Wagnereinmalig No. 2
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Das Buchmagazin der Wagner’schen Universitätsbuchhandlung — 03.2016<br />
Wagner<br />
eı˙nmalı˙g<br />
#<strong>No</strong>. 2
Impressum<br />
Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich:<br />
Wagner’sche Universitätsbuchhandlung, Medici Buchhandels GmbH,<br />
Museumstraße 4, 6020 Innsbruck<br />
info@wagnersche.at — www.wagnersche.at<br />
Redaktion: Robert Renk<br />
© der Textbeiträge bei den Autorinnen und Autoren<br />
Grafische Ausstattung: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau / Tirol<br />
Fotografie (so nicht anders angegeben): Thomas Schrott<br />
© der Abbildungen bei den jeweiligen Rechteinhabern<br />
„Schwebende Bücher in Gips“ (Titel) von Thomas Schrott/Gracia Kasenbacher-Harar<br />
Druck: Alpina Druck, Innsbruck<br />
Fehler, Änderungen und Irrtümer vorbehalten.<br />
2<br />
© 03.2016 – alle Rechte vorbehalten<br />
Bücher seit 1639<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Als einmalige Ausgabe<br />
war es angedacht, unser<br />
Eröffnungsmagazin<br />
„Wagner einmalig <strong>No</strong>. 1“,<br />
nun können wir Ihnen<br />
bereits das zweite Buchmagazin<br />
präsentieren.<br />
Das positive Echo von<br />
Seiten unserer Kunden<br />
und das großartige Feedback<br />
aus der Buchbranche<br />
waren Grund genug,<br />
dieses Serviceinstrument<br />
für unsere Kunden weiter<br />
herauszugeben. Somit<br />
können wir Ihnen unsere<br />
Bücherlieblinge des Frühjahrs<br />
präsentieren, unsere<br />
Veranstaltungen ankündigen<br />
und unsere Ideen und<br />
Visionen mit Ihnen teilen.<br />
Heinrich Heine hat einmal<br />
gesagt: „Von allen Welten,<br />
die der Mensch erschaffen<br />
hat, ist die der Bücher die<br />
gewaltigste.“ Tauchen Sie mit<br />
uns gemein sam ein in die<br />
wunderbare Welt der Bücher.<br />
Markus Renk (re.), Markus Hatzer<br />
Inhalt<br />
6 1639. Die Meierei<br />
Dachgarten, Kochen & Natur. Nina Rettenbacher im Interview.<br />
14 Michael Krüger<br />
Ein Gespräch mit Dorothea Zanon.<br />
16 Hans Platzgumer<br />
Boris Schön über den Erfolgsautor und den Innsbrucker Literaturbetrieb.<br />
18 Lena Avanzini<br />
Wie man eine neue Kommissarin erfindet.<br />
20 Susanne Gurschler<br />
über 111 Orte in Tirol<br />
21 Krimi<br />
Wochenendgespräche und Stefan Slupetzkys neuer Roman – 30. März 2016<br />
24 Thomas Glavinic<br />
im Gespräch mit Christine Lötscher – Buchpräsentation am 12. April 2016<br />
26 Mirko Bonné<br />
Er eröffnet das 14. Prosafestival in Innsbruck – 21.–23. April 2016<br />
28 Antonio Fian<br />
Der Dramolettkönig zu Gast in Innsbruck – 28. April 2016<br />
30 Doron Rabinovici<br />
Er eröffnet die 11. Tagung der PsychTransKultAG am 29. April 2016<br />
32 Der Residenz Verlag<br />
zu Gast in der Wagner’schen am 9. Mai 2016<br />
34 Grenzgänge<br />
Alex Capus und Sepp Mall zu Gast in der Stadtbücherei – 13. Mai 2016<br />
36 Museum der Träume<br />
Franz Schuh entdeckt das Lächeln – 31. Mai 2016<br />
38 Barbara Hundegger<br />
W:ORTE – 2. Lyrikfestival 16.–20. Juni 2016<br />
40 MEDICIn<br />
Buchpräsentation und Kurse<br />
42 Mit den besten Empfehlungen<br />
48 3×7 Best aber Seller
Vieles hat sich getan,<br />
vieles wird sich tun<br />
Von urbanen Gartenprojekten, beliebten Fotomotiven und den<br />
bislang 168 spannendsten Tagen meines Buchhändlerlebens …<br />
© Stephan Elsler<br />
Im Frühjahr<br />
besuchen uns<br />
bedeutende<br />
heimische und<br />
internationale<br />
Autorinnen<br />
und Autoren.<br />
Markus Renk<br />
4 Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Vor 168 Tagen haben wir mit der Übernahme<br />
der Traditionsbuchhandlung<br />
Wagner’sche ein wunderbares Wagnis<br />
begonnen. Innerhalb 168 Tagen haben wir<br />
für Sie 113.482 Bücher eingekauft, viele<br />
davon an Sie verkauft, das Geschäft umgebaut,<br />
umgeräumt, Schwerpunkte gebildet,<br />
zahlreiche Veranstaltungen organisiert,<br />
Kundenkontakte geknüpft und uns oft und<br />
gerne von unseren Kundinnen und Kunden<br />
loben lassen. Viel hat sich getan, vieles<br />
haben wir noch vor, aber eines ist uns schon<br />
jetzt gelungen: Die Wagner’sche konnte<br />
wieder als kompetente Buchhandlung positioniert<br />
werden. Jetzt gilt es, die Strukturen<br />
zu festigen und unsere Ideen und Vorhaben<br />
weiter zielstrebig umzusetzen.<br />
Gleich mit der Übernahme war unser<br />
Internetshop www.wagnersche.at online<br />
und unsere Kundenkarte wurde ins Leben<br />
gerufen – beide erfreuen sich übrigens<br />
großer Beliebtheit. Unsere Facebook-Seite<br />
www.facebook.com/wagnersche bietet aktuelle<br />
Informationen an alle Buchliebhaber<br />
und Fans. Auf unserer Instagram-Seite<br />
www.iconosquare.com/wagnersche_<br />
buchhandlung halten wir die wichtigsten<br />
Ereignisse bildlich fest. Unsere ersten<br />
Newsletter konnten bereits an einen erfreulich<br />
großen Verteiler versendet werden.<br />
Sollten Sie noch keines dieser Kundeninstrumente<br />
nutzen, freuen wir uns auf einen<br />
Besuch Ihrerseits. Das erste Kundenmagazin<br />
Wagner einmalig löste im gesamten<br />
deutschsprachigen Buchhandel großes Lob<br />
aus. Grund genug, Ihnen hiermit unsere<br />
zweite Nummer zu präsentieren.<br />
Unsere Schaufenster und der nur noch<br />
wenige Tage bestehende Bauzaun waren ein<br />
vielgenutztes Fotomotiv in Innsbruck. Also<br />
noch schnell kommen und den Bauzaun<br />
begutachten, solange er noch steht!<br />
Aber viel mehr interessiert Sie wahrscheinlich,<br />
was alles noch kommen wird.<br />
Alles können wir natürlich an dieser Stelle<br />
nicht verraten, aber ein paar konkrete<br />
Dinge darf ich doch ausplaudern.<br />
5<br />
Das erste und wichtigste: Das Team der<br />
Wagnerianer ist größer geworden, bereits<br />
jetzt können wir neue Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter in unserer Mitte begrüßen –<br />
und das ist schön! Thomas möchte den<br />
wundervollen Beruf des Buchhändlers bei<br />
uns lernen. Mit Lena und Daniela konnten<br />
wir zwei Profis aus dem Buchhandel und<br />
dem Verkauf für uns gewinnen. Unsere<br />
Sortiments-Schwerpunkte Literatur, Kulinarik,<br />
Kinderbuch und das Fachbuch konnten<br />
weiter ausgebaut werden.<br />
Über weitere Neuigkeiten, wie z. B. unser<br />
urbanes Gartenprojekt, wird in diesem Heft<br />
noch berichtet. Und in wenigen Wochen<br />
beginnen wir mit unserem Bücher-Lunch<br />
am Sonntag in der Wagner’schen, dabei<br />
können Sie nicht nur am Sonntag in Büchern<br />
schmökern, sondern werden von Nina<br />
Rettenbacher auch kulinarisch verwöhnt.<br />
Beim Fachbuch wird das Thema Weiterbildung<br />
im Vordergrund stehen, hier<br />
bieten wir zahlreiche Veranstaltungen und<br />
Workshops mit den Bildungshäusern in der<br />
Wagner’schen an, und im Bereich Literatur<br />
werden wir den Weg, schöne und exklusive<br />
Buchausgaben anzubieten, auch im fremdsprachigen<br />
Bereich weiter fortsetzen. Dies<br />
soll sich auch im Bereich Facebook widerspiegeln,<br />
wo wir eigene Channels für die<br />
Schwerpunkte anbieten werden, beginnend<br />
mit dem Thema Kochen und Garten.<br />
Unter dem Motto „Gerade im Fokus“<br />
finden unsere Kundinnen und Kunden im<br />
Eingangsbereich wöchentlich die Trends in<br />
den wichtigsten Buchbereichen zusammengestellt.<br />
So können Sie sich in nur fünf Minuten<br />
einen Überblick über die Highlights<br />
dieser Woche verschaffen.<br />
Und last but not least möchten wir Sie<br />
wieder zu wirklich tollen Veranstaltungen<br />
einladen. Nachdem wir zuletzt Größen wie<br />
Michael Krüger und Friedrich Achleitner bei<br />
uns begrüßen durften, besuchen uns auch<br />
im Frühjahr bedeutende heimische und internationale<br />
Autorinnen und Autoren – mehr<br />
darüber auf den kommenden Seiten.<br />
Viel Vergnügen beim Lesen<br />
wünscht Ihnen Ihr<br />
Markus Renk<br />
Bücher-Lunch:<br />
Literarische und<br />
kulinarische Spezialitäten.<br />
Die Wagner’sche ladet Sie<br />
zu einem besonderen Event ein:<br />
Genießen Sie am Sonntag<br />
im geschlossenen Rahmen<br />
die Buchhandlung und<br />
entspannen Sie bei einem<br />
kulinarischen Bücher-Lunch<br />
mit leckeren Köstlichkeiten<br />
von Nina Rettenbacher.<br />
Begrenzte Plätze –<br />
sichern Sie sich Ihre Karte!<br />
Unkostenbeitrag für Essen und<br />
Getränke: € 20,–<br />
Termine und nähere Informationen:<br />
www.wagnersche.at/1639-<br />
meierei-kaffee<br />
Wagner’sche Buchhandlung<br />
Museumstraße 4<br />
6020 Innsbruck
© Thomas Schrott<br />
Interview Nina<br />
Nina Rettenbacher, Chefin des „1639. Die Meierei“,<br />
ist leidenschaftliche Köchin. Und noch lieber Gärtnerin.<br />
Ein Gespräch mit Irene Heisz über Urban Gardening,<br />
lokale Qualität und globale Zusammenhänge.<br />
Ich möchte die<br />
erste Innsbrucker<br />
Innenstadtbäuerin<br />
werden.<br />
Nina Rettenbacher<br />
Was tut sich denn zurzeit<br />
im Meierei-Garten?<br />
Der Garten, der bis jetzt ja hauptsächlich<br />
in meinem Kopf existierte, wird langsam<br />
Wirklichkeit. Wenn Mitte Mai die Bautätigkeit<br />
im Haus abgeschlossen ist, fange ich<br />
mit dem Pflanzen an.<br />
Was wird die Besucherin im<br />
Vollausbau erwarten?<br />
180 qm Dachterrasse mit 15 Hochbeeten<br />
und an die zwei Dutzend Pflanzentrögen –<br />
Beeren, Kräuter, Gemüse, viele exotische<br />
Pflanzen und essbare Blumen. Und mittendrin<br />
Liegestühle. Meine Traumvorstellung<br />
ist der alte Bauerngarten meiner Oma in der<br />
Steiermark, aus dem an die 15 Menschen<br />
versorgt wurden. Das hat mich schon als<br />
Kind fasziniert, obwohl ich Panik vor Regenwürmern<br />
hatte. Meine größte Herausforderung<br />
war, Regenwürmer, die mir beim<br />
Umstechen unterkamen, zum Hühnerstall zu<br />
bringen. Heute sehe ich das ein bissl anders.<br />
Heute sind die Regenwürmer<br />
deine Mitarbeiter.<br />
Ganz genau. Ich werde demnächst sogar<br />
eine Regenwurmkiste haben.<br />
Lässt sich benennen, wie hoch der<br />
Eigenbau-Anteil im Restaurant<br />
sein kann?<br />
Der Garten wird natürlich viel zu wenig<br />
abwerfen. Aber ich habe die Option, auch<br />
das Flachdach unseres Nachbarn Hörtnagl<br />
zu bewirtschaften. Das wären noch einmal<br />
800 Quadratmeter. Und vor allem veranstalten<br />
die Kochbuchabteilung und ich Kochkurse<br />
für Kinder, dafür reicht es allemal.<br />
Kindern den Bezug zum Ursprung<br />
ihres Essens beizubringen, ist eine<br />
Grundidee?<br />
Da muss ich ausholen. Mein bald 16-jähriger<br />
Sohn ist ein leidenschaftlicher, experimentierfreudiger<br />
Ninas Buchtipp:<br />
Esser. Aber wenn ich sage:<br />
„Geh, hol mir schnell den Lauch aus dem<br />
Kühlschrank!“, sehe ich ein Fragezeichen in<br />
Lotta Lundgren:<br />
Komm du mir nach Hause<br />
Das Kochbuch für die<br />
perfekte Ehefrau<br />
Umschau, 180 S., € 41,20<br />
6 7<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
seinem Gesicht. Heißt: Er kennt vieles auf<br />
dem Teller, aber selbst ihm fehlt der Bezug<br />
zur ursprünglichen Pflanze.<br />
Tust du dir deswegen zusätzlich<br />
zum Restaurant einen Garten an?<br />
Der eigentliche Grund und mein großes Ziel<br />
ist: Ich möchte die erste Innsbrucker Innenstadtbäuerin<br />
werden.<br />
Urban Gardening liegt voll<br />
im Trend, ist aber ein alter Hut.<br />
Vor der Erfindung schneller<br />
Transportmöglichkeiten und<br />
des Kühlschranks musste<br />
man Verderbliches in den<br />
Ballungsräumen anbauen.<br />
<strong>No</strong>ch Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
erzeugten mitten in Paris<br />
8500 Gärtner jährlich an die<br />
100.000 Tonnen Obst und<br />
Gemüse. Wie wichtig ist dir der<br />
sozioökonomische Aspekt eines<br />
Nutzgartens in der Stadt?<br />
Regionalität lebe ich schon immer, für mich<br />
ist das nichts Besonderes. Wir haben hier im<br />
Umland hohe Qualität, du musst sie nur finden.<br />
Ich freue mich über jedes schöne Stück<br />
Fleisch oder Gemüse und hoffe, dass sich<br />
meine Euphorie auf die Menschen überträgt,<br />
für die ich kochen darf.<br />
2008 stellte der englische Land -<br />
wirtschaftsexperte Ewen Cameron<br />
die These auf, dass wir lediglich<br />
„nine meals from anarchy“ entfernt<br />
seien. Eine große Naturkatastrophe<br />
wie der Hurrikan Katrina 2005<br />
in New Orleans – und binnen<br />
