong> die T1-Zeit 30 Minuten nach Kontrastmittelgabe<br />
etabliert. Weiters findet sich bei manifester<br />
Coxarthrose ein niedrigerer GAG-Gehalt als<br />
bei gesunden Patienten, sodass auch der Übergang<br />
vom Knorpelschaden in die frühe Arthrose,<br />
noch bevor die typischen Röntgenzeichen<br />
104<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
auftreten, objektiviert werden kann. Es zeigt<br />
sich bei Fällen von Hüftdysplasie ein eher generalisierter<br />
Abfall von T1, der auch die nicht<br />
lasttragenden Zonen des Hüftgelenkes betrifft.<br />
Umgekehrt finden sich bei Fällen mit FAI eher<br />
lokalisierte GAG-Verluste, die erst in späteren<br />
Stadien generalisiert auftreten.<br />
Es steht damit ein ungleich sensitiveres Instrument<br />
<strong>für</strong> die Detektion des manifesten Knorpelschadens<br />
bei FAI zur Verfügung, als es die konventionelle<br />
MRT sein kann 7 . Ein weiterer Vorteil<br />
ist, dass sich T1 als objektive Zielgröße sowohl<br />
<strong>für</strong> longitudinale Studien eignet, als auch eine<br />
Überprüfung von chirurgischen Therapien erlaubt.<br />
Der dGEMRIC-Index in ms ist direkt mit<br />
dem Grad der Arthrose in Verbindung zu bringen<br />
und kann damit auch <strong>für</strong> die Überprüfung von<br />
systemischen Therapien 8 verwendet werden 8 .<br />
Zukünftige Herausforderungen<br />
Die große Herausforderung <strong>für</strong> die kommenden<br />
<strong>Jahre</strong> wird die Etablierung von Schwellenwerten<br />
sein, um verlässlich zwischen krank und gesund<br />
unterscheiden zu können. Dazu werden sowohl<br />
Probandenmessungen als auch longitudinale<br />
Studien an PatientInnen benötigt werden. Die<br />
Opt<strong>im</strong>ierung der Messmethodik sowie eine erste<br />
Abschätzung der benötigten Stichprobengröße<br />
ist Gegenstand einer aktuellen Multicenter-<br />
Studie, an der gemeinsam mit dem Zentrum<br />
<strong>für</strong> Hochfeld MR teilgenommen wird. Der direkte<br />
Vergleich von arthroskopischen Befunden<br />
und dGEMRIC-Datensätzen bei insgesamt 300<br />
PatientInnen wird uns eine Verfeinerung der bestehenden<br />
Technologie erlauben und wird die<br />
Basis <strong>für</strong> die Etablierung der dGEMRIC-Technik<br />
in der klinischen Routinediagnostik sein.<br />
Darstellung von Labrumschäden mit MRT<br />
Ein weiterer Fokus besteht in der Darstellung<br />
von Labrumschäden mittels quantitativer MRT.<br />
Die T2- und T2*-Zeiten <strong>im</strong> Knorpel sind eng mit<br />
der Kollagenstruktur assoziiert und eignen sich in<br />
modifizierter Form auch <strong>für</strong> die Darstellung des<br />
Labrums. Besonderes Interesse besteht hier, da<br />
fraglich ist, inwieweit Schäden am Labrum mit<br />
der Entstehung der Arthrose assoziiert sind.<br />
In der gelenkerhaltenden Chirurgie werden große<br />
Anstrengungen unternommen, die Integrität des<br />
Labrums zu erhalten oder auch mit aufwändigen<br />
Plastiken – bis hin zum Allograft – zu rekonstruieren.<br />
Es ist daher von Interesse den Erfolg<br />
dieser Ansätze noninvasiv und longitudinal zu<br />
überprüfen. Mit T2*-Mapping kann die Kollagenultrastruktur<br />
des Labrums in vivo sichtbar gemacht<br />
werden.<br />
Wir hoffen, so biomechanische Schädigungsmechanismen<br />
besser zu verstehen, aber auch chirurgische<br />
Interventionen besser überprüfen zu<br />
können. Die biochemische Bildgebung der Hüfte<br />
ist derzeit spezialisierten Zentren vorbehalten,<br />
hat aber das Potenzial, in der orthopädischen<br />
Chirurgie Eingang zu finden. Die spannende Herausforderung<br />
der kommenden <strong>Jahre</strong> wird vor<br />
allem darin bestehen, die besten Techniken <strong>für</strong><br />
unsere Patientinnen und Patienten auszuwählen,<br />
und diese <strong>für</strong> die klinische Routinediagnostik anwendbar<br />
zu machen.<br />
Literatur:<br />
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Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Domayer<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 105
Osteoporose in Klinik und Forschung<br />
Die Osteoporose wird als generalisierte Erkrankung<br />
der Knochen mit reduzierter Knochendichte<br />
und verschlechterter Mikroarchitektur charakterisiert.<br />
Ihre Bedeutung besteht vor allem in der<br />
zunehmenden Fragilität der Knochen und dem<br />
Auftreten von Komplikationen in Form von Frakturen.<br />
Die häufigsten osteoporotischen Frakturen<br />
sind vertebrale Frakturen, Frakturen des distalen<br />
Radius und des prox<strong>im</strong>alen Femurs. Die Osteoporose<br />
ist weltweit mitverantwortlich <strong>für</strong> Millionen<br />
von Frakturen, davon etwa zwei Millionen<br />
Frakturen des prox<strong>im</strong>alen Femurs jährlich. Diese<br />
haben unter den osteoporotischen Frakturen die<br />
weitreichendsten Konsequenzen und führen zu<br />
einer erhöhten Morbidität und Mortalität.<br />
Da die Osteoporose eine altersassoziierte Veränderung<br />
ist, nahm und n<strong>im</strong>mt die Bedeutung<br />
der Erkrankung mit zunehmender Überalterung<br />
der Bevölkerung ständig zu. Jahrzehntelang<br />
wurde die Osteoporose mangels spezieller diagnostischer<br />
Verfahren unterdiagnostiziert und<br />
ebenso untertherapiert. Erst mit der Möglichkeit<br />
der quantitativen Erfassung der Knochendichte<br />
mittels der Photonenabsorption (Single und später<br />
Dual Photon Absorptiometry) konnten Veränderungen<br />
der Knochendichte des gesamten<br />
Knochens quantifiziert werden. Damals stand<br />
in erster Linie der Knochendichteverlust der<br />
postmenopausalen Frau <strong>im</strong> Vordergrund. In den<br />
Menopauseambulanzen standen die ersten Geräte,<br />
weil damals auch mit der Hormonsubstitutionstherapie<br />
(in erster Linie Östrogensubstitution)<br />
die einzig effektive Therapieoption von den<br />
Gynäkologen angewendet wurde.<br />
Mit der Einführung effektiver Bisphosphonate<br />
Mitte der 1990er änderte sich das Bild. 1994<br />
wurde an der Klinik die erste Osteoporoseambulanz<br />
gegründet. Die Bedeutung der Osteoporose<br />
an der Klinik zeigt sich vor allem auch<br />
da rin, dass „Osteoporose“ nach Arthrosen <strong>im</strong><br />
weitesten Sinne die zweithäufigste Diagnose bei<br />
statio nären Patienten darstellt.<br />
Patienten profitieren<br />
von Forschungsergebnissen<br />
Neben der klinischen Betreuung von ambulanten<br />
und stationären Patienten stand <strong>im</strong>mer auch<br />
die Forschung <strong>im</strong> Fokus, weil so gewährleistet<br />
werden kann, dass die Patienten von den rezenten<br />
Forschungsergebnissen unmittelbar profitieren<br />
können. Forschung erfolgt einerseits <strong>im</strong><br />
Rahmen der Teilnahme an klinischen multizentrischen<br />
Studien als auch in den Grundlagen.<br />
Dabei ließ man sich nicht vom Fach <strong>Orthopädie</strong><br />
Exper<strong>im</strong>ent SpongiCort Collum femoris ausgehöhlt<br />
und intakt<br />
Osteoblast (Murine bone marrow-derived)<br />
RANKL-Immunostaining<br />
Human Osteoclasts<br />
Mikro-CT distaler<br />
Radius<br />
106<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer<br />
beschränken, sondern sah die <strong>Orthopädie</strong> als<br />
Erweiterung des Spektrums <strong>für</strong> die Osteoporoseforschung.<br />
Im Laufe der Zeit wurden viele Gebiete<br />
abgedeckt, die von genetischen, zellbiologischen,<br />
tierexper<strong>im</strong>entellen, biomechanischen,<br />
materialtechnischen, laborchemischen, hormonellen<br />
bis zu klinischen Studien reichen (siehe<br />
Literatur). Dabei stand <strong>im</strong>mer der einzelne Patient<br />
<strong>im</strong> Vordergrund, mit dem Ziel, diesem besser<br />
helfen zu können.<br />
Schwerpunkte waren Studien zu möglichen<br />
neuen Serummarkern <strong>für</strong> die Osteoporose, die<br />
Entwicklung von neuartigen Hüftprotektoren,<br />
die Rolle der Osteoporose bei Patienten mit Osteosarkomen<br />
und das Verhältnis von Polymorphismen<br />
der Vitamin-K-Epoxyreduktase zu Knochendichte<br />
und Frakturinzidenz.<br />
Das Eiffelturmexper<strong>im</strong>ent<br />
Die wichtigste Studie, die in den letzten <strong>Jahre</strong>n,<br />
ausgehend von der Osteoporoseambulanz, <strong>im</strong><br />
„Adolf Lorenz Labor <strong>für</strong> Biomechanik” der Klinik<br />
durchgeführt wurde, hat beigetragen, die Sicht der<br />
Osteoporose nachhaltig zu verändern. Sie wurde<br />
als sogenanntes „Eiffelturmexper<strong>im</strong>ent” bekannt.<br />
Wie vorher schon erwähnt, wird die Osteoporose<br />
als generalisierte Erkrankung der Knochen mit<br />
reduzierter Knochendichte und verschlechterter<br />
Mikroarchitektur charakterisiert und mithilfe<br />
der Densitometrie erfasst. Beide die Osteoporose<br />
beschreibenden Merkmale und somit auch<br />
das diagnostische Verfahren beruhen in erster<br />
Linie auf Veränderungen des trabikulären Knochenanteils.<br />
Somit wird postuliert, und das war<br />
damals Stand der Expertenmeinung, dass der<br />
trabikuläre Knochen wesentlichen Anteil an der<br />
Knochenfestigkeit und somit dessen Stabilität<br />
hat. In diesem Konzept wird allerdings der kortikale<br />
Knochen nicht berücksichtigt, obwohl der<br />
Knochen bekanntlich ja aus zwei Anteilen, dem<br />
trabekulären inneren Knochen und dem kortikalen,<br />
röhrenförmigen äußeren Knochen, besteht.<br />
Beide Anteile sind anatomisch unterschiedlich<br />
verteilt, haben unterschiedliche biomechanische<br />
Funktionen und biologische Aktivität.<br />
Knochenfestigkeit wie<br />
be<strong>im</strong> Eiffelturm<br />
Hinsichtlich der Knochenfestigkeit wurde auch<br />
die Architektur des trabekulären Knochens am<br />
prox<strong>im</strong>alen Femur oftmals mit technischen Konstruktionen,<br />
wie z. B. dem des Eiffelturms, verglichen<br />
und somit postuliert, dass die trabekuläre<br />
Struktur des Knochens zur Festigkeit beiträgt.<br />
Diese Überlegungen basieren auf dem „Gesetz<br />
der Transformation der Knochen”, das 1892<br />
Julius Wolff in Berlin beschrieben hat. Wolffs<br />
Überlegungen zur Knochenarchitektur und Knochenfestigkeit<br />
beruhen auf Beobachtungen und<br />
mathematischen Berechnungen. Biomechanische<br />
Tests wurden damals keine durchgeführt.<br />
Aus Erfahrungen in der Therapie von benignen<br />
und malignen Knochentumoren ist aber bekannt,<br />
dass <strong>für</strong> die Stabilität des Knochens die<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Osteoporose<br />
Universitästklinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Fr 10.00 – 1.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer (Leitung)<br />
Ass.- Prof. Dr. Gobert Skrbensky<br />
Dr. Jochen Hofstätter<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 107
Die Bedeutung der Osteoporose<br />
an der Klinik zeigt sich vor allem<br />
auch darin, dass Osteoporose<br />
nach Arthrosen <strong>im</strong> weitesten<br />
Sinne die zweithäufigste<br />
Diagnose bei stationären<br />
Patienten darstellt.<br />
Beurteilung des kortikalen Anteils wesentlich<br />
ist. Beispiele von Patienten mit nichtfrakturierten<br />
zystischen Veränderungen an Lokalisationen,<br />
die als Prädilektionsstellen <strong>für</strong> Frakturen<br />
gelten, sind zahlreich.<br />
Das Verhältnis zwischen kortikalem<br />
und trabekulärem Knochen geprüft<br />
Eine Gruppe der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
der Medizinischen Universität <strong>Wien</strong> (Gerold<br />
Holzer, Gobert von Skrbensky, Lukas Holzer)<br />
gemeinsam mit Wolfgang Pichl vom Institut <strong>für</strong><br />
Materialphysik der Universität <strong>Wien</strong> haben sich<br />
deshalb die interessante Frage gestellt, wie das<br />
Verhältnis zwischen kortikalem und trabekulärem<br />
Knochen hinsichtlich der Festigkeit des<br />
Knochen am prox<strong>im</strong>alen Femur ist.<br />
Um diese Hypothese zu testen, wurde ein Modell<br />
<strong>für</strong> ein Exper<strong>im</strong>ent entwickelt: Gepaarte<br />
Femura von Kadavern, aus denen randomisiert<br />
aus jeweils einem Knochen eines Paares der<br />
innere trabekuläre Anteil des Knochens vollständig<br />
entfernt wurde, wurden biomechanisch<br />
getestet. Der Unterschied zwischen den beiden<br />
Knochen, dem vollständigen und dem ausgehöhlten,<br />
lag bei durchschnittlich nur sieben<br />
Prozent. So konnte bewiesen werden, dass der<br />
komplette Verlust von trabekulärem Knochen zu<br />
einer vergleichsweise geringen Reduktion der<br />
Knochenfestigkeit führt und vorrangig die kortikalen<br />
Knochenanteile <strong>für</strong> die Knochenfestigkeit<br />
verantwortlich sind. Zumindest gilt das <strong>für</strong> das<br />
prox<strong>im</strong>ale Femur, wo diese Untersuchung durchgeführt<br />
wurde.<br />
Zukunft der Osteoporose<br />
in Diagnose und Therapie<br />
Wie bereits erwähnt, stehen <strong>für</strong> die Behandlung<br />
der Osteoporose eine Reihe von Medikamenten<br />
zur Verfügung, deren Effektivität in großen klinischen<br />
Studien gezeigt werden konnte und in<br />
denen auch über eine geringe Anzahl von Nebenwirkungen<br />
berichtet wurde. Um das Ziel,<br />
nämlich eine weitere Reduktion von Frakturen,<br />
die durch die Osteoporose ausgelöst werden, zu<br />
erreichen, ist aber ein Prozedere auf mehreren<br />
Ebenen erforderlich. Zunächst sind Anstrengungen<br />
notwendig, um die Aufmerksamkeit der Patienten<br />
und Ärzte auf die Osteoporose zu lenken.<br />
Zweitens müssen die Maßnahmen verbessert<br />
werden, um mittels Screening einen Großteil<br />
der Patienten mit Risiko <strong>für</strong> Osteoporose erfassen<br />
zu können.<br />
In erster Linie liegt der Schwerpunkt dabei auf<br />
Hochrisikopatienten. In diesem Sinne müssen<br />
Orthopäden und Unfallchirurgen, die mit Patienten<br />
mit osteoporotischen Frakturen konfrontiert<br />
sind, <strong>im</strong> Sinne einer Sekundärprophylaxe<br />
bei diesen Patienten eine Osteoporoseabklärung<br />
vornehmen und eine entsprechende Therapie<br />
einleiten, bzw. durch eine Überweisung in ein<br />
entsprechendes Zentrum sicherstellen. Bekannt<br />
ist, dass jede osteoporotische Fraktur, die bereits<br />
stattgefunden hat, das Risiko <strong>für</strong> weitere<br />
Frakturen enorm erhöht. Hinsichtlich der Diagnostik<br />
ist bekannt, dass die Knochendichte<br />
nur einen Teil des Frakturrisikos erfassen kann.<br />
Deshalb konzentriert man sich auch nun darauf,<br />
den kortikalen Knochen in seinen mechanischen<br />
108<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Eigenschaften besser erfassen zu können, wie<br />
die Zunahme der kortikalen Porosität <strong>im</strong> Alter.<br />
Nun wird nach diagnostischen Möglichkeiten gesucht,<br />
die kortikale Porosität zu erfassen.<br />
Meilensteine der Osteoporoseforschung<br />
1994 Gründung der Osteoporoseambulanz der<br />
Klinik unter Prof. Kotz: Leitung Prof. Holzer<br />
1995 Markteinführung des ersten effektiven oralen<br />
Bisphosphonates <strong>für</strong> postmenopausale<br />
Frauen – Alendronat<br />
1998 erste Publikation eines Tierversuchs zur<br />
Bedeutung von Parathormon auf die Frakturheilung<br />
2001 International Osteoporosis Foundation<br />
uropean Union Consultation Panel<br />
(Vertreter Österreichs: Sektionschef<br />
Dr. Hrabcik, Gesundheitsministerium,<br />
Prof. Holzer)<br />
2003 Publikation zur Rolle der Osteoporose bei<br />
Patienten mit Osteosarkomen<br />
Neue Medikamente befinden sich<br />
derzeit in Phase-2- und Phase-3-Studien<br />
Auf pharmakologischem Gebiet befinden sich<br />
weitere Medikamente in der Forschungspipeline,<br />
die sich derzeit in Phase-2- und Phase-3-Studien<br />
befinden, von denen man sich noch bessere<br />
Effekte hinsichtlich der Prävention von osteoporotischen<br />
Frakturen erwarten kann. Dabei handelt<br />
es sich in erster Linie um Sklerostin-Antikörper<br />
bzw. Cathepsin-K-Antagonisten. Mit der<br />
zunehmenden Überalterung der Bevölkerung in<br />
den Industrieländern gewinnt die Osteoporose<br />
einen <strong>im</strong>mer größeren Stellenwert.<br />
Obwohl mit den derzeit am Markt befindlichen<br />
Medikamenten Frakturen in einem hohen Prozentsatz<br />
verhindert werden können, sind Verbesserungen<br />
in Diagnose und Therapie nötig.<br />
