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Wagnereinmalig No. 2

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© Sabine Bonné<br />

Buchtipp:<br />

Wir leben in<br />

einer Zeit um<br />

sich greifender<br />

Verlassenheit.<br />

Mirko Bonné<br />

26 27<br />

Mirko Bonné:<br />

Feuerland<br />

Schöffling, 232 S., € 20,60<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Mirko<br />

Bonné<br />

Mirko Bonné<br />

schickt in seinem<br />

ersten Erzählband<br />

seine Figuren auf<br />

Reisen in extreme<br />

Gegenden, Situationen<br />

und Zustände<br />

und eröffnet das<br />

14. Prosafestival.<br />

Ein Gespräch mit<br />

Christoph W. Bauer<br />

Lieber Mirko, lass uns kurz in<br />

den Sommer vor dreißig Jahren<br />

zurückkehren: Du bist also<br />

einundzwanzig, machst Urlaub im<br />

Tessin und findest dich plötzlich in<br />

Innsbruck wieder – wie das?<br />

In diesem Sommer nach meinem Abitur<br />

hatte ich aus der Oberstufenbibliothek eine<br />

drei bändige Trakl-Ausgabe in meinen<br />

Besitz gebracht. Ich hatte Peter Rühmkorf<br />

zwei eigene Gedichte geschickt, die er mir<br />

zurück sandte voller Anerkennung und dem<br />

abschließenden Satz: „Tolle Gedichte,<br />

leider aber nicht Ihre. Schluss mit dem<br />

Getrakl.“ Deshalb fing ich an, mich mit<br />

Trakl ernsthaft zu beschäftigen, anstatt<br />

ihn immer tiefgreifender zu imitieren, und<br />

deshalb las ich im Sommer ’86 im Tessin<br />

Otto Basils Trakl-Monografie und trampte,<br />

als es in Bellinzona nicht aufhören wollte<br />

zu regnen, nach Innsbruck, wo ich zu<br />

Georg Trakls Grab auf dem Neuen Mühlauer<br />

Friedhof pilgerte und wo ich am Innufer<br />

den Traklpark entdeckte – Orte, die mir<br />

bis heute lieb sind als Fixpunkte der Selbstbesinnung,<br />

poetischen Inventur und Rückschau<br />

auf wie die Wasser des Inn vorbeirauschende<br />

Jahre.<br />

Nicht nur Trakl – Camus, Keats<br />

und Handke sind dir Leitsterne.<br />

Deinem jüngsten Werk, dem<br />

Erzählband „Feuerland“ stellst du<br />

ein Motto voran …<br />

Die Erzählungen in Feuerland werden von<br />

einem Satz von Lars Gustafsson eingeleitet,<br />

aus meinem Lieblingsroman von ihm, „Der<br />

Tod eines Bienenzüchters“: „Im Universum<br />

ist niemand zu Hause.“ Keine der elf<br />

Geschichten des Bandes spielt auf Feuerland<br />

oder in Patagonien, aber auf rätselhafte Weise<br />

sind die argentinisch-chilenischen Inseln<br />

im äußersten Süden von Südamerika das<br />

verbindende Motiv vieler durch das Buch<br />

wandernden Figuren. So gibt es darin die<br />

Sehnsucht nach Feuerland, Erinnerungen an<br />

Feuerland, einer filmt ein Feuer und nennt<br />

das Video „Feuerland“, einer glaubt im Fieberwahn,<br />

er sei in Feuerland … Ich selber<br />

war vor gut acht Jahren dort, als ich von<br />

Ushuaia aus mit dem Schiff<br />

in die Antarktis fuhr. Feuerland<br />

schien mir am Rand<br />

der Welt zu liegen, und<br />

schon der Name der Region<br />

ist ein für mich im poetischen<br />

Sinn sprechender,<br />

erzählt er doch von dem<br />

Glühen, das wir alle in uns<br />

tragen, von der Sehnsucht<br />

nach einem wirklicheren<br />

Leben. Lars Gustafssons<br />

Satz steht in meinen Augen<br />

übrigens mit einem meiner<br />

Lieblingsverse von Georg<br />

Trakl in enger Verbindung.<br />

In dessen Gedicht „Untergang“<br />

heißt es: „Am Abend weht von unseren<br />

Sternen ein eisiger Wind.“ Wir leben<br />

in einer Zeit um sich greifender Verlassenheit.<br />