drei Tagen brechen anarchische<br />
Zustände aus, weil den Menschen<br />
das Essen ausgeht.<br />
Ich denke, da ist etwas Wahres dran. Kriege<br />
werden letztlich immer um Rohstoffe oder<br />
Nahrung geführt. Wir in unserer Wohlstandsgesellschaft<br />
sind nur nicht mehr ans<br />
Haushalten gewöhnt. Es passiert mir im<br />
Restaurant immer wieder, dass ich auf<br />
blankes Unverständnis stoße, wenn ich sage,<br />
dieses oder jenes sei mir ausgegangen. Dann<br />
höre ich: „Aber ich bezahl’s doch!“ Als ob<br />
es darum ginge … Eines Tages werden wir<br />
wieder einsehen, dass wir nicht immer und<br />
jederzeit alles haben können. Aber diese<br />
Umstellung wird uns schwer fallen.<br />
So sympathisch Urban Gardening<br />
auch ist: Eine allgemein anwendbare<br />
Lösung für die großen<br />
Pro bleme der Welt ist es seit der<br />
Entwicklung der arbeitsteiligen<br />
Gesellschaft nicht mehr.<br />
Ich finde es toll, dass es auch in Innsbruck<br />
Gemeinschaftsgärten gibt, die von ein paar<br />
Menschen mit Zeit, Lust und Muße bewirtschaftet<br />
werden. Aber es ist völlig illusorisch<br />
zu glauben, dass wir unsere Landwirtschaft<br />
wieder so hochfahren könnten,<br />
dass sich auch nur eine Stadt wie Innsbruck<br />
selbst versorgen könnte. Da steckt viel mehr<br />
dahinter, u.a. würde eine ganze Marktwirtschaft<br />
zusammenbrechen.<br />
Die Sache ist tatsächlich<br />
komplex. Ich kann schon auf<br />
Äpfel aus Südafrika verzichten<br />
und nur noch Südtiroler Äpfel<br />
kaufen. Aber wer braucht meine<br />
Unterstützung als Konsumentin<br />
mehr – die Arbeiter in einer<br />
südafrikanischen Apfelplantage<br />
oder die Südtiroler Apfelbauern?<br />
Ich bin eine Freundin von Fair Trade und<br />
ähnlichen Gütesiegeln, etwa Nachhaltigkeitszertifikaten<br />
für Fischerei. Wie schwierig<br />
oder einfach die zu bekommen sind, weiß<br />
ich nicht, vielleicht bin ich da ja naiv. Aber<br />
an irgendwas muss ich mich als Konsumentin<br />
festklammern. Ein waches Bewusstsein<br />
für Nachhaltigkeit ist das Mindeste, was ich<br />
mir leisten will – und das ist es auch, was<br />
ich meinem Sohn mitgeben kann.<br />
Öffnungszeiten:<br />
Montag bis Freitag: 9 – 17 Uhr<br />
Samstag: 9 – 14 Uhr<br />
Sonn- & Feiertage geschlossen<br />
T. +43 650 940308 0
Sehnsuchtsort Kräutergarten<br />
So kommt der Duft des Südens zu Ihnen nach Hause:<br />
Die Biogarten-Expertin Andrea Heistinger gibt uns<br />
nützliche Tipps. Ein Gespräch mit Anita Winkler<br />
Die Wiederentdeckung<br />
der Haltbarkeit<br />
Warum es Spaß macht, selbst einzukochen. Von Anita Winkler<br />
Buchtipp:<br />
Andrea Heistinger/<br />
Arche <strong>No</strong>ah:<br />
Kräuter richtig anbauen<br />
Das Praxisbuch für Biogarten,<br />
Topf und Balkon.<br />
Vielfalt in über 100 Sorten<br />
Löwenzahn Verlag, ca. € 24,90<br />
Erscheint Ende April 2016<br />
Workshop:<br />
Kräuter richtig anbauen<br />
Mit Andrea Heistinger<br />
Mi., 25. Mai 2016, 15 – 17 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Um Anmeldung wird gebeten.<br />
Eintritt frei!<br />
© Rupert Pessl<br />
Frische Kräuter sind vielfältig verwendbar<br />
und verfeinern jede Speise auf einzigartige<br />
Weise. Sehnen wir uns nicht alle nach dem<br />
sommerlichen Geschmack von frischem<br />
Basilikum? Die Biogarten-Expertin Andrea<br />
Heistinger gibt uns nützliche Tipps für den<br />
perfekten Kräutergarten.<br />
Worauf muss man beim Anbau<br />
von Kräutern auf dem Balkon<br />
bzw. im eigenen Garten achten?<br />
Es ist sehr sinnvoll, sich im Vorfeld<br />
Gedanken über die Planung eines Kräutergartens<br />
zu machen. Damit ist gemeint, dass<br />
man den gewünschten Standort genauer<br />
betrachtet und überlegt, welche klimatischen<br />
Bedingungen dort vorherrschen. Vor<br />
allem mediterrane Kräuter schätzen einen<br />
sonnigen und wettergeschützten Platz und<br />
brauchen unbedingt einen gut durchlässigen<br />
und kalkhaltigen Boden. In Tirol sind<br />
die Winter hart, ein mehrjähriger Majoran<br />
gedeiht deshalb am besten in einem großen<br />
25-Liter-Topf; überwintern kann die Pflanze<br />
in einem kühlen Raum, der allerdings nie<br />
unter null Grad haben darf. Andere Kräuter,<br />
beispielsweise Schnittlauch oder Petersilie,<br />
gedeihen sehr gut im Halbschatten und<br />
können auch am Balkon draußen überwintern.<br />
Viele Menschen, die zum ersten Mal<br />
gärtnern, kaufen viel zu viele Pflanzen und<br />
setzen diese dann zu dicht. Die Auswahl an<br />
einjährigen, mehrjährigen, rankenden und<br />
freistehenden Pflanzen ist riesengroß, daher<br />
sollte man unbedingt vor dem Start überlegen,<br />
wie groß die Anbaufläche ist oder<br />
wie viele Töpfe man bepflanzen möchte und<br />
welche Bedingungen im eigenen Garten<br />
herrschen. Nicht selten entscheidet auch die<br />
Pflanzensorte über den gärtnerischen Erfolg!<br />
Wie kann ich Kräuter selber<br />
ziehen? Basilikum zum Beispiel?<br />
Es empfiehlt sich, qualitativ hochwertige<br />
Samen zu kaufen. Aussaaterde soll feinkrümelig<br />
sein und soll nicht aufgedüngt werden.<br />
Viele Kräuter sind Lichtkeimer – etwa<br />
Basilikum, Majoran, Dill oder Kümmel –<br />
und dürfen nur fein mit Erde übersiebt<br />
werden. Wenn die Pflanzen vier bis fünf<br />
Zentimeter hoch sind, verpflanzt man sie<br />
direkt in kleine Töpfe – auch wieder in Aussaaterde.<br />
Den unteren Teil des Topfes kann<br />
man aber schon mit aufgedüngter Topferde<br />
füllen. Kleine Basilikum-Pflänzchen reagie-<br />
ren nämlich heikel, wenn man sie direkt in<br />
stärker gedüngte Erde setzt. Basilikum sät<br />
man ab Anfang April aus. Diese wunderbare<br />
Gewürzpflanze darf erst ins Freie, wenn es<br />
wirklich warm genug ist, Ende Mai/Anfang<br />
Juni. Basilikum schmeckt sehr aromatisch<br />
und erfreut sich großer Beliebtheit, aber<br />
es ist und bleibt die Diva unter den Kräutern!<br />
Sie will permanente Aufmerksamkeit,<br />
konstante Wärme, nicht zu viel, aber bloß<br />
auch nicht zu wenig Wasser! Hält man diese<br />
Regeln ein, dann ist das Ernten ein wahrer<br />
Genuss für alle Sinne. Übrigens: Es gibt<br />
verschiedene Sorten, auch mehrjähriges<br />
Basilikum. Das Überwintern gelingt nur auf<br />
vollsonnigen, aber kühlen Plätzen im Haus.<br />
Sonst kümmert die Pflanze vor sich hin.<br />
Doch zwei Haltungsformen von Basilikum<br />
gelingen im Winter immer: eingemacht als<br />
Pesto oder getrocknet als Tee.<br />
Welche Kräuter lieben Sie ganz<br />
besonders?<br />
Das ist eine schwere Frage! Es gibt so viele<br />
tolle Kräuter, so viele unterschiedliche<br />
Geschmäcker, so viele Zubereitungsarten.<br />
Das wichtigste ist, dass ein Kräutergarten<br />
möglichst in Küchennähe ist. Kräuter müssen<br />
griffbereit sein. Wenn ich einen Erdäpfelteig<br />
mache, gebe ich gerne fein gehackten<br />
Pinien-Rosmarin rein. Ein herrlicher Abendtee<br />
ist der Griechische Bergtee, der auch<br />
Wunder wirkt, wenn ich viel reden muss.<br />
An einem heißen Sommertag ist nichts so<br />
erfrischend wie Minze. Viele Kräuter sind<br />
beste Bienenweiden und ziehen auch andere<br />
Insekten an. Wer Muskateller-Salbei pflanzt,<br />
wird auch bald Besuch von den wunderschönen<br />
schwarzen Holzbienen bekommen.<br />
In meinen Kräuterbeeten surrt und wimmelt<br />
es nur so vor schönen Insekten. Es ist jedes<br />
Jahr aufs Neue spannend, wer sich aller<br />
wieder einfinden wird. Lavendel duftet wunderbar<br />
und blüht im Frühsommer prächtig!<br />
Wächst die Pflanze im Garten, benötigt sie<br />
nicht viel Wasser und soll so karg wie möglich<br />
stehen. Im Topf allerdings muss man sie<br />
regelmäßig gießen.<br />
8 9<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Rosemarie Zehetgruber kennt als Ernährungswissenschaftlerin<br />
alle Tricks und<br />
Tipps, wenn es um das schonende Haltbarmachen<br />
von Obst, Gemüse, Kräutern und<br />
Pilzen geht. Vorteile von selbst gemachtem<br />
Vorrat gibt es viele – entscheidend ist, dass<br />
mit den richtigen Anleitungen und Rezepten<br />
auch die Freude nicht zu kurz kommt.<br />
Wann ist der richtige Zeitpunkt,<br />
um Obst und Gemüse zu<br />
konservieren?<br />
Der beste Zeitpunkt ist gleich nach der Ernte<br />
oder dem Einkauf. So frisch wie möglich<br />
muss man es verarbeiten. Mit der Zeit<br />
kommt die Erfahrung, welche Früchte in<br />
welcher Form am besten, köstlichsten und<br />
effizientesten haltbar gemacht werden.<br />
Wenn man zum Beispiel im Sommer sehr<br />
viel Basilikum hat, dann kann man es<br />
einfach rasch pürieren und das Kräuter -<br />
püree einfrieren. Wenn man dann im Winter<br />
Lust auf Spaghetti al Pesto bekommt,<br />
dann kann man das Püree auftauen und<br />
erst dann entsprechend mit Öl, Nüssen<br />
und Parmesan verfeinern. Das ist unkom -<br />
p liziert und spart Zeit.<br />
Für unsere Großeltern war<br />
das Haltbarmachen von<br />
Obst und Gemüse quasi<br />
überlebensnotwendig. Warum ist<br />
dieses alte Wissen in der heutigen<br />
Zeit wieder so gefragt?<br />
Heute geht es vor allem um ein Gefühl<br />
der Selbstbestimmtheit, um den unvergleichlichen<br />
Geschmack, aber auch um<br />
den Gesundheitsaspekt. Lebensmittel mit<br />
so wenigen Zusatzstoffen wie möglich bekomme<br />
ich dann, wenn ich selbst bestimme,<br />
was drin ist. Auch geschmacklich kann ich<br />
mich dadurch individuell austoben: wie viel<br />
Zucker, wie viel Zimt soll ins Apfelmus …<br />
alles absolute Vorteile gegenüber fertig<br />
gekauften Produkten. Außerdem hat man<br />
so auch immer einen praktischen Vorrat zur<br />
Hand, wenn es mal schnell gehen muss.<br />
Nicht zuletzt macht es auch Freude, das<br />
Werk der eigenen Hände abgefüllt in schöne<br />
Gläser bewundern, oder auch verschenken<br />
zu können!<br />
Lohnt sich denn die Arbeit<br />
beim Einkochen, Einlagern,<br />
Konservieren?<br />
Ja, auf jeden Fall. Vor allem, wenn man seine<br />
Familie das ganze Jahr mit geschmackvollem<br />
und gesundem Essen versorgen möchte.<br />
Natürlich gibt es besonders im Sommer und<br />
Herbst viel zu ernten und zu verarbeiten.<br />
Aber wie bei allem beansprucht das Konservieren<br />
gerade so viel Zeit, wie Sie dafür aufbringen<br />
möchten. Neues zu probieren, selbst<br />
einzukochen, zu saften und zu fermentieren<br />
bietet auch Entspannung und Ausgleich.<br />
Es ist ein Aufwand, der belohnt wird – mit<br />
natürlichem Geschmack, mit praktischen<br />
Fertigprodukten wie etwa Sugo, Pesto oder<br />
Kompotten, die schnell zur Hand sind, wenn<br />
einmal keine Zeit zum Kochen bleibt. Und<br />
am Ende sparen selbst gemachte Marmeladen,<br />
Chutneys und Co auch den einen oder<br />
anderen Euro beim Einkauf.<br />
Was ist ein einfaches und<br />
schnelles Rezept, das Sie gerne<br />
zu Hause machen?<br />
Ich mag ganz besonders die roh gerührte<br />
Konfitüre. Sie brauchen nicht einmal den<br />
Herd dafür anzuschalten. Saftige, aromatische<br />
Früchte werden zerkleinert bzw.<br />
Beeren zerdrückt. Dann kommt Zucker nach<br />
Geschmack dazu. Die Mischung über Nacht<br />
kühl stellen und am nächsten Tag so lang<br />
im Mixgerät rühren, bis sich Zucker und<br />
Früchte gut verbunden haben. Mit Johannisbrotkernmehl<br />
oder Agar-Agar eindicken.<br />
Eventuell mit etwas Zitronensaft abschmecken.<br />
In saubere Gläser abfüllen, gut<br />
verschließen und bei Kühlschranktemperatur<br />
aufbewahren. Roh gerührte Konfitüren<br />
sind je nach Zuckergehalt bis zu mehreren<br />
Wochen haltbar.<br />
Wenn Sie selbst gerne einkochen oder wenn<br />
Sie in Zukunft mehr gesunden Vorrat anlegen<br />
möchten, dann finden Sie alles Wissenswerte<br />
und viele köstliche Rezepte im neuen<br />
Buch der Autorin. Nicht verpassen: Einen<br />
Einblick und eine Kostprobe gibt es am<br />
7. Juli 2016 in der Wagner’schen Buchhandlung!<br />
© Rita Newman<br />
Buchtipp:<br />
Rosemarie Zehetgruber:<br />
Praxishandbuch Natürlich<br />
Konservieren<br />
Vorrat aus Gemüse, Obst und<br />
Kräutern das ganze Jahr genießen.<br />
Alle Methoden & einfache Rezepte<br />
Löwenzahn Verlag, ca. € 29,90<br />
Erscheint Ende März 2016<br />
Workshop:<br />
Praxishandbuch<br />
Natürlich konservieren<br />
Mit Rosemarie Zehetgruber<br />
Mi., 7. Juli 2016, 15 – 17 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Um Anmeldung wird gebeten.<br />
Eintritt frei!
