Über 65 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Hinzu kommen weitere hunderte Millionen, die aus Armut Heim und Familien verlassen müssen. "Das ist eine globale Frage, auf die wir auch globale Antworten finden müssen", schreibt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Grußwort zum neuen Jahrbuch Global Compact Deutschland. Die aktuelle Ausgabe beleuchtet, welche gemeinsamen Anstrengungen hierzulande im vergangenen Jahr von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Flüchtlingshilfe unternommen wurden. Gleichzeitig geht es den Motiven und Ursachen von Flucht und Migration in Zeiten der Globalisierung auf den Grund. Weitere zentrale Fragen, denen die Autoren der aktuellen Ausgabe aus verschiedenen Blickwinkeln nachgehen, sind: Welche Rolle spielen künftig die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bei der Bewältigung dieser globalen Herausforderungen? Und welche Hebel und Mittel besitzen der UN Global Compact und seine nationalen Netzwerke, um Unternehmen bei deren Implementierung und Umsetzung zu unterstützen?
We support
global
Deutschland
compact
Flucht und
Migration
2016
Herausgegeben mit freundlicher Unterstüzung durch:
Grusswort
Ban Ki-moon, UN-Generalsekretär (2007 – 2016)
I have had the privilege of watching closely as the Global Compact has
grown and matured over nearly ten years as Secretary-General.
This is one of the most successful initiatives launched by the United Nations.
Although it was established under my predecessor, Kofi Annan, it has expanded
very significantly during my time in office.
I have visited more than two dozen Local Networks on travels around the world.
I have launched eight issue platforms for companies − many of which are making
an enormous difference in areas including peace and security, climate, gender,
water, and management education.
All these activities reflect my strong faith in the Global Compact.
This concept resonates throughout the United Nations and with companies everywhere:
do business right, take an active role in creating the world we want, and
build partnerships to deliver progress.
Around the world, recognition of these principles has grown over the past decade.
The importance of bringing all stakeholders together … The key role of business
in preventing and mitigating the impact of climate change … The fundamental
relationship between sustainable economic development and human
rights … These ideas are now mainstream.
globalcompact Deutschland 2016
3
Grusswort
„Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich
viel Geld habe, sondern ich habe viel
Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“ Diese
Aussage von Robert Bosch klingt banal, aber
die dahinterstehende Idee war lange Zeit
leider keine Selbstverständlichkeit. Wirtschaftliche
Interessen und faire Entlohnung,
Wachstum und Umweltschutz, Globalisierung
und Menschenrechte schienen lange
unvereinbar zu sein.
Dr. Frank-Walter Steinmeier,
Bundesminister des Auswärtigen
Kofi Annan, damals Generalsekretär der
Vereinten Nationen, hatte vor 16 Jahren
eine andere Idee. Als er 1999 die Unternehmensvorstände
in aller Welt dazu aufrief,
sich an universellen Prinzipien auszurichten,
tat er das auch aus der Überzeugung
heraus, dass nachhaltige Entwicklung nicht
durch Grabenkämpfe zwischen Staaten und
Unternehmen, sondern nur durch Frieden,
Gerechtigkeit, Innovation und Partnerschaft
zu erreichen ist.
Heute ist der von Kofi Annan ins Leben gerufene
UN Global Compact die größte Initiative
für unternehmerische Verantwortung
und Nachhaltigkeit. Aus anfänglich 30 Unternehmen
sind über 9.000 geworden. Im
deutschen Global Compact Netzwerk allein
haben sich über 320 Unternehmen den
10 Zielen zu Menschenrechten, Arbeitsnormen,
Umwelt und Klima sowie Korruptions-
4 globalcompact Deutschland 2016
prävention verschrieben. Global Compact
bedeutet national wie international immer
auch, Akteure und Institutionen aus Wissenschaft,
Zivilgesellschaft und dem öffentlichen
Sektor einzubeziehen.
Das Umfeld für verantwortliches Engagement
von Unternehmen ist dabei nicht einfacher
geworden. 65 Millionen Menschen
sind weltweit auf der Flucht vor Krieg und
Gewalt. Das ist eine globale Frage, auf die
wir auch globale Antworten finden müssen.
Das hat die Staatengemeinschaft mit
dem VN-Gipfel zu Flucht und Migration
am 19. September 2016 getan und damit
einen wichtigen Schritt hin zu mehr globaler
Verantwortungsteilung in Flüchtlingskrisen
durch alle Akteure vollzogen. In der New
York Declaration for Refugees and Migrants
haben die Staats- und Regierungschefs den
Privatsektor ausdrücklich eingeladen, an
Multi-Stakeholder-Allianzen zur Umsetzung
dieser Beschlüsse mitzuwirken. Der
UN Global Compact mit seinen nationalen
Netzwerken ist für mich eine solche Allianz.
sich die Weltgemeinschaft zu Nachhaltigkeit
und Transformation bekannt. Die Agenda
ist ein Weltzukunftsvertrag, an dem wir
alle, Regierungen, Unternehmen, Wissenschaft
und Zivilgesellschaft, unser Handeln
ausrichten sollten.
Der UN Global Compact und sein deutsches
Netzwerk bieten dafür ein hervorragendes
Forum. Unternehmen, Zivilgesellschaft und
Politik können unter dem Dach des Global
Compact die großen Zukunftsaufgaben mit
anpacken. Wenn sich immer mehr Unternehmen
die 10 Prinzipien des Global Compact
zur Richtschnur machen und die Agenda
2030 als Chance betrachten, wird unsere
Welt ein nachhaltigeres, gerechteres und
inklusiveres Gesicht bekommen.
Diese Investition wird
sich für uns alle lohnen.
Inmitten aller Krisen macht mir auch Hoffnung,
dass die Vereinten Nationen im vergangenen
Jahr eine zentrale Richtungsentscheidung
getroffen haben. Mit der Agenda
2030, bei deren Entstehung sich der Global
Compact maßgeblich einbringen konnte, hat
globalcompact Deutschland 2016
5
Inhalt
3
4
10
14
20
24
28
30
Grußworte:
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon (2007 – 2016)
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
Flucht und Migration
„Wir fühlen uns lieber schuldig als ohnmächtig“
Interview mit Stephan Grünewald
Wanderung von Waren statt von Menschen
Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker
Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
Dr. Pedro Morazán und Katharina Mauz
Die Agenda 2030 im Kontext von Migration
Marlehn Thieme
Flüchtlingshilfe von Firmen
Info: Praxisbeispiele
8Flucht und Migration
35
40
42
45
46
48
50
Teilhabe und Integration – Was kann die schulische
Bildung beitragen?
Ina Bömelburg und Katharina Tesmer
Unternehmen und Menschenrechte
Zunehmende Verrechtlichung von
Menschenrechtsaspekten
Laura Curtze
Effiziente Vertragsgestaltung in der Lieferkette
Robert Grabosch
Info: Fünf Maßnahmen der DAX 30-Unternehmen
zur Achtung der Menschenrechte
Isabel Ebert
Schutz der Menschenrechte als Faktor bei
Geschäftsinvestitionen
Dr. Christoph Regierer und Kai M. Beckmann
Unterstützung durch das Deutsche Global Compact
Netzwerk
Konfliktregionen – Potenzial für mehr und besseres
unternehmerisches Engagement
Dr. Melanie Coni-Zimmer
38
Unternehmen und Menschenrechte
114
Die Nachhaltigen Entwicklungsziele
(SDGs)
Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs)
116
Netzwerken zum Wohl von Wirtschaft
und Weltgemeinschaft
122
Der „SDG Compass“ in einer sich
rasant verändernden Welt
121
Interview mit Marcel Engel
Berliner Forum: Auf dem Weg zur Umsetzung der SDGs
126
Info: Praxisbeispiel
Symrise: Umsetzung der SDGs
54
58
60
62
64
66
Good Practice
Die Nachhaltigkeitsmatrix
ABB
Menschenrechte – durch Schulungen schafft ABB
Kompetenz und Verständnis
Audi
Integration von Flüchtlingen: So hilft Audi
Aurubis
Aurubis‘ Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung
BASF
Starting Ventures helfen beim Erreichen der globalen
Entwicklungsziele
Bayer
Intelligente Lösungen für die Landwirtschaft
von morgen
84
86
88
90
92
94
96
E.ON
Gemeinsam gegen Energiearmut
Evonik
Auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft
EY
Integration von Flüchtlingen gemeinsam gestalten
Freudenberg
Integration durch Bildung
gmc²
Durch gelebte Verantwortung unsere Zukunft
gestalten
HOCHTIEF
Baustellen zum Anfassen
HypoVereinsbank
Sprache ist der Schlüssel
68
Bosch
Gelebte Integration
98
K+S
K+S ist Teil der Lösung
70
CEWE
CEWE betreibt Klimaschutz
100
MAN
MAN fährt beim Thema Digitalisierung vorweg
72
CHT / BEZEMA
Langfristig Talente fördern
102
Merck
Glimmer-Lieferkette: Kein Platz für Kinderarbeit
74
76
CiS
CiS: Auf dem Weg in die Zukunft …
Daimler
Systematischer Ansatz zu menschenrechtlicher
Sorgfalt bei Daimler
104
106
Miele
Mit nachhaltigem Personalmanagement auf
Erfolgskurs
Roever Broenner Susat Mazars
Von CSR zu Shared Value
78
DAW
Nachhaltige Farbe. Trend oder Öko-Nische?
108
Tchibo
Wie aus Flüchtlingshilfe Erfolgsgeschichten werden
80
Deutsche Bahn
Digitalisierung ist Hebel zu mehr Nachhaltigkeit
110
TÜV Rheinland
Gemeinsam für die Zukunft: Integration als Chance
82
Deutsche Telekom
Flüchtlingsengagement neu ausgerichtet
112
Weidmüller
Die Mitarbeiter mitnehmen – Arbeit 4.0
Agenda
Migranten und Flüchtlinge sind keine Figuren auf
dem Schachbrett der Menschheit. Papst Franziskus
8 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Flucht
und
Migration
„Die einzige Grenze, die uns trennt, ist
die Menschlichkeit.“ Mit diesen Worten
ermahnte die junge Jesidin und ehemalige
IS-Gefangene Nadia Murad die Staatschefs
beim UN-Flüchtlingsgipfel in New York.
Über 65 Millionen Menschen sind derzeit
weltweit auf der Flucht. Hinzu kommen
weitere hunderte Millionen, die aus Armut
Heim und Familien verlassen müssen.
Flucht und Migration sind Ausdruck von
gescheiterter Staatlichkeit und fehlgeleiteter
Globalisierung. Das schiere Ausmaß hat
auch in unseren westlichen Gesellschaften
eine Demokratie- und Wertediskussion ausgelöst,
deren Ausgang ungewiss ist.
globalcompact Deutschland 2016
9
Agenda
„Wir fühlen uns
lieber schuldig als
ohnmächtig“
Ob nun die geopolitische Lage, die Flüchtlingstragödien oder die Globalisierung und ihre Abkommen
− die Welt, wie sie gerade ist, macht vielen von uns Angst. Angst ist bekanntlich eine
Emotion und entsprechend hitzig verlaufen hierzulande die Diskussionen zu solchen Themen.
Im Gespräch mit dem Psychologen und Bestseller-Autor Stephan Grünewald gehen wir der
Frage nach, was uns das Fürchten lehrt.
Von Dr. Elmer Lenzen
Die Welt wird immer komplizierter, aber die Antwort immer einfacher.
Herr Grünewald, Sie sind von Haus aus Psychologe und können uns
dieses Phänomen bestimmt erklären!
Wir haben einen paradoxen Befund: Deutschland ist als
Exportweltmeister ein Globalisierungsgewinner. Dennoch
haben wir hierzulande große Ängste vor der Globalisierung.
Warum? Weil die Globalisierung, so glaube ich, zu einer
Schimäre und zu einem reinen Platzhalter geworden ist
für all das, was die Menschen als ungerecht, als unfassbar,
als schwer nachvollziehbar betrachten. Wir erleben eine
gesellschaftliche Spaltung, bei der Teile der Bevölkerung das
Gefühl haben, abgehängt zu sein. Sie sehen sich als „Hartzer“,
als Verlierer ohne jede Perspektive. Deutschland hat immer
davon gelebt, dass beim nächsten Wirtschaftswachstum auch
strukturelle Gerechtigkeitsprobleme aufgegriffen werden.
Dieser Glaube an eine bessere Zukunft ist verlorengegangen.
Diese Menschen fühlen sich von den Parteien verraten und
haben das Gefühl, sie werden nicht genügend wertgeschätzt.
Dieses explosive Gebräu entlädt sich derzeit in Hasstiraden
und in Populismus-Sehnsucht. Zu diesem Empfinden tragen
auch „die da oben“ bei: Gesellschaftliche Verlierer erleben seit
Langem nicht mehr die Solidarität der Eliten. Vielmehr empfinden
sie, dass die Eliten hochnäsig von einem überlegenen
moralischen Standpunkt auf sie herabblicken. Wie zeigt sich
das? Indem beispielsweise bestimmte Lebensäußerungen
und Ausdrucksformen wie etwa Alkoholkonsum, Rauchen,
fettes Essen, Süßkonsum, Rezeption von Unterschichten-TV
tabuisiert werden.
Bei der Elitenschelte schwingt also viel Verdruss mit. Immer mehr
Menschen glauben, sie wären die besseren Journalisten oder Politiker
− dabei beherrschen sie nicht einmal den Konjunktiv, beklagt
der Kolumnist Jan Fleischhauer süffisant. Brauchen wir hierzulande
wieder ein Elitebewusstsein?
Eliten zeichnen sich dadurch aus, dass sie etwas für die
Gesellschaft leisten, was andere nicht leisten können. Diese
Leistung muss aber auch erbracht werden: Schauen wir aber
beispielsweise auf die Bankenkrise, dann muss man sagen,
dass die Finanzeliten die Entwicklungen falsch eingeschätzt
oder sich zum Teil schlichtweg verzockt haben. Trotzdem
bekommen sie große Boni. Das ist für viele Leute nicht vermittelbar.
Der Kern des Eliten-Argwohns lautet also: „Die
bringen ihre Leistung nicht“. Dennoch lassen sie sich in ihren
eigenen Kreisen feiern. Die US-Präsidentenwahl von Trump
ist im Grunde genommen der Denkzettel dafür. Nach dem
Motto: Jetzt kriegt ihr mal mit, was ihr alles übersehen habt.
10 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Populisten wie Trump arbeiten sich ja durchaus erfolgreich am Konzept
der „political correctness“ ab. Andreas Rödder, Historiker der Universität
Mainz, beklagt, wir seien das selbst schuld: Wir hätten Themen
wie Diversität, Antidiskriminierung, Gleichstellung etc. in den letzten
Jahren derart ideologisch überhöht, dass es schon Züge einer repressiven
Toleranz angenommen habe. Ist an dem Gedanken etwas dran?
Ich würde es anders formulieren. Es ist eine mehrfache Kränkung
in der Gesellschaft. Die Kränkung, dass die Prosperität
an manchen vorbeigeht und die Schere zwischen Arm und
Reich immer größer wird. Dann die Kränkung, dass einige sich
nicht wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen, sondern im
Gegenteil, dass das, was ihnen lieb und wichtig ist, tabuisiert
wird. Das spitzt sich in der Flüchtlingsthematik noch weiter
zu, wenn das Gefühl aufkommt, dass „der Syrer“ mehr zählt
als „der Sachse“. Die Kränkung und das Gefühl, nicht wertgeschätzt
zu werden, führen zu Verbitterung und zu Eifersucht.
Erleben wir mit dem Populismus jetzt die „Rückabwicklung“ der
Globalisierung? Ist das die Konsequenz aus der von Ihnen beschriebenen
Kränkung?
Was ich beschreiben möchte, ist eine Gerechtigkeitsproblematik,
ein Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden, sowie eine
Zur Person
Stephan Grünewald ist ein deutscher Psychologe und Geschäftsführer
des Markt- und Medienforschungs-Instituts rheingold.
Er ist Autor von Bestsellern wie „Deutschland auf der Couch“
sowie „Die erschöpfte Gesellschaft“. „Der Psychologe der Nation“
(Frankfurter Allgemeine Zeitung) führt am rheingold Institut
jedes Jahr mehr als 5.000 Tiefeninterviews zu aktuellen Fragen
aus Markt, Medien und Gesellschaft durch.
Eifersuchtsproblematik, wieso andere hofiert und bevorzugt
werden und ich nicht. Frau Merkel hat das jahrelang kongenial
gelöst, indem sie den Menschen vermittelt hat: „Ihr könnt mir
vertrauen. Ich steuere euch nicht in eine ungewisse Zukunft.“
Wir haben vor zwei, drei Jahren in Forschungsinterviews
immer wieder gespiegelt bekommen, dass viele das Gefühl
haben, Deutschland ist eines der letzten Paradiese und wir
sind umbrandet von ungeheuer vielen Krisenherden. Wenn
wir in die Zukunft blicken, haben wir das Gefühl, es wird nicht
besser, sondern es kann nur schlimmer werden. Das führte
dazu, dass wir an eine permanente Gegenwart glauben, >>
globalcompact Deutschland 2016
11
und Angela Merkel ist die Sachwalterin, weil sie den Menschen
sinngemäß sagt: „Ich fahre auf Sicht, ich führe euch nicht in
etwas Ungewisses, sondern ich garantiere, dass alles so bleibt,
wie es ist.“ Unmut dagegen hat sich nur an den Rändern der
Gesellschaft artikuliert. Zu einer Wellenbewegung wurde das
erst im letzten Jahr, als auch die gesellschaftliche Mitte von
der Verunsicherung erfasst wurde. Und dann brachen auch
sehr schnell bestimmte Kultiviertheitsstandards, nach dem
Motto: Jetzt darf es mal alles ausgesprochen werden. Damit
wurde nicht nur der inhaltliche Radius erweitert, sondern
auch die Affektwucht, mit der Debatten ausgetragen wurden.
Das traditionelle Grundversprechen ist ja, dass unsere Kinder es
einmal besser haben sollen. Das ist heute längst nicht mehr ausgemacht.
Können Sie die Angst der Eltern verstehen?
Die Menschen spüren die kippelige Weltsituation. Bernd
Ulrich hatte letztes Jahr ein Buch geschrieben, in dem er
Gespräche mit Politikern beschreibt, in denen sie ratlos sind
und angesichts der globalen Konfliktverwerfungen auch nicht
weiterwissen. Ich habe das mal mit dem Bild beschrieben,
dass Deutschland eine „Goretex-Republik“ ist: Das Gute aus
Deutschland dringt weiterhin nach außen, es macht uns
beispielsweise zum Export- und zum Reiseweltmeister, aber
das Krisenhafte bleibt außen vor. Was wir dann in 2015 erlebt
haben, war die Umkehrung dieser Semipermeabilität. Auf
einmal strömte es von außen scheinbar ungehindert rein, und
von innen kamen auch nur noch der VW-Abgas-Skandal oder
der Deutsche-Bank-Skandal heraus.
Die „Raute“ von Angela Merkel war immer auch ein Sinnbild
für eine fürsorgliche Umgrenzung der Republik. Damit
hat sie signalisiert: Ich lasse nichts an euch heran. In dem
Moment aber, als sie stattdessen die Arme ausgebreitet hat,
ist sie von der Befürworterin der permanenten Gegenwart
zum internationalen Willkommensengel geworden, der uns
in eine ungewisse Zukunft schickt. Da bekommt die lange
schwelende Eifersuchtsproblematik eine ganz neue Dynamik
und mündet in der tiefenpsychologischen Frage: Wen liebt
die Mutter eigentlich? Die eigenen Kinder oder die fremden
Kinder? In einer Studie, die wir Anfang des Jahres über Ängste
rund um die Flüchtlingspolitik gemacht haben, haben sehr
viele Befragte geantwortet: Die liebt die fremden Kinder mehr.
Die riskiert dafür ihr eigenes politisches Schicksal. Warum?
Mit dieser Kränkung kommen dann auch Ängste auf: Viele
von uns leben mit der Mentalität einer saturierten Vollkasko-
Gesellschaft, die jetzt auf Menschen trifft, die todesmutig sind,
die auf der Flucht jedes Risiko in Kauf genommen haben,
um sich eine bessere Zukunft aufzubauen. An dieser Stelle
beschleicht manche das Gefühl, da kommt eine Power ins
Land, die uns überlegen ist. Das ist der psychologische Grund,
warum ein Land mit einer ungeheuren Leistungsbilanz nicht
das Gefühl hat, wir schaffen das, sondern auf einmal die Angst
hat, die schaffen uns.
Und nun?
Globalisierung gilt für viele nicht mehr als Zukunftsoption,
und auch auf ein Modell der permanenten Gegenwart können
12 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Globalisierung gilt für viele nicht mehr als
Zukunftsoption, und auch auf ein Modell der
permanenten Gegenwart können wir uns nicht
mehr verlassen, also suchen wir unser Heil in der
Rolle rückwärts. Wir versuchen, Verhältnisse zu
restaurieren − das Amerika der Sechzigerjahre,
Deutschland vor der Wende.
wir uns nicht mehr verlassen, also suchen wir unser Heil in
der Rolle rückwärts. Wir versuchen, Verhältnisse zu restaurieren
− das Amerika der Sechzigerjahre, Deutschland vor
der Wende etc. Wir versuchen damit, Kindheitserinnerungen
wiederzubeleben. Der Psychologe würde sagen, wir regredieren
auf einfache Muster.
Aus Angst wird irgendwann immer Wut, und Wut ist per se ungezügelt.
Sie haben in einem früheren Interview den Umgang mit
Migranten und Flüchtlingen provokativ mit der mittelalterlichen
Hexenverfolgung verglichen. Was meinen Sie damit?
Das ist zum Teil vereinfacht aufgegriffen worden. Ich habe
mich nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern gefragt, wie
es kommt, dass die Angst vor Flüchtlingen in Regionen größer
ist, die kaum mit Flüchtlingen Kontakt haben. Die Flüchtlinge
werden hier zu einer Projektionsfläche für all die Probleme, die
manche Menschen haben, und ein Projektionsmechanismus
funktioniert dann am besten, wenn er nicht durch Realitätserfahrungen
korrigiert wird. Ich kann also das Gefühl, die
Flüchtlinge sind schuld an allem, nur aufrechterhalten, wenn
ich nicht mit ihnen in Kontakt komme.
Das Problem mit Ängsten, und dazu zählen eben auch die
Globalisierungsängste, ist, dass sie zunächst etwas Unfassbares
umschreiben. Es gibt eine Tendenz im Seelischen damit umzugehen,
indem man es fassbar macht. Darum kommt es zu diesen
Projektionen. Im Mittelalter gab es die großen Seuchen, und
überall starben die Menschen, ohne dass man damals wusste,
woran dies lag, weil man Viren und Bakterien noch gar nicht
kannte. Also hat man stattdessen angefangen, Juden, Hexen
oder wen auch immer damit in Zusammenhang zu bringen.
Dann hat die Angst ein Gesicht und man kann dagegen angehen.
Auch wenn man weiß, dass es Unschuldige trifft?
Ja, auch dann. Unsere seelischen Mechanismen sind so, dass
wir uns lieber schuldig als ohnmächtig fühlen. Noch besser
ist es, einen Schuldigen zu finden, dann können wir nämlich
Macht an den Tag legen.
Aber dann müssen wir dem Angstgefühl ein anderes Bild, einen
besseren Gesellschaftsentwurf entgegenstellen!
Richtig. Wir brauchen ein positives Bild. Deutschland ist
mehr als nur das vergangene Bild der Dichter und Denker
und des Erfindungsgeistes. Wir brauchen neue, zeitgemäße
und übergreifende Mythen und Bilder, um das Gefühl zu
vermitteln, ja, das ist deutsch.
Die zweite Aufgabe ist, dass es uns wieder gelingen muss,
die Sprachlosigkeit zu überwinden. Wir müssen vermitteln,
dass wir noch in der Lage sind, den Staat umzubauen. Sonst
gewinnt das Gefühl überhand, dass harsche Systemkorrekturen
notwendig sind. Dann glauben die Leute, man braucht einen
Zertrümmerer wie Trump, um etwas zu bewegen.
Vielen Dank für das Gespräch!
globalcompact Deutschland 2016
13
Agenda
Wanderung von
Waren statt von
Der dominante Grund für transnationale Wanderungen ist die Not. Die Menschen verlassen
die Heimat, wo Hunger oder Bürgerkrieg herrschen. Sie streben dorthin, wo sie diesen Gefahren
für die eigene Existenz entrinnen können. Die heutige Flüchtlingsbewegung nach Europa ist
hier keine Ausnahme.
Von Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker
14 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Die Flucht aus dem Süden in das warme Nest des Nordens
Menschen
Das Sehnsuchtsziel der Flüchtlinge und sonstigen Auswanderer
aus den armen Ländern (aus dem „Süden“) sind die reichen
Länder („der Norden“), in denen Wohlstand herrscht, in denen
man hoffen kann, Arbeit zu finden, mit deren Lohn man sich
und seine Familie ernähren kann, in denen es mannigfache
soziale Absicherungen gibt, wie sie der Sozialstaat europäischen
oder nordamerikanischen Zuschnitts zur Verfügung stellt.
Ich werde im Folgenden zur vereinfachten Darstellung von
den beiden Globalregionen „Norden“ und „Süden“ sprechen.
Es lohnt sich kurz zu rekapitulieren, welche Institutionen es
sind, die das Erfolgsmodell des Nordens ermöglicht haben. Es
handelt sich um die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft,
wie sie sich im Verlauf der letzten 250 Jahre entwickelt haben,
die „große Transformation“ (Karl Polanyi): ein Rechtsstaat, der
Rechtssicherheit und die Gleichheit vor dem Gesetz gewährt;
das Gewaltmonopol des Staates, das Bürgerkrieg verhindert;
die Gewaltenteilung, die Demokratie und individuelle Freiheit
ermöglicht; eine wettbewerblich verfasste Marktwirtschaft,
die in diesem staatlichen Rahmen Anreize für Effizienz und
materiellen Fortschritt schafft; Freiheit der Wissenschaft, die
neues, nützliches Wissen generiert; Meinungsfreiheit und Mehrheitsprinzip,
die für gewaltfreie Formen des Machtwechsels
und somit für gesellschaftliche Integration der meisten Bürger
sorgen; ein Sozialstaat, der bei allen Bürgern ein Interesse an
der Stabilität der öffentlichen Zustände generiert: „Die Rente
ist sicher“ (Norbert Blüm).
Die Antwort: Global-Soziale Marktwirtschaft
Ein ungehemmter Zustrom von Menschen aus dem Süden in
den Norden würde das Erfolgsmodell des Nordens zerstören.
Es muss daher im Interesse des Nordens liegen, viel dafür zu
tun, dass sich die große Diskrepanz in den Lebensbedingungen
zwischen Norden und Süden vermindert. Der Norden
steht vor der großen Aufgabe, die Soziale Marktwirtschaft zu
globalisieren. Wenn er seine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
retten will, muss er sie zu einer Global-Sozialen
Marktwirtschaft ausbauen.
Ungefähr in der Mitte des 21. Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung
die 10-Milliarden-Grenze überschreiten. Im
Vergleich zu heute vermehrt sie sich damit innerhalb weniger
Jahrzehnte um ein Drittel. Dieses Wachstum geht vor allem
in den Ländern der Dritten Welt vor sich. Es stellt diese Länder
vor große Herausforderungen. Dazu kommt: Je ärmer
ein Land ist, desto schneller wächst seine Bevölkerung. Die
Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Hunger und Bürgerkrieg
in vielen dieser Länder zunehmen werden. Die Ursachen für
transnationale Wanderungen werden voraussichtlich stärker
werden. Dann werden sich die Flüchtlingsströme verstärken;
es sei denn, dass die reichen Länder kräftig darauf hinarbeiten,
diesen Ursachen zu begegnen.
Der Ökonomie-Nobelpreisträger Angus Deaton hat in seinem
Buch „The Great Escape“ eine genauere Analyse der institutionellen
Dynamik vorgelegt, die dem Norden im Verlauf von
zwei Jahrhunderten diese „Flucht aus der Not“ ermöglicht hat.
Ich verstehe den Prozess der Globalisierung als ganz wesentlich
getrieben von dem Versuch der Menschen aus dem Süden,
die Erfolgsgeschichte des Nordens nachzumachen. Wenn
das Ziel die Global-Soziale Marktwirtschaft ist, dann bleibt
gar nichts anderes übrig, als diesen allgemeinen Prozess der
Globalisierung weiter laufen zu lassen, ja ihn, wenn möglich,
zu beschleunigen.
Damit die Dritte Welt vorankommt in Richtung auf das Ziel,
Teil einer weltweiten Sozialen Marktwirtschaft zu werden, muss
sie die Kultur der erfolgreichen Marktwirtschaft erlernen. Das
geschieht keinesfalls durch Kapital-Entwicklungshilfe >>
globalcompact Deutschland 2016
15
Agenda
seitens des Nordens. Diese war in der Vergangenheit schon
kein Erfolg. Und sie wird es in der Zukunft nicht werden
können. Denn durch die Kapitalentwicklungshilfe werden
in aller Regel die falschen Anreize gesetzt: Je ärmer man ist,
desto mehr „Anrecht“ hat man auf diese Entwicklungshilfe.
Sie wirkt damit wie eine Bremse für effizientes Wirtschaften
oder, anders ausgedrückt, wie eine Belohnung von Verschwendung
und eines Beibehaltens der Machtverhältnisse, die dem
Wohlstandswachstum der Gesamtbevölkerung entgegenstehen.
Sinnvoll kann eine Kapitalentwicklungshilfe dann sein, wenn
sie sich auf ganz bestimmte Projekte, z.B. Infrastrukturprojekte,
bezieht, die dem wirtschaftlichen Wachstum des Empfängerlandes
förderlich sind. Derartige Hilfe besteht meist aus Darlehen,
die aus den direkten oder indirekten Erträgen des Projekts
bedient werden können. Sie tragen daher zur Disziplinierung
des Wirtschaftens im Empfängerland bei. Die Weltbank hat
hier als Kapitalgeber einen großen Erfahrungsschatz gesammelt.
Lernen vom Norden durch Export in den Norden
Aber der wichtigste Lernprozess des volkswirtschaftlich erfolgreichen
Wirtschaftens ist der Warenexport des Südens in
den Norden. Indem Länder des Südens mithilfe ihrer Waren
und Dienstleistungen Bedürfnisse ihrer Abnehmer im Norden
bedienen, stehen sie Kunden gegenüber, die Teil einer erfolgreichen
Wirtschaftskultur sind. Damit sie bei diesen Kunden
reüssieren, müssen sie sich deren Usancen und derernKultur
annähern. Sie lernen, dass man Absatz in den Ländern der
reichen Welt nicht durch Bestechung des Einkäufers des
Kunden generiert, sondern durch das Angebot guter Ware zu
konkurrenzfähigen Preisen und mit pünktlicher Lieferung.
Sie lernen damit die Kaufmannstugenden der modernen Welt.
Je mehr ein Land des Südens Waren in den Norden exportieren
kann, desto schneller passt sich seine Kultur, passen sich seine
Institutionen denjenigen des Nordens an, desto erfolgreicher
ist es beim Wachstum des heimischen Wohlstands.
Paradebeispiele dieser Lehre bieten einige ostasiatische Staaten
wie Japan, Südkorea, Taiwan, Malaysia, Thailand und vor allem
auch die Volksrepublik China. Der rasante Wachstumsprozess
dieses Riesenlandes im Verlauf der letzten 35 Jahre ist eines
der erstaunlichsten Phänomene der Weltgeschichte. Im Jahre
1980 lebten noch drei Viertel der Bürger Chinas unter der
absoluten Armutsgrenze. Heute gibt es bei den Han-Chinesen
wohl niemand mehr, der mit weniger als einem Dollar pro Tag
und pro Kopf auskommen muss. China ist heute der größte
Verbraucher fossiler Energien, der größte Pkw-Hersteller
der Welt, das Land mit den weitaus meisten Ingenieuren. Es
ist auch militärisch so stark, dass man es angesichts seiner
wirtschaftlichen und rüstungsmäßigen Potenz als eine zweite
Weltmacht neben den USA bezeichnen kann.
In unserem Zusammenhang ist nun interessant, dass dieser
stürmische chinesische Wachstumsprozess nicht etwa durch
Kapitalhilfe der übrigen Welt zustande gekommen ist, sondern
− im Gegenteil − durch hohe Exportüberschüsse. China hat
16 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
seit den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts regelmäßig
wertmäßig weit mehr exportiert als importiert. Das bedeutet
zugleich, dass China im Saldo Kapital exportiert und nicht
importiert hat. Die Zentralbank der Volksrepublik China ist
der weitaus größte Eigentümer US-amerikanischer Staatsanleihen.
Man kann sagen: China ist der wichtigste Finanzier der
Haushaltsdefizite des US-amerikanischen Bundesstaates. Oder
auch: China ist der bedeutendste Finanzier des chronischen
US-amerikanischen Importüberschusses, bedeutender als die
reichen Ölstaaten vom persischen Golf.
Heute können wir China zusammen mit den OECD-Ländern
zum „Norden“ zählen. Auch seine Demografie ist der europäischer
Staaten oder Japans ähnlicher als dem typischen Land
aus dem Süden. Und so entsteht innerhalb dieses so abgegrenzten
Nordens die scheinbar paradoxe Situation, dass das
ärmste Mitglied, also China, dem reichsten und mächtigsten
Mitglied, also den USA, viel Geld schickt; und das mit dem
größten Vergnügen.
Diese scheinbare Paradoxie löst sich auf, wenn man daran
denkt, dass es genau der Export von Waren ist, der es China
ermöglicht hat, den Vorsprung des Nordens stark zu verringern,
wesentlich schneller wirtschaftlich zu wachsen als die
Mitglieder des Clubs der Reichen. Es ist der Export, der die
Transformation Chinas von einem rückständigen Reich der
Kulturrevolution zu einem äußerst potenten Industriestaat
bewirkt hat. Durch ihn vor allem sind die dafür notwendigen
sozialen Lernprozesse in Gang gekommen. Nach der fatalen
ersten Kulturrevolution Mao Tse Dungs sind wir nun Zeuge
eines ganz anderen Kulturwandels, der, gestreckt über ein
halbes Jahrhundert, dem chinesischen Volk die Erfolgsgeheimisse
der europäischen Moderne beschert. Im Zeitraffer
vollzieht China hier nach, wozu Europa und Nordamerika
zwei Jahrhunderte gebraucht haben. Dieser Prozess ist in
China noch keineswegs abgeschlossen. Und man kann nicht
ausschließen, dass er immer noch scheitert oder doch noch
einmal zurückgeworfen wird. Auch die Modernisierung eines
Landes wie Deutschland ist in den letzten zwei Jahrhunderten
nicht geradlinig verlaufen. Man denke nur an das „Dritte Reich“.
Bewegung. Der Wahlkampf eines Donald Trump zentriert
sich bei den Sachthemen genau um das Versprechen, die an
Mexiko und China verlorenen Arbeitsplätze zurück in die
USA zu holen. Die Volksabstimmung, die zum Brexit führte,
war sehr stark durch protektionistische Emotionen geprägt.
Es besteht gar kein Zweifel, dass im Norden einzelne Branchen
durch die ost- und süd-ost-asiatische oder auch mexikanische
Industrie-Konkurrenz massiv Arbeitsplätze eingebüßt haben.
Davon sind zum Teil auch ganze Regionen betroffen. Die Globalisierung
mag auch dazu beigetragen haben, dass einfache
Arbeit in den Ländern des Nordens schlechter entlohnt wird
als sie ohne den Ausbau des internationalen Handels bezahlt
worden wäre. Die Einkommensverteilung mag innerhalb der
Staaten des Nordens wegen dieser Globalisierung ungleicher
geworden sein. Diese Aussage gilt jedoch nur für die „Primärverteilung“
der Einkommen, während sie nach Berücksichtigung
der staatlichen Umverteilung zumindest in den europäischen
Ländern nicht ungleicher geworden ist.
Insgesamt war jedenfalls dieser Globalisierungsprozess ein
großer Erfolg für die Volkswirtschaften des Nordens. Länder
wie Deutschland, die USA, Japan, die Schweiz, Schweden,
Kanada haben ihr Sozialprodukt globalisierungsbedingt stark
steigern können. Das liegt einerseits daran, dass die Schwellenländer
kraft ihres Wachstums zu wichtigen Abnehmern
von Hochqualitätsgütern wurden. Dazu gehören die Produkte
des Silicon Valley, der pharmazeutischen Industrie, des gehobenen
Maschinen- und Anlagenbaus, des gehobenen >>
Die Vor- und Nachteile für den Norden
Die Transformation Chinas und überhaupt Ostasiens in die
Moderne ist im Abendland mit gemischten Gefühlen aufgenommen
worden. Neben der Genugtuung über den daran
erneut sichtbar werdenden Erfolg des eigenen Modells, neben
auch der Sympathie darüber, dass hier ein Teil der Menschheit
die bittere Not hinter sich gelassen hat, gibt es eine markante
Konkurrenzangst. Diese ist kein neues Phänomen. Schon Kaiser
Wilhelm II sprach von der „Gelben Gefahr“. Aber richtig
handgreiflich wurde sie erst in den letzten Jahrzehnten. In
den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren des zwanzigsten
Jahrhunderts war es die Japan-Phobie, die einen wichtigen
Platz im öffentlichen Diskurs erhielt. Doch seitdem ist es die
steigende Konkurrenzangst vor China, die ein Dauerthema der
öffentlichen Debatte ist. Sie führt, wie gerade jüngste Ereignisse
zeigen, zu einer stärker werdenden protektionistischen
globalcompact Deutschland 2016
17
Agenda
Automobilbaus, der Versicherungswirtschaft, partiell des
Gesundheitswesens, der Vermögensverwaltung und anderer
Branchen mehr.
Darüber hinaus haben alle Länder des Nordens davon profitiert,
dass die Schwellenländer zahlreiche Produkte sehr preiswert
produzieren konnten. Das Faktum, dass man in Deutschland
als Sozialhilfeempfänger nicht an der Kleidung erkannt werden
kann, verdankt man den günstigen Bekleidungsimporten aus
China oder Bangladesch.
Die Wirkung des Kapitalexports aus dem Süden in den
Norden
Schließlich ist der Wohlfahrtsgewinn nicht zu unterschätzen,
der dem Norden dadurch zufiel, dass er im großen Stil Kapital
aus China und anderen Schwellenländern zu günstigen Konditionen
importieren konnte. Die Wohnungsversorgung in der
reichen Welt hat sehr davon profitiert, dass die Kreditzinsen
wesentlich niedriger liegen als früher. Und dies ist nicht zuletzt
Folge davon, dass die Bewohner Chinas heute im großen Stil
sparen und ihre Sachwalter auf dem Weltkapitalmarkt nach
Anlagemöglichkeiten dieser Ersparnisse suchen. Die „Sparschwemme“,
die wir seit einiger Zeit konstatieren können,
rührt nicht zuletzt auch daher.
Natürlich ging dieser Globalisierungsprozess nicht reibungslos
vonstatten. Immer wieder entstanden Krisen, die schließlich
in der weltweiten Finanzkrise seit 2008 kulminierten.
Hier ist nicht der Ort für eine genaue Ursachenanalyse der
Finanzkrise. Nur so viel: sie ist in ihrer Schwere und Länge
ganz wesentlich dadurch erklärbar, dass die meisten Köpfe
die Bewegungsgesetze dieses Globalisierungsprozesses noch
nicht erfasst haben. Daher tut man sich zum Beispiel auch so
schwer mit dem fortdauernden Nullzinsphänomen, das ich
primär als durchaus positiv zu beurteilende Begleiterscheinung
der Globalisierung und ihrer demografischen Folgen
interpretiere. Als Kontrast denke man nur an den hypothetischen
Fall, dass Chinas Bevölkerung aus Armutsgründen
so wachsen würde wie die Afrikas. Die daraus resultierende
Entwicklung für die Weltbevölkerung wäre katastrophal für
die Stabilität des Erfolgsmodells des Nordens. Aber je mehr
Länder den demografischen Übergang („demographic transition“),
wie jetzt China, beendet haben, desto stärker wird
die „Sparschwemme“ werden. Es wird also gerade der Erfolg
des Globalisierungsprozesses mitsamt seinen demografischen
Wirkungen sein, der zu niedrigen Zinsen führt, mit denen
der Finanzsektor und die gesamtwirtschaftliche Steuerung
fertig werden müssen.
Der Handel als die Schule der Moderne
Wenn China und überhaupt Ostasien als Vorbild dienen können,
dann sollte die „Leistung“ des Nordens für den Süden darin
bestehen, dass man die Süd-Exporte von Industriewaren und
Dienstleistungen bewusst fördert, dass man diesen Export als
Schule der Moderne kräftiger macht, um so den Wanderungsdruck
aus dem Süden in den Norden abzubauen. Die Waren
sollen wandern, nicht die Menschen.
Diese Schule der Moderne kann insbesondere durch zwei
Maßnahmen des Nordens gedeihen. Erstens: Abbau von Handelshemmnissen
für Waren, die im Süden hergestellt und im
Norden verbraucht werden. Zweitens: ein für den Export aus
dem Süden günstiger Wechselkurs zwischen der „Währung“
des Nordens und der des Südens. Eine derartige Politik des
Nordens kann und sollte im Süden zu einem Überschuss der
wertmäßigen Exporte über den wertmäßigen Importen führen.
Denen steht spiegelbildlich im Norden ein Überschuss
der wertmäßigen Importe über den wertmäßigen Exporten
gegenüber. Indem der Norden sich großzügig als Absatzgebiet
für südliche Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stellt,
schafft er indirekt Arbeitsplätze im Süden, trägt er zur Prosperität
im Süden bei. Das ist die für den Süden selbst voreilhafte
Wanderungsbremse. Diese aber muss vital im Interesse des
Nordens sein, wenn er seine materiell so erfolgreiche Kultur
aufrechterhalten will.
18 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
In diesem kurzen Abriss kann ich auf Details nicht eingehen.
Es kommt mir hier auf den Grundgedanken an. Nicht die
Kapitalentwicklungshilfe des Nordens ist der richtige Weg,
sondern quasi sein Gegenteil: die Öffnung der Märkte des
Nordens für den Süden, der damit seinen Vorteil niedriger
Löhne ausspielen kann und im Verlauf die Erfolgskultur des
Nordens von seinen nördlichen Kunden lernt.
Wie schon im Falle Chinas oben gezeigt, würde der Norden von
einem solchen Politikwechsel profitieren, selbst wenn man den
Effekt der Wanderungsbremse nicht in Rechnung stellt: zwar
würden in einigen Branchen Arbeitsplätze wegfallen; jedoch
würden andere entstehen, solange der Norden durch eine geeignete
„Globalsteuerung“ dafür sorgt, dass Vollbeschäftigung
bestehen bleibt. Der mit dem Importüberschuss einhergehende
Kapitalimport aus dem Süden hätte einen zins-senkenden Effekt
auf dem Kapitalmarkt. Sofern die Zinsen nicht weiter sinken
können, weil sie schon bei null angekommen sind, kann sich
der Staat quasi kostenlos zusätzlich verschulden, um auf diese
Weise der Sparschwemme entgegen zu wirken und durch seine
schuldenfinanzierte Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen
für Vollbeschäftigung zu sorgen. Diese Staatsverschuldung
ist kostenlos, weil der Fiskus auf seine Staatsschulden keine
Zinsen zahlen muss, da ja voraussetzungsgemäß die Kapitalmarktzinsen
bei null liegen. Die Steuern können bei gegebenen
Staatsausgaben gesenkt werden, weil der Staat einen Teil der
Steuereinnahmen durch fortdauernde Nettoneuverschuldung
ersetzen kann. Diese Nettoneuverschuldung zum Zins null
dient somit einerseits dazu, den Wohlstandsgewinn des Nordens
aus einer solchen Politik durch Aufrechterhaltung der
Vollbeschäftigung Realität werden zu lassen; er dient andererseits
dazu, dem aus dem Süden hereinfließenden Kapital eine
Anlagemöglichkeit zu schaffen.
Der wichtigste Grund für diesen Politikschwenk ist allerdings
die damit einhergehende Beschleunigung des Wachstums im
Süden − mit der für den Norden bedeutsamen Einrichtung
einer Wanderungsbremse, soweit es die Wanderung vom
Süden in den Norden betrifft.
Natürlich sind nicht alle Staaten des Südens in gleicher Weise
darauf vorbereitet, auf den Märkten des Nordens konkurrenzfähig
zu sein. Einige Länder wie zum Beispiel Indien, Bangladesch,
Brasilien, Mexiko, Vietnam, Ägypten mögen in der Lage sein,
von den geöffneten Toren des Nordens gewinnbringenden
Gebrauch zu machen. Andere Staaten, geplagt von Bürgerkrieg
oder völlig rückständigen Machteliten, mögen hier im
Vergleich weiter zurückfallen. Das aber ist kein Einwand gegen
eine solche Politik. Im Gegenteil, je zahlreicher die Beispiele
erfolgreicher Nutzung eines freien Marktzugangs sind, desto
stärker werden auch in den rückständigen Ländern die Kräfte
werden, die auf Reform im Interesse höherer Konkurrenzfähigkeit
drängen. Erfolg wirkt ansteckend.
Zur Person
Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker ist Fachmann für theoretische
Fragen der Volkswirtschaftslehre, der Wettbewerbsund
Energiepolitik. Seit seiner Emeritierung 2003 ist er Senior
Research Fellow am interdisziplinär ausgerichteten Max-Planck-
Institut zur Erforschung der Gemeinschaftsgüter in Bonn.
globalcompact Deutschland 2016
19
Agenda
Migration und Flucht
in Zeiten der Globalisierung
Gegenwärtig versucht die Politik immer intensiver, eine klare Grenze zwischen „Flüchtling“ (auf
der Suche nach Schutz) und „Migrant“ (auf der Suche nach sozio-ökonomischer Verbesserung) zu
ziehen. In der Praxis ist eine Trennungslinie aber alles andere als klar.
20 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Von Dr. Pedro Morazán und Katharina Mauz
In der gesellschaftlichen Debatte wird von Migration sehr
häufig als „Problem“ gesprochen, das schnell politisch gelöst
werden müsse. Reflexartig wird für strengere Grenzkontrollen
und gar für eine Sicherung bzw. Schließung von Grenzen
plädiert − wenn nötig auch mit „Schießbefehl“. Übersehen
wird allerdings, dass Migration Teil eines breiteren und weltweiten
Prozesses von Entwicklung, Globalisierung und sozialer
Transformation ist, welcher die Menschheit seit Jahrhunderten
begleitet und auch künftig begleiten wird.
Die Ursachen von Migration und Mobilität sind nicht eindimensional.
Es wäre zu kurz gegriffen, Armut oder Globalisierung
als die einzigen Migrationsursachen zu betrachten. Es
gibt Umstände in den Herkunftsländern, die Auswanderung
auslösen − sogenannte Abstoßkräfte (push factors). Dazu gehören
ethnische oder religiöse Diskriminierung ebenso wie
schlechte Arbeitsbedingungen und Armut. Das allein erklärt
aber nicht die Entscheidungen der Menschen auszuwandern.
Anziehungskräfte der Zielländer (pull factors), wie höhere Löhne,
Bedarf an saisonalen Arbeitskräften in der Landwirtschaft oder
im Pflegebereich sowie an hochqualifizierten Fachkräften im
IT-Bereich, beeinflussen ebenfalls die Migration.
Migration ist nicht gleich Migration
Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wie Wohlstand,
geographische Nachbarschaft, Transportverbesserungen oder
plötzliche Ereignisse schaffen die Bedingungen und das Umfeld,
in dem Menschen die Entscheidung zwischen Gehen
oder Bleiben treffen − dies sind die Motive oder Ursachen der
Migration. Insgesamt sechs Tendenzen der Migration werden
in der Migrationsforschung identifiziert:
• Erstens die Globalisierung der Migration, d. h. immer mehr
Länder weltweit sind von der Migration betroffen.
• Zweitens der Richtungswechsel der Migrationsbewegungen,
d. h. die Süd-Nord-Migration ist heute stärker als die
Nord-Süd-Migration der Vergangenheit (von Europa nach
Argentinien, Australien etc.).
• Drittens die Differenzierung der Migration, d. h. die meisten
Länder haben mit verschiedenen Migrationsformen zu tun.
• Viertens die Proliferation von Migrationsübergängen, d. h.
viele Auswanderungsländer werden zunehmend zu Einwanderungsländern.
• An fünfter Stelle die Feminisierung der Arbeitsmigration,
d. h. anders als in der Vergangenheit sind es heute in zahlreichen
Migrationsbewegungen mehrheitlich Frauen, die
ihre Heimatländer verlassen.
• Und sechstens die steigende Politisierung von Migration,
d. h. Migration bestimmt immer mehr die Innen-, Außenund
Entwicklungspolitik der beteiligten Länder.
Ursachen:
1) Globale Ungleichheit
Während sogenannte Wirtschaftsmigranten − per Definition
− ihr Migrationsziel hinsichtlich eines höheren Beschäftigungseinkommens
wählen, geht es bei den politischen Flüchtlingen
in erster Linie darum, ihr Leben zu retten und sich in
Sicherheit zu bringen. Die sogenannten Wirtschaftsmigranten
hoffen, in den Zielländern mit besseren Arbeitsbedingungen
und angemessenerer Entlohnung ihr Wohlstandsniveau verbessern
zu können. Es muss allerdings festgehalten werden,
dass auch politische Flüchtlinge eher in Ländern mit geringer
Arbeitslosigkeit, wie Deutschland, Österreich oder Schweden,
Schutz suchen als in Ländern mit Beschäftigungsproblemen,
wie Griechenland oder vielen osteuropäischen Ländern.
Die Verbindung zwischen Migration und Beschäftigung ist
inzwischen als entscheidend für Armutsbekämpfung und Entwicklung
anerkannt. Die Lohndisparitäten zwischen reichen,
entwickelten Industrieländern und Entwicklungs- bzw. Schwellenländern
sind groß und haben in den letzten Jahren der
Wirtschaftskrise weiter zugenommen. Der Durchschnittslohn
lag 2013 in den entwickelten Ländern bei 3.000 US-Dollar − pro
Monat gemessen in Kaufkraftparität − verglichen mit einem
Durchschnittslohn von 1.000 US-Dollar in Schwellen- und Entwicklungsländern.
Der US-amerikanische Durchschnittslohn
ist mehr als dreimal so hoch wie der chinesische Durchschnittslohn.
Zwar ist der Lohnunterschied zwischen beiden Ländern
leicht zurückgegangen, die Arbeitsbedingungen haben sich
allerdings nicht verbessert.
2) Klimawandel und Umweltzerstörung
Insbesondere in armen Entwicklungsländern hat der Klimawandel
zu einer signifikanten Steigerung von Migration und
Umsiedlung geführt. Zwischen 2008 und 2013 mussten weltweit
ca. 165 Millionen Menschen wegen durch den Klimawandel
bedingte Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen. Jedoch
nicht immer haben sogenannte Umweltflüchtlinge die Möglichkeit,
frei darüber zu entscheiden, ob sie migrieren oder
bleiben. Diese Entscheidungen hängen von den Umständen ab,
unter denen Menschen von Umweltereignissen betroffen sind.
Opfer von schweren Naturkatastrophen oder Enteignungen
haben kaum die Kontrolle darüber, wie und wann sie ihren
angestammten Wohnsitz verlassen und wo sie Schutz suchen
können. Für die Bewohner vieler Regionen in Entwicklungsländern
ist Migration der einzige Ausweg, sich an >>
globalcompact Deutschland 2016
21
Agenda
schwerwiegende Umweltveränderungen, beispielsweise Dürren
oder Überschwemmungen, anzupassen. Wenn Menschen ihre
Heimat aufgrund der unmittelbaren Folgen des Klimawandels
verlassen, dann bewegen sie sich meist innerhalb ihrer
Heimatländer oder zwischen den Nachbarländern. Man spricht
deshalb auch von „trapped populations“ [„gefangene Bevölkerung“].