Weltweit werden dazu in der Forschung Anstrengungen<br />
unternommen. Es bleibt zu hoffen,<br />
dass auch weiterhin Ergebnisse aus der Klinik<br />
mit dazu betragen können, dem einzelnen Patienten<br />
Leid und den Gesundheitssystemen<br />
Kosten zu sparen.<br />
2003 Markteinführung des ersten anabolen<br />
Osteoporosemedikamentes Teriparatide<br />
2006 EU-Präsidentschaft Österreich Ko-Organisation<br />
„EU Summit Conference Osteoporosis“<br />
2009 Publikation zur Bedeutung des kortikalen<br />
Knochens bei der Osteoporose und<br />
Frakturen<br />
2010 Beschreibung eines Polymorphismus<br />
des Vitamin K<br />
2010 Markteinführung des ersten humanen<br />
monoklonalen Antikörpers gegen RANKL zur<br />
Therapie der Osteoporose – Denosumab<br />
2011 Publikation der ersten klinischen Studie zum<br />
Effekt von Parathormon bei der Heilung<br />
bei osteoporotischen Beckenfrakturen<br />
Literaur:<br />
Holzer G, Majeska RJ, Lundy MW, Hartke JR, Einhorn TA.<br />
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Peichl P, Holzer LA, Maier R, Holzer G. Parathyroid hormone<br />
1-84 accelerates fracture-healing in pubic bones of elderly osteoporotic<br />
women. J Bone Joint Surg Am. 2011;93:1583-7.<br />
Hofstaetter JG, Hofstaetter SG, Nawrot-Wawrzyniak K,<br />
Hiertz H, Grohs JG, Trieb G, Windhager R, Klaushofer K,<br />
Roschger P. Mineralization Pattern of Vertebral Bone Material<br />
following Fragility Fracture of the Spine. J Orthop Res.<br />
2012; 30:1089-94.<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Holzer, Pietschmann<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 109
Die dreid<strong>im</strong>ensionale Deformität der Wirbelsäule<br />
Die Skoliose ist eine dreid<strong>im</strong>ensionale Deformität<br />
der Wirbelsäule mit einer Seitbiegung von mehr<br />
als 10° und einer Torsion. Die Ursachen sind<br />
mannigfaltig. Die häufigste Form ist die idiopathische<br />
Adoleszentenskoliose (AIS). Die Prävalenz<br />
wird mit 1,2 – 8,3 % angegeben und tritt vor allem<br />
bei Mädchen in der Pubertät auf. Lediglich ein<br />
Bruchteil aller idiopathischen Skoliosen erreicht<br />
mehr als 20° nach Cobb, und nur ca. 1,5 % bedürfen<br />
einer chirurgischen Korrektur. Screening-<br />
Programme bei asymptomatischen Adoleszenten<br />
sind umstritten, da zum einen schwere therapiebedürftige<br />
Fälle von Skoliose auch ohne ein<br />
Screening entdeckt werden würden, zum anderen<br />
die „Schäden” (Arztbesuche, Röntgenbilder,<br />
Korsetttherapie, ...) einen potenziellen Benefit<br />
übertreffen. Im Gegensatz dazu empfehlen neuere<br />
Guidelines Screening-Programme in Schulen.<br />
Das Progressionsrisiko einer Kurve lässt sich zum<br />
Zeitpunkt der Diagnosestellung nur schwer abschätzen.<br />
Lonstein und Carlson definierten eine<br />
Kurvenprogression als Zunahme des Cobb-Winkels<br />
um mindestens 10° bei einer initialen Kurve<br />
< 19° bzw. um mindestens 5° bei einer initialen<br />
Kurve zwischen 25° und 29°. Unreifes Skelettalter<br />
nach Risser, prämenarchaler Status, junges<br />
Alter, initial großer Krümmungswinkel sowie Kurvenmuster<br />
wurden mit der Progression assoziiert.<br />
Für initiale Kurven zwischen 20° und 29° entwickelten<br />
Lonstein und Carlson eine Rechnung, um<br />
die Progressionswahrscheinlichkeit anhand von<br />
Risser, Alter und Cobb-Winkel einigermaßen einschätzen<br />
zu können: (Cobb – 3*Risser)/Alter.<br />
Dass idiopathische Skoliosen mit Erreichen des<br />
Wachstumsabschlusses nicht mehr zunehmen, ist<br />
ein Irrglaube. 68 % der idiopathischen Skoliosen<br />
progredieren <strong>im</strong> Langzeitverlauf – insbesondere<br />
mit Kurven über 30°. Unbehandelte idiopathische<br />
Skoliosen progredieren nach Abschluss des<br />
Wachstums um 15° bzw. um 0,4°/Jahr. Chronische<br />
Rückenschmerzen <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />
zählen zu den häufigsten Folgen der Skoliose.<br />
Je nach zu erwartendem Wachstum und Ausmaß<br />
der Krümmung stehen Beobachtung sowie therapeutische<br />
Maßnahmen mit Gymnastik (5°),<br />
Korsett (ab 20°) und/oder Operation (ab 45°)<br />
<strong>im</strong> Vordergrund. Die Compliance <strong>für</strong> das Tragen<br />
eines Korsetts ist gering, es kommt häufig zu einer<br />
Progression trotz Korsetttherapie. Es war ein<br />
weiter Weg von den antiken Streckbehandlungen<br />
hin zur heutigen muskelaktivierenden Gymnastik<br />
mit Stärkung des Körperbewusstseins. Bereits<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts widmete sich<br />
in <strong>Wien</strong> Albert Lorenz mangels brauchbarer ope-<br />
Die Skoliose tritt vor allem bei<br />
Mädchen in der Pubertät auf<br />
Wachstumslenkendes Korsett<br />
aus Kunststoff<br />
Skoliosechirurgie: Inzwischen werden polyaxiale Schraubensysteme aus Titan und zunehmend wieder<br />
rigidere Stäbe verwendet<br />
110<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Grohs<br />
rativer Möglichkeiten intensiv der konservativen<br />
Skoliosetherapie. Die damals verwendeten Geräte<br />
sind noch <strong>im</strong>mer in seiner ehemaligen Ordination<br />
zu besichtigen. Die Korsetttherapie legte<br />
einen Wandel von frühneuzeitlichen Stützorthesen<br />
aus Metall zu wachstumslenkenden Korsetten<br />
aus Kunststoffen zurück. Aufgrund der Erfahrungen<br />
mit dem Umkrümmungsgips nach<br />
Risser wurde an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
in den 80er <strong>Jahre</strong>n <strong>für</strong> thorakale bzw. doppelbogige<br />
Skoliosen bis 60° das Umkrümmungsmieder<br />
entwickelt, das bis heute verwendet wird.<br />
Die ersten Operationen wurden Anfang des 20.<br />
Jahrhunderts durchgeführt. Die Möglichkeiten der<br />
Aufrichtung wurden erst 1962 durch die Einführung<br />
der Harrington-Stäbe revolutioniert. Im Wesentlichen<br />
besteht das Verfahren <strong>im</strong> Einbringen<br />
eines Distraktionsstabes an der Konkavität und eines<br />
Kompressionstabes an der Konvexität. Luque<br />
entwickelte 1975 die Idee zur Erhöhung der postoperativen<br />
Stabilität weiter durch Implantation von<br />
zwei individuell gebogenen Stäben, die mit Drähten<br />
an den Wirbelbögen befestigt wurden. Zu dieser<br />
Zeit beschäftigte sich Fritz Metznik in <strong>Wien</strong> bereits<br />
lange mit der Indikation der dorsalen Spondylodese<br />
bei Skoliosen. Unter seiner Präsidentschaft bei<br />
der „Österreichischen Gesellschaft <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>“<br />
war der Kongress in Villach zum Thema Skoliose<br />
ein großer Erfolg. Cotrel und Dubousset erreichten<br />
1984 eine Verbesserung der dreid<strong>im</strong>ensionalen<br />
Korrektur mittels Distraktion, Kompression und<br />
Translation durch direkte knöcherne Fixation der<br />
Metallstäbe in den Pedikeln. In <strong>Wien</strong> wurden die<br />
ersten Pedikelschrauben <strong>im</strong> Jahr 1992 eingesetzt.<br />
Das Gebiet der Skoliosechirurgie schritt durch eine<br />
kontinuierliche Verbesserung von Operationstechniken<br />
und Implantaten stetig fort. Inzwischen werden<br />
polyaxiale Schraubensysteme aus Titan und<br />
zunehmend wieder rigidere Stäbe verwendet.<br />
Dwyer begann 1973 mit einem anterioren Zugang,<br />
Skoliosen zu korrigieren. Zielke verfeinerte 1975<br />
dieses Verfahren mit der Derotationsspondylodese.<br />
Die Systeme von Halm-Zielke und Kaneda sind<br />
neuere pr<strong>im</strong>ärstabile Entwicklungen. Das Prinzip<br />
der „Short Fusion” ermöglichte bei geringem Risiko,<br />
Bewegungssegmente zu erhalten, führte unserer<br />
Erfahrung nach allerdings später zu einer Zunahme<br />
des Skoliosewinkels <strong>im</strong> nicht instrumentierten<br />
Bereich. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Intensivmedizin<br />
ermöglichen vermehrt komplexe<br />
Eingriffe zur Opt<strong>im</strong>ierung der Ergebnisse. Eine<br />
Herausforderung bei Operationen <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />
stellt die Korrektur des sagittalen Profils<br />
der Wirbelsäule dar, die mit digitaler OP-Planung<br />
<strong>im</strong> Vorfeld s<strong>im</strong>uliert werden kann.<br />
Eine nach wie vor unbefriedigend gelöste Frage<br />
ist die Vorhersage der Progredienz der Adoleszentenskoliose<br />
bei der Diagnosestellung. Studien<br />
haben gezeigt, dass die idiopathische Skoliose<br />
sowohl aus genetischen/familiären als auch<br />
umweltbedingten Faktoren hervorgeht und als<br />
komplexe Erkrankung definiert werden kann.<br />
Ward schaffte es, mittels Genom-weiter Assoziationsstudie,<br />
Polymorphismen <strong>im</strong> menschlichen<br />
Genom zu finden, die mit einem äußerst geringen<br />
Progressionsrisiko assoziiert sind. Mit dem daraus<br />
entwickelten Test konnte in einer an der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> durchgeführten Studie<br />
ein Zusammenhang zwischen dem Score und<br />
der Tatsache der Progression gefunden werden.<br />
Ein höherer Score korrelierte aber nicht mit dem<br />
Ausmaß der Skoliose bei Wachstumsende.<br />
Für den klinischen Alltag wäre ein Test sinnvoll,<br />
der jene Patienten identifiziert, die einen großen<br />
Cobb-Winkel entwickeln werden, um bereits bei<br />
Diagnosestellung eine individuelle, maßgeschneiderte<br />
Therapie zu ermöglichen.<br />
Literatur be<strong>im</strong> Verfasser<br />
Spezialambulanz <strong>für</strong> Skoliose<br />
und Wirbelsäulendeformitäten<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Fr, 10.00 – 12.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Petra Krepler (Leitung)<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Josef Grohs<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 111
Spezialisierung <strong>im</strong> Fokus – Rheumaorthopädie<br />
als notwendiges Ganzheitskonzept<br />
Die Patientengruppe mit rheumatoider Arthritis<br />
stellt und ist an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
einen der Schwerpunkte der zu behandelnden<br />
Patientengruppen, mit ganzheitlichem Ansatz<br />
bei Erhalt oder Wiederherstellung von Mobilität<br />
und Funktion. Dies <strong>im</strong>plementierte Behandlungspläne<br />
<strong>für</strong> eine mult<strong>im</strong>orbide Patientengruppe<br />
vordringlich mit der Wiederherstellung<br />
der Mobilität zum Erhalt der sozialen Kontakte<br />
und in zweiter Linie der Wiederherstellung der<br />
Funktion – was hauptsächlich an der oberen Extremität<br />
der Fall war.<br />
Das große Spektrum der betroffenen Gelenke<br />
und das teilweise junge Patientenalter erfordern<br />
Innovation und Koordination in der Durchführung<br />
der Operationen. Die problematischen Knochenund<br />
Weichteilverhältnisse wiederum führten früher<br />
als bei Osteoarthrose zu Implantatversagen.<br />
Damit war eine hohe Sensitivität in OP-Technik<br />
und Implantatauswahl bzw. Innovation in der<br />
Entwicklung neuer Produkte gefordert.<br />
Kurzer Blick zurück<br />
Die kaum beherrschbare Synovialitis verschiedenster<br />
Gelenke <strong>im</strong> Rahmen der Grundkrankheit stellte<br />
die Basis <strong>für</strong> die präventiven Eingriffe dar. Sie war<br />
nach der systematischen Einführung der Synovektomie<br />
durch Vainio Ziel der frühen Behandlung und<br />
kann als klassische Rheumaoperation bezeichnet<br />
werden. Danach folgte die systematische Aufarbeitung<br />
der Biomechanikveränderung <strong>im</strong> Rahmen<br />
der Arthritis – vor allem an der oberen Extremität<br />
durch Bäckdahl 1963 1 . Er definierte das Caputulnae-Syndrom<br />
und legte die Basis der funktionellen<br />
Erkennung der rheumatischen Handgelenksinstabilität.<br />
Verschiedenste Eingriffe von der<br />
einfachen Synovektomie mit und ohne Resektion<br />
des Ulnaköpfchens kamen zur Anwendung. Die<br />
Verwendung des dorsalen Retinakulums <strong>im</strong> Sinne<br />
einer „dorsal wrist stabilisation” bis hin zu der von<br />
Chamay 1983 2,3 publizierten radiolunären Arthrodese<br />
ermöglichte es, eine Instabilität des Handgelenkes<br />
zu stoppen bzw. zu kompensieren. Dadurch<br />
kam es nicht zu einer weiteren Handwurzeldeviation<br />
nach Insuffizienz der palmaren Bänder, und die<br />
komplette Luxation der prox<strong>im</strong>alen Handwurzelreihe<br />
mit dem Auftreten eines Landsmehr-Segmentes<br />
konnte verhindert werden. Paralell dazu hat 1966<br />
Swanson 4,5 seine Silikon<strong>im</strong>plantate zur Verwendung<br />
an der Hand vorgestellt (vor allem der MCP<br />
und PIP-Gelenke). Diese fanden auch am Handgelenk,<br />
am Daumensattel und sogar am Endgelenk<br />
Anwendung. Diese Implantate finden bis heute –<br />
nur gering modifiziert mit verbessertem Material<br />
Komplexer rheumachirurgischer<br />
Hand eingriff<br />
54-jährige Patientin mit<br />
HG-Endoprothese<br />
Gelenkerhaltende Verkürzungsosteotomie<br />
bei entzündlichem Spreizfuß<br />
Zustand nach radiolunärer Arthrodese und<br />
Stabilisierung des Ulnarestes mit UK-Prothese<br />
112<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. Dr. Hugo Axel Wanivenhaus<br />
und Preflex-Option – Verwendung und können als<br />
State of the art bezeichnet werden. Ossär stabil fixierte<br />
Implantate, die nicht den „Piston effect” des<br />
Silikonspacers aufwiesen, führen in der Regel zu<br />
Problemen mit Lysen an den Prothesenstielen.<br />
Daneben waren es vor allem Fowler 6 , Clayton 7,8<br />
und Kates 9 , die die Problematik des rheumatischen<br />
Spreizfußes mit Köpfchendestruktion, Mal perforans<br />
und Zehenfehlstellungen durch Resektion des<br />
Köpfchens bzw. des Köpfchens und der Basis adressierten.<br />
Diese Eingriffe wurden in Folge standardisiert<br />
und über Jahrzehnte als Basiseingriff be<strong>im</strong><br />
Rheumatiker mit Wiederherstellung der Mobilität<br />
und überhaupt erst Schaffung der nachfolgenden<br />
Möglichkeit der Schuhversorgung durchgeführt.<br />
Rheumaorthopädie an der <strong>Wien</strong>er Klinik<br />
Die Rheumaorthopädie an der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
war bis 1980 durch Prof. Schwägerl, von<br />
1980 bis 1986 durch Prof. Böhler und ab 1986<br />
durch Prof. Wanivenhaus als Leiter des Rheumateams<br />
und Führung einer spezialisierten Rheumaambulanz<br />
repräsentiert. Immer stand die aktive<br />
Mitarbeit bei internationalen Gesellschaften<br />
<strong>im</strong> Vordergrund – vor allem bei der ERAS und der<br />
ARO. Die Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> konnte dabei<br />
<strong>im</strong> Vorstand mitgestalten und auch Schwerpunkttagungen<br />
in <strong>Wien</strong> veranstalten bzw. international<br />
den Kongresspräsidenten stellen. 2010 wurde<br />
<strong>im</strong> Rahmen dieser erworbenen Kompetenzen die<br />
Rheumaambulanz erweitert – mit regionsspezifischer<br />
Hand- und Fußambulanz. Durch die Notwendigkeit<br />
der Beschäftigung mit Regionen hoher<br />
Gelenkdichte – dies umfasst vordringlich Handgelenk,<br />
Fuß und Vorfuß – hat sich eine hohe fachliche<br />
Kompetenz in diesem Bereich entwickelt. Dadurch<br />
besteht seit Jahrzehnten eine Dominanz in der Behandlung<br />
von Rheumahänden und -füßen <strong>im</strong> Bereich<br />
der <strong>Orthopädie</strong> 10 . Die Behandlung umfasste<br />
die Synovektomie der Handgelenke und die Tendosynovektomie,<br />
die Rekonstruktion rupturierter<br />
Sehnen und die Arthrodese instabiler Handgelenke<br />
sowie Arthrodesen <strong>im</strong> Bereich der Langfingerendgelenke<br />
des Daumen-MCP-Gelenkes und IP-Gelenkes<br />
sowie Swanson-Spacer-Implantationen <strong>im</strong><br />
Bereich der MCP- und PIP-Gelenke 11 .<br />
Im Bereich der Füße stand vor allem der Vorfuß<br />
<strong>im</strong> Mittelpunkt. Ursprünglich war die Köpfchenresektion<br />
I-V in Folge 12 die Therapie der Wahl.<br />
Dann nach langjährigen Erfahrungen mit diesem<br />
Verfahren 13 kam die Einführung der OP nach Hofmann<br />
14 mit Arthrodese des Großzehengrundgelenkes<br />
unter leichter Verkürzung und Resektion<br />
der Köpfchen II-V, wodurch die Progredienz der<br />
Metatarsalverkürzung mit stabilem erstem Strahl<br />
verhindert werden konnte.<br />
Als Meilenstein kann die frühe Anwendung der<br />
Silikon<strong>im</strong>plantate an der Hand bereits in den<br />
1970er <strong>Jahre</strong>n und die gezielte Erhaltung der<br />