Er verleiht Büchern Flügel !<br />
Paschalis Dougalis – er bringt uns die Natur so nahe,<br />
wie wir sie selbst selten wahrnehmen. Und das gezeichnet<br />
und fotografiert …<br />
© KOSMOS<br />
Selbst im<br />
Urlaub sind die<br />
Stifte immer<br />
mit dabei.<br />
Paschalis Dougalis<br />
10 Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Sein tägliches Training findet in der Natur<br />
statt: im Tierpark, im Wald, am See. Es<br />
gibt keinen Tag, an dem er nicht zeichnet<br />
oder malt. Immer öfter hat er die Videokamera<br />
dabei, um auch das Verhalten und die<br />
Bewegungsabläufe der Vögel festhalten und<br />
studieren zu können. Er will sich immer<br />
verbessern, ist nie zufrieden mit dem, was<br />
er erreicht hat, will nicht stehen bleiben.<br />
Die lllustrationen im KOSMOS Klassiker<br />
„Was fliegt denn da?“, der im Februar 2016<br />
in Neuauflage erscheint, stammen allesamt<br />
aus seiner Hand.<br />
„Was fliegt denn da?“ ist seiner Meinung<br />
nach deshalb so beliebt, weil alle in Europa<br />
beheimateten Vogelarten aufgeführt sind –<br />
mit Verbreitungskarten, Abbildungen und<br />
Kurzbeschreibungen. Das Format ist klein<br />
und handlich und passt in jede Jackentasche,<br />
zu einem günstigen Preis. Dougalis kennt<br />
keinen anderen Führer, der all diese Voraussetzungen<br />
erfüllt.<br />
Der Künstler<br />
Paschalis Dougalis (Jahrgang 1970) ist in<br />
Kozani im <strong>No</strong>rden Griechenlands geboren<br />
und aufgewachsen. Von klein auf haben<br />
ihn das Zeichnen, die Tiere und die Natur<br />
fasziniert. Schon im Kindesalter entstanden<br />
seine ersten Kunstwerke.<br />
Die Entdeckung eines englischsprachigen<br />
Vogelführers im Jahre 1992 war die<br />
Offenbarung für ihn. Von nun an dominierten<br />
Vögel sein Schaffen. Eine Buchserie<br />
über bedrohte Tierarten in Griechenland<br />
(1995) hat ihn schließlich als Buchillustrator<br />
etabliert.<br />
Seit 1997 lebt und zeichnet Paschalis<br />
Dougalis in München.<br />
Sein Fokus liegt nicht allein auf der<br />
exakten Darstellung eines Tieres, sondern<br />
11<br />
besonders darauf, dessen Charakter und<br />
Persönlichkeit einzufangen.<br />
Paschalis Dougalis wurde mehrfach<br />
ausgezeichnet: Silberner Uhu 2003 und<br />
Bird Illustrator of the Year 2001, 2002.<br />
Neben diversen Ausstellungen, Projekten<br />
und internationalen Publikationen findet<br />
er sogar noch die Zeit, Erkundungsreisen<br />
für Vogelfreunde nach Griechenland zu<br />
begleiten. Für 2016 sind darüber hinaus<br />
Zeichen-Workshops im Münchner Tierpark<br />
geplant.<br />
Grieche, Deutscher<br />
& Europäer<br />
Auf die Frage, wo er sich am wohlsten fühle,<br />
antwortet Paschalis Dougalis: Europa. Sein<br />
Zuhause aber sei seit nunmehr 18 Jahren<br />
München. Anpassungsprobleme hätte er<br />
nie gehabt, auch wenn er die Sprache erst<br />
lernen musste und sich anfangs mit Englisch<br />
durchgeschlagen hat.<br />
Sein zweites Zuhause sei nach wie vor<br />
sein Elternhaus in Griechenland. Vom<br />
Gefühl her sei es dort anders, beschreibt<br />
er, vielleicht, weil er sich als Mitglied einer<br />
großen Familie fühle, oder wegen der ersten<br />
Erlebnisse dort, die sein Leben prägten.<br />
<strong>No</strong>ch heute fährt er fast jedes Jahr nach<br />
Griechenland.<br />
Selbst im Urlaub sind die Stifte immer<br />
mit dabei. Und damit sich die Familie nicht<br />
beschwert, steht er schon um 5 Uhr mit<br />
den Vögeln auf, wenn alle noch schlafen.<br />
Das sei die beste Zeit, meint er. Und wenn<br />
er danach zurückkomme, um gemeinsam<br />
zu frühstücken, dann hätte er schon was<br />
geschafft.<br />
Sein Wissensdurst war die treibende<br />
Kraft dafür, dass der junge Dougalis in<br />
München gelandet ist. Auf Einladung eines<br />
Molekularbiologen kam er nach München,<br />
zunächst als Tourist. Er besuchte die<br />
Pinakotheken, Museen, Ausstellungen und<br />
entschied sich dann für ein Kunststudium.<br />
Daraus ist leider nichts geworden, weil er<br />
schon als zu alt galt. Aber er gab nicht auf<br />
und versuchte es auf eigene Faust als Illustrator.<br />
Mit Privataufträgen hielt er sich die<br />
ersten Jahre über Wasser.<br />
Rötelfalken, © P. Dougalis<br />
Buchtipps:<br />
Paschalis Dougalis /<br />
Peter H. Barthel:<br />
Was fliegt denn da?<br />
Das Original<br />
KOSMOS, 200 S., € 10,20<br />
Detlef Singer:<br />
Was fliegt denn da?<br />
Der Fotoband<br />
KOSMOS, 400 S., € 13,40
Kartenlesen ist kinderleicht !<br />
Eine Wanderkarte richtig lesen zu können ist immer noch<br />
eine wichtige Fertigkeit. Und relativ einfach zu erlernen –<br />
auch von Kindern. Einige Tipps und Tricks für den richtigen<br />
und hilfreichen Umgang mit Karten.<br />
Wer verspürt nicht gerne von Zeit zu Zeit<br />
Lust auf Abenteuer und möchte unbekannte<br />
Pfade erkunden? Mittels Wanderkarte<br />
in nicht vertraute Gefilde vorzustoßen ist<br />
spannend und lässt das Herz einer jeden<br />
Entdeckerin/eines jeden Entdeckers höher<br />
schlagen. Auch Kinder erforschen gerne ihre<br />
Umgebung und sind für das Thema Landkarten<br />
schnell zu begeistern. Ab einem Alter<br />
von ca. neun Jahren entwickeln die Kinder<br />
ein Verständnis für Karten, denn nun können<br />
sie nachvollziehen, dass auf einer Karte die<br />
Landschaft anders als in der Wirklichkeit<br />
aussieht. Man kann Kinder aber auch schon<br />
früher ins Kartenlesen einführen. Wichtig ist<br />
es, dass sie Spaß daran haben und man sie<br />
nicht überfordert.<br />
12<br />
© shutterstock.com/ Forster Forest<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Wie lese ich eine<br />
Wanderkarte?<br />
Auf einer Wanderkarte wird ein Gebiet,<br />
in dem Wanderungen unternommen werden<br />
können, in vereinfachter Form abgebildet.<br />
Dieses Abbild der Landschaft enthält eine<br />
Vielzahl verschiedener Informationen.<br />
Unterschiedliche Farben, Linien, Flächen,<br />
Symbole werden in einer Legende erklärt.<br />
Die Zeichen für Points of Interest (POI),<br />
also für interessante Orte, sind immer generalisiert:<br />
Die Zeichen für ein Schwimmbad,<br />
eine Kirche oder eine Burg beispielsweise<br />
sehen immer gleich aus. Meistens steht die<br />
blaue Farbe auf Wanderkarten für Gewässer<br />
(Bäche, Flüsse, Seen), grüne Flächen stehen<br />
für Wald sowie Vegetation und graue Flächen<br />
für Felsen sowie Geröll. In einer Wanderkarte<br />
werden markierte Wanderwege rot<br />
eingezeichnet. Sie sind in drei Schwierigkeitsgrade<br />
unterteilt. Weg: Bei roten Linien<br />
handelt es sich um Wanderwege, die breit,<br />
leicht begehbar und somit für Wandertouren<br />
mit Kindern sehr gut geeignet sind. Pfad:<br />
Wanderpfade werden mit einer gestrichelten<br />
roten Linie dargestellt. Sie sind schmal,<br />
erfordern Trittsicherheit und sind für Kinder<br />
nur bedingt geeignet. Steig: Bei einer<br />
gepunkteten roten Linie handelt es sich um<br />
einen Wandersteig, der Bergerfahrung und<br />
Schwindelfreiheit erfordert. Wandersteige<br />
sind für Kinder eher nicht geeignet.<br />
Wie kann ich mich im<br />
Gelände orientieren?<br />
Gut orientieren kann man sich an der Sonne.<br />
Sie geht im Osten auf, zu Mittag steht sie<br />
im Süden, und im Westen geht sie unter. Im<br />
<strong>No</strong>rden ist die Sonne nie zu sehen. Karten<br />
sind immer nach <strong>No</strong>rden ausgerichtet. Gibt<br />
es auf einer Karte keine diesbezüglichen<br />
Angaben (zum Beispiel einen Pfeil, der die<br />
Richtung <strong>No</strong>rden anzeigt), ist auf der Karte<br />
in Leserichtung <strong>No</strong>rden immer oben und<br />
Süden immer unten. Wenn man das weiß,<br />
kann man sich in einem Gebiet gut orientieren<br />
– auch wenn man sich beispielsweise<br />
verlaufen hat oder zu einer Wegkreuzung<br />
ohne Beschilderung kommt. Am einfachsten<br />
ist es, sich mit einem Kompass zu orientieren.<br />
Die Kompassnadel zeigt immer nach<br />
<strong>No</strong>rden. Danach erfolgt die Ausrichtung<br />
der Karte. Ebenso erweist ein GPS-Gerät<br />
gute Dienste, wenn man seinen Standpunkt<br />
feststellen möchte. Hat man weder Kompass<br />
noch ein GPS-Gerät zur Hand, orientiert man<br />
sich an einem markanten Punkt (Kirchturm,<br />
13<br />
Straße), setzt den eigenen Standpunkt in<br />
Beziehung zu diesem markanten Punkt und<br />
richtet die Karte nach diesem aus.<br />
Tipp: Geht man mit Kindern wandern,<br />
freuen sie sich, wenn sie mit einbezogen<br />
werden und auch auf die Karte sehen<br />
dürfen. Man kann ihnen zum Beispiel<br />
markante Punkte (Kirchen, Gipfel, Flüsse<br />
etc.) zeigen bzw. sich zeigen lassen.<br />
Maßstab ermitteln<br />
Der sogenannte Maßstab ist auf jeder<br />
Wanderkarte vermerkt und gibt an, um wie<br />
viel die Landschaft auf der Karte kleiner<br />
dargestellt ist. Der Maßstab liegt zwischen<br />
1: 25.000 und 1: 50.000. Bei einem Maßstab<br />
beispielsweise von 1: 50.000 entspricht 1 cm<br />
auf der Karte 50.000 cm in der Wirklichkeit,<br />
also 500 m.<br />
Tipp 1: Um Kindern eine Vorstellung<br />
zu vermitteln, wie weit das ist, kann man<br />
mit ihnen 1,5 Runden um ein Fußballfeld<br />
spazieren. Dies sind in etwa 500 m.<br />
<strong>No</strong>twendig ist diese Erfahrung, damit<br />
eine Wanderung gut geplant werden kann<br />
und man sich nicht überanstrengt. Auf<br />
vielen Wegweisern in Wandergebieten<br />
stehen Gehzeiten, die nach einer Formel<br />
berechnet wurden: Erwachsene gehen<br />
im flachen Gelände in etwa 4 Kilometer<br />
pro Stunde. Kinder brauchen dafür<br />
ca. 1,5 Mal länger, sie gehen also gut<br />
2,5 Kilometer pro Stunde. Natürlich<br />
hängt dies von der individuellen Kondition<br />
ab.<br />
Tipp 2: Möchte man die Länge einer<br />
Wanderung bestimmen, legt man am<br />
besten mit einem dünnen Wollfaden den<br />
Weg nach. Anschließend misst man die<br />
Länge des Fadens mit einem Lineal.<br />
Ist der Weg auf der Karte beispielsweise<br />
7 cm lang, muss man 3500 m oder<br />
3,5 km wandern (Maßstab 1 : 50.000:<br />
1 cm = 500 m, 7 × 500 m = 3500 m).<br />
Wo geht es bergauf,<br />
wo bergab?<br />
Eine Wanderkarte ist zwar zweidimen -<br />
sional, dennoch kann man auf ihr sehen,<br />
wo es auf einer Wanderung bergauf und<br />
bergab gehen wird. Kartografen, also jene<br />
Menschen, die Karten zeichnen, haben<br />
drei verschiedene Möglichkeiten, landschaftliche<br />
Höhen und Tiefen auf einer<br />
Karte einzutragen: Höhen zahlen, Höhenlinien,<br />
Schummerung.<br />
DVD-Tipp:<br />
Digitale Karte (DVD 4310):<br />
Über die Alpen<br />
KOMPASS, € 89,99<br />
Digitale Karte (DVD 4309):<br />
Österreich<br />
KOMPASS, € 89,95<br />
Kartenexport auf GARMIN /<br />
TEASI. Kostenlose Kartenverwendung<br />
in der KOMPASS-App<br />
Kartentipp:<br />
Wanderkarten (WK 697):<br />
Gardasee<br />
KOMPASS, € 12,99<br />
3-teiliges Set mit Panorama und<br />
Autokarte; GPS-genau.<br />
Wanderführer 2in1 mit<br />
Extra-Tourenkarte:<br />
Rund um Meran<br />
KOMPASS, € 14,99<br />
GPX-Daten zum kostenlosen<br />
Download; Extra-Tourenkarte.
© Peter Hassiepen<br />
Buchtipp:<br />
Pessimismus<br />
ist ein Stadium<br />
der Reife!<br />
Michael Krüger<br />
Michael Krüger:<br />
Himmelfarb<br />
HAYMONtb, 176 S., € 9,95<br />
14 15<br />
Michael Krüger:<br />
Der Gott hinter dem Fenster<br />
HAYMON, 224 S., € 19,90<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Michael Krüger war 27 Jahre lang<br />
Chef von Hanser, dem prestigeträch -<br />
tigsten Literaturverlag im deutschsprachigen<br />
Raum, wo er u.a. Umberto Eco,<br />
T.C. Boyle, Orhan Pamuk, Herta Müller<br />
oder Susan Sontag verlegte. Als Autor<br />
hat er ein stattliches Werk geschaffen,<br />
darunter preisgekrönte und mehrfach<br />
übersetzte Werke. Seit zwei Jahren ist<br />
er Präsident der Bayerischen Akademie<br />
der Schönen Künste. Letzten Sommer<br />
erschien sein erster Prosaband seit<br />
über zehn Jahren, „Der Gott hinter<br />
dem Fenster“ (Haymon 2015).<br />
„Is there misery nobler than<br />
mine“ – so lautet der Titel<br />
einer Festschrift zu deinem<br />
60. Geburtstag. Bist du so ein<br />
Griesgram?<br />
Überhaupt nicht! Mein Wahlspruch lautet:<br />
Pessimismus ist ein Stadium der Reife!<br />
Optimisten sind Menschen, die der Realität<br />
nicht ins Auge blicken können. Man muss<br />
also mit heiterem Gemüt das Elend anschauen.<br />
Michael<br />
Krüger<br />
Autor und<br />
Verlegerlegende<br />
Michael Krüger<br />
über die Endlichkeit,<br />
lesende Frauen<br />
im Zug und das<br />
Lebenselixier Lyrik.<br />
Ein Gespräch mit<br />
Dorothea Zanon<br />
Ist es in der Literatur so, dass<br />
aus <strong>No</strong>t und Elend Größeres<br />
entsteht als aus Heiterkeit?<br />
Das ist eine ungeklärte Frage. Goethes Werk<br />
entstand aus einer selbstsicheren Heiterkeit,<br />
er hat sich jeden Tag neu erfunden und den<br />
Augenblick geliebt. Leopardi dagegen konnte<br />
sein Werk nur aus einem abgrundtiefen<br />
Pessimismus heraus schreiben. Goethe war<br />
bis zu seinem letzten Atemzug verliebt,<br />
Leopardi so gut wie nie. Bei den meisten<br />
Schriftstellern lösten sich beide Konditionen<br />
ab. Oder sie waren so diszipliniert, dass sie<br />
ihre Abgründe für sich behalten haben, wie<br />
Thomas Mann. Auch Thomas Bernhard ist<br />
ein spezieller Fall: Manchmal war er der<br />
heiterste Mensch, manchmal ein Scheusal,<br />
das alles und jeden mit seinem Missmut<br />
überschüttet hat. Aber prinzipiell gilt: Die<br />
Einsicht in die Endlichkeit fördert den Pessimismus;<br />
die Verdrängung die Heiterkeit.<br />
Du bist ein leidenschaftlicher<br />
Lyriker, deine Gedichtbände<br />
erscheinen bei Suhrkamp. Ich<br />
habe dich einmal sagen gehört,<br />
dass jemand, der zum Beispiel<br />
Hölderlin gelesen hat, selten zum<br />
Faschisten taugt. Ist Gedichte<br />
Lesen ein zivilisierender Prozess?<br />
Das Lesen von Gedichten ist leider aus<br />
der Mode gekommen, sodass wenig sichere<br />
Kenntnisse darüber vorliegen, wie sich<br />
jemand verändert, der täglich welche liest.<br />
Mein Vorschlag, dass in allen Institutionen,<br />
von der Bank und dem Parlament bis zur<br />
Arbeiterkammer, vor den entscheidenden<br />
Sitzungen Gedichte gelesen werden, hat<br />
sich leider nicht durchgesetzt. Andererseits<br />
waren einige der großen Schlächter der<br />
Weltgeschichte ganz gute Dichter, wie<br />
z. B. Mao Tse-tung. Hitler hat Gott sei Dank<br />
keine Gedichte geschrieben …<br />
Für viele Leser ist die Hürde, zu<br />
einem Lyrikband zu greifen, groß.<br />
Kannst du dieses Missverständnis<br />
für uns ausräumen?<br />
Darüber denke ich seit Jahrzehnten nach,<br />
ohne zu einer schlüssigen Antwort zu kommen.<br />
Der Haupteinwand: zu schwer, was<br />
natürlich ein Unsinn ist. Was ist an einem<br />
Gedicht von Kurt Tucholsky kompliziert?<br />
Es muss damit zusammenhängen, dass<br />
unser Lebensrhythmus sich verändert hat.<br />
Alles Gedichtete kommt für die meisten<br />
in der Kirche vor, in Kirchenliedern, oder<br />
auf der Traueranzeige, später noch als Lied,<br />
meistens als Schlager. Zweiter Einwand:<br />
Wir mussten in der Schule quälend lange<br />
Gedichte interpretieren, das hat unser Gefühl<br />
für Poesie verdorben. Denen kann geholfen<br />
werden! Ich finde es übrigens viel aufregender,<br />
wenn im Zug eine Frau in einem<br />
Gedichtband liest als einen sogenannten<br />
Frauenroman oder gar einen Krimi.<br />
Welchen Dichter, welche Dichterin<br />
empfiehlst du dem gewillten Leser<br />
zum Einstieg?<br />
Eigentlich sollte man sich eine der großen<br />
Anthologien kaufen und darin blättern,<br />
dann spürt man sehr bald, wann und bei<br />
welchen Gedichten die Nerven reagieren.<br />
Ich selber kann ohne ein Gedicht am Tag<br />
gar nicht existieren. Heute früh habe ich,<br />
trotz extremer Zeitnot, ein Gedicht von John<br />
Burnside übersetzt, einem Schotten, den ich<br />
sehr liebe: Es geht um einen älteren Mann,<br />
der im Café Central in Innsbruck sitzt und<br />
beobachtet. „Approaching Sixty/Kurz vor<br />
dem Sechzigsten“, alle Männer in dieser<br />
Altersklasse sollten Burnside lesen. Für die<br />
Frauen: Christine Lavant. Für alle, die wissen<br />
wollen, wie viele verschiedene Register<br />
Lyrik ziehen kann: Christoph W. Bauers<br />
Band „stromern“, der kürzlich auf Platz 1<br />
der ORF-Bestenliste gelandet ist.<br />
Von der Dichtung ist es nicht weit<br />
zur Musik: Wer sind die großen<br />
Poeten unter den Musikern?<br />
Ohne Mahlers Vertonung der „Kindertotenlieder“<br />
wäre der Dichter Friedrich Rückert<br />
vergessen, obwohl er als Dichter produktiver<br />
als selbst Goethe war. Liest jemand<br />
noch Dehmel? Ich bezweifle es, aber im<br />
Sibelius-Jahr kann man dessen Vertonungen<br />
von Richard Dehmel hören, immerhin. Die<br />
Musiker waren immer an Gedichten interessiert,<br />
bis in die Moderne. Wolfgang Rihm<br />
z. B. hat Hermann Lenz vertont und viele<br />
andere. Und viele Dichter liebten die Musik,<br />
auch in der Moderne, von Gert Jonke bis<br />
Gerhard Rühm. Aber so, wie es kaum Dichter<br />
gibt, die auch komponieren, gibt es wenige<br />
Musiker, die Gedichte schreiben. (Und<br />
wenn, dann eher heimlich!) Eine Ausnahme<br />
ist Alfred Brendel, der eines Tages sein poetisches<br />
Talent gespürt und ihm nachgegeben<br />
hat – sehr zur Freude seiner Zuhörer.<br />
Und es gibt auch die<br />
Sängerpoeten. <strong>No</strong>belpreis für<br />
Bob Dylan oder Van Morrison?<br />
Ja, beide gehören zu meiner Jugend! Als<br />
wir Schillers und Uhlands Balladen einmal<br />
satthatten, hörten wir bis zum Umfallen<br />
die Balladen von Dylan und Van Morrison,<br />
beide sind große Dichter, ohne Zweifel. Also<br />
ex aequo, jeder 400.000 Euro.