Nichtsdestotrotz ist die zunehmende Migration aus
Afrika über das Mittelmeer nach Europa unter anderem auch
eine Folge von tiefgreifenden Umweltveränderungen in der
Sahelregion und Subsahara-Afrika. Die Menschen sehen sich
zu Migration gezwungen, weil sie sich nicht mehr ernähren
können und deshalb ihr Überleben nicht mehr gewährleistet ist.
Die wirtschaftlichen und politischen Folgen von klimatisch
bedingten Umweltveränderungen sind schwerwiegender als
angenommen. Ein Beispiel ist der Krieg in Syrien, der als Folge
einer ganzen Reihe von ineinandergreifenden Entwicklungen
zu sehen ist. Im Fokus der Öffentlichkeit stand zwar der Protest
gegen das Al Asad-Regime, aber neben den bekannten religiösen,
ethnischen und wirtschaftlichen Hintergründen spielten
auch Umweltfaktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle.
3) Krieg und Gewalt
Ein Großteil der Flüchtlinge kommt aus fragilen Staaten,
Kriegsgebieten und Konfliktregionen. Die meisten von ihnen
bleiben in ihrer Region, da sie sich die Reise nach Europa,
bei der sie möglicherweise auf Schlepper angewiesen wären,
finanziell nicht leisten können. Gegenwärtig sind es besonders
Syrer und Eritreer, die flüchten müssen und in einem anderen
Land, beispielsweise in Deutschland, Schutz suchen. In fragi-
Fragiles Afrika
Bis 2030 wird die Anzahl der Menschen, die in Trockengebieten
in Westafrika leben, um 65 bis 80 Prozent steigen, so die
Schätzungen der Weltbank. Alarmierend ist auch, dass infolge
des Klimawandels der Anteil der Fläche, die als Trockenland
eingestuft wird, um mindestens 20 Prozent wachsen wird.
Der Zwang zur Migration und Vertreibungen werden in Afrika
zunehmen. Besonders stark betroffen sind mehr als 300
Millionen Menschen, die in Trockengebieten im Westen und
Osten Afrikas leben.
In Westafrika sprechen US-amerikanische Migrationsforscher
von einem Spannungsbogen (arc of tension), der das Zusammenwirken
zwischen Klimawandel, politischer Instabilität und
Migration entlang der vier Länder Nigeria, Niger, Algerien und
Marokko beschreibt. Diese vier Länder, teilweise verbunden
durch die Sahara, wurden von Sicherheitsexperten bisher
eher selten als eine geopolitische Konfliktregion angesehen.
Erst durch die neue Migrationskrise versteht man allmählich,
dass der Klimawandel Auslöser für weitere Krisen ist. Es ist
abzusehen, dass sich der Verteilungskampf um immer knapper
werdende Ressourcen in Zukunft zuspitzen wird.
22 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Die wirtschaftlichen und politischen Folgen
von klimatisch bedingten Umweltveränderungen
sind schwerwiegender als angenommen.
len Staaten können in Teilen des Landes oder im gesamten
Staatsgebiet die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet und
Bildung, Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklungschancen,
Rechtsordnung und -sprechung sowie Umweltschutz nicht
bereitgestellt werden. Fundamentale Infrastruktur oder Kommunikationseinrichtungen
fehlen. In diesem Vakuum übernehmen
Guerilla- und Rebellenbewegungen, Stammesfürsten,
Warlords, religiöse Führer oder Dorfälteste die Macht. Kurz:
Offizielle Strukturen werden zunehmend unterwandert und
ausgehöhlt und der Prozess des Zerfalls schreitet voran.
Rücküberweisungen
Die zehn Länder, die am meisten
von Rücküberweisungen profitieren
(als Anteil des BIP 2014)
47,2 %
29,2 %
25 %
Tadschikistan
Kirgisistan
Lesotho
Lange Zeit wurde die Bedeutung von Rücküberweisungen als
wichtiger Entwicklungsfaktor in Rahmen der Migrationsforschung
verkannt. Dies hat sich geändert, seit der wirtschaftliche
Gewinn deutlich geworden ist, den die Herkunftsländer
aus dem Geldtransfer erzielen, welchen Migranten von ihren
neuen Standorten aus veranlassen. Im Jahr 2015 betrug der
Wert von Rücküberweisungen in Entwicklungsländer 432
Milliarden US-Dollar. Außerdem spielen Rücküberweisungen
eine große Rolle für die Privathaushalte in den Herkunftsländern,
eröffnen neue Bildungschancen, verringern die Armut
und führen zu Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung.
Migration bietet somit Potenziale für die Herkunftsländer
der Migranten und fördert dort die lokale Wirtschaft und
Infrastruktur.
Der Zusammenhang zwischen Rücküberweisungen und sogenanntem
„brain drain“ (Abwanderung von qualifizierten
Arbeitskräften) kann jedoch auch negative Auswirkungen
auf die Herkunftsländer haben. Qualifizierte Arbeitskräfte
verlassen ihre Herkunftsländer im Globalen Süden und hinterlassen
eine entscheidende Lücke, die sich negativ auf den
Transformationsprozess dieser Länder auswirkt.
Bisher sind die Rücküberweisungen von Industrieländern in
die Herkunftsländer der Migranten recht kostspielig. Durchschnittlich
acht Prozent des Transferbetrags wird von der
Bank einbehalten. Möchte man Geld in die Subsahara-Region
verschicken, kann das sogar bis zu zwölf Prozent des Betrags
kosten. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development
Goals, SDG) und der im November 2015 von der
EU verabschiedete Notfall-Treuhandfonds für Afrika sehen
vor, die Kosten für Rücküberweisungen bis 2030 auf mindestens
drei Prozent und maximal fünf Prozent zu senken.
23,7 %
Moldawien
23,7 %
Nepal
23,4 %
Liberia
22,6 %
Samoa
20,5 %
Haiti
Info
Quelle: DAC Statistik
und Worldbank 2014
18,6 %
18,5 %
Westjordanland
und Gazastreifen
Armenien
Weitere und vertiefende Informationen finden Sie in der Südwind-
Studie „Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung. Die
Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und
Entwicklung“, Bonn 2016.
globalcompact Deutschland 2016
23
Agenda
Die Agenda 2030
im Kontext von Migration
Von Marlehn Thieme
Das Thema Flucht und Migration hat die deutsche, europäische
und internationale Politik auch 2016 deutlich geprägt und Spuren
hinterlassen. Anfang Mai präsentierte der Generalsekretär
der Vereinten Nationen (VN) − und diesjährige Gewinner des
deutschen Nachhaltigkeitspreises − Ban Ki-moon einen viel
beachteten Bericht zur Lage der Migranten und Flüchtlinge
weltweit („In Safety and dignity“). Darin fordert er die internationale
Staatengemeinschaft auf, den effektiven Schutz und
die rechtlichen Rahmenbedingungen der Flüchtenden wie
auch Migrantinnen und Migranten zu verbessern. Gleichzeitig
warnt er vor Rassismus und Xenophobie. Wenige Monate
nach Erscheinen des Berichts trafen am 19. September 2016
erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen Staats- und
Regierungschefs aus aller Welt zu einem Migrationsgipfel zusammen.
In der abschließenden New York Erklärung stießen
sie Aushandlungsprozesse für zwei globale Pakte an: Einen für
Flüchtlinge und einen weiteren Pakt für sichere, geordnete und
reguläre Migration. Beide sollen bis 2018 verabschiedet werden.
Grundlage für die neuen Pakte ist auch das Versprechen der
Agenda 2030, „niemanden zurückzulassen“ und die Zielvorgabe,
„eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle
Migration und Mobilität von Menschen zu erleichtern“. Die
Agenda 2030 hat den Anspruch, die Lebensbedingungen und
die Lebensqualität der Menschen weltweit zu verbessern. Für
die gelebte Realität wird die Umsetzung dieser Absichten
vor Ort entscheidend sein. Hoffnung gibt die Agenda 2030
für nachhaltige Entwicklung durch ihre festgeschriebene
Erkenntnis der Interdependenz aller Staaten dieser Welt und
der Notwendigkeit eines ganzheitlichen Governance-Ansatzes.
Politisch gesehen befindet sich die Weltgemeinschaft bezüglich
Flucht und Migration in einem Lernprozess. Mehr
denn je wird den Menschen bewusst, wie wichtig es ist, über
Fach- und Ländergrenzen hinweg voneinander zu lernen und
miteinander zu arbeiten, um Lösungsansätze für gemeinsame
Herausforderungen zu entwickeln.
24 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Im Jahr 2016 sind 65 Millionen Menschen auf der Flucht − so viele waren es zuletzt während
des 2. Weltkrieges. Nur die wenigsten von ihnen kommen nach Europa: Zwei Drittel der Geflüchteten
bleiben im eigenen Land, viele andere zieht es in angrenzende Staaten. So leben insgesamt
86 Prozent der Flüchtlinge in Entwicklungsländern, während die sechs größten Volkswirtschaften
weniger als neun Prozent aufgenommen haben. Was die Geflüchteten kurzfristig brauchen,
sind Nahrung und Schutz vor Witterung. Mittelfristig gilt es, die notwendige Infrastruktur aufzubauen
und Bildungs- sowie Verdienstmöglichkeiten zu schaffen. Langfristig benötigen die
Flüchtlinge eine Perspektive und nachhaltige Entwicklung.
Von der Entwicklungszusammenarbeit zum
ganzheitlichen Governance-Ansatz
Die zunehmenden globalen Herausforderungen betreffen
auch das Entwicklungsressort, dessen Bedeutung innerhalb
der Gesellschaft durch die weltweite Flüchtlingskrise zugenommen
hat. Zur Fluchtursachenbekämpfung werden daher
erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt. Mit
dem Regierungsentwurf für 2017 haben sich die Ausgaben
in den Politikbereichen Entwicklungszusammenarbeit und
Auswärtiges seit Beginn der Legislaturperiode 2013 um mehr
als 30 Prozent auf 13 Milliarden Euro erhöht.
Alleine werden diese Ressorts die Herausforderungen allerdings
nicht bewältigen können. So herrscht, verstärkt durch die
Verabschiedung der Agenda 2030, in der klassischen, ODAfinanzierten
Entwicklungszusammenarbeit seit längerem
eine gewisse Orientierungslosigkeit. Neben den klassischen
Anfang Mai präsentierte der Generalsekretär der
Vereinten Nationen (VN) − und diesjährige Gewinner
des deutschen Nachhaltigkeitspreises − Ban Ki-moon
einen viel beachteten Bericht zur Lage der Migranten
und Flüchtlinge weltweit („In Safety and dignity“)
Nord-Süd-Beziehungen wurden etwa Süd-Süd und / oder trilaterale
Partnerschaften immer wichtiger. Viele ehemalige
Entwicklungsländer treten mittlerweile selber als Geber auf.
Durch die zunehmende Komplexität der Herausforderungen
verliert die Entwicklungspolitik ihre Exklusivität für im
Ausland unterstützte Entwicklungsprozesse. Eine kohärente
Vorgehensweise wird damit erschwert, bleibt aber mehr als
zuvor notwendig. >>
globalcompact Deutschland 2016
25
Agenda
Wie schwierig dies mitunter sein kann, zeigt sich seit längerer
Zeit an der Schnittstelle von Entwicklungszusammenarbeit
und humanitärer Hilfe. Wann handelt es sich (nur) um eine
kurzfristige Notsituation, und wann ist eine gegebenenfalls
jahrzehntelange Unterstützung in einem Land nötig? Der
Klimawandel verschärft die Notwendigkeit, beides zusammen
zu denken: Zunehmende Naturkatastrophen erfordern eine
kurzfristige emergency response, langfristig aber müssen die
Länder bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt
werden. Durch den transformativen Charakter der Agenda
2030 kommt hinzu, dass nun alle Länder zu Entwicklungsländern
werden. Für den Erfolg sind alle Ressorts gleichermaßen
verantwortlich.
auszutauschen, neue Perspektiven und Lösungsansätze kennenzulernen,
handlungsorientierte Netzwerke zu knüpfen
und sich gegenseitig zu inspirieren und zu motivieren.
Die Rolle der Privatwirtschaft
Die Politik alleine wird die Umsetzung der SDGs nicht bewältigen
können. Schon vor ihrer Verabschiedung diskutierten daher
im Juli 2015 in Addis Abeba im Rahmen der dritten internationalen
Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung Experten
aus aller Welt über Möglichkeiten, die Privatwirtschaft stärker
als bislang in die Verantwortung zu nehmen. So gilt es, zur
Verbesserung der Situation in den Ländern des globalen Südens
Open SDGclub.Berlin
Um sich über die in der Agenda 2030 festgelegten Ziele und
die Erfahrungen in der bisherigen Umsetzung auszutauschen,
organisierte der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) im Jahr
2016 den Open SDGclub.Berlin. Geladen waren Akteure, die in
ihrem jeweiligen Kontext für die Umsetzung der Agenda 2030
zuständig sind und / oder dafür werben. Angesprochen waren
vor allem Vertreter von Nachhaltigkeitsräten und ähnlicher
Multi-Stakeholder-Einrichtungen und zivilgesellschaftliche
Netzwerker auf unterschiedlichen Handlungsebenen.
Die Open-SDGclub.Berlin-Teilnehmenden kamen aus über
zwanzig verschiedenen Ländern, viele davon aus Ländern, die
2016 beim High Level Political Forum (HLPF) berichtet haben
oder vorhaben, dies 2017 zu tun. Der Open SDGclub.Berlin
stellte eine Gelegenheit dar, sich aus unterschiedlichsten
Erfahrungshorizonten heraus über Umsetzungserfahrungen
die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort zu fördern. Ebenso
wichtig ist jedoch, dass sich international tätige Unternehmen
ihrer Verantwortung stellen und transparent handeln.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat deshalb bereits 2011
den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (Sustainability Code) eingeführt,
durch den die Mindeststandards der Bundesregierung
und Europäischen Kommission anerkannt und in praktisches
Handeln umgesetzt werden. Mit dem Transparenzstandard
können Unternehmen von ihrem jeweiligen Standpunkt aus
ihre Nachhaltigkeitsleistungen beschreiben und aufzeigen, wo
sie derzeit im Prozess hin zu einem integrierten Nachhaltigkeitsmanagement
stehen. Beispiele hierfür sind die Verknüpfung
von Nachhaltigkeitskriterien in der Managementvergütung; der
Anteil des Gesamtumsatzes, der in Forschung und Entwicklung
für Nachhaltigkeitsprodukte und Dienstleistungen investiert
wird und wie viele Gelder ein Unternehmen in Betriebsrenten
u. ä. anlegt.
26 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Gleichzeitig bietet ihnen der Kodex Ansatzpunkte für weitere
ökologische und soziale Verbesserungen. Damit werden
die Unternehmen zur lernenden Organisation und
glaubwürdiger. Dazu gehört auch, Schwachstellen in den
Lieferketten aufzuzeigen: Hochglanzberichte, die nur die
erste Stufe der Lieferkette aufzeigen, aber keine tieferen
Einblicke in ihre Produktionsabläufe gewähren, sind nicht
zielführend. Wenn Unternehmen, die mit ihrer Nachhaltigkeit
werben, aufgrund von Profitstreben nicht für
Nachhaltigkeit und die Beachtung der Menschenrechte
entlang ihrer Lieferkette einstehen, ist dies unaufrichtig.
Sorgfaltspflicht sollte das Gebot der Stunde sein. Transparenz
ist die Voraussetzung für Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
ihre gesamte Arbeit an der 2030-Agenda auszurichten. Die
Aufgabe der anstehenden deutschen Präsidentschaft wird
nun sein, diesen umzusetzen.
Vom 21. bis 23. November 2016 lud der Rat für Nachhaltige
Entwicklung erstmalig zum „Open SDGclub.Berlin“ ein.
Auf der internationalen Konferenz ging es um erste Erfahrungen
mit der Agenda 2030 der Vereinten Nationen.
Nach der wirtschaftlichen und informationellen Globalisierung
brauchen wir nun eine soziale Globalisierung und eine
weltweit stärkere Beachtung der Menschenrechte. Menschenrechtsverletzungen
sind nach der Reduktion von Treibhausgasen
das nächste Hochrisikothema (Divestment) für zahlreiche
Investoren. Bei soft commodities wie beispielsweise Palmöl
ziehen sich bereits große institutionelle Investoren zurück,
wenn ihre Investitionen mit Menschenrechtsrisiken behaftet
sind. Auf dem Markt der Zukunft wird daher nur bestehen,
wer Nachhaltigkeitsthemen frühzeitig erkennt, angeht und
offenlegt.
Die Beachtung von Nachhaltigkeitskriterien in der gesamten
Lieferkette wird international zunehmend relevanter und soll
auch eines der Themen der Deutschen G20-Präsidentschaft
sein. Beim Gipfeltreffen in Hangzhou, China, hatten die G20-
Staats- und Regierungschefs bereits einen G20-Aktionsplan
zur 2030-Agenda vereinbart, mit dem sie sich verpflichten,
Über die Autorin
Marlehn Thieme ist seit 2003 Mitglied des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
und seit 2004 Mitglied im Rat für Nachhaltige
Entwicklung. Seit 2012 ist sie die Vorsitzende
des Rates. Von 1986 bis Ende 2013 arbeitete die
Juristin bei der Deutsche Bank AG als Direktorin
im Bereich Corporate Social Responsibility und
als Mitglied des Aufsichtsrates. Marlehn Thieme
ist Aufsichtsratsvorsitzende der Bank für Kirche
und Diakonie (KD-Bank) und Vorsitzende des
ZDF-Fernsehrates.
globalcompact Deutschland 2016
27
Agenda
Flüchtlingshilfe
von Firmen
Die Flüchtlingshilfe war und ist bis heute vielfältig. Neben den unzähligen freiwilligen Helfern
sind es vor allem Firmen, die spenden und Jobperspektiven geben. Einen Überblick gibt eine
Studie der Bertelsmann Stiftung.
Die aktuellen Flüchtlingszuströme haben in Deutschland
eine Welle der Hilfsbereitschaft mobilisiert. Viele Privatpersonen
engagieren sich in Organisationen oder mit Sach- und
Geldspenden. Diese Hilfsbereitschaft zeigt sich auch bei
Unternehmen: Ein großer Teil setzt sich für die direkte Unterstützung
von Flüchtlingen ein. 74 Prozent der befragten
Unternehmen geben mindestens eine Maßnahme an, mit der
sie zur Flüchtlingshilfe beitragen. Die meisten engagieren sich
mit unterschiedlichen Maßnahmen: Von sieben möglichen
Tätigkeiten gaben die Unternehmen durchschnittlich 2,3 Betätigungsfelder
an. Dieses Engagement erfolgt am häufigsten
in Form von Sachspenden. Die Hälfte der Unternehmen unterstützt
die Flüchtlinge durch die Bereitstellung materieller Güter.
Besonders Dienstleistungsunternehmen wählen diese Form
der Hilfsleistung: Der Anteil der Dienstleistungsunternehmen
mit 250 bis 499 Mitarbeitern, die Sachspenden bereitstellen,
Direkte Unterstützung von Flüchtlingen in Prozent nach Mitarbeiterzahl und Branche
Praktikumsplätzen
62,2
Ausbildungsplätzen
48,3
Arbeitsplätzen
47,4
Berufsvorbereitungsmaßnahmen
40,2
Berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildungen
34,3
Berufsinformationsveranstaltungen
32,7
Sprachkursen
29,8
Mentoring / Coachingprogrammen
26,7
Sonstigen Angeboten
13,5
Studienstipendien
6,1
Quelle: Bertelsmann Stiftung / IW Consult 2016; n = 279 | Frage, nur den Unternehmen gestellt, die angegeben haben, Flüchlinge mindestens in geringem
Maße bei der Arbeitsintegration zu unterstützen: „Unterstützt Ihr Unternehmen Flüchtlinge bei der Arbeitsmarktintegration durch das zusätzliche Angebot von ...?“
28 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
liegt mit 50 Prozent gut neun Prozentpunkte höher als der
Anteil der Betriebe aus dem Verarbeitenden Gewerbe und
Baugewerbe derselben Größenklasse. Ab einer Größe von
über 500 Beschäftigten gibt es hier keinen nennenswerten
Unterschied mehr zwischen den Branchen.
Ein ebenfalls hoher Teil von Unternehmen gibt an, unternehmenseigene
Kompetenzen zur Flüchtlingshilfe bereitzustellen.
Das wäre bei kleineren Unternehmen etwa der Fall, wenn ein
ortsansässiges Fotostudio die Flüchtlinge mit Passfotos bei
der Beantragung von Genehmigungen oder Ausweispapieren
unterstützt oder eine Fahrradwerkstatt bei der Reparatur oder
Montage von Fahrrädern hilft. Dadurch wird die direkte Hilfe
besonders effizient. Auch bei dieser Maßnahme ist der Anteil
an Dienstleistungsunternehmen höher als im Verarbeitenden
Gewerbe und Baugewerbe.
genannt. Auch behördliche Restriktionen, die der grundsätzlichen
Bereitschaft zum Engagement entgegenstehen, werden
thematisiert: „Wir würden uns gerne in der Flüchtlingsintegration
engagieren, haben aber noch keine Möglichkeiten,
da diese [Flüchtlinge] erst nach einer längeren Zeit arbeiten
dürfen.“ Daher ist zu erwarten, dass sowohl aufgrund der
steigenden Zahl von Arbeitserlaubnissen als auch aufgrund der
Umsetzung von Maßnahmen, die gerade in Planung sind oder
angeschoben werden, sich künftig noch mehr Unternehmen
für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen einsetzen.
Darauf weisen auch Umfragen zu den künftigen Plänen der
Unternehmen hin. >>
Auffällig ist jedoch, dass kein merklicher Unterschied zwischen
der Größe der Unternehmen besteht. Während sich bei den
meisten anderen Maßnahmen verstärkt große Unternehmen
mit über 500 Mitarbeitern engagieren, ist der Unterschied bei
der Einbringung unternehmenseigener Kompetenzen geringer.
Im Verarbeitenden Gewerbe und Baugewerbe engagieren sich
in diesem Bereich mit 33 Prozent die kleineren Betriebe sogar
leicht mehr als die großen Betriebe der Branche mit 31 Prozent.
Neben Geldspenden, die rund 36 Prozent der Unternehmen
aufbringen, stellen jeweils ein Drittel der befragten Unternehmen
Infrastruktur bereit oder Mitarbeiter für ehrenamtliches
Engagement frei. Mit der Organisation von Informations- oder
Begegnungsveranstaltungen engagiert sich ein geringerer
Anteil von jeweils knapp einem Fünftel.
Arbeitsmarktintegration
Im Bereich der Arbeitsmarktintegration engagieren sich deutlich
weniger Unternehmen als in der direkten Hilfe. Rund
die Hälfte der befragten Unternehmen gibt an, Flüchtlinge
oder Asylberechtigte aktuell mindestens in geringem Maße
bei der Arbeitsmarktintegration zu unterstützen. Knapp ein
Viertel setzt sich in mittlerem oder hohem Maße dafür ein,
ein weiteres Viertel in geringem Maße. Auffällig ist, dass
es beim Ausmaß dieses Engagements kaum Unterschiede
zwischen den Branchen gibt. Größere Unternehmen engagieren
sich jedoch erwartungsgemäß zu einem höheren
Anteil als kleinere.
In der aktuellen Debatte wird häufig auf die Faktoren hingewiesen,
die das Engagement bei der Integration von Flüchtlingen
auf dem Arbeitsmarkt erschweren. Vor allem mangelnde
Sprachkenntnisse, fehlende Qualifikationen oder Informationen
darüber sowie aufenthaltsrechtliche Restriktionen
erschweren die Einstellung von Flüchtlingen − selbst dann,
wenn diese von beiden Seiten gewünscht ist. Anmerkungen
aus der Unternehmensbefragung geben ebenfalls Hinweise
auf derartige Restriktionen. Unter anderem werden die jetzt
erst anlaufenden Maßnahmen, die mangelnden rechtlichen
Möglichkeiten und fehlende Unterstützung für Unternehmen
globalcompact Deutschland 2016
29
Agenda
Dieses Engagement kann durch verschiedene Maßnahmen
erfolgen. Aktuell engagierte Unternehmen bieten meistens
Praktika an. Von den Unternehmen, die sich mindestens in
geringem Maße für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen
engagieren, stellen 62 Prozent zusätzliche Praktikumsplätze
zur Verfügung. Knapp die Hälfte bietet zusätzliche
Ausbildungsplätze an. Damit scheint ein Schwerpunkt des
Engagements die Unterstützung junger beziehungsweise
ungelernter Flüchtlingen zu sein. 47 Prozent engagieren
sich jedoch auch durch das zusätzliche Angebot von Arbeitsplätzen.
Der Anteil von Dienstleistungsunternehmen, die
zusätzliche Arbeitsplätze anbieten, liegt mit 51 Prozent um
zehn Prozentpunkte höher als der der Betriebe des Verarbeitenden
Gewerbes und Baugewerbes. Jeweils ungefähr ein
Drittel der Unternehmen unterstützen Flüchtlinge durch
berufsbegleitende Fort- und Weiterbildungen sowie durch
Berufsinformationsveranstaltungen.
Aus der Praxis
Motive
Die Integration von Menschen mit Behinderung, Menschen
mit Migrationshintergrund und älteren Arbeitnehmern in die
Belegschaft kann für Unternehmen eine Möglichkeit darstellen,
auf den demografischen Wandel und gesellschaftliche Veränderungsprozesse
zu reagieren. Unternehmen können durch eine
erfolgreiche Integration dieser Personen auf einen größeren
Bewerberpool zurückgreifen und die Kompetenzvielfalt der
Belegschaft erhöhen. Gleichzeitig fördert die Berücksichtigung
von Gruppen mit erschwerten Zugangsvoraussetzungen zum
Arbeitsmarkt die Chancengleichheit und kann damit zur
Verringerung der sozialen Ungleichheit beitragen.
Umfragen zeigen, dass Unternehmen, die Maßnahmen im
Diversitäts- und Integrationsmanagement durchführen, zwei
Hauptmotive haben. Sie wollen zum einen ihr Rekrutierungspotenzial
erhöhen, indem sie Personengruppen gezielt
ansprechen, und gleichzeitig ihr Arbeitgeberimage verbessern.
Damit ist der Fachkräfte- beziehungsweise Bewerbermangel für
72 Prozent der Unternehmen ein wichtiger Beweggrund. Zum
anderen wollen viele Unternehmen durch die Maßnahmen
das Know-how und die Arbeitsprozesse verbessern. 65 Prozent
versprechen sich von einer multikulturellen Belegschaft mehr
Kreativität, Innovationskraft und Wissensvielfalt. Diversität
als Mittel zur internationalen Reputation und zum verbesserten
Marktzutritt erhofft sich mit jeweils etwa 40 Prozent ein
weitaus geringerer Anteil von Unternehmen.
Eines der wichtigsten Elemente in der
Flüchtlingshilfe ist Geduld: Es wird nicht
alles auf Anhieb klappen. Die Integration
der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ist
ressourcen- und betreuungsintensiv.
Es braucht Zeit, um eine neue Sprache
zu lernen und sich auf dem deutschen
Arbeitsmarkt sowie in den Unternehmen
inklusive der jeweiligen Unternehmenskultur
zurechtzufinden. Da es gut
ein Jahr oder auch länger dauern kann,
bis Asylverfahren und Integrationskurs
abgeschlossen sind, ist es sinnvoll,
Qualifizierungsmaßnahmen und Berufsorientierung
bereits währenddessen
anzubieten.
Allerdings hat dieses Motiv für Betriebe des Verarbeitenden
Gewerbes und des Baugewerbes eine größere Bedeutung als
für Dienstleistungsunternehmen.
Mehr zum Thema
Weitere Informationen finden Sie in der Bertelsmann Studie
„Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen angesichts
neuer Herausforderungen und Megatrends“.
30 globalcompact Deutschland 2016
Praxisbeispiele
Berufsvorbereitung und Berufseinstieg
„Gemeinsam handeln!“ − dieser Name ist Programm: Gemeinsam
mit zahlreichen Partnern hat Deutsche Post DHL Group ein
deutschlandweit koordiniertes Projekt ins Leben gerufen, um
in der Flüchtlingskrise nachhaltige und langfristige Unterstützung
zu bieten. Das Projekt fußt auf der Expertise anerkannter
Organisationen und konzentriert sich darauf, das gesellschaftliche
Engagement der Mitarbeiter zu fördern und zu stärken,
Flüchtlingen eine berufliche Orientierung zu ermöglichen
sowie Bund, Länder und Kommunen zu unterstützen. Der
Startschuss fiel im September 2015. Zu Beginn war besonders
eine schnelle, unbürokratische und effektive Unterstützung
gefordert: Die Grundbedürfnisse der Geflüchteten − Unterkunft,
medizinische Versorgung, Unterstützung bei der Asylbürokratie
sowie Beschulung − standen im Vordergrund. Mittlerweile
fördert Deutsche Post DHL Group die Integration durch gezielte
Unterstützung des Spracherwerbs und der Berufsvorbereitung.
Um zielgerichtet helfen zu können, hat das Unternehmen ein
bundesweites Netzwerk aus 100 Koordinatoren in den Niederlassungen
aufgebaut. Diese haben die Aufgabe, gemeinsam
mit den beteiligten Hilfsorganisationen in ganz Deutschland,
jeweils auf lokaler Ebene zu unterstützende Projekte zu identifizieren
und zu betreuen. Sie dienen auch den Mitarbeitern
als Ansprechpartner vor Ort.
>>
Praktikum statt Krieg und Terror
Von der Westküste Afrikas an die Ruhr:
Im Briefzentrum Essen absolviert derzeit
Mamadou Diallo ein Praktikum
im Bereich Briefsortierung. Seit zwei
Jahren lebt der Flüchtling aus Guinea
in Deutschland und bekommt nun bei
der Deutschen Post DHL Group die
Chance, wertvolle Qualifikationen für
das Berufsleben zu erwerben − sei es
in Europa oder Afrika.
Für Deutschlands größtes Logistikunternehmen
ist es eine Selbstverständlichkeit,
Menschen in Notsituationen zu helfen.
„Wir nehmen, als einer der größten Arbeitgeber
Europas, unsere gesellschaftliche
Verantwortung außerordentlich
ernst“, erklärt Karl-Heinz Behrens. Er
ist Niederlassungsleiter der Deutschen
Post in Essen. „Die Flüchtlingshilfe ist ein
konkretes Beispiel dafür, dass wir bei dem
Thema Unternehmensverantwortung
zwar langfristig denken und planen, aber
auch in der Lage sind, uns kurzfristig auf
gesellschaftliche Herausforderungen
einzustellen.“
Mamadou Diallo und die vielen Menschen,
die genau wie er auf der Flucht vor Krieg
und Terror in Deutschland Asyl gefunden
haben, werden von der Deutschen Post
umfassend unterstützt. Spracherwerb
und berufliche Qualifikation steht im
Mittelpunkt des Praktikumsprogramms
für Flüchtlinge, für die das Unternehmen
deutschlandweit 1.000 Plätze geschaffen
hat. Die Praktikanten aus den Krisengebieten
erleben so einen ersten Blick in
das Logistikunternehmen − wie es auch
viele deutsche Praktikanten erstmals
kennenlernen. Sollte sich am Ende eines
Praktikums der Wunsch nach einem
Ausbildungsplatz ergeben, ist dies ganz
im Sinne der Post. „Im Praktikum kann
ich mich über den Arbeitsalltag und die
Möglichkeiten bei der Post genau informieren“,
bestätigt Mamadou Diallo.
Rund 100 Mitarbeiter wurden als Praktikumskoordinatoren
für die Menschen aus
Afrika und dem Nahen Osten qualifiziert.
Sie sind die Schnittstelle zwischen den
Postbeschäftigten und den humanitären
Stellen, die Menschen auf der Flucht
versorgen. Rund eine Million Euro stellt
die Deutsche Post im ersten Jahr des
Projekts für die Flüchtlingshilfe vor Ort
zur Verfügung.
Im Unternehmen trifft das Engagement
auf breite Zustimmung und Unterstützung
durch die Mitarbeiter. Rund 10.000
Mitarbeiter setzen sich deutschlandweit
ehrenamtlich für unterschiedliche
Flüchtlingsprojekte ein und organisieren
beispielsweise Sachspenden oder Freizeitaktivitäten
für die Menschen in Not.
globalcompact Deutschland 2016
31
Praxisbeispiele
Berufsvorbereitung und Berufseinstieg
Das Familienunternehmen Bahlsen bietet Flüchtlingen in
seinen Standorten Praktikumsplätze und eröffnet berufliche
Chancen. Ziel ist es, den Menschen nach Monaten der Ungewissheit
wieder eine Perspektive zu geben und sie dabei zu
unterstützen, in ihrer neuen Heimat beruflich Fuß zu fassen.
Mitarbeiter von Bahlsen sind in die Initiative eingebunden. Sie
begleiten Flüchtlinge durchs Unternehmen und arbeiten eng
mit ihnen zusammen. Beim Einsatz im Schichtbetrieb wird
auf die besonderen Rahmenbedingungen der Flüchtlinge (z. B.
durch eingeschränkte Mobilität) Rücksicht genommen. Soweit
möglich werden die Flüchtlinge nach ihrem Praktikum an das
Unternehmen Bahlsen gebunden.
Daimler hat im ersten Halbjahr 2016 rund 300 Flüchtlingen
ein sogenanntes Brückenpraktikum angeboten. Im Spätsommer
2016 begann die zweite Welle dieser Brückenpraktika
in einer ähnlichen Größenordnung. Darüber hinaus hat
das Unternehmen noch weitere Praktikumsplätze vergeben,
Ausbildungsplätze geschaffen und Flüchtlinge fest eingestellt.
Die Flüchtlinge erlernen im Brückenpraktikum praktische
Grundkenntnisse zur Arbeit in der Industrieproduktion und
besuchen täglich einen Deutschkurs. Die Sprachkurse zielen
auch darauf ab, den Teilnehmern in der deutschen Arbeitswelt
weiterzuhelfen. So werden zusammen Bewerbungsunterlagen
erstellt und Vorstellungsgespräche auf Deutsch trainiert. Die
Bundesagentur für Arbeit finanziert die ersten sechs Wochen
des Brückenpraktikums. In den restlichen Wochen vergütet
Daimler die Arbeitszeit auf Basis des Mindestlohngesetzes.
die eine Willkommenskultur für Geflüchtete in Deutschland
stärken. Die Think-Big-Projekte helfen beispielsweise dabei,
zwischen Behörden und Flüchtlingen zu vermitteln, Begegnungen
zu ermöglichen und Zugang zu Freizeitaktivitäten zu
schaffen. Telefónica-Mitarbeiter unterstützen einige Projekte
als ehrenamtliche Paten.
Die Commerzbank setzt sich ein, um jungen, nach Deutschland
geflohenen Menschen den Start ins Berufsleben zu erleichtern:
In den kommenden drei Jahren unterstützt das Finanzinstitut
den Auf- und Ausbau von „Kompass“ − dem neuen Programm
von „Joblinge“ zur Integration von jungen Flüchtlingen in den
ersten Arbeitsmarkt. Seit 2007 engagiert sich „Joblinge“, um
Jugendlichen mit schwierigen Startbedingungen eine tatsächliche
und qualifizierte Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt
zu ermöglichen. „Joblinge“ wurde hierfür schon 2014 von der
Deutschlandstiftung Integration ausgezeichnet. „Kompass“
richtet sich gezielt an die zahlenmäßig größte Gruppe der nach
Deutschland geflüchteten Menschen: Jugendliche zwischen
18 und 25 Jahren mit niedriger bis mittlerer Qualifikation. In
dem neuen Programm wird insbesondere auf die Aktivierung
des Selbsthilfepotenzials und der damit verbundenen Stärkung
der Selbstbestimmung Wert gelegt. Ehrenamtliche geschulte
Mentoren stehen den jungen Menschen für die Gesamtdauer
des Projekts von rund einem Jahr zur Seite. Neben sprachlicher
und beruflicher Qualifizierung nimmt die Sensibilisierung für
interkulturelle Belange einen großen Raum ein.
Tchibo und seine Mitarbeiter engagieren sich in Hamburg und
bundesweit mit Corporate-Volunteering-Maßnahmen, Beschäftigungsangeboten
sowie Sachspenden für die Integration von
Geflüchteten. Die Tchibo Patenschaft für Geflüchtete setzt drei
Schwerpunkte: Kooperationen und Corporate Volunteering,
Beschäftigung sowie bedarfsgerechte Sachspenden. Auf dieser
Basis setzt Tchibo nun ein langfristiges Corporate-Volunteering-Programm
auf. Angedacht sind Kooperationen mit einer
Erstaufnahmeeinrichtung sowie einer Schule in Hamburg.
Projekt- und Abteilungsteams können hier Teamtage vor Ort
durchführen. Darüber hinaus haben Tchibo-Mitarbeiter die
Möglichkeit, ehrenamtlich als Mentor zu fungieren.
Das Ziel von Telefónica Deutschland ist, Flüchtlingen bei der
Integration zu helfen. Ein wichtiger Ansatzpunkt dafür ist das
erfolgreiche Jugendprogramm „Think Big“, in dem engagierte
Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren eigene soziale und
digitale Projektideen verwirklichen und dabei mit fachlichem
Coaching und finanziellen Mitteln unterstützt werden. Mit
der Patenschaft ermöglicht Telefónica auch Jugendprojekte,
Corporate-Volunteering-Programm bei Tchibo
32 globalcompact Deutschland 2016
Ausbildung und Arbeit
Die Deutsche Bahn baut ihr Engagement zur Integration von
Flüchtlingen aus. In den Jahren 2017 und 2018 werden 150
zusätzliche Plätze in den Qualifizierungsprogrammen der DB
angeboten. Sie kommen zu den insgesamt rund 120 Flüchtlingen
hinzu, die 2016 bei der DB qualifiziert wurden. Ziel der
DB ist es, die Flüchtlinge mit zertifizierten Qualifizierungen
nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Schon
seit Ende 2015 hat die DB erfolgreich Qualifizierungsprogramme
angeschoben. Bei „Chance plus für Flüchtlinge“ werden
junge Leute über mehrere Monate fit für eine Ausbildung
gemacht, die „Umschulung für Flüchtlinge“ zum Elektroniker
für Betriebstechnik in München dauert bis zu 28 Monate und
richtet sich an Berufserfahrene. Beide Programme beinhalten
intensive Sprachkurse.
Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit. Damit das Programm
die Teilnehmer bestmöglich unterstützen kann, werden die
angebotenen Praktika und Ausbildungsplätze u.a. durch
interkulturelle Trainings, ein Mentoring- und Patensystem
sowie eine psychologische Hotline begleitet. >>
McDonald’s setzt sich zum Ziel, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt
zu integrieren. Seit Beginn des Zustroms Anfang 2015 haben
McDonald’s Deutschland und seine Franchise-Partner über
900 Flüchtlingen ein Beschäftigungsverhältnis ermöglicht.
Ende 2015 hat man in Kooperation mit der Bundesagentur für
Arbeit (BA) im Rahmen eines Pilotprojekts in den Restaurants
Bewerbertage speziell für Flüchtlinge durchgeführt. Daraus ist
ein Leitfaden entstanden, der das Einstellen von Flüchtlingen
in die Restaurants deutschlandweit und die Abstimmung mit
den Behörden erleichtern soll.
thyssenkrupp hat das Programm „we help“ im September 2015
ins Leben gerufen, um zusätzliche 150 Ausbildungsplätze und
230 Praktikumsplätze für Flüchtlinge zu schaffen. Das Unternehmen
möchte damit einen Beitrag leisten, den Flüchtlingen
die Integration zu erleichtern und ihnen die Möglichkeit zu
geben, sich aus eigener Kraft ein Leben in Deutschland aufzubauen.
Das zunächst auf zwei Jahre angelegte Programm
„we help“ wird vom Gesamtkonzern und dem Engagement
seiner Mitarbeiter getragen, die sich vor Ort als Ausbilder,
Integrationshelfer und Mentoren um die Integration der
Flüchtlinge in den Betriebsablauf und das Miteinander mit
den Kollegen kümmern.
Wie gut das gelingt, zeigt das Beispiel von Amanuel aus Eritrea,
der seit Kurzem eine Ausbildung bei thyssenkrupp macht.
Gemeinsam mit vielen anderen bereits eingestellten jungen
Zuwanderern profitiert er von den professionellen Ausbildungsmöglichkeiten
des Konzerns sowie von der toleranten,
multinationalen Atmosphäre unter den Kollegen. Die Ausbildungs-
und Praktikumsplätze werden sowohl im gewerblichen
als auch im kaufmännischen Bereich an unterschiedlichen
Standorten von thyssenkrupp in Deutschland geschaffen. Im
Mittelpunkt des Programms „we help“ steht die Integration von
thyssenkrupp-Auszubildender Amanuel aus Eritrea
globalcompact Deutschland 2016
33
Praxisbeispiele
Bürgerschaftliches Engagement
Für das „Ankommen“ in Deutschland und die Integration in
den Arbeitsmarkt werden gute Deutschkenntnisse benötigt.
Daher unterstützt Innogy Flüchtlinge durch Dolmetschertätigkeit
und beim Erlernen der deutschen Sprache. Konkret stellt
Innogy bis Ende 2017 mindestens 15 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter für Dolmetschertätigkeiten zur Verfügung, um
arabisch-, französisch- und englischsprachige Flüchtlinge zu
unterstützen. Zusätzlich bietet Innogy in Kooperation mit der
Caritas Essen Sprachkurse für mindestens 60 Flüchtlinge für
das Jahr 2016 an. Bis zu 20 Flüchtlinge drücken bei Innogy
zweimal in der Woche die Schulbank und lernen Deutsch.
Insgesamt meldeten sich mehr als 70 Mitarbeiter. Die Kurse
finden während der Arbeitszeit in Räumen der Innogy SE statt.
So unterstützt der Vorstand das ehrenamtliche Engagement
der Mitarbeiter. Den ersten erfolgreichen Pilot-Kurs gab es
bereits von Februar bis April. Auch die Innogy-Kollegen lernen
bei den Sprachkursen dazu. So erweitern sie zum Beispiel ihr
interkulturelles Wissen, üben Moderationstechniken und
freies Sprechen − und nebenbei erfahren sie viel Herzlichkeit.
Die Integration von Flüchtlingen gehen der FC und die Stiftung
1. FC Köln sportlich an. Fußball ist die ideale Sportart,
um Menschen jeden Alters, jeder Nation und jeder Religion
zusammenzuführen. Fußball verbindet Menschen, Fußball
ist international. Sprachbarrieren spielen bei diesem Sport
keine Rolle. Seit Herbst 2015 ermöglicht die FC-Stiftung ein
wöchentliches Training für Flüchtlingskinder zwischen acht
und 14 Jahren. Bei den Einheiten zeigen bis zu 15 Kinder
aus der Flüchtlingsunterkunft Neusser Straße ihr fußballerisches
Können. Sie kicken gemeinsam mit Kindern des
CfB Ford-Niehl, einem Partnerverein des 1. FC Köln. So wurden
zahlreiche neue Freundschaften geknüpft, die den Start in ein
neues Leben in Köln vereinfacht haben.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) steht bei der Betreuung von
Flüchtlingen vor gewaltigen Herausforderungen. Deshalb stellt
die Stiftung der Airbus Group dem DRK auf unbestimmte Zeit
eine mobile Gesundheitsstation für die medizinische Versorgung
von Flüchtlingen zur Verfügung. Mit der Übergabe der
mobilen Gesundheitsstation soll die medizinische Versorgung
von 5.000 Flüchtlingen im niederbayerischen Feldkirchen
gewährleistet und entscheidend verbessert werden. Das DRK
kann hierdurch die gesamte medizinische Palette anbieten
− von der Behandlung kleinerer Verletzungen bis zur notfallmedizinischen
Versorgung. Die mobile Gesundheitsstation
kann bei Bedarf an anderen Orten aufgestellt werden − national
sowie international.
Vissmanns unterstützt die Renovierung und Ausstattung des
Flüchtlingsheims in Battenberg. Die ersten Erfahrungen sind
sehr positiv. Die Flüchtlinge sind überaus motiviert und die
Vissmann Mitarbeiter engagieren sich mit großem Einsatz bei
der Betreuung. Insgesamt sieht man in der Region sowohl bei
den Menschen als auch bei den Unternehmen eine hohe Bereitschaft,
die Menschen, die zu uns kommen, zu unterstützen
und möglichst schnell zu integrieren.
Mit verschiedenen Projekten engagiert sich VAUDE gemeinsam
mit seinen Mitarbeitern für die Integration von Flüchtlingen.
Dabei spielt für den Hersteller von Outdoor-Artikeln
auch der Sport eine wichtige Rolle. So können Flüchtlinge
an vielfältigen Sportkursen teilnehmen, die im Rahmen des
betrieblichen Gesundheitsmanagements bei VAUDE angeboten
werden. Dazu gehören beispielsweise auch Kletterkurse
an der betriebseigenen Kletterwand. Ein weiteres konkretes
Projekt: Gemeinsam mit Flüchtlingen werden in der VAUDE
Fertigung am Firmenstandort in Tettnang nachhaltige Taschen
aus Stanzresten gemeinnützig produziert. Auf diese Weise
bietet das Unternehmen Zuwanderern eine sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit
bei der sie gleichzeitig erste Erfahrungen
im deutschen Arbeitsalltag sammeln können. Darüber hinaus
organisiert der Outdoor-Ausstatter in diesem Jahr einen Tag
der offenen Tür speziell für Flüchtlinge. Hierbei erfahren sie
nicht nur, welche Arbeitsbereiche und Stellen es bei VAUDE
gibt, sondern können auch an Bewerbungstrainings teilnehmen
sowie bei Führungen den Arbeitsalltag kennenlernen.
Quelle
Eigene Beiträge und Beispiele von „Wir-Zusammen. Initiative
der deutschen Wirtschaft zur Unterstützung der Integration von
Flüchtlingen in Deutschland.“
34 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
Teilhabe und Integration
Was kann die schulische Bildung beitragen?
Deutschland ist und bleibt ein Einwanderungsland. In diesem Kontext führen chancengleiche
Bildung und Teilhabe nicht nur zu individuellen, sondern auch gesamtgesellschaftlichen Vorteilen.
Bildung trägt dazu bei, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich in der Welt zu orientieren, sie
zu verstehen, zu reflektieren, in ihr eine Rolle zu finden und sich an ihrer Gestaltung zu beteiligen.
Dabei geht es um die Entwicklung von Kompetenzen, um am gesellschaftlichen und politischen
Leben unserer Demokratie mitzuwirken. Die Schule ist eine Gesellschaft im Kleinen, wo junge
Menschen all dies lernen können.
Von Ina Bömelburg und Katharina Tesmer
Bis Ende des Jahres 2016 werden ca. 1,3 Millionen Menschen
in Deutschland als schutz- und asylsuchend registriert sein, gut
200.000 von ihnen im schulpflichtigen Alter zwischen sechs
und 16 Jahren, gut 750.000 jünger als 25 Jahre. So verwundert
es nicht, dass die bildungspolitischen Debatten derzeit stark
geprägt sind von Fragen der Migration und der Integration
junger Menschen in das deutsche Bildungssystem.
In ihrer „Erklärung zur Integration von jungen Geflüchteten
durch Bildung“ hat die Kultusministerkonferenz (KMK) Anfang
Oktober 2016 festgehalten: „Wir werden aber auch im
kommenden Jahr die bislang eingeleiteten Maßnahmen und
Angebote zur schulischen und beruflichen Bildung junger Geflüchteter
fortführen, weiterentwickeln und ausbauen müssen.“
Dafür haben die Bundesländer im Schuljahr 2015/2016 unter
anderem etwa 13.000 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen.
Aber nicht nur der politische Handlungsdruck ist gewachsen.
Die Bildung junger Geflüchteter in den Blick zu nehmen, ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deutschland hat >>
globalcompact Deutschland 2016
35
Agenda
eine starke Zivilgesellschaft, wie zuletzt der Freiwilligen-Survey
vom Frühjahr 2016 und eine Studie des Berliner Instituts
für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM)
der Humboldt-Universität zu Berlin zeigten: Im Jahr 2014
sollen 43,6 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren
freiwillig engagiert gewesen sein und es hat sich gezeigt, dass
sich immer mehr Menschen in Deutschland ehrenamtlich für
Flüchtlinge engagieren. Vereine verzeichneten in den Jahren
2013 bis 2015 einen Anstieg um 70 Prozent. Ehrenamtliche
vermitteln zwischen Familien und Schulen oder engagieren
sich im Sprachunterricht.
Die Stiftung Mercator mit ihren thematischen Schwerpunkten
in der internationalen Zusammenarbeit, der Wissenschaftsförderung,
dem Klimawandel, der Integration und kulturellen
Bildung versteht sich als Teil der Zivilgesellschaft. Wir sind
für die Bildung aktiv, weil wir dort einen drängenden gesellschaftlichen
Bedarf erkennen und zugleich mit unserem
Engagement etwas bewegen können.
Wie aber kommen wir von den Zielen gleicher Bildungs- und
Teilhabechancen zu tatsächlichen Veränderungen? Wer sind
die entscheidenden Akteure? Wie findet Integration durch
Bildung statt? Und was können wir als Stiftung zu einer gelingenden
Integration in der Schule beitragen?
Schulen und Lehrkräfte brauchen Unterstützung
Trotz bestehender Schulpflichtregelungen der Bundesländer
gilt die Schulpflicht nicht überall von Anfang an, insbesondere
für Asyl suchende Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen
Alter. In der Praxis ist der Schulzugang daher für viele prekär.
Sind die Kinder und Jugendlichen einer Schule zugeordnet,
werden sie entweder direkt in Regelklassen aufgenommen oder
in den sogenannten Willkommens- oder Seiteneinsteigerklassen
unterrichtet. Welches Modell hierbei am günstigsten ist, ist
wissenschaftlich noch nicht bewertet worden. Klar ist jedoch,
dass es vielfach an qualifiziertem Lehrpersonal fehlt. Und
zunehmend wird deutlich, wie zentral eine psychologische
Betreuung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen ist.
Umgang mit zunehmender Diversität wird Kernaufgabe
von Schule
Die hohe Zahl der neu eingewanderten schulpflichtigen
Kinder und Jugendlichen stellt das Schulsystem aktuell vor
große Herausforderungen. Laut Bevölkerungsstatistik wird in
nur wenigen Jahren mehr als die Hälfte aller Schüler einen
Migrationshintergrund haben. Sie kommen aus unterschiedlichen
kulturellen, religiösen und sozialen Kontexten und
bringen Herkunftssprachen aus aller Welt mit. Die bereits
vorhandene Diversität im Klassenzimmer wird dadurch also
weiter verstärkt. Schulen und Lehrkräfte müssen sich der
wachsenden sozialen, sprachlichen, kulturellen und religiösen
Heterogenität der Schülerschaft stellen, die Schule und ihren
Unterricht grundlegend verändern.
Insbesondere können Einstellungen, Haltungen und Erwartungen
von Lehrkräften einen Einfluss auf die Leistungen von
Schülern haben. Ein defizitär geprägter Blick auf Menschen
kann dazu führen, ihre Potenziale zu verkennen. Die Stärken
von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund,
wie beispielsweise ihre Mehrsprachigkeit, eine ausgeprägte
Leistungsorientierung und hohe Flexibilität, werden im Bildungssystem
immer noch zu wenig erkannt und gefördert.
Neben der einzelnen Lehrkraft spielt die Schule an sich ebenfalls
eine entscheidende Rolle beim Abbau von Bildungsungleichheit.
Die Schule als Gesamtes muss sich interkulturell
öffnen: „Bei der interkulturellen Öffnung des Schulsystems
geht es um einen veränderten Blick der Institution Schule
sowie der in ihr verantwortlich Handelnden auf die durch
Migrationsprozesse veränderte Schulrealität insgesamt sowie
um eine Anpassung der Institution in ihren Strukturen,
Methoden, Curricula und Umgangsformen an eine in vielen
Dimensionen plurale Schülerschaft“, schreibt die Migrations-
und Erziehungswissenschaftlerin Yasemin Karakaşoğlu.