Strahlintegrität am Fuß mit langfristig verbesserter<br />
Funktion gesehen werden. Auch die systematische<br />
verbesserte Diagnostik und Instrumentierung<br />
der zervikalen Instabilitäten (vordringlich<br />
C1/2) in den 1980er <strong>Jahre</strong> hat die Sicherheit<br />
Durch die Notwendigkeit der<br />
Beschäftigung mit Regionen<br />
hoher Gelenkdichte, dies umfasst<br />
vordringlich Handgelenk, Fuß und<br />
Vorfuß, hat die Univ.-Klinik <strong>für</strong><br />
<strong>Orthopädie</strong> eine hohe fachliche<br />
Kompetenz in diesem Bereich<br />
entwickelt.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Rheumaorthopädie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Di, 8.00 – 10.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00-4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Hugo Axel Wanivenhaus<br />
(Leitung)<br />
OA Dr. Johannes Holinka<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 113
des Eingriffes beträchtlich verbessert und zum<br />
Standardeingriff entwickelt 15 . Die in den 1980er<br />
<strong>Jahre</strong>n zunehmend eingeführte weichteilbalancierte<br />
OP-Technik <strong>für</strong> das rheumatische Kniegelenk<br />
hat zur Reduktion von Spätkomplikationen<br />
achsgeführter Stielprothesen beigetragen und<br />
Grundlagen <strong>für</strong> heutige Standards ermöglicht.<br />
Einfluss durch medikamentöse Maßnahmen<br />
Die große Veränderung in der Behandlung war<br />
sicherlich die Einführung einer suffizienten Basistherapie,<br />
die gerade an der <strong>Wien</strong>er Klinik bei<br />
ausgezeichneter Zusammenarbeit mit der „Internen<br />
Rheumatologie” in sehr frühen <strong>Jahre</strong>n stattfand.<br />
Allerdings wurde die Erkrankung in den<br />
seltensten Fällen gestoppt, jedoch konnte die<br />
Progredienz deutlich verlangsamt und vor allem<br />
auf gewisse Gelenke fokussiert werden. Dadurch<br />
konnten auch funktionell wirksame Präventiveingriffe<br />
wie die Teil arthrodese am Handgelenk 16 bzw.<br />
Verkürzungsosteo tomien der Metatarsalia zur Vermeidung<br />
der plantaren Bursitis oder der Luxation<br />
<strong>im</strong> Zehengrundgelenk verbunden mit Weichteilreleasesehnenverlängerungen<br />
oder Sehnentransfer<br />
sinnvoll durchgeführt werden. Diese Eingriffe<br />
können als aktuelle Meilensteine definiert werden.<br />
Die weitere Entwicklung der medikamentösen Therapie<br />
der rheumatoiden Arthritis unter Einbeziehung<br />
der Biologika war sicherlich die Revolution,<br />
die wir uns <strong>für</strong> unsere Patienten weitgehend wünschen.<br />
Die Synovitis, der Schmerz und der Erguss<br />
konnten damit weitgehend bei vielen Patienten beseitigt<br />
werden, auch die Laborwerte zeigten eine<br />
Normalisierung. Aber letztendlich war die erste<br />
Euphorie nicht zur Gänze angebracht. Schmerzfreiheit<br />
und das Fehlen von eindeutigen Entzündungszeichen<br />
– wie Erguss, Rötung, Überwärmung<br />
– haben teilweise zu einer Überbelastung der in<br />
der Frühphase der Erkrankung auftretenden biomechanischen<br />
Veränderungen geführt. Dadurch<br />
sind funktionell gravierende Veränderungen an<br />
Handgelenk und auch an den Füßen aufgetreten,<br />
weil die <strong>im</strong> täglichen Leben normal integrierten<br />
Personen auch Sport betrieben haben.<br />
Unter der Prämisse einer gewünschten Verbesserung<br />
ohne Reduktion der Lebensqualität waren<br />
rheumaorthopädische Eingriffe vermehrt gewünscht<br />
17 . Die Folge war, ermuntert durch die<br />
ausgezeichneten Resultate an Hüft- und Kniegelenk<br />
18 , ein vermehrter Einsatz der Endoprothetik<br />
<strong>im</strong> Bereich des Handgelenkes und des Sprunggelenkes.<br />
Dies brachte kurzzeitig ausgezeichnete Erfolge.<br />
Nach zehn <strong>Jahre</strong>n zeigte sich nur noch in<br />
<strong>50</strong> % ein Überleben der Implantate. Dies war unter<br />
Einbeziehung der zur Verfügung stehenden technischen<br />
Möglichkeiten (wie Platten und interne Fixierungen<br />
mit Verwendung eines Beckenkammspans)<br />
jeweils in eine Arthrodese konvertierbar. Der Patient<br />
konnte bei hoher subjektiver Funktionalität<br />
zwar nicht seine Gelenksbeweglichkeit, aber die<br />
Hand- oder Rückfußgesamtfunktion behalten.<br />
Auch <strong>im</strong> Bereich der Füße hat die Verwendung neuer<br />
Osteosynthesematerialien eine deutliche Verbesserung<br />
gebracht. Die alleinige Verkürzung der<br />
Metatarsalia unter Verwendung von Osteotomien<br />
die mit einer gleichzeitigen Hebung des Köpfchens<br />
verbunden durch spezielle Schrauben gesichert<br />
wurden, hat hier sicherlich einen hohen Stellenwert<br />
19 . Allerdings war auch der Rückfuß – durch die<br />
Reduktion der generellen Tendosynovitis – plötzlich<br />
eher <strong>im</strong> Vordergrund 20 . Vor allem das Talonaviculargelenk<br />
und das Subtalargelenk, das früh Stabilisierungen<br />
und damit dem Erhalt der Rückfußfunktion<br />
und Stabilität zugeführt werden konnte 21 , sei<br />
hier angesprochen. Patienten mit rheumatoider Arthritis<br />
wiesen zum Teil groteske Fehlstellungen auf,<br />
die teilweise mit einem Auswandern von Schrauben<br />
bei dem Versuch der Rückfußstabilisierung<br />
beantwortet wurden. Die Verwendung spezieller<br />
Platten bzw. intramedullärer Fixierungen, wie mit<br />
dem Marknagel, brachten hier Lösungen, die zuvor<br />
nicht denkbar oder möglich waren.<br />
Daneben hat sich durch den subtilen Zugang an<br />
Hand und Fuß die Beurteilung des Gesamtpatienten<br />
verändert. So ist die Versorgung an Hüfte und<br />
Knie zwar eine allgemeinorthopädische Routine;<br />
aber bei Rheumapatienten ist ein besonderer Umgang<br />
mit Weichgewebe und Knochen erforderlich.<br />
Sie haben meist eine schwierige Ausgangssituation,<br />
sind meist auch jung 22 und benötigen Wechseleingriffe<br />
<strong>im</strong> Verlauf. Daher wurden hier sehr früh<br />
min<strong>im</strong>alinvasive Operationstechniken eingesetzt.<br />
Dies hat sich auch über die <strong>Jahre</strong> bewährt. Daneben<br />
hat sich die Endoprothetik auch des Ell bogenund<br />
Schultergelenkes 23 verbessert, es konnten<br />
Standzeiten nahe der Hüftendoprothese erzielt<br />
werden. Dadurch kann dem Patienten mit rheumatoider<br />
Arthritis heute <strong>im</strong> Sinne des Arthritis-Service<br />
eine Ganzheitsbehandlung <strong>im</strong> positiven Sinne angeboten<br />
werden 24 . Der Patient wird unter Einbeziehung<br />
sämtlicher medikamentöser Möglichkeiten<br />
dahingehend beurteilt, welche Eingriffe dringlich<br />
114<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
präventiv oder rekonstruktiv notwendig sind. Dies<br />
wirkt <strong>im</strong> Rahmen einer generalisierten Tendenz zur<br />
Spezialisierung auf Regionen ungewöhnlich, erhält<br />
allerdings die Behandlungsqualität dieser Patientengruppe<br />
unter der Voraussetzung einer adäquaten<br />
Rheuma orthopädenausbildung ganz enorm.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Effizienz der medikamentösen Therapie bei<br />
rheumatoider Arthritis wird weiter zunehmen. Die<br />
Folge wird voraussichtlich eine weitere Veränderung<br />
des Krankengutes sein; wobei sich bereits<br />
heute gezeigt hat, dass die Zahl der Operationen<br />
nicht rückläufig ist. Allerdings hat sich die Art der<br />
Operationen verändert. Die belastete untere Extremität<br />
steht <strong>im</strong> Vordergrund. Hier wird es vermehrt<br />
eher der funktionelle Eingriff sein, gleichbedeutend<br />
mit einer frühen Teilarthrodese, einer frühen Korrektur<br />
von Instabilitäten und weniger der früher bekannte<br />
präventive Eingriff einer Synovektomie des<br />
Stratum synoviale oder die Tendosynovialektomie.<br />
Zweitere ist unter dieser Medikation kaum mehr<br />
zu finden. Die Kompetenz <strong>im</strong> Bereich der Hand<br />
wird somit vermehrt <strong>für</strong> den Bereich der posttraumatischen<br />
und osteoarthrotischen Veränderungen<br />
einzusetzen sein. Aber auch bei bester Medikation<br />
spricht ein hoher Prozentsatz von Patienten auf<br />
Biologika nicht an, verträgt diese nicht oder muss<br />
wechseln. Auch reicht bereits eine Anfangsphase<br />
von einigen Wochen, biomechanisch relevante<br />
Veränderungen zu hinterlassen. Diese kann letztendlich<br />
unter Belastung in Folge zu einer weiteren<br />
Detoreation von Fehlstellungen führen, die eine<br />
orthopädisch-chirurgische Behandlung erfordern.<br />
Voraussetzung ist hier ein adäquates Screening,<br />
das Wissen um die Pathomechanik und um die<br />
Durchführung der patientengruppenrelevanten<br />
korrekten Eingriffe und Behandlungen.<br />
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Fotos: Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Wanivenhaus<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 115
Die Geschichte der Sportorthopädie<br />
Die Geschichte der Sportorthopädie an der Univ.-<br />
Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in <strong>Wien</strong> beginnt mit der Implementierung<br />
des Teamsystems unter dem Ordinarius<br />
Rainer Kotz <strong>im</strong> Jahr 1984. Damals erfolgte<br />
die Unterteilung in die verschiedenen Spezialgebiete.<br />
Der Erste, der mit der Leitung der Sportorthopädie<br />
betraut wurde, war Alfred Engel. Er erhielt<br />
als Stellvertreter Christian Wurnig zur Seite.<br />
Beide begaben sich unvermittelt und hochmotiviert<br />
auf den Weg, die Technik der Arthroskopie an<br />
der Klinik zu etablieren. Engel betätigte sich vor<br />
allem als Sportorthopäde und Kniearthroskopeur.<br />
Wurnig beschäftigte sich mit der Schulterarthroskopie.<br />
Beide Bereiche steckten damals noch absolut<br />
in den Kinderschuhen – <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />
Techniken und Möglichkeiten. Auf diesem Gebiet<br />
waren damals nur einige wenige in Österreich intensiv<br />
beschäftigt. Sie konnten als Spezialisten bezeichnet<br />
werden, die mit ihrem Arthroskop durchs<br />
Land fuhren und die Methode in Österreich, aber<br />
auch international verbreiteten. Zu nennen sind<br />
Karl Benedetto auf dem Gebiet der Kniegelenksarthroskopie<br />
und Herbert Resch als Schulterchirurg.<br />
Pionierrolle der Sportorthopädie<br />
In unserem Fachbereich der <strong>Orthopädie</strong> übernahmen<br />
Engel und Wurnig diese Pionierrollen und<br />
trugen wesentlich zu wichtigen Entwicklungen<br />
bei. Dadurch betreuten beide auch wichtige Veranstaltungen.<br />
Engel ist zum Beispiel nach wie vor<br />
Vertrauensarzt des ÖOC und bei verschiedenen<br />
Olympischen Spielen als ärztlicher Betreuer aktiv,<br />
Wurnig war unter anderem als verantwortlicher<br />
ärztlicher Organisator der Eishockey A-WM in <strong>Wien</strong><br />
1996 erfolgreich tätig. Nachdem Engel zum Pr<strong>im</strong>arius<br />
der orthopädischen Abteilung am SMZ Ost<br />
bestellt wurde, musste das Team neu zusammengestellt<br />
werden. Neuer Leiter wurde Wurnig, der<br />
damals gerade aus den USA zurückgekommen war,<br />
wo er zwei <strong>Jahre</strong> wissenschaftlich gearbeitet und<br />
geforscht hatte. Sein Stellvertreter wurde Hans-<br />
Paul Kutschera. Die folgende Ära war vor allem von<br />
Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der arthroskopischen<br />
und rekonstruktiven Schulterchirurgie<br />
geprägt. Wurnig bemühte sich intensiv um<br />
die Etablierung und Evaluierung von Techniken wie<br />
zum Beispiel der Akromioplastik. Damals wurde in<br />
Österreich noch vornehmlich offen operiert.<br />
Schwerpunkte Schulter und Knie<br />
Auch andere Operationen wie zum Beispiel Schulterstabilisierungen<br />
oder Rotatoren-Manschetten-<br />
Rekonstruktionen wurden in den 90er <strong>Jahre</strong>n an<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> bereits teilweise<br />
arthroskopisch operiert. Wenngleich anfangs<br />
recht häufig noch der Umstieg auf offene oder<br />
„Mini-Open-Methoden” notwendig war. Wurnig beschäftigte<br />
sich jedoch auch intensiv mit Schulterendoprothetik<br />
und machte auf seinem Weg noch<br />
die klassische Entwicklung der verschiedenen<br />
TEP-Generationen von der Neer-Prothese bis zur<br />
inversen Prothese durch und etablierte die verschiedenen<br />
Entwicklungsstufen innerhalb seiner<br />
Schulterambulanz als Teil der Sportorthopädie.<br />
Kutschera als ehemaliger Spitzeneisschnellläufer<br />
beschäftigte sich vornehmlich mit kniespezifischen<br />
Themen wie dem Malalignment der Patella<br />
oder der vorderen Kreuzbandplastik, die damals<br />
fast ausschließlich von Unfallchirurgen behandelt<br />
wurde. Unbestritten war jedoch bereits damals<br />
die Notwendigkeit, auch orthopädische Patienten<br />
mit chronischen Instabilitäten <strong>im</strong> Bereich des<br />
Kniegelenkes chirurgisch versorgen zu können.<br />
Dies wurde von unfallchirurgischer Seite oft kritisiert,<br />
da die Meinung vorherrschte, Orthopäden<br />
hätten nicht die notwendige Erfahrung auf diesem<br />
Gebiet. Wurnig und Kutschera traten den Beweis<br />
an, dass auch Orthopäden durch Spezialisierung<br />
durchaus in der Lage sind, diese Techniken<br />
zu erlernen und mit hervorragenden Ergebnissen<br />
anzuwenden.<br />
Nachdem Kutschera 1998 als Abteilungsleiter<br />
und später auch ärztlicher Direktor nach Speising<br />
berufen wurde, übernahm Franz Menschik<br />
kurzfristig seine Stellung als Teamchefstellvertreter<br />
<strong>im</strong> Sportteam, bis er seinerseits als Pr<strong>im</strong>arius<br />
einer neuen orthopädischen Abteilung nach<br />
Mistelbach ging. Seine Position wurde in weiterer<br />
Folge – ebenfalls nur kurzfristig – von Thomas<br />
Katterschafka übernommen, der sich dann in den<br />
niedergelassenen Bereich begab und eine Kassenordination<br />
in <strong>Wien</strong> übernahm.<br />
Zwischenzeitlich war Wurnig als habilitierter<br />
Oberarzt nach Speising gegangen, und das Sportteam<br />
erlebte die nächste Ära unter dem neuen<br />
Teamchef Stefan Nehrer, der von 2000 bis 2005<br />
116<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Ass.-Prof. Dr. Klaus-Dieter Schatz<br />
die Geschicke der Sportorthopädie an der Klinik<br />
leitete. Ich selbst wurde in dieser Zeit sein Stellvertreter<br />
und leite seither die Schulterambulanz.<br />
Die <strong>Jahre</strong> unter Nehrer waren naturgemäß stark<br />
geprägt von intensiver Arbeit an der Knorpelforschung.<br />
Bereits vor der Jahrtausendwende wurde<br />
die erste Knorpelzelltransplantation an der Klinik<br />
durchgeführt. Zunächst wurden in Anlehnung an<br />
die Originalmethode Knorpelzellen kultiviert, in<br />
Suspension (Genzyme) verwendet, dann in Kooperation<br />
mit Stefan Marlovits von der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> Unfallchirurgie die erste prospektive<br />
Studie über die Ergebnisse der matrixassistierten<br />
Knorpelzelltransplantation unter Verwendung einer<br />
Hyaluronsäurematrix (Hyalograft) durchgeführt<br />
und auch publiziert.<br />
In dieser Zeit etablierte sich international auch<br />
sehr stark die Technik der vorderen Kreuzbandrekonstruktion<br />
mittels Vierfach-Sehnentransplantation<br />
aus Semitendinosus und Gracilis, fixiert mit<br />
resorbierbaren Implantaten. Nachdem das Sportteam<br />
an der Klinik sehr frühzeitig auf die damals<br />
innovative Operationsmethode umgestiegen<br />
war und entsprechende Erfahrungen gesammelt<br />
hatte, begann eine Zeit sehr intensiver internationaler<br />
Schulungstätigkeit, in der viele Gäste aus<br />
dem ehemaligen Ostblock an unserer Klinik in<br />
dieser Technik eingeschult wurden. Häufig wurden<br />
wir auch in diese Länder eingeladen, um aktiv<br />
Kongresse zu gestalten und Liveoperationen<br />
durchzuführen. Dies war eine <strong>für</strong> alle Beteiligten<br />
sehr lehrreiche und bereichernde Zeit.<br />
Internationale Kooperationen<br />
Nehrer trug durch seine Tätigkeit <strong>im</strong> Vorstand der<br />
GOTS (Gesellschaft <strong>für</strong> Orthopädisch-Traumatologische<br />
Sportmedizin) sehr wesentlich zu einer <strong>im</strong>mer<br />
enger werdenden Zusammenarbeit zwischen<br />
der Gesellschaft und der <strong>Wien</strong>er Klinik bei. Dies<br />
hat sich in sehr intensiver Vortragstätigkeit aller<br />
Teammitglieder und Ausrichtung diverser Sportkongresse<br />