Schreiben und Forschen<br />
Ein Spaziergang entlang von drei exemplarischen<br />
Eckpfeilern des Innsbrucker Literaturbetriebs mit Fokus<br />
auf den Autor Hans Platzgumer. Von Boris Schön<br />
Lesung:<br />
Im Rahmen des<br />
14. Prosafestivals Innsbruck<br />
liest Hans Platzgumer zum<br />
ersten Mal in Tirol aus Am Rand.<br />
Do., 21. April 2016, 20 Uhr<br />
Stadtbücherei<br />
Mirko Bonné, Ronja von Rönne,<br />
Abbas Khider, Christian Uetz<br />
Fr., 22. April 2016, 20 Uhr<br />
Freies Theater<br />
Radek Knapp, Harald Darer,<br />
Hans Platzgumer, Thomas Meyer<br />
Sa, 23. April 2016, 20 Uhr<br />
VIERUNDEINZIG<br />
Cornelia Travnicek, Michal<br />
Hvorecký, Michelle Steinbeck,<br />
Henrik Szanto<br />
16<br />
Das literarische Leben in Innsbruck ist<br />
wohl nicht eines der langweiligsten. Bei<br />
aller Diskussion über die Provinzialität der<br />
Tiroler Landeshauptstadt lässt sich auch<br />
nach eingehender Prüfung wiedermal feststellen:<br />
Provinzialität entsteht im Kopf und<br />
oft ist einem nicht bewusst, wie vielschichtig<br />
der Innsbrucker Literaturbetrieb ist.<br />
Doch was definiert diesen Literaturbetrieb,<br />
wer sind die Beteiligten, wo liegen<br />
die Grenzen und was spielt sich zwischen<br />
ihnen ab? Betrachten wir es einmal exemplarisch<br />
anhand von vier Menschen mit<br />
vier unterschiedlichen Tätigkeiten: vier<br />
Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet, und<br />
alle sind miteinan der verbunden.<br />
© Chris Nils Laine<br />
„Wenn man auf der Seite<br />
des IZA recherchiert, findet<br />
man 17 Artikel zu seiner<br />
Person und 34 Rezensionen<br />
zu seinen Büchern“<br />
Michael Pilz, geboren 1982, Assistenzprofessor<br />
am Institut für Germanistik und seit 2014 Leiter des<br />
Innsbrucker Zeitungsarchivs (IZA), über die Suche<br />
nach Hans Platzgumer in der Datenbank.<br />
Stellt man sich die im Folgenden präsentierten<br />
Institutionen wie ein Ökosystem vor,<br />
dann steht das Innsbrucker Zeitungsarchiv<br />
quasi am Ende der Nahrungskette. Bücher<br />
müssen geschrieben, verlegt und rezensiert<br />
werden, bevor sie in die wichtigste universitäre<br />
Forschungs- und Dokumentationsstelle<br />
für Literaturkritik im deutschsprachigen<br />
Raum Eingang finden. Die Anfänge des<br />
Innsbrucker Zeitungsarchivs gehen auf das<br />
Jahr 1960 zurück. Seit damals werden<br />
täglich aus verschiedensten deutschsprachigen<br />
Print- und Onlinemedien Artikel<br />
mit Schwerpunkt auf Literaturkritik und<br />
Literaturjournalismus aus Deutschland,<br />
Österreich, der Schweiz und Südtirol gesammelt.<br />
Hat man früher noch alle relevanten<br />
Beiträge per Schere aus den Zeitungen<br />
ausgeschnitten und in Ordnern abgeheftet,<br />
wird das Material seit dem Jahr 2000<br />
ausschließlich digital erfasst und in einer<br />
Datenbank bereitgehalten.<br />
Innsbruck als Sitz des IZA wirkt sich<br />
dabei in vielfältiger Form auf die Arbeit des<br />
Archivs aus. Innerhalb der dokumentierten<br />
Medien ergibt sich natürlich ein besonderer<br />
Detailreichtum bei der Erfassung der hiesigen<br />
Medienlandschaft, da viele regionale<br />
Publikationen nur lokal wirklich greifbar<br />
sind. Wichtig ist auch die Wechselwirkung<br />
zwischen dem IZA und dem Institut für<br />
Germanistik (zu dem es gehört) mit seinem<br />
ausgeprägten Forschungsprofil in Sachen<br />
Literaturvermittlung. Darüber hinaus gibt<br />
es aber auch Interaktion mit literarischen<br />
17<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Veranstaltern vor Ort, die etwa die genaue<br />
Dokumentation von Autorinnen und Autoren<br />
in Form von Dossiers nützen. Das IZA<br />
ist also keinesfalls ein Endpunkt auf der Literatureinbahn,<br />
es spielt auch aktiv Material<br />
zurück in den Literaturbetrieb – nicht nur<br />
für Wissenschaftler: Eine durchaus spannende<br />
Erfahrung kann die Recherche auch<br />
für den Laien sein, der sich etwa für eine<br />
spezielle Autorin oder ein Literaturfestival<br />
interessiert!<br />
„ […] der schmale, in klug<br />
verschachtelten Episoden<br />
getaktete Roman hat diese<br />
Aufmerksamkeit auch<br />
verdient“<br />
Joachim Leitner, geb. 1984, Redakteur bei der<br />
Tiroler Tageszeitung und seit 2013 Koordinator<br />
der Literaturberichterstattung über den neuen Roman<br />
von Hans Platzgumer „Am Rand“.<br />
Damit das IZA überhaupt in die Lage<br />
gebracht wird, etwas ausschneiden zu können,<br />
muss natürlich einiges an Vorarbeit<br />
geleistet werden. Die Vorstufe der literarischen<br />
Zirkulation wird von Literaturjournalisten<br />
geschaffen. Sie sind der Dreh- und<br />
Angelpunkt des literarischen Betriebes,<br />
da sie nicht nur die unabhängige Werbeplattform<br />
für Verlage und Autoren darstellen<br />
– was nicht besprochen wird, wird wenig<br />
gelesen –, sondern in diesem Fall auch<br />
die Forschungsbasis für die wissenschaftliche<br />
Rezeption. Speziell in einem regionalen<br />
Medium die Balance zwischen<br />
literarischen Titeln mit lokaler Bedeutung<br />
und internationalem Renommee zu finden,<br />
ist nichts Leichtes. Die Verantwortung, die<br />
mit dieser Stelle einhergeht, ist ähnlich<br />
groß wie die Beliebtheit dieser Tätigkeit.<br />
Joachim Leitner spricht von einem Sechser<br />
im Lotto, da es ihm durch seine Arbeit<br />
gelingt, seine Leidenschaften mit seinem<br />
Beruf zu verbinden. Er kann nicht nur seiner<br />
studierten Profession nachgehen – Bücher<br />
lesen und darüber schreiben –, sondern hat<br />
auch die Möglichkeit, die Gedanken eines<br />
Autors weiterzudenken, seine Meinung<br />
mit dem Inhalt des Buches und dessen<br />
Bezug zur Welt zu reflektieren. Dies stets<br />
unter dem reizvollen Konflikt zwischen<br />
einer großen Menge an Gedanken einerseits<br />
und dem knapp bemessenen Platz in<br />
einer Zeitung andererseits. Dass dabei die<br />
Beobachtung und Deskription der lokalen<br />
Literatur, deren derzeitige Situation Leitner<br />
als gut bestellt bezeichnet, von Bedeutung<br />
ist, steht außer Frage und überschneidet<br />
sich gedanklich auch mit der Wissenschaft.<br />
Der große Unter schied zwischen seiner und<br />
der wissenschaft lichen Arbeit ist der Faktor<br />
Meinung. Geschmäcklerisch kann man sein,<br />
wenn nur die Argumentation für das Urteil<br />
stringent ist.<br />
„Es ist ein normaler Vorgang,<br />
dass talentierte AutorInnen<br />
zu einem größeren Verlag<br />
wechseln, wenn die Möglichkeit<br />
besteht. Ich sehe das als<br />
Beleg für die Qualität unserer<br />
Arbeit, für die Arbeit im<br />
Lektorat, der Pressearbeit,<br />
der Herstellung.“<br />
Bernd Schuchter, geboren 1977, Autor und<br />
seit 2006 Verleger des Limbus Verlags über den<br />
Wechsel von Hans Platzgumer zu Zsolnay.<br />
Kommen wir zum Verlagsgeschäft: Im<br />
Kreislauf des Literaturbetriebs befinden sich<br />
an dieser Stelle die waghalsigsten Typen.<br />
Während der Journalist und der Wissenschaftler<br />
in mehr oder weniger gemütlichen<br />
Anstellungsverhältnissen sitzen, muss<br />
der Verleger volles Risiko eingehen. Die<br />
Hoffnung auf Erfolg teilt er mit dem Autor,<br />
muss aber, im Gegensatz zu Letzterem,<br />
noch riskante Investitionen in Lektorat,<br />
Vertrieb, Auflage und Werbung wagen. Der<br />
Limbus Verlag wurde 2006 gegründet, hat<br />
inzwischen sein 10-jähriges Jubiläum begangen,<br />
über 100 Bücher publiziert und geht<br />
mit Vorfreude in die nächste Dekade. Der<br />
Verlagssitz in Innsbruck hat laut Schuchter<br />
durchaus Bedeutung. Die Zusammenarbeit<br />
und der direkte Austausch mit den lokalen<br />
Autoren sind wichtig und geben dem Verlag<br />
im Lokalen ein Gesicht. Das Programm ist<br />
generell für den gesamten deutschsprachigen<br />
Markt ausgelegt. Die geografische Lage<br />
Buchtipp:<br />
Hans Platzgumer:<br />
Am Rand<br />
Zsolnay, 206 S., € 20,50<br />
zwischen Deutschland, Italien, der Schweiz<br />
und Wien ist ein Vorteil, da für den Limbus-<br />
Verleger viel Reisetätigkeit von Nöten ist.<br />
Wichtig ist Bernd Schuchter nicht nur die<br />
stetige Verbesserung in der Verlagsarbeit,<br />
sondern auch seine Doppelfunktion als<br />
Autor und Verleger, was sich gut ergänzt!<br />
„Und gerade auch im<br />
Älterwerden spüre ich die<br />
Verbundenheit mit Innsbruck<br />
in mir, eine Verbundenheit,<br />
die ich oft und lange gekappt<br />
habe, die sich dennoch<br />
durch mein ganzes Leben<br />
zieht, sowohl beruflich<br />
wie privat.“<br />
Hans Platzgumer, geboren 1969, Musiker und<br />
seit 2005 Schriftsteller, über die Bedeutung seiner<br />
Heimatstadt Innsbruck.<br />
Die unabdingbare Basis des literarischen<br />
Betriebs ist und bleibt der Schriftsteller.<br />
Ohne kreative, innovative Köpfe, die als<br />
künstlerischen Ausdruck die Literatur wählen,<br />
wäre die restliche Maschinerie weder<br />
möglich noch nötig. Hans Platzgumer ist<br />
in Innsbruck geboren, hat viele Jahre im<br />
Ausland verbracht und sich die meiste Zeit<br />
der Musik verschrieben. Die Liste seiner<br />
Veröffentlichungen ist lang und beinhaltet<br />
dutzende Alben, Theatermusiken, sieben<br />
Bücher und zwei Opern. Die Anfänge des<br />
Schreibens haben sich durch seine Arbeit<br />
mit Hörspielen und Theatermusik ergeben,<br />
dadurch wuchs das Interesse – und inzwischen<br />
ist die Literatur, wie er sagt, wichtiger<br />
als die Musik geworden. Seine Veröffentlichungen<br />
erschienen bei den Innsbrucker<br />
Verlagen Skarabæus und Limbus, dann beim<br />
Verlag Nautilus in Hamburg; den bisherigen<br />
Höhepunkt bildet nun die Publikation des<br />
jüngsten Romans im Wiener Zsolnay Verlag.<br />
Die anfängliche Unterstützung der in seiner<br />
Heimat ansässigen Verlage waren laut<br />
Platzgumer wichtige Startrampen, deren<br />
Bedeutung er niemals unterschätzen würde.<br />
Die Themen, die von Hans Platzgumer in<br />
seinen Büchern aufgegriffen werden, die<br />
Extremsituationen, die eigenbrötlerischen<br />
Figuren, die speziellen geografischen Plätze<br />
und der Tod als ständiger Lebensbegleiter,<br />
ziehen sich durch seine Arbeiten wie ein<br />
Leitgedanke.<br />
Bei allen Unterschieden in den Tätigkeiten<br />
der hier präsentierten Institutionen muss<br />
man feststellen, dass sie sich alle gegenseitig<br />
ergänzen, bedingen und miteinander<br />
interagieren. Die Menschen, die hinter den<br />
jeweiligen Funktionen stehen, schaffen in<br />
ihrer Verbundenheit und Eigenständigkeit<br />
eine individuelle, spannende Szene, einen<br />
Teil der Innsbrucker Literaturszene. Zu<br />
entdecken gibt es hier noch genug.
Wenn Lena Avanzini nicht gerade<br />
mit Musik beschäftigt ist, schreibt sie<br />
Krimis. Im heimischen Keller in<br />
Innsbruck, im Zug oder in einem gemütlichen<br />
Café. Für ihren Erstling „Tod<br />
in Innsbruck“, der sogar ins Japanische<br />
übersetzt wurde, erhielt sie 2012 den<br />
Friedrich-Glauser-Preis für das beste<br />
Krimi-Debüt. Ab sofort ermittelt<br />
Carla Bukowski, Avanzinis neueste<br />
Schöpfung, in einer mehrbändigen Serie<br />
bei Haymon.<br />
Sie lieben gemütliche Cafés, selbst<br />
gebackenen Marillenkuchen – und<br />
Krimis mit drei bis sieben Leichen.<br />
Wie passt das zusammen?<br />
Gar nicht. Was wäre ein Mensch ohne<br />
Widersprüche?<br />
In Ihrem neuen Krimi „Nie<br />
wieder sollst du lügen“ ermittelt<br />
Carla Bukowski, eine Inspektorin<br />
der etwas anderen Art. Sie<br />
mag Störche und Musik von<br />
Schönberg, kann Operetten nicht<br />
ausstehen und hat eine beste<br />
Freundin, die Channeling betreibt.<br />
Gab es für Carla Bukowski eine<br />
Vorlage, oder anders gefragt:<br />
Sollte es mehr Carla Bukowskis<br />
auf dieser Welt geben?<br />
Eine Bukowski reicht völlig. Vorlage gab<br />
es keine. Nur ein Bild, einen Namen, einige<br />
Waldspaziergänge und Badewannenaufenthalte.<br />
Ergebnis: geschrumpelte Haut und<br />
eine spröde, seelisch angeschlagene Ermittlerin.<br />
Sie ist aber durchaus liebenswert,<br />
wenn man sie näher kennenlernt.<br />
müssen, es ohne sie aber fad wäre:<br />
Georg Haderer: „Ohnmachtspiele“, Jan<br />
Costin Wagner: „Tage des letzten Schnees“,<br />
Wolf Haas: „Komm, süßer Tod“, Tatjana<br />
Kruse: „Bei Zugabe Mord!“, Mechtild<br />
Borrmann: „Die andere Hälfte der Hoffnung“<br />
und, und, und …<br />
© Thomas Schrott<br />
Das ist ja<br />
das Schöne<br />
an Klischees -<br />
sie enthalten<br />
einen wahren<br />
Kern.<br />
Lena Avanzini<br />
18<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Hilft das Morden am Papier, um<br />
Ärgernisse des Alltags abzubauen?<br />
Unbedingt!<br />
Lena<br />
Avanzini<br />
Die Krimi-Autorin<br />
aus Innsbruck<br />
mordet wieder.<br />
Natürlich nur auf<br />
dem Papier.<br />
Ein Gespräch mit<br />
Christina Kindl-<br />
Eisank.<br />
19<br />
Carla Bukowski hat Tiroler<br />
Wurzeln – und ist irrsinnig<br />
stur. Ein Charakterzug, der den<br />
Menschen im Westen Österreichs<br />
oft nachgesagt wird. Ein Klischee,<br />
das aus Ihrer Sicht stimmt?<br />
Das ist ja das Schöne an Klischees – sie<br />
enthalten einen wahren Kern. Aber vielleicht<br />
darf ich ergänzen, dass Bukowski<br />
eine talentlose Skifahrerin ist und ein<br />
Faible für Wien und die Wiener hat –<br />
beides untypisch für eine Tirolerin.<br />
Gibt es ein Autorenklischee, das<br />
Sie erfüllen?<br />
Meinen Sie sowas wie: Autoren saufen,<br />
schlagen sich die Nächte um die Ohren,<br />
sind asoziale Nerds, warten ihr Leben lang<br />
auf die Idee und werden dann reicher als<br />
die Queen? Liebe Frau Kindl, ich schweige<br />
vielsagend.<br />
Zu guter Letzt: Haben Sie einen<br />
Büchertipp für uns? Es muss kein<br />
Krimi sein.<br />
Wolfgang Herrndorf: „Tschick“, Judith W.<br />
Taschler: „Die Deutschlehrerin“, Håkan<br />
Nesser/Paula Polanski: „Strafe“, Georges<br />
Simenon: „Die Verlobung des Monsieur<br />
Hire“. Und weil Krimis zwar nicht sein<br />
Buchtipp:<br />
Lena Avanzini:<br />
Nie wieder sollst du lügen<br />
Niemand kennt ihr Geheimnis –<br />
bis zum ersten Mord!<br />
Zwei tödliche Autounfälle<br />
innerhalb weniger Tage. Und in<br />
beiden Fällen fehlen die Bremsspuren.<br />
Selbstmord, tragischer<br />
Unfall? Glauben zumindest die<br />
zuständigen Polizeibeamten.<br />
Eindeutig Mord!, ist sich Gruppeninspektorin<br />
Carla Bukowski<br />
sicher. Gibt es einen Zusammenhang<br />
zwischen den beiden<br />
Toten? Ist das nächste Opfer<br />
schon vorprogrammiert? Oder<br />
hat sie sich den Fall etwa doch<br />
nur zusammengesponnen?<br />