Diesen Handlungsbedarf hat auch die Politik erkannt: Mit
dem Beschluss „Interkulturelle Bildung und Erziehung in
der Schule“ fordert beispielsweise die Kultusministerkonferenz,
allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer
Herkunft umfassende Teilhabe an Bildung und Chancen
für den größtmöglichen Bildungserfolg zu eröffnen, indem
Diskriminierung abgebaut wird und verschiedene Kulturen
selbstverständlicher Teil der Schule werden.
Eine erfolgreiche Integration kann also nur dann gelingen,
wenn Schulen gut mit der zunehmenden Diversität umgehen
können. Dabei darf es nicht um eine Weiterentwicklung
kompensatorischer Förderstrategien gehen, sondern
um die Verankerung einer Anerkennung und Achtung von
Vielfalt. Aber bekommen Schulen die dafür notwendige
Unterstützung? Zu wenig, resümieren das Mercator-Institut
36 globalcompact Deutschland 2016
MIGRATION
für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und der
Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und
Migration nach einer Untersuchung darüber, wie Lehrkräfte
in Deutschland in ihrer Ausbildung und in der Fortbildung
lernen, mit kulturellen und sprachlichen Unterschieden im
Klassenzimmer angemessen umzugehen. Sie haben Prüfungs-,
Studienordnungen und Fortbildungskataloge analysiert und
sind zu dem Schluss gekommen, dass Lehrkräfte in nur sechs
deutschen Bundesländern den Umgang mit sprachlicher und
kultureller Vielfalt systematisch lernen. Es gibt noch zu wenige
wirksame und wenig praxisnahe Qualifizierungsangebote. Die
zentrale Empfehlung lautet, dass die Lehrerbildung an Universitäten,
im Referendariat und in der Fort- und Weiterbildung
entsprechend angepasst werden muss.
Um Schulen und Lehrkräfte bei dieser Herausforderung zu
unterstützen, verstärken wir unser Engagement für einen besseren
Umgang mit Diversität in der Schule. Daneben sind wir
in langjährig aufgebauten Handlungsfeldern aktiv, mit denen
wir zu mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland beitragen
möchten. Hier einige Schlaglichter bezogen auf die Schule.
Durchgängige Sprachbildung fördern
Im Handlungsfeld der sprachlichen Bildung und Sprachförderung,
das als wichtiger Faktor für einen guten Umgang mit
Diversität zu verstehen ist, haben wir darauf hingearbeitet,
die Projekte im Hinblick auf das Ziel der chancengerechten
Teilhabe systemisch anzulegen; weg von additiven, zusätzlich
geförderten Maßnahmen wie dem Förderunterricht, hin zu
einer systemischen Förderung, bei der die Akteure im Schulsystem
− in der Regel die Lehrer − qualifiziert und begleitet
werden. Die wissenschaftliche Forschung, die praktische Schulund
Unterrichtsentwicklung, die Lehrerbildung und politische
Kommunikation greifen ineinander, damit Schülerinnen
und Schüler verbesserte Lernbedingungen und bestmögliche
Unterstützung erfahren.
Bildungsübergänge verbessern
Neben sprachlichen Hürden lässt sich beobachten, dass Schüler
mit Migrationshintergrund und / oder aus Nichtakademiker-
Familien insbesondere beim Übergang von einer Bildungsinstitution
in die nächsthöhere Probleme haben. Dies führt
dazu, dass viele junge Menschen nicht die Bildung erhalten,
die ihren Fähigkeiten entspricht.
Dies gilt besonders für neu eingewanderte junge Menschen,
bei denen es aufgrund mangelnder Sprach- und Kulturkenntnisse
besonders schwierig ist, ihre Kompetenzen richtig einzuschätzen
und entsprechende Übergangsempfehlungen
auszusprechen. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam
mit der RuhrFutur gGmbH, einer Partnergesellschaft der
Stiftung Mercator, beispielsweise das Programm „Wegbereiter“
entwickelt, das Kommunen und Schulen im Ruhrgebiet u. a.
dabei unterstützt, bessere Diagnoseverfahren zu entwickeln
und eine durchlässige schulische Integration der geflüchteten
Kinder zu ermöglichen.
Qualität im Ganztag verbessern
Auch setzen wir auf die Verbesserung der Qualität im Ganztag,
weil der Ganztag die Schulform der Zukunft in einer
vielfältigen Gesellschaft ist. Er bietet optimale Bedingungen,
um gerade sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche (und
damit auch neu eingewanderte junge Menschen) individuell
und unabhängig von den Unterstützungsmöglichkeiten des
Elternhauses zu fördern. In den Projekten dieses Handlungsfelds
wie beispielsweise „LiGa − Lernen im Ganztag“ zeigt sich,
dass es in Ganztagsschulen besonders gut gelingt, geflüchtete
Kinder und Jugendliche von Anfang an ins Sozialleben und
Regelangebot der Schule einzubeziehen.
Kulturelle Bildung als Mittel zur Integration
Aktivitäten im Bereich der kulturellen Bildung sind ein wichtiges
Mittel, um die nachhaltige Integration neu eingewanderter
Kinder und Jugendlichen in der Schule den Boden zu bereiten.
Gerade künstlerische Aktivitäten wie gemeinsames Singen
oder Tanzen sind besonders geeignet, Kinder und Jugendliche
unmittelbar in Interaktionen und Kommunikationen ohne
Sprachbarrieren zu bringen. Einige unserer Projekte im Bereich
„Kulturelle Bildung“ setzen daher genau hier an.
Gesellschaftliche Diskurse versachlichen
Die Schule steht nicht allein, sondern ist Teil gesellschaftlicher
Diskurse und Entwicklungen. Was eine Schule ausmacht, ist
eben nicht nur die Struktur, ihre Organisation und das fachliche
Know-how der Pädagogen, sondern auch die Einstellungen und
Haltungen zu Integration und Diversität. Ein chancengleicher
Zugang zu Bildung für alle Kinder und Jugendlichen ist nur
dann möglich, wenn auch die Gesellschaft Einwanderung
und Vielfalt positiv gegenübersteht. Zwar überwiegen nach
wie vor positive Einstellungen in der deutschen Bevölkerung,
der aktuelle Trend hin zu einer Ablehnung der Vielfalts- und
Willkommenskultur allerdings markiert einen verstärkten
Handlungsbedarf von Zivilgesellschaft und Staat. Durch die
Förderung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für
Integration und Migration oder Studien wie „ZuGleich − Zugehörigkeit
und Gleichwertigkeit“ möchte die Stiftung Mercator
beispielsweise zur Versachlichung der öffentlichen Debatte
beitragen und eine unabhängige, faktenbasierte Politikberatung
ermöglichen.
Über die Autorinnen
Ina Bömelburg und Katharina Tesmer sind als Projektmanagerinnen
im Bereich „Integration“ der Stiftung Mercator tätig.
Dort entwickeln und begleiten sie Projekte und Initiativen für
gerechtere Bildungschancen in Deutschland. Sie verantworten
insbesondere die Handlungsfelder zur Förderung einer durchgängigen
Sprachbildung, für einen positiven Integrationsdiskurs und
besseren Umgang mit sozialer, kultureller und religiöser Diversität
in Schule und Gesellschaft.
globalcompact Deutschland 2016
37
Agenda
Unternehmen und
Wie kaum ein zweites Nachhaltigkeitsthema
erleben die Menschenrechte
derzeit eine Entwicklung hin zu mehr
Verbindlichkeit. Angestoßen hat diesen
Prozess vor fünf Jahren John Ruggie
mit der Entwicklung der UN-Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte.
Aber auch Katastrophen wie
das Unglück in der Textilfabrik Rana
Plaza, der schwierige Umgang mit
Konfliktmineralien und die Vermeidung
von Kinderarbeit führen zu zunehmender
staatlicher Regulierung. Durch die
Verpflichtung zu verantwortlichem
und integrem Handeln – auch entlang
ihrer Lieferketten − können Unternehmen
entscheidend zur Umsetzung der
Menschenrechte beitragen. Modernes
Menschenrechtsmanagement formuliert
nicht nur Herausforderungen,
sondern Unternehmen können dies
auch als Leitmotiv verstehen und als
Chance, Nachhaltigkeitsthemen voranzutreiben.
38 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
Menschenrechte
globalcompact Deutschland 2016
39
Agenda
Zunehmende Verrechtlichung von
Menschenrechtsaspekten
Dass Menschenrechte auch Unternehmen etwas angehen, hat sich heute als weitgehender
Konsens durchgesetzt. Verschiedene gesetzgeberische Initiativen befassen sich mit unterschiedlichen
Teilaspekten der menschenrechtlichen Verantwortung wirtschaftlicher Akteure.
Was das in der Praxis bedeutet und warum sich daraus auch Chancen für Unternehmen
ergeben, zeigt das Beispiel des britischen Modern Slavery Act.
Von Laura Curtze
Transparenz in der Lieferkette
Seit Oktober 2015 sind mit dem britischen Modern Slavery
Act neue Transparenzbestimmungen für Unternehmen in
Kraft. Demnach müssen Firmen jährlich öffentlich zugängliche
Erklärungen darüber abgeben, welche Maßnahmen sie
ergreifen, um moderner Sklaverei in ihren Lieferketten und
Geschäftstätigkeiten vorzubeugen und entgegenzuwirken.
Moderne Sklaverei umfasst dabei nicht nur Zwangsarbeit im
herkömmlichen Sinne, sondern auch Menschenhandel mit dem
Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung. Berichten müssen alle
Unternehmen, deren Jahresumsatz über 36 Millionen Pfund
liegt und die zumindest einen Teil davon durch Tätigkeit in
Großbritannien erbringen. Das schließt auch eine große Zahl
deutscher Unternehmen mit ein.
Das Gesetz an sich schreibt zwar nicht vor, was genau in den
Erklärungen enthalten sein muss. Der begleitende Leitfaden
der britischen Regierung allerdings empfiehlt deutlich, sowohl
Informationen über den eigenen Betrieb und relevante
interne Richtlinien bereitzustellen als auch zu beschreiben,
wie genau vorgegangen wird, um Risiken moderner Sklaverei
zu erkennen und zu mildern. Nicht die Risikovermeidung
steht hierbei im Vordergrund, sondern Transparenz und ein
effektiver Umgang mit eventuellen Negativauswirkungen im
Sinne einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht.
Internationale und nationale Rahmenwerke
Dieser Ansatz bildet spätestens seit der Beschließung der
UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte durch
den UN-Menschenrechtsrat den Rahmen für die soziale Verantwortung
wirtschaftlicher Akteure. In der Praxis bedeutet
das für Unternehmen, potenzielle Negativauswirkungen ihrer
direkten und indirekten Aktivitäten auf die Menschenrechte
zu identifizieren, zu minimieren und wiedergutzumachen.
40 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
Auch auf gesetzlicher und politischer Ebene ist die Verantwortung
von Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte
zunehmend fest verankert. Bislang haben Regierungen in acht
Staaten ihre Strategie zur Umsetzung der UN Leitprinzipien
in Nationalen Aktionsplänen festgehalten, in gut 30 weiteren
Ländern sind entsprechende Konzepte in Arbeit, darunter
auch Deutschland. Ein dem Modern Slavery Act ähnliches
Gesetz verpflichtet bereits seit 2010 in Kalifornien tätige
Unternehmen, über Risiken in Bezug auf Zwangsarbeit und
Menschenhandel zu berichten. In Frankreich befindet sich ein
Gesetzesentwurf zur unternehmerischen Verantwortung für
Menschenrechte in der Abstimmung, in der Schweiz wird eine
entsprechende Volksabstimmung vorbereitet und europaweit
müssen EU-Mitgliedsstaaten − sofern noch nicht geschehen
− die sogenannte CSR-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung
umsetzen.
Menschenrechte zunehmend relevant
Diese Entwicklungen tragen einer veränderten Realität Rechnung:
Mit zunehmend globalen und komplexen Liefer- und
Wertschöpfungsketten steigt für Unternehmen auch das Risiko,
direkt oder indirekt zu Menschenrechtsverletzungen beizutragen.
Der Einsturz der Rana Plaza Textilfabrik in Bangladesch,
Berichte über Arbeitssklaven auf thailändischen Fischtrawlern
oder prekäre Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern in
Europa − all das sind Szenarien, die den daraus entstehenden
Handlungsbedarf unterstreichen.
Eine große und stetig wachsende Zahl von Unternehmen setzt
sich daher aktiv für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen
und Minimierung von menschenrechtlichen Risiken in ihren
Lieferketten und Geschäftsbeziehungen ein. In Umfragen unter
Geschäftsleuten landen Menschenrechte immer häufiger unter
den wichtigsten Themen der Nachhaltigkeitsagenda. Als vor
Kurzem das britische Business & Human Rights Resource Centre
eine Befragung unter den DAX 30-Unternehmen durchführte,
nahmen mehr als zwei Drittel der kontaktierten Firmen teil
und machten teils detaillierte Angaben dazu, was sie zur
Achtung der Menschenrechte unternehmen.
Was machen Unternehmen?
Auch die Transparenzbestimmungen des Modern Slavery Act
spielen hierbei eine Rolle. Ergon Associates, eine auf Wirtschaft
und Menschenrechte spezialisierte Beratung, analysiert
die Umsetzung der Berichtspflicht des Modern Slavery Act
seit dessen Inkrafttreten. Eine kürzlich mit Historic Futures
durchgeführte Studie ergab, dass der Modern Slavery Act erheblich
dazu beigetragen hat, die Führungsebene britischer
Unternehmen für soziale und menschenrechtliche Risiken
in der Lieferkette zu sensibilisieren. Auch der Fokus auf die
Identifizierung und Überwachung von Risiken habe nach
Einführung des Modern Slavery Act weiter zugenommen.
Das zeigt sich − zumindest teilweise − auch in den bislang veröffentlichten
Berichten. Knapp 1.000 Modern-Slavery-Erklärungen
sind mittlerweile in dem von zivilgesellschaftlichen
Organisationen getragenen zentralen Register hinterlegt. Auch
eine Zahl deutscher Unternehmen ist darunter. Die inhaltliche
Tiefe der Berichte variiert stark: Eine Analyse der rund 250
ersten Berichte durch Ergon Associates zeigte, dass nur knapp
20 Prozent der gemachten Erklärungen genauere Angaben
dazu enthielten, wie die Unternehmen Zwangsarbeits- und
Menschenhandelsrisiken in der Lieferkette identifizieren und
bekämpfen. Auch ein Jahr nach Inkrafttreten der Berichtspflicht
sind dies Bereiche, zu denen viele Unternehmen lediglich vage
Informationen bereitstellen. Gleichzeitig ist jedoch auch zu
beobachten, dass gerade größere, global agierende Firmen
detaillierte Erklärungen abgeben, oftmals integriert in die
breitere Nachhaltigkeits- oder Menschenrechtsberichterstattung,
die ihren Umgang mit Risiken moderner Sklaverei ausführlich
beschreiben. Das ist nicht nur im Sinne des Gesetzes, sondern
auch von strategischer Bedeutung.
Die Berichtspflicht als Chance
Denn der Umgang von Unternehmen mit menschenrechtlichen
und sozialen Risiken wird auch für zivilgesellschaftliche
Beobachter, Geschäftspartner und Konsumenten immer wichtiger.
Und auch für Investoren spielt das menschenrechtliche
Risikomanagement von Unternehmen eine wachsende Rolle.
Das zeigt sich zum Beispiel in der Erweiterung des Dow
Jones Sustainability Index um einen Indikator zum Thema
Wirtschaft und Menschenrechte oder in der Entwicklung von
Initiativen wie dem Corporate Human Rights Benchmark, der
sich auf die vergleichende Bewertung von unternehmerischen
Sorgfaltspflichtsprozessen konzentriert. Auch für kleinere
Betriebe wird eine transparente Haltung zum Thema Menschenrechte
zunehmend relevant, nicht zuletzt aufgrund
von Kundenanfragen.
Vor diesem Hintergrund bietet die Berichterstattung unter
dem Modern Slavery Act Unternehmen auch klare Chancen:
Zum einen kann die Berichtspflicht dabei helfen, Nachhaltigkeitsthemen
intern zu priorisieren und eigene Prozesse
zur Risikoidentifizierung und -minimierung anzustoßen, zu
evaluieren und zu optimieren. Darüber hinaus stellen die zu
veröffentlichenden Erklärungen auch eine Gelegenheit für
Unternehmen dar, verstärktes Engagement zu demonstrieren,
Transparenz herzustellen − und so nicht zuletzt gegenwärtigen
und zukünftigen Anforderungen seitens Konsumenten,
Kunden, Investoren und Gesetzgebern entgegenzukommen.
Die Berichte und Analysen von Ergon Associates zum Modern Slavery Act sind
abruf bar unter: www.ergonassociates.net
Über die Autorin
Laura Curtze arbeitet als Researcher bei Ergon Associates, einer
Unternehmensberatung mit Hauptsitz in London, die Kunden aus
ganz Europa zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichtsprozessen,
Arbeitsnormen, sozialer Nachhaltigkeit in der Lieferkette und
Reporting berät.
globalcompact Deutschland 2016
41
Agenda
Effiziente
Vertragsgestaltung
in der Lieferkette
CSR-Vereinbarungen sind ein gutes Mittel unternehmerischer Sorgfalt, sagt der Jurist
Robert Grabosch und erläutert, wie Verträge entsprechend gestaltet werden können.
Die Anforderungen an die unternehmerische Sorgfalt steigen.
Das betrifft alle vier Themen des UN Global Compact.
Die Sorgfalt darf sich in allen Geschäftsfeldern nicht mehr
auf die unmittelbaren Geschäftspartner des Unternehmens
beschränken. Sie muss − wo angezeigt − auch tiefer in die
Wertschöpfungskette hineinreichen. Ausweislich der neuen
CSR-Berichtspflichten betrifft dies alle verschiedenen
nichtfinanziellen Belange. Gleichzeitig zeigen Investoren
und Kunden im Falle eines Skandals immer weniger Geduld.
Dass in der Lieferkette Probleme auftreten können, ist keine
neue Erkenntnis. Der hilflose Einwand, man könne für das
Verhalten von Lieferanten oder deren Geschäftspartner keine
Verantwortung übernehmen, wirkt heute eher unbeholfen
denn glaubwürdig. Kann ein Unternehmen im Skandalfall
nicht angemessen handeln, erwägen inzwischen selbst solche
Investoren einen Ausstieg, die sich Nachhaltigkeit nicht
ausdrücklich auf die Fahne geschrieben haben.
Umso wichtiger wird es, Informationsrechte und Einflussmacht
in Verträgen zu gestalten. Dazu sollten mit den sorgfältig
ausgewählten Geschäftspartnern klare Absprachen getroffen
werden. Dass Geschäftspartner rein mündlich formulierte
oder gar stillschweigende Erwartungen erfüllen, ist nicht
ernsthaft zu erwarten. Es gilt der Grundsatz: Was wichtig ist,
wird schriftlich fixiert. Aber nicht alle Probleme lassen sich
durch klare Verhaltensregeln vermeiden. Deswegen ist in
Vertragswerken auch festzuhalten, wie die Vertragspartner mit
Problemfällen umgehen werden. Nur so vermeiden Geschäftsführer
und Vorstände es, in Skandalfällen handlungsunfähig
zu sein und sich in peinliches Schweigen hüllen zu müssen.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick darüber, welche Vereinbarungen
mit Lieferanten in Betracht kommen. Die neuen
CSR-Berichtspflichten auf Grundlage der EU-Richtlinie vom
22.10.2014 sollten den mit CSR-Aufgaben betrauten Mitarbeitern
Anlass bieten, die Vertragswerke gemeinsam mit internen oder
externen Rechtsberatern auf Verbesserungspotential zu prüfen.
CSR in Verträgen thematisieren
Nicht wenige Unternehmen erwarten von ihren Geschäftspartnern
schlicht, dass sie ihren Verhaltenskodex zur Kenntnis
nehmen und bestätigen. Ob damit aber irgendeine rechtliche
Verbindlichkeit einhergeht und wie mit möglichen Verstößen
gegen den Kodex umgegangen werden soll, bleibt zwischen
den Vertragspartnern ungeklärt.
Wer zeigen will, dass er es mit der Unternehmensverantwortung
ernst meint, muss sie in seinen Vertragswerken thematisieren.
Vereinbarungen zum Umgang mit CSR-Belangen sind heutzutage
in den Geschäftsbeziehungen großer Unternehmen
bereits weit verbreitet. Doch häufig erschöpfen sie sich in
vagen Wunschvorgaben oder gar apodiktischen Behauptungen.
So heißt es etwa in den allgemeinen Einkaufsbedingungen
eines großen deutschen Einzelhändlers, der Lieferant „versichert,
dass die gelieferte Ware weder durch ausbeuterische,
gesundheitsschädigende oder sklavenartige Arbeit noch durch
Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder sonst die Menschenwürde
verletzende Gefängnisarbeit hergestellt worden ist.“ Doch
was genau bedeutet das beispielsweise für Hersteller von Lebensmitteln
mit Zutaten aus Kolumbien oder für Lieferanten
42 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
von Non-Food-Waren aus Pakistan? In welcher Form und auf
welcher Grundlage „versichern“ sie all diese Umstände? Wann
ist Arbeit überhaupt „ausbeuterisch“? Genauere Vorgaben für
die wichtigsten Produktarten und Geschäftsregionen lassen
die Vertragswerke häufig vermissen. Es ist kein Wunder, wenn
Lieferanten derartige Klauseln mehr oder weniger bewusst
übersehen.
Das Unternehmen kann dann im Konfliktfall noch nicht einmal
verlangen, dass der Geschäftspartner sich an die getroffene
Vereinbarung hält. Wegen Unklarheiten bei der Formulierung
ist nämlich schon zweifelhaft, ob die jeweilige CSR-Klausel
überhaupt rechtlich wirksam ist. Denn Vertragswerke, die
für eine mehrfache Verwendung vorformuliert worden sind,
behandelt das Gesetz als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“.
AGB müssen einige gesetzliche Anforderungen erfüllen − auch
wenn sie ausschließlich für den Geschäftsverkehr mit Unternehmen
gedacht sind. Klauseln müssen klar formuliert sein,
vom gesetzlichen Leitbild nicht zu sehr abweichen und den
Geschäftspartner nicht unangemessen benachteiligen. Auch
darf eine CSR-Klausel nicht am Ende einer ganz anderen ausführlichen
Regelung − etwa der Liefermodalitäten − „versteckt“
werden. In all diesen Fällen ist die CSR-Klausel unwirksam.
Relevante Inhalte konkretisieren
CSR-Klauseln müssen aber auch nicht bis hin zur lästigen,
unnötigen Kleinlichkeit ausgedehnt werden. Welche Themen
sind es, die besonders genau geregelt werden sollten? Das zeigen
die Ergebnisse der Umfeld- und Geschäftspartneranalysen, die
selbstverständlich auch im Hinblick auf die vier Gebiete des
UN Global Compact durchzuführen sind. Aus dem vielfältigen
Bestand an Standards für verschiedene Branchen können
passende ausgewählt werden. In den allermeisten Fällen
bedarf es keiner Neuerfindung von Standards und Zertifizierungssystemen.
Die Grundzüge eines passenden Standards
werden dann im Vertrag beschrieben, ggf. wesentliche Inhalte
hervorgehoben, und ihr Text als Anlage dem Vertrag beigefügt,
falls er nicht bereits als bekannt vorausgesetzt werden kann.
Jedenfalls für große kapitalmarktorientierte Unternehmen
und deren Geschäftspartner sind auch die neuen CSR-Berichtspflichten
auf Grundlage der europäischen Richtlinie 2014/95
wichtig. Damit die Controlling-Abteilung die nichtfinanziellen
Berichte vorbereiten kann, muss die Geschäftsleitung relevante
qualitative und quantitative Informationen bestimmen. Die
Sammlung der Informationen bei den Geschäftspartnern, ggf.
gar durch die Lieferkette hinweg, sollte durch vertragliche
Verpflichtungen zur Selbstauskunft gesichert werden.
Die im deutschen Vertragsrecht anerkannte Gestaltungsfreiheit
ermöglicht außerdem vielfältige Vereinbarungen zugunsten
Dritter, die selbst nicht Vertragspartner sind. Derartige Klauseln
können zum Beispiel betroffene indigene Bevölkerungen
oder Arbeiter auf Plantagen unmittelbar ermächtigen, gesundheitsschützende
Maßnahmen oder Schadensersatz vom
Lieferanten zu verlangen. Es kommt dann nicht mehr darauf
an, ob derartige Ansprüche in der dortigen (ausländischen)
Rechtsordnung vorgesehen sind oder vom Lieferanten gegenüber
seinen Arbeitnehmern zugesagt worden sind. >>
globalcompact Deutschland 2016
43
Agenda
Folgen von Verstößen
Verstöße gegen die vereinbarten Standards lassen sich nie ganz
ausschließen, auch nicht durch höchste Sorgfalt bei der Auswahl
zuverlässiger Lieferanten. Bisher verlassen sich Unternehmen
überwiegend darauf, dass der Lieferant in Problemfällen von
sich aus Maßnahmen weitgehend tolerieren wird, um seine
Geschäftsbeziehung zu erhalten. Nur durch geeignete Klauseln
zum Informationsfluss und Krisenmanagement sichert sich das
Unternehmen jedoch seine Handlungsfähigkeit. Stehen ihm
vereinbarte Anreiz- und Sanktionsinstrumente zur Verfügung,
kann es zügig angemessene Maßnahmen einleiten und seine
Geschäftspartner zur Mitwirkung bei der Problemlösung zwingen.
CSR-Probleme müssen dann nicht mehr in Blamagen enden.
Ebenso wie Belohnungen, z. B. Bonuszahlungen, für die Erreichung
prüf barer Indikatoren gewährt werden können, lassen
sich auch Schadensersatzpflichten und Vertragsstrafen in Fällen
festgestellter Verstöße vereinbaren.
Für Fälle festgestellter Verstöße sollte sich das Unternehmen
auch eine Auswahl an praktisch sinnvollen Konsequenzen
sichern. Inwiefern muss sich der Lieferant an einer Krisenbewältigung
beteiligen und wann ist eine außerordentliche
Kündigung des Liefervertrages möglich? Die meisten der
bisherigen Kündigungsklauseln in Verhaltenskodizes sind
nicht rechtswirksam, denn sie stellen nicht darauf ab, ob
der Lieferant hinreichend Möglichkeit hatte, den Verstoß zu
verhindern oder zu beseitigen.
Einflussmacht durch Kontrollinstrumente
Wichtig ist es auch, Kontrollinstrumente zwecks Überprüfung
der Einhaltung der ausgewählten Standards zu vereinbaren.
Andernfalls ist kein Verlass darauf, dass der Lieferant an Kontrollen
mitwirkt oder auch nur Auskunft über Betriebsvorgänge
erteilt und ggf. bei Dritten einholt. Hier sind die Vor- und
Nachteile von Zertifizierungen, Audits und Besuchen bei
Lieferanten durch eigenes Personal abzuwägen. Audits sind
zwar weit verbreitet, aber nicht ohne Weiteres zuverlässig.
Wie den Auditoren zusätzliche Anreize für eine gründlichere
Prüfung gesetzt werden kann, sollte im Verhältnis zum Audit-
Unternehmen bei der Verhandlung der Auftragsbedingungen
bedacht werden.
Weitergeleitete CSR-Vereinbarungen
Durch eine Vereinbarung mit dem Lieferanten können nicht
unmittelbar auch dessen Vor-Lieferanten Pflichten auferlegt
werden. Damit auch Vor-Lieferanten in die Pflicht genommen
werden können, muss der Lieferant verpflichtet werden, die
Inhalte der CSR-Klauseln an die Vor-Lieferanten zu berichten
und sich bestmöglich darum zu bemühen, diese entsprechend
zu verpflichten und die Einhaltung der Pflichten regelmäßig
zu prüfen.
Zusammenfassung
Eine effiziente Vertragsgestaltung macht andere Maßnahmen
unternehmerischer Sorgfalt nicht überflüssig. Vielmehr setzt
sie eine gründliche Risikoanalyse voraus und ergänzt andere
Maßnahmen wie Monitoring-Systeme, Multi-Stakeholder-
Initiativen, Schulungen u.s.w. So verstanden und umgesetzt
sichern CSR-integrierte Verträge die unternehmerische Handlungsfähigkeit
in Problemsituationen und sind die Grundlage
für ein vorbildliches Krisenmanagement. Gerade in Regionen
mit niedrigen Lebensstandards und in typischerweise gefahrgeneigten
Branchen können so beachtliche Erfolge erzielt
werden. Das Unternehmen hat dann in jeder Problemsituation
die Chance, seine angemessene Risikovorsorge unter Beweis
zu stellen.
Über den Autor
Robert Grabosch ist Rechtsanwalt & Wirtschaftsmediator bei der
deutsch-niederländischen Anwaltskanzlei Grabosch Timmermans.
Diese berät Unternehmen auf dem Gebiet des Zivilrechts sowie der
Corporate Responsibility.
44 globalcompact Deutschland 2016
Info
Fünf Maßnahmen der DAX 30-Unternehmen
zur Achtung der Menschenrechte
Von Isabel Ebert
Deutsche DAX30-Unternehmen können als Pioniere voranschreiten und die Menschenrechte in
ihren Sektoren und dem Mittelstand innerhalb Deutschlands und im Ausland achten oder gar
fördern. Schöpfen die Konzerne dieses Potenzial aus? In einer kürzlich durchgeführten Umfrage
unter den führenden börsennotierten deutschen Unternehmen (DAX30) haben zwei Drittel der
Unternehmen sich dazu entschieden, Informationen über ihre Menschenrechts-Policies und
-Praktiken über die Company Action Platform des Business and Human Rights Resource Centre
zu veröffentlichen. Die Unternehmen hoben fünf Schlüsselbereiche hervor, in denen sie Maßnahmen
zur Achtung der Menschenrechte ergreifen:
1. Beschwerdemechanismen: Der Zugang zu betrieblichen
Beschwerdemechanismen unterstützt ein Unternehmen bei der
Etablierung eines Frühwarnsystems zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen
sowie zur Minderung von eventuellen
Missständen. Als eines der ersten Unternehmen, das seinen
Beschwerdemechanismus an die UN-Leitprinzipien zu Unternehmen
und Menschenrechten (UN Guiding Principles on Business
and Human Rights / UNGPs) angepasst hat, führte Adidas einen
weltweiten Beschwerdemechanismus ein. Auf regionaler Ebene
startete Adidas im Jahr 2012 einen SMS-Beschwerdemechanismus
für Arbeitskräfte seiner Fertigungspartner in Indonesien. Bisher
umfasst der Mechanismus 14 Fabriken und 80.000 Arbeitskräfte.
Dieser ermöglicht Adidas, unabhängig zu verfolgen, wie Lieferanten
vor Ort mit Beschwerden umgehen.
2. Einbindung von lokalen Gemeinden und Stakeholder-
Gruppen: Um ein besseres Bild der Interessen und Bedürfnisse
lokaler Gemeinden zu gewinnen, welche von den Aktivitäten eines
Unternehmens betroffen sind, werden konkrete Maßnahmen zur
Beteiligung von Stakeholder-Gruppen durch mehrere DAX 30-Unternehmen
ergriffen. Die Allianz verweist auf ihr ESG-Rahmenwerk
als Kerndokument, in dem der Ansatz des Unternehmens zu
Menschenrechten zusammengefasst wird. Die Community Advisory
Panels der BASF dienen als Diskussionsforum auf lokaler
Ebene. Die Panels bestehen aus einer Gruppe von Anwohnern einer
Chemiefabrik, welche die Interessen der Gemeinden im Rahmen
des Panels gegenüber der Betriebsführung vertreten.
3. Schulungen zu Menschenrechten: Bayer weist auf die Durchführung
von Menschenrechtsschulungen hin, an welchen im
vergangenen Jahr 52 Prozent seiner Belegschaft teilnahmen. Die
Deutsche Post unterstreicht spezifische Trainings ihrer Mitarbeiter
im Rahmen des Employee Relations Forum, welches im Jahr 2013
als Governance-Gremium bestehend aus Mitarbeitervertretenden
aller Unternehmensbereiche und der Konzernzentrale gegründet
wurde. Mit der Kampagne zu „Diversity & Inclusion“ aus dem Jahr
2015 zielt Henkel darauf ab, das Verständnis von Vielfalt und
respektvollem Verhalten im Konzern zu stärken.
4. Einbindung von Geschäftspartnern und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette: Im Rahmen
der Global Business Partner Risk Management-Richtlinie legt
Merck fest, dass alle Partner zur Einhaltung von international
anerkannten Menschen- und Arbeitsnormen verpflichtet sind.
Volkswagen verwies neben ähnlichen Maßnahmen auf eine neue
Leitlinie zu Konfliktrohstoffen.
5. Impact Assessment zu Menschenrechten (Human Rights
Impact Assessments): Als entscheidender Schritt für ein Unternehmen,
um seine Auswirkungen auf die Menschenrechte
abzuschätzen, unterstreichen die UNGP die Notwendigkeit,
spezifische Impact Assessments zu Menschenrechten durchzuführen.
Im Rahmen des „Human Rights Respect System“ erhebt
Daimler an den Produktionsstandorten Informationen zur
Menschenrechtssituation. Daimler betont, auf der Grundlage der
Ergebnisse des Impact Assessments zu handeln und Maßnahmen
umzusetzen. Bayer identifizierte die Vermeidung von Kinderarbeit
als eine zentrale Herausforderung für ein nachhaltiges Lieferantenmanagement.
Daher hat Bayer CropScience Maßnahmen zur
Vermeidung von Kinderarbeit in der Saatgutversorgung in Indien,
Bangladesch und den Philippinen durch Kinderbetreuungsprogramme
eingeführt.
Quelle: UmweltDialog.de
globalcompact Deutschland 2016
45
Agenda
Schutz der
Menschenrechte als
Faktor bei Geschäftsinvestitionen
Wirtschaft und Menschenrechte: Dieses Spannungsfeld wurde in den letzten Jahrzehnten immer
wieder umfassend diskutiert und auch weltweit institutionalisiert. Doch haben wir erst kürzlich
damit begonnen uns die Frage zu stellen: „Welche Rolle übernimmt die Wirtschaft dabei?“
Von Dr. Christoph Regierer und Kai M. Beckmann
Weitverbreitet herrscht die Vorstellung, die Verknüpfung
von Menschenrechten und Wirtschaft bedeute, dass Unternehmensinvestitionen
in Übereinstimmung mit etablierten
Menschenrechtsstandards getätigt werden sollten. Diese Annahme
ist jedoch so nicht hinreichend: Die Integration von
Menschenrechten in das unternehmerische Denken setzt bereits
wesentlich früher an. Es geht darum, wie Unternehmen
ihre Gewinne erwirtschaften und nicht wie sie sie investieren.
Dabei handelt es sich auch nicht um einen rein philanthropischen
Ansatz: Menschenrechte zu schützen bedeutet, das
Geschäftsmodell und die Leitlinien eines Unternehmens so zu
definieren, dass grundlegende Prinzipien gelten und verbindlich
eingehalten werden. Die Leitplanken für das eigene Handeln
sind so zu definieren, dass die genaue Position immer wieder
mit internen und externen Anspruchsgruppen ausgehandelt
wird. Dabei sollte die Berücksichtigung von Menschenrechten
immer im Blick sein − gerade bei internationalem Engagement,
bzw. als Bestandteil globaler Lieferketten.
Während die Aufwände für die Berücksichtigung von Menschenrechten
relativ gering sind, ist die daraus erwachsende
Rentabilität erheblich. Bei der Investition in den Schutz von
Menschenrechten ist es wichtig, vollständig zu verstehen, was
Menschenrechte im geschäftlichen Umfeld des jeweiligen
Unternehmens bedeuten. Nur so können die richtigen Kennzahlen,
die Key Performance Indicators (KPIs), identifiziert
und die Rentabilität überwacht werden. Laut dem von Mazars
mitentwickelten und international gültigen United Nations
Guiding Principles Reporting Framework sollten Unternehmen
als Erstes fragen: „Welches sind unsere herausragenden
Menschenrechtsthemen?“
Nur wenn ein Unternehmen definiert und identifiziert hat,
was ‚Menschenrechte‘ tatsächlich in der Verbindung mit der
eigenen Geschäftstätigkeit bedeuten, kann es anfangen, diese
in sein Geschäftsmodell zu integrieren. In der Rohstoffindustrie
werden sich beispielsweise herausragende Menschenrechtsthemen
um die Auswirkungen auf die Allgemeinheit sowie
Umweltschäden, Gesundheits-, Gefahren- und Sicherheitsthemen
drehen, während in einem anderen Sektor vollkommen
andere Risiken im Fokus stehen können.
Risiken für Menschen − Risiken für Unternehmen
Bei der Identifizierung von „herausragenden Menschenrechtsthemen“
spielt ein weiterer Faktor eine wichtige Rolle: Es ist
entscheidend, dass die relevanten Risiken als die Risiken für
Menschen und nicht etwa als Risiken für Unternehmen definiert
sind. Würden wir nur auf die Risiken für Unternehmen
schauen, übersähen wir einige herausragende Risiken für
Menschenrechte. Paradoxerweise kann man üblicherweise
diese Risiken nicht von den Risiken für ein Unternehmen
trennen. Wir müssen nur den Blickwinkel ändern, mit dem
wir auf für uns potenziell schädliche Risiken schauen.
Sind diese Risiken erst einmal identifiziert, die relevanten
Prozesse implementiert und die Kennzahlen zur Überwachung
46 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
des Schutzes der Menschenrechte verstanden, lässt sich auch
der Nutzen für das Unternehmen schnell erkennen. Er zeigt
sich nicht nur in Form von gesteigerter Reputation, sondern
auch in Form von erhöhter Profitabilität: Das Risiko von
Rechtsstreitigkeiten und den damit zusammenhängenden
Kosten sinkt, Versicherungskosten sinken voraussichtlich
ebenfalls, das Vertrauen von kritischen Stakehodern wächst,
die Mitarbeiterbindung steigt, globale Beschaffung wird sicherer,
weniger Lieferantenthemen fallen an.
Es gilt, die Hürden zu überwinden
Besonders wichtig ist für Unternehmen das Verständnis darüber,
inwiefern der Schutz der Menschenrechte zur Steigerung der
Unternehmensleistung beitragen kann. Die genannte Studie
zeigt, dass Unternehmen das Thema als hilfreich bewerten
beim Aufbau guter Beziehungen mit der lokalen Bevölkerung
(48 Prozent), beim Schutz von Marke und Reputation (43
Prozent) und bei sittlich-ethischen Erwägungen (41 Prozent).
Streng genommen kann jedoch nur einer dieser Punkte als
wertschöpfend kategorisiert werden: der Schutz von Marke
und Reputation. So scheint es bei der Ausbildung für unternehmerische
Verantwortung ebenfalls noch Nachholbedarf
zu geben.
Des Weiteren ist entscheidend, dass Unternehmen lernen, über
kurzfristige Profitabilitätsziele hinaus zu denken und sich
mit der langfristigen Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells
auseinanderzusetzen. Die aktuellen Kapitalmarktregelungen
verpflichten börsennotierte Unternehmen, vierteljährlich über
ihre Finanzdaten zu berichten. Das zwingt Unternehmen
aus Gründen der Kurspflege zugunsten ihrer Shareholder
vor allem kurzfristige Profitabilitätsziele im Blick zu haben.
Die zwangsläufige Folge ist ein Konflikt mit der langfristigen
Ausrichtung eines Unternehmens. Diese Regelungen bedürfen
einer Reform, um den unbeabsichtigten Auswirkungen des
Quartalsreportings vorzubeugen, da so für alle Stakeholder
ein Mehrwert geschaffen werden kann.
Quelle: UmweltDialog.de
Über die AutorEn
Dr. Christoph Regierer ist Mitglied des Group Executive Board
Mazars bei Roever Broenner Susat Mazars.
Kai Michael Beckmann verantwortet bei Roever Broenner Susat
Mazars den Bereich Corporate Responsibility (CR).
globalcompact Deutschland 2016
47
Agenda
Unterstützung durch das
Deutsche Global Compact Netzwerk
Die Prinzipien des Global Compact entsprechen auch den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
Menschenrechte, einem internationalen Referenzrahmen für Wirtschaft und Menschenrechte.
Dieser formuliert die grundlegende gesellschaftliche Erwartung, dass Unternehmen weltweit
die Verantwortung haben, Menschenrechte zu achten, die im Zusammenhang mit der eigenen
Geschäftstätigkeit und den Geschäftsbeziehungen stehen.
Im Arbeitsfeld „Wirtschaft und Menschenrechte“
unterstützt das DGCN Unternehmen
bei der Umsetzung ihrer sozialen Verantwortung,
indem es:
• die Relevanz der Achtung der Menschenrechte
entlang der Wertschöpfungskette
für Unternehmen aufzeigt,
• Unternehmen mit praktischen Lösungen
und Instrumenten dazu befähigt, die
menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in
Managementprozessen unter Einbindung
interner und externer Stakeholder zu
verankern,
• eine Plattform zum kontinuierlichen Austausch
bietet, um Strategien und Maßnahmen
zu diskutieren und unternehmensbezogene
Ansätze weiterzuentwickeln.
Je nach Kenntnisstand können Unternehmen
aus folgenden Formaten auswählen:
ANGEBOTE FÜR EINSTEIGER
Ein Dreiklang aus Publikationen, einem Webinar und einem Coaching ermöglicht
den Einstieg in die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht − Teilnehmer erhalten
konkrete Anhaltspunkte, um sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.
• Die Publikationen „Menschenrechte achten − ein Leitfaden für Unternehmen“
und „5 Schritte zum Management der menschenrechtlichen
Auswirkungen“ zeigen die Bedeutung einzelner Menschenrechte für Unternehmen
auf und begleiten Unternehmen bei ersten Maßnahmen auf dem
Weg zu menschenrechtlicher Sorgfalt.
• Das Online-Portal www.MR-Sorgfalt.de vermittelt Unternehmen einen
schrittweisen Einstieg ins Management der menschenrechtlichen Auswirkungen
und bietet handlungsorientierte Anleitung sowie weiterführende
Ressourcen.
• Das Gruppencoaching „Menschenrechte achten“ ermöglicht den Teilnehmern,
menschenrechtliche Risiken ihres Unternehmens abzuschätzen
und anzugehen. Anhand von Praxisbeispielen und Übungen vertiefen sie ihre
Kenntnisse und entwickeln erste eigene Lösungs- und Handlungsansätze.
48 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
ANGEBOTE FÜR ANWENDER
PEER LEARNING
Für Unternehmen, die sich mit dem Thema bereits beschäftigen,
stehen vertiefende Angebote zu spezifischen Themen
und Herausforderungen bereit:
• Webinare: Regelmäßig stattfindende Webinare greifen
praxisrelevante Fragestellungen aus dem Themenbereich
Menschenrechte auf, etwa zur Stakeholder-Beteiligung
oder zur Stärkung der Frauen im Unternehmen.
• Publikationen: In Zusammenarbeit mit Fachexperten und
Kooperationspartnern stellt das DGCN praktische und
anwendungsorientierte Leitfäden zu wichtigen Themen
bereit, beispielsweise zur Ermittlung menschenrechtlicher
Risiken und Auswirkungen im Unternehmen.
• Mit dem Online-Tool „Human Rights Capacity Diagnostic
(HRCD)“ können Unternehmen unter MR-Sorgfalt.de
ihre Management-Kapazitäten bei der Umsetzung der
UN-Leitprinzipien einschätzen und ausbauen.
Austauschformate ermöglichen Praktikern, Lösungsansätze
gemeinsam weiterzuentwickeln, sich kontinuierlich zu
Themen auszutauschen und voneinander zu lernen:
• Lerngruppe: Derzeit besteht eine Lerngruppe aus zehn
Unternehmen verschiedener Branchen. Die Alumni der
Coachings tauschen sich unter Leitung der Geschäftsstelle
on- und offline über ihre Erfahrungen aus und entwickeln
ihre Ansätze gemeinsam mit Experten weiter. Die Ergebnisse
werden dem breiteren Netzwerk anonymisiert
zugänglich gemacht.
• Workshops: Bei den halbjährlichen DGCN-Netzwerktreffen
finden regelmäßig Workshops zu Menschenrechtsaspekten
statt. Diese Angebote werden im Anschluss
online zur Verfügung gestellt und stehen damit
allen Teilnehmern zur Verfügung.
globalcompact Deutschland 2016
49
Agenda
Es gibt keinen Weg zum Frieden,
der Frieden ist der Weg.
Mahatma Gandhi
50 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
Konfliktregionen
Potenzial für mehr und besseres
unternehmerisches Engagement
Unternehmen können in Konfliktregionen wichtige Beiträge zu Frieden und Sicherheit leisten.
Durch die konfliktsensitive Ausrichtung ihrer Geschäftstätigkeit und von CSR-Maßnahmen
können sie vermeiden, neue Konflikte zu schaffen oder bestehende Konflikte zu verschärfen.
Darüber hinaus können sie aber auch positive Beiträge zu nachhaltigem Frieden leisten.
Von Dr. Melanie Coni-Zimmer
Konfliktprävention ist für kein Unternehmen eine einfache
Aufgabe, sie ist dennoch dringlich. Die weltweite Zahl der gewaltsam
ausgetragenen Konflikte steigt. Weit mehr als 100.000
Menschen starben im Jahr 2014 durch organisierte Gewalt, das
ist die höchste Zahl seit 1994. Der Global Peace Index 2016
zeichnet ebenfalls eine negative Entwicklung in den letzten
zehn Jahren nach und verweist zudem auf die ökonomischen
Kosten weltweiter Gewalt, die auf 13,3 Prozent des weltweiten
GDP geschätzt werden.
Für Unternehmen entstehen durch Gewaltkonflikte nicht nur
Risiken für Personal und Anlagen oder für ihre Lieferbeziehungen,
sondern auch für ihre Reputation. Unternehmen müssen
nicht in einer Konfliktregion tätig sein, um einen Einfluss auf die
− positive wie negative − Entwicklung von gesellschaftlichen
Konflikten zu nehmen. Sie tun dies auch über ihre Lieferketten.
Die wohl bekanntesten Beispiele hierfür sind im Rohstoffsektor
zu finden, wie die Diskussionen um Konfliktmineralien zeigen.
Was können Unternehmen tun?
Für Unternehmen gilt zunächst, dass sie sich am Prinzip des
„Do no harm“ orientieren sollten. Sie sollten durch ihre Aktivitäten
keine neuen Konflikte verursachen oder bestehende
Konflikte verschärfen. Dieser scheinbar einfache Grundsatz stellt
aber bereits hohe Ansprüche an unternehmerisches Handeln.
Darüber hinaus können Unternehmen auch anstreben, einen
positiven Beitrag zu Frieden und Sicherheit zu leisten.
Im Global Compact beschäftigt sich seit dessen Gründung ein
Arbeitsprozess mit der Geschäftstätigkeit von Unternehmen
in Konfliktregionen. Seitdem ist eine Reihe von Handreichungen
für Unternehmen vorgelegt worden, an denen sich
Unternehmen orientieren können. Dazu gehört etwa die im
Jahr 2010 veröffentlichte „Guidance on Responsible Business
in Conflict-Affected and High-Risk Areas“. Ein Engagement
von Unternehmen kann in sehr unterschiedlichen Bereichen
sinnvoll und wünschenswert sein, je nach Konfliktphase, Konfliktgegenstand
oder der Rolle des Unternehmens im Konflikt.
Konflikt ist nicht gleich Konflikt. Es kann sich um soziale
Unruhen oder eher lokal begrenzte Konflikte handeln. Ein
Unternehmen kann mit einem akuten Gewaltkonflikt zwischen
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen mit landesweiten
Auswirkungen konfrontiert sein oder aber es handelt sich um
eine Post-Konflikt-Gesellschaft, in welcher der gewaltsame
Konfliktaustrag beigelegt wurde. Dementsprechend stellen
sich sehr unterschiedliche Aufgaben. Diese können in der
Phase eines akuten Gewaltkonflikts von der Initiierung und
Förderung von Dialogprozessen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen
Gruppen über Friedensverhandlungen bis hin zur
Nothilfe für die betroffene Bevölkerung und für Gewaltopfer
reichen. In einer Nachkriegsgesellschaft stehen Aufgaben wie
die Aussöhnung zwischen Bevölkerungsgruppen und die Entschädigung
von Opfern, der Aufbau des Sicherheitssektors und
anderer staatlicher Institutionen oder auch die Reintegration
von Ex-Kombattanten im Vordergrund.
>>
globalcompact Deutschland 2016
51
Unternehmerisches Engagement mit dem Ziel des „Do no
harm“ beginnt mit der Einhaltung von Sorgfaltspflichten in
der Lieferkette, aber geht auch darüber hinaus. Maßnahmen
können von der Korruptionsbekämpfung, der Einhaltung von
Umweltstandards, einer konfliktsensiblen Personalpolitik bis
hin zur Einführung von Standards im Umgang mit privaten
und öffentlichen Sicherheitskräften reichen. Unternehmen
können Dialogprozesse fördern oder Projekte zur Einkommensschaffung
für bestimmte Bevölkerungsgruppen durchführen.
Ein besonders wichtiger Bereich ist die Einhaltung
von menschenrechtlichen Standards in Konfliktregionen.
Menschenrechtsverletzungen können sowohl eine Ursache
als auch eine Folge von Gewaltkonflikten sein. So verweisen
auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
auf das erhöhte Risiko von Menschenrechtsverletzungen in
Konfliktregionen und das Risiko, dass Unternehmen hierin
verwickelt werden. Auch wenn der Nationale Aktionsplan
Wirtschaft und Menschenrechte hinter den Erwartungen einiger
Stakeholder zurückbleiben wird, wird dieser zukünftig eine
zentrale Referenz für verantwortungsvolles unternehmerisches
Verhalten in Konfliktregionen sein.
Nicht jede unternehmerische Maßnahme ist ein Beitrag zu
Frieden und Sicherheit. Maßnahmen müssen dem spezifischen
Gewaltkonflikt angemessen sein, d. h. dessen Ursachen,
Auslöser und Dynamiken adressieren. Das erfordert ein hohes
Maß an Kenntnis über den entsprechenden Konfliktkontext.
Die Durchführung einer Konfliktanalyse ist ein erster Schritt,
um festzustellen, wie das Unternehmen einen negativen Einfluss
auf einen Konflikt vermeiden kann bzw. positive Effekte
maximieren kann. Besonders größere Unternehmen und solche,
die bereits seit Langem in einem bestimmten Land tätig
sind, mögen über entsprechende Kapazitäten und Expertise
verfügen. Für kleinere Unternehmen oder solche ohne direkte
Präsenz in einem Land ist dies eher schwierig und erfordert
die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, die über
entsprechende Expertise verfügen.
Entscheidend dafür, welchen Beitrag ein Unternehmen zu
Frieden und Sicherheit leisten kann, ist auch, ob und wie ein
Unternehmen oder eine bestimmte Branche in einen Konflikt
verwickelt ist. Besonders deutlich wird dies, wo es um die
Förderung und den Import von Rohstoffen geht, die allzu oft
eine negative Rolle bei der Entstehung und Eskalation von
gewaltsam ausgetragenen Konflikten spielen. Unternehmen
dieser Branchen sind direkt mit Konfliktdynamiken verbunden
und haben entsprechend einen größeren direkten Einfluss.
Zugleich sind die Interventionen von Unternehmen hier
höchst sensibel und vorbelastet. Hier ist die Wahl geeigneter
Partner eine wichtige Strategie.