niedergeschlagen. Bis heute hat diese<br />
Kooperation eine zentrale Stellung innerhalb des<br />
Teams und ist <strong>im</strong>mer wieder Anlass zu inspirierender<br />
wissenschaftlicher Tätigkeit auf dem Gebiet<br />
der Sportorthopädie. Als Nehrer letztlich die<br />
Klinik verließ, um sich seine eigene Abteilung an<br />
der Donau-Universität aufzubauen, bekam das<br />
Sportteam eine neue Struktur, die <strong>im</strong> wesentlichen<br />
bis heute aufrecht ist und neben mir als<br />
Leiter noch aus Gobert Skrbensky und Manuel<br />
Sabeti besteht. Max Schmidt war als wertvoller<br />
Mitarbeiter noch bis 2011 aktiv an der Gestaltung<br />
unseres Teams beteiligt, ist aber inzwischen als<br />
Pr<strong>im</strong>arius an die SKA Zicksee berufen worden.<br />
Die letzten <strong>Jahre</strong> waren geprägt von innovativen<br />
Aktivitäten auf den Gebieten der arthroskopischen<br />
Schultergelenkschirurgie (Habilitation<br />
Sabeti), der alljährlichen Ausrichtung der „Internationalen<br />
Surgery Week” durch das Sportteam<br />
(Schultermodul mit Live-Operationen) und Arbeiten<br />
<strong>im</strong> Biomechaniklabor (Skrbensky). Einen<br />
Höhepunkt stellte sicher auch die erste Liveoperation<br />
einer arthroskopischen Latarjet-OP<br />
(Coracoidtransfer zur Behandlung einer knöchernen<br />
Bankart-Läsion an der Schulter) <strong>im</strong> Rahmen<br />
des AGA-Kongresses 2011 (Gesellschaft <strong>für</strong> Arthroskopie<br />
und Gelenkchirurgie) mit der Übertragung<br />
vom <strong>AKH</strong> in die Hofburg gemeinsam mit Jan<br />
Leuzinger dar. 2009 wurde gemeinsam mit Christoph<br />
Gebhard die „Österreichische Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Hüftgelenksarthroskopie” gegründet. Seither<br />
ist es ein besonderes Anliegen, diese Technik seriös<br />
zu erlernen, zu verfeinern und <strong>im</strong> Rahmen<br />
der jährlichen ASHA-Kongresse (Österreichische<br />
Gesellschaft <strong>für</strong> Hüftarthroskopie) auch einer<br />
breiteren orthopädisch/unfallchirurgischen Kollegenschaft<br />
zu vermitteln.<br />
Literatur be<strong>im</strong> Verfasser<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Sportorthopädie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mo, 8.00 – 11.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
Ass.-Prof. Dr. Klaus-Dieter Schatz (Leitung)<br />
Ass.-Prof. Dr. Gobert Skrbensky<br />
Ass.-Prof. PD. Dr. Manuel Sabeti-Aschraf<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 117
Die Entwicklung der modernen Schulter- und<br />
Ellenbogenchirurgie aus sportorthopädischer Sicht<br />
Die Geschichte der Sportorthopädie an der <strong>Wien</strong>er<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> hat eine lange Tradition. 1978<br />
wurden die ersten, <strong>für</strong> Sportler spezifischen Ambulanzakte<br />
<strong>im</strong> alten <strong>AKH</strong> angelegt. 1980 wurde<br />
eine regelmäßig stattfindende Sportambulanz von<br />
Alfred Engel eröffnet. 1989 erwarb die orthopädische<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> ein eigenes Ultraschallgerät<br />
und Christian Wurnig führte die routinemäßigen<br />
Schulteruntersuchungen mittels US ein. 1993 erfolgte<br />
die erste Schulter- und 1997 die erste Ellenbogenarthroskopie.<br />
Seit 1998 werden sowohl auf<br />
chirurgischem als auch auf diagnostischem Sektor<br />
regelmäßig nationale und internationale Fortbildungskurse<br />
organisiert. Aktuell bietet das Sportteam<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> alle gängigen<br />
arthroskopischen und rekonstruktiven Verfahren<br />
am Schultergelenk sowie arthroskopische Techniken<br />
am Ellenbogen an.<br />
1806 wurden mit den ersten Endoskopieversuchen<br />
von Bozzini begonnen. Takagi (Japan) war 1918<br />
der Erste, der eine Arthroskopie an einem Leichenknie<br />
mit einem Zystoskop durchführte. 1919 arthroskopierte<br />
Bircher als Erster am Lebenden. 1931<br />
beschrieb Burman, dass das Ellenbogengelenk <strong>für</strong><br />
arthroskopische Eingriffe zu eng wäre. Watanabe,<br />
ein Schüler Takagis, entwickelte die Arthroskopie<br />
sowohl technisch als auch chirurgisch weiter und<br />
schrieb 1957 den Atlas der Arthrosko pie. 1985<br />
wurde die Ellenbogenarthroskopie wieder in geringem<br />
Maße in das orthopädische Repertoire von<br />
Watanabe und Andrews aufgenommen. In den<br />
frühen 70er <strong>Jahre</strong>n etablierte sich das Impingement-Modell<br />
von Neer, er beschrieb das Prinzip<br />
der offenen Acromioclavicular-Resektionsplastik<br />
(AC-P). Ellman publizierte 1985 das bis heute gültige<br />
Prinzip der arthroskopischen AC-P. Seit Beginn<br />
der 90er <strong>Jahre</strong> ist es durch die Entwicklung<br />
und Verwendung von Hochfrequenzelektroden,<br />
Druck- und volumengesteuerten Pumpen und entsprechenden<br />
Instrumente gelungen, das Feld der<br />
Schulterarthroskopie und Ellenbogenarthroskopie<br />
zu eröffnen. Weitere technische Errungenschaften<br />
waren die Entwicklung der ersten Arthroskopie-<br />
Anker. Anfänglich waren die rasche Auslockerung<br />
und Risse der Nähte am Ankeröhr die wesentlichen<br />
technischen Komplikationen. Heute stellt technisches<br />
Versagen der arthroskopischen Implantate<br />
kein relevantes Problem mehr dar.<br />
Rotatorenmanschettenrisse (RMR) wurden vor der<br />
Ära arthroskopischer Eingriffe mit großem Zugang<br />
durch den Deltamuskel und unter Verwendung<br />
transossärer Nähten versorgt. Seit der Einführung<br />
der arthroskopischen Nahtanker können aktuell<br />
RMR verlässlich min<strong>im</strong>alinvasiv adressiert werden.<br />
Gegenwärtig werden klinische und biomechanische<br />
Ergebnisse der Einreihenfixation mit der Doppelreihennaht,<br />
bei der die Sehnen mit der medialen<br />
Nahtreihe an den Footprint (Ansatzareal der Sehne<br />
am Knochen) angenähert und mit der lateralen<br />
Nahtreihe durch ein Fadenmanagement am Footprint<br />
selbst fixiert wird, verglichen. Biomechanisch<br />
zeigt sich dabei die Doppelreihenrekonstruktion<br />
überlegen. Klinisch valide Erkenntnisse decken<br />
aber die Laborstudien noch nicht gänzlich ab.<br />
Etablierung der Arthroskopie<br />
Die Univ.-Klinik <strong>Wien</strong> engagierte sich früh in der Entwicklung<br />
und Etablierung der Arthroskopie. 1993<br />
führte Engel die erste arthroskopische AC-Plastik<br />
durch. 1995 führte Wurnig die erste arthroskopische<br />
Schulterstabilisierung unter Verwendung von<br />
Mitek-G-II-Ankern und 1997 die erste Ellenbogenarthroskopie<br />
wegen rheumatoider Arthritis aus.<br />
1997 wurde von Wurnig die erste arthroskopische<br />
RMR unter Verwendung von „Shuttle relays” (Einreihenrekonstruktion)<br />
gemacht. 1998 wurden die<br />
ersten „<strong>Wien</strong>er Arthroskopie Tage” unter Leitung<br />
von Wurnig abgehalten. Seit damals wurde das<br />
Spektrum der arthroskopischen Schulteroperationen<br />
stark erweitert. Aktuell werden vom Sportteam<br />
nahezu alle Sehnenrekonstruktionen und AC-<br />
Ps arthroskopisch durchgeführt.<br />
Der Schultergelenksersatz war schon aus historischer<br />
Sicht <strong>im</strong>mer ein Bereich, in dem traumatologische<br />
und orthopädische Aspekte direkt<br />
miteinander verbunden waren. In einem Fall war<br />
die posttraumatische Gelenkszerstörung oft bei<br />
jungen und aktiven Patienten das Problem. Im anderen<br />
Fall musste das über <strong>Jahre</strong> sukzessiv arthrotisch<br />
veränderte und kontrakte Gelenk behandelt<br />
werden. 1893 wurde die erste Schulterpro these<br />
von Pean <strong>im</strong>plantiert. Aufgrund der fehlenden<br />
Asepsis und des unpassenden Prothesendesigns<br />
wurde die Schulterprothetik verlassen und erst<br />
wieder in den <strong>50</strong>er <strong>Jahre</strong>n von Neer aufgenommen.<br />
Er <strong>im</strong>plantierte 1951 als Erster die Mark-I-<br />
Prothese (1. Generation), gefolgt von der ersten<br />
118<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Ass.-Prof. PD Dr. Manuel Sabeti-Aschraf<br />
Glenoidversorgung 1974. Aufgrund der fehlenden<br />
Adaptierbarkeit wurde 1980 die zweite Generation<br />
der Schulterprothesen vorgestellt. Hauptproblem<br />
dieses ungekoppelten Prothesentypes war die Instabilität<br />
vor allem nach größeren Glenoiddefekten<br />
oder Weichteilinsuffizienzen. Es entstanden dann<br />
die semi- bzw. fullconstraint Prothesenmodelle.<br />
Beiden Typen war die hohe Rate an Auslockerungen<br />
gemein, weshalb diese Versorgungsvarianten<br />
weitgehend verlassen wurden. Zum heutigen Tage<br />
werden modulare und in Rotation und Inklination<br />
variable Schaft/Kopf-Prothesen der vierten Generation<br />
<strong>im</strong>plantiert. 1985 entwickelte Grammont das<br />
revolutionäre inverse Schulterprothesendesign.<br />
Durch die verkehrte Situation (Kopf innen, Pfanne<br />
außen) entsteht eine zentripetale Kraft, die mehr<br />
Stabilität sowie mehr Beweglichkeit in Ante- und<br />
Abduktion bringt. Bei den anatomischen Prothesen<br />
sind Modelle der 4. Generation in Verwendung.<br />
2000 wurden gute Ergebnisse mit Oberflächenprothesen<br />
publiziert. Heute haben diese min<strong>im</strong>alinvasiv<br />
<strong>im</strong>plantierbaren und knochensparenden<br />
Prothesen aufgrund der <strong>im</strong> Vergleich mit Schaftprothesen<br />
erhöhten Lockerungs rate nur in einigen<br />
Fällen ihre Berechtigung.<br />
Chiari und Endler <strong>im</strong>plantierten die erste Schulterprothese<br />
(Judet, Acryl-Prothese). Danach erfolgte<br />
die Implantation einer Vielzahl von Prothesentypen<br />
aller Generationen. 2006 kam es zur ersten Implantation<br />
einer inversen Prothese von Schatz.<br />
2007 wurde bei der „Vienna Surgery Week” in<br />
Kooperation mit internationalen Schulterchirurgen<br />
eine Lehrveranstaltung mit Live-Übertragung aus<br />
dem OP in den Vortragssaal durchgeführt. Seither<br />
fanden drei weitere Events erfolgreich statt.<br />
Seit der Übernahme der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
durch Windhager konnten vier wissenschaftliche<br />
Arbeiten aus dem Gebiet der Schulterchirurgie<br />
publiziert werden. 1931 wurde das Ellenbogengelenk<br />
<strong>für</strong> arthroskopische Eingriffe als ungeeignet<br />
bezeichnet. Bis Mitte der 80er <strong>Jahre</strong> änderte sich<br />
dies nicht. Seit 1985 entwickelte sich die Ellenbogenarthroskopie<br />
kontinuierlich weiter. Barr und<br />
Eaton <strong>im</strong>plantierten 1965 die erste Ellenbogen-<br />
Hemiprothese. Johnson und Schlein folgten 1970<br />
mit der Implantation der ersten Vitalliumtotalendoprothese.<br />
Die effektive Schmerzlinderung vor<br />
allem nach Frakturen oder rheumatoider Arthritis<br />
forcierte den anfänglichen Aufschwung in der<br />
Ellen bogenendoprothetik. Sehr schnell wurde aber<br />
offensichtlich, dass die hohe Lockerungs- und Infektionsrate<br />
trotz Zementierung das Hauptproblem<br />
in Bezug auf Langlebigkeit darstellte. Aktuell<br />
werden Ellenbogenprothesen vor allem bei rheumatoider<br />
Arthritis, schweren (oft posttraumatischer)<br />
Arthrose und nach ausgedehnten Tumorresektionen<br />
eingesetzt. Wie eingangs erwähnt<br />
wurde an der <strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong> die erste<br />
Ellenbogen arthroskopie 1997 durchgeführt.<br />
Ausblick in die Zukunft<br />
Das Sportteam der Univ.-Klinik ist vor allem auf<br />
dem Gebiet der Ultraschall-gestützten Diagnose<br />
und Therapieverfahren und <strong>im</strong> Bereich der Schul-<br />
terendoprothetik aktiv. Ein schulterchirurgisches<br />
Projekt gewann kürzlich einen Grant aus dem<br />
<strong>Wien</strong>er Bürgermeisterfonds. Im studentischen<br />
Bereich wurden mehrere Diplomarbeiten abgeschlossen.<br />
Zurzeit werden drei Diplomanden mit<br />
schulterchirurgischen Themen betreut. Die enge<br />
Kooperation mit den Univ.-Kliniken <strong>für</strong> „Physikalische<br />
Therapie und Rehabilitation“ und Radiologie<br />
ermöglicht weitere interdisziplinäre Forschungsprojekte.<br />
Ebenso sind nationale und internationale<br />
Ausbildungskurse geplant.<br />
Literatur be<strong>im</strong> Verfasser<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Sportorthopädie<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mo, 8.00 – 11.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
Ass.-Prof. Dr. Klaus-Dieter Schatz (Leitung)<br />
Ass.-Prof. Dr. Gobert Skrbensky<br />
Ass.-Prof. PD Dr. Manuel Sabeti-Aschraf<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 119
Aktuelle Therapiekonzepte von Knorpelschäden<br />
Die erste Knorpelzelltransplantation an der <strong>Wien</strong>er<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> wurde 1998 von Stefan<br />
Nehrer durchgeführt. Nehrer absolvierte zuvor einen<br />
Forschungsaufenthalt an der Harvard University<br />
in Boston, USA, wo er Grundlagenforschung<br />
zum Thema Knorpelzelltransplantation betrieb<br />
und auch an der Entwicklung der ersten Biomaterialien<br />
mitwirkte. Im Rahmen dieses Aufenthaltes<br />
eignete er sich auch das Wissen zu den chirurgischen<br />
Einriffen an. Die ACT (autologous chondrocyte<br />
transplantation) wurde damals in der traditionellen<br />
Technik, wie von Brittberg und Peterson<br />
beschrieben, durchgeführt.<br />
Dabei wird der Knorpeldefekt debridiert, ein Periostlappen,<br />
der meist vom benachbarten Tibiakopf<br />
gewonnen wird, eingenäht und mit der Knorpelzellsuspension<br />
unterspritzt. Trotz der bahnbrechenden<br />
Erfolge, die mit dieser Technik erzielt<br />
werden können, sind Probleme, die vor allem auf<br />
den Periostlappen zurückzuführen sind, nicht selten.<br />
Hypertrophie, Delamination oder Arthrofibrosen<br />
können Revisionseingriffe nötig machen.<br />
Dies kann durch den Einsatz von dreid<strong>im</strong>ensionalen<br />
Biomaterialien vermieden werden.<br />
Im Jahr 2000 begann Nehrer mit dem Einsatz eines<br />
hyaluronbasierten Biomaterials, das in weiterer<br />
Folge an einer großen Patientenserie erfolgreich<br />
angewendet wurde. Hier zählt die <strong>Wien</strong>er <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> zu den Institutionen,<br />
die auf dem Sektor der MACT (matrix associated<br />
autologous chondrocyte transplantation) Pionierarbeit<br />
leisteten. Wir blicken nun auf Langzeitergebnisse<br />
der MACT <strong>im</strong> Kniegelenk bei 53 Patienten<br />
mit Standzeiten von bis zu acht <strong>Jahre</strong>n zurück.<br />
Die Technik wurde sukzessive weiterentwickelt.<br />
Zum einen erfolgte die Anwendung auch <strong>im</strong> oberen<br />
Sprunggelenk, hier war die Gruppe um Nehrer<br />
ebenfalls eine der ersten weltweit, die die Technik<br />
auf dieses Gelenk erweiterte.<br />
Zum anderen erfolgte auch die Anwendung anderer<br />
Biomaterialien. In einer Pilotstudie wurde<br />
eine fibrinbasierte Matrix untersucht, weiters<br />
wurde eine Kollagen-Gel-Matrix eingeführt, und<br />
unter der Initiative von Nehrer wurde eine Spezialambulanz,<br />
die sogenannte „Knorpelambulanz”,<br />
gegründet, die 2006 von Ronald Dorotka übernommen<br />
wurde. Er interessierte sich insbesondere<br />
<strong>für</strong> die Technik der Mikrofrakturierung und<br />
ihre Gegenüberstellung zur MACT und erweiterte<br />
das Spektrum der OP-Techniken um ein Kollagenvlies<br />
mit Zellsuspension. Dorotka förderte auch<br />
die wissenschaftliche Arbeit jüngerer Kollegen,<br />
die eine beeindruckende Anzahl von Publikationen<br />
nach sich zog. Stephan Domayer intensivierte die<br />
Autologe Knorpelzelltransplantation<br />
Debridement des<br />
Knorpeldefekts<br />
Vermessung mit einer<br />
Metallfolie<br />
Matrix-assistierte autologe<br />
Knorpelzelltransplantation<br />
MACT am Talus<br />
Zellfreies Implantat bei großem<br />
osteochondralem Defekt<br />
120<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari<br />
Zusammenarbeit mit dem Exzellenzzentrum <strong>für</strong><br />
Hochfeld-MRT unter der Leitung von Siegfried<br />
Trattnig und konnte als erster Mitarbeiter unserer<br />
Klinik ein pHD-Studium abschließen. Die Publikationen<br />
beziehen sich insbesondere auf den Einsatz<br />
des Hochfeld-MRTs auf dem Gebiet der Knorpelregeneration.<br />
2009 wurde die Knorpelambulanz von<br />
