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Celia Williams<br />

Kämpfe <strong>im</strong> Neandertal<br />

Gay Romance<br />

Diese Geschichte ist für alle meine treuen Leser bei BookRix. Ich hoffe, ihr habt mit meinen<br />

Steinzeit-Jungs genauso viel Freude wie ich. Eure Celia


Wichtige Hinweise:<br />

Sämtliche Personen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur<br />

zufällig.<br />

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für<br />

homophobe Menschen nicht geeignet. Im wahren Leben gilt ein verantwortungsbewusster<br />

Umgang miteinander und Safer‐Sex!<br />

Diese Geschichte ist allein lesbar, gehört aber zur Neandertaler-Reihe:<br />

Band 1: Willkommen <strong>im</strong> Neandertal<br />

Band 2: Grüße aus dem Neandertal<br />

Band 3: Kämpfe <strong>im</strong> Neandertal


Ursache und Wirkung<br />

Als der Hausmeister des Museums an Tobias Tür klopfte, ruckte dessen Kopf hoch.<br />

Völlig vertieft hatte er sich auf die Tonscherben von der Neandertaler-Fundstätte<br />

konzentriert. Lächelnd begrüßte er den älteren Mann, den guten Geist der Institution.<br />

„Was bringst du mir schönes?“<br />

Erich hob einen dicken braunen Umschlag in die Höhe und lächelte breit.<br />

Die Analysen! Freudig sprang Tobias von seinem Hocker und ging seinem Freund<br />

entgegen. Blitzschnell riss er das große Kuvert auf und zog die Akte heraus. Gemeinsam<br />

mit Erich beugte er sich über die Papiere. Graphiken, wissenschaftliche Texte, Skizzen und<br />

Tabellen sprangen ihnen entgegen.<br />

„Du kannst da was rauslesen?“, erkundigte sich Erich ehrfürchtig.<br />

Nickend bestätigte Tobias und erklärte: „Kannst du auch, wenn du sie dir mit etwas<br />

Ruhe ansiehst.“ Dabei legte er eine Tabelle vor Erich ab und dieser nahm natürlich die<br />

Herausforderung an. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Daten. Vorne<br />

standen lateinische Namen, wenn er es richtig beurteilte, handelte es sich dabei um<br />

Pflanzennamen, hinten standen Zahlen in Gramm. Könnte das die Analyse des<br />

Mageninhalts sein? „Mageninhalt?“<br />

Nickend sah Tobias Erich an und erklärte: „Es handelt sich um die letzte Mahlzeit des<br />

Homo sapiens. Auf dem nächsten Blatt findest du die Zusammenstellung des Essens des<br />

Neandertalers. Wir können sehr viel aus diesen Daten ableiten.“<br />

Jetzt wiederum nickte der ältere Mann und richtete sich wieder auf. Sein Rücken<br />

mochte es nicht sonderlich, wenn er so nach vorne gebeugt herum stand. „Ich muss als<br />

nächstes zu den Archäologen. Soll ich Damian Bescheid sagen, dass die Analyse da ist?“<br />

Freudig lächelnd bestätigte Tobias und begleitete Erich bis zu Bürotür. Danach kehrte<br />

er schnell an seinen Arbeitsplatz zurück und vertiefte sich in die Papiere.<br />

***<br />

Am Lagerfeuer tummelten sich die Mitglieder von Bromms Sippe und ihre Besucher. Die<br />

vierköpfige Jagdgesellschaft eines anderen Stammes kam am späten Nachmittag vorbei<br />

und Bromm lud sie daher zum gemeinsamen Essen ein.<br />

Prahl beäugte die vier Männer kritisch. Sie wirkten heruntergekommen und ihre Felle<br />

abgerissen. Alles an ihnen machte den Eindruck von schlechter Planung und genauso<br />

miserabler Nutzung der natürlichen Ressourcen. Der Schwächliche hatte bei den Vieren<br />

einfach kein gutes Gefühl. Alles in ihm schrie: „Gefahr“. Trotzdem konnte er seine Sorge<br />

nicht an etwas Best<strong>im</strong>mtem fest machen. Es blieb Prahl nur die Möglichkeit alles zu<br />

beobachten und die Fremden nicht aus den Augen zu lassen.<br />

Natürlich bemerkte Bromm die Unruhe seines Gefährten. Liebevoll nahm er ihn in den<br />

Arm und erkundigte sich nach seinen Sorgen.<br />

Hilflos sah Prahl zu Bromm auf und sah seiner Breitnase tief in die dunklen Augen:<br />

„Ich misstraue den Fremden. Sie wirken irgendwie verzweifelt. Verzweifelte Menschen tun<br />

Ding, vor denen andere zurück schrecken.“


Nachdenklich nickte Bromm und drückte seinen Kleinen liebevoll. In der ganzen Zeit,<br />

in der sie nun ein Lager und ihr Leben teilten, hatte der Grobknochige gelernt auf seinen<br />

kleinen Schwächlichen zu hören. Die Instinkte des hellhaarigen Mannes waren extrem gut<br />

ausgeprägt. Er witterte Gefahr einen Tagesmarsch gegen den Wind und man sollte seine<br />

Ängste durchaus ernst nehmen.<br />

Erstmals betrachtete der Anführer der Neandertaler-Sippe die Fremden mit den Augen<br />

eines kritischen Beobachters. Dabei entdeckte er deren taxierendes Verhalten. Jeder der<br />

Vier inspizierte die Frauen, ihre Ausrüstung, ihre Bekleidung und das Angebot an Nahrung<br />

und Vorräten. Hier bestand die Gefahr eines Überfalls. Jetzt verstand Bromm Prahls<br />

Befürchtungen. Durch einen Fingerzeig alarmierte Bromm seine Jäger und die Männer<br />

bewaffneten sich unauffällig. Jeder nahm einen strategischen Standort ein und behielten<br />

die Fremden <strong>im</strong> Auge. Jetzt hatten sie keine Chance mehr etwas zu erreichen.<br />

Dies erkannten wohl auch die Besucher. Nach dem gemeinsamen Essen<br />

verabschiedeten sie sich und verschwanden in der Dunkelheit.<br />

Besorgt sah Prahl ihnen hinterher. Diese Sache war noch nicht ausgestanden.<br />

Auch Bromm ahnte, dass da noch etwas nachkommen würde. Seufzend schloss er<br />

seinen Schwächlichen in die Arme und küsste seine Schläfe: „Wir werden Wachen<br />

aufstellen. Ich möchte nicht <strong>im</strong> Morgengrauen überrannt werden.“<br />

Wieder gab Prahl ihm Recht, bevor er sich in ihre Wohnhöhle zurückzog.<br />

***<br />

Als Damian bei Tobias eintraf, schäumte dieser gerade vor Wut. Der Forensiker, der die<br />