Unaufhaltsam kämpft sich Carla<br />
Bukowski durch ein dichtes<br />
Gespinst aus Lügen, düsteren<br />
Geheimnissen und unbändiger<br />
Rachsucht. Packend ab der<br />
ersten Zeile!<br />
HAYMONtb, 344 S., € 9,95
111 Gründe um zu kommen<br />
& zu bleiben<br />
Susanne Gurschler zeigt uns 111 Orte in Tirol, die man<br />
gesehen haben muss. Von Robert Renk<br />
Von den Neurosen<br />
einer Gesellschaft<br />
Kriminalromane und einer ihrer<br />
interessanteren Aspekte. Von Joe Rabl<br />
Buchtipp:<br />
Susanne Gurschler:<br />
111 Orte in Tirol, die man<br />
gesehen haben muss<br />
EMONS Verlag, 240 S., € 17,50<br />
Lesung:<br />
Buchpräsentation mit<br />
Lesung und Gespräch:<br />
Di., 5. April 2016, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Einführung: Rita Schmitz vom<br />
Kölner EMONS Verlag<br />
Der Kölner EMONS Verlag und der Boom<br />
von Regionalkrimis, das ging Hand in Hand<br />
und im Sauseschritt. Irgendwann gesellte<br />
sich die Reihe „111 Orte in …“ dazu und<br />
auch sie war ein Erfolg auf ganzer Linie.<br />
So nach und nach werden alle weißen Flecken<br />
der regionalen Landkarte aufgearbeitet<br />
und in 111 Portionen serviert. Dass <strong>No</strong>rdtirol<br />
nicht länger zu diesen weißen Flecken<br />
gehört, verdanken wir Susanne Gurschler.<br />
Sie ist in einem Bergdorf in Südtirol<br />
aufgewachsen, kam zum Studieren nach<br />
Innsbruck und ist geblieben. Seit vielen<br />
Jahren steht ihr Name in Tirol für Qualitätsjournalismus<br />
mit Schwerpunkt Kultur und<br />
Natur.<br />
Kann man sich den Tirolführer<br />
der anderen Art nun kulturlastig<br />
vorstellen?<br />
Er ist vor allem einer, der versucht, Tirol im<br />
Kleinen, im Besonderen, auch Unscheinbaren<br />
zu entdecken. Wer mich kennt, weiß, dass<br />
ich eine große Affinität zu Kunst und Kultur<br />
habe, zu Architektur und Geschichte. Das<br />
spiegeln meine 111 Orte natürlich – sie sind<br />
etwas ganz Besonderes, jeder auf seine Art.<br />
© Ursula Aichner / Fotowerk Aichner<br />
In der Ankündigung steht Folgendes zu lesen:<br />
Tirol ist weit mehr als ein idyllisches<br />
Abziehbild einer unendlich groß scheinenden<br />
Almwiese mit drolligen Kühen, einem<br />
unendlich weit scheinenden Schneehang mit<br />
jungfräulichem Pulverschnee. Wer sich abseits<br />
von grandiosem Gebirge und scharfem<br />
Pistenzauber auf dieses Land im Herzen der<br />
Alpen einlässt, wird überrascht sein. Es gibt<br />
einen ganzen Rucksack voller Spezialitäten<br />
und Kostbarkeiten zu entdecken, besondere<br />
„Gschichtln“ über dieses Land und seine<br />
Leute. Und es gibt weit mehr als 111 Orte,<br />
die man gesehen haben muss – diese 111<br />
müssen es aber mindestens sein.<br />
Können Sie sich auch vorstellen,<br />
ein Buch über 111 Orte in Tirol,<br />
die man meiden muss, zu schreiben<br />
und welcher würde Ihnen da gleich<br />
in den Sinn kommen?<br />
Um zu wissen, welche ich meiden sollte,<br />
muss ich erst einmal hin. Dann würde ich<br />
ziemlich sicher etwas finden, das mich<br />
interessiert, das ich spannend finde, dem ich<br />
auf den Grund gehen möchte. Ich bin ein<br />
neugieriger Mensch, mich faszinieren auch<br />
sogenannte Unorte. Sie erzählen viel.<br />
Drei Fragen geistern im<br />
Vorfeld schon durch sämtliche<br />
Buchhandlungen: Welcher<br />
Kanaldeckel in Innsbruck<br />
erweitert die Aussicht? Warum<br />
braucht ein Dorf eine U-Bahn?<br />
Und welches „Arme-Leute-Essen“<br />
ist wieder in aller Munde?<br />
Mögen Sie uns eine davon<br />
kurz beantworten?<br />
Durch sämtliche Buchhandlungen ist gut,<br />
durch sämtliche Wohnzimmer und Stuben<br />
wäre noch besser. (lacht) Die Antworten<br />
stehen ja im Buch, aber eine verrate ich: Ich<br />
liebe Gerstsuppe, mochte ich schon als Kind<br />
sehr gerne. Sie hat es dank einiger engagierter<br />
Bauern in die Vier- und Fünfsterncuisine<br />
geschafft. Und das freut mich sehr.<br />
Susanne Gurschler ist seit 1998 als freie Journalistin<br />
und Autorin in Innsbruck tätig. Sie hat lange für das<br />
Nachrichtenmagazin ECHO gearbeitet, schreibt für die<br />
SAISON, für Bergwelten-online, die Zeitschrift Tirol.<br />
www.susannegurschler.at<br />
Bücher seit 1639<br />
Die längste Zeit galt der Kriminalroman<br />
als sogenannte mindere Gattung, und selbst<br />
Preziosen, die die Genregesetze schnörkellos<br />
durchdeklinierten, wurden mit dem<br />
Verdikt der bloßen Unterhaltung abgetan.<br />
Was der Beliebtheit bei den Leserinnen<br />
und Lesern keinen Abbruch tat. Und als die<br />
Literaturwissenschaft im Zuge einer allgemeinen<br />
Öffnung auch den Krimi für sich<br />
entdeckte, war das nur ein später Nachvollzug<br />
langwährenden Rezeptionsverhaltens.<br />
Heute, angesichts der gefälligen Banalitäten,<br />
die die Buchhandlungen überschwemmen<br />
(und es ist beileibe kein Ende der Flut in<br />
Sicht), muss man sich fast schon wieder<br />
rechtfertigen, wenn man eine Lanze für den<br />
Krimi bricht. Dabei verhält es sich natürlich<br />
wie mit aller Literatur: Man sollte sich von<br />
der Dutzendware nicht den Blick trüben<br />
lassen für die lohnenden Lektüren.<br />
Eines der trefflichsten Kriterien ist immer<br />
noch jenes, dass sich ein guter Kriminalroman<br />
„durch einen wachen Blick auf die Gesellschaft<br />
auszeichnet, in der er spielt – denn<br />
Verbrechen werden nie in einem geschichtslosen<br />
Raum begangen, sondern als Reflex<br />
auf bestimmte soziale Verhältnisse“ (Gerald<br />
Fiebig). All die breit ausgewalzten Tourismusprospekte<br />
mit den halblustigen, dilettantisch<br />
herumstolpernden Ermittlern fallen da<br />
ebenso durchs Raster wie die durchgeknallten<br />
Serienmörder mit ihren von Hollywood<br />
entlehnten Tatmustern. Das ist im besten<br />
Fall spannend und/oder unterhaltsam, aber<br />
selber schuld, wer sich damit zufrieden gibt<br />
und an seine Lektüre nicht auch noch andere<br />
Ansprüche stellt.<br />
Man könnte etwa mit den Autoren das<br />
Erkenntnisinteresse teilen, Phänomene<br />
wie Korruption, Hass und Gewalt besser<br />
verstehen zu wollen, ein Unterfangen, das<br />
im Kriminalroman bestens aufgehoben ist.<br />
Wenn jemand wie James Ellroy die hollywoodabgewandte<br />
Seite Los Angeles’ der<br />
neunzehnfünfziger Jahre grell ausleuchtet;<br />
21<br />
wenn Roger Smith in seinen hammerharten<br />
Krimis einen illusionslosen Blick auf die<br />
gegenwärtigen Zustände in Südafrika wirft;<br />
wenn, um ein heimisches Beispiel zu nennen,<br />
Manfred Wieninger in seinen Harland-<br />
Krimis mit dem Underdog-par-excellence-<br />
Ermittler Marek Miert die spezifisch<br />
österreichische Misanthropie in Szene<br />
setzt – dann geht es nicht um den spannenden<br />
Krimi-Plot allein.<br />
Ihr literarischer Zugriff auf menschliche<br />
Abgründe ist niemals Selbstzweck, das<br />
Einmaleins des Genres – inklusive des kreativen<br />
Vermögens, dessen Regeln zu brechen<br />
und zu variieren – scheint ihnen den perfekten<br />
Rahmen zu bieten, um von jenen Dingen<br />
zu erzählen, die ihnen ein Anliegen sind.<br />
Diesen Anspruch teilen sie mit den Besten<br />
der Zunft. In Henning Mankells letztem<br />
Buch, „Treibsand“, steht der bezeichnende<br />
Satz: „Ich habe über Verbrechen geschrieben,<br />
weil sie deutlicher als vieles andere die<br />
Widersprüche beleuchten, auf denen das<br />
menschliche Leben beruht.“ Veit Heinichen<br />
hat es einmal so formuliert: „Die Neurosen<br />
einer Gesellschaft kann man am besten an<br />
ihren Verbrechen ablesen.“<br />
Buchtipp:<br />
Eva Rossmann:<br />
Fadenkreuz –<br />
Ein Mira-Valensky-Krimi<br />
Folio, 272 S., € 19,90<br />
Literaturtipp:<br />
39. Innsbrucker<br />
Wochenendgespräche<br />
Krimi, 19.–21. Mai 2016<br />
Donnerstag, 19.5.2016<br />
ORF Tirol, Studio 3,<br />
Rennweg 14<br />
20:15 Uhr<br />
Lesung: Eva Rossmann, Stefan<br />
Slupetzky, Bernhard Aichner,<br />
Oliver Bottini, Martin Walker<br />
Moderation: Birgit Holzner<br />
Freitag, 20.5.2016<br />
Ensembleproberaum des<br />
Tiroler Landestheaters<br />
(Eingang SoWi-Durchgang,<br />
neben dem Abo-Büro)<br />
10 bis 12 Uhr<br />
Gespräch mit Pieke Biermann,<br />
Franzobel, Stefan Slupetzky<br />
Moderation: Eva Rossmann<br />
15 bis 17 Uhr<br />
Gespräch mit Merle Kröger,<br />
Sunil Mann, Martin Walker<br />
Moderation: Eva Rossmann<br />
Samstag, 21.5.2016<br />
Ensembleproberaum des<br />
Tiroler Landestheaters<br />
(Eingang SoWi-Durchgang,<br />
neben dem Abo-Büro)<br />
10 bis 12 Uhr<br />
Gespräch mit Bernhard Aichner,<br />
Oliver Bottini, Robert Hültner<br />
Moderation: Eva Rossmann<br />
15 bis 17 Uhr<br />
Gespräch mit allen AutorInnen<br />
Moderation: Eva Rossmann<br />
ORF Tirol, Studio 3,<br />
Rennweg 14<br />
20:15 Uhr<br />
Lesung: Pieke Biermann,<br />
Sunil Mann, Franzobel,<br />
Robert Hültner, Merle Kröger<br />
Moderation: Joe Rabl
© Kurt Pinter<br />
Ein Krimi<br />
der Gefühle,<br />
meinetwegen,<br />
aber keiner<br />
der Kniffe<br />
und Finten.<br />
Stefan Slupetzky<br />
22<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Stefan, du bist ein vielseitiger<br />
Autor, vom Liedtext über<br />
Kinderbücher bis zum Theaterstück<br />
– vor allem aber viel gelesene<br />
Kriminal romane. Was war<br />
der Anlass, nach mittlerweile fünf<br />
Krimis einen Roman zu schreiben?<br />
Wolltest du generell weg vom<br />
Krimi-Genre? Oder war es die<br />
Geschichte, die du erzählen<br />
wolltest, aber eben nicht als Krimi?<br />
Ich habe einen kleinen, intriganten Kerl im<br />
Kopf, der mich, sobald ich irgendwo erfolgreich<br />
bin, von meinem warmen, sicheren<br />
Plätzchen aufscheucht und zum nächsten<br />
Abenteuer drängt. Wann immer ich es mir in<br />
einer Schublade gemütlich machen könnte,<br />
zwingt er mich dazu, die nächste aufzusperren.<br />
Mein Leben wird auf diese Art nicht<br />
leichter, aber interessanter.<br />
In „Der letzte große Trost“<br />
spannst du, eingebettet in eine<br />
Familiengeschichte, einen<br />
Bogen von der Nazizeit bis in<br />
Stefan<br />
Slupetzky<br />
Der kleine<br />
intrigante Kerl<br />
in meinem Kopf.<br />
Stefan Slupetzky<br />
im Interview mit<br />
Joe Rabl<br />
23<br />
die Gegenwart. Was war dein<br />
primäres Interesse: die Last der<br />
Geschichte? Die dunklen Flecken,<br />
die sich in jeder Familie finden?<br />
Die Suche nach Identität?<br />
Was mich seit Langem beschäftigt, ist das<br />
Thema des Selbstverständnisses der zweiten<br />
österreichischen Nachkriegsgeneration, der<br />
ich ja angehöre. Hineingeboren in Sicherheit<br />
und Wohlstand, in ein Leben ohne große<br />
kollektive Dramen, aber mit den großen kollektiven<br />
Dramen der Großeltern im Gepäck.<br />
Sind wir nur historische und literarische<br />
Chronisten, weil wir keine Katastrophenzeit<br />
durchleben und uns nicht am Äußersten<br />
erproben mussten? <strong>No</strong>tgedrungen taucht die<br />
Frage auf, ob ein Durchschnittsleben in Friedenszeiten<br />
weniger erzählenswert ist, ob es in<br />
seiner Gesamtheit weniger wiegt. „Der letzte<br />
große Trost“ ist der Versuch, die Geschichte<br />
des in den Sechzigerjahren geborenen Daniel<br />
Kowalski den aufwühlenden Täter- und<br />
Opfergeschichten seiner Großeltern gegenüberzustellen.<br />
Es hat mich interessiert, ob die<br />
kleine persönliche Tragik Daniels der großen<br />
historischen standhalten kann. Dazu kommen<br />
natürlich auch autobiografische Elemente, die<br />
mir wichtig waren. Meine Liebe zu meinem<br />
Vater zum Beispiel, sein früher und plötzlicher<br />
Tod und das Vakuum, das dieser – leider abschiedslose<br />
–Abschied in mir hinterlassen hat.<br />
„Der letzte große Trost“ hat<br />
durchaus Elemente, die sich auch<br />
in eine Krimihandlung fügen<br />
würden, wenn man denn wollte.<br />
Aber wäre das dann noch die<br />
gleiche Geschichte? Oder, anders<br />
gefragt, kannst du dir vorstellen,<br />
Themen wie Nationalsozialismus<br />
und Holocaust inklusive etwaiger<br />
familiärer Verstrickungen als<br />
Krimi zu erzählen?<br />
Ich kann es mir vorstellen, aber es reizt<br />
mich kaum. Ich habe beim Schreiben dieses<br />
Romans die Erfahrung gemacht, dass<br />
ich mich diesem Thema nur mit einer<br />
schmerzhaften, mir gegenüber gnaden losen<br />
Ehrlichkeit annähern kann. Ein Krimi der<br />
Gefühle, meinetwegen, aber keiner<br />
der Kniffe und Finten und wohlkonstruierten<br />
Gedankengebäude.<br />
Kriminalromane geben einem<br />
Autor – bei aller Freiheit der<br />
Gestaltung – doch ein gewisses<br />
Muster vor; es passiert etwas<br />
und die Handlung entwickelt<br />
sich entlang der Aufklärung<br />
dieses Verbrechens bzw. die<br />
Ordnung wird gestört und muss<br />
wiederhergestellt werden. Ist<br />
dieser grobe Rahmen eine Hilfe<br />
beim Schreiben oder engt dich<br />
dieses Gerüst als Autor eher ein?<br />
Ich denke, beides. Das Gerüst ist schwie -<br />
riger zu bauen, das Gebäude leichter.<br />
Was dürfen wir uns in Zukunft<br />
vom Autor Stefan Slupetzky<br />
erwarten? Einen weiteren Roman?<br />
Oder wieder einen Krimi? Würde<br />
in diesem Fall der Protagonist<br />
eher Polivka heißen oder wird<br />
es irgendwann einen neuen<br />
„Lemming“ geben?<br />
Einen ziemlich kuriosen Kriminalroman.<br />
Tatsächlich arbeite ich gerade an einem<br />
neuen „Lemming“, in dem auch Polivka<br />
eine tragende Rolle spielen wird. Der kleine,<br />
intrigante Kerl in meinem Kopf hat mir für<br />
dieses Buch Dispens erteilt.<br />
Stefan Slupetzky, 1962 in Wien geboren, studierte<br />
an der Akademie der bildenden Künste in Wien;<br />
freischaffender Autor und Illustrator; schreibt Kurzgeschichten,<br />
Reisetexte, Features, Gedichte und Liedtexte,<br />
Kinder- und Jugendbücher sowie Theaterstücke.<br />
Seine vier Kriminalromane mit Privatdetektiv Leopold<br />
„Lemming“ Wallisch („Der Fall des Lemming“,<br />
„Lemmings Himmelfahrt“, „Das Schweigen des<br />
Lemming“, „Lemmings Zorn“) wurden mehrfach<br />
ausgezeichnet, u.a. mit dem Friedrich-Glauser-Preis<br />
und dem Leo-Perutz-Preis. 2013 erschien der Kriminalroman<br />
„Polivka hat einen Traum“, im März 2016 der<br />
Roman „Der letzte große Trost“. Slupetzky ist Texter<br />
und Sänger der Wienerliedcombo „Trio Lepschi“.<br />
Buchtipp:<br />
Stefan Slupetzky:<br />
Der letzte große Trost<br />
Rowohlt, 256 S., € 19,95<br />
Buchpräsentation:<br />
Stefan Slupetzky:<br />
Der letzte große Trost<br />
Di., 30. März 2016, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Moderation: Joe Rabl<br />
Mit Musik von Trio Lepschi.