Catharina Chiari übernommen. Rezent wurden die<br />
ersten zellfreien biomaterialbasierten Knorpeltherapien<br />
durchgeführt, die derzeit noch <strong>im</strong> Sinne<br />
von Salvage-Operationen gesehen werden.<br />
Generell gibt es konservative und operative Therapiemöglichkeiten<br />
<strong>für</strong> Läsionen des Gelenkknorpels.<br />
In einem frühen Stadium kann eine konservative<br />
Therapie durchaus einen Erfolg erzielen und<br />
zu einer Schmerzlinderung und Verbesserung der<br />
Situation führen. Besteht allerdings bereits ein<br />
fortgeschrittenes Stadium, sollte zusätzlich eine<br />
operative Therapie durchgeführt werden. Wesentlich<br />
ist die kritische Indikationsstellung. Faktoren,<br />
die Einfluss auf die Therapiewahl nehmen,<br />
sind: Ätiologie, Tiefe und Größe des Defektes,<br />
der umgebende Knorpel, der Ort des Defektes,<br />
die Integrität der Bänder und Menisken, Beinachse,<br />
vorangegangene Therapien, Bildgebung und<br />
Anamnese (Alter, Gewicht, Schmerzintensität,<br />
Beschwerdebild). Die Bandbreite der chirurgischen<br />
Eingriffe beinhaltet das Debridement, die<br />
Mikrofrakturierung, Mosaikplastik, Knorpelzelltransplantation<br />
und zellfreie biomaterialbasierte<br />
Verfahren. Wesentlich ist, dass der Knorpeldefekt<br />
<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Gesamtkontext gesehen wird und Begleiteingriffe<br />
eine genauso entscheidende Rolle<br />
spielen. So sind die Achskorrektur wie zum Beispiel<br />
durch eine HTO (hohe Tibiakopfumstellung)<br />
oder die Stabiliserung des Gelenks durch eine<br />
Bandrekonstruktion sowie die Sanierung von Meniskusläsionen<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />
Knorpeltherapie.<br />
Ausblick in die Zukunft<br />
Die aktuelle Studienlage lässt noch keine klare<br />
Aussage <strong>für</strong> einen Gold-Standard der Knorpeltherapie<br />
zu. Wie oben erwähnt, bleibt die richtige<br />
Indikationsstellung und die individuelle Therapieauswahl<br />
<strong>für</strong> den Patienten der entscheidende<br />
Faktor. Aktuelle Trends wenden sich vermehrt<br />
zellfreien Verfahren unter Verwendung von Biomaterialien<br />
zu, da diese als einzeitige Eingriffe<br />
(die Knorpelzellbiopsie entfällt) logistische und<br />
ökonomische Vorteile bieten. Die Evidenz <strong>für</strong> die<br />
Gleichwertigkeit bzw. Überlegenheit solcher Eingriffe<br />
ist jedoch ausständig. Eine weitere Entwicklung<br />
stellt die Anwendung von Knochenmarkszellen<br />
dar, die durch ihre Pluripotenz Potenzial<br />
haben, die Knorpelregeneration zu fördern. Erste<br />
Pilotstudien zeigen vielversprechende Ergebnisse.<br />
Der Einsatz von Wachstumsfaktoren und<br />
Gentherapie sind weitere Entwicklungsfelder, die<br />
uns mit Spannung in die Zukunft blicken lassen.<br />
Literatur bei der Verfasserin<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Chiari<br />
Die Bandbreite der chirurgischen<br />
Eingriffe beinhaltet die Mikrofrakturierung,<br />
Mosaikplastik, Knorpelzelltransplantation<br />
und zellfreie<br />
biomaterialbasierte Verfahren.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Knorpelschäden<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Mi, 13.00 – 14.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari (Leitung)<br />
Dr. Alexander Kolb<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 121
Entwicklung <strong>im</strong> Biomechaniklabor<br />
Die Geburt der Biomechanik liegt schon 2400<br />
<strong>Jahre</strong> zurück und ist auf den Philosophen Aristoteles<br />
und auf seine Schriftwerk De Motu An<strong>im</strong>alium<br />
(über die Bewegung der Tiere) zurückzuführen.<br />
Es ist die Wissenschaft über die Funktion und<br />
Struktur des Bewegungsapparates und gehört<br />
heute zur Grundausbildung junger Orthopäden.<br />
Das „Adolf Lorenz Labor <strong>für</strong> Biomechanik und exper<strong>im</strong>entelle<br />
orthopädische Chirurgie” (ehemals<br />
Knochen- und Gelenk Biomechaniklabor) bildet<br />
zusammen mit dem „Karl Chiari Cell and Tissue<br />
Biology Lab” den Forschungspfeiler der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>.<br />
Das Biomechaniklabor kooperiert eng mit Kliniken,<br />
nationalen und internationalen Forschungszentren<br />
sowie diversen (bio-)medizinischen Firmen. Die<br />
Ergebnisse, die durch die Zusammenarbeit mit<br />
dem medizinischen Personal, den Studenten der<br />
„Medizinischen Universität <strong>Wien</strong>” und der „Technischen<br />
Universität <strong>Wien</strong>” entstehen, können direkt<br />
in Patientenbehandlung einfließen.<br />
Erfolgreiche Kooperationen<br />
Seit seiner Gründung beschäftigen sich die Mitarbeiter<br />
des biomechanischen Labors mit Invitro-Tests<br />
an Geweben. In mehreren Studien<br />
wurde die Biomechanik in Bezug auf die passive<br />
Stabilität der Bänder <strong>im</strong> Sprunggelenk beschrieben,<br />
der Einfluss der Spongiosa auf die<br />
Druckstabilität <strong>im</strong> Femur und den Wirbelkörpern<br />
best<strong>im</strong>mt oder Prothesen evaluiert, wie die Knorpelprothese<br />
HemiCAP ® oder Refixationsanker<br />
bei Labium-Läsionen. Zudem konnten mehrere<br />
Produkte, deren Notwendigkeit sich aus dem<br />
klinischen Alltag ergeben hat, in Zusammenarbeit<br />
mit anderen Zentren entwickelt werden. In<br />
Zusammenarbeit mit der „Technischen Universität<br />
<strong>Wien</strong>” wurde ein Bohrwerkzeug entworfen,<br />
welches das Setzen gekrümmter Bohrkanäle <strong>im</strong><br />
Knochengewebe ermöglicht. Dies kommt bei<br />
der Rekonstruktion der Rotatorenmanschette<br />
zur Anwendung. In einem gemeinsamen Projekt<br />
mit dem „Institut <strong>für</strong> Biomedizinische Technik<br />
und Physik” (MUW) konnte die erste Kniegelenksendoprothese<br />
hergestellt werden, welche<br />
telemetrisch eine postoperative Adjustierung<br />
der Patella sehnenspannung ermöglicht.<br />
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt des Biomechaniklabors<br />
ist Tribologie. Mit dem „Institut<br />
<strong>für</strong> Physik” wurde nun das erste Mal ein Metallpartikeldetektor<br />
aus dem Kraftfahrzeugbau<br />
erfolgreich angewendet, um Anzahl und Größe<br />
von Abriebpartikeln in künstlichen Gelenken zu<br />
best<strong>im</strong>men. Die geplante Weiterführung dieses<br />
Biomechanischer Belastungstest am<br />
Wirbelkörper<br />
Vienna Knee<br />
S<strong>im</strong>ulator<br />
Postoperativ telemetrisch justierbare<br />
Kniegelenksprothese<br />
Biomechanikreaktor mit statischer und<br />
dynamische Belastung auf Zellkulturen<br />
Optoelektronische Kinematikuntersuchung<br />
eines Fußballspielers<br />
122<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Ass.-Prof. Dr. Gobert Skrbensky<br />
Projektes könnte zur Entstehung eines einfachen,<br />
schnellen und vor allem präzisen Systems<br />
zur klinischen Best<strong>im</strong>mung eines zu hohen Prothesenverschleißes<br />
führen.<br />
Selbstentwickelter Kniegelenkss<strong>im</strong>ulator<br />
Den Grundbaustein des Biomechaniklabors bildet<br />
ein selbstentwickelter Kniegelenkss<strong>im</strong>ulator.<br />
Der „Vienna Knee S<strong>im</strong>ulator” ermöglicht durch<br />
mechanische und pneumatische Aktuatoren eine<br />
reale statische oder dynamische Belastung <strong>im</strong><br />
Kniegelenk und die Erfassung aller relevanten<br />
Messgrößen, wie Verschiebung, Geschwindigkeit<br />
Kraft und Druck. Zudem lassen sich dadurch<br />
Implantate und Implantationstechniken unter<br />
In-vivo-Belastungen direkt miteinander vergleichen.<br />
Die Studie über Knorpelersatzprothesen,<br />
welche am „Vienna Knee S<strong>im</strong>ulator” durchgeführt<br />
wurde, konnte <strong>im</strong> „Knee Surgery Sports Traumatoly<br />
Arthroscopy” veröffentlicht werden. Ein weiteres<br />
Anwendungsbeispiel ist die Testung eines<br />
Prototypen einer postoperativ telemetrisch justierbaren<br />
Knieendoprothese am S<strong>im</strong>ulator, welche<br />
in Zusammenarbeit mit dem „Institut <strong>für</strong> Biomedizinische<br />
Technik und Physik” entwickelt wurde.<br />
Motion Analysis<br />
Mit der Anschaffung eines optoelektronischen<br />
Bewegungsanalysesystems <strong>im</strong> Jahr 2008 wurden<br />
die Forschungsbereiche des Biomechaniklabors<br />
erweitert. Große, schnelle Bewegungen, wie die<br />
eines Fußballspielers, können genauso gemessen<br />
und aufgezeichnet werden, wie die Mikroverschiebungen<br />
eines Femurs unter Torsionsbelastung.<br />
Neben Publikationen, die in nationalen und<br />
internationalen Fachzeitschriften auf dem Gebiet<br />
<strong>Orthopädie</strong>, Sportchirurgie und Biomechanik erschienen<br />
sind, wurde die Forschungsarbeit des<br />
Biomechaniklabors seitens des „Bundesministeriums<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft, Familie und Jugend” und der<br />
„Österreichischen Nationalbank” anerkannt und<br />
durch Forschungs- und Entwicklungsförderung<br />
finanziell unterstützt.<br />
Zukunftsaussichten<br />
Das wachsende Alter der Menschen, die zunehmende<br />
Adipositas, aber auch die steigende Zahl<br />
der neuen sportlichen Aktivität und derer, die<br />
sie betreiben, unterstreicht die Notwendigkeit<br />
<strong>für</strong> eine tieferliegende und auch interdisziplinäre<br />
biomechanische Forschung. Ein Ziel des Biomechaniklabors<br />
ist die Schaffung der Basis <strong>für</strong> eine<br />
engere Kooperation mit dem „Karl Chiari Labor”,<br />
um die biomechanischen Zusammenhänge auf<br />
Makro- und Mikroebene beschreiben zu können.<br />
Insbesondere wird der Forschungsschwerpunkt in<br />
der Zukunft in Richtung Tribologie und Knorpelbehandlung<br />
gehen. Das „Adolf Lorenz Labor <strong>für</strong> Biomechanik”<br />
steht allen Kollegen und Studenten offen,<br />
die sich an der Forschung beteiligen möchten.<br />
Literatur be<strong>im</strong> Verfasser<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Skrbensky<br />
Biomechaniklabor<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Mitarbeiter:<br />
Ass.-Prof. Dr. Gobert Skrbensky (Leitung)<br />
Ass.-Prof. Dr. Gerold Holzer (Stv.)<br />
Management: Günter Brand<br />
Forschungsschwerpunkte:<br />
• Produktentwicklung und Opt<strong>im</strong>ierung in<br />
den Bereichen Prothetik und chirurgische<br />
Instrumente<br />
• Biomechanische In-vitro-Untersuchungen<br />
von Geweben<br />
• Verschleiß- und Partikelanalyse <strong>für</strong><br />
Metall-Metall-Endoprothesen<br />
• Belastungstest und Evaluierung <strong>für</strong><br />
Prothesen, Implantate, Nahtmaterial<br />
• Klinische Studien <strong>im</strong> Bereich der<br />
Sportorthopädie<br />
• Bewegungsanalyse <strong>für</strong> Athleten sowie<br />
prä-/postoperative Patienten<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 123
Knochenforschung – vom Osteosarkom bis zur „Bone Quality“<br />
Knochengrundlagenforschung und insbesondere<br />
Osteosarkomforschung hat eine lange Tradition<br />
an der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
<strong>Wien</strong>. Unter der Leitung von Martin Salzer und<br />
Rainer Kotz wurde bereits vor über 35 <strong>Jahre</strong>n<br />
der Immunstatus von Patienten mit Osteosarkomen<br />
beforscht 1 . Auch In-vitro-Analysen von<br />
zellmediierter Immunreaktion gegen Osteosarkomzellen<br />
2 wurden bereits durchgeführt. In<br />
weiterer Folge hat Klemens Trieb aktiv in der<br />
Tumor<strong>im</strong>munologie von Osteosarkomen wissenschaftlich<br />
gearbeitet. Er charakterisierte unter<br />
anderem die Rolle der T-Lymphozyten-Infiltration<br />
<strong>im</strong> Tumor sowie der HLA-DR Expression von<br />
Osteosarkomzellen <strong>im</strong> Bezug auf Malignität und<br />
Ansprechen der Chemotherapie 3 . Im Anschluss<br />
daran entstanden von ihm eine Reihe von wichtigen<br />
Arbeiten 4-9 , in denen die sogenannten<br />
„heat shock proteins” bezüglich ihres prognostischen<br />
Wertes hinsichtlich Überleben und Ansprechen<br />
der Chemotherapie bei Osteosarkomen<br />
untersucht wurden.<br />
Nationale und internationale Kooperationen<br />
bei der Osteosarkomforschung<br />
Gerold Holzer und Klemens Trieb publizierten<br />
eine Reihe von wichtigen Arbeiten 7, 10-14 , die die<br />
Wertigkeit von verschiedenen Serumproteinen<br />
auf die Aussagekraft hinsichtlich Überleben und<br />
Ansprechen der Chemotherapie untersuchten.<br />
Aber nicht nur Serumanalysen wurden durchgeführt.<br />
Unter Leitung von Toma wurde unter Zusammenarbeit<br />
mit der Univ.-Klink <strong>für</strong> Pathologie<br />
die Expression von antiapoptotischen Proteinen<br />
und deren Rolle in der Prognostik untersucht 15 .<br />
In den letzten <strong>Jahre</strong>n entwickelten sich <strong>im</strong>mer<br />
mehr nationale und internationale Kooperationen<br />
hinsichtlich der Osteosarkomforschung. Kubista<br />
führte eine MicroArray-Analyse 16 von verschiedenen<br />
histologischen Osteosarkomtypen<br />
durch, um molekulare Unterschiede zwischen<br />
den einzelnen zu untersuchen.<br />
Einen <strong>im</strong>mer größeren Stellenwert bekam auch<br />
die In-vitro-Testung von verschiedenen Medikamenten<br />
an verschiedenen Tumorzelllinien, um<br />
molekulare Wirkmechanismen genauer zu verstehen.<br />
In Zusammenarbeit mit Walter Berger<br />
vom Institut <strong>für</strong> Krebsforschung charakterisierte<br />
Bernd Kubista erstmals den genauen Wirkmechanismus<br />
von einem Bisphosphonat auf Osteosarkomzellen<br />
17 . Derzeit laufen mehrere Kooperationsprojekte,<br />
bei denen die Wirksamkeit<br />
neuester Medikamente auf Osteo- und Chondrosarkome<br />
ausgetestet wird.<br />
Backscattered Electron Image (BEI) einer normalen<br />
(li.) und einer nekrotischen (re.) Epiphyse (LBIO)<br />
BEI einer normalen (li.) und einer nekrotischen (re.) subchondralen Wachstumsschicht be<strong>im</strong> M. Perthes (LBIO)<br />
124<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Dr. Jochen G. Hofstätter<br />
Bone Repair und Regeneration<br />
Neben der onkologischen Forschung war auch<br />
die Knochenforschung hinsichtlich Bone Repair<br />
und Regeneration <strong>im</strong>mer ein fixer Bestandteil<br />
der Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong>. Insbesondere<br />
sind hier die Arbeiten von Reinhard Windhager<br />
zu erwähnen. Mithilfe eines exper<strong>im</strong>entellen<br />
Tiermodelles am Hasen 18 wurde der Effekt<br />
der Größe des Knochenzylinders bei der Distraktionsosteogenese<br />
an der Tibia untersucht. Mittels<br />
dynamischer Histomorphometrie, DXA und<br />
Mikro radiographie wurden die endostale und<br />
periostale Knochenneubildung genau charakterisiert.<br />
Weiters wurde ein neues Design eines internen<br />
bifokalen Knochendistraktionsapparates<br />
des Femurs in einem exper<strong>im</strong>entellen Schafmodell<br />
getestet und die Knochenneubildung ebenfalls<br />
genauestens untersucht 19 .<br />
Gerold Holzer publizierte 1999 die erste Arbeit 20 ,<br />
welche die Auswirkung von PTH 1-34 auf die<br />
Frakturheilung in einem exper<strong>im</strong>entellen Rattenmodell<br />
untersuchte.<br />
In den letzten <strong>Jahre</strong>n hat sich das Forschungsgebiet<br />
der sogenannten „Bone Quality” etabliert.<br />
Hierbei haben Studien in den letzten <strong>Jahre</strong>n gezeigt,<br />
dass nicht nur Knochenmasse und Microarchitektur<br />
eine wichtige Rolle in der Belastbarkeit<br />
des gesamten Knochens spielen, sondern dass<br />
auch kleinste Veränderungen in der Knochenmatrix,<br />
sei es in der Mineralisation oder auch der<br />
kollagenösen Matrix, große Auswirkungen haben<br />
können. Verschiedenste Erkrankungen, aber<br />
auch Medikamente und Genmutationen können<br />
zu diesen Veränderungen der Knochenmasse<br />
und Knochenmatrix führen. In Kooperation mit<br />
Laurie Gl<strong>im</strong>cher und ihrem Vater Melvin Gl<strong>im</strong>cher<br />
von der Harvard Medical School/USA war<br />
ich Teil einer Arbeitsgruppe, die <strong>im</strong> Jahr 2003<br />
das Protein shn3 entdeckt hat, welches eine essenzielle<br />
Rolle in der Regulierung der Knochenmasse<br />
hat. Diese Arbeit wurde <strong>im</strong> renommierten<br />
Journal „Science” publiziert.<br />
Enge Kooperationen<br />
mit Ludwig-Boltzmann-Institut<br />