Analyse der verheilten Knochenbrüche der beiden Steinzeitmenschen vorgenommen hatte,<br />

ließ seine eigene Meinung in seine Texte einfließen und widersprach damit Tobias von<br />

Grund auf. Der ihm unbekannte Wissenschaftler zog jeden seiner Schlüsse in Zweifel,<br />

selbst das Fett <strong>im</strong> Rektum des Homo sapiens interpretierte er anders als Tobias. Verhielt<br />

sich Tobias engstirnig? Hatte er eine zu eingeschränkte Weltsicht aufgrund seiner eigenen<br />

sexuellen Ausrichtung? Er brauchte eine zweite Meinung. Als er aufblickte entdeckte er<br />

gerade seinen Partner durch die Tür kommen. Erleichtert lächelte er ihn an.<br />

Was für eine Begrüßung! Damian freute sich extrem, dass ihn Tobias regelrecht<br />

anstrahlte. Sofort umrundet er dessen Schreibtisch und ließ sich von seinem wesentlich<br />

größeren Freund fest in die Arme nehmen. Anlehnungsbedürftig? So kannte Damian<br />

Tobias gar nicht. Seit ihrem Besuch des Gala-Diners hatte sich ihre Beziehung subtil<br />

verändert. Mittlerweile ging Tobias nicht mehr so auf Distanz und gab viel mehr seinen<br />

Gefühlen und Impulsen nach. Es fand eine Annährung zwischen ihnen statt.<br />

Vom Charakter her könnten sie ja auch nicht unterschiedlicher sein. Damien von<br />

Strahlen, der bunt schillernde Paradiesvogel und Tobias Harthausen der distinguierte<br />

konservative Wissenschaftler, Welten prallten aufeinander und trotzdem ergaben sie ein<br />

perfektes Ganzes. Da beide <strong>im</strong> Landesmuseum für Menschheitsgeschichte des Landes<br />

Nordrhein-Westfalen arbeiteten, ergänzten sie sich auch beruflich perfekt. Tobias war<br />

Paleoanthropologe und Damien Archäologe. Zusammen konnten sei alles erreichen.<br />

Seit Tobias Analyse des Mumienfundes in der Nähe der Düssel hatte der<br />

großgewachsene und extrem attraktive Anthropologe Furore gemacht und das nicht nur<br />

in der Fachpresse. Selbst die Bild-Zeitung hatte über den Fund berichtet. Der Fund eines


schwulen Steinzeitpaares schlug ein wie eine Bombe. Für alle Homophobiker war dies<br />

regelrecht ein Schlag unter die Gürtellinie.<br />

„Was beschäftigt dich, Liebling?“, erkundigte sich Damian bei seinem Partner.<br />

Tobias fuhr mit den Fingern durch Damians franzig geschnittenes Haar und sah ihm<br />

tief in die kajalumrandeten Augen. Seufzend deutete er mit dem Kinn in Richtung<br />

Unterlagen. „Könntest du da reinsehen und mir deine Meinung sagen?“<br />

„Sicher“, kam es ohne Zögern von Damian. Als ihn Tobias das letzte Mal um so etwas<br />

bat, fand er sich mit einem schwulen Steinzeitpärchen konfrontiert. Auf was würde er<br />

heute stoßen.<br />

Während Tobias noch <strong>im</strong>mer die Hände auf Damians Hüften hatte, begann diese die<br />

Akte zu studieren. Mit jeder Minute die verging wurde der Gesichtsausdruck des Lesenden<br />

finsterer und gr<strong>im</strong>miger. „Den hat wohl der Hafer gestochen! Spinnt der? Es ist nicht seine<br />

Aufgabe unsere Daten zu analysieren, er soll nur Ergebnisse und Zahlen liefern!“<br />

Ruckartig sah Damian zu Tobias auf und entdeckte, dass diesem gerade ein Stein vom<br />

Herzen fiel.<br />

„Ich hab mich gefragt, ob ich voreingenommen oder einfach nur empfindlich bin. Aber<br />

meine Bedenken sind also berechtigt?“, erkundigte sich Tobias bei seinem Partner.<br />

Als Antwort erhielt er ein heftiges Nicken: „Dieser Analyst hat seine Kompetenzen weit<br />

überschritten. Mit einer solchen Subjektivierung führt er jede objektive wissenschaftliche<br />

Untersuchung ad absurdum. Damit musst du zum Kurator. Das geht so nicht.“<br />

Nach einem tiefen Durchatmen griff sich Tobias den Telefonhörer und wählte die<br />

Nummer ihres Museumsleiters. Natürlich landete er bei dessen Assistentin, die für ihn<br />

einen Termin bei Dr. Ungefehr ausmachte.<br />

„Um fünfzehn Uhr bei Ungefehr. Willst du mich begleiten?“, erkundigte sich Tobias bei<br />

Damian.<br />

Doch sein Partner schüttelte den Kopf: „Das würde defensiv wirken. Aber es wäre<br />

sinnvoll, wenn du einem anderen Kollegen noch auf die Analysen sehen lassen würdest,<br />

einen heterosexuellen, wenn möglich. Es wäre objektiver, wenn die Beschwerde nicht nur<br />

von uns beiden käme.“<br />

Wieder st<strong>im</strong>mte Tobias seinem Freund zu und verließ zusammen mit ihm sein Büro.<br />

Zwei Büros weiter hatte ein netter Kollege von Tobias sein Domizil. Diesem wollte er die<br />

Analysen zeigen. Dort trennten sich Damians und Tobias Wege. Während Tobias<br />

anklopfte und wartete, ging Damien den Gang weiter hinunter bis zum Treppenhaus. Als<br />

Damian gerade die Tür zur Stiege aufstieß, wurde auch Tobias hereingebeten.