© Gaby Gerster<br />
Um Schweres<br />
leicht zu erzählen,<br />
ist viel Arbeit<br />
nötig.<br />
Thomas Glavinic<br />
24 25<br />
24 Wagner’sche.<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Was geschieht im Laufe eines Jahres<br />
mit einem Menschen? Von Silvester zu<br />
Silvester, von einem Geburtstag zum<br />
nächsten? Thomas Glavinic stürzt sich in<br />
seinem neuen Roman kompromisslos und<br />
mit einem Flair fürs Experimentelle ins<br />
Leben seiner Figuren hinein.<br />
Der „Jonas-Komplex“ ist der vierte Roman,<br />
in dem sich nicht alles, aber doch einiges<br />
um Jonas dreht. Nachdem er in „Die Arbeit<br />
der Nacht“ (2006) ganz allein auf der Welt<br />
war, ihm in „Das Leben der Wünsche“<br />
(2009) mehr Wünsche erfüllt wurden, als<br />
ihm lieb waren, und er schließlich, bei seinem<br />
letzten Auftritt in „Das größere Wunder“<br />
(2013) an einer Expedition auf den Mount<br />
Everest teilnahm, reist er diesmal mit seiner<br />
großen Liebe Marie zum Südpol – zu Fuß.<br />
Der neue Roman erzählt in kurzen, szenischen<br />
Kapiteln von einem Jahr im Leben<br />
dreier völlig unterschiedlicher Figuren.<br />
Die Jonas-Kapitel wechseln sich ab mit<br />
Momentaufnahmen aus dem Leben zweier<br />
Ich-Erzähler: Der eine ist ein Wiener Autor<br />
Thomas<br />
Glavinic<br />
Im Hier und Jetzt.<br />
Thomas Glavinic<br />
über Überraschungen,<br />
Zeit und<br />
Ehrlichkeit.<br />
Text und Gespräch:<br />
Christine Lötscher<br />
zwischen Drogenrausch, Sexexzessen und<br />
Lesungen – eine lustvoll-wilde Parodie auf<br />
den Literaturbetrieb, in der prominente Akteure<br />
aus dem richtigen Leben auftauchen.<br />
Der andere sitzt in der Weststeiermark und<br />
ist 13 Jahre alt; ein schachspielender Nerd<br />
und scharfsinniger Analytiker seiner selbst<br />
und der anderen. Nach eigener Aussage<br />
fürchtet er sich vor fast allem, obwohl ihm<br />
weder Menschen noch Hunde etwas tun<br />
können – „denn beide sind auf die eine oder<br />
andere Weise angeleint“. Er ist es, der uns<br />
erklärt, was es mit dem Jonas-Komplex auf<br />
sich hat: „Ich bin so. Überall sehe ich die<br />
Gefahr, nicht die Chance. Ich habe gelesen,<br />
das nennt man den Jonas-Komplex.“<br />
Thomas Glavinic, was fasziniert<br />
Sie an Jonas, welche Möglichkeiten<br />
des Schreibens tun sich über ihn<br />
als Ich-Erzähler für Sie auf?<br />
Das ist völlig unbeantwortbar für mich. Es<br />
gibt Autoren, die sich über solche Fragen<br />
den Kopf zerbrechen, aber ich gehöre nicht<br />
dazu. Ich weiß es ganz einfach nicht. Und<br />
es interessiert mich auch nicht. Ich schreibe<br />
den Roman so und nicht anders, weil<br />
er für mich so und nicht anders richtig ist.<br />
Warum er das ist, weiß ich nur bis zu einem<br />
bestimmten Punkt. Mehr zu wissen würde<br />
ohnehin eher die Gefahr der Überkontrolle<br />
bergen.<br />
Wussten Sie schon lange, dass<br />
Jonas weiter im Zentrum Ihres<br />
Schreibens stehen würde, oder<br />
war das eine Überraschung?<br />
Sowohl als auch. Ja, dass er mir wieder unterkommen<br />
wird, wusste ich. Aber mit dem<br />
Wann und Wie hat er mich überrascht.<br />
„Der Jonas-Komplex“ erzählt<br />
unter anderem von Exzessen – ein<br />
Jahr im Leben des Ich-Erzählers,<br />
eines Wiener Autors, mit Alkohol,<br />
Sex und Drogen; mit exzentrischen<br />
Figuren, unzeitgemäßen<br />
Persönlichkeiten, denen er<br />
begegnet. Aber auch der Text<br />
selbst ist exzessiv – mit lyrischen<br />
Passagen und einer Buchseite, auf<br />
der nichts anderes als „die Zeit,<br />
die Zeit, die Zeit“ steht. Ist die Zeit<br />
vielleicht die heimliche Hauptfigur<br />
des Romans? Und wie kann man<br />
sie literarisch erfahrbar machen?<br />
Die Zeit ist tatsächlich eines der mir wichtigsten<br />
Motive dieses Romans, ja, absolut.<br />
In Ihrem Essay „Meine Schreibmaschine<br />
und ich“ (2014) schreiben<br />
Sie, dass Sie Bücher mögen,<br />
die leichtfüßig von der Schwere<br />
erzählen. Genau das tun Sie in<br />
Ihren Romanen auch. Gibt es dafür<br />
ein Geheimnis oder hat es etwas<br />
mit einer inneren Haltung zu tun,<br />
mit Ihrer Beziehung zur Sprache?<br />
Das hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun. Um<br />
Schweres leicht zu erzählen, ist viel Arbeit<br />
nötig. Die Bücher, die so schwergewichtig<br />
daherkommen, sind meist nicht die guten.<br />
Da muss der Autor ehrlich zu sich selbst<br />
sein, sich immer wieder hinterfragen beim<br />
Schreiben, aber auch ehrlich dem Text gegenüber<br />
sein. Z. B. mit der Frage: Würde ich<br />
das selber lesen wollen?<br />
Thomas Glavinic wurde 1972 in Graz geboren.<br />
Sein erster Roman „Carl Haffners Liebe zum<br />
Unentschieden“ erschien 1998. Danach folgten u.a.<br />
die Romane „Der Kameramörder“, der zum ersten<br />
Innsbruck-liest-Buch wurde, „Wie man leben soll“ und<br />
„Die Arbeit der Nacht“. „Das bin doch ich“ stand 2007<br />
auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt<br />
erschien der Roman „Das größere Wunder“. Zahlreiche<br />
seiner Romane wurden für die Bühne adaptiert und<br />
verfilmt. Seine Werke sind in 20 Sprachen übersetzt.<br />
Thomas Glavinic lebt in Wien und Rom.<br />
Buchtipp:<br />
Thomas Glavinic:<br />
Der Jonas Komplex<br />
Fischer Verlag, 752 S., € 25,70<br />
Buchpräsentation:<br />
Thomas Glavinic:<br />
Der Jonas Komplex<br />
Di., 12. April 2016, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Einführung: Christine Lötscher
© Sabine Bonné<br />
Buchtipp:<br />
Wir leben in<br />
einer Zeit um<br />
sich greifender<br />
Verlassenheit.<br />
Mirko Bonné<br />
26 27<br />
Mirko Bonné:<br />
Feuerland<br />
Schöffling, 232 S., € 20,60<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Mirko<br />
Bonné<br />
Mirko Bonné<br />
schickt in seinem<br />
ersten Erzählband<br />
seine Figuren auf<br />
Reisen in extreme<br />
Gegenden, Situationen<br />
und Zustände<br />
und eröffnet das<br />
14. Prosafestival.<br />
Ein Gespräch mit<br />
Christoph W. Bauer<br />
Lieber Mirko, lass uns kurz in<br />
den Sommer vor dreißig Jahren<br />
zurückkehren: Du bist also<br />
einundzwanzig, machst Urlaub im<br />
Tessin und findest dich plötzlich in<br />
Innsbruck wieder – wie das?<br />
In diesem Sommer nach meinem Abitur<br />
hatte ich aus der Oberstufenbibliothek eine<br />
drei bändige Trakl-Ausgabe in meinen<br />
Besitz gebracht. Ich hatte Peter Rühmkorf<br />
zwei eigene Gedichte geschickt, die er mir<br />
zurück sandte voller Anerkennung und dem<br />
abschließenden Satz: „Tolle Gedichte,<br />
leider aber nicht Ihre. Schluss mit dem<br />
Getrakl.“ Deshalb fing ich an, mich mit<br />
Trakl ernsthaft zu beschäftigen, anstatt<br />
ihn immer tiefgreifender zu imitieren, und<br />
deshalb las ich im Sommer ’86 im Tessin<br />
Otto Basils Trakl-Monografie und trampte,<br />
als es in Bellinzona nicht aufhören wollte<br />
zu regnen, nach Innsbruck, wo ich zu<br />
Georg Trakls Grab auf dem Neuen Mühlauer<br />
Friedhof pilgerte und wo ich am Innufer<br />
den Traklpark entdeckte – Orte, die mir<br />
bis heute lieb sind als Fixpunkte der Selbstbesinnung,<br />
poetischen Inventur und Rückschau<br />
auf wie die Wasser des Inn vorbeirauschende<br />
Jahre.<br />
Nicht nur Trakl – Camus, Keats<br />
und Handke sind dir Leitsterne.<br />
Deinem jüngsten Werk, dem<br />
Erzählband „Feuerland“ stellst du<br />
ein Motto voran …<br />
Die Erzählungen in Feuerland werden von<br />
einem Satz von Lars Gustafsson eingeleitet,<br />
aus meinem Lieblingsroman von ihm, „Der<br />
Tod eines Bienenzüchters“: „Im Universum<br />
ist niemand zu Hause.“ Keine der elf<br />
Geschichten des Bandes spielt auf Feuerland<br />
oder in Patagonien, aber auf rätselhafte Weise<br />
sind die argentinisch-chilenischen Inseln<br />
im äußersten Süden von Südamerika das<br />
verbindende Motiv vieler durch das Buch<br />
wandernden Figuren. So gibt es darin die<br />
Sehnsucht nach Feuerland, Erinnerungen an<br />
Feuerland, einer filmt ein Feuer und nennt<br />
das Video „Feuerland“, einer glaubt im Fieberwahn,<br />
er sei in Feuerland … Ich selber<br />
war vor gut acht Jahren dort, als ich von<br />
Ushuaia aus mit dem Schiff<br />
in die Antarktis fuhr. Feuerland<br />
schien mir am Rand<br />
der Welt zu liegen, und<br />
schon der Name der Region<br />
ist ein für mich im poetischen<br />
Sinn sprechender,<br />
erzählt er doch von dem<br />
Glühen, das wir alle in uns<br />
tragen, von der Sehnsucht<br />
nach einem wirklicheren<br />
Leben. Lars Gustafssons<br />
Satz steht in meinen Augen<br />
übrigens mit einem meiner<br />
Lieblingsverse von Georg<br />
Trakl in enger Verbindung.<br />
In dessen Gedicht „Untergang“<br />
heißt es: „Am Abend weht von unseren<br />
Sternen ein eisiger Wind.“ Wir leben<br />
in einer Zeit um sich greifender Verlassenheit.<br />
Ich halte es für eine der vornehmsten<br />
Aufgaben der Literatur, den Menschen nicht<br />
Auswege oder Ausgänge aufzuzeigen,<br />
sondern, wie Handke sagt, Eingänge.<br />
Nach Gedichten, Romanen<br />
und Essays handelt es sich bei<br />
Feuerland um deinen ersten<br />
Erzählband. Was bewog dich<br />
dazu, dich in dieser literarischen<br />
Form auszudrücken? Worin liegen<br />
die Stärken der Erzählung in<br />
einer gegenwärtig von Romanen<br />
dominierten Literaturlandschaft?<br />
Im Grunde ist Feuerland wie ein Gedichtband<br />
entstanden. Er ist über sechzehn Jahre<br />
hinweg gewachsen, und irgendwann kam<br />
mir die Idee zu einem die Erzählungen verbindenden<br />
Motiv. Zwei oder drei Geschichten<br />
stellen überarbeitete Reste von aufgegebenen<br />
Romanprojekten dar, die meisten<br />
aber gehen auf Auftragsarbeiten zurück, und<br />
in vielen Erzählungen finde ich heute etwa<br />
Dialogstrukturen oder Figurenzeichnungen<br />
wieder, die ich später in einem Roman<br />
angewendet habe. Ganz wundervoll war<br />
es für mich, eine Geschichte wie „Schiff im<br />
Schnee“ zu schreiben, die eine der beiden<br />
erst kürzlich entstandenen ist. Darin geht es<br />
u.a. um das Wrack einer alten Lastwagenfähre,<br />
das an die Küste einer <strong>No</strong>rdseeinsel<br />
gespült wird. Diese Fähre, die „Kitty“, spielt<br />
auch in meinem Roman „Nie mehr Nacht“<br />
eine wichtige Rolle. In meiner Erzählung<br />
biete ich jedoch ein anderes Ende an, eine<br />
weitere Deutungsmöglichkeit. Überhaupt<br />
glaube ich, dass durch ihre Bündigkeit und<br />
Flexibilität Erzählungen der in Zweifel<br />
zersprungenen Realität, der Zersplitterung<br />
unserer Wahrnehmung vielleicht angemessener<br />
als die meisten Romane Ausdruck<br />
verleihen können.<br />
Lass uns abschließend noch einmal<br />
auf Georg Trakl zurückkommen.<br />
Gut zwei Wochen nach deinem<br />
Aufenthalt in Innsbruck im<br />
Januar 2016 sorgte eine Nachricht<br />
für Aufsehen: Ein unbekanntes<br />
Gedicht von Trakl wurde entdeckt.<br />
Die Spurensuche geht also weiter –<br />
auch deine?<br />
Mit Verlaub halte ich es für verfrüht, bei<br />
dem kürzlich entdeckten Gedicht von einem<br />
echten Trakl-Text zu sprechen oder gar von<br />
einer Sensation. Zweifel an der Echtheit<br />
sind hier durchaus angeraten. Hätte Trakl<br />
ein Gedicht wirklich „Hölderlin“ genannt?<br />
Und unter die beiden Strophen die Jahreszahl<br />
seines Entstehens gesetzt? Freilich<br />
geht die Spurensuche weiter, auch für mich.<br />
Ich schreibe an einem Aufsatz über Trakls<br />
Innsbrucker Jahre, der im Sommer in Quart<br />
erscheinen soll. Darin werde ich auch darauf<br />
zu sprechen kommen, dass im Falle Georg<br />
Trakl so gut wie gar nichts als gesichert<br />
gelten darf. Der Zweifel ist ein Merkmal<br />
seines Lebens und seines Werks, für mich<br />
auf beispielhafte Weise: Ich sehe mich aufgefordert,<br />
etwas entweder zu glauben oder<br />
es bleiben zu lassen.<br />
Lesung:<br />
Eröffnungslesung im Rahmen des<br />
14. Prosafestivals Innsbruck<br />
Do., 21. April 2016, 20 Uhr<br />
Stadtbücherei<br />
Mirko Bonné, Ronja von Rönne,<br />
Abbas Khider, Christian Uetz<br />
Fr., 22. April 2016, 20 Uhr<br />
Freies Theater<br />
Radek Knapp, Harald Darer,<br />
Hans Platzgumer, Thomas Meyer<br />
Sa, 23. April 2016, 20 Uhr<br />
VIERUNDEINZIG<br />
Cornelia Travnicek, Michal<br />
Hvorecký, Michelle Steinbeck,<br />
Henrik Szanto
Der König des Dramoletts<br />
Antonio Fians Texte leben im ständigen Spannungsverhältnis<br />
zwischen Literatur und Wirklichkeit.<br />
Bitte, was<br />
sollen wir<br />
mit einem<br />
Stück ?<br />
Antonio Fian<br />
Seine Prosa bemächtigt sich in realistischer<br />
Manier der ganz konkreten Ereignisse,<br />
um sie unversehens zu Versatzstücken<br />
seiner literarisch-satirischen Absichten zu<br />
machen; er spielt mit der ganz alltäglichen<br />
Sensationsgier seiner potentiellen<br />
Leser, wirft ihnen Brocken um Brocken<br />
vermeintlicher Tatsachen als Köder hin,<br />
um sie schließlich in seinen raffiniert<br />
ausgelegten Textschlingen zu fangen und<br />
ganz der Fiktion auszusetzen.<br />
Im folgenden ein Beispiel aus seinem neuen<br />
Buch „Schwimmunterricht – Dramolette VI“<br />
– mit freundlicher Genehmigung des Droschl<br />
Verlags.<br />
Dramaturgentreffen<br />
(Die Bühne das österreichische Theater<br />
der Gegenwart. Dramaturginnen und<br />
Dramaturgen (1–19), alle in großer<br />
Aufregung und großem Tempo hin und<br />
her eilend, dabei ständig miteinander<br />
sprechend, ohne allerdings den jeweiligen<br />
Gesprächspartner anzusehen oder auch<br />
wahrzunehmen.)<br />
1: Großartig, euer „Alles über meine<br />
Mutter“! Gute Idee, einen Almodóvar-<br />
Film auf die Bühne zu bringen.<br />
2: Danke. Als nächstes machen wir<br />
„Inglourious Basterds“. Und ihr?<br />
3: Bernhard. Die Gedichte. Zum<br />
23. Todestag.<br />
4: Wer richtet ein?<br />
3: Ich. Vermutlich gemeinsam mit<br />
Roubinek.<br />
6: Wir machen „Lisa“ von Glavinic.<br />
Auch mit Vitásek.<br />
7: Das wollten wir auch machen, mit<br />
Palfrader. Ihr wart leider schneller.<br />
8: Und? Macht ihr jetzt wieder einen<br />
Roman von Kehlmann?<br />
7: Nein. Den neuen Geiger.<br />
9: Wie machen Schnitzler.<br />
10 (höhnisch): Schnitzler?<br />
11 (noch höhnischer): „Das weite Land“<br />
wahrscheinlich!<br />
9: „Traumnovelle“. Aber nach der<br />
Filmfassung von Kubrick. Mit Scheuba<br />
und Händler.<br />
12: Sowas Ähnliches machen wir auch.<br />
„Der Knochenmann“ von Haas. Aber<br />
eben nicht nach dem Buch, sondern nach<br />
dem Film. Wahrscheinlich mit Voss.<br />
1: Gute Idee.<br />
13: Wir machen Franzobel.<br />
14: Immer gut. Hans Moser oder Orsolics<br />
oder was ganz Neues?<br />
13: Peter Alexander-Biographie.<br />
Auftragsarbeit.<br />
15: Das wollten wir auch.<br />
16: Das wollten alle. Wir haben Franzobel<br />
angerufen, da war die Todesmeldung grad<br />
zwei Stunden alt, und es war zu spät.<br />
18 (interessiert): Eine junge<br />
Oberösterreicherin? Fesch?<br />
17: Ja. Und ihr Stück ist –<br />