Derzeit laufen mehrere Projekte in enger Kooperation<br />
mit Klaus Klaushofer vom Ludwig Boltzmann<br />
Institut <strong>für</strong> Osteologie in <strong>Wien</strong>, welches<br />
einen Weltruf auf dem Gebiet der Knochenmaterialforschung<br />
genießt. Das Gebiet der Bone-Quality-Forschung<br />
ist untrennbar von der Osteoporoseforschung.<br />
Und obwohl es zu diesem Thema<br />
wirklich schon sehr viel sehr gute Wissenschaft<br />
gibt, waren wir dennoch die erste Arbeitsgruppe<br />
21 , welche die Knochenmatrixanalyse von humanen<br />
frakturierten Wirbelkörpern untersucht<br />
hat. Wir konnten zeigen, dass es in Abhängigkeit<br />
des Repair-Stadiums zu einer sehr großen Variabilität<br />
in der Matrixmineralisation kommt und<br />
dass best<strong>im</strong>mte Medikamente, wie z.B. Bisphosphonate,<br />
diese Mineralisation während des Repair-Vorganges<br />
signifikant beeinflussen. Es wurden<br />
auch klassische orthopädische Pathologien<br />
hinsichtlich Knochenqualität untersucht. In Zu-<br />
Derzeit laufen mehrere<br />
Kooperationsprojekte, bei<br />
denen die Wirksamkeit<br />
neuester Medikamente auf<br />
Osteo- und Chondrosarkome<br />
ausgetestet wird.<br />
Spezialambulanz<br />
<strong>für</strong> Osteoporose<br />
Universitätstklinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>,<br />
<strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>, Ebene 7D<br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Ambulanzzeit: Fr 10.00 – 11.00 Uhr<br />
Tel.: 404 00 – 4080<br />
Mitarbeiter:<br />
ao. Univ.-Prof. Dr. Gerold Holzer (Leitung)<br />
Dr. Jochen G. Hofstätter<br />
Univ.-Prof. Dr. Josef Grohs<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 125
sammenarbeit mit Harry K<strong>im</strong>, Scottish Rite Hospital<br />
for Children in Texas, USA, wurden erstmals<br />
die Veränderungen der Mineralisation der Knorpel<br />
und Knochenmatrix in der nekrotischen Epiphyse<br />
in einem exper<strong>im</strong>entellen Tiermodell des<br />
Morbus Perthes charakterisiert 22 . Dies war nicht<br />
nur die erste Arbeit, die gezeigt hat, dass es zu<br />
signifikanten Veränderungen in der Knochenmatrix<br />
nach Nekrose kommt, sondern diese Arbeit<br />
erzeugte auch neue Erkenntnisse hinsichtlich<br />
der bildgebenden Diagnostik der Erkrankung. Es<br />
wurde auch die adulte Hüftkopfnekrose mittels<br />
exper<strong>im</strong>enteller Tiermodelle in Zusammenarbeit<br />
mit Melvin Gl<strong>im</strong>cher beforscht. Wir haben hier<br />
nicht nur die Veränderungen der Mikroarchitektur<br />
während des Repair-Vorganges <strong>im</strong> nekrotischen<br />
Femurkopf charakterisiert 23 , sondern auch<br />
die erste Grundlagenarbeit hinsichtlich der Wirksamkeit<br />
von Bisphosphonaten in der Behandlung<br />
der adulten Hüftkopfnekrose 24 publiziert. Weiters<br />
gibt es neben aktuell laufenden molekularbiologischen<br />
Studien, ein neues exper<strong>im</strong>entelles Gebiet,<br />
welches in Kooperation mit den Atominstitut<br />
dem TU <strong>Wien</strong> unter der Leitung von Christina<br />
Streli bearbeitet wird. Und zwar untersuchen wir<br />
hier die unterschiedliche Spurenelementverteilung<br />
von normalem und pathologischem Knochen<br />
25 . Auch hier ist eine Vielzahl von wissenschaftlich<br />
hochwertigen Projekten <strong>im</strong> Gange, und<br />
es schließt sich auch hier der Kreis, da wir unter<br />
anderem auch Osteosarkompräparate analysieren.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden,<br />
dass die Knochengrundlagenforschung an der<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>Wien</strong> sehr erfolgreich<br />
war und nun durch Reinhard Windhager<br />
neue Akzente gesetzt wurden. Man darf daher<br />
viele hochkarätige wissenschaftliche Arbeiten in<br />
den nächsten <strong>Jahre</strong>n erwarten.<br />
Literatur:<br />
1<br />
Kotz R, Rella W, Salzer M. The <strong>im</strong>mune-status in patients<br />
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and cytotoxicity. Pediatr Hematol Oncol l2000;17:<br />
355-64.<br />
Normale (li.) und nekrotische (re.) subchondrale Wachstumsschicht<br />
be<strong>im</strong> M. Perthes in H&E<br />
Giemsa-Färbung eines frakturierten<br />
Wirbelkörpers<br />
CD133-Färbung von einem Enchondrom (li.) und einem G1-Chondrosarkom<br />
(re.)<br />
126<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
7<br />
Trieb K, Gerth R, Windhager R, Grohs JG, Holzer G,<br />
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12<br />
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1beta-converting enzyme in osteosarcoma correlate<br />
with response to chemotherapy. Anticancer Res<br />
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Hofstaetter JG, Wang J, Yan J, Gl<strong>im</strong>cher MJ. Changes<br />
in bone microarchitecture and bone mineral density<br />
following exper<strong>im</strong>ental osteonecrosis of the hip in<br />
rabbits. Cells Tissues Organs l2006;184: 138-47.<br />
24<br />
Hofstaetter JG, Wang J, Yan J, Gl<strong>im</strong>cher MJ. The effects<br />
of alendronate in the treatment of exper<strong>im</strong>ental<br />
osteonecrosis of the hip in adult rabbits. Osteoarthritis<br />
Cartilage l2009;17: 362-70.<br />
25<br />
Zoeger N, Streli C, Wobrauschek P, Jokubonis C,<br />
Pepponi G, Roschger P, Hofstaetter J, Berzlanovich<br />
A, Wegrzynek D, Chinea-Cano E, Markowicz A, S<strong>im</strong>on<br />
R, Falkenberg G. Determination of of the elemental<br />
distribution in human joint bones by SR micro XRF.<br />
X-Ray Spectrom l2008: 3-11.<br />
Fotos:<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong>, Hofstätter<br />
In Zusammenarbeit mit Univ.-Prof.<br />
Dr. Klaus Klaushofer und Univ.-Doz.<br />
Dipl.Ing. Dr. Paul Roschger vom LBI<br />
<strong>für</strong> Osteologie, <strong>Wien</strong> und Prof. Dr.<br />
Harry K<strong>im</strong>, Scottish Rite Hospital<br />
for Children in Texas/USA wurden<br />
erstmals die Veränderungen der<br />
Mineralisation der Knorpel und<br />
Knochenmatrix in der nekrotischen<br />
Epiphyse in einem exper<strong>im</strong>entellen<br />
Tiermodell des Morbus Perthes<br />
charakterisiert.<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 127
Tissue Engineering und zellbiologisches Forschungslabor<br />
Das orthopädische Forschungslabor auf der Ebene<br />
8H wurde 1993 nach der Übersiedlung der <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in das Neue <strong>AKH</strong> begründet.<br />
Die Einrichtung des Labors erfolgte unter<br />
der Regie von Erich Fellinger und Florian Gottsauner-Wolf,<br />
der das Forschungslabor in weiterer Folge<br />
leitete. Günter Brand, der bis heute eine Stütze<br />
des Labors ist, war maßgeblich beteiligt und<br />
etablierte die Histologie, die seither auf hohem<br />
Niveau durchgeführt wird. Aus dieser Zeit stammen<br />
vor allem Arbeiten von Gottsauner-Wolf, die<br />
sich mit Sehnenreinsertion an Endoprothesen beschäftigen<br />
1 . Einen weiteren Schwerpunkt stellten<br />
die Arbeiten von Wolfram Brodner dar, der sich mit<br />
Metallabrieb bei Hüfttotalendoprothesen und dem<br />
Nachweis von Metallspiegeln <strong>im</strong> Serum auseinandersetzte<br />
2,3 . Klemens Trieb übernahm die Leitung<br />
des Labors 1998 und setzte einen Schwerpunkt<br />
in der Tumorforschung. Gemeinsam mit Gerold<br />
Holzer, Cyril Toma und Bernd Kubista entstanden<br />
wichtige Arbeiten, die <strong>im</strong> Kapitel „Knochenforschung”<br />
<strong>im</strong> Detail besprochen werden. 2004 ging<br />
die Laborleitung an Stefan Nehrer über, der das<br />
Thema Tissue Engineering forcierte. Gemeinsam<br />
mit Ronald Dorotka wurde ein wichtiges Tiermodell<br />
zum Thema Knorpelzelltransplantation etabliert.<br />
Dorotka untersuchte Kollagenmatrices in vitro und<br />
in vivo und konnte zeigen, dass die Zelltransplantation<br />
<strong>im</strong> Tiermodell der Mikrofrakturierung überlegen<br />
ist 4,5,6 . Abbildung 1 zeigt Reparaturgewebe,<br />
das in seinem Aufbau dem hyalinen Knorpel sehr<br />
nahe kommt (Azan-Färbung).<br />
Nehrer ist die Akquisition von zwei hochdotierten<br />
EU-Projekten – Meniscus Regeneration Project<br />
und STEPS Project – zu verdanken, die den Forschungsschwerpunkt<br />
der folgenden fünf <strong>Jahre</strong> best<strong>im</strong>mten.<br />
Catharina Chiari bearbeitete das Feld<br />
des „Meniscus Tissue Engineering”. Nach Vorversuchen<br />
über das In-vitro-Verhalten von Meniskuszellen<br />
auf verschiedenen Biomaterialien wurde ein<br />
totaler Meniskusersatz aus einem Biomaterial in<br />
vivo untersucht (Abbildung 2), wobei es gelang,<br />
Gewebebildung und meniskusartige Gewebemetaplasie<br />
zu erzielen 7,8,9.<br />
Schließlich wurden Knorpelzelltransplantation<br />
und Arthrose mit den Mitarbeitern Martin Gruber<br />
und Martina Schinhan beforscht. Es gelang,<br />
einen „critical size defect” zur Provokation einer<br />
Arthrose <strong>im</strong> Schafmodell zu etablieren und die<br />
Behandlung mit großflächigen Knorpelzelltransplantaten<br />
zu untersuchen 10 . Unter der Initiative<br />
von Rainer Kotz erfolgte die Namensgebung<br />
„Karl Chiari Cell and Tissue Biology Lab”. Ronald<br />
Dorotka übernahm die Leitung des Labors 2006<br />
Abb. 1: Reparaturgewebe, das in seinem Aufbau<br />
dem hyalinen Knorpel sehr nahe kommt<br />
Abb. 2: Totaler Meniskusersatz aus einem<br />
Biomaterial in vivo<br />
Belastungstests<br />
<strong>für</strong> Kniegelenke<br />
Laminar-Air-Flow <strong>für</strong> die Zellkultur<br />
128<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Mag. Dr. Stefan Tögel/Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari/Dr. in Sonja Walzer<br />
und setzte die Arbeit auf dem Gebiet der Knorpelforschung<br />
fort, Jochen Hofstätter leitete das<br />
Labor ab 2009.<br />
Ausbau des orthopädischen<br />
Forschungslabors<br />
Mit der Berufung von Reinhard Windhager zum<br />
Vorstand der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
wurde das orthopädische Forschungslabor sowohl<br />
räumlich als auch personell weiter ausgebaut<br />
sowie eine Reihe neuer Forschungsakzente<br />
gesetzt. Zurzeit sind ein Assistenzprofessor mit<br />
Leitungsfunktion (Stefan Tögel), eine Universitätsassistentin<br />
(Sonja Walzer), fünf biomedizinische<br />
AnalytikerInnen sowie eine Reihe von<br />
DiplomandInnen und DissertantInnen <strong>im</strong> Forschungslabor<br />
beschäftigt. Neben der bereits<br />
seit mehreren <strong>Jahre</strong>n exzellent betriebenen<br />
Histologie konnten so biochemische und molekularbiologische<br />
Techniken <strong>für</strong> die Forschungsarbeit<br />
<strong>im</strong>plementiert werden. Neben Methoden<br />
der pr<strong>im</strong>ären Zellkultur sowie der mechanischen<br />
Belastung von kultivierten Zellen wurden Methoden<br />
der Immunzytochemie, Immunhistochemie<br />
und Glykosaminoglykan-Analyse erarbeitet.<br />
Insbesondere wurden darüber hinaus Techniken<br />
des NIR-basierten quantitativen Western Blots<br />
sowie der quantitativen Real-T<strong>im</strong>e-RT-PCR etabliert<br />
und an die neuesten MIQE-Guidelines angepasst,<br />
an deren Erstellung <strong>im</strong> Rahmen einer<br />
internationalen Kooperation maßgeblich beigetragen<br />
wurde 11 .<br />
Karl Chiari Cell and Tissue Biology Lab<br />
Das „Karl Chiari Cell and Tissue Biology Lab” versteht<br />
sich als Einrichtung, welche international<br />
kompetitive Forschung auf dem Gebiet der orthopädischen<br />
Grundlagenforschung betreibt. Im Sinne<br />
eines translationalen Zugangs wird dabei versucht,<br />
die Forschungsprojekte in den klinischen<br />
Kontext zu stellen und die Forschungsergebnisse<br />
der klinischen Praxis nutzbar zu machen. Um die<br />
Qualität der Forschungsarbeit zu max<strong>im</strong>ieren,<br />
wird auf einen multidisziplinären Charakter der<br />
Projekte Wert gelegt. Die Forschung des „Karl<br />
Chiari Cell and Tissue Biology Lab” fokussiert auf:<br />
1) die Biologie degenerativer<br />
Gelenkserkrankungen,<br />
2) die Glykobiologie von orthopädischen<br />
Geweben und Erkrankungen,<br />
3) Stammzellforschung und<br />
4) die Biologie der Wachstumsfuge.<br />
Neben den eigenen Forschungsprojekten ist es ein<br />
Anliegen des Labors, die klinischen Wissenschafter<br />
der <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> in ihren<br />
Forschungsvorhaben mit grundlagenwissenschaftlichen<br />
Techniken zu unterstützen. Hierbei beteiligt<br />
sich das „Karl Chiari Cell and Tissue Biology Lab”<br />
an Projekten über mitochondriale Aktivitäten, Sarkomforschung<br />
und die Korrelation der biochemischen<br />
Bildgebung mit der Histologie.<br />
Molekularbiologische Untersuchungen der letzten<br />
<strong>Jahre</strong> haben zu einem verbesserten Verständnis<br />
der Ursachen von degenerativer Gelenkserkrankungen<br />
geführt. Osteoarthritis wurde demnach<br />
Karl Chiari Cell and<br />
Tissue Biology Lab<br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
A-1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Mitarbeiter:<br />
Dr. Jochen Hofstätter (Leitung)<br />
Ass.-Prof. Mag. Dr. Stefan Tögel (Stv.)<br />
Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari<br />
Dr. in Sonja Walzer<br />
Ruth Grübl-Barabas (MTA)<br />
Melanie Cezanne (MTA)<br />
Ionela-Mariana Nagelreiter (MTA)<br />
Claudia Sallinger (MTA)<br />
Günter Brand<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 129
Das „Karl Chiari Cell and Tissue<br />
Biology Lab” möchte international<br />
kompetitive Forschung auf<br />
dem Gebiet der orthopädischen<br />
Grundlagenforschung betreiben.<br />
Dabei wird aber versucht, die Forschungsergebnisse<br />
der klinischen<br />
Praxis nutzbar zu machen.<br />
Forschungsschwerpunkte<br />
● Biologie degenerativer Gelenkserkrankungen<br />
● Glykobiologie von orthopädischen<br />
Geweben und Erkrankungen<br />
● Stammzellforschung<br />
● Biologie der Wachstumsfuge<br />
● mitochondriale Aktivitäten<br />
● Sarkomforschung<br />
● Korrelation der biochemischen<br />
Bildgebung mit der Histologie<br />
vermehrt als Erkrankung aller Gelenksgewebe mit<br />
einer relevanten entzündlichen Komponente erkannt,<br />
welche durch eine Reihe zellulärer Signalwege<br />
den Knorpelabbau vorantreibt. Das „Karl Chiari<br />
Cell and Tissue Biology Lab” trägt zur Erforschung<br />
degenerativer Gelenkserkrankungen mit mehreren<br />
Projekten bei, welche neue Marker von Degenerationsprozessen<br />
und damit in Zusammenhang<br />
stehende Signalwege untersuchen. Zudem werden<br />
neuartige Strategien zur Behandlung von degenerativen<br />
Gelenkserkrankungen bearbeitet 12,13 .<br />
Glykobiologie<br />
Die Glykobiologie untersucht die Strukturen und<br />
die biologische Relevanz von Zuckerketten, welche<br />
essenzielle Komponenten der Zelloberfläche aller<br />
lebenden Organismen darstellen. Im Rahmen des<br />
glykobiologischen Schwerpunktes des Labors wurden<br />
erstmals charakteristische Glykane humaner<br />
Chondrozyten beschrieben sowie Veränderungen<br />
der Glykanstrukturen unter dem Einfluss proinflammatorischer<br />
Zytokine dokumentiert 14,15,16 . In<br />
Zusammenarbeit mit internationalen Forschungsgruppen<br />
wird derzeit die Translation des „Zuckercodes”<br />
in biologische Information sowie dessen Relevanz<br />
<strong>für</strong> orthopädische Erkrankungen erforscht.<br />
Stammzellforschung<br />
Mesenchymale Stammzellen stellen spannende<br />
Perspektiven <strong>im</strong> Hinblick auf diverse klinische Anwendungen<br />
dar. Knochenmarksaspirat, welches<br />
in einem speziellen Zentrifugationsverfahren aufkonzentriert<br />
wird, soll die Möglichkeit einer erhöhten<br />
Anzahl an adulten Stammzellen zur Applikation<br />
bieten. Derzeit werden <strong>im</strong> „Karl Chiari Cell<br />
and Tissue Biology Lab” die Zellen aus Stammzellkonzentrat<br />
charakterisiert und deren Differenzierungsverhalten<br />
mit molekularbiologischen<br />
Methoden untersucht.<br />
Biologie der Wachstumsfuge<br />
Weiters werden Fragen rund um die Biologie der<br />
kindlichen Wachstumsfuge behandelt. Trotz einer<br />
Vielzahl von klinischen Bildern von Wachstumsstörungen<br />
sind die Regulationsmechanismen, st<strong>im</strong>ulierende<br />
oder hemmende Einflüsse sowie der lokale<br />