Kämpfe aller Art<br />

Lärm und Radau rissen Bromm und Prahl aus dem Schlaf. Sie wurden überfallen!<br />

Anders konnte man die verängstigten Schreie nicht interpretieren. Sofort waren die<br />

beiden Männer auf den Beinen und beide griffen sich die nächstbeste Waffe, der sie<br />

habhaft wurden. Bromm stürzte mit einem großen Prügel ins Freie, während Prahl einen<br />

Speer in Händen hielt, der ihn noch um einiges überragte. Beide hatten ihr Arsenal<br />

perfekt für ihre eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten zusammengestellt. Bromm verfügte<br />

über eine <strong>im</strong>mense Stärke, die solche Knüppel und Prügel zur perfekten Angriffswaffe für<br />

ihn machten. Prahl hingegen handelte eher taktisch und vorsichtig. Er überrumpelte und<br />

überraschte seine Gegner und überwältigte sie mit List und Tücke und nicht durch<br />

brachiale Gewalt.<br />

Bromm näherte sich dem Höhlenausgang und verharrte <strong>im</strong> Schatten der Höhlenwand.<br />

Wie ein wilder Stier warf er sich auf den ersten Angreifer und erschlug ihn kurzerhand mit<br />

seiner Keule.<br />

Auch Prahl verließ leise und verstohlen die Höhle. Er bewegte sich geduckt an der<br />

Steinwand entlang und brachte sich in die opt<strong>im</strong>ale Position. Mit dem erhobenen Speer<br />

warf er sich einem der Fremden entgegen. Sie kamen diesmal nicht nur zu viert. Es<br />

handelte sich um mehr als zehn Männer, alle in abgerissenen und schmutzigen Fellen.<br />

Man sah ihnen den Hunger und die Verwahrlosung an. Zielsicher attackierte Prahl die<br />

Kniekehle eines Angreifers, schlug ihm mit dem Holzstab ins Gelenk und erstach ihn<br />

anschließend mit der scharf geschliffenen Steinspeerspitze. Mit diesen Spießen erlegen sie<br />

normalerweise Wollnashörner oder Mammuts. Ein Grobknochiger stellte daher kein<br />

Problem dar. Gekonnt ließ Prahl den Stab um sich wirbeln, traf fremde Kämpfer an<br />

Armen, Beinen, am Kopf, in die Weichteile und setzte so viele wie möglich außer Gefecht.<br />

Dabei bewegte er sich in Zentrum des Kampfes wie ein wildgewordener Derwisch. Seine<br />

Jägerkollegen hatten sich am Rand aufgebaut und nutzen die Ablenkung, die Prahl schuf,<br />

um die Aggressoren einfach hinterrücks zu Erschlagen.<br />

Natürlich funktionierte diese Taktik, aber es gab auch auf ihrer Seite Verletzte und<br />

Verwundete. Als der Kampf endlich endete, lagen alle Fremden tot auf dem Platz und<br />

leider auch einige ihrer eigenen Sippenmitglieder. Auch Prahl kauerte in der Hocke und<br />

hielt sich die schmerzenden Rippen. Einer der eingefallenen Breitnasen hatte ihn mit<br />

seinem Prügel getroffen und er hatte das Knirschen regelrecht hören können. Sofort <strong>im</strong><br />

Anschluss raste der Schmerz durch seinen Körper und machte ihm das Atmen schwer.<br />

Suchend sah sich Bromm um. Fast sofort entdeckte er seinen knienden Gefährten.<br />

Schweratmend, mit Blut <strong>im</strong> Gesicht und auf den Kleidern befand er sich in der Mitte des<br />

nun beendeten Tumults. Die Tatsache, dass sich Prahl einer solchen Gefahr aussetzte ließ<br />

Bromm wütend knurren. Natürlich verstand er Prahls Verhalten. Sein Kleiner war ebenso<br />

Mann wie jeder andere auch und ihre Strategie hatte <strong>im</strong> Kampf genauso gut funktioniert<br />

wie bei der Jagd, trotzdem gefiel es ihm nicht, wenn sich sein Partner als Zielscheibe<br />

anbot. Natürlich hielten ihn die Angreifer für leichte Beute, die sie leicht überwältigen<br />

konnten, doch darin täuschten sie sich. Was Prahl an Kraft fehlte, machte er durch<br />

Wendigkeit und Geschicklichkeit wett.


Besorgt näherte sich Bromm seinem Gefährten und ging nehmen ihm in die Hocke. So<br />

schwer wie er atmete, schien er verletzt zu sein. Hoffentlich würde er sich von der<br />

Verletzung erholen. „Was fehlt dir?“<br />

Prahls zitternde Hand legte sich auf Bromms muskulöse Schulter: „Ich bekomme so<br />

schlecht Luft. Ich denke meine Rippen sind gebrochen. Das wird heilen.“<br />

Beide wussten, dass dies in den meisten Fällen st<strong>im</strong>mte. Wenn sich nicht irgendwelche<br />

Splitter ins Körperinnere bohrten überlebten die meisten Verletzten einen solchen<br />

Knochenbruch. Auch Bromm hatte kleinere Verletzungen davongetragen. Zwei Finger<br />

seiner linken Hand standen in seltsamem Winkel ab und er würde sie zügig richten<br />

müssen. Vielleicht blieben sie auch steif. Wenn dies geschah, würde er damit klar<br />

kommen, zumal nicht seine dominante Hand betroffen war.<br />

Prahl inspizierte die abstehenden Finger und umfasste sie vorsichtig mit seiner Hand.<br />

Dann sah er zu seinem Geliebten auf. Als sie sich tief in die Augen sahen, ruckte er schnell<br />

an den Fingern und richtete sie wieder. Die einzige Reaktion die Bromm zeigte, war ein<br />

hartes Zusammenbeißen der Zähne und ein tiefes kehliges Knurren. Prahl hatte sich da<br />

weniger <strong>im</strong> Griff. Ein gequältes W<strong>im</strong>mern entkam seinen zitternden Lippen. Er fühlte<br />

Bromms Schmerz, als wäre es sein eigener.<br />

Der Grobknochige hob langsam seine Hand und strich seinem Schwächlichen eine<br />

schweißfeuchte Strähne aus dem Gesicht. Er liebte ihn. Anders konnte er diese<br />

Empfindung nicht benennen, auch wenn er es ihm niemals sagen würde.<br />

***<br />

Um punkt drei betrat Tobias das Büro seines Kurators. Dr. Ungefehr bat ihn Platz zu<br />

nehmen und erkundigte sich nach dem Grund seines Hierseins. Ohne Kommentar schob er<br />

dem Museumsleiter die Unterlagen der Forensik hinüber und wartete, bis dieser sie<br />

gesichtet hatte.<br />

Schnell überflog der Mittfünfziger die Daten und stockte ebenso wie Tobias, Damian<br />

und auch deren Kollege bei mehreren Formulierungen. Je weiter er blätterte und je mehr<br />

er las, umso ärgerlicher wurde er.<br />

Erleichterung machte sich in Tobias breit. Dr. Ungefehr beurteilte die Sachlage wohl so<br />

wie er selbst. Auf dieser Basis konnte man nicht wissenschaftlich arbeiten. Vorurteile<br />

gehörten nicht in diesen Prozess und musste unbedingt el<strong>im</strong>iniert werden. Da sie kein<br />

eigenes forensisches Labor zur Verfügung hatten, bedienten sie sich eines privaten. Doch<br />

mit dieser Aktion hatte es sich als wissenschaftlicher Dienstleister disqualifiziert.<br />