19: Stück?<br />
17: Ja. Ein wirklich spannendes Stück mit –<br />
19: Bitte, was sollen wir mit einem Stück?<br />
Soll einen Roman schreiben, dann<br />
können wir über eine Aufführung reden.<br />
18: Falls sie fesch ist.<br />
19: Falls sie fesch ist.<br />
(Vorhang)<br />
Antonio Fian, geboren 1956 in Klagenfurt, lebt seit<br />
1976 in Wien und kommentiert in unregelmäßigen<br />
Abständen das (in erster Linie) österreichische Kulturund<br />
Geistesleben, wofür er 1990 den Österreichischen<br />
Staatspreis für Kulturpublizistik erhielt.<br />
Buchtipp:<br />
Antonio Fian:<br />
Schwimmunterricht<br />
Droschl, 160 S., € 19,–<br />
© Nikolaus Korab<br />
28<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
5: Maurer Hauptrolle?<br />
3: Vitásek.<br />
29<br />
13: Wie wir den Auftrag erteilt haben,<br />
hat Peter Alexander noch gelebt. Man muss<br />
vorausdenken. (Zu 17:) Was macht ihr?<br />
17: Ist noch nicht klar. Ursprünglich<br />
wollten wir eine junge Oberösterreicherin<br />
machen, sehr talentiert, aber es hat sich<br />
herausgestellt, das übersteigt unsere<br />
finanziellen Möglichkeiten.<br />
Buchprästation:<br />
Do., 28. April 2016, 19:30 Uhr<br />
Antonio Fian:<br />
Schwimmunterricht<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Einführung: Robert Renk
© Reinhard Werner<br />
Du wirst<br />
nicht glauben,<br />
was für eine<br />
Meschuggas<br />
mir passiert ist.<br />
Doron Rabinovici<br />
30<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Im April lädt die Tagungsgruppe der<br />
PsychTransKultAG Tirol zur 11. Tagung<br />
der PsychTransKultAG Tirol. Unter dem<br />
Titel Narration.Macht.Wirklichkeit<br />
treffen die Wirklichkeiten von Psychotherapie,<br />
Literatur, bildender Kunst,<br />
Dolmetschen, Sozialer Arbeit und<br />
Psychiatrie an diesem Tag aufeinander,<br />
um eine selbst- und rassismuskritische,<br />
interdisziplinär vernetzte Narration über<br />
ihre Arbeit mit einzelnen Menschen zu<br />
gestalten.<br />
Die erfolgreiche Tagungsreihe steht seit<br />
12 Jahren für Kooperation und Interdisziplinarität<br />
in der Transkultur-Arbeit. Begegnungen<br />
mit LiteratInnen, ihren Arbeiten<br />
und Haltungen sind dabei wesentlich.<br />
In diesem Jahr ist der in Tel Aviv<br />
geborene und in Wien lebende Autor und<br />
Historiker Doron Rabinovici zu Gast. Doron<br />
Rabinovici gehört zu den interessantesten<br />
Autoren und Denkern seiner Generation.<br />
Er ist mit Talenten ebenso reich gesegnet<br />
wie mit Scharfsinn und Witz.<br />
Robert Schindel schreibt in seiner Laudatio<br />
zum Mörikepreis u.a.: „Es liegt nicht<br />
in den Genen, doch ein kultur-historisches<br />
Gedächtnis kann schon Wirkung entfalten.“<br />
„Dorons Mutter Schoschanna wurde bei<br />
der Liquidierung des Gettos von Wilna im<br />
Stoffsack ihrer Mutter bei der Selektion zum<br />
Leben gerettet. Als er selber viel später von<br />
diesen Dingen erfuhr, von den Glücksfällen<br />
in der Großen Katastrophe für die europäische<br />
Judenheit, von den Voraussetzungen<br />
seiner eigenen Existenz also, da stieg sein<br />
Thema direkt in seine Alphabetisierung<br />
hinein: Rabinovici ist zum Dichter des<br />
verhangenen Schuldgefühls geworden.<br />
‚Ich bin schuld‘, rufen seine Protagonisten<br />
unentwegt, bevor sie als Buch verbrennen<br />
oder sich aus den Mullbinden des Verhängnisses<br />
entwickeln.“ *<br />
Und immer sind seine Texte, egal ob<br />
literarisch oder historisch (oder am besten<br />
beides zugleich) mit diesem Witz veredelt.<br />
Rabinovici denkt geradlinig ums Eck, blickt<br />
vergangenheitsdurchtränkt in die Zukunft<br />
und ist mit Punkt und Strich gegenwärtig.<br />
Doron<br />
Rabinovici<br />
Psychotherapie,<br />
Literatur und<br />
Theodor Herzl.<br />
Doron Rabinovici<br />
zu Gast bei der<br />
11. Tagung der<br />
PsychTransKultAG<br />
Tirol.<br />
Von Robert Renk<br />
31<br />
Sein neuester Wurf – gemeinsam mit<br />
dem Soziologen Natan Sznaider – bringt<br />
denn auch einen unerwarteten Zugang zu<br />
einem der Gründerväter Israels; Theodor<br />
Herzl. Er löst Vergangenes und Zukünftiges<br />
in einer E-Mail-Korrespondenz mit dem Toten<br />
auf und klopft dabei Visionen und Ideen<br />
Herzls auf Haltbarkeit ab.<br />
„Du wirst nicht glauben, was für eine<br />
Meschuggas mir vor einer Stunde passiert<br />
ist: Ich erhielt eine E-Mail von einem gewissen<br />
Theodor Herzl. Nein, nicht etwa von<br />
irgendeinem Namensvetter. Er klingt ganz<br />
wie der Alte mit Prophetenbart. Seine Sprache,<br />
sein Duktus, seine Vision“, schreibt<br />
Rabinovici seinem Freund. Dabei verwendet<br />
Rabinovici, wenn er Herzl zu Wort kommen<br />
lässt, ausschließlich Auszüge aus dessen<br />
Werk. Allerdings erscheinen die Zitate so<br />
anregend und aktuell, dass man der im Buch<br />
folgenden Debatte über Israel gebannt folgt<br />
und vieles lernt über die Siedlungspolitik<br />
und die Spannung zwischen Heiligkeit und<br />
Souveränität … Ein Wurf!<br />
* aus der Laudatio zum Mörikepreis mit freundlicher<br />
Genehmigung des Suhrkamp Verlags<br />
Buchtipp:<br />
Doron Rabinovici/<br />
Natan Sznaider:<br />
Herzl reloaded<br />
Jüdischer Verlag im<br />
Suhrkamp, 207 S., € 20,60<br />
11. Tagung der<br />
PsychTransKultAG<br />
Tirol:<br />
Narration.Macht.Wirklichkeit<br />
Fr., 29. April 2016,<br />
9:00 bis 17:30 Uhr<br />
Haus der Begegnung, Innsbruck<br />
Anmeldung: Tel. 0512 587869 12,<br />
E-Mail: hdb.kurse@dibk.at<br />
Veranstaltet von: Tagungsgruppe<br />
der PsychTransKultAG Tirol<br />
gemeinsam mit dem Haus der<br />
Begegnung, Frauenhaus Tirol,<br />
8ungKultur, Plattform Rechtsberatung<br />
und Einzelpersonen;<br />
Mediale Begleitung:<br />
Freies Radio Innsbruck<br />
FREIRAD 105,9<br />
Lesung und Gespräche mit<br />
Doron Rabinovici um 9 Uhr.
Residenz<br />
in Residence<br />
Ein österreichisches Flagschiff<br />
der Buch- und Verlagswelt zu Gast<br />
in der Wagner’schen.<br />
Von Robert Renk<br />
Lesung:<br />
Residenzabend mit<br />
Klaus Theweleit und Peter Rosei<br />
Montag, 9. Mai 2016<br />
um 19:30 Uhr<br />
Moderation: Martin Sailer<br />
Einleitung: Claudia Romeder<br />
Ein Abend der Wagner’schen<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Klaus<br />
Theweleit<br />
Das Morden<br />
des normalen<br />
Mannes<br />
Von Stefanie Panzenböck<br />
Als Anders Breivik auf der Insel<br />
Utoya 69 Menschen erschoss,<br />
lachte er. Während seines Prozesses<br />
grinste er den Richter entspannt<br />
an. Worin liegen die Ursachen<br />
für so ein Verhalten, fragt sich<br />
der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Klaus Theweleit.<br />
In seinem Buch „Das Lachen der Täter“, das im Untertitel mit<br />
dem Hinweis „Psychogramm der Tötungslust“ ausgestattet ist, legt<br />
der Autor die dahinter stehende Psychostruktur frei. Breivik ist<br />
nur ein Bespiel des lachenden Täters, Theweleit nennt zahlreiche<br />
andere: US-amerikanische Soldaten, die im Folter-Gefängnis Abu<br />
Ghraib mit gedemütigten Insassen posierten, oder die Kämpfer des<br />
sogenannten Islamischen Staates, die Bilder und Filme ihrer Massaker<br />
stolz im Internet verbreiten.<br />
Theweleit komponiert seine Abhandlung aus Theorie-Blöcken,<br />
Medienberichten, Auszügen aus Romanen und Filmbeschreibungen,<br />
wobei er auch auf seine eigene, zum Standardwerk avancierte<br />
Untersuchung „Männerphantasien“ zurückgreift. Das Lachen der<br />
Täter ist eine Fortführung dieser Analyse des Mannes als Soldaten.<br />
Theweleits Kernaussage: „Breivik ist ein strukturell patriarchalischer<br />
Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch<br />
germanisch-sektiererischer SS-Mann.“ Es geht um das Gerüst, an<br />
das sich diese unterschiedlichen<br />
Ideologien klammern, und das für<br />
alle dasselbe ist: „Das Morden und<br />
Massenmorden gehört zum ganz<br />
normalen Mann-Typ dazu – immer<br />
dort, wo die Schleusen einmal geöffnet<br />
sind.“ Es ist der Körper, der<br />
andere Körper tötet, vergewaltigt<br />
und dabei lacht.<br />
Theweleits „Psychogramm der<br />
Tötungslust“ ist starker Tobak,<br />
Buchtipp:<br />
Klaus Theweleit: Das Lachen<br />
der Täter: Breivik u.a.<br />
Residenz Verlag, 248 S., € 22,90<br />
© Privat<br />
seine Sprache ist schonungslos und<br />
körperlich, schreckt vor keinem<br />
Detail zurück. Damit kann er der<br />
Brutalität seines Themas, dem<br />
Morden des normalen Mannes,<br />
analytisch auf Augenhöhe begegnen.<br />
Ein beeindruckendes Unterfangen.<br />
Alt aber neu! Das Motto der Wagner’schen<br />
könnte auch für den Residenz Verlag stehen.<br />
Der 1956 in Salzburg gegründete Verlag<br />
ist einer der traditionsreichsten Literaturverlage<br />
Österreichs. In ihm veröffentlichte<br />
(ab 1967) fast alles, was in Österreich literarisches<br />
Gewicht hat: Peter Handke, Gert<br />
Jonke, H.C. Artmann, Barbara Frischmuth,<br />
Julian Schutting, Reinhard P. Gruber, Franz<br />
Innerhofer, um nur einige zu nennen, haben<br />
hier debütiert. Auch ein gewisser Thomas<br />
Bernhard hat u.a. mit seinen autobiografischen<br />
Romanen seine besten Texte hier<br />
publiziert – und seinen eigentlichen Verleger<br />
Siegfried Unseld vom Suhrkamp-Verlag<br />
damit zur Weißglut getrieben.<br />
Für mich persönlich immanent prägend<br />
war das Jahr 1984, in dem mir ein dottergelbes<br />
Buch mit Titel „Zündels Abgang“ in die<br />
Hände viel. Dieses und auch die weiteren<br />
Bücher des Schweizer Autors Markus<br />
Werner sind für mich noch immer absolute<br />
Kostbarkeiten im großen Gewimmel der<br />
literarischen Betrieblichkeit. Markus Werner<br />
war auch der erste nichtösterreichische<br />
Autor des Verlages, dem sich freilich viele<br />
hinzugesellten, u.a. Dimitri Analis, John<br />
Ashbery, Robert Creeley, Péter Esterházy,<br />
William Gass, Ismail Kadare, Jan Skácel,<br />
Thomas Rosenlöcher oder Arnold Stadler.<br />
Die wechselvolle Geschichte des Verlages<br />
trieb ihn von Salzburg ausgehend in die<br />
Hände des Bundes; 1983 wurde er an den<br />
Österreichischen Bundesverlag verkauft.<br />
Später kurzfristig nach Stuttgart, wo er,<br />
nicht lange, Teil der Klett-Gruppe war, um<br />
sich bald nach St. Pölten zu vertschüssen,<br />
weil ihn das Niederösterreichische Pressehaus<br />
gekauft hat.<br />
Schöne, werthaltige Bücher<br />
Im Juli 2015 wird wieder alles neu und doch<br />
nicht. Nun kehrt der Residenz Verlag also an<br />
seinen Ursprungsort zurück: Die Salzburger<br />
PDP Holding unter Eigentümer Peter Daniell<br />
Porsche und CEO Rafael Walter, wird<br />
100 % Eigentümerin des Residenz Verlags.<br />
Die beiden Verlagsleiterinnen Claudia<br />
Romeder (Programm) und Roswitha Wonka<br />
(kaufmännische Agenden) verbleiben in<br />
ihren Positionen. Und seit ein paar wenigen<br />
Monaten sind die neuen Standorte – der<br />
Hauptsitz in der „Kunstmühle“ in Salzburg-<br />
Gnigl und das Büro in Wien – also bezogen.<br />
Bücher seit 1639<br />
Was sagt der neue Besitzer, Peter Daniell<br />
Porsche: „Ich freue mich sehr darüber, dass<br />
wir den Residenz Verlag wieder an seinen<br />
Ursprungsort nach Salzburg holen können.<br />
Wir fühlen uns der beeindruckenden Vergangenheit<br />
des Residenz Verlags verpflichtet<br />
und sehr verbunden, außerdem sind wir uns<br />
seiner großen Bedeutung für die Förderung<br />
und Etablierung der österreichischen<br />
Literatur nach 1945 bewusst. Mir ist es ein<br />
besonderes Anliegen, dass im Zeitalter von<br />
E-Books schön gestaltete, werthaltige und<br />
gedruckte Bücher mit gutem Inhalt ihren<br />
Stellenwert nicht verlieren. Hiermit zu<br />
ermöglichen, dass sich der Residenz Verlag<br />
seinem ursächlichen Kerngeschäft in Ruhe<br />
widmen kann, bereitet mir große Freude.“<br />
Literarisches<br />
Gipfeltreffen<br />
Das klingt doch alles höchst erfreulich<br />
und ist Grund genug, dass zwei, die Alt<br />
und Neu so wunderbar verbinden, zu einem<br />
gemeinsamen Abend einladen. Und was<br />
für ein Abend das wird!<br />
Klaus Theweleits erster Lese-Auftritt<br />
in Tirol und Peter Rosei, der dieser Tage<br />
seinen 70. Geburtstag feiert, an einem<br />
Abend, da kann man tatsächlich von einem<br />
literarischen Gipfeltreffen sprechen.<br />
Theweleit hat in der schönen Residenzreihe<br />
Unruhe bewahren mit „Das Lachen<br />
der Täter“ einen Bestseller (ein Essayband<br />
als Bestseller? – jawohl!) gelandet und<br />
Peter Rosei ist mit den Wiener Dateien eine<br />
wunderschöne, fünfbändige Cassette gewidmet,<br />
die auch seinen neuen abschließenden<br />
Roman „Wien Metropolis“ beinhaltet.<br />
Martin Sailer wird die zwei in ein hochvergnügliches<br />
Gespräch verwickeln. Ein<br />
Abend, wie er auch außerhalb Tirols nicht<br />
allzu oft geboten wird.<br />
33<br />
Peter Rosei<br />
Wie sich<br />
Wirtschaft<br />
erzählen lässt<br />
Von Anton Thuswaldner<br />
Georg Asamer hat es geschafft.<br />
Er hat sich in der Werbebranche<br />
nach oben gearbeitet, er zählt<br />
etwas, sein Wort hat Gewicht. Er<br />
betreibt eine florierende Firma und<br />
aus Eitelkeit hält er an der Universität<br />
für Welthandel Seminare. „Der<br />
Geschäftsmann oder Manager“, doziert<br />
er dort, „ist der Nabel der Welt“. Er meint das durchaus ernst.<br />
Pech für ihn, denn Peter Rosei, der Buch führt über sein Treiben,<br />
ist einer der stillen Ironiker in der österreichischen Literatur, und<br />
mit solchen Sätzen legt er die Seele eines kümmerlichen Charakters<br />
bloß. Asamer ist nur eine Figur aus Peter Roseis Roman „Geld!“,<br />
der eine Gegenwartsbestimmung unternimmt, um die Spielregeln<br />
unserer Gesellschaft in Frage zu stellen. Der Siegertyp Asamer<br />
ist bei Rosei zum Untergang bestimmt. Ihm folgt einer, der etwas<br />
skrupelloser, eine Spur gewissenloser ist, auf seinen Mentor nimmt<br />
er keine Rücksicht. Das Geschäftsleben, eine Mördergrube, die<br />
Gewinnmacher sind ausgestattet mit dem Killerinstinkt.<br />
Das könnte man so nehmen als Bestätigung dessen, was man geahnt<br />
hat, aber bei Rosei bekommen solche Gestalten eine Herkunft.<br />
Ihm gelingt es, etwas so Abstraktes wie die Wirtschaft ins Erzählerische<br />
zu heben. Das gelingt ihm mit dem Roman „Die Globalisten“<br />
ebenso wie mit dem Roman „Madame Stern“, in denen all jene,<br />
die es zu etwas gebracht haben, mit Verbrechen in Zusammenhang<br />
gebracht werden. Zusammen<br />
mit den beiden Romanen „Wien<br />
Metropolis“ und „Das große Töten“<br />
werden die fünf Bücher zum Zyklus<br />
Wiener Dateien gebündelt. Zu den<br />
Optimisten wird man nach Lektüre<br />
der Bände Peter Rosei nicht zählen<br />
wollen. Peter Rosei, der am 17. Juni<br />
seinen 70. Ge burtstag feiert, bedient<br />
sich als Erzähler einer Fantasie,<br />
die Gegenwartsverhältnisse in den<br />
Aberwitz dreht, um prekäre Verhältnisse<br />
umso greller erscheinen<br />
zu lassen. Das ist nicht unbedingt<br />