Ich halte es für eine der vornehmsten<br />

Aufgaben der Literatur, den Menschen nicht<br />

Auswege oder Ausgänge aufzuzeigen,<br />

sondern, wie Handke sagt, Eingänge.<br />

Nach Gedichten, Romanen<br />

und Essays handelt es sich bei<br />

Feuerland um deinen ersten<br />

Erzählband. Was bewog dich<br />

dazu, dich in dieser literarischen<br />

Form auszudrücken? Worin liegen<br />

die Stärken der Erzählung in<br />

einer gegenwärtig von Romanen<br />

dominierten Literaturlandschaft?<br />

Im Grunde ist Feuerland wie ein Gedichtband<br />

entstanden. Er ist über sechzehn Jahre<br />

hinweg gewachsen, und irgendwann kam<br />

mir die Idee zu einem die Erzählungen verbindenden<br />

Motiv. Zwei oder drei Geschichten<br />

stellen überarbeitete Reste von aufgegebenen<br />

Romanprojekten dar, die meisten<br />

aber gehen auf Auftragsarbeiten zurück, und<br />

in vielen Erzählungen finde ich heute etwa<br />

Dialogstrukturen oder Figurenzeichnungen<br />

wieder, die ich später in einem Roman<br />

angewendet habe. Ganz wundervoll war<br />

es für mich, eine Geschichte wie „Schiff im<br />

Schnee“ zu schreiben, die eine der beiden<br />

erst kürzlich entstandenen ist. Darin geht es<br />

u.a. um das Wrack einer alten Lastwagenfähre,<br />

das an die Küste einer <strong>No</strong>rdseeinsel<br />

gespült wird. Diese Fähre, die „Kitty“, spielt<br />

auch in meinem Roman „Nie mehr Nacht“<br />

eine wichtige Rolle. In meiner Erzählung<br />

biete ich jedoch ein anderes Ende an, eine<br />

weitere Deutungsmöglichkeit. Überhaupt<br />

glaube ich, dass durch ihre Bündigkeit und<br />

Flexibilität Erzählungen der in Zweifel<br />

zersprungenen Realität, der Zersplitterung<br />

unserer Wahrnehmung vielleicht angemessener<br />

als die meisten Romane Ausdruck<br />

verleihen können.<br />

Lass uns abschließend noch einmal<br />

auf Georg Trakl zurückkommen.<br />

Gut zwei Wochen nach deinem<br />

Aufenthalt in Innsbruck im<br />

Januar 2016 sorgte eine Nachricht<br />

für Aufsehen: Ein unbekanntes<br />

Gedicht von Trakl wurde entdeckt.<br />

Die Spurensuche geht also weiter –<br />

auch deine?<br />

Mit Verlaub halte ich es für verfrüht, bei<br />

dem kürzlich entdeckten Gedicht von einem<br />

echten Trakl-Text zu sprechen oder gar von<br />

einer Sensation. Zweifel an der Echtheit<br />

sind hier durchaus angeraten. Hätte Trakl<br />

ein Gedicht wirklich „Hölderlin“ genannt?<br />

Und unter die beiden Strophen die Jahreszahl<br />

seines Entstehens gesetzt? Freilich<br />

geht die Spurensuche weiter, auch für mich.<br />

Ich schreibe an einem Aufsatz über Trakls<br />

Innsbrucker Jahre, der im Sommer in Quart<br />

erscheinen soll. Darin werde ich auch darauf<br />

zu sprechen kommen, dass im Falle Georg<br />

Trakl so gut wie gar nichts als gesichert<br />

gelten darf. Der Zweifel ist ein Merkmal<br />

seines Lebens und seines Werks, für mich<br />

auf beispielhafte Weise: Ich sehe mich aufgefordert,<br />

etwas entweder zu glauben oder<br />

es bleiben zu lassen.<br />

Lesung:<br />

Eröffnungslesung im Rahmen des<br />

14. Prosafestivals Innsbruck<br />

Do., 21. April 2016, 20 Uhr<br />

Stadtbücherei<br />

Mirko Bonné, Ronja von Rönne,<br />

Abbas Khider, Christian Uetz<br />

Fr., 22. April 2016, 20 Uhr<br />

Freies Theater<br />

Radek Knapp, Harald Darer,<br />

Hans Platzgumer, Thomas Meyer<br />

Sa, 23. April 2016, 20 Uhr<br />

VIERUNDEINZIG<br />

Cornelia Travnicek, Michal<br />

Hvorecký, Michelle Steinbeck,<br />

Henrik Szanto

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