Harsch klappte Ungefehr die Akte zu und sah wutentbrannt zu Tobias auf: „Ich<br />

verstehe warum sie hier sind. Für sie muss das wie ein Schlag ins Gesicht sein. Es ist<br />

unerhört, dass sich ein Forensiker anmaßt unsere Arbeit besser tun zu können als wir. Das<br />

hört auf, auf der Stelle. Ich kümmere mich um eine erneute Auswertung der Daten.“<br />

Natürlich st<strong>im</strong>mte Tobias diesem zu, aber dann brachte er noch einen Vorwand vor:<br />

„Eine neue Analyse ist <strong>im</strong> Grunde nicht notwendig. Nur die Texte müssten neu formuliert<br />

werden. Dies könnte problemlos auf Basis der Tabellen und Graphiken auch ein<br />

wissenschaftlicher Assistent tun, vorausgesetzt, er wäre nicht in der Paleoanthropologie<br />

tätig. Das würde dem Museum <strong>im</strong>mense Kosten sparen.“<br />

Nickend gab Dr. Ungefehr seinem Untergebenen Recht. Dann ergänzte er noch: „Ich


werde an das Institut schreiben und unseren Vertrag kündigen. Es gibt genug Labore, die<br />

diese Arbeit übernehmen können. Wir sind nicht unbedingt auf diese angewiesen.“<br />

„Danke. Ich wollte keinen Ärger machen. Aber mit diesen Daten kann ich nicht objektiv<br />

weiterarbeiten. Sie führen in dieser Form all meine bisherigen Ergebnisse ad absurdum<br />

und widersprechen jedem Schluss, den ich gezogen habe.“<br />

„Es ist meine Aufgabe, meinen Wissenschaftlern das passende Arbeitsmaterial an die<br />

Hand zu geben. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, muss umgehend gegengesteuert<br />

werden. In der Privatwirtschaft gibt es auch keine zweiten Chancen und es wird Zeit, dass<br />

diese Praktik auch <strong>im</strong> staatlichen Sektor endlich Anwendung findet. Wirtschaftlichkeit,<br />

Effizienz und wissenschaftliches Arbeiten schließen sich nicht unbedingt aus.“ Man merkte<br />

Gerhard Ungefehr an, dass er davon felsenfest überzeugt war und diese Meinung auch<br />

ganz öffentlich vertreten würde.


Weitreichende Folgen<br />

Die Breitnasen schafften als erstes die Leichen ihrer Angreifer aus ihrer Siedlung.<br />

Anschließend kümmerten sie sich um ihre Verletzten. Es gab nur einige Knochenbrüche,<br />

Platzwunden und einige Abschürfungen. Leider gab es auch drei Tote.<br />

Tief traurig kniete Prahl neben den Leichen von Harin und seiner Gefährtin. Man hatte<br />

dem Jäger mit einem schweren Stein den Schädel eingeschlagen und Reava verblutete,<br />

als man ihr die Kehle durchschnitt. So wie es aussah, hatte sie sich über ihren gefallenen<br />

Gefährten gebeugt und wurde so zur leichten Beute. Die Beiden hinterließen fünf Kinder,<br />

drei Jungen und zwei Mädchen. Jetzt war es ihre Aufgabe, die Kinder gut unterzubringen.<br />

Der dritte Tote war ihr Ältester. Er hatte der Sippe <strong>im</strong>mer mit Rat zur Seite gestanden und<br />

alle profitierten von seinen vielseitigen Erfahrungen. Jetzt mussten sie ohne seine<br />

Empfehlungen und Weisheit auskommen.<br />

Prahl sah der Zukunft sowieso mit Sorge entgegen. Alles veränderte sich. Mit jedem<br />

Jahr wurde die kalte Jahreszeit länger und die frostfreien Perioden kürzer. Mittlerweile fiel<br />

es den Frauen extrem schwer genügend Getreidekörner und Kräuter zu sammeln, dass sie<br />

über den strammen Winter kamen. Bezüglich der Fleischvorräte sah die Sache besser aus.<br />

In seinem alten Stamm hatte der Schwächliche gelernt Fleisch in Streifen zu trocknen und<br />

so haltbar zu machen. Ein Großteil ihrer Beute wurde nun so konserviert und in den<br />

Höhlen eingelagert. Trotzdem wurde es jedes Jahr schwieriger zu überleben.<br />

Leise näherte sich Bromm seinem Gefährten und ging hinter ihm in die Knie, bis er sich<br />

gegen den Sitzenden schmiegen konnte. „Die Frauen haben beratschlagt. Sie empfehlen<br />

Harins Ältesten nicht mehr in eine Familie aufzunehmen. Sie halten ihn für alt genug,<br />

dass er mit der Jägerausbildung beginnen kann. Die Jüngste muss noch gesäugt werden,<br />

daher soll sie bei Cailis bleiben. Sie hat ihr Kind verloren, aber ihre Brüste geben noch<br />

Milch. Die Frauen denken, dass die anderen drei bei uns bleiben sollten.“<br />

Prahls Kopf ruckte herum: „Bei uns?“ Pure Verwunderung lag in dieser Frage. Die<br />

Frauen hielten sie für fähig Kinder zu erziehen?<br />

Als Antwort erhielt er erst nur ein Nicken. Nach einigen Atemzügen ergänzte Bromm:<br />

„Sie sagen, dass wir als Paar ebenso Verantwortung übernehmen sollten wie alle anderen<br />

auch. Sie halten es für ungerecht, dass nur sie sich mit der Erziehung von Kindern<br />

herumschlagen müssen. Im Grunde machen sie dich damit zur Mutter.“<br />

Verdutzt sah Prahl zu Bromm auf, dann drehte er sich vollständig um und funkelte<br />

seinen Gefährten an: „Das kannst du vergessen! Ja, wir nehmen die Kinder, aber die<br />

Erziehung teilen wir auf. Du wälzt das nicht auf mich alleine ab. Habe ich mich<br />

verständlich ausgedrückt? Ich bin nicht dein He<strong>im</strong>chen am Herd!“<br />

Brummend nickte Bromm. Damit hatte er schon gerechnet. Zumal Prahl auch Recht<br />

hatte. Sie brauchten ihn bei der Jagd und seine Erfahrung be<strong>im</strong> Fallenstellen, daher<br />

würden sie sich die Aufgabe mit den Kindern teilen. „Gut, gehst du und hilfst ihnen be<strong>im</strong><br />

Packen. Ich kümmere mich um Harin und Reava.“<br />

Nickend erhob sich Prahl und durchquerte ihr Lager. Schnell bückte er sich durch den<br />

etwas niedrigeren Eingang der Haupthöhle. In einem Seitenbereich hatten Harin und seine<br />

Familie ihre Lager. Dort fand er wie erwartet die fünf Kinder eng beisammen.


