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Wagnereinmalig No. 2

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© Fotowerk Aichner<br />

Ich habe<br />

ein Buch<br />

lang über<br />

mein Schreiben<br />

nachgedacht.<br />

Barbara Hundegger<br />

38<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

„dein wörterkopfball kämpft mit<br />

wind“, das ist der Titel der Poetik-<br />

Vorlesung, die du im Mai/Juni im<br />

Literaturhaus am Inn abhalten<br />

wirst. Du äußerst dich darin<br />

„kämpferisch“. Wie hängen Poetik<br />

und Politik für dich zusammen?<br />

Politik bestimmt die Bedingungen und<br />

Umstände, unter denen wir leben, sie beeinflusst<br />

unsere Möglichkeiten, aber auch die<br />

„Stimmungen“, die herrschen, innerlich wie<br />

äußerlich. Das künstlerisch auszublenden<br />

käme einer Verkürzung, einer Simplifizierung<br />

und Verharmlosung gleich und würde<br />

wirkmächtige Aspekte von Wirklichkeit einfach<br />

ignorieren. Wenn man aber, so wie ich,<br />

Kunst/Literatur/Poesie als komplexe Atmosphärenforschung<br />

begreift, kann man Teile<br />

dieser Atmosphäre nicht einfach weglassen<br />

und es sich im „lyrischen Garten“, als den<br />

die meisten die Lyrik ja immer noch sehen,<br />

quasi gemütlich machen, während draußen<br />

Herrschaftstechniken, Zaun-Architekten,<br />

„Sachzwänge“, Dunkelziffern usw. sich austoben.<br />

Dieses Radikal-Gegenwärtige unter<br />

Einbeziehung des jeweils quasi als „persönlich“<br />

Empfundenen poetisch hochwertig<br />

anzugehen ist es, was mich reizt.<br />

Du hast einmal gesagt, die Lektüre<br />

des Wörterbuchs sei für dich<br />

eine der spannendsten Lektüren<br />

gewesen. Inwiefern?<br />

Den ganzen Duden einfach als Buch durchgelesen<br />

habe ich im Zuge meines Lyrikbandes<br />

„schreibennichtschreiben“ (2009), in<br />

welchem ich mich nach einer langwierigen<br />

und sehr einschränkenden gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigung – die auch vieles relativiert<br />

hat – meines Tuns wie neu versichern<br />

hab’ müssen, und ich habe deshalb ein Buch<br />

lang über das und über mein Schreiben<br />

nachgedacht. So ein Wörterbuch eröffnet ja<br />

erst den ganzen Horizont der Möglichkeiten<br />

des Materials! Wenn man sich nur kurz in<br />

die Vorstellung versenkt, was aus diesem<br />

Grundstoff von 26 Buchstaben des Alphabets<br />

an Werken herausgekommen ist, wird<br />

einem/einer ja schwindlig, so atemberaubend<br />

ist das.<br />

Barbara<br />

Hundegger<br />

… plädiert für<br />

mehr Lyrik im<br />

öffentlichen Raum<br />

und mehr Gegenwärtiges<br />

in der<br />

Lyrik. Ein Gespräch<br />

mit Anna<br />

Rottensteiner und<br />

Gabriele Wild<br />

39<br />

Die Wörterbuchlektüre hat mich endgültig<br />

und unheilbar zum Sprach-Fan gemacht –<br />

denn in der Sprache ist alles schon da.<br />

Es geht also mehr ums Finden als ums<br />

Erfinden. Und so fand praktisch gleichzeitig<br />

eine endgültige Heilung statt: von der<br />

schriftstellerischen Attitüde, über Sprache<br />

herrschen zu können.<br />

Zu deinem künstlerischen<br />

Schaffen gehören auch<br />

verschiedene Kunstprojekte im<br />

öffentlichen Raum, wie man<br />

zuletzt in deinem Plakatprojekt<br />

„PAMPA PAMPA“ sehen konnte.<br />

Du hast auch den Begriff „public<br />

poetry“ geprägt: Was bedeutet<br />

Kunst im öffentlichen Raum für<br />

dich?<br />

„PAMPA PAMPA – milieu innsbruckwest“,<br />

das war ein Herzensprojekt von mir.<br />

Ich komme ja aus der Höttinger Au, bin<br />

am Mitterweg in den von Äckern und<br />

Gärtnerdynastien umgebenen Bauboom-<br />

Rohbau-Landschaften der 1960er-/70er-<br />

Jahre aufgewachsen, und dass letztes Jahr<br />

endlich die Umsetzung der Idee einer<br />

„Bespielung“ der Plakatflächen rund um<br />

die Wiese in der Exlgasse in Zusammenarbeit<br />

mit Christine Prantauer gelungen ist, hat<br />

mich echt glücklich gemacht. Ich habe aber<br />

auch schon einen ÖBB-Sicherheitsstollen<br />

des Brennerbasistunnels mit Texten zum<br />

Brennerbasistunnel versehen (55 Drei-<br />

Zeiler, für jeden Kilometer einen!), im<br />

Rahmen der Erich-Fried-Tage in Wien die<br />

Fenster des Literaturhauses mit auf Plexi<br />

aufgezogenen Texten/Fotos zu Flucht und<br />

Migration gestaltet („blossom dust maps“)<br />

oder Lyrik für das Projekt und den Film zum<br />

Thema Betteln der Initiative Minderheiten<br />

„entworfen“.<br />

Lyrik und Text gehören quasi an die Luft<br />

und unter die Leut’! Ich sehe überall Wände,<br />

Flächen, Zonen, die wunderbar, berührend,<br />

witzig, rätselhaft usw. mit Text arbeiten<br />

könnten – das schwebt mir mit meiner<br />

„public poetry“ vor. Und gerade die Lyrik<br />

wäre prädestiniert dafür: weil sie schaut ja<br />

so kurz aus.<br />

„public poetry“ wäre ein Ansatz aus den<br />

konventionellen Literatur-Bahnen hinaus.<br />

Denn Bücher können auch das sein: Gräber<br />

mit zwei Deckeln – wenn auch welche der<br />

allerschönsten davon.<br />

Barbara Hundegger, geboren 1963 in Hall in Tirol,<br />

hält von 31.5.–2.6. die Innsbrucker Poetik-Vorlesung<br />

im Literaturhaus am Inn und tritt am 17.6. im Rahmen<br />

des 2. Lyrik-Festivals Innsbruck W:ORTE mit einer<br />

Musik- und Textperformance auf. Jüngste Publikation:<br />

„wie ein mensch der umdreht geht – dantes läuterungen<br />

reloaded“ (Haymon 2014).<br />

Buchtipp:<br />

Barbara Hundegger:<br />

wie ein mensch der umdreht<br />

geht – Dantes Läuterungen<br />

reloaded. Gedichte.<br />

HAYMON, 120 S., € 17,90<br />

W:ORTE –<br />

2. Lyrikfestival<br />

Innsbruck:<br />

16. – 20. Juni 2016<br />

u.a. mit José F.A. Oliver, Erica<br />

Zingano, Odile Kennel, Barbara<br />

Hundegger & Innstrumenti,<br />

Jan Wagner, Robert Prosser,<br />

Babelsprech, Ulf Stolterfoht,<br />

Ferdinand Schmatz und Durs<br />

Grünbein. Weitere Infos unter<br />

www.wagnersche.at

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