Geeignete Partner
Die Konsultation von Stakeholdern und die Zusammenarbeit
mit internationalen und lokalen Partnern kann sowohl die
B4ROL
Business for the Rule of Law
Der UN Global Compact entwickelt seine Initiative für mehr
Rechtsstaatlichkeit weiter. „Business for the Rule of Law“
(B4ROL) bietet unter dem Dach des UN Global Compact
einen Rahmen für Unternehmen, die sich für die Einhaltung
rechtsstaatlicher Prinzipien engagieren. Die B4ROL-Initiative
hat hierzu begleitende Guidelines entwickelt. Folgende
zentrale Handlungsfelder werden vom UNGC ausgemacht:
• Kerngeschäft
• Strategisches soziales Investment
• Philanthropie
• Advocacy & Public Policy Engagement
• Partnerschaften & „Collective Action“
Weitere Infos: https://www.unglobalcompact.org/library/1341
52 globalcompact Deutschland 2016
Menschenrechte
Analyse eines Konfliktkontexts als auch das Design und die
Durchführung von Maßnahmen erleichtern. Wertvolle Informationen
können dabei sowohl Organisationen in Deutschland als
auch solche vor Ort in Konfliktregionen geben. Geschäftspartner
und andere Unternehmen sind mit Sicherheit erste Anlaufstellen
für einen Informationsaustausch. In einigen Ländern gibt
es kollektive Unternehmensinitiativen, denen Unternehmen
sich anschließen können. Aber gerade auch internationale
Organisationen, zivilgesellschaftliche oder wissenschaftliche
Institutionen, Agenturen der Entwicklungszusammenarbeit
(wie die GIZ) verfügen über wichtige unabhängige Expertise.
Bei der Wahl von Partnern sollte insbesondere Wert auf deren
Reputation gelegt werden, vor allem darauf, ob eine Organisation
bei bestimmten Konfliktparteien auf Vorbehalte stoßen
könnte. Eine Kooperation mit staatlichen Akteuren mag etwa
in vielen Fällen wichtig oder gar unabdingbar sein. Gleichzeitig
ist der Staat aber häufig eine Partei im Gewaltkonflikt und
damit alles andere als ein neutraler Akteur.
Privatwirtschaft sollte ihre Potenziale ausschöpfen
Die Realität sieht leider nicht sehr rosig aus. Unternehmen
schöpfen ihr Potenzial, zu Frieden und Sicherheit beizutragen,
nicht aus. Sicherlich sind Interventionen von externen Akteuren
in Konfliktkontexten generell höchst sensibel und schwierig
und erfordern einen langen Atem. Dies gilt nicht nur, aber eben
auch für Erwartungen an Unternehmen, einen substanziellen
Beitrag zur Friedensentwicklung in einer Gesellschaft zu leisten.
Kein Unternehmen wird einen Gewaltkonflikt alleine lösen.
Jedoch legen sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Wissenschaft
immer wieder dar, wie Unternehmen zur Verschärfung
von Konfliktdynamiken beitragen. Konfliktmineralien aus der
Demokratischen Republik Kongo oder Kohle aus Kolumbien
sind aktuell kontrovers diskutierte Beispiele. Unternehmen,
die erste Schritte zu mehr Transparenz machen und neue
Maßnahmen entwickelt haben, sollten ermutigt werden, diesen
Weg weiterzugehen. Insgesamt ist aber erschreckend, wie viele
Unternehmen sich angesichts des Themas Gewaltkonflikte
noch immer einem kritischen Dialog verweigern und sich
ihrer Verantwortung entziehen.
Dilemmata für Unternehmen und die deutsche Regierung
Unternehmen stehen vor einer durchaus schwierigen Aufgabe,
wenn sie Beiträge zu Frieden und Sicherheit leisten wollen.
Die Erwartungen der Stakeholder an unternehmerische Standards
− gerade auch die der Zivilgesellschaft in Deutschland
− sind hoch und dürfen dies auch sein. Für Unternehmen ist die
Aufgabe jedoch alles andere als einfach. Wenn ein Unternehmen
sich mit seinen Auswirkungen auf gesellschaftliche Konflikte
auseinandersetzen will, erfordert dies nicht nur entsprechende
Kapazitäten. Es kann für Unternehmen auch zu schwierigen
Situationen führen. Maßnahmen zum Lieferkettenmanagement
mögen etwa auf wenig Zustimmung bei den Zulieferern stoßen
oder von Konkurrenten zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden.
Ein gerne verwendetes Argument aufseiten von Unternehmen
ist, dass das Unternehmen sich engagieren werde, wenn dies
von der Regierung des Gastlandes gewollt ist. Regierungen −
und hier besonders solche jenseits der OECD-Welt − stehen
jedoch unter dem Druck, Unternehmen ein attraktives Umfeld
bieten zu wollen, um von deren Tätigkeit zu profitieren.
Folglich stellen sie oft keine entsprechenden Forderungen, die
vielmehr von gesellschaftlichen Akteuren formuliert werden.
Dieses „Schwarze-Peter-Spiel“ sollte aber keine Entschuldigung
für Unternehmen dafür sein, sich nicht zu engagieren.
Auch die deutsche Bundesregierung ist bisher sehr zurückhaltend,
wenn es darum geht, von Unternehmen ein stärkeres
konstruktives Engagement in Konfliktkontexten einzufordern
oder gar Mindeststandards zu setzen. Die Bundesregierung
sollte sich hier stärker engagieren, um von deutschen Unternehmen
ein verantwortliches Handeln in Konfliktkontexten
einzufordern und Unternehmen als ernsthafte Partner für die
Krisenprävention zu gewinnen.
Über die Autorin
Dr. Melanie Coni-Zimmer ist Projektleiterin im Programmbereich
„Private Akteure im transnationalen Raum“ am Leibniz-Institut
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).
globalcompact Deutschland 2016
53
Good Practice
Die Nachhaltigkeitsmatrix
Konzeption: Dr. Elmer Lenzen
Ziel 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer
Energie für alle sichern.
Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels
und seiner Auswirkungen ergreifen.
Ziel 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne
einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und
nachhaltig nutzen.
Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen
und ihre nachhaltige Nutzung fördern,
Wälder nachhaltig bewirtschaften,
Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung
stoppen und umkehren
und den Biodiversitätsverlust stoppen.
Umweltschutz
Planet
- Umweltperformance
- CO 2
-Bilanz
- Scope 1 – 3
- Ressourceneffizienz
Arbeitsnormen
Ziel 8: Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges
Wirtschaftswachstum,
produktive Vollbeschäftigung und
menschenwürdige Arbeit für alle fördern.
Ziel 1: Armut in jeder Form und überall beenden.
- Menschenrechte
- Arbeitsnormen
- Einbindung und Entwicklung
der Gemeinschaft
People
Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit
und eine bessere Ernährung erreichen und eine
nachhaltige Landwirtschaft fördern.
Menschenrechte
Ziel 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters
gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.
Ziel 4: Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten
und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.
Ziel 5: Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen
und Mädchen erreichen.
MAKING
LINKING GRI’S G
EUROPEAN DIR
AND DIVERSITY
Ziel 6: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung
für alle gewährleisten.
54 globalcompact Deutschland 2016
Frieden
Ziel 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen
Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und
effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen
auf allen Ebenen auf bauen.
Profit
- Wirtschaftliche Performance
- Faire Geschäftspraktiken
- Produktverantwortung
- Konsumentenbelange
Ziel 9: Eine belastbare Infrastruktur auf bauen, inklusive
und nachhaltige Industrialisierung fördern und
Innovationen unterstützen.
Ziel 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher,
widerstandsfähig und nachhaltig machen.
Finanzen
26000
Ziel 12: Für nachhaltige Konsum- und
Produktionsmuster sorgen.
Sustainable
development
G o a l s
- Organisationsführung
- Managementansatz
- Compliance
- Diversity
Management
Korruptionsvermeidung
Partnerschaft
Ziel 10: Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern.
Ziel 17: Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige
Entwicklung wiederbeleben.
© macondo publishing 2016
globalcompact Deutschland 2016
55
Good Practice
Good Practice
Für die redaktionellen Beiträge dieser Rubrik sind ausschließlich die Unternehmen und ihre Autoren selbst verantwortlich.
58
ABB
60
Audi
62
Aurubis
64
BASF
66
Bayer
68
Bosch
70
CEWE
72
CHT / BEZEMA
74
CiS
76
Daimler
78
DAW
80
Deutsche Bahn
82
Deutsche Telekom
84
E.ON
56 globalcompact Deutschland 2016
86
Evonik
88
EY
90
Freudenberg
92
gmc²
94
HOCHTIEF
96
HypoVereinsbank
98
K+S
100
MAN
102
Merck
104
Miele
106
Roever Broenner Susat Mazars
108
Tchibo
110
TÜV Rheinland
112
Weidmüller
globalcompact Deutschland 2016
57
Good Practice
Menschenrechte – durch
Schulungen schafft ABB
Kompetenz und Verständnis
ABB setzt sich als global führendes Technologieunternehmen in den Bereichen Energie und
Automation gezielt dafür ein, die Achtung der Menschenrechte in die Unternehmensleistung
einzubeziehen. In umfassenden Schulungsmaßnahmen klärt ABB Mitarbeiter darüber auf,
wie sie menschenrechtsbezogene Risiken erkennen, mildern und vermeiden können.
Von Ronald Popper, Leiter Corporate Responsibility, ABB
2011 nahmen alle Staaten die UN-Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte
an. Sie bilden den Grundstein des
Bestrebens von ABB, eine Sensibilisierung
für Themen herzustellen, die im
Zusammenhang mit der Einhaltung der
Menschenrechte existieren.
Im Jahr 2000 begann ABB, sich ernsthaft
in diesem Bereich zu engagieren.
Damals trat das Unternehmen als Gründungsmitglied
dem United Nations
Global Compact bei und unterzeichnete
dessen zehn Prinzipien, von denen die
ersten beiden den Menschenrechten
gewidmet sind. In den folgenden Jahren
überprüfte ABB ihre Vorschriften und
Verfahren darauf, wo sie inner- und
außerhalb des Unternehmens Menschenrechtsfragen
berühren. Dieser
Prozess führte dazu, dass Menschenrechtskriterien
in wichtige geschäftliche
Entscheidungsprozesse integriert
wurden und eine Menschenrechtsleitlinie
(Human Rights Policy) Ende 2007
eingeführt wurde.
Voraussetzung für eine Verbesserung
der Leistungen im Bereich der Menschenrechte
sind Schulungen. Diese
sensibilisieren die Teilnehmer für die
Thematik und ermöglichen ihnen, ihre
Kompetenzen weiterzuentwickeln. Daher
ist ABB seit 2011 weltweit in diesen
Bereichen aktiv.
Für den Zeitraum 2014 bis 2020 legte der
ABB-Konzern neun Nachhaltigkeitsziele
fest. Eines der Ziele greift das Thema
Menschenrechte auf. Bis zum Jahr 2020
will ABB im gesamten Unternehmen ein
umfassendes Verständnis in Bezug auf
menschenrechtsbezogene Risiken in der
Wertschöpfungskette von ABB erschaffen.
Dazu hat ABB zwei Schulungsziele definiert:
Bis Ende 2016 sollten 600 hochrangige
Führungskräfte in verschiedenen
Teilen der Welt darüber aufgeklärt
werden, wie sie potenzielle Risiken im
Geschäftsbetrieb erkennen, mildern und
vermeiden können. Außerdem sollte bis
2016 ein Netzwerk von Menschenrechtsexperten
aufgebaut werden, die dem
Unternehmen als fachkundige Berater
zur Seite stehen. Weitere Ziele folgen
für die folgenden Jahre.
Das weltweite Sensibilisierungsprogramm
richtet sich an hochrangige
Führungskräfte in wichtigen Produktions-
und Exportländern von ABB. Das
Unternehmen führte das Programm
bereits in 13 Ländern durch, in einigen
Staaten bereits zum zweiten Mal. Die
Vorgaben hat ABB bereits nahezu erfüllt:
Anfang 2016 haben bereits über 500
Mitarbeiter an den Schulungen teilgenommen.
Der jüngste Kurs fand 2016
in Deutschland statt.
Die Schulungen stützen sich sowohl auf
die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
Menschenrechte als auch auf andere
Standards und Gesetze. Teilnehmer des
Seminares sollen erkennen, dass die
Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht auf
menschenrechtsbezogene Risiken im
Geschäftsbetrieb essenziell ist. Der Kurs
stellt anschauliche ABB-Fallstudien aus
verschiedenen Teilen der Welt vor.
Der Schwerpunkt liegt auf verschiedenen
Bereichen, in denen ABB Auswirkungen
auf die Menschenrechte haben kann.
Dies ist als Lieferant von Produkten und
Dienstleistungen für Kundenprojekte
und bei der Arbeit an sensiblen Standorten
der Fall. Auch der Umgang und
das Verhalten inner- und außerhalb des
Unternehmens gegenüber Kollegen und
Kolleginnen zählen zu den Schulungsschwerpunkten.
58 globalcompact Deutschland 2016
ABB führte die Schulungen in verschiedenen
Regionen in Asien, Europa, Afrika
und Nord- und Südamerika durch. Zum
Teilnehmerkreis zählen Country Manager
und Leiter von Geschäftsbereichen
sowie Vertreter verschiedener Funktionen
wie Supply Chain Management,
Legal and Integrity, Human Resources
und Sustainability.
Ein Kompetenzentwicklungsprogramm
ergänzt die derzeitigen Schulungen. Diese
Initiative soll es ABB ermöglichen,
potenziell nachteilige menschenrechtliche
Auswirkungen zu erkennen und
zu vermeiden. Zu diesem Zweck wird
in mehreren Ländern ein Netzwerk von
geschulten Mitarbeitern aufgebaut, die
das Unternehmen in Menschenrechtsfragen
kompetent beraten. Die Nachhaltigkeitsziele
von ABB sahen vor, bis
Anfang 2016 ein Netzwerk von speziell
geschulten Beratern zu entwickeln. Das
von zwei ABB-Experten geleitete detaillierte
Schulungsprogramm startete 2012,
und das Netzwerk wurde weit vor dem
Zieldatum aufgebaut.
Die Gruppe trifft sich zweimal im Jahr,
um eine Vielzahl von Fragen zu erörtern.
Auf der letzten Versammlung Mitte 2016
wurden den Mitgliedern Erkenntnisse
aus einer unlängst abgehaltenen Tagung
der Global Business Initiative on Human
Rights vermittelt, der ABB als Mitglied
angehört. Weitere Themen waren die
Auswirkungen des britischen „Modern
Slavery Act“, die Reaktionen von ABB auf
dieses Gesetz und eine Initiative in Südafrika
zur Stärkung von LGBT-Rechten.
Zudem stellte ABB ein Programm vor,
das bei der Lieferantenentwicklung und
der Erhöhung des Lieferantenstandards
ebenfalls Arbeits- und Menschenrechte
aufgreift.
Die Versammlungen bieten ein Forum
für lebhafte Diskussionen unter den 20
bis 30 Netzwerkmitgliedern. Zum einen
sind die Teilnehmer dadurch über aktuelle
Entwicklungen und neue Erkenntnisse
informiert und zum anderen können sie
Führungskräfte von ABB in ihren Regionen
oder Ländern kompetent beraten.
Ergänzend zu den Schulungen führte
ABB im Unternehmen ein E-Learning-Tool
ein, das einen erweiterten Personenkreis
über die Verantwortung von ABB für die
Achtung der Menschenrechte aufklärt.
globalcompact Deutschland 2016
59
Good Practice
Integration von Flüchtlingen:
So hilft Audi
Angesichts der großen Not der Flüchtlinge in Europa hat die AUDI AG im September 2015
eine Million Euro für Flüchtlings-Hilfsprojekte an den Produktionsstandorten Brüssel, Győr,
Ingolstadt und Neckarsulm zur Verfügung gestellt. Im Mittelpunkt stand anfangs die Soforthilfe
für die vielen Menschen, die im Sommer 2015 nach Europa kamen. Mittlerweile konzentrieren
sich die Hilfsprojekte vor allem auf die Themen Spracherwerb, berufliche Qualifikation und
kulturelle Integration, um den Geflüchteten in Deutschland neue Perspektiven zu eröffnen.
Von Hannah van Basshuysen, Standortprojekte,
und Jasmin Lotze, Nachhaltigkeit, AUDI AG
Antrag zur finanziellen Unterstützung
für Flüchtlingshilfe. Ein Spendengremium
entscheidet anschließend auf Basis
festgeschriebener Richtlinien, welche
Summen bewilligt werden.
In der Region Ingolstadt
Rund um den Audi Stammsitz in Ingolstadt
wurden bereits mehr als 30
Flüchtlingsprojekte von Mitarbeitern
eingereicht und vom Unternehmen finanziell
über den Spendentopf sowie
organisatorisch von der Abteilung Standortprojekte
unterstützt.
den Hausaufgaben oder konnten einen
Design-Workshop besuchen, den Audi-
Designer ehrenamtlich durchführten.
Schon früh wurde deutlich: Aufgrund
kultureller Unterschiede haben weibliche
Flüchtlinge einen ganz besonderen
Förderbedarf. Daher startete im
September 2016 eine weitere Klasse an
der Berufsschule I in Ingolstadt nur für
geflüchtete Frauen zwischen 18 und
30 Jahren. Audi finanziert dabei zehn
Wochenstunden sozialpädagogischen
Unterricht und anfallende Nachhilfe-
Mitarbeiter werden in ihrem ehrenamtlichen
Engagement unterstützt
Audi-Mitarbeiter, die sich bereits ehrenamtlich
bei einer gemeinnützigen Organisation
im Bereich der Flüchtlingshilfe
engagieren, können bei Audi schnell
und unbürokratisch auf die finanzielle
Unterstützung des Unternehmens zugreifen.
Durch den regelmäßigen Kontakt
mit den Einrichtungen am jeweiligen
Standort wissen sie bestens, bei welchen
regionalen Projekten Bedarf zur Unterstützung
besteht.
Im Audi Intranet findet zudem eine
regelmäßige Berichterstattung über
Flüchtlings-Hilfsprojekte statt. Dort
finden die Audi-Mitarbeiter auch eine
Auswahl an konkreten Projekten, bei
denen sie sich direkt als ehrenamtliche
Helfer anmelden können sowie den
Das Thema Bildung nimmt hierbei einen
hohen Stellenwert ein. Audi brachte
relevante Akteure der regionalen Flüchtlingshilfe
an einen Tisch, um die bestehenden
Bedarfe zu identifizieren und
gemeinsam Projekte auf den Weg zu
bringen. Daraus entstand ein großes
Bildungsprojekt in Kooperation mit der
Stadt Ingolstadt, der VHS und der Berufsschule
I: 24 junge Flüchtlinge zwischen
18 und 26 Jahren besuchen seit Januar
2016 eine Klasse an der Berufsschule in
Ingolstadt. Sie werden unter anderem
in den Fächern Deutsch, Mathematik
und Kulturkunde unterrichtet. Mit der
Fortführung der Klasse im Schuljahr
2016/17 soll das Ziel der Ausbildungsreife
erreicht werden. Ehrenamtliche
Betreuer, darunter auch Audi-Mitarbeiter,
begleiten die jungen Erwachsenen
über den Unterricht hinaus
− beispielsweise erhalten sie Hilfe bei
Richtlinie:
„Audi Förderleitlinie
für gesellschaftliches
Engagement“
Bereits 2012 hat die AUDI AG im
Rahmen ihrer unternehmerischen
Verantwortung eine Richtlinie für
gesellschaftliches Engagement
beschlossen. Sie gilt an allen Audi
Produktionsstandorten weltweit
und sorgt dank konkreter Förderkriterien
für klare Prozesse beim Engagement
in den Bereichen Bildung,
Technik und Katastrophenhilfe.
Daran orientiert sich Audi auch im
Rahmen der Flüchtlingshilfe.
60 globalcompact Deutschland 2016
Links: Mitarbeiter engagieren sich im
Rahmen des Audi Freiwilligentages für
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Rechts: Beim Verkehrserziehungskurs
lernen Schüler aus Afrika, Afghanistan und
Pakistan die deutschen Verkehrsregeln
kennen.
stunden. Die Frauen lernen eine Vielzahl
an möglichen Ausbildungswegen
und potenziellen Berufe kennen.
Auch das Thema Sicherheit fördert Audi
mit regionalen Partnern: Schon im Sommer
2015 finanzierte das Unternehmen
integrative Schwimmkurse der DLRG. Im
Juni 2016 nahm die von Audi unterstützte
Flüchtlingsklasse am Pilotprojekt „Verkehrserziehungstag“
in Zusammenarbeit
mit der Verkehrswacht Ingolstadt teil. Das
Projekt soll fortgeführt und auch anderen
Flüchtlingsgruppen angeboten werden.
Neben Kursen zur Sprachförderung und
interkultureller Beratung zeigen weitere
von Audi unterstützte Projekte, dass Integration
auch auf spielerische Art Früchte
trägt: Für die Theateraufführung der
Bremer Stadtmusikanten probten einheimische
und geflüchtete Jugendliche fünf
Monate lang gemeinsam und erhielten
bei ihren Aufführungen dafür tosenden
Applaus. Im Projekt „Willkommen im
Fußball“ in Zusammenarbeit mit dem
FC Ingolstadt und der Bundesligastiftung
engagieren sich Audi-Mitarbeiter ehrenamtlich
als Fußballtrainer.
Neckarsulm
Auch am Standort Neckarsulm hat Audi
bereits rund 20 Projekte unterstützt.
Beispielsweise hat das Unternehmen
dort im Sommer 2015 Sprachkurse für
Asylbewerber im Landkreis Heilbronn
ermöglicht. Die Kurse bauten auf dem
Grundsprachkurs auf, der jedem Asylbewerber
zusteht. In 40 Unterrichtseinheiten
lernten die Teilnehmer in mehreren
Gruppen nicht nur die Sprache, sondern
auch die Kultur kennen.
In Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsinitiative
Bad Rappenau und der Jugendpflege
der Stadt Bad Rappenau wurden
gespendete Fahrräder wieder verkehrstauglich
gemacht, Fahrradhelme und
-schlösser beschafft und Fahrradunterricht
erteilt. Auch die Audi-Auszubildenden
engagierten sich fleißig: Für die
Johannes Diakonie in Mosbach errichteten
sie einen Grillplatz für unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge. Das Baumaterial
für Bänke, Tische und den Grill
wurde von Audi finanziert.
Brüssel
Der Audi Standort in der Gemeinde Forêt /
Forest in Brüssel konzipierte in Kooperation
mit dem europäischen „think & do
tank“ Pour la solidarité (PLS) ein umfassendes
Flüchtlings-Hilfsprojekt: verschiedene
Bedarfe der Flüchtlinge wurden
identifiziert und die bereits bestehenden
gemeinnützigen Einrichtungen, die in
der Lage sind, diese Notwendigkeiten zu
decken, finanziell unterstützt.
Győr
In Ungarn war die Situation der Flüchtlinge
im Spätsommer 2015 besonders akut.
Mithilfe der finanziellen Mittel der Audi
Soforthilfe konnte das Flüchtlingslager
Vámosszabadi in der Nähe von Győr winterfest
gemacht werden. Um die Flüchtlinge
mit warmen Getränken zu versorgen,
wurde für die ungarischen Malteser ein
Fahrzeug umgebaut und als Teewagen
genutzt. Darüber hinaus finanzierte Audi
dem Roten Kreuz einen Rettungswagen
samt Ausstattung und unterstützte eine
gemeinnützigen Organisation bei der
kulturellen und therapeutischen Integrationsarbeit
für Frauen und Kinder.
Ehrenamtsvermittlung online
Als Teil der Initiative „Wir zusammen“
ist Audi als Marke auf der Internetplattform
des Volkswagen Konzerns unter
www.audi-hilft.de vertreten. Die Plattform
informiert mit Artikeln, Fotos und
Videos über zahlreiche Projekte im Bereich
der Flüchtlingshilfe. Daneben werden
regelmäßig Gesuche nach ehrenamtlicher
Unterstützung oder Sachspenden
eingestellt. Die offene Plattform bietet
somit die Möglichkeit, sich unverbindlich
über die Bedarfe in den Regionen
der Unternehmensstandorte Ingolstadt
und Neckarsulm zu informieren und
sich bei Interesse an die angegebene
Kontaktperson zu wenden. Auch über
die Werksgrenzen hinaus können sich
Interessierte informieren und sind eingeladen,
sich in sozialen Projekten zu
engagieren.
globalcompact Deutschland 2016
61
Good Practice
Aurubis‘ Beitrag zu einer
nachhaltigen Entwicklung
Aurubis ist der führende integrierte Kupferkonzern und der größte Kupferrecycler weltweit. Gemäß
dem Leitspruch „Our Copper for your Life“ produziert Aurubis hochreines und hochwertiges
Kupfer und verarbeitet es weiter zu Vorprodukten. Pro Jahr werden mehr als eine Million Tonnen
börsenfähiger Kupferkathoden hergestellt, davon über ein Drittel aus Recyclingmaterialien.
globalen nachhaltigen Entwicklungsziele
der Vereinten Nationen, der Sustainable
Development Goals (SDG), möchte der
Kupferproduzent seinen Beitrag leisten.
Der Anspruch ist, Aurubis als ein Nachhaltigkeit
lebendes Unternehmen erfolgreich
zu führen. Dies ist nicht allein für
die rund 6.300 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter von großer Bedeutung, sondern
auch für die Nachbarn, Lieferanten,
Partner und Kunden.
Die Gewinnung und Nutzung von Metallen
sind weltweit grundlegende Voraussetzungen
für technischen Fortschritt
und damit höheren Lebensstandard. Aurubis
trägt hier zur Bedarfsdeckung bei.
Sowohl primäre als auch sekundäre Rohstoffe
werden beschafft und verarbeitet.
Aurubis ist sich der Verantwortung in der
Lieferkette bewusst und arbeitet daran,
die Umsetzung von ökologischen und
sozialen Standards und damit ein nachhaltiges
Wirtschaften an verschiedenen
Standorten der Zulieferer zu fördern. Als
elementares Prüfinstrument für nachhaltige
Standards wird beispielsweise ein
Business Partner Screening eingesetzt.
Im Jahr 2016 beging Aurubis gemäß dem
Motto „150 Jahre Zukunft“ das 150. Jubiläum
der Firmengründung. Seit jeher sind
nachhaltiges Handeln und Wirtschaften
zentrale Bestandteile der Unternehmensstrategie
und spielen bei sämtlichen Aktivitäten
des Konzerns eine Rolle. Das
schließt die vielschichtigen Aspekte der
Lieferketten ebenso mit ein wie den sorgsamen
Umgang mit Umwelt und Ressourcen
und die Menschen im Fokus ihres
täglichen Miteinanders, ihre Gesundheit
und Sicherheit, ihre Qualifikationen, ihre
Motivation, ihre Zusammenarbeit. Um zu
einer nachhaltigen Entwicklung beitragen
zu können, hat das Unternehmen sich in
seiner Nachhaltigkeitsstrategie 15 klare
Ziele gesetzt.
Die Aurubis Nachhaltigkeitsstrategie
Seit Ende 2014 nimmt Aurubis am Global
Compact der Vereinten Nationen teil
und unterstützt dessen Prinzipien zur
sozialen und ökologischen Gestaltung der
Globalisierung. Auch zur Erreichung der
62 globalcompact Deutschland 2016
Für einen wirksamen und nachhaltigen
Umweltschutz sind modernste Techniken
unabdingbar. Durch eine kontinuierliche
Investition in die Anlagen − seit
dem Jahr 2000 wurden im Bereich der
Kupfererzeugung rund 530 Mio. € allein
in Umweltschutzmaßnahmen investiert
− hat Aurubis im weltweiten Vergleich
eine Spitzenposition im Umweltschutz
erreicht. Qualität und Umweltschutz stehen
im gesamten Produktionsprozess im
Vordergrund; die Managementsysteme
sind nach anerkannten internationalen
Standards zertifiziert.
Hier wird 1.200 Grad heißes Kupfer bei Aurubis vergossen.
Kupfer trägt maßgeblich zur Energiewende
und zur Verbesserung der CO 2
-Bilanz
bei, denn es ist Bestandteil innovativer
Technologieentwicklungen und kann
immer wieder und ohne Qualitätsverlust
recycelt werden. Durch das umweltfreundliche
und energieeffiziente Multi-
Metal-Recycling schließt Aurubis den
Wertstoffkreislauf für Kupfer sowie viele
weitere Metalle und Elemente. Mithilfe
des Ansatzes „Closing the loop“ werden
Kunden gleichzeitig zu Lieferanten und
der Vertrieb der Kupferprodukte mit der
Beschaffung von Recycling-Rohstoffen
verbunden. Das Recycling bildet in einer
rohstoffarmen Region wie Europa eine
wichtige Rohstoffquelle für die Zukunft.
Politisch wird dem Recyclinggedanken
unter anderem durch die europäische
Direktive „Waste Electrical and Electronic
Equipment“ (WEEE) für Elektro- und
Elektronik-Altgeräte und dem Gesetzespaket
der EU-Kommission zur Kreislaufwirtschaft
„Circular Economy Package“
Rechnung getragen. Aurubis war zudem
an der Entwicklung des freiwilligen
„WEEE End Processor Standard“ beteiligt,
der einen weltweiten Wettbewerb um die
Verwertung von Elektronikschrotten auf
höchstem technischen Niveau zum Ziel
hat − ein wichtiger Beitrag zu international
geordneten Verwertungs- und Entsorgungsprozessen.
2015 wurde Aurubis
entsprechend zertifiziert. Des Weiteren
wurde Aurubis von der Investoreninitiative
„Carbon Disclosure Project“ (CDP)
ausgezeichnet. Zu dem guten Abschneiden
haben die Nachhaltigkeitsstrategie
sowie die transparente Darstellung des
Umgangs mit den Chancen und Risiken
des Klimawandels geführt. Auch die Kupferprodukte,
die zu einer Effizienzsteigerung
von Anwendungen beitragen, sowie
die effektiven Produktionsprozesse, das
Energiemanagement und Investitionen
in Energie- und CO 2
-Effizienzoptimierungen
flossen in die Bewertung ein. Der
produktbezogene CO 2
-Ausstoß konnte
beispielsweise seit dem Jahr 2000 um 36
Prozent vermindern werden.
Aurubis hat sich ein konzernweites Klimaschutzziel
gesetzt − die Reduktion
der CO 2
-Emissionen um 100.000 Tonnen
CO 2
durch Energieeffizienzprojekte und
interne Stromproduktion bis 2018. Ein
Beitrag dazu: Innerhalb des Hamburger
Klimaschutzkonzeptes hat sich das Unternehmen
verpflichtet, weitere 12.000
Tonnen CO 2
pro Jahr einzusparen. Es wird
aber schwieriger, hier signifikante Fortschritte
zu erreichen, denn schon heute
besteht ein Konflikt zwischen Energieeffizienz
und Ressourcenschonung. Ein
wachsender Anteil des Stroms entfällt auf
Umweltschutzmaßnahmen. Außerdem:
Es ist eine volatile Produktionsfahrweise
erwünscht, um regenerative Energien
besser nutzen zu können, was aber die
Energieeffizienz eher vermindert. Aurubis
stellt sich dieser Herausforderung
und geht innovative Wege. Neben großen
Projekten zur Steigerung der Energieeffizienz
− wie an den Standorten Hamburg,
Lünen und Pirdop die Dampfturbinen zur
Stromerzeugung aus Prozessabwärme −
sind auch ein energiebewusstes Verhalten
und die Mitarbeit aller Mitarbeiter gefragt.
Um für das Thema zu sensibilisieren, werden
Energietage durchgeführt; darüber
hinaus finden regelmäßig Energieschulungen
statt.
2012 hat Aurubis in Hamburg die „Partnerschaft
für Luftgüte und schadstoffarme
Mobilität“ unterzeichnet, dessen Ziel
die Reduktion der Stickstoffemissionen
ist, die insbesondere durch den Verkehr
verursacht werden.
Nachhaltigkeit beginnt in der
Ausbildung
Aus- und Weiterbildung sind zentrale
Bestandteile unserer Personalpolitik,
denn eine hochwertige Ausbildung und
gezielte Investitionen in die Qualifikation
der Mitarbeiter sichern den langfristigen
Erfolg eines Unternehmens. Da
der Wettbewerb um talentierte und gut
ausgebildete Mitarbeiter durch den demografischen
Wandel zunimmt, bilden
wir selber aus und stellen sicher, dass
wir über eine ausreichende Zahl an qualifizierten
Mitarbeitern verfügen. Dabei
verfolgt Aurubis stetig das Ziel, mehr
Frauen für die Mitarbeit im Konzern zu
gewinnen und gezielt zu fördern.
Ebenso wichtig ist, dass bereits die Auszubildenden
ihren Beitrag dazu leisten,
die vereinbarten Maßnahmen und Ziele
der Aurubis-Nachhaltigkeitsstrategie
umzusetzen. Deshalb ist Nachhaltigkeit
inzwischen ein fester Bestandteil der
Ausbildung. Den Auftakt haben Hamburger
Auszubildende im Jahr 2015 mit
einer Nachhaltigkeitswoche gebildet.
Sie analysierten den Weg des Kupfers
bei Aurubis unter dem Gesichtspunkt
der Nachhaltigkeit und stellten die Ergebnisse
ihrer Arbeit im Rahmen einer
Veranstaltung aus.
globalcompact Deutschland 2016
63
Good Practice
Starting Ventures helfen
beim Erreichen der globalen
Entwicklungsziele
Wir wollen zu einer Welt beitragen, die eine lebenswerte Zukunft mit besserer Lebensqualität für
alle bietet, und haben dies in unserem Unternehmenszweck „We create chemistry for a sustainable
future“ verankert. Innovationen aus der Chemie nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein, denn
sie liefern einen entscheidenden Beitrag für eine nachhaltige Zukunft einer wachsenden Weltbevölkerung.
Mit unserem Starting Ventures Programm wollen wir Menschen, deren elementare
Grundbedürfnisse derzeit noch nicht erfüllt sind, dabei unterstützen, ihr Einkommen und ihre
Lebensqualität aus eigener Kraft zu verbessern. Wir tragen damit zum Erreichen der globalen
Entwicklungsziele der UN bei.
Von Courtney Lee Hagewood und David Möller, Sustainability Strategy, BASF
Mehr als eine Milliarde Menschen haben
sich seit 1990 aus extremer Armut
befreien können. Trotz dieses bemerkenswerten
Erfolges haben immer noch
vier Milliarden Menschen − die Mehrheit
der Weltbevölkerung − nur ein geringes
Einkommen. Weltweit strebt diese bis
2050 am stärksten wachsende Bevölkerungsschicht
nach besserer Beschäftigung,
um sich bessere Ernährungs-,
Wohn- und Hygieneverhältnisse leisten
zu können − für sich selbst und für ihre
Kinder.
Armut bekämpfen, Nahrungssicherheit
und Wasserversorgung sicherstellen,
Energie- und Klimawandel − das sind
auch die Ziele der 17 umfassenden und
übergreifenden UN Sustainable Development
Goals. BASF hat sich in Arbeitsgruppen
aktiv an der Entwicklung der UN
SDGs beteiligt. Insbesondere Themen wie
Ernährung, sauberes Wasser und sanitäre
Anlagen, erneuerbare Energien, Beschäftigung
und wirtschaftliches Wachstum,
Innovationen und Infrastruktur, nachhaltiger
Städtebau, verantwortungsvolle
Produktion und Verbrauch, Klimaschutz
und die internationale Zusammenarbeit
sind von großer Bedeutung für BASF als
global agierendes Unternehmen, das mit
seinen Innovationen zu einer nachhaltigen
Zukunft beiträgt.
Die Rolle der Unternehmen
Alle Gesellschaftsbereiche sind gefragt,
wenn es darum geht, diese Probleme zu
mindern. Dazu gehört auch die Privatwirtschaft,
die auf vielfältige Weise die
Lebensqualität einkommensschwacher
Menschen positiv beeinflussen kann. Unternehmen
ermöglichen sowohl Chancen
für Beschäftigung und Unternehmertum
als auch den Zugang zu bezahlbaren
Produkten und Dienstleistungen, die
wesentliche Grundbedürfnisse erfüllen.
Einkommensschwache Bevölkerungsschichten
stellen weltweit aber auch ein
großes Potenzial für Unternehmen dar.
Als Zulieferer, Distributoren und Kunden
in ihre Wertschöpfungsketten integriert,
erschließen sich für Unternehmen vielfältige
Möglichkeiten für Innovation und
Wachstum in neuen Märkten.
Als global agierendes Chemieunternehmen
ist BASF gut positioniert, um diese
Rolle zu erfüllen. Unser breiter Marktzugang
und die Entwicklung unseres
Portfolios zu nachgelagerten Industrien
ermöglichen uns, positive Veränderungen
anzustoßen. Die enge Zusammenarbeit
mit der Zivilgesellschaft, dem
öffentlichen Sektor und Partnern entlang
der Wertschöpfungskette sind dabei ein
Schlüssel zum Erfolg.
Beispielsweise hat unsere Initiative
zur Nahrungsmittelanreicherung den
64 globalcompact Deutschland 2016
Mangel an Mikronährstoffen bei Millionen
von Menschen in Entwicklungsländern
erfolgreich reduziert − eine der
weitverbreitetsten Formen der Mangelernährung.
Projekte wie dieses haben
uns vielfältige Lernerfahrungen geboten
und uns 2016 in die Lage versetzt, den
nächsten Schritt zu tun.
Was wir tun
Starting Ventures ist ein konzernweites
Programm. Es schafft unternehmerische
Freiräume für Lösungen, die Menschen
mit geringem Einkommen die
Möglichkeit geben, ihre Lebensqualität
aus eigener Kraft zu verbessern. Zu
diesen unternehmerischen Lösungen
gehören beispielsweise die Vermittlung
von Fähigkeiten für verbesserte Beschäftigungschancen
sowie der Zugang zu
bezahlbaren Produkten für gesunde Ernährung,
Hygiene und Wohnen. Starting
Ventures konzentriert sich auf neue Geschäftsmodelle
und sektorübergreifende
Partnerschaften, um Zugang zu neuen
Märkten zu erhalten. Das Programm
berücksichtigt dabei auch bisherige
Markteintrittsbarrieren, wie Verbraucherverhalten,
finanzielle Möglichkeiten
und unzureichende Infrastruktur.
Das Programm Starting Ventures stellt
unseren Geschäftseinheiten die Ressourcen,
diese neuen Wege des Unternehmertums
zu verfolgen. Außerdem
fördert das Programm den Austausch von
Erfahrungen und Expertise innerhalb
der gesamten Organisation.
Starting Ventures
Die Auswahl der Projektideen durch
einen zentralen BASF-Lenkungskreis
erfolgt nach Kriterien in drei
Bereichen: gesellschaftliche Wirkung,
innovativer Geschäftsansatz
sowie Geschäftspotenzial. Die
UN Sustainable Development Goals
(Nachhaltigkeitsziele der Vereinten
Nationen) bilden die Grundlage für
die Kriterien zu gesellschaftlicher
Wirkung.
Das Programm wurde 2016 erfolgreich gestartet.
Die vom zentralen Lenkungskreis
(s. Infobox) ausgewählten Projektvorschläge
aus verschiedenen Geschäftseinheiten
spiegeln die Vielfalt unserer Kundenindustrien
und unseren weltweiten
Marktzugang wieder. Die ausgewählten
Projekte erhalten finanzielle Unterstützung
durch einen internen Fonds.
Ein Projektbeispiel − Espacio Inclusivo
− stammt aus der Automobilindustrie
in Südamerika. Das Projekt baut auf
vorangegangenen Erfolgen mit Jugendlichen
aus strukturschwachen städtischen
Gebieten in Chile auf und weitet das
Projekt jetzt auch auf Argentinien und
Uruguay aus. In diesen Ländern haben
Jugendliche aus einkommensschwachen
Familien häufig nur geringe Chancen
auf eine Berufsausbildung. Gleichzeitig
leiden die Werkstätten zur Fahrzeuglackierung
und -reparatur − unsere
Kunden − an einem Fachkräftemangel.
Wir haben deshalb begonnen, arbeitslose
Jugendliche als Fahrzeuglackierer
auszubilden. Damit versetzen wir sie in
die Lage, Stellen bei unseren Kunden
zu besetzen. Die bisherigen Erfolge in
Chile haben gezeigt, dass die Jugendlichen,
die erfolgreich ihre Ausbildung
beendet haben, mindestens 55 Prozent
mehr als den gesetzlichen Mindestlohn
verdienen.
Das Projekt Espacio Inclusivo bildet in Chile,
Argentinien und Uruguay Jugendliche als
Fahrzeuglackierer aus.
Unser Ansatz
Vor dem Hintergrund globaler unternehmerischer
Aktivitäten arbeiten wir daran,
die sich wandelnden Bedarfe und Erwartungen
unserer Stakeholder zu erfüllen.
Unsere Rolle als Unternehmen beruht
dabei auf einem Verständnis, das neue
Entwicklungen wie die Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte oder
auch die nachhaltigen Entwicklungsziele
der Vereinten Nationen integriert.
Starting Ventures ist unser Weg, einkommensschwache
Menschen zum
wechselseitigen Vorteil in die Wirtschaft
einzubinden und damit langfristigen
Wert für unser Geschäft und zugleich
eine positive gesellschaftliche Wirkung
zu erzielen. Indem sich beide Ziele gegenseitig
verstärken, ermöglichen sie
den kontinuierlichen Ausbau unserer
Aktivitäten: je größer der Beitrag zu
unserem langfristigen Erfolg, desto
größer unsere positive Wirkung in der
Gesellschaft.
globalcompact Deutschland 2016
65
Good Practice
Intelligente Lösungen für die
Landwirtschaft von morgen
Die Ernährungssicherheit zählt zu den dringlichsten Herausforderungen einer stetig wachsenden
Weltbevölkerung. Neue Anbauflächen für die weitere landwirtschaftliche Entwicklung sind jedoch
knapp. Nur mit einer nachhaltigen Landwirtschaft lassen sich auch in Zukunft genügend Nahrungsmittel
für uns und unsere Nutztiere produzieren. Mit seinem innovativen Geschäftsmodell
„Digital Farming“ trägt Bayer zur Bewältigung dieser Aufgabe bei. Bayer unterstützt damit das
zweite Ziel nachhaltiger Entwicklung der Vereinten Nationen: „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit
und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“
und stellt sein Engagement für den UN Global Compact unter Beweis.
Von Tobias Menne,
Leiter Digital Farming, Bayer
Die Situation ist alarmierend: Laut UN-
Studien wird die Weltbevölkerung bis
2050 auf mehr als neun Milliarden Menschen
steigen. Infolgedessen steigt auch
die globale Nachfrage nach Nahrungsmitteln.
Gleichwohl ist die verfügbare
Anbaufläche, mit der die stetig steigende
Weltbevölkerung versorgt werden muss,
begrenzt. Die Landwirte müssen somit
höhere Erträge auf derselben Fläche erwirtschaften.
Deshalb ist es notwendig,
die landwirtschaftlichen Produktionsmittel
wie Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel
so genau wie möglich
zu wählen, um die Nahrungsmittelproduktion
auf Dauer zu sichern.
Vorteile von Digital Farming
aller wetterbedingten Ernteschäden
lassen sich mithilfe von Wettermodellen
und Methoden der Präzisionslandwirtschaft
vermeiden.
Quellen: IBM Research, CEMA, FAO
kann der Landwirt jährlich sparen,
indem er ein Satellitennavigationssystem
mit einem Autopilotsystem
kombiniert.
Für Bayer ist die digitale Innovation ein
wichtiger Schlüssel zu einer Produktionssteigerung,
bei der die Ressourcen des
Planeten effizienter und nachhaltiger
genutzt werden können. Denn mit ihr
lassen sich höhere Erträge erzielen, ohne
die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft
außer Acht zu lassen. Anstatt die
Komplexität zu erhöhen, macht sie die
Welt der Landwirtschaft berechenbarer
und hilft den Landwirten, das zu tun,
was sie am besten könne: Nahrungs- und
Futtermittel zu produzieren − jetzt und
in Zukunft.
Digitalisierung der Landwirtschaft
Ackerland kann sehr unterschiedlich
beschaffen sein, selbst innerhalb ein und
muss die landwirtschaftliche
Produktivität steigen, um die Menschheit
2050 ausreichend zu ernähren. Digitale
Innovationen wie das Internet der Dinge
können ein Wachstumsmotor sein.
dieselben Parzelle, je nach Topografie,
Bodenart und bodenbedingter Wasserund
Nährstoffversorgung der Pflanzen.
Alle diese Faktoren wirken sich auf die
Biomasse aus. Digital Farming − die
nächste Entwicklungsstufe in der Digitalisierung
der Landwirtschaft − wird in
Zukunft hyperlokale und feldspezifische
Informationen liefern können, die ein
schnelles und intelligentes Eingreifen
auf dem Feld ermöglichen.
Unser Unternehmen bietet großen und
kleineren Betrieben in aller Welt aktuell
eine Vielzahl digitaler Entscheidungshilfen.
Ein Expert-Tool liefert dem
Landwirt beispielsweise Analysen zum
Infektionsprozess bei Pilzerkrankungen,
zur Entwicklung und Ausbreitung von
Schädlingen und zum wetterbedingten
Lagerrisiko. Anwendungen zur Unkrauterkennung
helfen dem Landwirt, die
richtige Behandlung zu wählen, und
digitale Anwendungen, die zurzeit noch
66 globalcompact Deutschland 2016
entwickelt werden, sollen Kleinbauern
bei der Betriebsführung unterstützen.
Echtzeitanalysen werden in nicht allzu
ferner Zukunft helfen, Schädlinge,
Krankheiten und Unkräuter, die die
Ernte gefährden, bis auf den Quadratmeter
genau zu lokalisieren. Sensoren
und bildgebende Verfahren grenzen das
Problem präzise ein und ermöglichen es
dem Landwirt, das Problem direkt an der
Ursache zu bekämpfen. Feldspezifische
Modelle und die Integration von öffentlichen
und eigenen Daten ermöglichen
zielgerichtete Empfehlungen, auf die
sich der Landwirt verlassen kann.
Schon jetzt ist eine Vielzahl von Daten
vorhanden. Moderne Satellitentechnik
liefert detaillierte Karten und Wetterdaten
oder berechnet sogar die Biomasse
eines Feldes, um das Ertragspotenzial
oder mögliche Unkrautprobleme zu bestimmen.
Im Betrieb selbst wird anhand
der Daten, die der Landwirt im Laufe
der Anbausaison erfasst, eine Datenspur
erstellt. Die verwendete Saatgutsorte,
GPS- und Produktdaten der Maschinen,
Wasserverbrauch und Erträge − ein
Großteil dieser Informationen wird gesammelt
und gespeichert, um einen
Vergleich über die Anbausaison hinweg
zu ermöglichen. Die Frage lautet:
Wie lässt sich diese Unmenge an Daten
sinnvoll auf bereiten? Letztlich kommt
es darauf an, die ungeheuren Datenmengen
richtig zu interpretieren. Der
technische Fortschritt macht es möglich,
dass Software-Programme unzählige
Datenpunkte durchforsten, analysieren,
kombinieren und in Beziehung zueinander
setzen, um daraus eine individuelle
Empfehlung abzuleiten.
Wie können alle diese Daten
nutzbar gemacht werden?
Digital Farming: Landwirte erhalten unmittelbar
spezifische Informationen für eine
optimale Bewirtschaftung einer Ackerfläche.
Wir übertragen diese Rohdaten in praxisrelevante
und verwertbare Entscheidungshilfen,
die es den Landwirten ermöglichen,
Böden und Wasserressourcen
besser zu bewirtschaften und die Auswirkungen
bestimmter Maßnahmen
genauer abzuschätzen, zum Beispiel die
Wahl des Saatguts, die Dosierung von
Pflanzenschutzmitteln und den Erntezeitpunkt.
Risiken lassen sich so leichter
beherrschen, Ressourcen schonen und
die Erträge steigen nachhaltig. Die individuellen
Empfehlungen lassen sich
direkt auf die Maschinen des Landwirts
übertragen. Geoinformationssysteme
spielen demzufolge eine wichtige Rolle
für die nachhaltige Landwirtschaft der
Zukunft. Wir wollen das Angebot der
digitalen Dienste für unesere Kunden
weiter ausbauen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir
wollen den Landwirten helfen, ihre landwirtschaftlichen
Entscheidungen mit
noch nie dagewesener Präzision, Effizienz
und Einfachheit umzusetzen. Indem
wir den perfekten Zeitpunkt und die
ideale Menge einer Produktanwendung
für jedes Feld bestimmen, personalisieren
wir quasi unsere Produkte für jeden
Einzelnen. Diese Unterstützung wird eines
Tages bis zum letzten Quadratmeter
eines Feldes möglich sein.
globalcompact Deutschland 2016
67
Good Practice
Gelebte Integration
Bosch begreift nachhaltiges unternehmerisches Handeln als einen festen Bestandteil seiner
Unternehmensstrategie. Die Orientierung an einem gemeinsamen Wertekanon hat dabei eine
tiefe Verwurzelung: So folgte das Unternehmen während seiner gesamten Entwicklung den
ethischen Prinzipien und sozialen Aktivitäten seines Gründers Robert Bosch. Dieses gelebte
Verantwortungsbewusstsein zeigt sich unter anderem im persönlichen Engagement der Belegschaft
bei der Integration von Flüchtlingen.
Von Bernhard Schwager, Leiter Geschäftsstelle
Nachhaltigkeit, Bosch
Die immer noch große Zahl von Flüchtlingen,
die derzeit auf der Suche nach
Sicherheit und einer besseren Zukunft
nach Europa kommen, stellt die Mitgliedstaaten
vor teils enorme Herausforderungen.
Seit 2015 steht auch Deutschland
vor einer besonderen Aufgabe: Weit über
eine Million Menschen haben seitdem
in der Bundesrepublik Schutz gesucht.
Diese Situation sorgt für kontroverse
Diskussionen und wirft viele Fragen auf.
Ungeachtet dessen ist sich die Mehrheit
aus Politik, Wirtschaft und Bevölkerung
einig: Um die Lage in den Griff zu bekommen,
müssen alle Beteiligten zusammenarbeiten.
Und dabei ist auch der Beitrag
der Wirtschaft wichtig, denn gerade bei
der Integration von Flüchtlingen können
Unternehmen vielfältig unterstützen.
Spenden für lokale
Hilfsorganisationen
Vor diesem Hintergrund fanden 2015 und
2016 in verschiedenen Bosch-Ländern gezielte
Hilfsaktionen statt. So startete beispielsweise
die von Bosch-Mitarbeitern
getragene Hilfsorganisation Primavera
e.V. einen groß angelegten Spendenaufruf.
Mithilfe der Bosch-Geschäftsführung,
dem Konzernbetriebsrat und
dem Konzernsprecherausschuss wurden
im Dezember 2015 alle Mitarbeiter um
Unterstützung für die Flüchtlingshilfe
gebeten. Das erfreuliche Ergebnis: Mehr
als 400 000 Euro sind aus den verschiedenen
Ländern zusammengekommen.
Bosch hat die Spendensumme wie zuvor
angekündigt verdoppelt. 820 000 Euro
kamen so nachhaltigen Vor-Ort-Projekten
zugute, die gezielt Flüchtlinge unterstützen.
Zudem konnten die Mitarbeiter
selbst Hilfsorganisationen für die Förderung
vorschlagen. Dahinter steckte die
Überlegung, dass diese meist am besten
wissen, welche sozialen Aktivitäten im
Umfeld ihrer Standorte wichtig sind.
Infrage kamen gemeinnützige Initiativen,
die bereits von aktiven oder ehemaligen
Bosch-Mitarbeitern unterstützt werden
und sich im Idealfall in der Nähe eines
Bosch-Standorts befinden. Die Verteilung
der Gelder bestimmte ein Gremium, in
dem der Verein Primavera, der Gesamtbetriebsrat
und das Unternehmen selbst
vertreten waren. Auf diese Weise hat
Bosch bereits über einhundert Projekte
gezielt gefördert.
Mitarbeiter als Mentoren
Darüber hinaus übernimmt Bosch gesellschaftliche
Verantwortung für die
Integration der Geflüchteten und trägt
so dazu bei, den Neuankömmlingen
den Start in Deutschland zu erleichtern.
Dazu hatte das Unternehmen bereits
vor der oben erwähnten Spendenaktion
500 000 Euro für Integrationsmaßnahmen
an den Standorten bereitgestellt.