***<br />

Wütend stapfte Marcel Schmitt durch den Flur des Bürokomplexes. Sein Chef hatte ihn<br />

wegen des „infantilen und anmaßenden“ Analyseberichts für das Landesmuseum zu sich<br />

zitiert. Marcel fand an seiner Arbeit nichts auszusetzen und schon gar nicht, dass er<br />

anmaßend oder gar infantil wäre. Er galt bei seinen Kollegen und Freunden als<br />

gewissenhaft und sorgfältig. Es war eine Unverschämtheit, dass man ihm jetzt etwas<br />

anderes unterstellte. Diesen Zorn befeuerte Marcel durch seine vorgetäuschte<br />

Rechtschaffenheit, mit der er seine Vorbehalte und sein Abneigung gegenüber<br />

Homosexuellen tarnte. Mit einem energischen Klopfen kündigte er sich bei seinem Chef<br />

an.<br />

„Herein“, kam es dumpf von der anderen Türseite.<br />

Sofort riss er die Tür auf und betrat das normal große Büro. Die Arbeitsplätze aller<br />

Angestellten waren bei Forensic Labs ziemlich gleichgroß. Diejenigen, die große<br />

Apparaturen für ihre Arbeit brauchten, hatten nur aufgrund dessen größere Räume. „Du<br />

wolltest mich sehen!“ Auch das „du“ war <strong>im</strong> kompletten Labor obligatorisch. Ihr Boss<br />

stammte ursprünglich aus ihren Reihen und er hatte sich nur deshalb selbstständig<br />

gemacht, weil er sich über das oft unwissenschaftliche Arbeiten anderer forensischer<br />

Institute geärgert hatte.<br />

„Ja, setzt dich.“ Doch danach ging’s erst los. Als erstes bekam Marcel das offizielle<br />

Schreiben des Landesmuseums zu lesen. Darin wurde seine Analyse regelrecht in der Luft<br />

zerrissen. Der Schreiber machte ganz deutlich, dass er nicht die Daten an sich anzweifelte,<br />

sondern es unmöglich fand, dass ein Forensiker von sich aus Schlüsse zog, die eigentlich<br />

einem Anthropologen zustünden. Daher konnte die Analyse in dieser Form für eine<br />

neutrale und objektive Beurteilung nicht als Basis herangezogen werden. Aus diesem<br />

Grund kündigen sie hiermit den Vertrag mit Forensic Labs und bitten um Verständnis für<br />

diesen Schritt, da solche Analysen einfach zu teuer wären, um sie <strong>im</strong>mer doppelt machen<br />

zu lassen.<br />

Marcel kochte, pure Wut pulsierte durch seinen Körper. Das war ja wohl die Höhe. Das<br />

Schreiben trug die Unterschrift des Museumsleiters und das des zuständigen<br />

Anthropologen, einem gewissen Tobias Harteisen. Den würde er sich mal vornehmen.<br />

Nach einer ausführlichen und für Marcel sehr niederschmetternden Diskussion, erhielt<br />

er die Order sich bei dem betreffenden Anthropologen für seine Anmaßung zu<br />

entschuldigen und dies persönlich wenn es recht wäre. Rigoros erhielt er von seinem Chef<br />

einen kleinen Zettel mit der Anschrift des Museums und den Öffnungszeiten. Bebend vor<br />

Zorn verließ Marcel das Büro seines Chefs und kehrte in sein eigenes zurück. Da er heute<br />

eh nichts mehr arbeiten könnte, seine Konzentration war für den Arsch, machte er<br />

einfach Schluss. Die Uhr zeigte gerade mal kurz nach zehn. Von Düsseldorf nach Essen<br />

war es nicht weit. Er würde noch heute diesen Mist hinter sich bringen.


Gefahr <strong>im</strong> Verzug<br />

Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn betrachtete Prahl die vorbeiziehende Neandertaler-<br />

Sippe. Im geringen Abstand passierten sie ihr Lager und an der Tatsache, dass sich nur<br />

noch Jungen und sehr alte Männer unter ihnen befanden, erkannte Prahl, dass es sich<br />

hier wohl um den Stamm ihrer Angreifer handeln musste. Die Frauen und Kinder wirkten<br />

ausgezehrt und ausgemergelt. Ebenso wiesen ihre Felle regelrecht kahle Stellen auf. Diese<br />

Sippe wurde den kommenden Frost nicht überleben.<br />

Prahl befürchtete, dass sie ein Blick in ihre eigene Zukunft sein könnten. Dies sorgte<br />

für ein sehr ungutes Gefühl in den schmalen Mann. Die Sorge zeigte sich ganz deutlich<br />

auf seinem ausdrucksstarken Gesicht.<br />

Sofort verabschiedete sich Bromm bei den anderen Jägern, um zu seinem Partner<br />

hinüber zu gehen. Worüber zerbrach sich sein hübscher Schwächlicher nur den Kopf?<br />

Sorgen schienen zu ihm zu gehören, wie sein helles Haar auf dem Kopf und er konnte sie<br />

nicht wirklich dauerhaft vertreiben. Natürlich wusste auch Bromm, dass die Zeiten <strong>im</strong>mer<br />

härter und die Lebensbedingungen <strong>im</strong>mer unwirtlicher wurden, aber sie rüsteten sich so<br />

gut sie konnten. Ihr Fleischlager war bis Anschlag gefüllt, ihre Kleidung hielt sie auch bei<br />

extremen Temperaturen warm und sie hatten riesige Mengen Tierdung gesammelt und<br />

getrocknet, damit sie genügend Heizmaterial hatten. Mehr konnten sie nicht tun.<br />

Liebevoll umfasste er Prahls schmalen Körper und zog ihn fest an seine breite Brust.<br />

Mit geschlossenen Augen vergrub Bromm seine Nase in dem lohfarbenen Haar und<br />

inhalierte den Duft nach Mann. Er liebte und begehrte seinen Schwächlichen wie am<br />

ersten Tag. Doch jetzt musste er erst einmal herausfinden, was ihn so sehr belastete.<br />

„Was geht dir <strong>im</strong> Kopf herum?“<br />

Als Antwort erhielt er ein herzerweichendes Seufzen: „Ich sehe diese ausgemergelten<br />

Gestalten und fürchte, dass wir in einigen Jahren ebenso daher kommen.“<br />

Mit festem Griff drehte Bromm seinen Gefährten zu sich um und sah ihm tief in die<br />