Einfluss von Vorläuferzellen in der Wachstumsfuge<br />
weitgehend ungeklärt. In Zusammenarbeit mit nationalen<br />
Forschungsgruppen wird das Vorkommen<br />
sowie die Rolle von Vorläuferzellen in der humanen<br />
Wachstumsfuge untersucht. Im „Karl Chiari<br />
Cell and Tissue Biology Lab” werden Chondrozyten<br />
sowie deren Vorläufer aus der Wachstumsfuge<br />
isoliert und deren Differenzierungspotenzial sowie<br />
aktivierte Signalwege erforscht.<br />
Mitochondriale Aktivitäten<br />
Das Auftreten der Arthrose wird mit oxidativem<br />
Stress, zytokinbedingter Entzündung und Seneszenz<br />
in Verbindung gebracht. Oxidativer Stress<br />
und Entzündung bewirken die Degeneration von<br />
Chondrozyten, indem sie Mitochondrien schädigen.<br />
Dieser Forschungsschwerpunkt behandelt grundlegende<br />
Mechanismen arthroseassoziierter mitochondrieller<br />
Veränderungen und den Zeitpunkt<br />
ihres Auftretens mit dem Ziel, eine theoretische<br />
Basis <strong>für</strong> frühzeitiges therapeutisches Eingreifen in<br />
die entstehende Arthrose zu ermöglichen.<br />
130<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Sarkomforschung<br />
In den letzten <strong>Jahre</strong>n entwickelten sich viele nationale<br />
und internationale Kooperationen in der Osteosarkomforschung.<br />
MicroArray-Analysen wurden<br />
von verschiedenen histologischen Osteosarkomtypen<br />
durchgeführt, um molekulare Unterschiede<br />
zwischen den einzelnen zu untersuchen 17 . Einen<br />
großen Stellenwert bekam die In-vitro-Testung von<br />
diversen Medikamenten an verschiedenen Tumorzelllinien,<br />
um molekulare Wirkmechanismen genauer<br />
zu verstehen. In Zusammenarbeit mit dem<br />
Institut <strong>für</strong> Krebsforschung wurde erstmals der genaue<br />
Wirkmechanismus von einem Bisphosphonat<br />
auf Osteosarkomzellen charakterisiert 18 .<br />
Biochemische Bildgebung und Histologie<br />
Die Etablierung von MR-Techniken, die ultrastrukturelle<br />
Bestandteile von Gelenkknorpel direkt visualisieren<br />
und quantitativ messbar machen, haben<br />
ein hohes Potenzial, in der klinischen Forschung zur<br />
Evaluierung von chirurgischen wie auch konservativen<br />
gelenkerhaltenden Therapien verwendet zu<br />
werden. Um die Genauigkeit neuer MR-Technologien<br />
zu evaluieren, bleibt der Vergleich mit der histologischen<br />
Analyse der Goldstandard. Aktuell befinden<br />
sich neue 7Tesla-MR-Techniken <strong>für</strong> die Analyse<br />
der Binnenstrukturen des Kniegelenkes sowie auch<br />
<strong>für</strong> den Knorpel des oberen Sprunggelenkes in<br />
Evaluierung durch das Karl Chiari Labor 19,20 .<br />
Literatur:<br />
1<br />
Gottsauner-Wolf F, Egger EL, Giurea A, Antosch M, Olsen<br />
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21; Erratum in: J Bone Joint Surg Br 1997 Sep;79(5):885<br />
3<br />
Brodner W, Bitzan P, Meisinger V, Kaider A, Gottsauner-<br />
Wolf F, Kotz R; Serum cobalt levels after metal-on-metal<br />
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Dorotka R, Bindreiter U, Macfelda K, Windberger U,<br />
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Toegel S, Wu SQ, Otero M, Goldring MB, Leelapornpisid<br />
P, Chiari C, Kolb A, Unger FM, Windhager R, Viernstein<br />
H; Caesalpinia sappan extract inhibits IL1ß mediated<br />
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Toegel S, Pabst M, Wu SQ, Grass J, Goldring MB, Chiari<br />
C, Kolb A, Altmann F, Viernstein H, Unger FM; Phenotype-related<br />
differential α-2,6- or α-2,3-sialylation of<br />
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Pabst M, Wu SQ, Grass J, Kolb A, Chiari C, Viernstein H,<br />
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Pabst M, Grass J, Toegel S, Liebminger E, Strasser R, Altmann<br />
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Trieb K, Zettl T, Singer CF; Microarray analysis identifies distinct<br />
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P, Elbling L, Sutterluty H, Scotlandi K, Kotz R, Micksche M,<br />
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Apprich S, Trattnig S, Welsch GH, Noebauer-Huhmann<br />
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Fotos: R. Dorotka, C. Chiari<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 131
UNTERNEHMEN IN DER ORTHOPÄDIE
Über 125 <strong>Jahre</strong> <strong>im</strong> Dienst der Medizin<br />
Als vor mehr als 125 <strong>Jahre</strong>n die drei Brüder Robert,<br />
James und Edward Johnson den Grundstein<br />
<strong>für</strong> die Firma Johnson & Johnson legten, gab es<br />
in <strong>Wien</strong> an der <strong>Universitätsklinik</strong> noch keine <strong>Orthopädie</strong>.<br />
Erst 1889 wurde Prof. Dr. Adolf Lorenz<br />
in <strong>Wien</strong> Leiter der orthopädischen Abteilung an<br />
der I. Chirurgie. In New Jersey (USA) starteten<br />
die drei Brüder aber schon <strong>im</strong> Jahr 1886 mit der<br />
Herstellung von Produkten zur sterilen Wundversorgung,<br />
später folgten Erste-Hilfe-Kästen, Geburtshilfe-Kits<br />
und vieles mehr. Heute ist Johnson<br />
& Johnson eines der weltweit führenden Unternehmen<br />
auf dem Gebiet der Gesundheits<strong>für</strong>sorge.<br />
Das Portfolio erstreckt sich über die Bereiche<br />
Consumer Health Care, Pharmaceuticals sowie<br />
Medical Devices & Diagnostics und umfasst Produkte<br />
<strong>für</strong> die Babypflege ebenso wie Medikamente<br />
und min<strong>im</strong>alinvasive chirurgische Instrumente.<br />
Johnson & Johnson:<br />
Wundversorgung und Sterilisation<br />
Die erste Veröffentlichung des Unternehmens<br />
„Moderne Methoden der antiseptischen Wundbehandlung”<br />
<strong>im</strong> Jahr 1888 wird schnell zum Standardwerk<br />
in der antiseptischen Chirurgie. Sie<br />
trug dazu bei, die Anwendung steriler Behandlungsmethoden<br />
in Amerika und der ganzen Welt<br />
zu verbreiten. Mit den ersten kommerziellen Erste-Hilfe-Kästen<br />
betrat Johnson & Johnson völlig<br />
neues Terrain. Ursprünglich <strong>für</strong> Eisenbahner gedacht,<br />
wurden sie schnell zum Standard in der<br />
allgemeinen Wundversorgung.<br />
Johnson & Johnson leistete aber auch auf dem<br />
Gebiet der Wasserdampfsterilisation Pionierarbeit.<br />
1890 wurde die erste Anwendung <strong>für</strong> die<br />
Sterilisation von chirurgischen Geräten auf den<br />
Markt gebracht.<br />
DePuy – das erste<br />
<strong>Orthopädie</strong>-Unternehmen der Welt<br />
1895 gründete dann Revra DePuy das weltweit<br />
erste <strong>Orthopädie</strong>-Unternehmen der Welt: DePuy.<br />
Er war eigentlich Chemiker und arbeitete nach<br />
seinem Studienabschluss als Geschäftsreisender.<br />
Im späten 19. Jahrhundert wurden <strong>für</strong> gebrochene<br />
Glieder Holzstäben zur Fixierung verwendet.<br />
DePuy kam auf die Idee, Drahtgestelle da<strong>für</strong> zu<br />
verwenden, die viel passgenauer waren. Dies<br />
führte zur Firmengründungin in Warsaw/Indiana,<br />
da DePuy dort gerade als Geschäftsreisender unterwegs<br />
war. Er ließ sich in der Stadt nieder, heiratete<br />
die Tochter des lokalen Sheriffs und gründete<br />
seine <strong>Orthopädie</strong>-Firma. In der Folgezeit brachte<br />
DePuy weltweit auch die ersten Hüft- und Knieprothesen<br />
auf den Markt. 1998 wurde die Firma<br />
dann Teil von Johnson & Johnson.<br />
1886 gründeten drei Brüder<br />
Johnson & Johnson in New Jersey<br />
Robert Wood<br />
Johnson<br />
James Wood<br />
Johnson<br />
Edward Mead<br />
Johnson<br />
Das erste Erste-Hilfe-Paket war <strong>für</strong><br />
Notfälle bei Zugreisen gedacht<br />
134<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Unternehmen in der <strong>Orthopädie</strong><br />
Schon in der frühen Firmengeschichte legte<br />
Johnson & Johnson großen Wert auf soziale Verantwortung.<br />
Als 1906 ein verheerendes Erdbeben<br />
in San Francisco wütete, spendete Johnson<br />
& Johnson Produkte und Geld, um den betroffenen<br />
Menschen zu helfen – am meisten von allen<br />
Unternehmen dieser Zeit. Erste Hilfe war schon<br />
zuvor ein zentrales Thema. Das Unternehmen<br />
engagierte sich erneut in diesem Bereich, indem<br />
es erstmals Erste-Hilfe-Handbücher mit bewährten<br />
Methoden führender Ärzte herausgab. Die<br />
Handbücher waren Bestandteil der Erste-Hilfe-<br />
Sets von Johnson & Johnson. Und als am 14.<br />
Dezember 1911 Roald Amundsen den Wettlauf<br />
zum Südpol gegen seinen Rivalen Scott gewann,<br />
war ein Erste-Hilfe-Set von Johnson & Johnson<br />
mit von der Partie. 1910 übernahm James Wood<br />
Johnson die Leitung von Johnson & Johnson und<br />
führte das Unternehmen bis 1932. Während des<br />
1. Weltkrieges entwickelte Johnson & Johnson<br />
innovative Wundauflagen und Behandlungsmethoden<br />
<strong>für</strong> verwundete Soldaten. Die <strong>im</strong> Jahr<br />
1920 vom Mitarbeiter Earle Dickinson entwickelten<br />
Heftpflaster kamen als Band-Aid ® auf den<br />
Markt. Sie waren das erste Verbandsmittel <strong>für</strong><br />
kleine Wunden, das Verbraucher selbst kaufen<br />
und anwenden konnten – ein OTC-Produkt der<br />
ersten Stunden.<br />
Entwicklung zum Weltkonzern<br />
Nach dem Krieg begann mit dem ersten Betrieb<br />
in Kanada die dezentrale globale Expansion. Der<br />
erste Betrieb außerhalb des amerikanischen<br />
Kontinentes eröffnete 1924 in England. Ab 1930<br />
folgten auch Niederlassungen in Mexiko, Südafrika<br />
und Australien. 1959 übernahm Johnson<br />
DePuy zählt mit seiner mehr als<br />
100-jährigen Erfahrung zu den<br />
traditionsreichsten und marktführenden<br />
Unternehmen der<br />
endoprothetischen <strong>Orthopädie</strong>,<br />
Chirurgie und Traumatologie.<br />
1911: Roald Amundsen mit dem Erste-Hilfe-<br />
Päckchen von Johnson & Johnson am Südpol<br />
1920 kam Band-Aid<br />
auf den Markt<br />
1895 gründete dann Revra DePuy das weltweit erste <strong>Orthopädie</strong>-Unternehmen<br />
der Welt: DePuy<br />
Die Idee: Drahtgestelle<br />
statt der üblichen Holzstäbe<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 135
& Johnson schließlich die McNeil Laboratories in<br />
den USA sowie Cilag Chemie in Europa; 1961<br />
schloss sich das belgische Unternehmen Janssen<br />
Pharmaceutica ebenfalls der Gruppe an.<br />
Damit gelang es dem Unternehmen, sich eine<br />
starke Präsenz <strong>im</strong> weltweit wachsenden Arzne<strong>im</strong>ittelmarkt<br />
zu verschaffen. Neben dem Traditionsgeschäft<br />
mit chirurgischen Fäden erweiterte<br />
Johnson & Johnson auch <strong>im</strong> Bereich der<br />
Medizin produkte sein Portfolio laufend: In den<br />
1990er <strong>Jahre</strong>n leistete das Unternehmen Pionierarbeit<br />
<strong>im</strong> Bereich der min<strong>im</strong>alinvasiven Chirurgie<br />
und revolutionierte mit dem weltweit ersten<br />
Koronar stent die Kardiologie.<br />
Von Erste-Hilfe-Kästen über Zahnseide, Babyshampoo<br />
und Schmerzmittel zu High-Tech-Endoprothesen:<br />
Die Produktpalette von Johnson &<br />
Johnson hat sich in den <strong>Jahre</strong>n verändert und erweitert.<br />
Heute gliedert sich das Unternehmen in<br />
die drei Sektoren Medical Devices & Diagnostics<br />
(Medizinprodukte), Pharmaceuticals (z.B. Schizophrenie,<br />
Demenz, Onkologie, HIV/AIDS, Diabetes)<br />
sowie Consumer Health Care (z.B. Körper-, Babypflege-<br />
und Hygieneprodukte). In Österreich ist<br />
das Unternehmen mit allen drei Sparten vertreten.<br />
Ausbildungsprogramm von<br />
DePuy und Online-Plattformen<br />
Um eine professionelle OP-Begleitung und fundierte<br />
Beratungsleistung der Mitarbeiter zu sichern,<br />
hat DePuy ein spezifisches Ausbildungsprogramm<br />
entwickelt, das in der medizintechnischen Branche<br />
einmalig ist. Jeder Mitarbeiter durchläuft ein<br />
mehrwöchiges Intensivtraining. Nach dem Bestehen<br />
des Abschlusstestes erhält der Mitarbeiter ein<br />
spezielles Diplom, das ihn als zertifizierten Medizinprodukteberater<br />
auszeichnet. Professional Education<br />
ist generell ein zentrales Thema bei DePuy.<br />
Die Intention dahinter ist, eine gute Verknüpfung<br />
von theoretischem und praktischem Fachwissen zu<br />
gewährleisten. Daher werden karrierebegleitend<br />
zertifizierte und CME-akkreditierte Fortbildungen<br />
auch <strong>für</strong> die Ärzteschaft angeboten. In Hospitationen<br />
geben spezifizierte Operateure neue Techniken<br />
oder neue Produkte <strong>im</strong> Operationsgebiet an<br />
Kollegen weiter. Einzigartig ist auch die globale interaktive<br />
Online-Plattform (www.Do-Surgery.com)<br />
von DePuy <strong>für</strong> medizinisches Fachpersonal. Seit<br />
2008 bietet dieses Portal eine weltweite Komminikationsplattform<br />
<strong>für</strong> Ärzte, um sich über neue<br />
Operationsverfahren zu informieren, Fachwissen<br />
zu teilen und Fallstudien zu diskutieren. Diese Online-Community<br />
nutzen nun über 5.000 Teilnehmer<br />
aus 93 Ländern.<br />
Produktportfolio von DePuy<br />
DePuy zählt mit seiner mehr als 100-jährigen Erfahrung<br />
zu den traditionsreichsten Unternehmen<br />
der endoprothetischen <strong>Orthopädie</strong>, Chirurgie<br />
und Traumatologie. Entwicklungsschwerpunkte<br />
Im Vorjahr wurden beeindruckende 71.120 zementfreie<br />
Hüftschaftsysteme <strong>im</strong>plantiert<br />
Stolze 96,7 % Überlebensrate des Kniesystems von<br />
DePuy nach zehn <strong>Jahre</strong>n<br />
Gelenkerhaltende<br />
Schultertherapie<br />
Problemlösung zur<br />
Fixierung der Wirbelsäule<br />
136<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
liegen auch in den Bereichen Neurochirurgie,<br />
Arthro skopie und Sportmedizin. Innerhalb der<br />
DePuy-Gruppe stellt DePuy <strong>Orthopädie</strong>, einer der<br />
weltweit führenden und traditionsreichsten Anbieter<br />
von orthopädischen Produkten, den größten<br />
Geschäftsbereich dar. Vor allem <strong>im</strong> Bereich<br />
des künstlichen Knie- und Hüftgelenker satzes<br />
besteht ein komplettes Angebot an Produkten<br />
– individuell angepasst an die individuellen Bedürfnisse<br />
der Patienten.<br />
Für Patienten mit Endoprothesen ist es wichtig,<br />
sich auf ihr Implantat langfristig verlassen zu<br />
können. Daher dürfen Qualitätskontrollen nicht<br />
mit der Entlassung aus der Klinik enden. Hohe<br />
Nutzer zahlen und Registerdaten sind zuverlässige<br />
unabhängige Quellen, die Langzeitergebnisse<br />
zur nachhaltigen Qualitätssicherung <strong>für</strong> Ärzte,<br />
Patienten und Krankenhäuser belegen. So waren<br />
zementfreie Hüftschaftsysteme von DePuy mit<br />
71.120 auch 2011 die am meisten <strong>im</strong>plantierten<br />
Produkte in den Registern von England und Wales,<br />
Australien und Norwegen. Ein Kniesystem von<br />
DePuy wurde von mehr als 10.000 Operateuren<br />
in über 95 Ländern mehr als zwei Millionen Mal<br />
eingesetzt. Eine Metaanalyse der Daten der Kniegelenkregister<br />
in Schweden, Dänemark, Australien,<br />
Neuseeland und Großbritannien dokumentiert<br />
eine Überlebensrate von 96,7 % des Kniesystems<br />
nach zehn <strong>Jahre</strong>n. Die Hüftpfannensysteme sind<br />
seit rund zwölf <strong>Jahre</strong>n <strong>im</strong> Einsatz und wurden bei<br />
über 1.000.000 Patienten weltweit eingesetzt – bei<br />
einer Überlebensrate von 98,1 % nach sieben <strong>Jahre</strong>n.<br />
Auch <strong>im</strong> Bereich der Schulterendopro thetik<br />
kann DePuy auf 25 <strong>Jahre</strong> klinische Erfahrung bei<br />
weit über 100.0000 Implantaten verweisen. Die<br />
Produkte sind in der inversen Schulterendoprothetik<br />
der goldene Standard.<br />
DePuy Spine, das zweitgrößte Wirbelsäulenunternehmen<br />
der Welt, gehört als Geschäftsbereich<br />
ebenso zu DePuy. Hauptaugenmerk liegt auf<br />
der Erzeugung von Implantaten und Systemlösungen<br />
zur Fixierung, Fusion und <strong>für</strong> bewegungserhaltende<br />
sowie min<strong>im</strong>alinvasive Operationen<br />
an der Wirbelsäule. Ein weiterer Geschäftsschwerpunkt<br />
(DePuy Mitek) liegt in der orthopädischen<br />
und traumatologischen Chirurgie, der<br />
Arthro skopie und der Sportmedizin. Bei gelenkerhaltenden<br />
Therapien stehen die arthroskopischen<br />
Refixationseingriffe zur Behebung von Rupturen<br />