Außerdem bietet Bosch Städten und
Gemeinden Grundstücksflächen zur
Errichtung von Notunterkünften sowie
freie Wohnungen an.
Zudem hat Bosch in 2015 über 400
Flüchtlingen berufsorientierende Praktikumsplätze
zur Verfügung gestellt, die
auf eine Ausbildung oder den Eintritt in
den deutschen Arbeitsmarkt vorbereiten.
Mentorenschaften von Bosch-Mitarbei-
„Die Integration von Flüchtlingen ist eine
gesellschaftliche Aufgabe von überragender
Bedeutung. Daher wollen auch wir bei Bosch
einen aktiven Beitrag zur Unterstützung der
Integration leisten. Wir sehen uns hier in
einer langen Tradition, die wirtschaftliches
Handeln und soziale Verantwortung vereint.
Gemeinsam mit unseren engagierten Mitarbeitern
wollen wir so Menschen unterstützen,
in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen
und ihnen eine Zukunftsperspektive bieten.“
Dr. Volkmar Denner, Vorsitzender der
Geschäftsführung, Robert Bosch GmbH
68 globalcompact Deutschland 2016
tern und begleitende Deutschkurse sollen
parallel dazu beitragen, dass sich die
Praktikanten schnell in der neuen Umgebung
zurechtfinden. Hierzu arbeitet
das Unternehmen eng mit öffentlichen
Institutionen zusammen, um bestehende
Qualifizierungsprogramme sinnvoll zu
ergänzen. Mit diesem Ziel vermittelt
auch die Bosch-Jugendhilfe Mitarbeiter
als Mentoren für Flüchtlingskinder an
die Organisation „KinderHelden“. Als
engagierte Ansprechpartner helfen sie
Kindern und Jugendlichen beim Einstieg
in die Schule und stehen ihnen im schulischen
Alltag mit Rat und Tat zur Seite.
Im Verbund mit der Wirtschaft
Bosch ist außerdem Teil der bundesweiten
Wirtschaftsinitiative „Wir zusammen“.
Auf dieser Plattform bündeln
mehr als 120 große und mittelständische
Unternehmen ihre Projekte und
inspirieren andere, sich ebenfalls für
Flüchtlinge einzusetzen. Stellvertretend
für die vielen Initiativen an fast 30 deutschen
Standorten übernimmt Bosch die
Patenschaft für ein Projekt in Immenstadt
im Allgäu. Es handelt sich dabei
um eine Initiative, die 24 unbegleitete
jugendliche Flüchtlinge betreut und
ihnen unter anderem im Zusammenspiel
mit der Berufsschule Immenstadt
sechswöchige Praktika bei Bosch ermöglicht.
Die ersten Praktikumssequenzen
wurden bereits durchlaufen und waren
aufgrund der außerordentlichen Motivation
der Praktikanten sehr erfolgreich.
Dieses Projekt ist stellvertretend für die
lokalen Aktivitäten, weil es zeigt, was
eine gemeinsame Initiative von Auszubildenden,
der örtlichen Werkleitung
und vieler weiterer Mitarbeiter bewirkt.
Kultureller Austausch
Nicht zuletzt lebt die Flüchtlingshilfe von
dem Engagement der vielen freiwilligen
Helfer in Europa. Auch bei Bosch gibt es
zahlreiche Mitarbeiter, die auf diesem
Wege zum Gelingen von Integration beitragen.
Erwähnt sei hier eine Auszubildenden-Initiative
aus Deutschland, die
den kulturellen Austausch zwischen verschiedenen
Nationalitäten fördern möchte.
Dazu treffen sich die Teilnehmer regelmäßig
mit Flüchtlingen, um gemeinsam zu
kochen oder lokale Veranstaltungen zu
besuchen. An anderen Bosch-Standorten
organisieren Mitarbeiter regelmäßig Sammelaktionen,
um Neuankömmlinge mit
den wichtigsten Alltagsutensilien auszustatten.
Wieder andere ermöglichen
Sprach- und Mathematik-Unterricht.
Fazit
Alle diese Aktivitäten liefern allein keine
abschließende Lösung für die erfolgreiche
Integration von Flüchtlingen
in Europa. Aber: Das Engagement von
Unternehmen wie Bosch und ihren Belegschaften
zeigen Wege auf, sich der
historischen Herausforderung zu stellen
und Verantwortung zu übernehmen. Es
geht darum, konkrete Integrationsmöglichkeiten
für den Einzelnen zu schaffen,
Gemeinsamkeiten mit den Menschen
aus anderen Kulturkreisen zu finden
und Unterschiede zu entdecken, die
unsere Gesellschaften bereichern und
nach vorne bringen. Und hier kann sich
jeder einbringen. Ob mit großem oder
kleinem Einsatz: Jede Hilfe zählt.
globalcompact Deutschland 2016
69
Good Practice
CEWE betreibt Klimaschutz
CEWE, Europas führender Fotofinisher und kommerzieller Online-Druckpartner, produziert ab
sofort seine gesamte Markenproduktpalette klimaneutral. Das Oldenburger Unternehmen unterstützt
ein umfassendes Klimaschutzprojekt in Kenia und gleicht dadurch sämtliche bei der Herstellung
der jährlich produzierten Exemplare des CEWE FOTOBUCHs, der CEWE KALENDER,
CEWE CARDS, CEWE WANDBILDER und CEWE SOFORTFOTOS entstehenden CO 2
-Emissionen aus.
Von Dr. Christine Hawighorst,
Leiterin CSR und PR, CEWE
Wir verfolgen seit vielen Jahren eine
nachhaltige Klimaschutzstrategie. Jetzt
hat CEWE dieses Umweltengagement
deutlich erweitert. Das CEWE FOTO-
BUCH und alle anderen CEWE Markenprodukte
werden ab sofort klimaneutral
hergestellt und das nachweislich
und ohne Mehrkosten für den Kunden.
Wir übernehmen damit volle Klimaverantwortung
und schützen die Umwelt.
Die Kompensation von CO 2
-Emissionen
erfolgt durch den Schutz bestehender
Wälder in Kenia mit dem Projekt Kasigau
Wildlife Corridor.
Transparenz und Glaubwürdigkeit
Um den CO 2
-Fußabdruck so gering wie
möglich zu halten, arbeiten wir mit
ClimatePartner zusammen. ClimatePartner
berechnet die CO 2
-Emissionen der
CEWE Fotoprodukte und Dienstleistungen
und entwickelt Strategien, diese mit
Emissionszertifikaten zu kompensieren.
Klimaneutralität mit ClimatePartner
ist TÜV-Austria-zertifiziert und das unterstützte
Klimaschutzprojekt Kasigau
ist nach dem strengen Verified Carbon
Standard (VCS) sowie dem CCB Standard
„Gold Level“ zertifiziert. Der CCB Standard
bezieht sich auf Landnutzungs- und
Forstprojekte, die entsprechenden Projekte
müssen sich einem zweiphasigen
Evaluierungsprozess unterziehen. „Vollständige
Transparenz ist entscheidend,
um unser Engagement beim Klimaschutz
glaubhaft zu vermitteln, denn unsere
Klimaschutzstrategie ist seit Langem ein
wichtiger Teil unseres Unternehmens“,
erläutert Dr. Rolf Hollander, Vorstandsvorsitzender
von CEWE. „Wir übernehmen
konsequent Verantwortung für die
Umwelt. Und wir freuen uns, mit dem
klimaneutralen CEWE FOTOBUCH und
den klimaneutralen Markenprodukten
einen weiteren Beitrag zum Klimaschutz
leisten zu können.“
Wald von der doppelten Fläche
Berlins in Kenia unter Schutz
Als Papier verarbeitendes Unternehmen
fühlen wir uns sehr eng mit dem Thema
Waldschutz verbunden. Das Projekt Kasigau
erstreckt sich im Südwesten Kenias
und schützt den durch Brandrodung und
Abholzung gefährdeten Trockenwald auf
einer Fläche von rund 200.000 Hektar;
das entspricht etwa der doppelten Fläche
Berlins. Um die bei CEWE anfallenden
CO 2
-Emissionen der CEWE FOTOWELT zu
kompensieren, wird die CO 2
-Speicherkraft
70 globalcompact Deutschland 2016
einer Waldfläche von etwas über 26 km 2
− etwa 3.700 Fußballfelder − benötigt.
Vielfältige nachhaltige Projekte, Aufklärungsprogramme
und Aufforstung helfen
bei der Erhaltung einer natürlichen Kohlenstoffsenke
und schützen gleichzeitig
die lokale Biodiversität in Kenia.
Projekt Kasigau Korridor Kenia
Die Wälder im Kasigau Korridor wurden
bisher durch die Anwohner abgeholzt,
um unter anderem Holzkohle zur Essenszubereitung
herzustellen. Mit den
Geldern des Projekts werden Alternativen
finanziert, die den rund 118.500
Bewohnern der Region eine nachhaltige
Lebensgrundlage sichern, ohne dass Wälder
abgeholzt werden müssen. So wurden
zum Beispiel eine alternative Holzkohleherstellung
initiiert und Wasserstellen
mit unbeschränktem Zugang für die
Anwohner ausgehoben. 40 Prozent des
gesamten Geldes werden in Bildungsprojekte
investiert, da die weiterführenden
Schulen in Kenia nicht kostenfrei sind.
Darüber hinaus werden Arbeitsplätze
geschaffen, wie zum Beispiel durch ein
Tierschutzprojekt, bei dem 100 junge
Männer als Ranger ausgebildet wurden,
die sich rund um die Uhr um den Erhalt
der lokalen Tierwelt kümmern. Damit
das Projekt auch in der Zukunft Bestand
hat, werden neue Bäume, darunter auch
Fruchtbäume, gezüchtet. Bisher wurden
bereits 55.000 neue Setzlinge gepflanzt.
Nachhaltig auf ganzer Linie – von
der Bestellung bis zum Briefkasten
Zum ökologischen Wirtschaften gehört
bei uns eine gesamthaft nachhaltige
Lieferkette. Von der Wahl der Rohstoffe,
dem Einkauf, über die Produktion bis
hin zur Auslieferung gestaltet CEWE
die gesamte Wertschöpfungskette klimaneutral.
Schon 2009 hatte CEWE im
Bereich Postversand das Projekt GoGreen
mit der Deutschen Post aufgegriffen,
um so den CO 2
-neutralen Versand in
die Praxis umzusetzen. Allein über den
CO 2
-neutralen Versand hat CEWE 2015
insgesamt 877 Tonnen CO 2
-Emissionen
durch klimaneutrale Produkte und Services
zertifiziert ausgeglichen. Sie beinhalten
Emissionen aus Transport und
Logistik sowie vorgelagerte Emissionen
aus Kraftstoff- und Energieerzeugung.
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges
Element der Unternehmenskultur
Das gesamte Unternehmen arbeitet daran,
seinem Markenversprechen über
alle Produkte und Leistungen hinweg
verantwortungsvoll und nachhaltig gerecht
zu werden. Umweltschonendes,
gesellschaftlich engagiertes Handeln
und ein fürsorglicher Umgang mit Mitarbeitern
sind wichtige Eckpfeiler der
Unternehmenskultur. Zur Schonung
der Umwelt legen wir großen Wert auf
umweltbewusste Maßnahmen. Jedes
Jahr veröffentlichen wir den Nachhaltigkeitsbericht
zur Dokumentation unserer
Fortschritte und Zielsetzungen in diesem
Bereich. Dazu gehören Zertifizierungen
des Umweltmanagements nach ISO
14001 genauso wie der Einsatz von FSC®zertifiziertem
Papier (FSC®-C101851) bis
hin zum CO 2
-neutralen Druck und dem
CO 2
-neutralen Versand der Produkte. Das
gesellschaftliche Engagement mit den
SOS-Kinderdörfern hat CEWE in vielen
Bereichen erweitert. Gefördert werden
insbesondere Projekte für Kinder und Familien
an den Unternehmensstandorten
Oldenburg, Mönchengladbach, Freiburg
und Germering. Daneben unterstützt
CEWE überregionale Partnerschaften
mit den SOS-Kinderdörfern in Ghana.
Für unsere Mitarbeiter übernehmen
wir aktiv soziale Verantwortung. Dazu
gehören Themen wie die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf oder die Förderung
ehrenamtlicher Engagements. Seit
2014 ist CEWE von der Hertie-Stiftung
im Audit Vereinbarkeit von Familie und
Beruf zertifiziert und zudem vom TÜV
Rheinland als Ausgezeichneter Arbeitgeber
prämiert. Als Auszeichnung für das
nachhaltige Engagement erhielt CEWE
den ersten CHIP FOTO AWARD für Nachhaltigkeit,
der auf der photokina 2016
verliehen wurde.
Mehr Informationen zum Nachhaltigkeitsengagement
von CEWE finden Sie unter:
http://company.cewe.de/de/nachhaltigkeit.html
globalcompact Deutschland 2016
71
Good Practice
Langfristig Talente fördern
Die CHT / BEZEMA Gruppe ist eine weltweit agierende Unternehmensgruppe, deren Fokus auf
der Entwicklung und Herstellung von Spezialchemikalien als Funktionsgeber, Hilfsmittel und
Additive für industrielle Prozesse liegt. Unsere Produkte verbessern die Qualität, die Funktionalität
und die Performance von Textilien, Baustoffen, Farben, Lacken, Papier, Leder sowie von
Reinigungs- und Pflegeprodukten für verschiedene Anwendungsgebiete. Darüber hinaus bedienen
wir die Formenbau- und Prototyping-Industrie, Medizintechnik sowie Elektronikindustrie
mit hochwertigen Silikonelastomeren.
Von Dr. Annegret Vester, Head of Corporate Marketing and Communications, CHT / BEZEMA Gruppe
72 globalcompact Deutschland 2016
Das Thema Nachhaltigkeit nimmt bei
der CHT / BEZEMA Gruppe einen hohen
Stellenwert ein − Nachhaltigkeitsaspekte
werden in unserer traditionsbewussten
Unternehmensgruppe im Stiftungsbesitz
schon sehr lange gelebt. Wir verstehen
unter Nachhaltigkeit einen langfristig
angelegten, global vernetzten und verantwortungsbewussten
Umgang mit allen
Ressourcen unter Einbeziehung aller
drei Dimensionen − Ökonomie, Ökologie
und Soziales. Eine Verpflichtung
gegenüber den künftigen Generationen
in Form einer langfristig angelegten
Zukunftsstrategie verbindet den wirtschaftlichen
Erfolg mit gesellschaftlicher
und sozialer Verantwortung und dem
Schutz der Umwelt.
Entsprechend verankern wir Nachhaltigkeit
sowohl strategisch als auch organisatorisch
im Unternehmen. Wir setzen
uns im Rahmen der unternehmerischen
Selbstverpflichtung messbare Nachhaltigkeitsziele
und definieren Maßnahmen zu
deren Umsetzung. Strategisch betrachtet
ist unser Nachhaltigkeitsmanagement
darauf ausgerichtet, erstens als Arbeitgeber
und Geschäftspartner einen Beitrag
zum sozialen Fortschritt der Gesellschaft
zu leisten, zweitens durch weitsichtiges
Handeln ökologische, ökonomische und
personelle Risiken zu minimieren, drittens
zusätzliche Geschäftschancen zu
erschließen, viertens die vertrauensvolle
Beziehung zu unseren Stakeholdern
auszubauen und fünftens als der bevorzugte
Partner und die führende Referenz
für nachhaltige chemische Lösungen in
unseren Märkten aufzutreten.
Als ein Teil der sozialen Dimension wurde
2016 der Verhaltenskodex „Code of
Conduct“ der CHT / BEZEMA Gruppe
veröffentlicht, welcher grundlegende
Standards definiert und Erwartungen an
das Handeln von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern im Unternehmensalltag beschreibt.
Denn verantwortungsbewusstes,
gesetzestreues und integres Verhalten ist
von höchster Bedeutung für das Ansehen
unseres Unternehmens und das Vertrauen
unserer Geschäftspartner sowie der
Gesellschaft. Daher ist das vorrangige
Ziel des Code of Conduct, Verstöße von
vornherein zu vermeiden.
Als einen wesentlichen und wichtigen
sozialen Nachhaltigkeitsaspekt wollen
wir Menschenrechte weltweit einhalten
und einfordern. Unser Unternehmen
ist einer humanen Grundüberzeugung
verpflichtet und achtet strikt auf die
Einhaltung und Achtung der Menschenrechte
in unserem Handlungs- und
Einflussbereich. Mehr noch, wir sehen
unsere Verantwortung für die Achtung
der Menschenrechte als integralen Bestandteil
unserer nachhaltigen Unternehmensführung.
Diese Verantwortung nehmen wir aktiv
an allen Standorten wahr. Führungskräfte
und Geschäftsführer wissen um ihre
verantwortliche Position hinsichtlich der
Sicherstellung zur Einhaltung des Code
of Conduct sowie der Menschenrechte.
Regelmäßig durchgeführte Corporate
Self-Assessments aller Managing Directors
weltweit beinhalten sämtliche im
Code of Conduct definierten Themen
und gewährleisten die Berichterstattung
und Dokumentation. Die strikte
Einhaltung der Menschenrechte auch
aufseiten unserer Geschäftspartner ist
für uns ein Kriterium für dauerhafte
Geschäftsbeziehungen. Mit der Einführung
unserer Compliance-Richtlinien,
die die Inhalte unseres Code of Conduct
widerspiegeln, wollen wir ab 2016 auch
unsere Geschäftspartner an diese Richtlinien
binden, um so eine Einhaltung
der Menschenrechte zu gewährleisten.
Des Weiteren wollen wir vor Diskriminierung
schützen. Unsere Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter spiegeln unsere globale
Präsenz und unsere Philosophie für kulturelle
Vielfalt wider. Als internationale
Unternehmensgruppe, die Menschen
aus vielen unterschiedlichen Nationen
beschäftigt, steht der Schutz vor Diskriminierung
an oberster Stelle. Wir
tolerieren keinerlei Benachteiligungen
aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft,
der Religion, der Weltanschauung,
des Geschlechts, einer Behinderung, des
Alters oder der sexuellen Identität unserer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Regelmäßige Schulungen gewährleisten,
dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
mit den Inhalten des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vertraut
sind und sich entsprechend diesen
Regeln verhalten. In allen Bereichen
unseres Unternehmens und ebenfalls
gegenüber unseren Geschäftspartnern
gelten die gleichen Werte für die Zusammenarbeit.
Mit der verbindlichen, weltweiten
Einführung des Verhaltenskodex
„Code of Conduct“ in 2016 wollen wir
die Einhaltung der Gleichbehandlung
sicherstellen.
Selbstverständlich lehnen wir auch jegliche
Form von Kinderarbeit strikt ab. An
unseren Standorten halten wir die lokal
geltenden Vorschriften zum Mindestalter
unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
konsequent ein. Ist keine solche Vorschrift
vorhanden, halten wir uns an das
in Deutschland geltende Gesetz.
Die Rechte unserer Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter fördern wir ausdrücklich.
Dazu zählt auch im Rahmen der
Vereinigungsfreiheit das Recht unserer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Gewerkschaften
beizutreten und sich von
diesen in Übereinstimmung mit den geltenden
nationalen Gesetzen vertreten zu
lassen. Für alle unsere Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die Unternehmensleitung
ausgenommen, gelten Kollektivvereinbarungen.
Im Rahmen des ONE Company Ansatzes
werden wir uns 2017 gruppenweit mit
dem Thema Diversity beschäftigen. In einem
ersten Schritt sollen alle knapp 2.000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ihrer
Wahrnehmung zum Thema Chancengleichheit
in der CHT / BEZEMA Gruppe
befragt werden und diese bewerten.
Langfristig geht es uns darum, alle Talente
zu fördern, unabhängig von Alter,
Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität und
persönlichen Lebensbedingungen.
globalcompact Deutschland 2016
73
Good Practice
CiS: Auf dem Weg
in die Zukunft …
Kabelkonfektionierung gehört in beste Hände, denn für eine
rundum zuverlässige Funktion komplexer Systeme muss auf
die Verkabelung und Verbindungstechnik absolut Verlass sein.
CiS ist ein führender Hersteller von kundenspezifischer Verbindungstechnik
in der Elektronik – mit großem Produktmix, vom
Einzelstück bis zur Großserie und höchster Zuverlässigkeit in
Qualität und Termintreue seit über 40 Jahren in allen Bereichen.
Von Doris Wöllner, CSR Beauftragte, CiS
In der CiS Gruppe spielen Werte wie
Menschenrechte, Umweltschutz, Arbeitsnormen,
Korruptionsbekämpfung und
ein wertschätzender Umgang in internen
und externen Bereichen immer schon
eine wichtige Rolle.
Seit drei Jahren sind wir offizielles Mitglied
des UN Global Compact und verpflichten
uns auch öffentlich, jederzeit
für diese Werte einzustehen. Auch unsere
Geschäftspartner werden aufgefordert,
unseren Code of Conduct einzuhalten.
Die CiS Gruppe ist ein inhabergeführtes
Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland
und Produktionsstandorten in Tschechien
und Rumänien. Derzeit beschäftigen
wir insgesamt über 1.100 Mitarbeiter.
Als Kabelkonfektionär und Systemlieferant
trägt CiS eine besondere Verantwortung
für Kunden, Mitarbeiter, Umwelt
und Gesellschaft. Seit über vier
Jahrzehnten beschäftigen wir uns mit
Kabelkonfektionierungen, Sondersteckverbindern
und Mechatronik. Damit
leisten wir einen entscheidenden Beitrag
zu den Produkten unserer Kunden in den
Bereichen Automotive, Maschinen- und
Anlagenbau, Elektrotechnik, Medizintechnik,
Energie- und Umwelttechnik,
Sicherheitstechnik, Luft- und Raumfahrttechnik.
Um Vielfalt in der Breite
der Märkte und Qualität auch in Zukunft
fest im Unternehmen zu verankern, gilt
es, die Herausforderungen und Probleme
einer Welt in Bewegung zu verstehen
und zu lösen.
Auch in Zukunft wollen wir unserer Verantwortung
weiterhin gerecht werden.
Die CiS Gruppe hat ihre Unternehmensstrategie
„iSpeed“ neu ausgerichtet und
bereitet sich intensiv auf die zu erwartenden
Veränderungen der industriellen
Entwicklung in den nächsten Jahren vor.
Industrie im Wandel der Zeit –
Digitalisierung als Chance …
Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts
hat die 1. industrielle Revolution mit
der Erfindung der Dampfmaschine begonnen.
Die 2. industrielle Revolution
begann Ende des 19. Jahrhunderts mit
der Einführung der Elektrizität und
der Erfindung der Fließbandfertigung.
Ab den 1970er Jahren startete die 3. industrielle
Revolution mit der weiteren
Automatisierung und Einführung von
Computer, Internet und Robotik. Zum
Ende des 20. Jahrhunderts hat die 4. industrielle
Revolution begonnen.
Nichts bewegt die deutsche
Industrie derzeit mehr als die
magische „4.0“
Industrie 4.0 ist der Begriff für moderne
Technologie und Produktion im Zeitalter
der digitalen Revolution. Damit ist
nicht eine industrielle Entwicklung weiterer
Technologien gemeint, sondern die
veränderte Produktions- und Arbeitswelt
im globalen Zeitalter. Zu den wichtigsten
Zielen von Industrie 4.0 gehören
die Eliminierung von Kapitalbindung
durch unnötige Vorratswirtschaft und
maximale Flexibilität für die Erfüllung
kurzfristiger Kundenanforderungen.
Das bedeutet einen Wandel mit zunehmender
Geschwindigkeit in allen
Bereichen des Marktes und damit auch
in unserem Unternehmen: von der gemeinsamen
Entwicklung mit unseren
Kunden über die gesamte Lieferkette,
durch die Produktion bis hin zum Service
und der Entsorgung. Die Digitalisie-
74 globalcompact Deutschland 2016
ung der Dinge und die Automatisierung
auch der administrativen Bereiche wird
zu einem zentralen Hebel zukünftiger
Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit.
„Alles, was digitalisiert werden
kann, wird digitalisiert − und alles, was
automatisiert werden kann, wird automatisiert!“
− so verkünden es bereits
seit geraumer Zeit die Zukunftsforscher.
Als Folge der zunehmenden Digitalisierung
muss sich die Industrie großen
Herausforderungen stellen. Kunden
suchen nach intelligenten und einfachen
Lösungen in einer immer komplexeren,
zunehmend digitalisierten Welt.
Das bedeutet, Unternehmen müssen
flexibler werden und ihre Effizienz
steigern − bei gleichbleibender oder
steigender Qualität. Aber es bedeutet
auch unzählige Herausforderungen
und neue Chancen! Das wirtschaftliche
Potenzial ist angesichts der sich bietenden
Möglichkeiten enorm. Es geht dabei
um die Digitalisierung der physischen
Welt und die Verbindung von Dingen,
Menschen, Prozessen und Daten bis hin
zur Dematerialisierung. Viele Produkte
werden künftig durch eine APP ersetzt.
Für uns stellt sich die Frage: Wie generieren
wir durch Industrie 4.0 Lösungen
und messbare Mehrwerte für unsere
Kunden und unser Unternehmen?
Mit unserem Projekt „CiS 2020“ bereiten
wir uns auf die enormen Veränderungen
am globalen Markt vor. Ziel ist, unser
Unternehmen so aufzustellen, dass wir
weiterhin schnellster und zuverlässigster
Kabelkonfektionär in diesen veränderten
Märkten der Zukunft sind. Die
dazu eingesetzte Methodik ist u. a. die
Wertstromanalyse in Bezug auf maximal
sinnvolle Automatisierung möglichst
vieler Prozesse und Verkürzung aller
Durchlaufzeiten.
CiS verfolgt mit der langfristig angelegten
Strategie „iSpeed“ die Entwicklungen
des Marktes und setzt als führender
Markenkonfektionär auf nachhaltige
Konzepte, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit
auf höchstem Qualitätsniveau. Um
die globale Entwicklung auf höchstem
wissenschaftlichem Niveau verfolgen
zu können, unterstützt CiS aktiv das
Forschungsprojekt „Deutschland 2030“,
Eine Gruppe von Wirtschaftsvertretern,
Wissenschaftlern und Zukunftsinteressierten
möchte der vorherrschenden „Zukunftsblindheit“
entgegentreten und hat
daher mit Unterstützung des „Senat der
Wirtschaft e.V.“ www.senat-deutschland.de
als strategischen Partner die Initiative
D2030 ins Leben gerufen. Die Initiatoren
dieses Projektes sind u. a. die bekannten Zukunftsforscher
Klaus Burmeister und Beate
Schulz-Montag von www.Foresightlab.de.
Ihr Ziel ist es, einen unabhängigen, interdisziplinären
Diskurs über die Entwicklung
Deutschlands in den nächsten
15 Jahren und darüber hinaus zu
ermöglichen. Deutschland wird dabei
selbstverständlich nicht isoliert betrachtet,
sondern in seiner internationalen
politischen, ökonomischen und kulturellen
Vernetzung. Genau deshalb sollen
Szenarien für Deutschland im Jahr 2030
entworfen werden. CiS verfolgt als aktives
Mitglied die Ergebnisse der Forschung
und passt frühzeitig seine Strategie
„iSpeed“ der zu erwartenden Entwicklung
an. Mit diesen Maßnahmen können wir
langfristig wettbewerbsfähig bleiben und
unsere Arbeitsplätze sichern.
globalcompact Deutschland 2016
75
Good Practice
Systematischer Ansatz
zu menschenrechtlicher
Sorgfalt bei Daimler
Mit dem Daimler „Human Rights Respect System“ entwickelt das Unternehmen einen systematischen
Ansatz zur Erfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten gemäß der „UN-Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte“. Die Risiko-Bewertungsphase dieses Ansatzes
zur Ermittlung menschenrechtlicher Auswirkungen der Daimler-Einheiten in Mehrheitsbeteiligung
wurde 2016 erfolgreich pilotiert.
Von Dr. Wolfram Heger, Senior Manager Corporate Responsibility Management, Daimler AG
Daimler entwickelt seit 2008 kontinuierlich
einen systematischen und unternehmensspezifischen
Menschenrechtsansatz.
Als Grundlage dienten von Beginn an die
Anforderungen des UN Global Compact
sowie, seit 2011, die „UN-Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte“
als handlungsleitende Referenzrahmen.
Verantwortlich für Menschenrechtsfragen
ist das Vorstandsressort „Integrität
und Recht“.
Der Einsatz des zunächst von 2011 bis
2015 verwendeten Instruments des „Human
Rights Compliance Assessments“
vom renommierten Danish Institute for
Human Rights brachte wichtige erste
Erkenntnisse und Erfahrungen zur Achtung
der Menschenrechte im wirtschaftlichen
Kontext. Dabei wurde jedoch auch
klar, dass, um der Erwartungshaltung
der UN-Leitprinzipien wirklich gerecht
zu werden, ein spezifischer Ansatz für
das Unternehmen selbst notwendig ist.
Das in diesem Sinne entwickelte Daimler
„Human Rights Respect System“ fokussiert
zunächst auf die von Daimler kontrollierten
Einheiten und wird derzeit
schrittweise umgesetzt.
Daimler „Human Rights Respect
System“: Systemischer Ansatz mit
Platz für Einzelfall-Betrachtung
Oberstes Ziel des Daimler „Human
Rights Respect System“ ist es vor allem,
systemische Risiken und mögliche
negative Auswirkungen von operativem
Handeln auf Menschenrechte frühzeitig
und vorausschauend (also auch, wenn
sich diese noch nicht konkret manifestiert
haben) zu erkennen und diese zu
mitigieren. Hierfür umfasst das Daimler
System insgesamt vier Prozessschritte,
welche die menschenrechtliche Expertise
mit den langjährigen Prozess- und
Methodenerfahrungen aus dem bereits
etablierten Compliance Management
Ansatz des Bereiches „Group Compliance“
zusammenbringt:
1. die Identifikation potenzieller Menschenrechtsrisiken,
2. die Einleitung und Steuerung von
Gegenmaßnahmen,
3. ein Monitoring, das sich vor allem
auf Hochrisikoeinheiten konzentriert,
4. ein regelmäßiges Reporting, das intern
über relevante Fragen berichtet
und zugleich externe Berichtsanforderungen
erfüllt.
Daimler „Human Rights Respect
System“: Risikobewertung zu
menschenrechtlichen Auswirkungen
Die UN-Leitprinzipien schreiben fest, dass
Unternehmen ihre menschenrechtlichen
Auswirkungen hinsichtlich der Risiken
für die jeweiligen Rechtsträger ermitteln
sollen (Leitprinzip 18). Hierauf fokussiert
im Daimler „Human Rights Respect System“
die Risiko-Bewertungsphase, die wir
im Jahr 2016 pilotiert haben.
Die Risiko-Bewertung besteht aus zwei
Verfahrensschritten: In einem ersten
Schritt werden die kontrollierten Einheiten
des Konzerns auf Basis festgelegter
Kriterien bewertet. Dabei wird einerseits
die landesspezifische menschenrechtliche
Risikolage betrachtet. Andererseits
76 globalcompact Deutschland 2016
determiniert das Geschäftsmodell der
betrachteten Einheit das potenzielle Risiko.
Beide Kriterien gemeinsam betrachtet
erlauben eine erste Einschätzung darüber,
welche unserer weltweiten Einheiten
relativ gesehen einem erhöhten bzw.
einem geringeren menschenrechtlichem
Risiko ausgesetzt sind.
Auf Grundlage dieser Bewertung werden
in einem zweiten Schritt die Einheiten
mit potenziell erhöhten Menschenrechtsrisiken
vor Ort überprüft. Es wird also
untersucht, inwiefern konkrete Risiken
für Rechtsträger bestehen und wie das
Unternehmen diesen menschenrechtlichen
Risiken begegnet. Für diese Vor-
Ort-Überprüfung wurde eine eigene
Methodik entwickelt, welche aus einer
Mischung von detaillierten, fokussierten
und explorativen Interviews sowie Vor-
Ort-Betrachtungen besteht.
Inhaltlich wird dabei ein breites Spektrum
an Menschenrechtsaspekten abgedeckt.
Ein modularer Ansatz erlaubt es
uns, sowohl zentrale Normen des internationalen
Menschenrechts abzudecken (Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte,
Internationale Pakte über bürgerliche und
politische sowie ökonomische, soziale
und kulturelle Rechte, ILO Kernnormen
etc.) als auch unternehmensspezifische
potenzielle Risiken an unseren Produktionsstandorten
zu adressieren − zum
Beispiel die Arbeit mit schwerem Gerät
oder Gefahrenstoffen.
Des Weiteren erlaubt die modulare Vorgehensweise,
den Prüfungen zusätzliche
thematische Module hinzuzufügen,
u. a. wenn der länderspezifische Kontext
dies erforderlich macht (z. B. Länder, in
denen die Rechte bestimmter Minderheiten
oder der Zugang zu bestimmten
Lebensgrundlagen besonderer Betrachtung
bedürfen).
Daimler „Human Rights Respect
System“: Einbindung potenziell
betroffene Gruppen
Um den Anforderungen der UN Leitprinzipen
weiter Rechnung zu tragen,
beinhaltet das Daimler „Human Rights
Respect System“ explizit auch Konsultationen
„mit potenziell betroffenen
Gruppen … die der Art und des Kontexts
der Geschäftstätigkeit Rechnung tragen“
(Leitprinzip 18). Daher wird der Ermittlung
von Sichtweisen und den Themen
der Rechtsträger bei der Vor-Ort-Betrachtung
der Risikolage viel Platz eingeräumt
− so zum einen in Form von Gesprächen
mit Mitarbeitern sowie deren offiziellen
Repräsentanten (Gewerkschafts- oder
Arbeitnehmervertretern) oder bei Begehungen
der Arbeitsplätze (z. B. Produktion,
Gefahrengut-Lager). Überprüft
wird hierbei die Kohärenz zwischen der
tatsächlichen Situation vor Ort und den
Anforderungen, die für Daimler durch
Richtlinien und menschenrechtliche
Normen entstehen.
Daimler „Human Rights Respect
System“: Ausblick
Aufgrund der positiven Erfahrungen,
die wir mit der Pilotierung des Risiko-
Assessments sammeln konnten, werden
wir das Daimler „Human Rights Respect
System“ kontinuierlich weiterentwickeln
und schrittweise umsetzen − auch
mit Unterstützung von externen Stakeholdern,
wie jüngst beim 9. „Daimler
Sustainability Dialogue“. Gleichzeitig
werden die Programmelemente „Steuerung
erforderlicher Maßnahmen“ sowie
„Monitoring und Reporting“ aufgesetzt.
Insgesamt leistet das Daimler „Human
Rights Respect System“ so einen Beitrag
zur Erreichung der Zielsetzungen
des UN Global Compacts sowie der
„UN Leitprinzipien für Wirtschaft und
Menschenrechte“.
globalcompact Deutschland 2016
77
Good Practice
Nachhaltige Farbe.
Trend oder Öko-Nische?
Die neue Dialogreihe der DAW stellt die Gebäudehülle in den Mittelpunkt.
Von Bettina Klump-Bickert,
Head of Sustainability, DAW
Als inhabergeführtes mittelständisches
Unternehmen entwickelt, produziert
und vertreibt die DAW Firmengruppe
seit fünf Generationen innovative Beschichtungssysteme
für Gebäude und
den Bautenschutz. Mit mehr als 5000
Mitarbeitern ist die DAW SE in über
40 Ländern und rund 30 Produktionsstandorten
vertreten. Die bekanntesten
Marken sind Caparol und Alpina − mit
Europas meistgekaufter Innenfarbe:
Alpinaweiß.
Im September 2015 haben die Vereinten
Nationen die „Agenda 2030 für Nachhaltige
Entwicklung“ beschlossen, die mit den
neuen Sustainable Development Goals
(SDG) eine Richtschnur für eine nachhaltigere
Welt bildet. Als Unterzeichner des
Global Compacts, zu dessen 10 Prinzipien
sich die DAW SE ausdrücklich bekennt,
möchten wir einen aktiven Beitrag zu
Realisierung der Agenda 2030 zu leisten.
Innovation und Nachhaltigkeit
Aufgrund ihrer generationenübergreifenden
Ausrichtung legt die DAW SE besonderen
Wert darauf, den wirtschaftlichen
Erfolg im Einklang mit ökologischen
und gesellschaftlichen Ansprüchen zu
erzielen. Daher wurde bei der DAW Geschäfts-
und Produktphilosophie schon
seit jeher Nachhaltigkeit integriert. Um
dies konsequent umzusetzen, sieht die
DAW Innovation als wichtigsten Wettbewerbsfaktor
an.
Vor diesem Hintergrund wurde im letzten
Jahr damit begonnen, den traditionell
starten Fokus auf Innovation strategisch
neu aufzusetzen. Die neue Innovationsstrategie
folgt den vier Leitprinzipien
Ästhetik, Funktionalität, Ökologie sowie
Energieeffizienz und setzt sich aus den
drei verbundenen Bausteinen Innovationskultur,
Innovationsmanagement und
Innovationsinhalt zusammen.
Als Voraussetzung für jegliche Form von
Innovation sieht die DAW eine gelebte
Innovationskultur, die das gesamte Unternehmen
einschließt. Alle Mitarbeiter
sind eingeladen, kreativ zu sein und neue
Ideen zu generieren. Um diesen Weg
beschreiten zu können, bietet das Unternehmen
ein Maximum an Offenheit
und fördert vielfältige Möglichkeiten zur
Weiterentwicklung. Als weiteren Baustein
zur Förderung von Innovation wurde
eine Ideenplattform aufgebaut, die den
78 globalcompact Deutschland 2016
Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, mit
ihren Ideen und Vorschlägen zur Weiterentwicklung
des Unternehmens und der
Produkte beizutragen. Nach einer ersten
Bewertung durchlaufen die besten Ideen
den neu eingeführten und mehrstufig
angelegten Innovationsprozess. Somit
können die Ideen noch zielgerichteter herausgefiltert,
kanalisiert und für das Unternehmen
weiterentwickelt zu werden.
Leitthema Gebäudehülle
Doch welche Nachhaltigkeitsthemen haben
nun das größte Innovationspotenzial,
welche nachhaltigen Aspekte sind für die
DAW wesentlich und wo liegen Chancen
und Risiken? Vor diesem Hintergrund hat
die DAW einen Stakeholder-Dialog unter
Alpina Klima-Weiß –
gut für Erd- und Raumklima
Mit Alpina Klima-Weiß bietet Alpina
erstmalig eine klimaneutral hergestellte
Innenfarbe an, die zudem frei
von Löse- und Konservierungsmittel
ist. Das enthaltende Bindemittel
wurde zu hundert Prozent durch
nachwachsende Rohstoffe ersetzt
und der Rumpf des Farbeimers aus
recycelten Rohstoffen hergestellt.
CapaGeo – lässt
Farben nachwachsen
Auch die neue Produktlinie CapaGeo
steht ganz im Anspruch des Unternehmens,
Farben und Nachhaltigkeit
in Einklang zu bringen. Mit CapaGeo
wurde ein nachhaltiges Produktkonzept
im Profi-Bereich eingeführt, das
von Anfang an auf eine Reduktion
von fossilen Rohstoffen wie Erdöl
und Ergas setzt. CapaGeo ist ein
integraler Bestandteil des Caparol
Premium Sortiments und setzt mit
Innenfarben und wasserverdünnbaren
Lacken den Beginn einer ressourcenschonenden
Produktfamilie.
dem Leitthema Gebäudehülle gestartet,
der sich intensiv mit den Anforderungen
bezüglich Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit
und Energieeffizienz für das
kostenintensivste Bauelement auseinandersetzt.
Als Hersteller von innovativen
Beschichtungssystem ist es der DAW ein
besonders Anliegen, das Wissen rund um
die Bedeutung der Gebäudehülle für eine
nachhaltige Gebäude- und Infrastruktur
durch einen Stakeholder-Dialog zusammenzuführen
und zu fördern.
Stakeholder-Dialog „Nachhaltige
Farbe. Trend oder Öko-Nische?“
Nachdem die ersten Veranstaltungen
aus aktuellem Anlass das Thema Wärmedämmung
konstruktiv beleuchtet
hatten, beschäftigte sich der aktuelle
Stakeholder-Dialog nun mit der äußersten
Schutzschicht der Gebäudehülle −
den Lacken und Farben.
Unter dem Motto „Nachhaltige Farbe.
Trend oder Öko-Nische?“ diskutierten
und vertieften externe Stakeholder und
Mitarbeiter des Unternehmens vielfältige
Aspekte von nachhaltig gestalteten
Farben und Lacken. So bestand zum
Beispiel im Rahmen eines Mobildialogs
die Möglichkeit, in drei Diskussionsfeldern
die Themen „Definition von Nachhaltigkeitskriterien“,
„Nachwachsende
Rohstoffe vs. Petrochemie“ und „Sozialer
Produktnutzen von Farbe“ gemeinsam
zu vertiefen und zu konkretisieren.
Hierdurch entstand eine Vielzahl an
Perspektiven und Beiträgen, die die DAW
künftig in die Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie
einbeziehen kann.
Bei dem Austausch wurden auch die
aktuell neu in den Markt eingeführten
und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten
Produktlinien insgesamt positiv gewertet
(siehe Kasten).
Erforschungsdialog 2036
Weiterhin wurde in einem Erforschungsdialog
zu einem gemeinsamen Diskurs in
das Jahr 2036 eingeladen. Wie wird der
Markt der Zukunft für Farbe und Lacke
aussehen? Wie wird sich das Umfeld
gestalten? Obwohl ein konkreter Blick in
die Zukunft nicht möglich ist, konnten
doch anhand von Fakten und Trends
mögliche Szenarien abgeleitet werden.
So zeichneten sich für die Zukunft Veränderungen
an der Gebäudehülle ab,
die neue Perspektiven für den Anwendungsbereich
von Farben und Lacken
eröffnen, wie beispielweise eine Erhöhung
der Funktionalität von Fassaden,
der vermehrte Einsatz von vorgefertigten
Modulen oder ein zunehmendes Maß an
Automatisierung.
Dialog-Reihe „Zukunft der Gebäudehülle“
wird fortgesetzt
Die Dialog-Reihe „Zukunft der Gebäudehülle“
wird auf Wunsch der externen
Stakeholder voraussichtlich im Sommer
2017 mit einem vergleichbaren Stakeholder-Dialog
fortgeführt. Aufgrund der
regen Teilnahme und des konstruktiven
Austausches in diesem Dialog wird die
Arbeit an einzelnen ausgewählten Themen
unter Einbezug der Stakeholder bis
zum nächsten Stakeholder-Dialog weiter
vertieft werden.
globalcompact Deutschland 2016
79
Good Practice
Digitalisierung ist Hebel
zu mehr Nachhaltigkeit
Die Digitalisierung im Schienenverkehr nimmt deutlich Fahrt auf. Der öffentliche Verkehr steckt
voller Chancen. Denn integrierte Konzepte für nachhaltige Verkehrssysteme werden mit den
digitalen Technologien leichter realisierbar. Für den Kunden wird die Kombination verschiedener
Verkehrsmittel einfacher und bequemer. Die Schiene – als energieeffizientester und umweltfreundlichster
Verkehrsträger – spielt bei der Gestaltung nachhaltiger Mobilität eine Schlüsselrolle.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung wird sie weiter an Bedeutung gewinnen.
Von Dr. Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender und
Chief Sustainability Officer der Deutschen Bahn
Auf dem Mobilitätsmarkt ist eine ungeheure
Dynamik zu beobachten. Nicht
zuletzt unsere Besuche im Silicon Valley
führen uns als Deutsche Bahn deutlich
vor Augen, dass die Innovationen im
Umfeld digitaler Technologien auf einem
Gebiet stark ausgeprägt sind − und das
ist der Mobilitätsmarkt. In den kalifornischen
Innovationszentren beschäftigen
sich über 60 Prozent der Start-ups mit
neuen Mobilitätslösungen. Das autonome
Fahren auf der Straße ist dabei von
besonderer Bedeutung − nicht nur für
die Autoindustrie, sondern auch für
Google oder Uber.
Was das für den Bahnsektor bedeutet?
Ganz klar: Auch wir erwarten viel mehr
und viel stärker Wettbewerber aus allen
Richtungen. Deshalb müssen wir
die Vorteile ausspielen, die die Bahn als
sicherstes, bequemstes und klimafreundlichstes
Verkehrsmittel bietet. Bei der
DB arbeiten wir unternehmensweit intensiv
an der digitalen Zukunft − nicht
nur im Schienenverkehr. Für uns ist die
Digitalisierung ein geschäftsfeldübergreifendes
Anliegen. Alle Bereiche unseres
Mobilitäts- und Logistik-Portfolios sind
involviert. Vom Personenverkehr über
den Gütertransport, die Infrastruktur
und die Produktion bis hin zur IT und
der neuen Arbeitswelt 4.0.
Lösungen für die Kunden:
digital, einfach, schnell
Diese Veränderungen gehen wir mit
vollem Engagement an. Erstens weil
wir Treiber sein wollen, und zweitens,
weil wir die digitalen Technologien als
80 globalcompact Deutschland 2016
Fortschritt verstehen und einen Markt
für nachhaltige neue datenbasierte Geschäftsmodelle
sehen.
Unsere nachhaltige Konzernstrategie
DB2020+ gibt uns die Richtung vor: Wir
wollen Digitalisierung und Nachhaltigkeit
verknüpfen. Was heißt das konkret?
Der nachhaltige Verkehr der Zukunft
bedeutet für uns dreierlei:
• Er ist individuell − wir wollen noch
kundenspezifischere Lösungen bieten,
die der Vielfalt unserer Kunden
Rechnung tragen;
• Er ist flächendeckend − wir wollen
Verkehrsangebote noch effizienter
gestalten und für noch mehr
Menschen den Zugang zu Mobilität
ermöglichen;
• Er ist ökologisch − wir wollen die
Ökobilanz unserer Verkehre weiter
verbessern.
Ein anderes Beispiel ist Qixxit: Der mobile
Reiseassistent vergleicht verschiedene
Verkehrsmittel. Der Kunde entscheidet,
ob er schnell, preiswert oder besonders
umweltfreundlich reisen will. Qixxit
bezieht auch die Car Sharing-Angebote
von Flinkster und mehr als 10.000 Call
a bike-Mietfahrräder mit ein, die eine
„Tür-zu-Tür“-Mobilität ermöglichen. Da
setzen wir an, wenn wir die Zukunft
gestalten. Es geht um die nahtlose Mobilitätslösung:
einfach, ohne komplizierte
Buchungs- und Bezahlprozesse. In wenigen
Klicks, in Sekunden zur Lösung
− das ist das Ziel.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit
verknüpfen
Weil möglichst viele Menschen flächendeckend
Zugang zu Mobilität haben sollen,
beschäftigen wir uns auch mit dem autonomen
Fahren auf der Straße − für Auto,
Bus und Lkw. Hier wollen wir neue Geschäftsmodelle
entwickeln. Selbst fahrende
Autos werden einen neuen Markt entstehen
lassen: Der klassische motorisierte
Individualverkehr und der öffentliche
Verkehr verschmelzen zum individuellen
öffentlichen Verkehr. Mobilitätsangebote
werden „on demand“ produziert. So werden
neue Räume erschlossen − etwa über
eine bessere Vernetzung auf dem Land.
Mit diesen Aktivitäten stärken wir auch
unsere ökologische Leistung. Denn eines
ist klar: Die Schiene ist und bleibt der
Motor der Energiewende im Verkehr.
Jedes Jahr entlastet die Deutsche Bahn
Deutschlands Straßen um 1,5 Milliarden
Auto- und 8 Millionen Lkw-Fahrten. Bis
2020 wollen wir als DB-Konzern zudem
unsere spezifischen CO 2
-Emissionen um
30 Prozent gegenüber 2006 reduzieren.
Diese Zielsetzung macht deutlich: Wir
nehmen unseren Anspruch, Umwelt-
Vorreiter zu sein, sehr ernst. Die mit
der Digitalisierung verbundenen Effizienzpotenziale
wollen wir dabei gezielt
nutzen. Das vollautomatische Fahren auf
der Schiene ist hier wichtiger Baustein,
kann es doch Effizienz und Leistung
deutlich erhöhen. Auch das passiert
nicht von heute auf morgen. Aber wir
wollen Vorreiter sein und suchen dafür
die Kooperation mit den Partnern in der
Industrie, anderen Bahn-Unternehmen,
der Politik und unseren Mitarbeitern.
Mit unserer Vision eines nachhaltigen
Verkehrs der Zukunft leisten wir unseren
Beitrag zur Agenda 2030 und den 17 Sustainable
Development Goals (SDGs) der
Vereinten Nationen. Die Digitalisierung
ist ein enormer Hebel hin zu mehr Nachhaltigkeit,
dafür müssen beide Themen
von vorneherein zusammen gedacht
werden. Wenn wir die Weichen jetzt
richtig stellen, können wir den Wandel
positiv gestalten. Die Deutsche Bahn
wird mit gutem Beispiel vorangehen.
Weitere Informationen zum Engagement der DB:
www.deutschebahn.com/de/nachhaltigkeit
www.deutschebahn.com/sdg
Individuell passende Mobilität ist gleichbedeutend
damit, dass Reisen einfacher,
bequemer, flexibler und persönlicher
wird. Digitalisierung bedeutet in erster
Linie: Der Kunde findet rasch die für
ihn geeignete Lösung. Da hat sich viel
getan: So ist das Smartphone längst Fahrplanauskunft,
Ticketschalter und Reisebegleiter
in einem. Das lässt sich gut an
unserer App „DB Navigator“ ablesen: Mit
täglich vier Millionen Reiseauskünften
oder monatlich rund dreieinhalb Millionen
verkauften Online- und Handytickets
ist der DB Navigator die erfolgreichste
Mobilitäts-App. Über die Hälfte der Tickets
im Fernverkehr werden online
gebucht − mit steigender Tendenz. Das
mobile Internet als Vertriebskanal wächst
dabei besonders stark.
globalcompact Deutschland 2016
81
Good Practice
Flüchtlingsengagement
neu ausgerichtet
Auch nach über einem Jahr Flüchtlingshilfe in Deutschland ist das Thema aktueller denn je.
Die Herausforderungen für Unternehmen, die sich nachhaltig engagieren wollen, sind hoch.
Spracherwerb und zielgerichtete Angebote sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine gute
Integration.
Von Sabrina Haag, Deutsche Telekom
Im August 2015 hat der Vorstand der
Deutschen Telekom unmittelbar auf
die stark wachsende Anzahl Zuflucht
suchender Menschen in Deutschland
reagiert und die Task Force „DT hilft
Flüchtlingen“ gebildet. Der Fokus der
Task Force lag vor allem auf der Ersthilfe.
Erste wirksame Maßnahmen waren die
Versorgung vieler Erstaufnahmeeinrichtungen
mit WLAN, die Bereitstellung
von Immobilien, die Personalvermittlung
von Beamten an das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) und
das Onlineportal www.refugees.telekom.de.
Neben Praktikums- und Ausbildungsplätzen
wurden in der Folge auch spezielle
Stipendien für die Telekom-eigene
Hochschule für Telekommunikation in
Leipzig an Flüchtlinge vergeben. Viele
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben
sich zudem ehrenamtlich engagiert und
wurden dabei von der Deutschen Telekom
finanziell, mit Freistellungen und
mit Infrastruktur unterstützt.
Lag der Schwerpunkt im Jahr 2015 noch
auf dem Ankommen und der ersten
Orientierung, stand in 2016 die Klärung
von Aufenthaltsstatus, Wohnort und
Integration in Umfeld und Arbeitsmarkt
in Deutschland im Mittelpunkt.
„Blicken wir auf unser bisheriges Engagement
zurück, so konnten wir in der
Phase des Ankommens auf Basis unserer
Kernkompetenzen viel Unterstützung
bieten. Doch nun müssen wir uns neu
ausrichten. Die nachhaltige Integration
82 globalcompact Deutschland 2016
von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt
stellt sich als eine viel größere
Herausforderung dar, als ursprünglich
angenommen“, so Barbara Costanzo,
Leiterin der Einheit Group Social Engagement
und Verantwortliche für die
Task Force „DT hilft Flüchtlingen“ bei
der Deutschen Telekom AG .