Augen, während er ihm darauf antwortete: „Wir werden so nicht enden. Wir haben uns<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zu ihnen auf das Kommende vorbereitete. Es müsste schon der Berg über<br />

uns zusammenstürzen oder alles in Flammen aufgehen. So lange das nicht passiert, sind<br />

wir sicher.“<br />

Ein kleines aber liebes Lächeln legte sich auf Prahls Lippen. Seine Hand legte er auf<br />

das energisch schlagende Herz seines Grobknochigen und flüsterte: „Deine Umarmung ist<br />

für mich der sicherste Platz der Welt!“ Dabei schmiegte er sich fest in die Arme seines<br />

Partners.<br />

Lächelnd schloss die Breitnase ihre starken Arme um seinen Gefährten und gab ihm<br />

die Geborgenheit und Sicherheit, die er <strong>im</strong> Moment gerade brauchte.<br />

***<br />

Konzentriert schrieb Tobias gerade am endgültigen Bericht bezüglich der forensischen<br />

Ergebnisse. Mit Hilfe des nun neutral verfassten Datenblattes konnte er allerhand aus<br />

den Fakten ableiten.


Die Sippe hatte wohl drei Jahre vor ihrem plötzlichen Tod einen Kampf bestreiten<br />

müssen. Denn darauf wiesen die diversen Knochenbrüche hin. Bei dem Neandertaler<br />

wurden zwei ausgerenkte Finger diagnostiziert, die eher schlecht wieder eingerenkt<br />

wurden und daher eine gewisse Steifheit in den Fingern zurück blieben. Etwa zur gleichen<br />

Zeit erlitt der Homo sapiens einen einseitigen Rippenbruch. Eine Rippe brach komplett<br />

durch und zwei weitere, eine darüber und eine darunter, waren angebrochen. Die Brüche<br />

wirkten, als hätte er einen Knüppel in die Seite bekommen. Es bestand natürlich auch die<br />

Möglichkeit, dass eine groß angelegte Jagd auf Großwild schief gegangen sein könnte.<br />

Diese Wunden hätte auch ein Mammut, eine Büffelherde oder ein Wollnashorn<br />

verursachen können, doch wenn etwas nach Prügel aussah, war es das meist auch. In der<br />

Wissenschaft hielt man sich an die Devise: „Bei Hufgetrappel erwartete man Pferde und<br />

keine Zebras“.<br />

Als letztes speicherte er das Dokument als PDF und hängte sie an seine Mail an den<br />

Kurator des Museums. Bei der Datei handelte es sich nur um eine essentielle<br />

Zusammenfassung die nur die Quintessenz des kompletten Abhandlung. Mal sehen, was<br />

sein Chef davon hielt.<br />

Ein harsches Klopfen riss Tobias aus seiner Überlegung und er rief noch <strong>im</strong>mer gut<br />

gelaunt: „Herein!“<br />

Sein Besucher wirkte, als hätte er mit Essig gegurgelt. Seine Augen blitzten wütend<br />

und sein Schultern hielt er dermaßen starr, als müsste er ein Ballen der Fäuste<br />

unterdrücken. Am meisten ärgerte Tobias, dass er sein Büro stürmte ohne ihn zu<br />

begrüßen, es kam weder ein „Hüh“ noch ein „Hott“. Aus ganzem Herzen verabscheute er<br />

solche grobe Unhöflichkeit.<br />

„Ja?“ Aus genau diesem Grund ließ er sich auch nicht zu einer Begrüßung hinreißen.<br />

Der Fremde wollte etwas von ihm und nicht umgekehrt.<br />

„Sind sie Harteisen?“, kam es schnarrend von dem etwas kleineren Mann.<br />

Intensiv musterte Tobias sein Gegenüber. Der Kerl klang anmaßend und überheblich.<br />

Wer zum Geier war das? Also antwortete er mit einer ebenso überheblichen Erwiderung:<br />

„Zumindest steht es außen auf dem Namensschild neben der Tür.“ Dabei lehnte sich Tobias<br />

in seinem Bürostuhl zurück. Die meisten Männer würden sich aufgrund der Tatsache, dass<br />

ihr Kontrahent stand unterlegen fühlen, doch Tobias diskutierte viel <strong>im</strong> Sitzen, während<br />

sein Partner vor ihm auf und ab ging. Er hatte sich dies <strong>im</strong> Laufe der Jahre angewöhnt,<br />

da er Damien um fast einen Kopf überragte und er ihn nicht einschüchtern wollte.<br />

„Welche Herablassung“, dachte sich Marcel und beugte sich nach vorne. Dabei stütze er<br />

seine Fäuste auf der Schreibtischkannte auf und blickte den Büroinhaber sehr bedrohlich<br />

an.<br />

Es amüsierte Tobias, dass er den Fremden zu dieser Reaktion verleiten konnte. Die<br />

aggressive Haltung zeigte ganz klar, dass er auf Konfrontationskurs war. Mal sehen, was<br />

er wollte.<br />

„Ihretwegen wurde unser Vertrag gekündigt! Mein Chef hat mir die Hölle heiß<br />

gemacht! Was sollte das?“<br />

Ah, daher wehte der Wind. Tobias schnalzte mit der Zunge und erwiderte ganz ruhig<br />

und sachlich: „Ich weiß nicht wer sie sind und nur aus ihrer Anschuldigung kann ich<br />

heraushören, um was es genau geht. Dazu kann ich ihnen nur eines sagen: Ich habe die<br />

Kündigung des Vertrages mit Forensic Labs weder gewollt noch angestrebt. Diese


Maßnahme hat unserer Kurator ergriffen und befürwortet, da er die Mehrkosten durch<br />

die wertneutrale Umschreibung gescheut hat. Wenn so etwas einmal vorkommt, kann es<br />

<strong>im</strong>mer wieder passieren. Zumindest sieht der Museumsleiter das so. Er ist diplomierter<br />

Betriebswirt, Wirtschaftlichkeit ist sein Steckenpferd.“ Noch <strong>im</strong>mer ruhten Tobias<br />

Unterarme entspannt auf den Armstützen seins Bürostuhles. Die meisten hätten sie jetzt<br />

trotzig oder abwehrend vor der Brust verschränkt, doch er fühlte sich <strong>im</strong> Recht, daher<br />

konnte er ganz ruhig und gelassen bleiben.<br />

Zischend richtete sich der Andere kerzengerade auf. „Wo lag überhaupt das Problem?<br />

Daten sind Daten und die kann jeder interpretieren, wie er will!“<br />

Im Grunde hatte sein Besucher Recht, daher nickte Tobias, doch dann ergänzte er: „Ja,<br />

Daten kann jeder interpretieren, wie es ihm beliebt. Man kann aus jeder Statistik und<br />