in Schulter- und Kniegelenken <strong>im</strong> Vordergrund.<br />
Für die Chirurgie am zentralen Nervensystem erzeugt<br />
DePuy Codman Implantate <strong>für</strong> die Neuromodulation.<br />
Die qualitativ hochwertigen und innovativen<br />
Produkte hoher Spezialisierung sind<br />
aus den heutigen neurochirurgischen Intensivstationen<br />
nicht mehr wegzudenken.<br />
Ein Dogma wird aber seit über 125 <strong>Jahre</strong>n <strong>im</strong><br />
gesamten Konzern verfolgt – das Streben nach<br />
Innovation, Verbesserung und Weiterentwicklung<br />
sowie ein hohes Maß an sozialer Verantwortung.<br />
Als eines der ersten Unternehmen bot Johnson &<br />
Johnson seinen Mitarbeitern umfassende Sozialleistungen<br />
und schrieb seine Verantwortung gegenüber<br />
Kunden, Mitarbeitern, dem Gemeinwesen<br />
und den Aktionären bereits 1943 in seinem<br />
Credo fest. Seit dem Erdbeben in San Francisco<br />
ist Corporate Social Responsibility Bestandteil der<br />
Unternehmensphilosophie.<br />
Meilensteine<br />
1886 Gründung von Johnson & Johnson<br />
1888 erster Erste-Hilfe-Kasten<br />
1890 erste Anwendung <strong>für</strong> die Sterilisation<br />
von chirurgischen Geräten<br />
1895 DePuy gründet das weltweit erste<br />
<strong>Orthopädie</strong>-Unternehmen der Welt<br />
1906 Erdbeben in San Francisco: Johnson<br />
& Johnson spendet am meisten<br />
1911 Amundsen erreicht als Erster den<br />
Südpol – mit einem Erste-Hilfe-Set<br />
von Johnson & Johnson<br />
1920 Band-Aid ® <strong>für</strong> Endverbraucher<br />
1924 Niederlassung in England<br />
1930 Niederlassungen in Mexiko, Südafrika<br />
und Australien<br />
1949 Ethicon geht aus dem Traditionsgeschäft<br />
mit chirurgischen Fäden hervor<br />
1959 McNeil Laboratories (US) und Cilag<br />
Chemie (Europa) übernommen<br />
1961 Anschluss Janssen Pharmaceutica<br />
1987 Acuvue ® – Einweg-Kontaktlinsen<br />
1990er Ethicon Endo-Surgery: Pionierarbeit<br />
in der min<strong>im</strong>alinvasiven Chirurgie<br />
1998 DePuy wird Teil der Johnson &<br />
Johnson Family of Companies<br />
1994 Cordis – der weltweit erste<br />
Koronarstent in der Kardiologie<br />
2010 Österreich: ein Standort <strong>für</strong> die drei<br />
Bereiche Health Care, Medical<br />
Devices und Pharmaceuticals<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 137
DIE WIENER UNIVERSITÄTSKLINIK<br />
FÜR ORTHOPÄDIE
Ärzte an der <strong>Universitätsklinik</strong> seit 1990<br />
Eintritt Austritt Eintritt Austritt<br />
OA Dr. Abdolvahab Farshid 01.12.1998 30.06.2010<br />
Dr. Abou-Nouar Ghaith 02.06.2009 31.05.2010<br />
Dr. Aigner Gregor 02.06.2003 30.09.2004<br />
Dr. Ata Khaled 01.10.2003 31.05.2005<br />
Dr. Bitzan Peter 01.10.1992 30.04.2001<br />
Dr. Bretschneider Wolfgang 01.08.1992 31.05.1997<br />
Prof. Dr. Brodner Wolfram 01.10.1992 30.09.2006<br />
OA Cetin Erdal 23.07.2001 30.09.2011<br />
Prof. Chiari Catharina 01.08.2001<br />
Dr. Dirnberger Eva 01.05.1997 30.04.2001<br />
Prof. Dominkus Martin 08.08.1991<br />
Dr. Domayer Stephan 19.09.2005<br />
OA Dr. Dorotka Ronald 04.08.1998 01.07.2009<br />
Dr. Eder Thomas 01.08.1997 15.05.2001<br />
Dr. Egger Gebhard 01.10.1994 30.09.1998<br />
Dr. Ehrendorfer Stefan 01.07.1992 29.02.1996<br />
Dr. Farr Sebastian 04.08.2008 31.02.2009<br />
Prof. Funovics Philipp 17.06.2002<br />
Prof. Giurea Alexander 01.07.1992<br />
Prof. Grohs Josef Georg 01.04.1994<br />
OA Dr. Gruber Martin 02.07.2001 Oktober 2009<br />
OA Dr. Grübl Alexander 09.06.1995 31.10.2006<br />
Dr. Guglia Peter 03.06.2002 02.06.2003..<br />
Dr. Hanslik-Schnabel Beatrice 19.11.1999 August 2005<br />
140<br />
Dr. Hauser-Schinhan 10.11.2008<br />
Dr. Hedwig Ulf 02.05.1990 31.12.1995<br />
Dr. Henriquez Puig Carlos Alberto 15.02.2006 28.02.2011<br />
Dr. Hieke Christian 03.01.2012<br />
Dr. Hofstätter Jochen 03.10.2005<br />
Dr. Hobusch Gerhard 02.02.2009<br />
Dr. Holinka Johannes 10.05.2004<br />
Prof. Holzer Gerold 01.10.1991<br />
Dr. Huber Wolfgang 02.05.1997 30.04.2005<br />
Dr. Ilbeygui Ramin 01.02.2006 31.05.2007<br />
Dr. Kolb Alexander 01.09.2004<br />
Dr. Koller Ulrich 01.04.2006<br />
Dr. Katterschafka Thomas 21.09.1992 30.04.2001<br />
Dr. K<strong>im</strong>mich Holger 09.12.1998 28.02.1999<br />
Prof. Krepler Petra 21.09.1992<br />
Dr. Kubista Bernd 16.09.2002<br />
Dr. Lang Thomas 01.09.1998 31.03.2004<br />
Dr. Lass Richard 01.05.2004<br />
Dr. Lothka Christian Georg 02.11.1994 31.01.1995<br />
Dr. Lunzer Andreas 01.07.2005<br />
Dr. Marquart Ulrike 02.05.2001<br />
OA Dr. Matzner Michael Paul 02.05.1997 30.06.2011<br />
Karenz bis 30.06.2013<br />
Dr. Matsuda Yasutaka 01.10.1994 20.06.1996<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Eintritt Austritt Eintritt Austritt<br />
Dr. Mayr Birgit 27.04.2009 31.08.2009<br />
Dr. Menschik Franz 01.07.1992 31.03.2000<br />
Dr. Mittermayer Florian 17.07.1995 30.06.2001<br />
Dr. Morscher Martin 01.03.1993 31.10.1998<br />
Prof. Nehrer Stefan 01.04.1992 28.02.2011<br />
Dr. Nemecek Elena 07.05.2012<br />
Dr. Nicolakis Michael 21.09.1992 30.09.2003<br />
Dr. Noske Helge 01.12.1998 31.10.2006<br />
Dr. Panotopoulos Joannis 29.12.2003 31.10.2013<br />
OA Dr. Pfeiffer Martin 01.10.2001 30.03.2010<br />
Dr. Puchner Stephan 21.02.2012<br />
Dr. Regner Johann 01.03.2009 28.02.2010<br />
Dr. Rois Stefan 04.02.2011 31.05.2011<br />
Dr. Roposch Andreas 15.05.1998 30.06.2005<br />
Prof. Sabeti-Aschraf 15.10.2001<br />
Dr. Sevelda Florian 01.08.2005<br />
Prof. Schatz Klaus-Dieter 01.05.1994<br />
Dr. Schmidt Max<strong>im</strong>ilian 01.07.2002 31.01.2012<br />
Dr. Schuh Reinhard 01.08.2011<br />
Dr. Schwameis Eva Maria 01.05.1994 30.09.2002<br />
Dr. Serek Markus 01.03.2010 30.06.2010<br />
Dr. Shalbi Salem Ramadan 23.01.2006 01.10.2009<br />
Prof. Skrbensky Gobert 01.05.1997<br />
Doz. Dr. Sluga Maria 07.04.1995 31.01.2009<br />
Dr. Stelzeneder David 01.06.2012<br />
Dr. Stihsen Christoph 02.11.2011<br />
Dr. Stockhammer Verena 01.11.2006<br />
OA Dr. Toma Cyril 01.05.1997 31.08.2011<br />
Prof. Trieb Klemens 01.08.1995 30.04.2006<br />
Dr. Tr<strong>im</strong>mel Georg 01.10.2004 31.01.2006<br />
Dr. Tschach Harald 01.11.1994 30.09.1998<br />
Dr. Ulreich Nikolaus Adrian 16.12.2004 28.02.2009<br />
Dr. Vavken Patrick 01.09.2005 30.09.2006<br />
Dr. Wanke-Jellinek Eleonora 11/2010<br />
OA Dr. Zehetgruber Harald 01.12.1999 31.08.2008<br />
Dr. Zerbst Melitta 01.03.2007 31.05.2007<br />
Dr. Ziai Pejman 12.01.2009 31.03.2011<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 141
Publikationen der <strong>Universitätsklinik</strong> seit 1990<br />
1990<br />
Delling G, Dreyer Th, Heise U, Kotz R,<br />
Winkler K, Salzer-Kuntschik M: Therapieinduzierte<br />
Veränderungen in Osteosarkomen<br />
- qualitative und quantitative morphologische<br />
Ergebnisse der Therapiestudie<br />
COSS80 und ihre Beziehung zur Prognose.<br />
Tumordiagn Ther 11: 167-174, 1990<br />
Engl A: Magnetic resonance knee arthrography.<br />
Enhanced contrast by gadolinium<br />
complex in the rabbit and in humans. Acta<br />
Orthop Scand Suppl. 240:1-57, 1990<br />
Engl A, Hamilton G, Hajek P, Fleischmann D:<br />
In vitro uptake 153gadolinium and gadolinium<br />
complexes by hyaline articular cartilage.<br />
Eur J Radiol. Sept-Oct;11(2):104-6, 1990<br />
Engel A, Petschnig R, Baron R, Ammer<br />
K: [The effect of meniscectomy on the<br />
strength of the femoral quadriceps muscle<br />
after more than 3 years]. <strong>Wien</strong> Klin Wochenschr.<br />
Nov 23;102(22):663-6, 1990<br />
Eyb R, Kotz R: Die transtrochantäre Osteotomie<br />
nach Sugioka. Ergebnisse der Operationen<br />
1975-1983. Orthopäde 19: 231-<br />
235, 1990<br />
Kainberger FM, Engel A, Barton P, Buebsch<br />
P, Neuhold A, Salomonowitz E:<br />
Injury of the Achilles tendon: diagnosis<br />
with sonography. AJR Am J Roentgenol.<br />
Nov;155(5):1031-6, 1990<br />
Kirchhe<strong>im</strong>er JC, Wanivenhaus A: Declines<br />
in the range of motion and malalignment in<br />
hands of patients with juvenile rheumatoid<br />
arthritis studied over 6 years. J Rheumatol<br />
17: 1563-1656, 1990<br />
Knahr K, Salzer M, Schmidt W: A radiological<br />
analysis of uncemented PCA tibial <strong>im</strong>plants<br />
with a follow-up period of 4-7 years.<br />
J Arthroplasty. Jun;5(2):131-41, 1990<br />
Kotz R, Ritschl P, Kropej D, Capanna R:<br />
Cementless modular prostheses. Basic<br />
concepts and evolution. Chir Organi Mov.<br />
75(1 Suppl):177-8, 1990<br />
Kramer J, Schratter M, Pongracz N, Neuhold<br />
A, Stiglbauer R, Imhof H: Spondylitis:<br />
Erscheinungsbild und Verlaufsbeurteilung<br />
mittels Magnetresonanztomographie. Rofo-Fortschr<br />
Rontg 153: 131-136, 1990<br />
Kropej D, Wanivenhaus A, Wurnig C,<br />
Traxler M, Wagner T: [Significance of<br />
transverse forefoot stabilisation in the<br />
treatment of hallux valgus. Compara tive<br />
study of clinical/radiologic short-term<br />
results]. Z Orthop Ihre Grenzgeb. Mar-<br />
Apr;128(2):165-9, 1990<br />
Ritschl P, Lintner F, Pechmann U, Brand G:<br />
Fibrous metaphyseal defect. Int. Orthop.<br />
14(2):205-11, 1990<br />
Ritschl P, Missaghi S, Wurnig Ch, Schiessel<br />
R, Pechmann U, Kotz R: Operative procedures<br />
in tumors of the sacrum - results of<br />
26 cases. Chir Organi Mov. 75(Suppl 1):<br />
111-113, 1990<br />
Schratter M, Kramer J, Kropej D, Ritschl<br />
P, Imhof H: [MRT in the follow-up of the<br />
healing process of spongy bone transplants<br />
– initial experiences]. Rofo.<br />
Sep;153(3):283-8, 1990<br />
Schratter M, Kropej D, Ritschl P, Wurnig<br />
C, Imhof H: MRI study of bone graft<br />
incorporation. Chir Organi Mov. 75<br />
(1 Suppl):191-4 , 1990<br />
Stefenelli T, W<strong>im</strong>berger D, Harmuth P,<br />
Engel A, Lack W, Samec P, Silberbauer K:<br />
[Angioologic, neurologic and orthopaedic<br />
findings in vibration exposed chain saw<br />
operators]. <strong>Wien</strong> Klin Wochenschr. Jan<br />
5;102(1):24-7, 1990<br />
Stiskal M, Neuhold A, Weinstabl R, Kainberger<br />
FM, Gisinger B: MR-tomographische<br />
Befunde bei Achillodynie. Rofo-Fortschr<br />
Rontgen 153: 9-13, 1990<br />
Wanivenhaus A, Gottsauner-Wolf T, Brettschneider<br />
W, Seidl G, Ruatti H: [2-4 year<br />
results of the cementless application of<br />
the PCA unicondylar knee prosthesis.<br />
Clinico-radiological histomorphological<br />
study]. Z Orthop Ihre Grenzgeb. Nov.-<br />
Dec;128(6):612-6, 1990<br />
Widhalm R, Höfer G, Krugluger J, Bartalsky<br />
L: Ist die Gefahr der Sportverletzung<br />
oder die Gefahr der Inaktivitätsosteoporose<br />
be<strong>im</strong> Hüftprothesenträger größer? Folgerungen<br />
auf die Dauerhaftigkeit von Prothesenverankerungen.<br />
Z Orthop Grenzgeb<br />
128: 139-143, 1990<br />
Windhager R, Lack W, Schiller Ch, Kotz R:<br />
Die Beckenosteotomie nach Salter in der<br />
Behandlung der kongenitalen Hüftluxation<br />
und Hüftdysplasie unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Beckenkippung. Z Orthop<br />
Grenzgeb 128: 575-583, 1990<br />
Winkler K, Bielack S, Delling G, Salzer-Kuntschik<br />
M, Kotz R, Greenshaw<br />
C, Jürgens H, Ritter J, Kusnierz-Glaz<br />
C, Erttmann R, Gädicke G, Graf N, Ladenstein<br />
R, Levyraz S, Mertens R, Weinel<br />
P: Effect of intraarterial versus<br />
intravenous cisplatin in addition to systemic<br />
doxorubicin, high dose methotrexate,<br />
and ifosfamide on Histo logic tumor<br />
response in osteosarcoma (Study COSS-<br />
86). Cancer 66: 1703-1710, 1990<br />
1991<br />
Bieling P, Bielack S, Delling G, Jürgens<br />
H, Kotz R, Dose C, Asthe<strong>im</strong>er H, Exner<br />
G, Gadner H, Graf N, Ritter J, Salzer-Kuntschik<br />
M, Weinel P, Winkler K:<br />
Neoadjuvante Chemotherapie des Osteosarkoms.<br />
Vorläufige Ergebnisse der kooperativen<br />
Osteosarkom-Studie COSS-86.<br />
Klin Padiatr 203: 220-230, 1991<br />
Buchelt M, Katterschafka T, Horvat R, Kutschera<br />
HP, Kickinger W, Laufer G: Fluorescence<br />
guided exc<strong>im</strong>er laser ablation of<br />
intervertebral discs in vitro. Lasers Surg<br />
Med. 11(3):280-6 1991<br />
Engel A, Feldner-Busztin H: Bilateral stress<br />
of the scaphoid. A Case report. Arch Orthop<br />
Trauma Surg. 110(6):314-5 1991<br />
Gottsauner-Wolf F, Kotz R, Knahr K, Kristen<br />
H, Ritschl P, Salzer M: Rotationplasty<br />
for l<strong>im</strong>b salvage in the treatment of malignant<br />
tumors at the knee. A follow-up study<br />
of seventy patients. J Bone Joint Surg Am.<br />
Oct;73(9):1365-75 1991<br />
Kirchhe<strong>im</strong>er JC, Remold HG, Wanivenhaus<br />
A, Binder BR: Increased proteolytic activity<br />
on the surface of monocytes from patients<br />
with rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum.<br />
Nov;34(11):1430-3 1991<br />
142<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
Kotz R: Die Umkehrplastik bei malignen Tumoren der<br />
unteren Extremität. Operat Orthop Traumatol 3: 117-<br />
129, 1991<br />
Kotz R, Schiller C, Windhager R, Ritschl P: Endoprostheses<br />
in Children. L<strong>im</strong>b Salvage in Paediatric Surgery. 591-<br />
599, 1991<br />
Kropej D, Schiller C, Ritschl P, Salzer-Kuntschik M, Kotz R:<br />
The management of IIB osteosarcoma. Experience from<br />
1976 to 1985. Clin Orthop Relat Res. Sep;(270):40-4 1991<br />
Lack W, Eyb R, Leber H. [The lateral profile of the lumbar<br />
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Epub Apr 10. Aug;470(8):2274-9, 2012<br />
Publikationen vor 1990<br />
Frühere Auflistungen und<br />
Publikationen sind in folgenden<br />
Büchern veröffentlicht:<br />
100 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> an der Universität<br />
<strong>Wien</strong>, Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. R. Kotz,<br />
Dr. A. Engel, Dr. C. Schiller, Verlag der<br />
<strong>Wien</strong>er Medizinischen Akademie, <strong>Wien</strong>, 1987<br />
Univ.-Prof. Dr. Karl Chiari, Orthopäde,<br />
1912 – 1982. Orthopädische <strong>Universitätsklinik</strong><br />
<strong>Wien</strong>, 1985 – 1990. Herausgeber:<br />
Univ.-Prof. Dr. R. Kotz, Univ.-Doz. Dr. A.<br />
Engel, Dr. C. Schiller, Verlag der <strong>Wien</strong>er<br />
Medizinischen Akademie, <strong>Wien</strong>, 1991<br />
164<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong>
e-book-edition<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
Erschienen anlässlich des Jubiläumsfestes am 7. Dezember 2012<br />
Erscheinungsort: <strong>Wien</strong><br />
Erstauflage: <strong>50</strong>0 Stück<br />
ISBN: 978-3-200-02880-7<br />
Für den Inhalt verantwortlich: o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager,<br />
ao. Univ.-Prof. in Dr. in Catharina Chiari;<br />
Medizinische Universität <strong>Wien</strong>, <strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong><br />
Koordination & Abwicklung: Mag. a Teresa Zettl<br />
Konzept & Gestaltung: Unl<strong>im</strong>ited Media – video, web, print & more/<strong>Wien</strong><br />
Druck: Satzweiss.com Print, Web, Software/Saarbrücken<br />
Kontakt:<br />
E-Mail: teresa.zettl@meduniwien.ac.at<br />
Tel.: 404 00 – 4082, Fax: 404 00 – 4029<br />
Adresse: 1090 <strong>Wien</strong>, Währinger Gürtel 18 – 20<br />
Web: www.meduniwien.ac.at/orthopaedie<br />
online-edition (Download)<br />
www.meduniwien.ac.at/orthopaedie<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 165
1887 – 2012<br />
e-book-edition<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
<strong>Universitätsklinik</strong> <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong><br />
Vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n, am 7. Dezember 1962, gab Prof. Dr. Karl Chiari<br />
freudestrahlend die Eröffnung der ersten österreichischen<br />
Univ.-Klinik <strong>für</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>Wien</strong>er <strong>AKH</strong> bekannt. Für das<br />
Fach <strong>Orthopädie</strong> war das ein wichtiger Tag, da endlich die<br />
lang ersehnte Eigenständigkeit als selbstständiges Lehrfach<br />
und eigenes Forschungsgebiet auch offiziell bestätigt wurde.<br />
Die Tradition reicht aber 125 <strong>Jahre</strong> zurück. Seit damals trug<br />
<strong>Wien</strong> in vielen Bereichen wesentlich zur Entwicklung des Faches<br />
bei. Und die Erfolgsstory hält noch <strong>im</strong>mer an.<br />
R. Windhager/C. Chiari, <strong>Wien</strong> 2012<br />
ISBN: 978-3-200-02880-7