Um die Integration in den Arbeitsmarkt
zu fördern gründete die Telekom 2016
gemeinsam mit Henkel, der Deutschen
Post / DHL und der Bundesagentur für
Arbeit die Initiative „Praktikum PLUS
Direkteinstieg“.
Nach aktuellen Erkenntnissen verfügen
ca. 86 Prozent der geflüchteten Menschen
über keine formale berufliche
Qualifikation oder zumindest über keine,
die in Deutschland Anerkennung
findet. Damit sind viel weniger Fachkräfte
nach Deutschland gekommen
als zunächst angenommen. Praktikum
PLUS Direkteinstieg richtet sich an genau
diese Zielgruppe. An Flüchtlinge mit
Integrationshemmnissen wie nicht abgeschlossene
Ausbildung im Herkunftsland,
aber gutem Potenzial: Flüchtlinge
mit Berufserfahrung, die einen direkten
Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt
anstreben. Bundesweit werden insgesamt
zunächst 100 Stellen von den drei beteiligten
Unternehmen angeboten. Ziel ist
es, in einem Zeitraum von 2,5 Jahren die
berufliche Perspektive zu verbessern und
die Chancen für den deutschen Arbeitsmarkt
zu erhöhen. Die ersten 6 Monate
werden als Orientierungsphase in Form
von Praktika umgesetzt, an die sich unmittelbar
eine befristete Anstellung für
2 Jahre anschließt. Das Besondere dabei:
Die Integration in das Arbeitsleben
erfolgt bei gleichzeitiger Fortsetzung
der Teilnahme an Integrations- und
Sprachkursen und der Einstieg über
die beiden Phasen bietet die Möglichkeit
eines niederschwelligen Übergangs in
die Arbeitswelt, da die Verantwortung
im Job langsam ansteigt.
„Ohne den Erwerb der deutschen Sprache
können wir in einem Unternehmen wie
unserem, in dem das gesprochene und
geschriebene Wort zu den wichtigsten
Arbeitsinstrumenten gehört, keine Perspektive
bieten“, so Barbara Costanzo.
Nicht nur der Spracherwerb, der deutlich
länger dauert als zunächst angenommen,
stellt sich als große Hürde heraus. Auch
die verschiedenen Aufenthaltsstatus
machen es Unternehmen nicht leicht,
passende Angebote für Flüchtlinge zu
schaffen. Die rechtliche Lage ist komplex,
zusätzlich stellen sich ändernde
rechtliche Rahmenbedingungen Unternehmen,
die in gut abgestimmten
Prozessen arbeiten müssen, immer
wieder vor neue Herausforderungen.
Sich darauf einzulassen erfordert ein
Umdenken− Standardprozesse müssen
oft auch für kleine Zielgruppen angepasst
werden, selten sind hierfür notwendige
Ressourcen vorgehalten. Auch haben
die Menschen aus der Zielgruppe häufig
andere Erfahrungen mit dem Einstieg in
den Arbeitsmarkt. Eine irakische Praktikantin
der Deutschen Telekom formuliert
es so: „Wenn Du bei uns Koch sein
willst, denn gehst Du in ein Restaurant
und bist es! Ausbildung und die vielen
Bezeichnungen für Berufe kennen
wir nicht.“ Zudem haben viele junge
Flüchtlinge sich nicht damit auseinander
gesetzt, was sie einmal beruflich tun
möchten. In Deutschland ist dies in jeden
Lehrplan von weiterführenden Schulen
inklusive berufliche Praktika und vieles
mehr eingebunden. Auch im privaten
Umfeld spielt die Frage: „Was möchtest
Du einmal werden?“ von Kindesbeinen
an eine wichtige Rolle. Das ist in den
Herkunftsländern vieler Flüchtlinge
nicht selbstverständlich.
Mit der Neuausrichtung des Flüchtlingsengagements
will die Deutsche Telekom
insbesondere auch eine Erhöhung der
Bewerberzahlen erreichen. Nur mit einer
ausreichenden Anzahl an Bewerbungen
können die Kandidaten gefunden werden,
die gut zur Stelle und ins Unternehmen
passen.
Auf Basis der Erfahrungen und Erfolge
der ersten Projektphase wird auch
das Flüchtlingsportal neu ausgerichtet
und mit neuen Partnern fortgeführt.
Das Engagement der Mitarbeiter wird
verstärkt für die Integration der neuen
Kollegen eingesetzt, indem diese zum
Beispiel Flüchtlinge beim Spracherwerb
unterstützen.
Kooperationen mit Firmen, aber auch
NGOs helfen dabei, Erfahrungen besser
nutzbar zu machen und Angebote noch
besser zu positionieren und auszubauen.
So wird es bei der Telekom eine
neue Kooperation mit help e.V. geben,
die Menschen auch in den Herkunftssprachen
unterstützt, sofern sie dies
wünschen. Diese wird das langjährig
erprobte Angebot zur Mitarbeiter- und
Führungskräfteberatung auch in psychosozialen
Fragestellungen über die B.A.D
GmbH ergänzen.
Um ihr gesellschaftliches Engagement
zielgerichtet weiterzuentwickeln, nutzt
die Telekom den regelmäßigen Austausch
mit anderen Unternehmen, NGOs,
Behörden, Ehrenamtlern, Menschen aus
der Zielgruppe sowie Experten. Gemeinsam
werden Ideen diskutiert und Problemstellungen
− wie die derzeit noch
mangelnde Anzahl an Bewerbern − aus
verschiedenen Perspektiven betrachtet,
um neue Lösungsansätze zu entwickeln
und zu erproben.
„Für das Jahr 2017 rechnen wir mit einer
großen Anzahl von Menschen, die nach
der Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen
bereit sind für den Einstieg
in den Arbeitsmarkt. Darauf richten wir
uns aus. Weil wir als eines der führenden
DAX-Unternehmen Verantwortung
übernehmen und weil wir wissen, dass
die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
ist, die uns alle angeht“, so Barbara
Costanzo.
globalcompact Deutschland 2016
83
Good Practice
Gemeinsam gegen
Energiearmut
Kein warmes Wasser, keine Möglichkeit zu kochen oder Wäsche zu waschen: In Deutschland wird
jedes Jahr 350.000 Haushalten laut Bundesnetzagentur der Strom abgestellt. Für die Betroffenen
sind diese Sperrungen dramatisch und können zum sozialen Abstieg führen. Aber auch Energieanbietern
entstehen dadurch hohe Kosten, zusätzlicher bürokratischer Aufwand und eine negative
Außenwirkung. E.ON hat das Problem erkannt und für finanzschwache Kunden eigens ein Programm
entwickelt. Dieses hilft den Betroffenen, ihre Energieschulden in kleinen Schritten zu
begleichen, so die Energiesperrungen zu vermeiden und bietet eine erste Hilfe auf dem Weg aus
der Schuldenfalle.
Von Dr. Joachim Klein,
Head of Customer Relations, E.ON
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum
Menschen ihre Stromrechnung nicht
rechtzeitig bezahlen: Viele Betroffenen
kontrollieren ihren Zählerstand nicht und
sind sich über ihren tatsächlichen Verbrauch
nicht bewusst. Als Folge stimmen
die Abschlagszahlungen nicht mit dem eigentlichen
Stromverbrauch überein, und
es kommt zu hohen Nachforderungen.
Lösungen bei Zahlungsproblemen
Tatsächlich hängen Energieschulden
aber oft auch mit anderen Schuldenproblemen
zusammen. „Wir kooperieren
deshalb in dem Zahlhilfe-Programm auch
eng mit den Jobcentern der Bundesagentur
für Arbeit und den Schuldnerberatungen
der Wohlfahrtsverbände“, erklärt
Sandra Turner, Strategie Kundenbindung
bei E.ON. „Dieses intersektorale Angebot,
das unterschiedliche Perspektiven vereint
und gemeinsam versucht, den Kunden in
ihrer Notsituation bestmöglich zu helfen,
ist in dem Bereich wirklich einzigartig.“
Hilfe zu Selbsthilfe für zahlungsschwache
E.ON-Kunden
Das Zahlhilfe-Programm von E.ON begegnet
deshalb dem Problem der Energiearmut
der Kunden auf unterschiedlichen
Ebenen. Kurzfristig ist das Ziel, die drohende
Sperrung aufzuhalten, mittelfristig
gilt es, die Energieschulden der Betroffenen
abzubauen, und langfristig soll
das Entstehen neuer Schulden vermieden
werden. Dabei geht es auch darum, jenen
Menschen, die sich nicht selbst zu
helfen wissen, eine Orientierungshilfe
zu geben und Perspektiven aufzuzeigen:
„Wir bieten unseren Kunden nachhaltige
Lösungen, die speziell an ihren Bedürfnissen
orientiert sind, damit sie künftig
ihre Energiekosten selbstständig im Griff
haben“, so Turner weiter.
haben. Zu diesen Maßnahmen zählen
unter anderem ...
Für Kunden:
• Kunden mit Zahlungsschwierigkeiten
haben die Möglichkeit, einen zwölfmonatigen
Ratenplan zur Rückzahlung
mit E.ON zu vereinbaren. Hierzu
können sie sich an das sogenannte
Zahlhilfe-Team wenden, das den Betroffenen
bei Fragen weiterhilft.
• Auf Wunsch vermittelt E.ON einen
Termin bei einer gemeinnützigen, telefonischen
Schuldnerberatung, die
Externe Unterstützung
Um das zu erreichen, setzt sich das Programm
aus verschiedenen Maßnahmen
für Kunden und Jobcenter / Schuldenberatungen
zusammen. Diese greifen je
nach individueller Problemlage des Betroffenen
und den jeweiligen Ursachen,
die zur Energieverschuldung geführt
84 globalcompact Deutschland 2016
die finanzielle Situation der Kunden
analysiert, einen Haushaltsplan erstellt
und eine zahlbare Ratenhöhe ermittelt.
Zur langfristigen Unterstützung kann
der Kontakt zu einer Beratungsstelle
vor Ort hergestellt werden.
• Um eine Sperrung zu vermeiden, können
Kunden bar in Einzelhandelsgeschäften
wie dm, Penny, REWE, der
Deutschen Telekom oder real unbürokratisch
Teilbeträge auf die Energierechnung
überweisen. Die Zahlscheine
erhalten sie per E-Mail oder SMS.
Weitere Informationen finden sie unter
www.eon.de/barzahlen.
Sperrung vermeiden
• Die Broschüren „E.ON unterstützt“ bieten
Kunden einfach verständliche Informationen
und Hilfestellungen zu Themen
wie Energieverbrauch, Nachzahlung,
Zahlungsschwierigkeiten oder Sperrung.
Sie werden direkt an betroffene Kunden
verteilt, den Mahnungen beigelegt oder
auf Wunsch in Jobcentern ausgelegt.
Im Internet sind die Flyer in 15 verschiedenen
Sprachen erhältlich.
Wir sprechen Ihre Sprache
• In der Zahlhilfe-Rubrik www.eon.de/
zahlhilfe bekommen die Kunden alle
Hilfsangebote aus den Broschüren
und weitere nützliche Links wie zum
Beispiel zur Online-Schuldnerberatung
der Caritas aufgeführt. Außerdem können
sie hier die Adressen des Stromspar-Checks
per PLZ-Suche finden, um
einen Termin zu vereinbaren, bei dem
ein Stromspar-Team unter anderem
den Energieverbrauch des Haushalts
prüft.
Prävention
Für Jobcenter und Schuldnerberatungen:
• Jobcenter und Schuldnerberatungen haben
die Möglichkeit, sich innerhalb des
Zahlhilfe-Teams über eine Hotline an
„Berater-Spezialisten“ zu wenden. Diese
sind besonders geschult und haben
einen größeren Handlungsspielraum
als andere E.ON-Mitarbeiter. So können
diese Berater den Sperrprozess stoppen,
sobald ein Jobcenter oder eine Beratungsstelle
für einen Kunden anruft.
• Danach wird geprüft, ob der Kunde
einen Ratenplan ohne Zinsen und Gebühren
erhalten kann. Das Jobcenter
prüft wiederum die Vergabe eines Darlehens
für die Energieschulden. Sollte
beides nicht möglich sein, bietet E.ON
im Einzelfall den „Ratenplan Zahlhilfe“
mit einer längeren Laufzeit an.
Die Schuldnerberatungen erarbeiten
dann mit dem Kunden eine realistische
Ratenhöhe, die in das Gesamtbudget
passt.
• E.ON bietet den Mitarbeitern der Jobcenter
ein „Zahlhilfe-Set“ an. Gemeinsam
können sie so mit dem Kunden
die Ursachen für die Energieschulden
frühzeitig identifizieren.
Kundenzentrierte Entwicklung des
Programms
E.ON hat 2014 angefangen, das Zahlhilfe-
Programm im Unternehmen voranzutreiben.
Dabei orientierte sich der Energieanbieter
am Konzept des sogenannten
Service Designs, mit dessen Hilfe Unternehmen
methodisch Dienstleistungen
aus Sicht von Kunden entwickeln. Um die
genauen Bedürfnisse zu ermitteln, führte
E.ON Interviews mit Betroffenen, den
Jobcentern und Schuldnerberatungen
durch: „Kunden sind teilweise überfordert,
wenn der Schuldenberg anwächst.
Dann bedienen sie eher die Gläubiger,
die am meisten Druck machen“, erklärt
Turner. „Zur Existenzsicherung ist die
Zahlung von Strom, Heizung und Miete
aber am wichtigsten. Dazu raten auch
Schuldnerberatungen.“
In einem zweiten Schritt hat man bei
E.ON die unterschiedlichen Dienstleistungen
ein halbes Jahr lang an 300
echten Kundenfällen und involvierten
Jobcentern und Beratungsstellen getestet,
um so die notwendigen Ressourcen und
Kompetenzen für die eigenen Serviceleistungen
aufzubauen: „Mit dem Zahlhilfe-Programm
haben wir die Themen
Energiearmut, Zahlungsprobleme und
Stromsperrungen nachhaltig im Unternehmen
verankert. Um eine positive
Wirkung der Initiative zu gewährleisten,
führen wir kontinuierlich Evaluationen
durch, sodass wir Optimierungspotenziale
schnell erkennen und im Programm
umsetzen können“, so Turner weiter.
Momentan findet der bundesweite Rollout
statt, bei dem E.ON-Mitarbeiter das
Programm den regionalen Vertretungen
der Bundesagentur für Arbeit und den
Jobcentern vor Ort in Informationsveranstaltungen
vorstellen.
E.ON beschränkt sein Engagement für
finanzschwache Kunden mit Energieschulden
aber nicht nur auf Deutschland.
So bietet das Unternehmen Programme
mit kleinerem Umfang auch beispielsweise
in UK und Ungarn an.
globalcompact Deutschland 2016
85
Good Practice
Auf dem Weg in eine
nachhaltigere Zukunft
Profitables Wachstum und zukünftige Geschäftserfolge beruhen maßgeblich auf vorausschauendem
und verantwortungsvollem Handeln. Davon sind wir bei Evonik überzeugt. Dies gilt für
jeden einzelnen unserer weltweit rund 33.000 Beschäftigten. Die zehn Prinzipien des UN Global
Compact sind dabei eine wichtige Richtschnur.
Von Dr. Detlef Männig, Corporate Responsibility, Evonik
Unser Handeln zielt darauf ab, durch
innovative Produkte das Leben der Menschen
gesünder und lebenswerter zu
machen. Das erwarten insbesondere
unsere Kunden von uns, bei denen wir
eine steigende Nachfrage nach Produkten
beobachten, die eine ausgewogene
Balance ökonomischer, ökologischer
und sozialer Faktoren aufweisen. Vor
diesem Hintergrund richtet Evonik seine
Geschäftsaktivitäten zunehmend auf
Nachhaltigkeit aus.
Nachhaltigkeitsanalyse unserer
Geschäfte
Im Rahmen unserer langfristig ausgerichteten
Strategie haben wir 2015 die strukturierte
Nachhaltigkeitsanalyse unserer
Geschäfte fortgesetzt und in den drei
Chemiesegmenten auf alle 22 Geschäftsgebiete
ausgedehnt. Hierbei zeigte sich,
dass Evonik bereits über 50 Prozent des
Umsatzes mit Produkten für ressourcenschonende
Anwendungen erzielt.
Fundierte Analysen helfen uns, die Auswirkungen
unserer Produkte transparent
zu machen. Das stärkt unsere Glaubwürdigkeit
als zuverlässiger Lösungsanbieter
für unsere Kunden und hilft uns,
die Nachhaltigkeit unserer Geschäfte
kontinuierlich weiter zu verbessern.
Inzwischen hat Evonik bereits rund 70
Prozent des Außenumsatzes seiner drei
Chemiesegmente mittels ökobilanzieller
Betrachtungen untersucht. Angestrebt ist
eine Ausdehnung auf 80 Prozent.
Unser aus Wissenschaftlern und Ingenieuren
interdisziplinär zusammengesetztes
Life-Cycle-Management-Team (LCM)
hat seit dem Jahr 2009 über 100 lebenszyklusbasierte
Analysen für Produkte,
Prozesse oder ganze Standorte erstellt.
Produktbeispiele sind Aminosäuren für
die Tierernährung sowie Straßenmarkierungen,
die auf dem Reaktionsharz
DEGAROUTE® basieren. Darüber hinaus
bringen sich die LCM-Experten mit ihrer
Erfahrung in die Weiterentwicklung der
Methodik von lebenszyklusbasierten
Analysen ein. Dies erfolgt sowohl national
als auch international im Rahmen
von Nachhaltigkeitsinstitutionen und
-netzwerken wie dem World Business
Council for Sustainable Development.
Hohe Ausgaben für Forschung und
Entwicklung
Evonik ist ein forschungsintensives Unternehmen
und gibt jedes Jahr mehr als
3 Prozent seines Umsatzes für Forschung
und Entwicklung aus. Dieses hohe Niveau
wollen wir beibehalten. In den nächsten
zehn Jahren sollen insgesamt mehr als 4
Milliarden € in Forschung und Entwicklung
fließen. Die Nachhaltigkeitsaktivitäten
sind in unseren operativen Segmenten
unmittelbar an die Verantwortung für
Produkt- und Geschäftsentwicklung angeschlossen,
also an der produktnahen
Forschung & Entwicklung. In der Grundlagenforschung
hat unsere strategische
Forschungseinheit Creavis einen I2P³-
Prozess („Innovation to People, Planet,
Profit“) eingeführt. Bei der Produkt- und
Verfahrensentwicklung berücksichtigt
dieser schon in einem frühen Stadium
neben ökonomischen auch ökologische
und soziale Fragestellungen. Damit sind
Nachhaltigkeitskriterien dem Innovationsprozess
quasi von der Wiege an eingeimpft.
Nachhaltigkeit als Wachstumstreiber
In vielen unserer Geschäfte erleben wir
Nachhaltigkeit inzwischen als Wachstumsund
Innovationstreiber. Ein aktuelles
Beispiel sind unsere Biotenside für Waschund
Reinigungsmittel auf Basis von Sophorolipiden.
Diese sind zu 100 Prozent
aus nachwachsenden Rohstoffen mittels
biotechnologischer Verfahren hergestellt.
Sie weisen sehr gute Reinigungseigenschaften
auf, haben ein herausragendes
toxikologisches und ökologisches Profil
und sind vollständig biologisch abbaubar.
REWOFERM® SL 446 wurde daher
als „Biobased Material of the Year 2016“
ausgezeichnet.
86 globalcompact Deutschland 2016
Links: REWOFERM® SL 446
Rechts: SEPURAN® Hohlfasermembranbündel
Unten: Met-Met für Garnelen
Eine weitere Innovation von Evonik
zielt auf die Aquakultur, die aufgrund
der Überfischung der Ozeane zunehmend
an Bedeutung gewinnt. Tatsache
ist aber, dass zurzeit das Futter für diese
Anwendung hauptsächlich aus Fischmehl
besteht und damit die weitere
Überfischung sogar fördert. Evonik hat
deshalb das Dipeptid Met-Met entwickelt.
Es ermöglicht, den pflanzlichen Anteil
an Protein in der Nahrung deutlich zu
erhöhen. So werden Lachse und Garnelen
quasi zu Vegetariern.
Bevor Biogas ins Erdgasnetz eingespeist
werden kann, sind eine umfangreiche
Aufbereitung und Reinigung nötig. Neue,
besonders selektive SEPURAN® Polymermembranen
von Evonik verwandeln
Rohbiogas einfach und effizient in hochreines
Biomethan. Das steigert den Ertrag
und schont wertvolle Ressourcen.
Das Produktportfolio von Evonik umfasst
zahlreiche weitere ressourcenschonende
Lösungen. Dazu zählen beispielsweise
Öladditive, die den Treibstoffverbrauch
von Hydraulikmaschinen deutlich senken
oder Hochleistungskunststoffe zur
Gewichtsreduzierung in der Automobilund
Luftfahrtindustrie. Systemlösungen
für Windkraftanlagen helfen bei der
Erzeugung von erneuerbaren Energien.
Auch beim Ausbau unseres Corporate-
Venture-Capital-Portfolios ist Nachhaltigkeit
ein wichtiges Kriterium. Ein Beispiel
dafür ist unser Engagement bei Biosynthetic
Technologies. Das Unternehmen
stellt eine neue Klasse biobasierter Öle
her, die als Hochleistungsschmierstoffe
Anwendung finden.
Evonik erstmals im Dow Jones
Sustainability Index
Unser Nachhaltigkeitsengagement wird
anerkannt. So wurde Evonik Anfang
2016 erstmals im renommierten Nachhaltigkeitsjahrbuch
von RobecoSAM als
„Sustainability Leader“ mit der Auszeichnung
„Silver Class“ gewürdigt. Auf Anhieb
konnten wir uns unter den besten
Zehn der weltweit etwa 70 bewerteten
Chemieunternehmen platzieren. Im
weiteren Verlauf des Jahres wurde Evonik
erstmals in die Dow Jones Sustainability
Indizes World und Europe aufgenommen
sowie für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis
in den Kategorien „Deutschlands
nachhaltigste Großunternehmen“ und
„Forschung“ nominiert. Diese Auszeichnungen
sind für uns Ansporn, den Nachhaltigkeitsnutzen
unserer Produkte und
Lösungen konsequent auszubauen.
globalcompact Deutschland 2016
87
Good Practice
EY: Integration von Flüchtlingen
gemeinsam gestalten
Die hohe Zahl an Flüchtlingen stellt Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vor große Herausforderungen.
Angesichts von demografischem Wandel und Fachkräftemangel hierzulande kann das
aber auch eine Chance sein. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die erfolgreiche Integration
der Menschen. Das Prüfungs- und Beratungsunternehmen EY widmet sich dieser Aufgabe mit
vier zentralen Maßnahmen: mit Praktikumsangeboten, dem „Runden Tisch der Charta der Vielfalt“,
der Investition in Bildung sowie durch das Engagement seiner Mitarbeiter.
Von Dr. Sonja Würtemberger, Head of Strategy &
Governance, Talent Team GSA, EY
Die Geschichte von Mohammed Basel
Alyounes liest sich wie ein „Integrationsmärchen“:
Der Syrer floh im August 2015
nach seinem Wirtschaftsstudium aus Damaskus
nach Deutschland. Dass er heute
bei EY in Berlin arbeitet, verdankt er, wie
er selbst sagt, Zufall, Glück und Verstand.
Von einem TV-Reporter nach seinen Träumen
gefragt, antwortete er, dass er gerne
für Ernst & Young arbeiten würde. Diesen
Fernsehbeitrag sah Ana-Cristina Grohnert
aus der Geschäftsführung von EY. Es
gelang ihr, Mohammed Basel Alyounes
über eine syrische Facebook-Gruppe ausfindig
zu machen, sie lud ihn zu einem
Gespräch ein und bot ihm anschließend
ein Praktikum an. Inzwischen betreut er
bereits die ersten Kunden und unterstützt
andere Flüchtlinge als Mentor und ist
Teil des Projektteams „Onboarding und
Integration Geflüchtete@EY“.
Praktika als erster Einstieg in die
Berufswelt
EY hat mittlerweile mehrere Flüchtlinge
als Praktikanten eingestellt, zwei davon
wurden in ein festes Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis
übernommen. Der erste
Kontakt erfolgt in der Regel über private
Kontakte, Job-Portale und soziale Medien,
danach werden sie zu Bewerbungsgesprächen
bei EY eingeladen. Während
eines drei- bis sechsmonatigen Praktikums
profitieren sie von Unterstützungsangeboten
wie Sprachkursen, Freizeitangeboten
zum Netzwerken und einem sich im
Auf bau befindlichen Buddy-Programm.
Anschließend haben sie die Chance auf
eine Verlängerung bzw. eine weitere Beschäftigung.
EY arbeitet derzeit, basierend
auf den ersten Erfahrungen, an einem
einheitlichen Einstiegsmodell, um den
Integrationsprozess in das Unternehmen
zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Integration gemeinsam bewältigen
Um im Schulterschluss mit Politik, Gesellschaft
und weiteren Unternehmen
einen konkreten Beitrag zur Integration
zu leisten, ist EY darüber hinaus der
Initiative „Wir zusammen“ beigetreten.
Ziel des Netzwerks ist es, einen Überblick
über die zahlreichen Angebote in der
Flüchtlingshilfe zu geben und weitere
Firmen zum Mitmachen zu bewegen.
88 globalcompact Deutschland 2016
Alle Teilnehmer wissen, dass Integration
nur durch gemeinsames Handeln erfolgreich
gestaltet werden kann.
Anlässlich eines Besuchs von Bundespräsident
Joachim Gauck bei den Mitgliedern
der Initiative sagte der Vorsitzende der
Geschäftsführung von EY, Hubert Barth:
„Mit unserem Unternehmensleitbild ‚Building
a Better Working World‘ machen wir
es uns zur Aufgabe, die Wirtschaftswelt
von morgen nachhaltig mitzugestalten.
Wir sind uns bewusst, dass wir als internationales
Unternehmen eine Verantwortung
für unser Umfeld tragen − dazu
zählt auch die Bewältigung des Flüchtlingszustroms.“
Aus dieser Grundüberzeugung heraus
initiierte EY Ende 2015 einen „Runden
Tisch“ innerhalb der „Charta der Vielfalt“.
Dieser soll dabei helfen, die Flüchtlingshilfe
innerhalb der deutschen Wirtschaft
besser zu koordinieren. Die Charta der
Vielfalt ist eine Unternehmensinitiative
zur Förderung von Vielfalt in der Unternehmenskultur.
Mehr als 2.350 Unternehmen
und Institutionen haben sie bisher
unterzeichnet.
Die Idee für den „Runden Tisch“ entstand
bei einem Treffen der Unternehmensvorstände
mit der Staatsministerin Aydan
Özoğuz im September 2015. Bei einem
anschließenden Kick-off-Meeting bei EY
in Berlin bildeten sich drei Schwerpunkte
heraus: die Entwicklung einer internen
Kommunikationsplattform, um Best Practices
und Erfahrungen auszutauschen
− diese ist seit September 2016 live geschaltet;
die Erarbeitung einer Informationsplattform
für Flüchtlinge; ein dritter
Arbeitskreis beschäftigt sich mit Einstiegsmodellen
für den deutschen Arbeitsmarkt,
z. B. durch Sprachkurse oder Praktika.
Im Dezember 2016 trifft sich der Runde
Tisch zum vierten Mal unter dem Motto
„Ein Jahr Runder Tisch − was haben wir
gemeinsam erreicht?“
„Vielfalt bereichert unsere
Arbeitswelt“
Ebenfalls Ende 2015 hat EY den Verein
„EYcares e.V.“ ins Leben gerufen, der
Flüchtlinge, aber auch politisch, rassistisch
und religiös Verfolgte unterstützt.
„Wir sind überzeugt, dass eine von Vielfalt
geprägte Arbeitswelt bereichernd ist und
wollen dabei helfen, Flüchtlinge schnell
in Gesellschaft und Arbeitsleben zu integrieren.
Gleichzeitig wollen wir ein Auseinanderdriften
der verschiedenen Teile
der Gesellschaft verhindern. Deswegen
setzen wir uns nicht nur für Flüchtlinge
ein, sondern auch für die Integration
anderer, bereits in Deutschland beheimateter,
benachteiligter Gruppen in die
Wirtschaft“, erläutert Ana-Cristina Grohnert,
Mitglied der Geschäftsführung und
personalverantwortliche Partnerin. Als
erste Maßnahme rief EY seine Mitarbeiter
zu Spenden für die Organisation „Save
the Children“ auf, die sich unter anderem
für Flüchtlingskinder einsetzt. Gleich zu
Beginn spendete EY 50.000 Euro.
Mitarbeiter engagieren sich
Der Empfang von Flüchtlingen mit
Essen am Bahnhof, der Besuch eines
Basketballspiels, die Verabredung zum
gemeinsamen Fußballgucken oder die
Gründung eines Lauftreffs sind Beispiele
dafür, wie sich auch EY-Mitarbeiter privat
für die Integration der Flüchtlinge in die
Arbeitswelt einsetzen. Das Unternehmen
fördert dieses Engagement, indem
es seinen Mitarbeitern ein bestimmtes
Zeitbudget für ehrenamtliche Tätigkeiten
zur Verfügung stellt. Insgesamt haben
sich EY-Mitarbeiter so bereits über 1.000
Stunden in der Flüchtlingshilfe engagiert.
An vielen Standorten haben zudem
Spenden, Ausflüge und Sammelaktionen
gestartet und laufen immer noch.
Bildungsengagement
Der Zugang zu Bildung ist für EY ein
weiterer entscheidender Schritt hin zu
einer schnellen Eingliederung. Dafür
setzt sich das Unternehmen mit seinen
Kompetenzen und Ressourcen ein. So
unterstützt EY etwa die Kiron University,
eine Online-Universität für Flüchtlinge,
beim Auf bau eines Rechnungswesens
sowie ihrer HR-Systeme und bei der
Entwicklung eines zu den besonderen
Anforderungen eines sozialen Start-Ups
passenden Vergütungsmodells. Die Kiron
University ist nicht nur in Deutschland
tätig, sondern unterhält Dependancen
in Jordanien und der Türkei, um Bildung
dorthin zu bringen, wo die meisten
Flüchtlinge sind. Bei der Umsetzung
dieser Strategie steht EY der Kiron University
mit seinen Kenntnissen der lokalen
rechtlichen und regulatorischen
Anforderungen zur Seite.
Zudem hat EY mit Spenden zur Entwicklung
einer Sprach-Lern-App (Lugha)
beigetragen, die seit Anfang November
kostenlos in den App-Stores erhältlich ist.
Zusätzlich entwickelt man gemeinsam
mit der The DO School einen Lösungsansatz
zur Integration von Flüchtlingen
in den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus begleitet
EY operativ und beratend die Facebook-Seite
des Syrischen Hauses, ein Projekt
des Vereins „Integration HUB e.V.“.
Die Facebook-Seite hat bereits über
120.000 Follower und wird von Menschen,
die aus Syrien nach Deutschland
geflohen sind, dafür genutzt, sich zu
vernetzen und über das Leben und Arbeiten
in Deutschland zu informieren.
globalcompact Deutschland 2016
89
Good Practice
Integration durch Bildung
Für Freudenberg als werteorientierter Technologiekonzern in
Familienbesitz bedeutet Erfolg nicht nur finanziell erfolgreich zu
sein, sondern immer auch die Übernahme von Verantwortung für
die Gesellschaft. Seit 2015 engagieren sich das Unternehmen
und seine Mitarbeiter in vielfältigen Aktionen für Geflüchtete.
Im Mittelpunkt steht die Förderung von Sprache und Bildung,
insbesondere für Familien mit Kindern und für junge Menschen.
Von Laura Rech, Corporate Communications,
Freudenberg Group
Den Startpunkt der Flüchtlingshilfe-
Initiative bildete eine weltweite Spendenaktion,
zu der das Unternehmen alle
40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Pensionäre sowie Gesellschafter aufrief.
Für jeden gespendeten Euro gab
Freudenberg zwei Euro hinzu − verdreifachte
also die Summe. Insgesamt
kamen so bis Dezember 2015 gut 1,6
Millionen Euro zusammen. Mehr als die
Hälfte des Betrags ist bereits eingesetzt:
Rund 60 Projekte − von der lokalen Bürgerinitiative
bis hin zu internationalen
Hilfsorganisationen wie der Deutschen
Welthungerhilfe und dem Türkischen
Roten Halbmond − haben eine Unterstützung
aus dem Spendentopf erhalten.
Letztere leisten wichtige Soforthilfe in
den Krisenregionen vor Ort.
Mitarbeiter engagieren sich
Die meisten Projekte haben Mitarbeiter
und Gesellschafter selbst vorgeschlagen.
„Wir unterstützen bevorzugt Initiativen
an unseren Standorten, zu denen unsere
Mitarbeiter einen persönlichen Bezug
haben − wir sind stolz auf das Engagement
jedes Einzelnen“, so Dr. Mohsen
Sohi, Sprecher des Vorstands der
Freudenberg Gruppe. Viele Mitarbeiter
der Freudenberg Gruppe engagieren
sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit in
Kleiderkammern, Nähkursen, Fahrradwerkstätten
oder Begegnungscafés. Immer
wieder berichten sie, dass Geflüchtete
− insbesondere die jungen unter
ihnen − den Wunsch haben, so schnell
wie möglich Deutsch zu lernen, zur
Schule zu gehen, zu studieren oder eine
Ausbildung zu absolvieren.
Sprache als Schlüssel zu Integration
„Sprachkenntnisse sind eine Grundvoraussetzung
für gesellschaftliche Teilhabe
und berufliche Chancen“, so Sohi. „Da
Sprache der Schlüssel zur Integration
ist, sind wir froh darüber, mit dem
Goethe-Institut einen perfekten Partner
für unser Engagement gefunden
zu haben.“ Neben der Förderung von
Deutschkursen für junge Geflüchtete
übernimmt das Unternehmen die Kosten
für Lehrgänge an allen Goethe-Instituten
in Deutschland, die ehrenamtlichen
Helfern Grundkenntnisse des Deutschunterrichtens
vermitteln. Auch viele
Mitarbeiter haben bereits an einem der
Lehrgänge teilgenommen.
Sprachlernspiele in Kooperation mit
dem Goethe-Institut
Nach dem Kurs erhalten die Teilnehmer
„Sprachlernspiele“, die ebenfalls
im Rahmen der Kooperation mit dem
Goethe-Institut entstanden sind. Sie geben
ehrenamtlichen Helfern ein konkretes
Werkzeug an die Hand, mit dem
Geflüchtete schnell und einfach lernen
können, erste Gespräche auf Deutsch
zu führen. Einkaufen, Verabredungen
treffen, sich in der neuen Umgebung
zurechtfinden: Die Spielkarten decken
verschiedene Alltagssituationen in 53 Varianten
ab. Sie stehen zur Ausleihe in den
zwölf Goethe-Instituten in Deutschland
zur Verfügung und lassen sich zudem −
mitsamt den Spielregeln und weiteren
Tipps für die Spracharbeit − auf goethe.
de/willkommen herunterladen.
Einblicke in die Arbeitswelt
ermöglichen
Eines von vielen Beispielen für das herausragende
Engagement der Freudenberg-
Standorte ist das Werk in Kufstein, Österreich.
Hier engagieren sich Mitarbeiter
für junge, unbegleitete Geflüchtete.
Mit finanzieller Unterstützung von
Freudenberg fördern sie rund 30 Afghanen,
Syrer, Iraker, Somalier und Guineaner
zwischen 14 und 17 Jahren, etwa
durch Hausaufgabenhilfe, Deutschunterricht
oder gemeinsame Unternehmungen.
Besuche im Werk und Gespräche mit
Mitarbeitern ermöglichen den Jugendlichen
erste Einblicke in die deutsche
Arbeitswelt.
90 globalcompact Deutschland 2016
Das Pilgerhaus, eine Einrichtung der Jugendund
Behindertenhilfe, betreut derzeit rund
hundert unbegleitete junge Geflüchtete in
Weinheim, dem Stammsitz der Freudenberg
Gruppe. Mit finanzieller Unterstützung von
Freudenberg lernen die Jugendlichen unter
fachlicher Begleitung Merkmale des deutschen
Alltagslebens kennen, werden in ihrer
sozialen Interaktion gefördert – wie hier beim
gemeinsamen Gärtnern – und schulisch
unterstützt.
Praktika machen fit für die
Arbeitswelt
Duale Ausbildung eröffnet
Zukunftsperspektiven
Am Stammsitz in Weinheim geht das
Unternehmen noch einen Schritt weiter:
Zu einer gemeinsamen Informationsveranstaltung
von Freudenberg
und der Industrie- und Handelskammer
Rhein-Neckar waren im Sommer 2016
Jugendliche eingeladen, die als Geflüchtete
oder Migranten nach Deutschland
gekommen sind. „Viele dieser jungen
Menschen wissen häufig gar nicht, was
eine duale Ausbildung ist und sie wollen
am liebsten studieren. Doch das ist
nicht für alle der richtige Weg − zumal
es häufig an den Deutschkenntnissen
fehlt“, sagt Dr. Rainer Kuntz, Leiter des
Freudenberg-Ausbildungszentrums und
Gastgeber der Veranstaltung. Einige stünden
unter hohem Druck, schnell Geld
zu verdienen, beispielsweise, um ihre
Familien in der Heimat zu versorgen.
„Da liegt es für manche erst einmal näher,
einfache Hilfsjobs anzunehmen − leider.
Denn diese Tätigkeiten bieten keine Entwicklungsperspektive.
Unser Ziel ist es,
den Jugendlichen das duale Ausbildungssystem
zu erklären, sie zu motivieren
und ihnen eine Perspektive aufzuzeigen“,
sagt Kuntz. Abgerundet wurde die Veranstaltung
durch eine Führung in der
Lehrwerkstatt, die einen Einblick in den
praktischen Teil der Berufsausbildung
ermöglichte.
Seit Oktober 2016 sind acht junge Geflüchtete
regelmäßig in der Freudenberg-
Lehrwerkstatt anzutreffen. Sie absolvieren
ein schulbegleitendes Praktikum, das
sie auf eine Ausbildung in einfachen
Metallberufen wie Industriemechaniker,
Metallbauer oder Maschinen- und Anlagenführer
vorbereitet. In gemeinsamen
Pausen und bei Mahlzeiten kommen die
jungen Geflüchteten in Kontakt mit den
Jugendlichen, die regulär eine Ausbildung
bei Freudenberg oder einem Partnerunternehmen
des Ausbildungsverbunds
machen. Das erleichtert die Integration
und erhöht die Motivation, nach dem
Praktikum einen Ausbildungsplatz zu
finden.
Links: Deutschunterricht ebnet den Weg zur
Integration. Viele Freudenberg-Mitarbeiter
engagieren sich ehrenamtlich als Lernbegleiter
für Flüchtlinge. Freudenberg unterstützt
zudem eine Vielzahl von lokalen und landesweiten
Sprachangeboten für Geflüchtete.
Rechts: In einem Praktikum lernen junge
Geflüchtete bei Freudenberg die Grundtechniken
der Metallarbeit kennen. Ziel des
gemeinsamen Projekts mit einer berufsbildenden
Schule ist es, die jungen Männer für
einen dualen Ausbildungsplatz fit zu machen.
globalcompact Deutschland 2016
91
Good Practice
Durch gelebte
Verantwortung
unsere Zukunft
gestalten
Gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und CSR als
selbstverständlichen Bestandteil in die Unternehmenskultur
integrieren – eine Idee, die auch kleine Unternehmen umsetzen
sollten? Unbedingt, sagt die gmc² gerhards multhaupt consulting
GmbH aus Bonn. Das Unternehmen macht sich stark für den
Gleichklang aus Ökonomie, Ökologie und Sozialem und lebt das
Konzept des „nachhaltigen Wirtschaftens“ seit jeher. Dabei
pflegt gmc² auch den intensiven Dialog mit Kunden, Partnern
und Interessierten.
„Mensch sein heißt verantwortlich sein“
− besser als mit den Worten des französischen
Schriftstellers Antoine de
Saint-Exupéry lässt sich unser unternehmerisches
Selbstverständnis nicht
beschreiben. Der Ausspruch bildet die
Maxime, nach der wir handeln, für die
wir Bewusstsein schaffen wollen. Achtung
und Respekt gegenüber Mensch
und Natur sind Werte, für die wir aus
vollster Überzeugung einstehen und die
ein integraler Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie
sind. Bio-Milch
und Ökostrom sind zwar ein Anfang, wir
finden aber, dass zu unternehmerischer
Verantwortung weitaus mehr gehört.
Von Anna Muntzos, redaktionelle Assistentin, und Stephan Multhaupt, Geschäftsführer, gmc²
Deshalb setzen wir uns u. a. für faire
Arbeitsbedingungen ein, die deutlich
über gesetzliche Mindestanforderungen
hinausgehen. So möchten wir eine
Unternehmenskultur schaffen, die den
Einzelnen in den Mittelpunkt stellt und
in der sich unsere Mitarbeitenden ausleben,
einbringen und weiterentwickeln
können. Wir vertrauen darauf, dass dies
der richtige Weg zu maximalem Unternehmenserfolg
ist − für alle Beteiligten.
Unsere Mitgliedschaft beim UN Global
Compact verstehen wir deshalb als ausdrückliches
Bekenntnis zu unseren gelebten
CSR-Leitlinien.
Soziale Verantwortung:
Gerade die Wirtschaft ist gefragt
Gegenwart verändern – Zukunft gestalten /
Mit innovativen Lösungen und starken Netzen nachhaltig Werte und Bewusstsein schaffen
Beim aktuellen Thema „Verantwortung“
bildet die Integration der vielen Zufluchtsuchenden
eine wichtige Aufgabe. Wir
sind der Überzeugung, dass es an dieser
Stelle ohne die Unterstützung der Wirtschaft
nicht geht. Arbeit ist ein wichtiger
Motor für eine gelungene Integration.
Arbeit ermöglicht Ankommen und einen
Neustart, nirgends kann eine Gesell-
92 globalcompact Deutschland 2016
schaft mit all ihren Eigenschaften besser
kennengelernt werden. Um aber in der
deutschen Arbeitswelt überhaupt Fuß
fassen zu können, ist es wichtig, die
„Spielregeln“ des hiesigen Bewerbungsund
Arbeitsmarktes zu kennen und zu
verstehen. Und das ist der Punkt, an dem
wir ansetzten konnten.
Im Juni 2016 startete auf Initiative von
drei Mitarbeiterinnen unser Integrationsprojekt
„Hand in Hand − Brücken bauen“.
Ziel dieses Pilotprojektes war es, jungen
Geflüchteten einen Weg durch den Deutschen
Bewerbungs-Dschungel zu zeigen
und ihnen somit einen erfolgreichen Start
in ein neues Leben zu ermöglichen. Ganz
im Sinne des Mottos „Hilfe zur Selbsthilfe“
gingen unsere Mitarbeitenden gemeinsam
mit den Teilnehmenden allen wichtigen
Fragen rund um das Thema „Bewerbung“
nach: Wo finde ich eine Stellenanzeige?
Wie sieht eine gute Bewerbung aus? Was
passiert in einem Vorstellungsgespräch?
Und wer ist eigentlich Max Mustermann?
Da ein solches Coaching auch für uns
Neuland darstellte, bekamen wir wertvolle
Hilfe vom Forum Ehrenamt in
Königswinter. Eine Partnerschaft, die sich
ausgezahlt hat: Mit großem Elan, Zuversicht
und vor allem sehr viel Spaß konnte
bereits ein Teil der Teilnehmenden in ihr
erstes Praktikum in Deutschland starten.
Der Erfolg unseres Coachings hat uns
regelrecht beflügelt − ein Erlebnis, mit
dem wir noch eine Vielzahl an Unternehmen
inspirieren möchten. Wir hoffen,
diese Erfahrung mit anderen teilen zu
können, um miteinander und voneinander
zu lernen und um diese Werte
gemeinsam weiterzutragen.
Zukunftsfähige Geschäftsmodelle
dank CSR
Leider lassen die Worte „soziale und
ökologische Verantwortung“ insbesondere
kleine Unternehmen aus Angst vor
zeitlichem Mehraufwand und hohen
Kosten schnell zurückschrecken. Dabei
profitieren gerade auch diese Unternehmen
von der unternehmerischen Verantwortungsübernahme.
Denn immer
häufiger werden Kaufentscheidungen
aufgrund nachhaltigkeitsbezogener Kriterien
getroffen. CSR bildet also gewissermaßen
den Königsweg zum Erfolg.
Unternehmen erzielen so mittel- und
langfristig wichtigen Mehrwert: von
stabilen Lieferantenbeziehungen und
einer optimalen Qualität von Produkten,
über eine gesteigerte Attraktivität des
Unternehmens bis hin zu motivierten,
zufriedenen Arbeitnehmern, um nur
einige zu nennen.
„Mit unserer Erfahrung und
unserer Expertise möchten wir
alle Interessierten auf ihrem
CSR-Weg begleiten und unterstützen.
Hand in Hand auf
Augenhöhe, damit wir gemeinsam
die Gegenwart verändern und
die Zukunft gestalten. “
Damit diese Vorteile überhaupt erreicht
werden können, muss CSR erst einmal
systematisch in den Unternehmensalltag
Einzug finden. Mögliche Handlungsfelder
müssen identifiziert und zielführende
Maßnahmen abgeleitet werden. Solche
Maßnahmen können beispielsweise aus
Mitarbeiterfortbildungen und der Minimierung
von Emissionen bestehen, oder
aber aus der Einführung innovativer
BI-Lösungen für transparente Businessmodelle
von morgen. Eine der größten
Herausforderungen in diesem Zusammenhang
ist nicht nur die Identifikation
der Handlungsfelder, sondern auch die
Steuerung und damit die Messbarkeit des
Erfolges. Während sich der Verbrauch von
Ökostrom etwa sehr leicht feststellen lässt,
bildet das Monitoring der Mitarbeiterzufriedenheit
einen deutlich abstrakteren
Gegenstand. Doch wie lassen sich Konzepte
zur Steuerung solch abstrakter Werte
praktikabel in der Realität anwenden?
Die Antworten können nur gefunden
werden, wenn Forschung und Wirtschaft
Hand in Hand gehen und die Bedeutung
der Thematik von jedem Einzelnen verstanden
und aufgenommen wird.
Darauf möchten wir zusammen mit
unseren Partnern und Kunden Einfluss
nehmen. Wir wollen das Bewusstsein
für die Relevanz sozialer, ökologischer
und ökonomischer Aspekte schaffen. Für
uns, unsere Umwelt und für ein faires
Miteinander. Denn eines ist sicher: Hier
liegt die Chance, die Wertschöpfungspotenziale
von morgen zu entdecken. Wir
hoffen, dass unsere Begeisterung für das
Thema ansteckend ist.
CSR für gmc²
Corporate Social Responsibility (CSR)
beschreibt die unternehmerische
Übernahme gesellschaftlicher, ökologischer
und sozialer Verantwortung.
Für uns bedeutet das: faire Arbeitsbedingungen
über gesetzliche Mindestanforderungen
hinaus und ein
Geschäftsmodell, das unsere Wertvorstellungen
mit unserer Kernkompetenz,
den innovativen BI-Lösungen,
verbindet. So schaffen wir das Bewusstsein
für den Gleichklang von
Ökonomie, Ökologie und Sozialem.
So verändern wir die Gegenwart,
so gestalten wir die Zukunft.
globalcompact Deutschland 2016
93
Good Practice
Baustellen zum Anfassen
Die Wörter „Autobahn“ und „Baustelle“ in einem Satz werden oft mit „Stau“ und „Stillstand“
assoziiert. Das macht es für das Bauunternehmen, das die Straße ausbaut oder auch ein Gebäude
errichtet, eine Brücke saniert oder einen Tunnel bohrt, nicht leicht. Es berührt das Leben vieler
Menschen. Deshalb gehört es zu den Aufgaben der Verantwortlichen, die Bedürfnisse aller zu
berücksichtigen und früh zu informieren: Verkehrsplaner müssen genauso mit ins Boot geholt
werden wie Umweltschutzorganisationen, Pendler oder Anwohner. Sie alle haben ein Recht
darauf zu erfahren, wann Sperrungen entstehen, wie tief der Eingriff in die natürlichen Begebenheiten
ist oder ob sie mit größeren Beeinträchtigungen rechnen müssen.
Wenn Verkehrsteilnehmer und Anwohner
verstehen, welche Verbesserungen
nach der Fertigstellung auf sie zukommen,
wächst folglich die Akzeptanz der
Baumaßnahme. Dabei ist es wichtig,
dass Bauherren, Planer, Projektsteuerer
und Ingenieure an einem Strang ziehen.
Bei HOCHTIEF, dem internationalen
Baukonzern mit Sitz in Essen, gewinnt
die Abstimmung unter allen Beteiligten
immer mehr an Bedeutung. Denn das
gemeinsame Ziel ist es, dass Anwohner
und Pendler, Kunden, Politiker, Nachunternehmer,
spätere Nutzer und weitere
Interessierte stets frühzeitig informiert
werden. Nur so kann ein Projekt erfolgreich
realisiert werden. Folglich beschäftigen
sich immer mehr Ingenieure und
Projektleiter mit Kommunikationsfragen.
Dies geschieht in enger Abstimmung
mit der HOCHTIEF-Konzernkommunikation.
Schließlich hat der Auftritt nach
außen Auswirkung auf die Reputation
des Unternehmens.
Gerade bei großen Infrastrukturprojekten
ist das öffentliche Interesse stark
− wie beim Ausbau der Autobahn 7
nördlich von Hamburg. Auf 65 Kilometern
Strecke wird die A7 bis Ende 2018
verbreitert. Ein Projekt, das die Gemüter
bewegt: Etwa 155.000 Fahrzeuge pro
Tag − besetzt mit Anwohnern, Urlaubern,
Berufspendlern oder Lieferanten
Auch bei widrigen Wetterbedingungen
auf Sendung: Der Austausch mit Medien,
Anwohnern und Pendlern ist Alltag für die
Kommunikationsverantwortlichen beim
Ausbau der A7.
94 globalcompact Deutschland 2016
− nutzen den Abschnitt zwischen den
Autobahndreiecken Hamburg-Nordwest
und Bordesholm. Für die Nutzer und
Anwohner sind zeitnahe und umfassende
Informationen notwendig: Wann
ist welche Ausfahrt gesperrt? Müssen
Brücken abgerissen werden? Kommt
es zur Vollsperrung? Die Anforderungen
sind durch die Möglichkeiten, die
das Internet mit sozialen Netzwerken
bietet, höher als noch vor einigen Jahren.
Dadurch steigen auch die Chancen,
möglichst viele Menschen zu erreichen.
Eine stets aktuelle Website trägt zum
lückenlosen Informationsfluss wesentlich
bei.
Die A7 führt durch zwei Bundesländer.
Christian Merl, der Kommunikationsverantwortliche
der Konzessionsgesellschaft
Stakeholder-Einbindung
bei HOCHTIEF
Ein fester Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie
ist der kontinuierliche
Austausch mit den verschiedenen Interessengruppen,
auch Stakeholder
genannt. Neben der Kommunikation
im Alltag mit Kunden, Nachunternehmen,
Journalisten oder Analysten gibt es deshalb einen Termin im Jahr, an
dem Vertreter aller Gruppen zu einem konzentrierten CR-Stakeholder-Dialog
zusammenkommen. Ziel ist es dann, die Themenfelder der Nachhaltigkeit
bei HOCHTIEF zu diskutieren und zu bewerten: Stellt HOCHTIEF sicher, dass
Themen wie faire Arbeitsbedingungen, Korruption oder Umweltschutz zufriedenstellend
behandelt werden? Wie kann Arbeitssicherheit weiter verbessert
werden? Tut der Konzern genug, um nachhaltige Produkte zu realisieren?
