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Judentum und Urbanität / dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 66 (1/2017)

Die Beiträge des Schwerpunkts präsentieren „einige große europäische Städte als Orte des Aushandelns von Lebensmöglichkeiten und als Räume, deren Lektüre Erkenntnis verspricht“, schreibt Schwerpunktredakteur Joachim Schlör in seinem Vorwort. Diese Staedte sind Warschau, Berlin, London und Antwerpen. Die Themenpalette reicht dabei von Erinnerungskultur über (Post-)kolonialismus, Topophilie, Antisemitismus, Orthodoxie bis zu Großstadtfeindschaft oder Jewish Renaissance. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/heft-66 bestellt werden.

Die Beiträge des Schwerpunkts präsentieren „einige große europäische Städte als Orte des Aushandelns von Lebensmöglichkeiten und als Räume, deren Lektüre Erkenntnis verspricht“, schreibt Schwerpunktredakteur Joachim Schlör in seinem Vorwort. Diese Staedte sind Warschau, Berlin, London und Antwerpen. Die Themenpalette reicht dabei von Erinnerungskultur über (Post-)kolonialismus, Topophilie, Antisemitismus, Orthodoxie bis zu Großstadtfeindschaft oder Jewish Renaissance. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/heft-66 bestellt werden.

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Editorial<br />

Wie unsere Newsletter- <strong>und</strong> Facebook-Abonnenten <strong>und</strong> -Abonnentinnen<br />

wissen, haben wir bei der Stichwahl der B<strong>und</strong>espräsidentschaftswahl<br />

in Österreich erstens dazu aufgerufen<br />

wählen zu gehen <strong>und</strong> zweitens Van der Bellen zu wählen. Wir<br />

haben so einen Aufruf zum ersten Mal in unserer 17-jährigen<br />

Vereinsgeschichte gemacht <strong>und</strong> auch wenn der Vorsprung von<br />

Van der Bellen schlussendlich 7,6 % bzw. r<strong>und</strong> 350.000<br />

Stimmen betragen hat <strong>und</strong> somit viel deutlicher als erwartet<br />

war, bereuen wir den Schritt nicht. Wir haben uns in der<br />

letzten Zeit immer wieder mit der Frage, wer welche Rechte in<br />

der Stadt hat, <strong>und</strong> dem Thema Urban Citizenship beschäftigt<br />

<strong>und</strong> werden uns auch in nächster Zukunft damit <strong>und</strong> mit der<br />

Frage nach den Möglichkeiten einer Neugestaltung der Demokratie<br />

auseinandersetzen. Wir sehen hier sowohl dringenden<br />

Handlungsbedarf als auch spannende Initiativen <strong>und</strong> blicken<br />

beispielsweise sehr aufmerksam <strong>und</strong> interessiert nach Barcelona<br />

oder in Städte, die Anstrengungen in Sachen Urban Citizenship<br />

unternehmen.<br />

Bei vielen Wahlen der letzten Jahre zeigen sich in unterschiedlichen<br />

Ländern ähnliche Phänomene. Rechte, ausländerfeindliche<br />

Parteien werden bevorzugt in Gegenden gewählt,<br />

in denen der Anteil der Bewohner <strong>und</strong> Bewohnerinnen ohne<br />

Staatsbürgerschaft des entsprechenden Landes eher unterdurchschnittlich<br />

ist, <strong>und</strong> sie werden auf dem Land eher gewählt<br />

als in der Stadt. In Wien schneidet die FPÖ beispielsweise<br />

in den Bezirken mit dem höchsten Anteil an Menschen ohne<br />

österreichischer Staatsbürgerschaft regelmäßig schlechter<br />

ab als in solchen mit geringerem Anteil. Bei der vergangenen<br />

B<strong>und</strong>espräsidentschaftswahl hat der Kandidat der FPÖ in<br />

Wien ca. ein Drittel der Stimmen erhalten, in »ländlich geprägten<br />

Regionen« r<strong>und</strong> 56 Prozent. Dieses Ergebnis w<strong>und</strong>ert<br />

einen nicht besonders, ist die FPÖ doch alles andere als eine<br />

urbane Partei <strong>und</strong> sie würde aus Wien wohl eine große Gated<br />

Community machen, hätte sie die Möglichkeit dazu.<br />

Antiurbanismus <strong>und</strong> Großstadtfeindschaft haben bei<br />

rechten Parteien eine lange Tradition <strong>und</strong> damit schlagen<br />

wir den Bogen zum Schwerpunkt dieser Ausgabe. Der Schwerpunkt<br />

ist dem Thema <strong>Judentum</strong> <strong>und</strong> <strong>Urbanität</strong> gewidmet.<br />

Bodo Kahmann hat da<strong>für</strong> einen Text über Großstadtfeindschaft<br />

<strong>und</strong> Antisemitismus verfasst <strong>und</strong> stellt darin die These auf,<br />

dass sich »eine wechselseitige Durchdringung von Antisemitismus<br />

<strong>und</strong> Großstadtfeindschaft« erst zu dem Zeitpunkt Ende<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts vollzog, als »Antisemitismus zum integralen<br />