Datenerhebung herauslesen, was einem in den Kram passt. Doch ihre Aufgabe bei<br />

Forensic Labs besteht darin unbelastete und uninterpretierte Daten zu liefern. Das<br />

Auslegen ist dann unsere Sache. Zumal ihnen nur ein geringer Sachverhalt kenntlich ist.“<br />

Schnaubend ließ sich Marcel auf den Besucherstuhl fallen und frage nach: „Zum<br />

Beispiel?“<br />

Nun lehnte sich Tobias nach vorne. Es beeindruckte ihn, dass sein Gegenüber sich nicht<br />

vollständig von seiner Wut beherrschen ließ, sondern auch noch vernünftigen<br />

Argumenten zugänglich war. „Ihre Interpretation schließt Homosexualität der<br />

betroffenen Individuen vollkommen aus. Jede ihre Interpretationen dient dazu diese<br />

Möglichkeit vollständig zu el<strong>im</strong>inieren. Doch man fand den Neandertaler und den<br />

Neuzeitmann schlafend in Löffelchenstellung. Bei der ersten Untersuchung kam zu Tage,<br />

dass der Neandertaler ein Ledersäckchen mit ausgekochtem Talk, versetzt mit diversen<br />

schmerzlindernden Kräutern um den Hals trug. Das selbe Fett fand man sowohl <strong>im</strong><br />

Enddarm des Homo sapiens, als auch <strong>im</strong> Int<strong>im</strong>bereich des Homo neanderthalensis. Es gibt<br />

keine andere Interpretationsmöglichkeit, als anzunehmen, dass die beiden Männer eine<br />

homosexuelle Beziehung geführt haben.“<br />

Wie erstarrt saß der Forensiker auf seinem Stuhl und starrte sein Gegenüber an. Das<br />

konnte einfach nicht sein! Nein! Homos sind was Unnatürliches, etwas Abartiges!<br />

Wutentbrannt sprang der Fremde auf, dabei stürzte dessen Stuhl krachend zu Boden.<br />

Obwohl Tobias mit so einer Reaktion gerechnet hatte, zuckte er doch vor der extremen<br />

Wut <strong>im</strong> Gesicht seines Gastes zurück. H<strong>im</strong>mel! Wie konnte man nur so intolerant und<br />

rückständig sein.<br />

Der Fremde fuhr auf dem Absatz herum und marschierte direkt auf die Tür zu. Leider<br />

kollidierte er in der Tür mit Damian, der zu Tobias wollte. Dabei hufte er den viel<br />

kleineren Mann fast um. „Scheiß Schwuchtel!“, blaffte er den Archäologen an und<br />

rauschte einfach an ihm vorbei.<br />

Schnell packte Damian den Türrahmen, um nicht umzufallen, dabei sah er sehr<br />

erschrocken dem Davonstürmenden nach. Was in drei Teufels Namen? Fragend sah er<br />

Tobias an.<br />

Dieser umrundete gerade seinen Schreibtisch und ging direkt auf Damian zu. Sein<br />

Süßer zitterte und fühlte sich durch diese überraschende Begegnung sichtlich<br />

mitgenommen. Seit der letzten homophoben Attacke war schon einige Zeit vergangen.<br />

Sie hatten eigentlich geglaubt, dass sie beide zumindest hier auf der Arbeit und zu Hause<br />

in Sicherheit wären. Liebevoll nahm er seinen Schatz in die Arme und wiegte ihn tröstend


hin und her. „Es tut mir leid, dass du diesem Deppen begegnet bist.“<br />

Damian seufzte und schmiegte seine Stirn gegen das mittlerweile stoppelige Kinn<br />

seines Partners. Leise flüsterte er ihm zu: „Du bist Sicherheit für mich. Jetzt und hier fühle<br />

ich mich geborgen. Mehr brauche ich nicht.“<br />

Diesen Gefühlen gaben sich die beiden Männer noch eine kleine Weile hin, bevor sie sich<br />

langsam voneinander lösten. Damian hob als erstes den umgefallenen Stuhl wieder auf<br />

und setzte sich dann rittlings darauf. „Wer war das überhaupt und was hat er gewollt?“<br />

Tobias ließ sich in seinen Stuhl fallen und erklärte: „Er hat sich nicht vorgestellt, aber<br />

aus seinen Worten konnte ich schließen, dass er wohl der Forensiker war, der für die<br />

Interpretation der Daten der beiden Steinzeitmenschen verantwortlich war.“ Dabei hob<br />

Tobias bezeichnend die Hände in die Luft und deutete Gänsefüßchen an, als er das Wort<br />

„Interpretation“ aussprach.<br />

Nickend schürzte Damian die Lippen. Dann schüttelte er den Kopf: „Was willst du<br />

tun?“<br />

„Nichts. Forensic Labs erhält von uns keine Aufträge mehr. Es gibt nichts mehr zu tun.<br />

Ihn jetzt nochmal eine überzubraten macht die Sache nicht besser. Ich denke nicht, dass<br />

ihn das von seinem Hass gegenüber Homosexuellen abbringen würde“, antwortet Tobias.<br />

Er fühlte sich bei dieser Entscheidung aber nicht ganz wohl. Es fühlte sich für ihn wie<br />

Schwanzeinziehen an. Er war kein Duckmäuser und wollte auch keiner werden.<br />

Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete Damian seinen Partner und wusste, dass dieser<br />

mit seinen Überlegungen noch nicht abgeschlossen hatte. Was würde er <strong>im</strong> Endeffekt<br />

wirklich tun?


Keine Handlung ohne Konsequenzen<br />

Prahl stand mittig in der Höhle und stütze wütend seine Fäuste in die Taille. Diese<br />

kleinen Scheißer! Wenn man bisher keine Kinder hatte und plötzlich zu dreien kam,<br />

konnte einen das schon ganz schön überfordern. Ständig schien eines auf der Flucht zu<br />

sein, ein anderes etwas anzustellen und das dritte etwas zu essen, was es nicht sollte.<br />

Mittlerweile raufte sich der Schwächliche nonstop die Haare und wusste nicht mehr ein<br />

noch aus. Die Kleinen tanzten ihm auf der Nase herum, sie nahmen ihn einfach nicht<br />

ernst. Dies frustrierte ihn enorm, doch er wusste einfach nicht, was er dagegen tun sollte.<br />

Er konnte sie nicht schlagen und hungern stand als Strafe ebenso wenig zur Diskussion.<br />

Hoffentlich fiel Bromm etwas ein.<br />

Kaum hatte Prahl das gedacht, erschien sein Gefährte in der gemeinsamen Höhle.<br />

Schnell verschaffte sich der Stammesführer einen Überblick und erkannte, dass sein<br />