Vorstandsmitglied Nikolaus Graf von Matuschka diskutiert mit und lobt die
stets vertrauensvolle, persönliche und offene Diskussion: „Die Ideen und Einschätzungen
der Stakeholder sind für die Weiterentwicklung von HOCHTIEF
von großer Bedeutung.“
„Via Solutions Nord“ mit HOCHTIEF als
Federführer, stimmt sich eng mit den
Verkehrsministerien ab. Wöchentliche
Berichte an die Zuständigen von
HOCHTIEF, an die Vertreter der Konzessionsgesellschaft
und die Bauherren
sind daher Pflicht. Der regelmäßige
Austausch trägt viel zum konstruktiven
und reibungslosen Projektverlauf
bei. Christian Merl steht in direktem
Kontakt zu Journalisten, Anwohnern
und Pendlern und findet auf jede Frage
eine Antwort: „Bei berechtigten Einwänden
kläre ich mit allen Beteiligten
ab, ob wir ohne großen Aufwand eine
Lösung finden können.“ Eine positive
Rückmeldung sei in jedem Fall gut für
das Projekt, das dann auch in der Öffentlichkeit
mit einem guten Stimmungsbild
wahrgenommen werde.
Bei einem anderen wichtigen Verkehrsprojekt,
an dem HOCHTIEF wesentlich
beteiligt ist, sind die Kommunikationsverantwortlichen
ebenfalls gefordert.
Beim Brückenprojekt „Queensferry
Crossing“ nördlich von Edinburgh in
Schottland wurde schon in der Startphase
ein „Contact & Education Center“
eingerichtet. Dort gibt es eine Brücke
„zum Anfassen“, Modelle, Broschüren
und Filme. Zehntausende Besucher
haben sich bereits über das populäre
Projekt informiert: Denn das Bauwerk
über den Firth of Forth, das 2017 eröffnet
werden soll, wird die längste dreitürmige
Schrägseilbrücke Europas sein. Schulklassen
aus der Umgebung besuchen
die Baustelle, und es gibt „Tage der offenen
Baustelle“. Organisatorisch sind
diese aufwendig: Die Sicherheit muss
gewahrt, der Baufortschritt darf nicht
beeinträchtigt werden.
Nicht zuletzt ist interne Kommunikation
essenziell, vor allem, wenn bei Großprojekten
wie hier zu Spitzenzeiten zirka
1200 Menschen auf der Baustelle arbeiten.
Ein interner Newsletter informiert
dann die Baubeteiligten über den allgemeinen
Baufortschritt, Sicherheitsfragen
und wichtige Details. „Dies ist auch für
die Motivation der Kollegen wesentlich“,
sagt David Watt, Kommunikationsverantwortlicher
für das Konsortium Forth
Crossing Bridge Constructors.
Baustellenbesichtigungen bieten einen
Blick hinter die Kulissen und sorgen
dafür, Interesse zu wecken und Achtung
vor der Meisterschaft der Ingenieure
zu schaffen; gegenseitiges Vertrauen
entsteht. Auch auf vielen Hochbau-
Baustellen gehören solche Informationskampagnen
dazu, Beispiele sind die
Elbphilharmonie in Hamburg und das
Berliner Schloss / Humboldtforum.
Diese Beispiele zeigen, wie vielfältig die
Kommunikation sein kann und sein
muss. HOCHTIEF legt viel Wert darauf,
dass der Austausch zwischen allen relevanten
Interessengruppen dynamisch
und wechselseitig ist. So wird der Blick
auf den Markt und relevante Einflussfaktoren
deutlich geschärft. Denn für
die Reputation, die Zukunftsfähigkeit
und den Erfolg eines Unternehmens
wie auch eines Projekts ist es wichtig,
die Wünsche und Anforderungen aller
Interessengruppen zu berücksichtigen.
Damit beeinflussen sie die Entscheidungsprozesse
und die Strategie des
Konzerns.
Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen,
sich ernst nehmen und achten.
Schließlich freuen sich alle über ein
erfolgreich abgeschlossenes Projekt.
globalcompact Deutschland 2016
95
Good Practice
Sprache ist der
Schlüssel
HVB-Mitarbeiterin Monika Blaes
hilft Ahmed als Mentorin, Deutsch
zu lernen. Sein Ziel ist es, die Sprache
bald so gut zu beherrschen, dass er
eine Ausbildung beginnen kann.
Jeder braucht eine Aufgabe und ein soziales Netz zur persönlichen Entfaltung. Eine Ausbildung
bietet beides. Doch für viele Jugendliche – und besonders auch für junge Flüchtlinge – ist es oft
nicht einfach, den Weg in die Arbeitswelt zu finden. In Kooperation mit der gemeinnützigen Initiative
JOBLINGE begleiten HVB-Mitarbeiter deshalb Jugendliche ohne Ausbildung und Flüchtlinge
auf dem Weg ins Berufsleben. Ein Engagement, von dem beide Seiten profitieren.
Von Irina Detlefsen, Corporate Sustainability, HypoVereinsbank
Jeden Dienstag treffen sich Monika Blaes
und der 21-jährige Ahmed im Münchner
Westend. Ein schlichtes Büro wird
dann zum Mini-Klassenzimmer. Denn
jede Woche hilft die HVB-Mitarbeiterin
ihrem Schützling u. a. dabei, die deutsche
Sprache zu lernen. Ahmed kam
vor sieben Monaten aus Eritrea und hat
inzwischen ein Bleiberecht. Seit April
2016 nimmt er am neu geschaffenen
Flüchtlingsprogramm von JOBLINGE teil.
Bewährte Partnerschaft
Mit über 100 Mentoren ist die Hypo-
Vereinsbank der größte Kooperationspartner
der gemeinnützigen Initiative
JOBLINGE, die Jugendliche mit Startschwierigkeiten
auf dem Weg in die
Arbeitswelt begleitet. Seit vielen Jahren
arbeitet die HypoVereinsbank im Rahmen
ihres gesellschaftlichen Engagements
mit JOBLINGE zusammen. Rund
160 Jugendliche ohne Ausbildung haben
die HVB-Mentoren seither bei ihrem Start
in die Berufswelt unterstützt. Im Zuge
der HVB-Flüchtlingsinitiative weitete die
Bank die Zusammenarbeit nun aus. Denn
auch JOBLINGE entwickelte sich weiter
und schuf ein Programm, das speziell
auf Flüchtlinge zugeschnitten ist. Seit
Anfang 2016 haben HVB-Mitarbeiter
nun die Möglichkeit, hier auch für junge
Flüchtlinge aktiv zu werden.
Die Kooperation mit JOBLINGE ist eine
von vielen Maßnahmen im Rahmen
der HVB-Flüchtlingsinitiative, die die
HypoVereinsbank mit Spenden und
gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, die
sich ehrenamtlich engagieren, unterstützt
(siehe Kasten). Für Stefan Löbbert,
Leiter Corporate Sustainability,
entspringt die Hilfe für Flüchtlinge aus
dem Selbstverständnis der Bank: „Als
Teil der Gesellschaft helfen wir, wo
wir können. Mit gezielten Maßnahmen
wollen wir zur nachhaltigen Integration
96 globalcompact Deutschland 2016
der Flüchtlinge beitragen. Sprache und
Ausbildung sind dabei zwei sehr bedeutsame
Säulen.“
Sprache als Schlüssel
Da Sprache und Ausbildung auch die
Kernthemen im JOBLINGE-Flüchtlingsprogramm
sind, ergänzt es das Engagement
der HypoVereinsbank für Flüchtlinge
in besonderem Maße. Das Flüchtlingsprogramm
von JOBLINGE baut auf den
Erfolgsfaktoren des erprobten Mentoringprogramms
auf: individuelle Betreuung,
Praxisnähe und Bezug zum Alltag der Jugendlichen.
Mangelnde Sprachkenntnisse
sind die größte Hürde für den Einstieg in
bringt sich die HypoVereinsbank mit
ihren Mitarbeitern ein: Seit Mitte August
2016 bieten 15 HVB-Mitarbeiter gemeinsam
neben der Arbeit einen zehnwöchigen
Intensivsprachkurs an. Das Ziel: Die
Chancen der Teilnehmer − zehn junge
Männer aus Syrien, Eritrea und dem Iran
− auf dem Arbeitsmarkt weiter erhöhen.
Neben einfachen Sätzen und Grammatik
üben sie mit den Flüchtlingen gezielt
Fachvokabeln aus der Verwaltungs- und
Bankenbranche und informieren sie über
das deutsche Bildungssystem und den
Arbeitsmarkt. Um die Mitarbeiter auf ihre
Aufgabe als Sprachlehrer vorzubereiten,
arbeitet die Bank auch hier Hand in
Hand mit JOBLINGE. Eine weitere Veranstaltung
ist derzeit in Vorbereitung: In
einem Workshop sollen Auszubildende
der Bank jungen Flüchtlingen vorstellen,
worauf es bei Bewerbungen ankommt.
der Gesellschaft Fuß fasst, ist eine große
Aufgabe. Doch wenn das geschafft ist,
profitieren beide Seiten. „Man lernt viel
über andere Menschen und Kulturen,
aber auch über sich selbst und die eigene
Welt“, sagt Blaes.
Mut wird belohnt
den Arbeitsmarkt, deshalb liegt gerade
am Anfang der Fokus auf der Sprachausbildung
der jungen Flüchtlinge.
Nach einem anfänglichen Basissprachkurs
nehmen die wöchentlichen Treffen
mit den Mentoren wie Monika Blaes
und vielen anderen HVB-Mitarbeitern
einen besonderen Stellenwert ein. Hier
können die Jugendlichen Fragen stellen,
die sich aus ihrem Leben in Deutschland
ergeben, und Verständnisschwierigkeiten
besprechen. Die Herausforderung: „Als
Mentorin muss man fordern und zugleich
Vertrauen auf bauen, man muss
sich auf die Jugendlichen einstellen und
ihnen etwas Heimat bieten“, so Monika
Blaes. Schulungen bereiten die Freiwilligen
auf diese Aufgabe vor.
Breites Engagement
Interkulturelle Trainings, Unterstützung
bei Behördengängen und branchenspezifische
Sprachkurse in verschiedenen
Unternehmen ergänzen das JOBLINGE-
Programm für die Flüchtlinge. Auch hier
Bei all ihren Engagements legt die Hypo-
Vereinsbank großen Wert darauf, ihren
Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten,
sich zu engagieren. Sie unterstützt sie
mit Sonderurlaub, zusätzlichen Spenden
und steht jederzeit mit Rat und Tat zur
Seite. Denn als Mentor oder Sprachlehrer
aktiv zu werden braucht oft auch
etwas Mut. Die Verantwortung dafür
zu tragen, dass ein junger Mensch in
Verständigung für Integration –
die HVB-Flüchtlingsinitiative
Eine Aufgabe, ein Ziel und ein soziales Netz
zu haben, ist für jeden Menschen wichtig.
Eine Ausbildung oder ein Studium bieten
den jungen Flüchtlingen dafür die beste
Voraussetzung.
Die HypoVereinsbank hilft Flüchtlingen, in Deutschland Fuß zu fassen: mit
dem „Konto für jedermann“, indem sie Kunden bei der Finanzierung von Flüchtlingsunterkünften
unterstützt und indem sie unter dem Motto „Verständigung
für Integration“ Sprache, Ausbildung und persönliche Begleitung fördert. Die
Bank ermöglicht Sprachkurse, unterstützt die Initiative JOBLINGE, bietet Freizeitprogramme
und gibt ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich zu engagieren.
Über 200 HVB-Mitarbeiter bringen sich inzwischen ehrenamtlich dafür ein und
erhalten für ihren Einsatz bis zu zwei Tage Sonderurlaub.
Die HVB-Flüchtlingsinitiative ist Teil des gesellschaftlichen Engagements der
HypoVereinsbank. Mit ihren langjährigen Aktivitäten in diesem Bereich verfolgt
sie das Ziel, alle Menschen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben
teilhaben zu lassen. Dafür sowie für ihre gesamten Leistungen im Bereich
Nachhaltigkeit wurde die Bank bereits mehrfach ausgezeichnet.
globalcompact Deutschland 2016
97
Good Practice
K+S ist Teil der Lösung
Eine ausgewogene Düngung ermöglicht erhebliche Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft.
Im Zusammenspiel mit der Reduzierung von Nach-Ernte-Verlusten und einer verbesserten Infrastruktur
bietet dies die Chance auf ausreichende Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung.
Die K+S Gruppe ist mit ihren Produkten zur Pflanzenernährung auf Basis von Kali und Magnesium
Teil der Lösung.
Von Britta Sadoun,
Sustainability Management, K+S
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen
(FAO) sagt einen Verlust der pro Kopf
zur Verfügung stehenden Ackerfläche
bis 2050 um fast ein Drittel voraus. Das
Problem knapper Ressourcen wird unter
anderem durch den Klimawandel
und die zunehmende Konkurrenz um
landwirtschaftlich nutzbare Flächen verschärft.
Weltweit sind Landwirte daher
gefordert, den zur Verfügung stehenden
Boden optimal zu nutzen, um genügend
Lebensmittel für eine stetig wachsende
Weltbevölkerung produzieren zu
können.
K+S respektiert die international anerkannten
Menschenrechte und unterstützt
deren Einhaltung. Dazu gehört das Recht
auf ausreichende Ernährung, welches
in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
verankert und in Artikel 11
des Sozialpakts festgeschrieben ist. Noch
immer hungern fast 800 Millionen Menschen.
Zwar ist die Zahl der Hungernden
weltweit zurückgegangen, doch das Recht
auf angemessene Nahrung ist erst dann
verwirklicht, wenn jedem Menschen zu
jeder Zeit Zugang zu Ressourcen gewährt
wird, um Nahrung zu produzieren, zu
verdienen oder zu erwerben.
Neue Chancen für Kooperationen
und Austausch
Wie bei allen großen komplexen Fragen
− viele davon zusammengefasst in den 17
Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs)
− kann nur eine gemeinsame Bearbeitung
der Themen zu Erfolgen führen.
Die handelnden Akteure im Bereich
Ernährung müssen und werden viele
sein: Regierungen und Nichtregierungsorganisationen,
Wissenschaftler und
Unternehmen und natürlich Landwirte.
Denn ob die Welt im Kampf gegen den
Hunger erfolgreich sein wird, hängt im
Wesentlichen davon ab, wie auf dem
Land gewirtschaftet wird. K+S fördert
den Austausch von Ideen und Strategien
zur Bekämpfung des Hungers und zur
langfristigen Sicherung der Welternährung
und lud deshalb im Oktober 2016
zum zweiten Future Food Forum nach
98 globalcompact Deutschland 2016
Berlin ein. Dieses Zukunftsforum zur
Welternährung bietet eine Plattform für
einen aktiven Dialog zentraler nationaler
wie internationaler Stakeholder aus
Politik, Wissenschaft und NGOs (siehe
Textbox rechts).
Projekt „Growth for Uganda“
Zugleich geht K+S neue Wege vor Ort.
Das 2013 ins Leben gerufene Projekt
„Growth for Uganda“ der K+S KALI GmbH
in Kooperation mit der Sasakawa Africa
Association hat bisher mehr als 92.500
Bauern geschult, um bessere Techniken in
der Landwirtschaft anwenden zu können
sowie Nachernteverluste zu reduzieren.
So konnte das Leben von fast 650.000
Familienmitgliedern verbessert werden.
Die Versorgung mit selbst angebauter
Nahrung wurde zuverlässiger, die Erträge
sind erheblich gestiegen und durch
deren Vermarktung andere Leistungen
erschwinglich geworden.
Rohstoffe schaffen Werte
In der zweiten Projektphase geht es −
neben der Basisarbeit − nun stärker um
den geschäftlichen Aspekt „Farming as
a Business“. In einem Umfeld, in dem
kleinbäuerliche Strukturen dominieren,
soll eine Infrastruktur für den Düngemittelabsatz
ausgebaut werden. Dazu zählt
das Angebot von Düngemitteln in Kleingrößen,
wie sie vor Ort besonders gefragt
sind, sowie die Schulung von Händlern.
Das Projekt leistet zudem Hilfestellung
für die fachgerechte und damit weniger
verlustreiche Lagerung der Ernte sowie
die Verarbeitung der Rohstoffe zu hochwertigeren
Produkten mit höheren Margen.
K+S leistet damit einen Beitrag zur
Erreichung des SDG 2, macht gleichzeitig
Erfahrungen in einem sich entwickelnden
Markt und gewinnt somit Erkenntnisse
über neue Vertriebs- und Beratungswege.
Das Engagement verbessert also vor Ort
die Lebenssituation vieler Menschen und
eröffnet dem Unternehmen gleichzeitig
neue Möglichkeiten.
Future Food Forum
Alle zwei Jahre veranstaltet K+S im
Vorfeld des Welternährungstages im
Oktober das Future Food Forum in
Berlin. Es bietet eine internationale
Plattform für den Austausch von Ideen
zur Bekämpfung des Hungers und
bringt Akteure aus Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft zusammen. Dabei
konzentriert sich die Aufmerksamkeit
schwerpunktmäßig auf die Frage, wie
die Land- und Ernährungswirtschaft
vor Ort Produktionsmethoden und
Distributionskanäle verbessern kann.
Auch die Rolle der internationalen
Zusammenarbeit wird thematisiert.
K+S fördert und veredelt seit über 125 Jahren mineralische Rohstoffe. Die Wertschöpfungskette
erstreckt sich über sechs Schritte: Exploration, Förderung, Produktion,
Logistik, Vertrieb / Marketing und Anwendung. Ein Großteil der hergestellten
Produkte kommt in der Agrarwirtschaft zum Einsatz. Im Kerngeschäft trägt K+S
somit insbesondere zum Ziel 2 „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und
eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“
bei. Berührungspunkte bestehen mit zahlreichen anderen Zielen. Deshalb gleicht
K+S im Rahmen des Nachhaltigkeitsmanagements seine Unternehmensaktivitäten
mit allen 17 SDGs, deren 169 Zielvorgaben und Indikatoren systematisch ab. So
können auch weniger offensichtliche Bezüge zu den SDGs und deren Zielvorgaben
herausgefiltert werden.
Das K+S-Düngemittelportfolio
Das universell einsetzbare mineralische Düngemittel Kaliumchlorid wird insbesondere
bei wichtigen Anbaukulturen wie Getreide, Mais, Reis und Sojabohnen angewandt.
Kaliumchlorid wird direkt auf den Äckern ausgebracht, mit anderen Einzeldüngern
in Mischdüngeranlagen zu sogenannten „Bulk Blends“ gemischt oder mit anderen
Nährstoffen weiterverarbeitet.
Die Düngemittelspezialitäten der K+S KALI GmbH unterscheiden sich vom klassischen
Kaliumchlorid entweder durch Chloridfreiheit oder unterschiedliche Nährstoffrezepturen
mit Magnesium, Schwefel, Natrium und Spurenelementen. Diese Produkte werden
für Kulturen eingesetzt, die einen erhöhten Magnesium- und Schwefelbedarf haben,
wie z. B. Raps oder Sonnenblumen, sowie bei chloridempfindlichen Sonderkulturen
wie Kartoffeln, Zitrusfrüchte, Wein oder Gemüse.
Zu den prominenten Rednern des Future
Food Forums am 13. Oktober 2016
zählten Friedensnobelpreisträger Prof.
Muhammad Yunus, Prof. Dr. Klaus
Töpfer, langjähriger Bundesminister
und früherer Leiter des Umweltprogramms
der Vereinten Nationen, sowie
Charles Ogang von der World Farmers
Organisation. Yunus, auch Gründer der
Grameen Bank, die für die Erfindung
sogenannter „Social-Business-“ und
Mikrokredite steht, plädierte auf dem
Future Food Forum 2016 für mehr Unternehmertum
zur Abwendung einer
möglichen neuen Ernährungskrise. Am
Beispiel der Geschichte seines Unternehmens
berichtete er, wie es vor einigen
Jahrzehnten nach einer Hungersnot
in Bangladesch gelang, Millionen
Menschen aus der Armut zu befreien.
globalcompact Deutschland 2016
99
Good Practice
MAN fährt beim Thema
Digitalisierung vorweg
Die Digitalisierung erfasst zunehmend unseren Alltag und die Arbeitswelt. Das betrifft auch die
Transportbranche. Der Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN will den digitalen Wandel aktiv
mitgestalten und setzt dabei auf neue Produkte und Geschäftsmodelle, die das Transportgeschäft
effizienter und nachhaltiger gestalten sollen. Ein Beispiel ist das „Platooning“. Darunter versteht
man das vernetzte Fahren im Konvoi, das sich bereits in der Praxis bewährt hat.
Von Peter Attin,
Head of Corporate Responsibility, MAN
Ob Lebensmittel oder Baumaterialien:
Der größte Teil des Güterverkehrs in
Deutschland rollt noch immer über
Straßen − Tendenz steigend. So wird
das Transportaufkommen innerhalb
des deutschen Verkehrsnetzes laut einer
aktuellen Prognose des Bundesamtes für
Güterverkehr insgesamt von 4.256,4 Millionen
Tonnen im Jahr 2015 auf 4.308,6
Millionen Tonnen im Jahr 2018 steigen.
Das wäre eine Zunahme von etwa einem
halben Prozent Jahr für Jahr. Für die
Transportleistung wird für denselben
Zeitraum sogar eine Steigerung von gut
4,5 Prozent von 665,5 Milliarden Tonnenkilometer
auf dann 696,6 Milliarden
Tonnenkilometer erwartet.
Wie kann man dieses Aufkommen effizienter
und damit letztendlich auch
nachhaltiger organisieren? Intelligentes
Datenmanagement ist hierfür ein
Schlüssel: Schon heute können viele Informationen
über den Einsatz eines Lastkraftwagens
digital erfasst werden. So
können nicht nur die Lenk- und Ruhezeiten
sowie die technischen Betriebsdaten
des Fahrzeugs, sondern auch der Zustand
der Ladung überwacht und Routendaten
nachverfolgt werden. Werkstattaufenthalte
können damit früher geplant,
die Personaldisposition erleichtert und
die Kraftstoffverbrauchsdaten exakter kalkuliert
werden. Dennoch ist das Potenzial,
das die Digitalisierung der Transportbranche
etwa unter Umweltschutzaspekten
bietet, noch nicht voll ausgeschöpft.
Um die Digitalisierung der Nutzfahrzeug-
und Logistikwelt voranzutreiben,
investierte MAN im Jahr 2015 insgesamt
rund 43 Millionen Euro und gründete
einen eigenen Geschäftsbereich hierfür.
Die „Telematics and Digital Solutions“ in
der Parkstadt in München-Schwabing
bündelt die IT-Spezialisten von MAN, die
hier an neuen smarten Produkten und
Services arbeiten. Zu ihren Aufgaben
gehört auch, künftig stärker als bisher
über den herkömmlichen Tellerrand der
Nutzfahrzeugsparte hinauszuschauen.
100 globalcompact Deutschland 2016
Ein Beispiel dafür ist das offene, cloudbasierte
Betriebssystem „Rio“, das auf
der IAA 2016 seine Weltpremiere feierte
und die gesamte Transportbranche − vom
Versender über Speditionen bis hin zu
Transportunternehmen und Fahrer −
miteinander vernetzen soll. Als Datenlieferanten
dienen unter anderem die
in den LKW verbauten Telematiksysteme.
Das System soll unabhängig von
der Marke arbeiten und damit auch die
Daten anderen LKW-Hersteller ohne Probleme
einbeziehen. Der Austausch von
Informationen über globale Lieferketten
hinweg ist nämlich für alle Beteiligten
von Vorteil und eröffnet jedem Chancen
auf neue Geschäftsmodelle.
diese dem anderen Verkehrsteilnehmer
Platz und lösen den Verbund auf.
Verlässt das Fahrzeug die Lücke wieder,
fügt sich die Kolonne wieder zusammen.
Der computergesteuerte LKW reagiert
dabei schneller auf Hindernisse und
andere Verkehrsteilnehmer als jeder
Mensch. Die Technik könnte also nicht
nur dabei helfen, die Umwelt und den
Kraftfahrer zu entlasten, sondern auch
dazu beitragen, den Verkehr sicherer
MAN-Entwickler arbeiten bereits seit Längerem
an solchen Technologien zum automatisierten
und vernetzten Fahren. Mit
der Teilnahme an der „European Truck
Platooning Challenge“ Anfang 2016 demonstrierte
MAN, dass die entsprechenden
Systeme jetzt einsatztauglich sind.
Die technische Serienreife wird voraussichtlich
2021 / 22 erreicht. Die Testfahrt
nach Rotterdam war der Anfang. Die
Kooperation mit den Logistikern von DB
Schenker schlägt das nächste Kapitel in
Sachen Mobilität der Zukunft auf: Ziel
der Entwicklungspartnerschaft ist es,
die Logistikabläufe noch transparenter,
schneller und umweltfreundlicher zu
gestalten. Im Rahmen dessen werden
erstmals ein Fahrzeughersteller und
ein Logistikkonzern gemeinsam an der
Ein Beispiel ist das „Platooning“ − vor
allem dann, wenn es flottenübergreifend
stattfindet: Beim Platooning fahren
mindestens zwei LKW in einem Abstand
von etwa zehn bis fünfzehn Meter beziehungsweise
einer halben Sekunde
Fahrzeit im Konvoi hintereinander. Dadurch,
dass die nachfolgenden LKW im
Windschatten fahren, verbrauchen sie
bis zu zehn Prozent weniger Treibstoff.
Die CO 2
-Emissionen verringern sich im
gleichen Maße.
Damit es beim dichten Auffahren nicht
zu Unfällen kommt, sind die LKW über
die sogenannte Car-to-Car-Kommunikation
miteinander vernetzt und mit
Fahrassistenz- und Steuerungssystemen
ausgestattet. Diese wiederum werden von
Radaren, Laserscannern und Kameras
mit den notwendigen Umgebungsinformationen
versorgt.
Der erste Truck in der Kolonne gibt das
Tempo und die Fahrtrichtung vor, alle
anderen folgen. Schert ein anderes Fahrzeug
zwischen den LKW ein, machen
zu machen. Denn etwa 86 Prozent der
Verkehrsunfälle in Deutschland sind
heute auf menschliches Fehlverhalten
zurückzuführen.
„Platooning ist ein echter Gewinn für
die Verkehrssicherheit. Menschliches
Versagen gehört leider zu den häufigsten
Ursachen für Auffahrunfälle. Die elektronische
Kopplung von LKW gibt uns hier
einen vielversprechenden Lösungsansatz.
Windschattenfahren senkt maßgeblich
den Kraftstoffverbrauch. Gleichzeitig
können wir mit Platooning die Verkehrsinfrastruktur
deutlich effizienter nutzen“,
fasst Joachim Drees, Vorsitzender des
Vorstands von MAN SE und MAN Truck
& Bus, die Vorteile zusammen.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt
schickte gemeinsam mit dem CEO von
Volkswagen Truck & Bus, Andreas Renschler,
und dem CEO von MAN Truck & Bus, Joachim
Drees, den MAN-Platoon auf die Reise nach
Rotterdam zum European Truck Platooning
Challenge 2016.
Entwicklung vernetzter LKW-Kolonnen
arbeiten. Eine Erprobung im Echtbetrieb
auf der A9 zwischen München
und Nürnberg ist für 2018 vorgesehen.
In einem zweiten Schritt plant man den
Einsatz autonom fahrender LKW auf dem
Nürnberger DB Schenker-Werksgelände.
Noch fehlen allerdings auf öffentlichen
Straßen die gesetzlichen Voraussetzungen
für die Platooning-Technik. So ist in
Deutschland derzeit etwa ein Mindestabstand
von 50 Metern zwischen zwei LKW
vorgeschrieben. Sobald die rechtlichen
Rahmenbedingungen geschaffen sind,
wird MAN ein entsprechendes System
am Markt anbieten.
globalcompact Deutschland 2016
101
Good Practice
Glimmer-Lieferkette:
Kein Platz für Kinderarbeit
Ob Lippenstift, Lidschatten oder Autolack: Für den schönen Schimmer sorgt oft das Mineral
Glimmer. Der begehrte Rohstoff wird unter anderem im Norden Indiens in den Bundesstaaten
Jharkhand und Bihar abgebaut. Die Region ist geprägt von politischer Instabilität und Armut.
Kinderarbeit ist weit verbreitet. Auch Merck nutzt Glimmer als Hauptrohstoff für seine Effektpigmente.
Das Wissenschafts- und Technologieunternehmen lehnt Kinderarbeit strikt ab und
setzt sich für sichere Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter ein. Außerdem unterstützt Merck
Bildungs- und Gesundheitsprojekte, die das Leben der Familien in den Abbaugebieten verbessern.
Von Gregor Hilkert, Head of Business Support,
Pigments & Functional Materials, Merck
Glimmer ist nach seiner Fähigkeit benannt,
Licht zu brechen und zu reflektieren.
Der Rohstoff kommt an vielen Orten
vor. Merck bezieht ihn vor allem aus
Indien, aber auch aus den Vereinigten
Staaten und Brasilien. Das Unternehmen
benötigt den natürlichen Glimmer − neben
synthetischen Substraten − für die
Herstellung seiner hochwertigen Effektpigmente.
Sie kommen unter anderem in
Automobil- und Industrielacken und in
der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie
zum Einsatz.
Null Toleranz gegenüber
Kinderarbeit
Merck bekämpft seit 2008 Kinderarbeit
im indischen Glimmerabbau. Anlass war
eine unternehmensinterne Untersuchung.
Sie hatte ergeben, dass die Bewohner der
Region Jharkhand Glimmer in stillgelegten
Minen oder vom Boden sammeln
− vereinzelt auch gemeinsam mit ihren
Kindern. Ein klarer Verstoß gegen die
Unternehmenswerte und die Prinzipien
der Menschenrechts-Charta von Merck:
„Die Einhaltung grundlegender Arbeitsstandards
bei unseren Lieferanten hat für
uns höchste Priorität. Wir haben daher
sofort, nachdem wir von den Vorfällen
erfahren hatten, Maßnahmen ergriffen,
um Kinderarbeit vollständig zu unterbinden“,
erklärt Michael Heckmeier,
Leiter der Geschäftseinheit Pigments
& Functional Materials bei Merck. Das
Unternehmen hat seine Lieferkette
komplett umgestellt und setzt sich dafür
ein, die Arbeitsbedingungen der
Minenarbeiter in Indien zu verbessern.
„Wir unterhalten inzwischen direkte
Geschäftsbeziehungen mit Glimmer-
Minen und den Glimmer-verarbeitenden
Betrieben. In diesem, im Gegensatz zur
Sammlung formalen Arbeitsumfeld haben
wir deutlich mehr Einfluss“, sagt
Heckmeier. Darüber hinaus hat Merck
Kontrollmechanismen eingeführt und
so einen umfassenden Überblick über
die gesamte Lieferkette.
102 globalcompact Deutschland 2016
Hohe Lieferketten-Standards
Mit verschiedenen Maßnahmen sichert Merck die Umsetzung sozialer Standards:
• Merck bezieht Glimmer ausschließlich aus kontrollierten Minen: Nur die formelle
Arbeitsumgebung gewährleistet die Einhaltung globaler Standards.
Wird Glimmer in öffentlich zugänglichen Bereichen gesammelt, kann Kinderarbeit
nicht ausgeschlossen werden.
• Mithilfe eines Nachverfolgungssystems stellt das Unternehmen sicher, dass
der gelieferte Glimmer ausschließlich aus Minen stammt und nicht aus unkontrollierten
Quellen: Die Minenbesitzer halten die tägliche Fördermenge einer
Mine in einem Logbuch fest. Diese dokumentierten Glimmermengen sind die
Basis für die Lizenzgebühren, die die Minenbesitzer an die Regierung zahlen
müssen. Wenn Glimmer aus unkontrollierten Quellen mit verwendet würde,
müssten die Minenbesitzer auch für diese Glimmermengen Lizenzgebühren
zahlen. Dies ist wirtschaftlich nicht sinnvoll, denn der Glimmer wäre für den
Minenbesitzer teurer als der in seiner Mine geförderte. Merck überprüft monatlich
die im Logbuch gemeldeten und die an weiterverarbeitende Betriebe
gelieferten Glimmermengen.
• Mit Audits kontrolliert das Unternehmen das regelkonforme Verhalten der
Partner. Hierzu zählen beispielsweise das Alter der Arbeiter, die Arbeitszeiten
und die gezahlten Löhne, aber auch die durchgeführten Gesundheitschecks
und Sicherheitsübungen. Zusätzlich kontrollieren Merck-Mitarbeiter vor Ort
die Zulieferer in regelmäßigen Abständen. Darüber hinaus führen das Environmental
Resource Management (ERM) und IGEP als unabhängige Drittparteien
eigene Audits durch. Während IGEP einmal im Monat die Einhaltung der Arbeitsstandards
kontrolliert, überprüft ERM jährlich die Arbeitsbedingungen und die
Einhaltung von Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsstandards.
Sozioökonomischer Hintergrund
Merck hat sich bewusst dazu entschieden,
seine Geschäftsbeziehungen im
nördlichen Indien aufrechtzuerhalten.
Das Unternehmen übernimmt Verantwortung
für die Region: Arbeitsplätze
sollen erhalten bleiben.
Wie wichtig dieser Ansatz ist, zeigen die
sozialen Umstände in Jharkhand und Bihar.
Sie bilden einen idealen Nährboden
für Kinderarbeit: Beide Bundesstaaten
zählen zu den ärmsten Regionen Indiens.
Die Alphabetisierungsquote und die Anzahl
der Kinder, die eine Schule besuchen,
liegen laut einer Studie von Terre des
Hommes und SOMO (Stichting Onderzoek
Multinationale Ondernemingen /
Centre for Research on Multinational
Corporations) aus dem Jahr 2016 weit
unter dem Landesdurchschnitt.
Investitionen in Bildung und
Gesundheitsversorgung
Um die Lebenssituation der Familien zu
verbessern, hat Merck nicht nur seine
Glimmer-Lieferkette umgestellt, sondern
gemeinsam mit seinem lokalen
Partner IGEP soziale Projekte für die
Bevölkerung der Region initiiert. Das
gemeinsame Ziel ist, den Zugang zur
Gesundheitsversorgung zu verbessern
und den Kindern eine schulische und
berufliche Perspekte zu bieten:
• Merck betreibt in den Dörfern Tisri,
Barkitand und Saphi Schulen mit angeschlossenen
Kindergärten, die von
über 500 Schülern besucht werden.
Auf dem Stundenplan stehen auch Aufklärung
über Hygiene und Gesundheit.
In Tisri können sich die Jugendlichen
außerdem zu Tischlern oder Schneidern
ausbilden lassen. Merck unterstützt
darüber hinaus eine vierte Schule in
Koderma mit Stipendien für 150 Schüler.
• In Saphi hat Merck ein Gesundheitszentrum
eingerichtet. Dort arbeiten zwei
Ärzte und eine Krankenschwester, die
auch die medizinische Versorgung der
Schulen übernehmen. Sie besuchen
außerdem die Schulen und Dörfer in
der Umgebung.
Für sein Engagement erhält Merck vonseiten
der Zivilgesellschaft viel Anerkennung.
Laut der SOMO-Studie führt das
Unternehmen im Vergleich zu anderen
Glimmer-Importeuren bei Weitem die
besten Maßnahmen durch, um Kinderarbeit
in der Lieferkette auszuschließen und
die Lebensbedingungen der Menschen zu
verbessern. Merck engagiert sich darüber
hinaus an Multistakeholder-Dialogen
und -Initiativen für eine Verbesserung
der Lebens- und Arbeitsbedingungen in
der Glimmer-Region.
globalcompact Deutschland 2016
103
Good Practice
Mit nachhaltigem Personalmanagement
auf Erfolgskurs
Nachwuchssicherung, die Förderung von Fach- und Führungskräften sowie Vielfalt und Chancengleichheit
werden angesichts von demografischem Wandel, Fachkräftemangel und einer zunehmenden
Internationalisierung immer wichtiger. Das weiß man auch beim Hausgerätehersteller
Miele. Der respektvolle Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist hier seit Generationen
fester Bestandteil der Unternehmenskultur und auch der Nachhaltigkeitsstrategie. Folgerichtig
ist Miele langjähriges Mitglied des UN Global Compact und seit 2004 nach dem international
anerkannten Sozialstandard SA8000 zertifiziert.
Mit der „Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung“ hat sich die Weltgemeinschaft
viel vorgenommen − besonders
mit Blick auf die Arbeitswelt. So lautet
etwa Ziel 8 der Sustainable Development
Goals, ein dauerhaftes und breitenwirksames
Wirtschaftswachstum zu fördern
und dabei zugleich produktive Vollbeschäftigung
und menschenwürdige
Arbeit für alle sicherzustellen.
Wie das in der Praxis aussehen kann,
zeigt das Beispiel Miele: Das Gütersloher
Familienunternehmen legt traditionell
großen Wert auf einen respektvollen Umgang
mit seinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern. Deshalb haben hohe soziale
und ethische Standards wie die Einhaltung
grundlegender Menschenrechte,
eine faire Vergütung, Weiterbildungsangebote,
betriebliche Mitbestimmung
sowie Maßnahmen zu Sicherheit und
Gesundheitsvorsorge höchste Priorität.
Sie bilden die Grundlage des strategischen
Personalmanagements.
Das gilt weltweit: Die freiwillige Zertifizierung
nach dem „Social Accountability
8000“-Standard (SA8000) bescheinigt,
dass Miele diese hohen Ansprüche gegenüber
seinen weltweit über 18.000
Mitarbeitern einhält. Inzwischen erfüllen
alle Werkstandorte die SA8000-Anforderungen
oder bereiten die entsprechende
Zertifizierung vor.
Der SA8000-Standard
Der SA8000-Standard wurde 1997 von
der gemeinnützigen Organisation Social
Accountability International (SAI)
mit dem Ziel ins Leben gerufen, die
Arbeiter von Firmen, NGOs oder staatlichen
Einrichtungen zu stärken und zu
schützen. Das schließt laut Leitfaden alle
Arbeiter ein, die von der Organisation
selbst, deren Sub-Unternehmern und
Unterlieferanten beschäftigt werden
sowie die Heimarbeiter. SA8000 beruht
auf der UN-Menschenrechtserklärung
und berücksichtigt Übereinkommen der
International Labour Organization (ILO),
internationale Menschenrechte und Anforderungen
aus nationalem Arbeitsrecht.
Bei Miele werden die Kriterien und ihre
Einhaltung im Rahmen von externen und
internen Audits geprüft. Die Steuerung
des Auditierungs- und Zertifizierungsverfahrens
liegt in der Verantwortung
des Zentralen Qualitätsmanagements
am Stammsitz in Gütersloh. Für die Umsetzung
und Einhaltung der Vorgaben
an den Miele-Standorten sind wiederum
die Werk- und Abteilungsleiter zuständig.
Die interne Auditierung wird von
erfahrenen, entsprechend qualifizierten
Miele-Auditoren im Rahmen einer
Selbstüberwachung durchgeführt. So
sollen Abweichungen frühzeitig identifiziert
und Gegenmaßnahmen eingeleitet
werden. Die externe Prüfung findet halbjährig
statt. Eine Rezertifizierung aller
Werke erfolgt alle drei Jahre, zuletzt 2014.
104 globalcompact Deutschland 2016
Gemäß den Anforderungen von SA8000
werden diese Grundsätze allen Mitarbeitern
bei Eintritt in das Unternehmen
kommuniziert. Sie gelten für jeden einzelnen
Arbeitnehmer und als Maßstab
für das tägliche Handeln. Dazu zählt
ausdrücklich das Verbot von Zwangs-,
Pflicht- oder Kinderarbeit. Damit befindet
sich Miele im Einklang mit den
Zielvorgaben der nachhaltigen Entwicklungsagenda,
die ebenfalls auf die
Abschaffung von Kinder- und Zwangsarbeit
zielt.
Mitbestimmung und Vorschlagswesen
Neben seiner Verpflichtung, Risiken für
den Gesundheitsschutz und die Sicherheit
am Arbeitsplatz zu vermeiden und
falls nötig zu beseitigen, hat für Miele
auch die betriebliche Mitbestimmung
einen hohen Stellenwert. Im Rahmen
des Programms „Welcome@Miele“ informiert
das Unternehmen neue Mitarbeiter
unmittelbar bei Arbeitsbeginn über ihre
Rechte zur Mitbestimmung.
Wesentliches Merkmal der Miele-Unternehmenskultur
ist außerdem die Einbindung
der Meinungen und Ideen der
Mitarbeiter im Rahmen des betrieblichen
Vorschlagswesens. Im Geschäftsjahr
2015/16 wurden allein in den deutschen
Werken über 2.000 Vorschläge zu Einsparungen
und Verbesserungen von Produkten
und Arbeitsabläufen eingereicht.
Zudem hat Miele an jedem Standort in
Deutschland eine Beschwerdestelle gemäß
dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
(AGG) eingerichtet.
Anti-Diskriminierung und
leistungsgerechte Vergütung
Miele hat sich zum Ziel gesetzt, überall
im Unternehmen ein Bewusstsein für das
Potenzial der Vielfalt zu schaffen und jegliche
Form der Diskriminierung − etwa
aufgrund von Rasse, Staatsangehörigkeit,
Religion, Behinderung, Geschlecht, sexueller
Orientierung, politischer Ansichten,
Alter oder Ähnlichem − zu unterbinden.
Deshalb unterstützt das Unternehmen
die Charta der Vielfalt und trägt seinen
Teil durch die Etablierung eines integrierten
Diversity Managements bei.
Zum Selbstverständnis von Miele als
sozial verantwortlichem Arbeitgeber
zählt auch ein angemessener Lohn für
alle Mitarbeiter, bei dessen Festlegung
keine Unterscheidung nach Geschlecht
gemacht wird und der sich an tarifvertraglichen
und betrieblichen Vereinbarungen
orientiert, sowie umfassende
Sozialleistungen − etwa zur Förderung
der privaten Altersvorsorge.
Frauen- und Nachwuchsförderung
Die Gleichstellung der Geschlechter
und Stärkung aller Frauen und Mädchen
erreichen − so lautet das Ziel 5 der
Sustainable Development Goals. Auch
und gerade für technisch geprägte Unternehmen
wie Miele werden hochqualifizierte
Frauen immer wichtiger. Mit
verschiedenen Maßnahmen wie flexiblen
Teilzeitmodellen oder der Unterstützung
bei der Kinderbetreuung will Miele
Frauen deshalb ermutigen und dabei
unterstützen, trotz Familienplanung
Führungspositionen anzustreben. Außerdem
beteiligt sich Miele an Förderprojekten
wie dem „Frauen-Karriere-Index“,
engagiert sich im Nationalen Pakt für
Frauen in MINT-Berufen und hat bereits
2007 den Miele-Ingenieurinnen-Treff ins
Leben gerufen.
Zur Nachwuchsförderung bietet Miele
seit 1995 ein Duales Bachelorstudium an.
Weitere Einstiegsmöglichkeiten in das
Unternehmen sind das Master@Miele-
Programm für Bachelorabsolventen oder
das Trainee-Programm für Absolventen
mit Masterabschluss. Zudem kann sich
der Nachwuchs bereits vor Studien- und
Ausbildungsbeginn, zum Beispiel am
„Tag der offenen Ausbildung“, über die
vielfältigen Berufsangebote bei Miele
informieren.
globalcompact Deutschland 2016
105
Good Practice
Von CSR zu Shared Value
Was strategische Corporate Social Responsibility
mit Geschäftsinvestition zu tun hat
Wirtschaft und CSR: Dieses Spannungsfeld wurde im letzten Jahrzehnt zunehmend häufiger
umfassend diskutiert. Doch welche Rolle übernimmt hierbei eigentlich die Wirtschaft?
Von Dr. Christoph Regierer und Kai M. Beckmann,
Roever Broenner Susat Mazars
Verbreitet herrscht die Vorstellung, die
Verknüpfung von CSR und Wirtschaft
bedeute, dass Unternehmensinvestitionen
in Übereinstimmung mit etablierten
oder zukünftigen CSR-Standards getätigt
werden sollten. Doch die Integration
von CSR in das unternehmerische Denken
setzt bereits wesentlich früher an:
Es geht darum, wie Unternehmen ihre
Gewinne erwirtschaften und welche
Auswirkungen das eigene unternehmerische
Handeln hat und nicht nur, wie
Unternehmen investieren.
CSR ist kein philanthropischer Ansatz.
Die Herausforderung besteht darin, die
wachsende Bedeutung von CSR früh zu
erkennen und in Geschäftsmodelle und
Leitlinien zu überführen. Das schwer
Greif bare greif bar zu machen, zu definieren,
zu systematisieren und in die
Unternehmensprozesse zu integrieren −
das ist vielen Unternehmen heute noch
lästig, perspektivisch aber unerlässlich!
Dabei gilt es, nicht nur einen verlässlichen
Rahmen für das eigene Handeln
festzulegen, sondern auch übergeordnete
Leitplanken, wie z. B. die Sustainable
Development Goals (SDGs) und internationale
Standards, im Blick zu haben.
Strategische CSR –
Chancen für Unternehmen
Der Vorteil strategischer CSR zeigt sich
nicht nur in gesteigerter Reputation, sondern
auch in Form erhöhter Profitabilität:
Das Risiko von Rechtsstreitigkeiten und Bei der Beurteilung wesentlicher CSRden
damit zusammenhängenden Kosten
sinkt, Kapitalkosten werden immer gewichtige Rolle: So ist es entschei-
Themen spielt ein weiterer Faktor eine
stärker durch CSR beeinflusst, Vertrauen dend, als relevante Risiken auch jene
von Stakeholdern wächst, Mitarbeiterbindung
steigt, globale Beschaffung wird erfassen, die sich unmittelbar aus der
unternehmerischen Folgerisiken zu
sicherer. Diese Betrachtung erscheint eigenen Unternehmenstätigkeit ergeben.
SHARED VALUE
SHARED Shared Value VALUE
Einkauf
Personal
Produktion
Vertrieb
...
Einkauf
Personal
Produktion
Vertrieb
...
CSR-
Controlling
allerdings vielen Unternehmen auf den
ersten Blick nicht plausibel: Welches
Unternehmen erfasst schon alle kumulierten
CSR-Kosten aus Einkauf, Claim-
Management, Qualitätssicherung, Markenimage
oder Reputation und setzt
diese in Bezug zu CSR-Zielen?
Positionierung
Kostentransparenz
CSR-
Controlling
…
Konnektivität
Positionierung
Kostentransparenz
…
Neue Märkte,
Geschäftsprozesse,
internationale
Projekte, etc.
Diese Folgerisiken, die häufig in Zusammenhang
mit der Lieferkette stehen,
werden in der Regel nicht als
klassische Unternehmensrisiken aufgenommen.
Der US-amerikanische
Dodd-Frank Act zielt auf genau ein
solches Folgerisiko, nämlich die Fi-
Konnektivität
106 globalcompact Deutschland 2016
nanzierung von Rebellengruppen im
Kongo durch „Konfliktmineralien“. Wir
sollten also den Blick, mit dem wir bisher
auf CSR-Risiken geschaut haben,
erweitern. Denn sind diese Folgerisiken
erst einmal identifiziert, die Kennzahlen
zur Überwachung verstanden und
die passenden Steuerungsprozesse implementiert,
lässt sich neben Risikoprävention
häufig ein Nutzen für das
Unternehmen erkennen: die Fähigkeit
des Unternehmens zur Konnektivität.
Konnektivität ist ein zunehmend wichtiger
Erfolgsfaktor. Hier geht es darum,
dass z. B. international Projekte vermehrt
über strategische Allianzen und
Partnerschaften entwickelt und bearbeitet
werden, wie etwa internationale
Allianzen und Fonds, die im Bereich
der internationalen Gesundheitspolitik
entstanden sind. Ein Beispiel ist die
Global Alliance for Vaccines and Immunisation.
Sie wurde ins Leben gerufen
mit dem Ziel, jedem Kind Impfschutz
Beispiel Menschenrechte:
Es gilt, die Hürden zu überwinden
Dass Unternehmen in dem Zusammenhang
noch großes Entwicklungspotenzial
haben, zeigt das Thema „Menschenrechte“.
Eine Umfrage des Economist Intelligence
Unit (EIU) ergab, dass 83 Prozent
der befragten Unternehmensvertreter die
Wirtschaft als einen wichtigen Protagonisten
beim Schutz der Menschenrechte
sehen. Gleichzeitig konnten jedoch nur
wenige Studienteilnehmer erklären, wie
der Schutz der Menschenrechte entlang
ihrer eigenen Zulieferkette integriert ist.
Das Ergebnis zeigt: Der Wille ist da, in
der Praxis gibt es jedoch noch Hürden zu
nehmen. Das Beispiel verdeutlicht auch,
dass der Blick auf die eigene Lieferkette
noch zu sehr auf ausgewählte Aspekte
fokussiert ist und mögliche Chancenpotenziale
− z. B. hinsichtlich ihrer Konnektivität
− unzureichend erfasst und
bewertet werden.
Creating Shared Value
Je internationaler ein Unternehmen ist,
desto komplexer und anspruchsvoller ist
die Berücksichtigung der wachsenden
regulativen und marktgesteuerten CSR-
Anforderungen. Eine zentrale Steuerung
dieser Herausforderungen ist ohne definierten
Organisationsrahmen kaum
möglich. Für den internationalen Mittelstand
stellt diese Entwicklung eine
besondere Herausforderung dar, denn
viele dieser zum Teil familiengesteuerten
Unternehmen bewerten die eigene
CSR-Performance noch immer stark aus
einem traditionellen Werteverständnis
heraus. Dabei bleibt die Erwartungshaltung
wichtiger Auslandsmärkte häufig
unzureichend berücksichtigt.
Unsere Überzeugung ist: Unternehmen,
die CSR systematisch in die Organisation
und in ihr Handeln integrieren, sind
produktiver und schaffen Mehrwert. Für
viele Unternehmen ist dazu nur ein letzter
Schritt erforderlich, doch ohne diesen
bleibt der CSR-Blick zu stark eingeschränkt.
Grundlage ist dafür ein tiefes
Verständnis und Engagement gegenüber
Mitarbeitern, Lieferanten, kulturellen Besonderheiten,
Gesetzgebern und der Zivilgesellschaft.
Dieses umfassend zu bewerten
und in Bezug zum eigenen Handeln
zu setzen, kann Ausgangspunkt für neue
Geschäftschancen sein (Konnektivität).
Unternehmen, die dieses Engagement
bei der Erwirtschaftung ihrer Gewinne
einbeziehen, gehen über CSR hinaus und
beginnen Shared Value zu schaffen, indem
sie die Interessen der Wirtschaft mit
denen der sie umgebenden Gemeinschaften
und der Umwelt in Übereinstimmung
bringen. Wir sind der Überzeugung, dass
hier die unternehmerische Zukunft liegt:
Der Jahresbericht 2014/15 unserer internationalen
Mazars Gruppe trägt den Titel
„Creating Shared Value“.
gegen die wichtigsten Infektionskrankheiten
zu ermöglichen; getragen wird
die Allianz von privaten Stiftungen,
internationalen Organisationen (UNICEF,
WHO,Weltbank), Regierungen, Forschungseinrichtungen,
Unternehmen
und NGOs.
In einer solchen Kooperation Partner zu
sein, eröffnet neue Märkte und Geschäftspotenziale.
Doch ist der Zutritt oft mit
hohen Anforderungen an Transparenz,
Glaubwürdigkeit und Integrität verknüpft.
Ein umfassendes CSR-Verständnis, das
die Auswirkungen des eigenen Handels
einschließt, eröffnet oft erst den Blick
auf diese neue Art an Geschäftspotenzial
und ist zugleich eine wichtige Zugangsvoraussetzung.
WP/RA/StB Dr. Christoph Regierer,
Managing Partner bei
Roever Broenner Susat Mazars
Kai Michael Beckmann,
Director Compliance, Risk & Responsibility
bei Roever Broenner Susat Mazars
globalcompact Deutschland 2016
107
Good Practice
Wie aus Flüchtlingshilfe
Erfolgsgeschichten werden
Mehr als eine Million Menschen sind im Jahr 2015 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.
Ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Integration ist eine große Herausforderung. Das können
Staat und die vielen Ehrenamtlichen nicht alleine leisten, sondern hier sind alle Teile der Gesellschaft,
also auch die Unternehmen gefordert. Tchibo setzt sich in der Flüchtlingshilfe mit drei
Maßnahmen ein: dem ehrenamtlichen Einsatz der Mitarbeiter, Beschäftigungsangeboten sowie
bedarfsgerechten Sachspenden. Zusätzlich ist Tchibo im Juni 2016 der Integrationsinitiative der
deutschen Wirtschaft „Wir zusammen“ beigetreten.
Von Monika Focks,
Managerin Unternehmensverantwortung, Tchibo
Mitarbeiter im Einsatz für den
guten Zweck
Bei Tchibo ist man davon überzeugt,
dass geflüchtete Menschen unsere Gesellschaft
bereichern. „Dazu benötigen
sie Unterstützung bei ihrer Integration.
Tchibo als global tätigem Unternehmen
ist es wichtig, zusammen mit den Mitarbeitern
einen Beitrag zu Integration
und Beschäftigung zu leisten“, erläutert
der Vorsitzende der Geschäftsführung,
Dr. Markus Conrad. Deshalb unterstützt
Tchibo seine Mitarbeiter dabei, ehrenamtlich
in der Flüchtlingshilfe aktiv
zu werden. Den Auftakt dazu machte
im Januar 2016 eine Aktion, bei der
24 Tchibo-Mitarbeiter in einer Erstaufnahmeeinrichtung
Kleiderspenden sortierten.
Im Anschluss an diese positive
Erfahrung entwickelte das Unternehmen
dann ein umfassendes Corporate-
Volunteering-Programm im Umfeld
der Flüchtlingshilfe. Ein wesentliches
Element ist die Zusammenarbeit mit
zwei entsprechenden Institutionen: einer
Erstaufnahmeeinrichtung sowie einer
Schule mit einem sehr hohen Anteil an
Kindern von Geflüchteten.
Im August 2016 organisierten 40 Tchibo-
Mitarbeiter an zwei Nachmittagen Kinderfeste
in der Erstaufnahmeeinrichtung
„Sportallee“ in Hamburg. Hier werden
rund 750 Bewohner meist für einen
Zeitraum von bis zu acht Monaten untergebracht.
Für ihren Einsatz − etwa
beim Kinderschminken, Dosenwerfen
oder bei Bastelaktionen − ernteten die
freiwilligen Helfer strahlende Gesichter
und jede Menge Kinderlachen: „Die
Fröhlichkeit der Kinder zu erleben war
einzigartig!“, schilderte eine Beteiligte
ihre Erfahrungen. Neben vom Unternehmen
organisierten Aktionen wie dieser
können sich Tchibo-Mitarbeiter auch
als ehrenamtliche Mentoren engagieren,
108 globalcompact Deutschland 2016
zum Beispiel als Begleiter bei Ausflügen.
Jochen Eckhold, Director Human
Resources, weiß: „Es ist gut, über den
Tellerrand zu schauen; die Distanz zur
täglichen Arbeit erweitert die eigene
Perspektive, es macht etwas mit einem.“
Spenden in Höhe von zwei Millionen
Euro
Als weitere Maßnahme spendete Tchibo
2015 und 2016 dringend benötigte Waren
aus dem eigenen Produktsortiment
an Hilfsorganisationen wie das Deutsche
und Österreichische Rote Kreuz oder den
Türkischen Roten Halbmond, darunter
Spielsachen, Bettwäsche und Kleidung.
Große Wäsche- und Kleiderspenden gingen
auch an das LaGeSo in Berlin, die
Hamburger Kleiderkammer sowie die
Erstaufnahme „Sportallee“. Seit 2015
hat Tchibo Waren im Verkaufswert von
insgesamt rund zwei Millionen Euro
gespendet.
Wie gelingt eine nachhaltige
Integration?
Während Unternehmen ihre Hilfsangebote
für Flüchtlinge oft zunächst auf die
Grundversorgung und Unterstützung
von Erstaufnahmeeinrichtungen konzentrierten,
rückt jetzt allmählich die Frage
in den Blickpunkt, wie eine langfristige
Integration der Menschen in die Gesellschaft
und den hiesigen Arbeitsmarkt
gelingen kann. Der überwiegende Teil
der Geflüchteten ist jünger als 25 Jahre
und befindet sich somit noch im Schuloder
Ausbildungsalter. Der Zugang zu
schulischer und beruflicher Bildung
bedeutet für sie einen entscheidenden
Schritt für eine erfolgreiche Integration.
Für die deutsche Wirtschaft wiederum,
deren Belegschaften im Durchschnitt
immer älter werden, bieten diese jungen
Asylsuchenden ein hohes Potenzial in
einem zunehmend wettbewerbsintensiven
Arbeitsmarkt. Eine Schlüsselrolle
nehmen dabei berufsvorbereitende Maßnahmen
wie Praktikums- und Ausbildungsangebote
ein.
Erste Erfolgsgeschichten
Tchibo kann bereits mehrere Erfolgsgeschichten
im Zusammenhang mit der
Beschäftigung von Flüchtlingen erzählen:
So nahmen Ahmad Y. aus Afghanistan
und Kinda F. aus Syrien im Februar 2016
im kaufmännischen Bereich ihre Arbeit
als Praktikanten bei Tchibo auf. Ahmad
Y. unterstützte den Bereich International
Sales und wurde inzwischen aufgrund
seiner sprachlichen und fachlichen Qualifikation
in eine Festanstellung übernommen.
Kinda F. half in der Abteilung
Human Resource Planning beim Aufbau
eines neuen IT Human Resource Tools
und schloss ihr Praktikum ebenfalls erfolgreich
ab. Vier weitere Geflüchtete
erhielten bislang die Möglichkeit, verschiedene
Bereiche des Unternehmens im
Rahmen eines Praktikums kennenzulernen
und ihre Sprach- und Fachkenntnisse
zu vertiefen. Bis Ende des Jahres sollen bis
zu zehn kaufmännische und gewerbliche
Praktikumsplätze von jungen Migranten
genutzt werden.
Darüber hinaus beteiligt sich Tchibo
mit Beschäftigungsangeboten im Mitarbeiterrestaurant
und in der Rösterei
an dem Programm zur sogenannten
Ausbildungsvorbereitung für Migranten
(AvM-Dual). Der auf zwei Jahre ausgelegte
und Anfang 2016 als bundesweit
einzigartiges Projekt in Hamburg gestartete
Bildungsgang zielt darauf, junge
Flüchtlinge durch eine enge Verzahnung
von Sprachförderung, Schulunterricht
und betrieblichen Praktikumsphasen
besser auf den Einstieg in die Berufswelt
vorzubereiten. So bietet sich bei Tchibo
bei entsprechender Eignung etwa die
Chance auf eine Ausbildung zum Koch
oder aber als Maschinenführer in der
Rösterei.
Auf unterschiedlichem Weg zu
einem gemeinsamen Ziel
Tchibo ist überzeugt, dass die Integration
der Flüchtlinge nur durch gemeinsames
Handeln gelingt. Deshalb hat sich das
Unternehmen im Juni 2016 der Integrationsinitiative
der deutschen Wirtschaft
„Wir zusammen“ angeschlossen. Mehr als
160 Unternehmen engagieren sich bereits
in dem Netzwerk (Stand August 2016)
und nutzen es als Plattform, um eigene
konkrete Projekte vorzustellen sowie
andere Firmen und deren Mitarbeiter
dazu zu motivieren, ebenfalls in der
Flüchtlingshilfe aktiv zu werden. „Mit
dem Engagement für die Integration von
Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt sowie
Soforthilfen durch den ehrenamtlichen
Einsatz der Mitarbeiter und Sachspenden
leistet Tchibo einen wertvollen Beitrag
dazu, den Neuankömmlingen eine Perspektive
für ihr Leben in Deutschland
zu bieten“, so die Projektleiterin der
Initiative, Marlies Peine.
Wie viele Menschen nach 2016 als
Flüchtlinge nach Deutschland kommen
werden, lässt sich laut einer aktuellen
Studie von „Wir zusammen“ nur schwer
abschätzen. Angesichts der vielen weltweit
von Flucht und Vertreibung betroffenen
Menschen bleibt Flüchtlingshilfe
ein zentrales Thema. Tchibo will sich
der „großen Gemeinschaftsaufgabe“ Integration
auch in Zukunft stellen und
sein Engagement auf verschiedenen
Ebenen fortsetzen. Und damit den bisherigen
Erfolgsgeschichten viele weitere
hinzufügen.
globalcompact Deutschland 2016
109
Good Practice
Gemeinsam für die Zukunft:
Integration als Chance
Mitarbeiter aus 86 Nationen weltweit: Bei TÜV Rheinland wird interkulturelle Vielfalt wertgeschätzt.
Denn Facettenreichtum ist etwas, was uns bereichert und stark gemacht hat – sowohl
nach innen, als auch nach außen. Für TÜV Rheinland ist es deshalb selbstverständlich, sich
nachhaltig für die Integration von Geflüchteten einzusetzen und dazu beizutragen, dass aus
Herausforderungen Chancen werden.
Von Susanne Dunschen und Dr. Hannes Hofmann,
CSR und Nachhaltigkeit, TÜV Rheinland
65 Millionen Menschen waren im Jahr
2015 auf der Flucht. Davon kamen allein
890.000 nach Deutschland. Laut Angaben
des Bundesministeriums des Innern
wurden im Jahr 2015 beim Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge knapp
477.000 formelle Asylanträge gestellt −
mehr Anträge als jemals zuvor und fast
doppelt so viele wie im Vorjahr 2014.
Das sind Zahlen, auf die Bevölkerung, Politik
und Wirtschaft so nicht vorbereitet
waren. Umso wichtiger ist es, Strukturen
und Maßnahmen für eine erfolgreiche
Integration so schnell, aber auch so gut
durchdacht wie möglich auszubauen und
so den vielen Geflohenen, die aufgrund
von Kriegen, politischer Verfolgung und
Diskriminierung nicht in ihre Heimatländer
zurückkehren können, eine reelle
Chance auf ein neues Leben in Deutschland
zu geben. Mit dem im Mai 2016
verabschiedeten Integrationsgesetz hat
die Bundesregierung einen wichtigen
Schritt getan, um die Einstellung von
Geflüchteten für Unternehmen zu erleichtern.
Dennoch bleiben Sprachbarrieren
und teilweise mangelnde oder
schwer nachweisbare Qualifizierung eine
Herausforderung für die Wirtschaft, der
es sich gezielt zu stellen gilt.
TÜV Rheinland bekennt sich seit 2006
zu den zehn Prinzipien des UN Global
Compact und versteht diese als Werterahmen
des täglichen unternehmerischen
Handelns. Aus diesem Bekenntnis
werden Programme und Maßnahmen
abgeleitet, um zum einen innerhalb des
Unternehmens der Verantwortung gegenüber
Umwelt und Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern gerecht zu werden und
sich in der Erbringung unserer Dienstleistungen
verantwortungsbewusst
zu zeigen. Zum anderen versteht sich
TÜV Rheinland als Teil der Gesellschaft,
in der es wirtschaftet, und sieht sich in
der Pflicht, einen aktiven Beitrag zur
Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen
zu leisten. Deshalb ist es für
TÜV Rheinland selbstverständlich, sich
auch mit der Frage auseinanderzusetzen,
wie für Geflüchtete eine neue Perspektive
geschaffen werden kann.
Soforthilfe durch engagierte
Mitarbeiter und Orientierung
durch Angebote der
TÜV Rheinland Akademie
Fundament des Engagements von TÜV
Rheinland ist die große Hilfsbereitschaft
der Mitarbeitenden selbst. An den drei
größten deutschen Standorten des Unternehmens,
in Berlin, Nürnberg und Köln,
führte im Spätsommer 2015 der Aufruf
zur Soforthilfe durch Sachspenden für
Flüchtlingserstaufnahmestellen zu einer
überwältigenden Menge und Vielfalt an
Gebrauchsgegenständen. Darüber hinaus
engagierten sich Teile der Belegschaft
ehrenamtlich in verschiedenen Hilfsprojekten
in Köln, Berlin und Nürnberg. TÜV
Rheinland unterstützte hierbei und stellte
Helferinnen und Helfer für die entsprechenden
Einsatztage von der Arbeit frei.
Als zweiten wichtigen Baustein zur Integration
bietet die TÜV Rheinland Akademie
seit Ende 2015 Sprachkurse für
Geflüchtete an. Im Vordergrund steht
die Vermittlung von Sprachkenntnissen,
die bei der Bewältigung von Alltagssituationen
helfen sollen. Bislang haben weit
über 1.000 Geflohene dieses Angebot
wahrgenommen. Parallel dazu entwickelten
Fachleute der TÜV Rheinland
Akademie im Auftrag des Goethe Instituts
München eine virtuelle Entdeckungsreise
durch die deutsche Arbeitswelt. Sie leisten
dadurch einen Beitrag zum Projekt „Mein
Weg nach Deutschland“, das Menschen
bereits vor dem Start von Integrationskursen
helfen soll, sich mit der deutschen
Arbeits- und Alltagswelt schrittweise und
spielerisch vertraut zu machen.
Ausbildungsplätze schaffen
Integration und bieten Zukunftsperspektiven
In enger Zusammenarbeit mit der IHK
Köln hat TÜV Rheinland Einstiegsqualifizierungen
und Praktika für Geflüchtete
am Standort Köln angeboten. Darauf
auf bauend hat das Unternehmen zwölf
110 globalcompact Deutschland 2016
neue Ausbildungsplätze geschaffen, von
denen acht in den Bereichen IT, Baustoffund
Werkstoffprüfung und Gastronomie
in Nürnberg und Köln besetzt sind. Acht
besetzte Ausbildungsplätze − das mag auf
den ersten Blick nicht nach viel klingen,
bedeutet für TÜV Rheinland jedoch konkret,
dass die für das Ausbildungsjahr
2016 in ganz Deutschland geplanten 30
Ausbildungsplätze um fast ein Drittel aufgestockt
wurden, um Geflüchteten einen
Alseny Barry (l.) und
Tobias Hainke (r.) treffen sich
regelmäßig im Rahmen der
Integrationspatenschaften.
Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt
zu ermöglichen. Durch dieses Angebot
will TÜV Rheinland dazu beitragen, dass
auch Menschen, die ihre Erfahrungen
nicht für einen direkten Einstieg in den
deutschen Arbeitsmarkt nutzen können,
gezielt für bestimmte Stellen qualifiziert
werden und somit durch Bildung
in ihre Zukunft investieren. Um den
erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung
zu gewährleisten, werden die neuen Auszubildenden
in einem firmeninternen
Programm intensiv begleitet. So besuchen
sie wöchentlich einen am Standort organisierten
Deutschkurs und nahmen an
einem verpflichtenden interkulturellen
Training teil. Nicht zuletzt sind es jedoch
„Respekt und Toleranz sind Grundwerte unserer
Unternehmenskultur. Es ist für uns als
verantwortlich handelndes Unternehmen
selbstverständlich, sich damit auseinanderzusetzen,
wie wir für Menschen, die vor Krieg
und Katastrophen geflohen sind, eine Perspektive
schaffen können – ganz gleich, ob
sie dauerhaft bleiben wollen oder nicht. Dies
sehen wir als kontinuierliche Aufgabe.“
Dr. Michael Fübi, Vorstandsvorsitzender der
TÜV Rheinland AG
die zwischenmenschlichen Beziehungen
über den eigenen Arbeitsplatz hinaus, die
für die besondere Atmosphäre bei TÜV
Rheinland sorgen. Aus diesem Grunde
stehen den neuen Auszubildenden am
Firmenhauptsitz in Köln seit Beginn des
Ausbildungsjahres engagierte Integrationspaten
und -patinnen an der Seite. Sie
sind während des ersten Ausbildungsjahres
persönliche Ansprechpartner, bieten
Orientierung im Unternehmen und ermöglichen
durch regelmäßige Gespräche
eine zusätzliche Sprachförderung.
Durch Beharrlichkeit
und Ausdauer ans Ziel
Nun erlöschen Krisenherde nicht über
Nacht. Es ist davon auszugehen, dass
auch in den nächsten Jahren Kriegsflüchtlinge
nach Deutschland kommen
werden. Darüber hinaus werden sich
auch viele Klimaflüchtlinge aus ihrer
durch Dürre, Überschwemmung und
andere Naturkatastrophen unbewohnbar
gewordenen Heimat auf den Weg in
eine sicherere Zukunft, zum Beispiel in
Deutschland, begeben. Auch sie werden
auf Arbeitsplätze angewiesen sein und
sich die Suche danach unter anderem mit
denjenigen Geflüchteten teilen, die schon
länger in Deutschland leben und ebenfalls
auf Arbeit angewiesen sind. Die Bereitstellung
und Besetzung zusätzlicher
Ausbildungsplätze durch Geflüchtete
soll daher bei TÜV Rheinland keine einmalige
Maßnahme bleiben. Durch den
Beitritt zur Initiative „wir zusammen“, einem
Netzwerk, das das Engagement von
Unternehmen für Geflüchtete bündelt
und auf einer gemeinsamen Plattform
präsentiert, bekennen wir uns öffentlich
zur Fortführung unserer Maßnahmen.
So sollen für das Ausbildungsjahr 2017
neue Ausbildungsplätze an weiteren
deutschen Standorten TÜV Rheinlands
geschaffen werden. Auch die in Köln
gestarteten Integrationspatenschaften
sind schon jetzt ein Erfolgsmodell. Derzeit
noch als lokales Pilotprojekt, sollen
Patenschaften sukzessive auf weitere
Ausbildungs-Standorte in Deutschland
ausgeweitet werden.
Mit seinem Engagement für Geflüchtete
hat TÜV Rheinland einen Weg eingeschlagen,
der zahlreiche Akteure auf unbekanntem
Terrain zusammenbringt. Nur
wenn wir voneinander lernen, langfristig
zusammenarbeiten und uns unterstützen,
kann Menschen, die vor Krieg und Verfolgung
fliehen mussten, ein solides Fundament
für ihr zukünftiges Berufsleben
geboten werden und eine erfolgreiche
Integration in den Arbeitsmarkt gelingen.
TÜV Rheinland möchte Perspektiven
schaffen: jetzt und in Zukunft.
„Die Integration von Geflüchteten ist ein
langer Weg und der Zugang zum deutschen
Arbeitsmarkt stellt einen wesentlichen
Pfeiler dar. Eine hervorragende
Ausgansposition bietet eine solide
Berufsausbildung, deren Erfolg wir durch
flankierende Integrations- und Förderprogramme
sicherstellen wollen.“
Thomas Biedermann, Personalvorstand und
Arbeitsdirektor der TÜV Rheinland AG
globalcompact Deutschland 2016
111
Good Practice
Die Mitarbeiter mitnehmen
– Arbeit 4.0
Steigender Wettbewerbsdruck, drohender Stellenabbau und schleichende Übernahme von
menschlichen Tätigkeiten durch Roboter bereiten vielen Sorge. Oft zu Unrecht, denn durch
Industrie 4.0 bedingte Entwicklungen bringen bei den künftigen Tätigkeiten von Arbeitnehmern
vielmehr neue Kompetenzprofile hervor. So warten anspruchsvollere Aufgaben mit höherer
Wertschöpfung und mehr Abwechslung. Die individuelle Expertise wird dabei immer mehr an
Bedeutung gewinnen. Wissensaneignung im Beruf stellt künftig keinen temporären, sondern
einen dauerhaft wiederkehrenden Vorgang dar.
Von Dr. Eberhard Niggemann,
Leiter Weidmüller Akademie
Insgesamt wird durch die Digitalisierung
eine Vielzahl neuer Geschäftsfelder
und Arbeitsplätze geschaffen. Da
gerade Deutschland prädestiniert ist,
durch Industrie 4.0 die Wettbewerbsfähigkeit
deutlich zu steigern, wird sich
die Arbeitskräftebilanz wahrscheinlich
sogar ins Plus verschieben. Zwar werden
nach Untersuchungen des Instituts
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) durch den digitalen Wandel in
Deutschland in den kommenden Jahren
ca. 490.000 Jobs mit niedriger Qualifikation
entfallen, darunter viele Routinearbeiten,
aber auch körperlich schwere
und gefährliche Arbeit. Dem gegenüber
stehen aber auch 430.000 neue Stellen.
Diese neuen Jobs entstehen vor allem
im Bereich der Informationstechnologie,
in naturwissenschaftlichen Berufen, in
der Unternehmensberatung sowie in
der Aus- und Weiterbildung, der in den
kommenden Jahren eine entscheidende
Rolle zukommen wird.
Bei Weidmüller, dem Elektrotechnikspezialisten
aus Detmold ist man sich
bewusst, dass Industrie 4.0 frühzeitig in
112 globalcompact Deutschland 2016
die Entwicklung von Mitarbeitern integriert
werden muss, damit der Wandel
hin zur Smart Factory gelingen kann. In
der unternehmenseigenen Weidmüller
Akademie wurde bereits das Aus- und
Weiterbildungskonzept auf das Zukunftsthema
ausgerichtet. Das Ziel ist
es, Mitarbeiter so früh wie möglich für
das Thema zu begeistern. Denn man
hat bei Weidmüller erkannt, dass das
lebenslange und selbstgesteuerte Lernen
deutlich an Bedeutung gewinnen wird.
Bei Industrie 4.0 kommt es auf fachübergreifendes
Wissen, Verständnis für
die Arbeits- und Denkweisen korrespondierender
Disziplinen und Denken
in übergreifenden Prozessen an. Der
Mitarbeiter muss zusätzlich zu seiner
jeweiligen Fachkompetenz mit Spezialwissen
mehr Systemwissen aufbauen. Bei
den neuen Lernmustern, die in der Akademie
entwickelt wurden, geht es mehr
und mehr in Richtung informelles und
interaktives Lernen. Lernen via Tablet
oder Smartphone kann überall und zu
jeder Zeit stattfinden. Auch dies fußt auf
der Erkenntnis, dass neue Multimedia-,
Social Media- und Cloud-Technologien
das Lernen weiter verstärken und revolutionieren
werden.
Hightech-Assistenzsysteme im
Testeinsatz
Bei Weidmüller hat die Industrie 4.0
längst in den Arbeitsalltag Einzug gehalten.
Schon seit 2011 hat das Unternehmen
ein intelligentes Energiemanagement
eingeführt, das Teil des „Fertigungsalltags“
geworden ist. Derzeit
werden verschiedene Pilotprojekte durchgeführt.
Außerdem testen der hausinterne
Bereich Continuous Improvement
und die Instandhaltung gemeinsam den
Einsatz von Augmented Reality und die
praktische Verwendung virtueller Datenbrillen
für die Produktion. Mit deren
Hilfe können Bilder auf einen Computer
übertragen werden. Das ist vor allem
in der globalen Instandhaltung für die
Themen Fernwartung und Reparatur
interessant.
Dazu gehören neben dem Einsatz von
Datenbrillen auch Mensch-Maschine-
Kollaborationen mit Robotern sowie
der Umgang mit selbstoptimierenden
Systemen. Bei der Mensch-Maschinen-
Kollaboration stieß bei ersten Versuchen
in der Montage die Zusammenarbeit mit
dem Roboter auf eine hohe Akzeptanz.
Das liegt unter anderem an den vorhersehbaren
Bewegungen des Roboters
und der Vorgabe der Arbeitsgeschwindigkeit
durch die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.
Hochtechnologie am Puls der Zeit
Ein weiteres Projekt ist das Computer
Aid Facility Management (CAFM), bei
dem mithilfe der Software visTable die
optimale Aufstellung einer zukünftigen
Fabrik am Computer geplant werden
kann. Auf Knopfdruck können Engpässe
im Materialfluss sichtbar und
Flächen bilanziert werden. Darüber
hinaus beschäftigt sich Weidmüller mit
den Möglichkeiten des 3D-Drucks und
der Maschinendatenerfassung (BDE).
Knapp 210 Maschinen an den weltweiten
Standorten sind zur Datenerfassung
an ein Monitoring angeschlossen. Mithilfe
der Daten werden wichtige Rückschlüsse
gezogen, was in den einzelnen
Produktionsprozessen überflüssig ist.
So wird die gesamte Wertschöpfung
verbessert.
Neben der Einführung der Funktion
des „Chief Digital Officers“ wurde im
Juli dieses Jahres eine neue Abteilung
„Global Factory Digitalization and Intelligence“
geschaffen. Zu den Aufgaben
gehören vor allem die Integration von
Industrie 4.0-Technologien in die globale
Supply Chain, die standortübergreifende
Abstimmung und Koordination dieser
Themen, die Entwicklung und Umsetzung
der Roadmap sowie die Bündelung
der verschiedenen Aktivitäten.
Veränderte Arbeitswelten
Arbeit 4.0 zeichnet sich aber vor allem
durch Interdisziplinarität aus. Durch
Kooperationen mit Hochschulen gibt es
eine Vielzahl von Abschluss- und Projektarbeiten,
in denen Studierende und
Professoren mit Weidmüller-Mitarbeitern
zusammenarbeiten. So wird kontinuierlich
Know-how im Unternehmen aufgebaut.
Im Zuge einer Kooperation mit der
Hochschule OWL wird seit 2016 ein neuer,
praxisorientierter Dualer Studiengang
„Technische Informatik“ angeboten. Er
fokussiert auf eine noch stärkere Hybridisierung
der Wissensfelder Technologie
und Software. In weiteren Initiativen
und Arbeitsgruppen mit Hochschulen
können anwendungsorientierte Weiterbildungsmodule
aus der Hochschule
für das Unternehmen entwickelt und in
die verschiedenen Ausbildungskonzepte
integriert werden.
Doch nicht nur für den Nachwuchs, auch
für erfahrenere Mitarbeiter wurden Modelle
entwickelt, um die Fachexpertise
langjähriger Kollegen optimal nutzen zu
können. Bereits zehn Jahre vor dem tatsächlichen
Renteneintritt können bspw.
verschiedene Freizeitmodule genommen
werden. So werden die Regenerationsphasen
in den letzten Arbeitsjahren
erhöht und damit Arbeitsfähigkeit und
Arbeitsfreude nachhaltig gesteigert. „Unser
Interesse war, vor dem Hintergrund
des demografischen Wandels ein Programm
zu schaffen, das es uns ermöglicht,
gute Fach- und Führungskräfte
länger im Berufsleben zu halten“, erläutert
Andreas Uhlitz, Leiter Personal /
Grundsatzfragen bei Weidmüller. Neben
der klassischen Teilzeitlösung gibt es
auch die Möglichkeit, den Jahresurlaub
zu erhöhen, dreimonatige Sabbaticals
zu nutzen oder eine Viereinhalb-Tage-
Woche in Anspruch zu nehmen. Ergänzt
wird das Programm durch Module aus
dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement,
an dem auch die (Ehe-)Partner
teilnehmen können. Uhlitz: „Wir haben
länger hochmotivierte und leistungsfähige
Mitarbeiter.“
globalcompact Deutschland 2016
113
Agenda
Die Nachhaltigen
Die Staats- und Regierungschefs von 193 Mitgliedstaaten
der Vereinten Nationen haben sich
am 25. September 2015 auf einen Katalog von
17 nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs nach
dem englischen Akronym) geeinigt. Mit diesem
Zielkatalog sollen bis zum Jahr 2030 Armutsreduzierung,
Umweltschutz und nachhaltiges
Wirtschaften weltweit vorangetrieben werden.
Eine besondere Rolle kommt dabei der Wirtschaft
zu: Unternehmen sollen mehr gesellschaftliche
Verantwortung übernehmen – durch
Innovationen, Wachstum und faire Produkte
sowie Arbeitsbedingungen. Was auf dem Papier
plausibel klingt, ist in der Praxis oft kompliziert.
Das Deutsche Global Compact Netzwerk ist hier
ein wichtiger und hilfreicher Begleiter.
114 globalcompact Deutschland 2016
SDGs
Entwicklungsziele (SDGs)
globalcompact Deutschland 2016
115
Agenda
Netzwerken
zum Wohl von Wirtschaft
und Weltgemeinschaft
Der Global Compact ist die weltweit größte und wichtigste Initiative für unternehmerische
Verantwortung und Nachhaltigkeit. Angesichts riesiger Aufgaben wie den UN-Entwicklungszielen
und globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenverknappung
kommt es in den nächsten Jahren besonders auf solche Organisationen an. Hier bündeln sich
Größe und Glaubwürdigkeit zu einem wichtigen Umsetzungshebel. Wir sprachen darüber mit
Marcel Engel, dem neuen Leiter des Deutschen Global Compact Netzwerks.
Von Dr. Elmer Lenzen
Hallo Marcel, du bist von der international ausgerichteten Organisation
WBCSD zum Deutschen Global Compact Netzwerk (DGCN)
gewechselt. Was ist anders? Was ist ähnlich?
Beide Organisationen fördern unternehmerische Verantwortung
sowie den Beitrag der Wirtschaft zur nachhaltigen Entwicklung
entlang der Sustainable Development Goals (SDGs). Dies ist
der gemeinsame Nenner. Ein wichtiger Unterschied besteht
darin, dass der WBCSD ein von Großunternehmen getragener
Verband ist, während das DGCN − als lokales Netzwerk des UN
Global Compact − eine von den Vereinten Nationen legitimierte
Multi-Stakeholder-Plattform ist, in welcher neben Großunternehmen
auch KMUs, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und
die Politik vertreten sind. Ein zweiter wichtiger Unterschied
ist natürlich, dass der WBCSD eine globale Ausrichtung hat,
während das DGCN vor allem auf nationaler Ebene agiert,
wenngleich wir zunehmend auch mit deutschen Unternehmen
und deren Zulieferern im Ausland zusammenarbeiten.
Da globale Initiativen der lokalen Umsetzung bedürfen, und
wir auch viele mittlere und kleine Unternehmen zu unseren
Teilnehmern zählen, sind die Aktivitäten des DGCN wesentlich
praxisorientierter ausgerichtet.
Die Teilnahme am DGCN ist freiwillig, aber viele der Themen, die
hier behandelt werden, sind es längst nicht mehr. Sei es die EU-
Berichtspf licht, Kinderarbeitsauf lagen aus UK und natürlich die
Dekarbonisierungsthematik im Nachgang zum Pariser Klimabeschluss.
Inwieweit verändert diese Pf licht und damit ja auch der Zwang den
Charakter und die Arbeitsweise einer Initiative wie dem DGCN?
Richtig ist, dass der Global Compact von Anfang an auf
Freiwilligkeit der Teilnehmer setzte und auch weiter setzen
wird − das heißt aber nicht, dass alle der im Compact
behandelten Themen ebenfalls freiwillig sind und sein
müssen: im Gegenteil, Arbeitsstandards oder Korruptionsbekämpfung
sind seit jeher in fast allen Ländern der Welt
im Gesetz festgeschrieben. Ich würde behaupten, dass durch
den nun zunehmenden Pflichtcharakter, auch etwa im Bereich
Menschenrechte, das Interesse eher gestiegen ist. Wir
können nun auch Unternehmen erreichen, die sich bislang
noch nicht ernsthaft der Nachhaltigkeitsthematik gewidmet
haben. Somit nimmt auch deren Bedarf an Unterstützung
in der Wahrnehmung ihrer neuen Pflichten zu. Im DGCN
versuchen wir dieser Nachfrage mit angepassten Lern- und
Dialogformaten zu begegnen, die sich an Unternehmen
116 globalcompact Deutschland 2016
SDGs
ZUR PERSON
Am 1. April 2016 übernahm Marcel Engel die Leitung der
Geschäftsstelle des Deutschen Global Compact Netzwerks
(DGCN) in Berlin. Er bringt über zwei Jahrzehnte Berufserfahrung
in der Zusammenarbeit der Entwicklungshilfe
mit der Wirtschaft mit. Durch seine langjährige Tätigkeit
beim World Business Council for Sustainable Development
(WBCSD) in Genf greift er auf fundierte Erfahrungen in
der Förderung verantwortungsvoller und nachhaltiger
Unternehmensführung zurück und bringt diese im DGCN
ein. Beim WBCSD baute er als Führungskraft das globale
Netzwerk von Partnerorganisationen auf. Gleichzeitig
führte er zahlreiche Projekte in enger Zusammenarbeit
mit weltweit tätigen Unternehmen. Schwerpunktthemen
waren dabei unter anderem Armutsbekämpfung, Einkommensbeschaffung,
Menschenrechte und Reporting.
unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsstands in der
Umsetzung von Sozial- und Umweltstandards richten. Dazu
gehören sowohl allgemeine Online-Seminare für Einsteiger
wie auch Trainings für fortgeschrittene Anwender oder Peer-
Learning Groups, in welchen sich führende Unternehmen
zu Best Practices austauschen können.
Da möchte ich nachhaken: Für viele Teilnehmer ist die Beteiligung
am Global Compact etwas, mit dem sie sich positiv hervortun können.
Manche nutzen CSR sogar als ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber
Wettbewerbern. Wenn jetzt aber alle zu verantwortlichem Handeln
gedrängt werden, dann ist CSR ja nichts besonderes mehr. Welchen
Anreiz gibt es dann für weitere Akteure, vor allem aus dem Mittelstand,
sich beim DGCN zu beteiligen?
Es ist nicht unser Ziel, Unternehmen zu gewinnen, damit
diese sich mit dem UN-Logo schmücken können, sondern
um sie zu unterstützen, sich kontinuierlich zu verbessern.
Die Teilnahme am Global Compact ist mit einer Selbstverpflichtung
der Unternehmen verbunden, die zehn Prinzipien
des Global Compact zu Menschenrechten, Arbeitsnormen,
Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung umzusetzen −
und jährlich über ihre Fortschritte zu berichten. Andernfalls
droht der Ausschluss, und dies traf auch schon über 5.000
Teilnehmer seit Gründung der Organisation im Jahr 2000.
Das gibt der Initiative Glaubwürdigkeit und wird auch
in Zukunft ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des UN
Global Compact sein. Im Übrigen ist der Global Compact
von ursprünglich 50 Gründungsmitgliedern im Jahr 2000
kontinuierlich auf heute über 13.000 Teilnehmer gewachsen.
Auch in Deutschland hatten wir einen Zuwachs von über
zehn Prozent im letzten Jahr auf nunmehr knapp 450 Teilnehmer
− über 80 Prozent davon Unternehmen. Ein weiterer
wichtiger Faktor für den Zuwachs ist sicherlich, dass der
„Business Case“ für Unternehmen immer offensichtlicher
wird: verantwortungsvolle Unternehmen minimieren ihre
Risiken, indem sie gegen kostspielige und rufschädigende
Vergehen gegen Arbeitnehmer oder die Umwelt vorbeugen;
sie können neue Geschäftsmöglichkeiten entwickeln, indem
sie innovative Technologien und Lösungen für Nachhaltigkeitsherausforderungen
entwickeln; und schließlich werden
sie auch erfolgreicher beim Rekrutieren der hart umkämpften
Talente auf dem Arbeitsmarkt sein, die ein Unternehmen
mit gutem Ruf vorziehen werden. >>
globalcompact Deutschland 2016
117
Agenda
UN-Entwicklungsziele
Mit den UN-Entwicklungszielen (SDGs) haben wir auf internationaler
Ebene bis 2030 einen politischen Handlungsrahmen mit klarem
Mandat. Der Global Compact versteht seine Aufgabe darin, die
SDGs in Wirtschaftssprache zu übersetzen. Kannst du uns diesen
Übersetzungsauftrag erläutern? Was heißt das konkret?
Als in der UN verankerte Organisation hat der Global Compact
tatsächlich ein Mandat erhalten, Unternehmen bei der
Auslegung und Umsetzung der SDGs zu unterstützen. Und
es ist essenziell, die Wirtschaft einzubinden, da ohne deren
Innovations- und Investitionskraft die ambitionierten Ziele für
eine gerechtere und nachhaltige Welt nicht erreicht werden
können. Daher sind wird auf globaler wie nationaler Ebene
bestrebt, die SDGs den Unternehmen schrittweise näherzubringen.
Dabei geht es zunächst einmal darum, die Relevanz
einzelner SDGs für Unternehmen zu erläutern, sowohl in Bezug
auf Risiken als auch auf Chancen, die je nach Land und Sektor
erheblich variieren können. Wir haben auch mehrere konkrete
Fallbeispiele von Unternehmen im DGCN dokumentiert,
die ebenfalls als Referenz hilfreich sein können. Ebenso sind
wir bestrebt, durch hochkarätige Großveranstaltungen und
regionale Roadshows in Zusammenarbeit mit verschiedenen
Industrie- und Handelskammern Unternehmer für die SDGs
zu sensibilisieren.
Wenn man die SDGs zu Ende denkt, ist das ja nicht ohne: Der Global
Compact steht ursprünglich für den defensiven Gedanken „do
no harm“. Es geht also darum, so zu wirtschaften, dass künftige
Generationen möglichst viele Optionen behalten. Die SDGs wiederum
bedeuten „be part of the change“. Unternehmen sollen also offensiv
die Welt und die Situation künftiger Generationen ändern. Sind
das nicht komplett neue Spielregeln?
Es bleibt aber immer ein Vakuum politischer Legitimation. Unternehmen
sind nicht legitimiert, politische Aufgaben zu übernehmen. Aber
kommen wir nicht unweigerlich in solche Fahrwasser, wenn Firmen
in den Feldern Bildung, Gesundheit, Sicherheit staatliche Aufgaben
übernehmen? Gerade auch in Staaten mit schwacher Staatlichkeit?
Die SDGs wurden einstimmig von der Weltgemeinschaft
verabschiedet, repräsentieren daher einen breiten Konsens
und haben einen hohen Grad an Legitimität, auf die sich
auch Unternehmen berufen können. Die Herausforderung
ist vielmehr, Unternehmen substanzieller an der Umsetzung
der SDGs zu beteiligen − nicht, sie davon abzuhalten.
Dies bedarf zum einem Partnerschaften mit Regierungen
und der Zivilgesellschaft, um Barrieren zu überwinden und
nachhaltigkeitsfördernde regulatorische und institutionelle
Rahmenbedingungen zu schaffen. Es bedarf aber auch einer
Bewusstseinsänderung in der Wirtschaft, verbunden mit
dem Verständnis, dass die Umsetzung der SDGs letztendlich
in ihrem eigenen Interesse ist. Wie eben erläutert, können
Unternehmen Risiken minimieren, neue Geschäftsmöglichkeiten
entwickeln und ihre Reputation anhand der SDGs
verbessern. Zudem gilt das englische Sprichwort: „business
can´t succeed in a society that fails“. Insofern leisten die
SDGs auch einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Verbesserung
der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Form
von stabileren Gesellschaften, wachsenden Märkten, besser
ausgebildeten Arbeitskräften, effizienteren Institutionen und
der längerfristigen Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen,
von denen viele Unternehmen abhängig sind.
Bei den SDGs geht es nicht um ein „Entweder-oder“ sondern
vielmehr um ein „Sowohl-als-auch“. Es muss vermieden werden,
dass Unternehmen ihre Verantwortung vernachlässigen
und sich die SDGs heraussuchen, die ihnen am besten passen
− also sozusagen „Rosinenpicken“ betreiben. Das wäre absolut
kontraproduktiv. Vielmehr geht es darum, zunächst einmal
die negativen Folgen ihres unternehmerischen Handelns
durch die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips zu
minimieren − also dem „do no harm“. Dies fördert der UN
Global Compact aktiv seit seiner Gründung, indem er Unternehmen
unterstützt, die zehn Prinzipien zu Menschenrechten,
Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsprävention
umzusetzen, die sich allesamt in den SDGs widerspiegeln.
Auf bauend auf der Erfüllung ihrer Pflicht zum verantwortungsvollen
Handeln unterstützt der Global Compact Unternehmen
natürlich auch, neue Geschäftsmöglichkeiten im
Rahmen der SDGs zu identifizieren und zu nutzen, also im
„find opportunities“. Angesichts der dringend erforderlichen
Privatinvestitionen zur Verwirklichung der SDGs gibt es viele
Möglichkeiten für Unternehmen, durch innovative Produkte
und Dienstleistungen nicht nur direkt zur Verwirklichung der
SDGs beizutragen, sondern auch neue Märkte zu entwickeln
und zu erweitern. Eine klassische Win-win-Situation also.
118 globalcompact Deutschland 2016
SDGs
Lieferketten
Im Moment wird die Nachhaltigkeits-Diskussion oft so geführt, als
läge der Ball im Feld der Wirtschaft. Das gilt vor allem beim Thema
Lieferkette. Das DGCN verstärkt deshalb sein Engagement im Ausland,
hier vor allem in Südafrika und Indien. Was macht ihr dort?
In der Tat werden Unternehmen in unserer vernetzten und
transparenten Gesellschaft nicht nur für ihre eigenen Aktivitäten
zur Rechenschaft gezogen, sondern zunehmend auch
für die ihrer Zulieferer. Daher ist die Lieferkettenthematik ins
Zentrum der Aufmerksamkeit geraten, nicht zuletzt infolge
von tragischen Unfällen oder Vergehen, die die Lieferketten
einer breiten Palette von Sektoren betroffen hat, u. a. in der
Textilindustrie, in der Forstwirtschaft, in Verbindung mit
gewissen Rohstoffen − wie Diamanten und Rohöl − oder Agrarprodukten
− wie Kakao und Palmöl.
Daher bezieht sich bereits seit einiger Zeit ein Großteil unserer
Aktivitäten im DGCN direkt auf die nachhaltige Gestaltung
von Lieferketten, sei es über das Management von Scope 3 −
Treibhausgasemissionen, Geschäftspartner-Compliance oder
das Achten von Menschenrechten. Dabei bieten wir unsere
Lern- und Austauschformate zunehmend auch im Ausland an,
so zum Beispiel Trainings zur menschenrechtlichen Sorgfalt
in der Lieferkette für deutsche Niederlassungen und ihre
Zulieferer in Südafrika und Indien, die wir Ende 2016 durchgeführt
haben. Extrem wertvoll waren dabei unsere Global
Compact-Partnernetzwerke vor Ort sowie die Auslandshandelskammern,
bei denen wir die Trainings veranstaltet haben. Die
sehr positive Resonanz zeigt uns, dass wir mit dem Ansatz
durchaus richtig lagen und nun schauen müssen, wie wir
diese Pilotformate weiter ausbauen.
Lieferketten sind von Natur aus komplex und sensibel. Die klassischen
Ref lexe angesichts von potenziellen Risiken sind Kontrollen,
Sanktionsandrohungen, hierarchische Beziehungen. Kann man solche
Geschäftsbeziehungen auch anders, intrinsischer organisieren, oder
ist das Sozialromantik?
Es gibt in Lieferbeziehungen für beide Seiten genügend handfeste
Gründe, sich stärker für ein nachhaltiges Management
zu engagieren − und wir sprechen hier vor allem von einem
Engagement jenseits von Checklisten und strikten Kontrollen.
Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele von Firmen, die ihre
Lieferkette nicht mehr alleine über Audits steuern, die oftmals
diesen angesprochenen „hierarchischen“ Charakter haben
und im schlimmsten Fall dazu führen, dass der Zulieferer
nur noch eine Liste abarbeitet, aber keine Sensibilität für die
notwendigen Verbesserungen entwickelt.
Vor allem gemeinsam gestaltete Aus- und Weiterbildungsformate
sowohl für das Management der Zuliefererbetriebe als
auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter erweisen sich hier
als sehr wertvolle Ergänzung. Weniger Fluktuation unter
den Angestellten, geringere Anfälligkeit für Streiks bis hin zu
verbesserter Produktivität: All das wurde von fortschrittlichen
Unternehmen in diesem Kontext bereits nachweislich erreicht.
Wir Deutschen neigen dazu, unsere eigene Rolle in der Welt als sehr
stark und bestimmend anzusehen, und für Lieferketten-Akteure heißt
das, dass sie nach unseren Wünschen spuren sollen. Andere Länder
haben aber ihre eigenen Ansichten, und viele Lieferanten sind alles
andere als Lauf burschen. Wie können wir in der Praxis globale
Lieferketten effektiv managen und dabei nationale und kulturelle
Befindlichkeiten einfangen?
Zunächst einmal beruhen die allermeisten Standards und Anforderungen
an das nachhaltige Management von Lieferketten
nicht auf deutschen Initiativen, sondern sind in internationalen
Vereinbarungen festgeschrieben. Somit gelten sie grundsätzlich
für die Zuliefererbetriebe genauso wie für die deutschen (und
anderen europäischen) Counterparts. Problematisch wird es für
die Nachhaltigkeit in der Lieferkette ja besonders in Ländern
mit schwachen legalen und institutionellen Rahmenbedingungen,
in welchen also die Regierung entweder nicht in der
Lage oder nicht willens ist, gewisse Standards festzuschreiben
oder durchzusetzen. Wenn sich hier deutsche und internationale
Unternehmen stärker engagieren, ist das erst einmal
uneingeschränkt positiv zu bewerten. Um jedoch dann nicht
in eine Rhetorik des „Wir gegen die“ abzurutschen und die
Lieferanten nicht wie Lauf burschen zu behandeln, empfiehlt
sich als Grundkonzept genau der vorhin angesprochene Fokus
auf die gemeinsame Gestaltung der Geschäftsbeziehungen.
Bewusstseinsbildung, Dialog und gemeinsame Lernformate
als Ausgangspunkt sind sicherlich vielversprechender als ein
einmal jährliches Audit. >>
globalcompact Deutschland 2016
119
Agenda
Globalisierung
Globalisierung ist das Stichwort für den letzten Themenblock. Der
Global Compact entstand zur Jahrtausendwende in einer Zeit, als viel
Angst vor der Globalisierung herrschte. Heute sind wir wieder in so
einer Situation. Sieht das DGCN sich als aktiven Teil einer Debatte
um Globalisierungsängste, Freihandelsabkommen und den neuen
Nationalismus? Oder sind diese Themen nicht Teil der Agenda?
Der Global Compact wurde tatsächlich vom damaligen UN-
Generalsekretär Kofi Annan ins Leben gerufen, um die Kräfte
der Märkte mit universellen Idealen zu verbinden − und so
sicherzustellen, dass die Globalisierung auch den Benachteiligten
und den zukünftigen Generationen zugutekommt.
Der Globalisierungsprozess hat ohne Frage maßgeblich dazu
beigetragen, dass Hunderte von Millionen Einwohner in
Entwicklungs- und vor allem Schwellenländern der Armut
entrinnen und ihre Lebensverhältnisse verbessern konnten.
Allerdings haben sich die ökologischen Herausforderungen
eher verschärft − ebenso wie die sozialen Ungleichheiten in
vielen Ländern. Dies kombiniert mit einer diffusen Angst vor
Überfremdung, gerade unter den sich vernachlässigt fühlenden
Verlierern der Globalisierung, trägt sicherlich dazu bei,
dass rückwärtsgewandte, nationalistische Kräfte vielerorts an
Auftrieb gewinnen. Dies ist natürlich ein zentrales Thema für
den Global Compact. Die konsequente Umsetzung der SDGs
ist das beste Mittel, um der aufkeimenden Abschottung, dem
Nationalismus und dem Populismus entgegenzuwirken. In
den SDGs ist der Teil der Globalisierungsthematik enthalten,
der bisher vernachlässigt wurde und dringend stärker in den
Fokus gerückt werden muss, um im Sinne unseres Gründers,
Kofi Annan, der Globalisierung ein „menschliches“ (ich würde
auch „ökologisches“ hinzufügen) Antlitz zu verleihen, bevor
es zu spät ist.
Der Grundgedanke des Global Compact beruht auf Multi-Stakeholder-
Beteiligung und Multilateralismus. Jetzt erleben wir aber eine Zeit,
in der immer weniger Bereitschaft herrscht, gemeinsame Lösungen
zu finden. Politik und Wirtschaft sind stattdessen von Uneinigkeit
bestimmt. Konsens ist ein Fremdwort. Ist die Idee und auch das
Ideal des Global Compact also noch zeitgemäß?
Ich würde eher behaupten, dass sich unter allen Stakeholdern
zahlreiche Akteure finden lassen, die an einer Zusammenarbeit
für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft interessiert sind.
Ein gutes Beispiel für eine effektive Zusammenarbeit in diesem
Sinne stellt der dreijährige Vorbereitungsprozess der SDGs dar,
an welchem Teilnehmer aus der Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft
und Wirtschaft intensiv teilnahmen. Die SDGs wurden
dann auch einstimmig von allen 193 UN-Mitgliedstaaten im
September des vorigen Jahres verabschiedet. Ganz im Sinne
des SDG 17 geht es also darum, effektive Partnerschaften von
gleichgesinnten Stakeholdern zu schaffen, um die Agenda
2030 voranzutreiben − auch gegen Opposition. Also eine Art
„Coalition of the Willing“, aber unter anderen Vorzeichen als
denjenigen, unter denen dieser Begriff im letzten Jahrzehnt
konzipiert wurde.
Welche Impulse und Richtungsvorgaben erwartet respektive erhofft
sich das DGCN vom neuen UN-Generalsekretär António Guterres?
Als ehemaliger Regierungschef seines Heimatlandes und Hoher
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen bringt Guterres
einen idealen Erfahrungsschatz und hohe Glaubwürdigkeit in
die Position mit. Dass António Guterres zuletzt eine führende
internationale Rolle in einer Thematik ausübte, die uns in
Deutschland besonders intensiv beschäftigt, ist ein zusätzlicher
Pluspunkt aus unserer Perspektive. Er wird der UN sicherlich
neue Impulse geben, und wir erwarten, dass er ebenso wie
seine Vorgänger zu einem enthusiastischen Unterstützer des
UN Global Compact wird. Denn die effektive Einbindung der
Wirtschaft für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft ist
im Hinblick auf die erwähnten enormen sozio-ökonomischen,
ökologischen und politischen Herausforderungen heute wichtiger
denn je.
Lieber Marcel, herzlichen Dank für das Gespräch.
120 globalcompact Deutschland 2016
SDGs
Berliner Forum:
Auf dem Weg zur
Umsetzung der SDGs
Die Frage, wie die globalen Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden können, bestimmte das
inhaltliche Programm des diesjährigen Berliner Forums, welches das Deutsche Global Compact
Netzwerk (DGCN) in Partnerschaft mit econsense veranstaltet hat. Mehr als 350 Gäste kamen,
um sich über die SDGs sowie die Neuauflage der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu informieren
und auszutauschen.
Das Museum für Kommunikation in Berlin war Schauplatz der
Impulse für Nachhaltigkeit − Berliner Forum 2016. Marcel Engel,
Geschäftsleiter des DGCN und Dr. Wolfgang Große Entrup,
Vorstandsvorsitzender von econsense, konnten zahlreiche
hochrangige Sprecher und Vertreter aus der Wirtschaft, der
Politik und der Zivilgesellschaft in dem geschichtsträchtigen
Gebäude begrüßen.
Unter ihnen war auch Lise Kingo, die Exekutivdirektorin des
UN Global Compact, die es sich nicht nehmen ließ, für die
Veranstaltung extra aus New York anzureisen. Sie attestierte,
dass man einen guten Start nach der Verabschiedung der SDGs
im vorigen Jahr hingelegt habe, und es nun darum gehen müsse,
noch aktiver auf die Implementierung der Zielumsetzung in
die tägliche Praxis hinzuarbeiten.
Tanja Gönner, Vorstandsmitglied der Deutsche Gesellschaft
für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, pflichtete
ihr bei und sagte, dass es wichtig sei, nicht global mit einer
Generallösung zu arbeiten, sondern länderspezifische
Maßnahmen zu ergreifen − ganz im Geiste des Mottos des
UN Global Compact „Making Global Goals Local Business“.
Thomas Silberhorn, Staatssekretär im Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ),
unterstrich: „Es ist wichtig, dass sich die Wirtschaft unter dem
Dach der Agenda 2030 versammelt.“
In den Panels auf dem Berliner Forum diskutierten unter anderem
Lenkungskreismitglieder des DGCN, wie Dr. Meike Niedbal
von der Deutsche Bahn AG, die Rolle der Wirtschaft im Hinblick
auf die Umsetzung der SDGs, Dig