Bestandteil einer völkischen Erneuerungs- <strong>und</strong> Wiedergeburtsrhetorik<br />

wurde, die von agrarromantischen Denkmustern<br />

durchzogen war.«<br />

Wie Schwerpunktredakteur Joachim Schlör, der als<br />

Professor <strong>für</strong> Jewish/non-Jewish Relations an der Universität<br />

Southampton tätig ist, in seinem Vorwort schreibt, präsentieren<br />

die Beiträge des Schwerpunkts »einige(r) große(r)<br />

europäische(r) Städte als Orte des Aushandelns von Lebensmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> als Räume, deren Lektüre Erkenntnis<br />

verspricht.« Diese Städte sind Warschau, Berlin, Antwerpen<br />

<strong>und</strong> London. Im Beitrag über Warschau, den Joachim Schlör<br />

selber verfasst hat, stehen die Erinnerungskultur <strong>und</strong> die<br />

jüdische Renaissance im Mittelpunkt. Laurence Guillon stellt<br />

das wechselseitige Verhältnis von Berlin <strong>und</strong> seiner jüdischen<br />

Bevölkerung bzw. die mittlerweile weltweit verbreiteten<br />

Berlinophilie unter Juden <strong>und</strong> Jüdinnen ins Zentrum ihres Beitrags.<br />

Tobias Metzler zeichnet die jüdische Geschichte des<br />

Londoner East End <strong>und</strong> die Anglisierung seiner jüdischen<br />

Bevölkerung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert nach <strong>und</strong> verweist auf Parallelen<br />

zur Kolonisierung in den von Großbritannien unterworfenen<br />

Weltgegenden. Veerle Vanden Daelen schließlich wirft<br />

einen genauen Blick auf die engen Verbindungen des orthodoxen<br />

<strong>Judentum</strong>s mit dem Diamantensektor in Antwerpen <strong>und</strong><br />

porträtiert das jüdische Leben der Stadt.<br />

Wenn es um <strong>Judentum</strong> <strong>und</strong> <strong>Urbanität</strong> geht, darf ein<br />

Beitrag über Wien natürlich nicht fehlen. Und so gibt es im<br />

Magazinteil einen Text des Schriftstellers Alexander Peer über<br />

Leo Perutz zu lesen, dessen Todestag sich <strong>2017</strong> zum 60. Mal<br />

jährt. Von ihm, der 1938 aus Wien fliehen musste <strong>und</strong> sich in<br />

Tel Aviv niederließ, ist ein Zitat überliefert, in dem er seine<br />

Sehnsucht nach Wien folgendermaßen erkennen lässt: »Eigentlich<br />

wäre mein Lebensproblem gelöst, wenn ich ein kleines<br />

Haus bauen könnte, von dessen vorderen Fenstern man die<br />

Omarmoschee sieht <strong>und</strong> von den hinteren den Kahlenberg.«<br />

Ein gänzlich anderes Thema greift Carina Sacher<br />

in ihrem Beitrag über Zeitungszusteller in Wien auf. Sie beschreibt<br />

die urbanen Nischen, die von diesen nachts <strong>für</strong> ihre<br />

Arbeit genutzt werden <strong>und</strong> den stillen, fast unbemerkten Ablauf<br />

ihrer prekären Tätigkeit, von der nur das Ergebnis – die in<br />

der Früh vor der Haustür liegende Zeitung – ein sichtbares<br />

Zeichen hinterlässt.<br />

Das Kunstinsert hat diesmal der <strong>dérive</strong>-Redakteur<br />

Andreas Fogarasi, der jüngst <strong>für</strong> sein künstlerisches Werk mit<br />

dem renommierten Otto Mauer Preis ausgezeichnet worden<br />

ist, ausgewählt. Es stammt von Susanne Kriemann, die zuletzt<br />

in der Ausstellung Beton in der Wiener Kunsthalle vertreten<br />

war. Dort hat sie das Werk One Time One Million gezeigt, das<br />

auch ihrem Insert in <strong>dérive</strong> zugr<strong>und</strong>e liegt. Eine Ausstellung<br />

von Andreas Fogarasi ist noch bis 17. Januar in Wien im<br />

Jesuiten foyer zu sehen.<br />

In dieser Ausgabe taucht – nach kurzer Pause – auch<br />

die Geschichte der <strong>Urbanität</strong> wieder auf, diesmal allerdings<br />

nicht als neue Folge der Serie von Manfred Russo, sondern als<br />

umfangreiche Auseinandersetzung von Klaus Ronneberger<br />

mit Manfred Russos Buch Projekt Stadt – Eine Geschichte der<br />

<strong>Urbanität</strong>. Das Buch gibt es auch – als Paket mit einem<br />

3-Jahres-Abonnement – in unserer aktuellen Aboaktion (siehe<br />

nächste Seite).<br />

Schöne Grüße von der Mazzesinsel<br />

Christoph Laimer<br />

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