Partner an dieser Aufgabe schier verzweifelte. Da konnte er behilflich sein. „Raischa –<br />

hinaus zu Cailis. Sie braucht Hilfe bei deiner Schwester.“ So das Mädchen hätte er<br />

beschäftigt.<br />

Dann richtete er sein Augenmerk auf den älteren der beiden Jungen. „Dubrey – geh<br />

zusammen mit Ricon Brennmaterial sammeln.“ Ricon war Dubreys älterer Bruder und<br />

wurde jetzt zum Jäger ausgebildet. Trotzdem beteiligten sich die Männer auch an den<br />

alltäglichen Arbeiten, wenn sie nicht nach Beute jagten. Der Umgang mit dem älteren<br />

Bruder würde dem Ansteller gut tun. Vor allem wenn Ricon ihm berichtete, wie<br />

anstrengend das Leben als Jäger ohne die Unterstützung eines Elternteils war.<br />

Als letztes noch den sechs Jährigen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte<br />

er den Kleinen. Sofort ließ der Junge das Fell fallen, welches er durch die Höhle zerrte.<br />

„Para – Was willst du mit dem Fell?“, erkundigte sich Bromm neugierig.<br />

Mürrisch erwiderte der Kleine: „Ich bin müde. Ich will neben Prahl schlafen.“ Der pure<br />

Trotz sprach aus den leuchtenden Kinderaugen.<br />

Vermutlich fühlte er sich in der direkten Nähe des Schwächlichen sicher. Lächelnd sah<br />

Bromm zu Prahl hinüber.<br />

Sein Partner seufzte und griff das Fell. Schnell zog er es neben das eigene und kniete<br />

sich dann darauf. Der kleine Junge schmiegte sich fest in Prahls Umarmung. Man merkte<br />

dem Kleinen an, dass er die Eltern wahnsinnig vermisste und in Prahl einen adäquaten<br />

Ersatz sah. Vermutlich fühlte der Junge genauso wie Prahl bei Bromm. In dessen Armen<br />

war einfach der sicherste Ort dieser Welt.<br />

Lächelnd sah Prahl zu Bromm auf. Oh ja, so ging das also. Er musste die Kinder nur<br />

beschäftigen, ihnen Aufgaben geben, die sie bewältigen konnten und ihnen gleichzeitig<br />

die Liebe geben, die sie benötigten. Das konnte er.<br />

Bromm lehnte sich zu seinem Partner hinunter und küsste ihn kurz aber liebevoll über<br />

den Scheitel des Kindes hinweg. Der Kuss versprach noch viel mehr innige Int<strong>im</strong>itäten,<br />

aber erst später am Abend. Vermutlich würden sie erst einmal <strong>im</strong> Freien ihrer<br />

körperlichen Liebe nachgehen, bis sich die Kleinen bei ihnen eingewöhnt hatten. Natürlich<br />

kannten sie die körperliche Liebe ihrer Eltern, doch das zwischen Bromm und Prahl war<br />

doch noch etwas anderes.


„Später“, antwortete Prahl, indem er nur die Lippen bewegte.<br />

Trotzdem verstand Bromm und nickte bestätigend. Schnell verließ er wieder die<br />

gemeinsame Höhle, um nach ihren anderen Kindern zu sehen. Man durfte die Racker<br />

keinen Moment aus den Augen lassen.<br />

***<br />

Gegen halb fünf klingelte Tobias Festnetzanschluss <strong>im</strong> Büro. Wie <strong>im</strong>mer nahm er ab<br />

und meldete sich nur mit „Harteisen“.<br />

Nach einem leisen Räuspern kam dann eine Erwiderung: „Hallo, ich bin Gernod<br />

Schneider von Forensic Labs.“<br />

Schon an der St<strong>im</strong>me und der Tonlage, denn er schrie nicht, erkannte Tobias, dass er<br />

nicht den Mann vom Nachmittag am Apparat hatte.<br />

„Was kann ich für sie tun?“, entgegnete Tobias.<br />

Als Antwort kam diesmal ein Seufzen: „Nichts. Ich möchte mich entschuldigen. Mein<br />

Angestellter ist ihnen gegenüber wohl ausfällig geworden. Eigentlich habe ich ihn mit<br />

dem Auftrag nach Essen geschickt, sich für sein Handeln zu entschuldigen. Im Endeffekt<br />

hat er dann genau das Gegenteil gemacht. Es tut mir extrem leid.“<br />

Tobias hatte Verständnis für den Chef dieses Cholerikers. Vielleicht half ja eine<br />

Crashkur? Mit einem Lachen in der St<strong>im</strong>me entgegnete Tobias: „Wir haben es überlebt,<br />

auch wenn er meinen Partner beinahe über den Haufen gerannt hat. Dürfte ich einen<br />

Vorschlag machen?“<br />

„Immer raus damit!“, kam es durch den Äther.<br />

„Es gibt meines Wissens nach in Düsseldorf das private Theaterensemble „Hot Bodys“.<br />

Sie führen bekannte Stücke in eigener Interpretation auf. Dort werden <strong>im</strong>mer helfende<br />

Hände gebraucht.“<br />

Im ersten Moment kam kein Kommentar darauf und dann nur ein fragendes „Aha?“<br />

„Googeln sie mal. Das werden sie interessant finden. Ich wünsche ihnen noch einen<br />

schönen Feierabend.“ Mit diesen Worten legte Tobias leise den Hörer auf.<br />

***<br />

Marcels Chef tat genau das. Er informierte sich <strong>im</strong> Internet über „Hot Bodys“ und<br />

stellte fest, dass es sich dabei um ein Enssemble schwuler und lesbischer<br />

Laienschauspieler handelte, die bekannte Stücke wie Romeo und Julia in veränderter<br />

Besetzung aufführten. Im letzten Jahr spielten sie „Die Schwulen von Windsor“, direkt<br />

abgeleitet von besagten Weibern. Im Jahr davor interpretierten sie das Stück „Die<br />

Zauberflöte“ von Mozart, wobei Tamino nicht Tamina sondern Taminas, also einen Mann,<br />

rettete. Oh ja, wenn er Marcel zwang zur Strafe dort mitzuhelfen, würde er vielleicht<br />

endlich etwas Toleranz lernen und diese unnütze Homophobie ablegen. Genau das würde<br />

er machen.<br />

Dieses Jahr stand „Romeo und Julian“ auf dem Programm. Er würde dafür sorgen,<br />

dass die komplette Belegschaft von Forensic Labs auf Firmenkosten zur Aufführung ging.<br />

Grinsend griff er nach dem Telefonhörer.


Ende


Tag der Veröffentlichung: 09.07.2015<br />

https://www.bookrix.de/-yg816146a542035

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