optimistisch, aber eine bestechende<br />
Form von Aufklärung!<br />
© Gabriela Brandenstein<br />
Buchtipp:<br />
Peter Rosei:<br />
Wien Metropolis<br />
Residenz Verlag, 284 S., € 21,90
© Alex Grob<br />
Grenzgänge …<br />
Sepp Mall:<br />
Poetische<br />
Vermessungen<br />
der Heimat<br />
Die Grenzgänge sind inzwischen eine<br />
literarische Institution. 2014 von der Stadtbücherei<br />
Innsbruck in Zusammenarbeit<br />
mit 8ungKultur ins Leben gerufen, locken<br />
sie zweimal jährlich viele Besucher in die<br />
erweiterten Arbeitszimmer interessanter<br />
AutorInnen.<br />
Das Konzept, je zwei AutorInnen einzuladen,<br />
aber das Gespräch in den Vordergrund<br />
zu rücken und die eigentliche Lesung<br />
ins Gespräch zu integrieren, trifft also<br />
absolut den Publikumsnerv. Das Publikum<br />
schätzt das mehr an wohldosierter und<br />
kompetenter Information, lernt so auch die<br />
AutorInnen viel besser kennen und auch der<br />
Austausch am Büchertisch oder bei einem<br />
Gläschen wird gerne genutzt, auch wenn die<br />
Grenzgänge – auf Grund des Konzeptes –<br />
an sich schon mal die 90 Minuten ausreizen.<br />
Der Hauptgrund, warum die Abende<br />
trotzdem so kurzweilig sind, hat einen<br />
Namen. Der lautet Klaus Zeyringer. Der<br />
Kulturjournalist und Germanist schafft es<br />
wie kein zweiter, die Gäste gewitzt und<br />
verständig ins Gespräch zu verwickeln und<br />
ihnen diverse Geheimnisse aus den Schubladen<br />
ihrer Schreibtische zu entlocken. Am<br />
liebsten aber hat er es, wenn die zwei Gäste<br />
selbst miteinander ins Gespräch kommen.<br />
Und das ist wohl – neben perfekter Vorbereitung,<br />
einem breiten literarischen Fachwissen<br />
und seiner steten Neugier – eines seiner<br />
Geheimnisse, er stellt sich in den Dienst der<br />
Sache und drückt ihr deswegen sacht und<br />
kompetent den Stempel auf.<br />
Neue Stadtbücherei<br />
ab Herbst 2018<br />
„Sein Vater habe sich in Luft<br />
aufgelöst, sagte der Junge, von<br />
einem Tag auf den anderen.“ So<br />
beginnt Sepp Malls berührender<br />
Roman „Wundränder“ über die<br />
Auswirkungen der politischen<br />
Verwerfungen im Südtirol der<br />
Sechzigerjahre – sinnbildlich für<br />
das jahrzehntelange Ringen des<br />
Autors um Verständnis und Ausgleich.<br />
Es geht dem 1955 in Graun im Vinschgau geborenen und in<br />
Meran lebenden Mall um das Verstehen zwischen den Generationen,<br />
zwischen Vätern und Söhnen, Müttern und Töchtern, über Grenzen<br />
und Landessprachen hinweg.<br />
Die Abtrennung Südtirols von Österreich, die wechselvolle<br />
Beziehung zu Italien, die Heimat und die vielen Wunden, die die<br />
jüngere Geschichte in den Familien hinterlassen hat, das sind Sepp<br />
Malls Themen. Dabei ist er ein behutsamer, poetischer Erzähler,<br />
der nicht wertet, sondern beschreibt. Und immer wieder diese<br />
abwesenden oder toten Väter, Geschwister, die Familie, wie in den<br />
Erzählungen „Verwachsene Wege“ und „Brüder“ sowie im Roman<br />
„Berliner Zimmer“. Malls Protagonisten sind meist Außenstehende,<br />
Ausgestoßene, Einzelgänger, Menschen, die anders sind. Sie gehen<br />
vom Dorf, von der ländlichen, oft bedrückenden Idylle fort in die<br />
Stadt, wie es auch bei anderen Südtiroler Schriftstellern wie Joseph<br />
Zoderer oder Sabine Gruber heißt, sie gehen in ein freieres, selbstbestimmtes<br />
Leben, auch wenn<br />
die Stadt dann nur Bozen ist.<br />
Poetische Landschaftsvermessungen<br />
mit ganz eigenem<br />
Ton sind auch die lyrischen<br />
Bücher Malls, für die er viel -<br />
fach ausgezeichnet wurde,<br />
unter anderem mit dem renommierten<br />
Meraner Lyrikpreis.<br />
In den Gedichtbänden „Läufer<br />
im Park“ oder „Landschaft mit<br />
Tieren unter Sträuchern hinge-<br />
Das ist wiederum ganz im Sinne von<br />
Kathrin Mader, Leiterin der Stadtbücherei<br />
Innsbruck seit nunmehr schon 16 Jahren.<br />
Sie selbst ist wohl eine der größten Vermittlerinnen<br />
des Landes und herzlich und<br />
begeisterungsfähig wie am ersten Tag. Sie<br />
freut sich nicht nur kurzfristig auf die siebte<br />
Ausgabe von Grenzgänge, wo sie am<br />
duckt“ und zuletzt in „Schläft<br />
13. Mai Alex Capus aus der Schweiz und<br />
Buchtipp:<br />
ein Lied“ kommt der Poet Mall<br />
Sepp Mall aus Südtirol begrüßen darf, sie<br />
ganz zu sich und schaut in die<br />
freut sich auch mittelfristig auf das große<br />
35<br />
Sepp Mall:<br />
Welt wie durch ein Brennglas,<br />
Projekt Übersiedelung!<br />
Wundränder<br />
beschreibt in der kleinen Form<br />
Im Herbst 2018 voraussichtlich wird die<br />
HAYMONtb, 176 S., € 9,95 ganze Welten – präzise und<br />
Stadtbücherei ihre Pforten in der Amraser<br />
ganz bei sich.<br />
Straße öffnen, im neuen zweiten Pematurm.<br />
Mit 3000 m 2 Fläche und einem eigenen<br />
Bücher seit 1639<br />
… in der alten und<br />
neuen Stadtbücherei.<br />
Von Robert Renk und<br />
Bernd Schuchter<br />
Veranstaltungsraum wird sie endlich an die<br />
Bedürfnisse einer Großstadt angepasst. Zur<br />
Zeit liegt die Fläche bei 700 m 2 , womit Innsbruck<br />
im Verhältnis Österreichs Schlusslicht<br />
bildet. Und für Veranstaltungen muss jedes<br />
mal 2 Stunden hin- und 2 Stunden zurückgeschoben<br />
werden.<br />
Diese Zeit kann in der neuen Stadtbücherei<br />
viel sinnvoller genutzt werden,<br />
z. B. dafür, mehr lernpädagogische Akzente<br />
zu setzen, den Lernort Bücherei überhaupt<br />
zu verbessern. Dank längerer Öffnungszeiten<br />
und mehr Personal wird der Aufenthaltsort<br />
Stadtbücherei attraktiver und auch<br />
Veranstaltungen werden noch professioneller<br />
durchführbar. Da unter anderem auch die<br />
städtische Andechsgalerie und ein großes<br />
Restaurant in das Gebäude mit einziehen,<br />
kann man von einem kulturellen Rund-<br />
Um-Sorglos-Paket sprechen. Sicher eine<br />
enorme Bereicherung für die Stadt und<br />
speziell für den Raum zwischen Innenstadt<br />
und östlichem Stadtteil. Und ein idealer Ort<br />
für weitere Grenzgänge.<br />
Alex Capus:<br />
Die Umarmung<br />
der Welt<br />
Der Schweizer Alex Capus ist ein<br />
Autor, dem man das Etikett „weltläufig“<br />
oder „souverän“ anheften<br />
könnte, ohne seinem Werk auch<br />
nur annähernd gerecht zu werden.<br />
Souverän ist Capus in seinem Stil,<br />
seinem Ton; seine Prosa ist von<br />
leichter Hand geschrieben, humorvoll,<br />
voller Ironie, wie in „Mein<br />
Nachbar Urs“ oder in „Der König<br />
von Olten“, in dem ein Kater all<br />
die kleinen und großen Geschichten<br />
über Capus’ Heimatstadt Olten zusammenhält. Capus schaut in<br />
diesen sehr persönlichen Büchern tief in die Schweizer Seele, die<br />
vor allem in der kleinstädtischen Provinz zu Hause ist. Es geht um<br />
Heimat, um Identität und um den einfachen Alltag. Dabei weiß man<br />
seit Joseph Roth, dass jene Geschichten, die einfach erzählt scheinen,<br />
am schwierigsten zu schreiben sind.<br />
Alex Capus ist ein ungemein produktiver Autor, seit seinem<br />
Debüt „Diese verfluchte Schwerkraft“ im Jahr 1994 erschien fast<br />
jährlich ein Buch, darunter die Romane „Eine Frage der Zeit“ oder<br />
„Léon und Louise“, mit denen Capus in die große weite Welt schreitet,<br />
wie auch in seiner wunderbaren Hommage an Robert Louis<br />
Stevenson, den Autor der Schatzinsel, dem Buch „Reisen im Licht<br />
der Sterne“. Für die Recherche reiste Alex Capus um die halbe Welt<br />
bis nach Samoa, wo Stevenson seine letzten Lebensjahre verbrachte.<br />
Und wie nebenbei, mit leichter Hand erzählt, gelingt es Capus,<br />
erstaunliche Entdeckungen über Stevenson zu machen, die bisher<br />
einem Heer von Biografen entgangen<br />
sind. Von der Schweizer Provinz<br />
bis zu einer Höhle auf Cocos<br />
Island führt Capus seine Leser,<br />
als wäre es das <strong>No</strong>rmalste der Welt;<br />
er erzählt Geschichten, als wäre<br />
man selbst dieser Reisende, der<br />
in jedem neuen Buch die ganzen<br />
Fragen der Welt zögerlich stellt,<br />
neugierig, wohin eine Brise dieses<br />
Schiff voller Erzählungen wohl<br />
treiben mag. Alex Capus gelingt<br />
mit seinen Büchern buchstäblich<br />
die Umarmung der Welt.<br />
© Marco Grob<br />
Lesung:<br />
Grenzgänge VII:<br />
Vom Recherchieren,<br />
Erzählen und Dichten<br />
Alex Capus und Sepp Mall im Gespräch<br />
mit Klaus Zeyringer<br />
Freitag, 13. Mai 2016 um 19 Uhr.<br />
Stadtbücherei, Colingasse 5a,<br />
6020 Innsbruck. Eintritt frei.<br />
Eine Veranstaltung der Stadtbücherei<br />
Innsbruck und 8ungKultur.<br />
Büchertisch: Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Buchtipp:<br />
Alex Capus:<br />
Reisen im Licht der Sterne<br />
Hanser, 224 S., € 20,50
Museum der Träume<br />
Mit der aktuellen Ausstellung geht das Schloss Ambras<br />
neue, interaktive Wege. Von Robert Renk<br />
Das Lächeln<br />
als Signal<br />
für die<br />
Ausgeglichenheit<br />
aller Begierden.<br />
Franz Schuh<br />
Zeitgenössische Performance trifft auf die<br />
Kunst der Renaissance. Das Museum lädt<br />
– in Zusammenarbeit mit wenn es soweit<br />
ist – an acht Abenden zur besonderen<br />
Reise durch das Schloss und seine Sammlungen.<br />
Die Besucher und Besucherinnen<br />
erforschen dabei – mit einem Plan und<br />
einem Hocker bewaffnet – das gesamte<br />
Areal und begegnen SchauspielerInnen,<br />
TänzerInnen und MusikerInnen, die verschiedene<br />
Szenen vor Ort aufführen.<br />
Raoul Schrott schreibt über den sagenumwobenen<br />
Meteoriten von Ensisheim.<br />
Sabine Gruber setzt sich mit dem Porträt<br />
des Giovanni Boccaccio auseinander. Der<br />
weißrussische Autor Viktor Martinowitsch –<br />
dessen Roman „Paranoia“ in seiner Heimat<br />
verboten wurde – sucht in der Rüstkammer<br />
Erzherzog Ferdinands II. die Nachklänge<br />
der Grausamkeit des Krieges. Simon Zöchbauer<br />
und Julia Lacherstorfer vom Musikduo<br />
Ramsch & Rosen nähern sich mit einer<br />
Komposition der St. Nikolauskapelle.<br />
Thomas Glavinic bespielt mit seinem<br />
Text „Nackt!“ die Wanne des Bades der<br />
Philippine Welser und Komponistin Johanna<br />
Doderer komponiert die Klagen des gotischen<br />
Schmerzensmanns.<br />
Last but not least wurde der großartige<br />
Franz Schuh angefragt und macht sich in<br />
der Habsburger Porträtgalerie auf die Suche<br />
nach dem Lächeln.<br />
Begleitend zu dieser besonderen Ausstellung<br />
samt Theaterperformance dürfen wir<br />
in Kooperation mit dem Schloss Ambras<br />
und wenn es soweit ist zur Lesung mit Franz<br />
Schuh einladen.<br />
Kolumnist, Essayist, Krimifachmann, Fachmann<br />
des Weiteren für das Banale und das<br />
Überhöhte und glänzender Interpret eigener<br />
Texte. Er ist der Methaphorik sehr zugeneigt,<br />
ein Meister der Assoziation und ihrer<br />
vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten, er<br />
ist ein bisserl morbide, sehr charmant, er ist<br />
Wiener!<br />
Für sein Buch „Schwere Vorwürfe,<br />
schmutzige Wäsche“ wurde er mit dem<br />
Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet,<br />
2009 erhielt er den Tractatus, den<br />
Essaypreis des Philosophicum Lech, und<br />
2011 den Österreichischen Kunstpreis für<br />
Literatur.<br />
Er schreibt gerne Kolumnen über Kriminalliteratur<br />
u.a. für Literaturen oder Datum<br />
und nimmt sich im Radio und fürs Fernsehen<br />
verschiedenster Gefühlsregungen an<br />
(u.a. das „Magazin des Glücks“ auf Ö1) und<br />
hat im Rahmen des Projektes Museum der<br />
Träume für uns die habsburgische Porträtgalerie<br />
nach dem Lächeln durchforstet.<br />
Und ist äußerst fündig geworden.<br />
Nachdem man den Text von Franz Schuh<br />
genossen hat, kann man – angeregt von<br />
seinen Erkenntnissen – das Lächeln der<br />
vielen Habsburger entdecken.<br />
Museum der Träume:<br />
Premiere: Sa., 21. Mai 2016<br />
Weitere Aufführungen:<br />
Fr., 27. Mai, Fr., 3. Juni,<br />
Sa., 11. Juni, Fr., 17. Juni,<br />
Sa., 25. Juni, Sa., 2. Juli und<br />
Fr., 8. Juli 2016 jeweils von<br />
19 bis 22 Uhr.<br />
weitere Infos unter:<br />
www.schlossambras-innsbruck.at/<br />
museumdertraeume<br />
© Helmut Wimmer<br />
36<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Franz Schuh, einer der luzidesten Denker<br />
der Gegenwart, ist der Philosoph unter den<br />
Schriftstellern und der Stilist unter den<br />
Philosophen! Er ist Lehrbeauftragter am<br />
Max Reinhardt Seminar in Wien, ist auch<br />
37<br />
Buchtipp:<br />
Franz Schuh:<br />
Sämtliche Leidenschaften<br />
Zsolnay, 224 S., € 20,50<br />
Lesung:<br />
Franz Schuh liest<br />
im Rahmen von<br />
„Museum der Träume“<br />
Di., 31. Mai 2016, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Moderation: Robert Renk
© Fotowerk Aichner<br />
Ich habe<br />
ein Buch<br />
lang über<br />
mein Schreiben<br />
nachgedacht.<br />
Barbara Hundegger<br />
38<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
„dein wörterkopfball kämpft mit<br />
wind“, das ist der Titel der Poetik-<br />
Vorlesung, die du im Mai/Juni im<br />
Literaturhaus am Inn abhalten<br />
wirst. Du äußerst dich darin<br />
„kämpferisch“. Wie hängen Poetik<br />
und Politik für dich zusammen?<br />
Politik bestimmt die Bedingungen und<br />
Umstände, unter denen wir leben, sie beeinflusst<br />
unsere Möglichkeiten, aber auch die<br />
„Stimmungen“, die herrschen, innerlich wie<br />
äußerlich. Das künstlerisch auszublenden<br />
käme einer Verkürzung, einer Simplifizierung<br />
und Verharmlosung gleich und würde<br />
wirkmächtige Aspekte von Wirklichkeit einfach<br />
ignorieren. Wenn man aber, so wie ich,<br />
Kunst/Literatur/Poesie als komplexe Atmosphärenforschung<br />
begreift, kann man Teile<br />
dieser Atmosphäre nicht einfach weglassen<br />
und es sich im „lyrischen Garten“, als den<br />
die meisten die Lyrik ja immer noch sehen,<br />
quasi gemütlich machen, während draußen<br />
Herrschaftstechniken, Zaun-Architekten,<br />
„Sachzwänge“, Dunkelziffern usw. sich austoben.<br />
Dieses Radikal-Gegenwärtige unter<br />
Einbeziehung des jeweils quasi als „persönlich“<br />
Empfundenen poetisch hochwertig<br />
anzugehen ist es, was mich reizt.<br />
Du hast einmal gesagt, die Lektüre<br />
des Wörterbuchs sei für dich<br />
eine der spannendsten Lektüren<br />
gewesen. Inwiefern?<br />
Den ganzen Duden einfach als Buch durchgelesen<br />
habe ich im Zuge meines Lyrikbandes<br />
„schreibennichtschreiben“ (2009), in<br />
welchem ich mich nach einer langwierigen<br />
und sehr einschränkenden gesundheitlichen<br />
Beeinträchtigung – die auch vieles relativiert<br />
hat – meines Tuns wie neu versichern<br />
hab’ müssen, und ich habe deshalb ein Buch<br />
lang über das und über mein Schreiben<br />
nachgedacht. So ein Wörterbuch eröffnet ja<br />
erst den ganzen Horizont der Möglichkeiten<br />
des Materials! Wenn man sich nur kurz in<br />
die Vorstellung versenkt, was aus diesem<br />
Grundstoff von 26 Buchstaben des Alphabets<br />
an Werken herausgekommen ist, wird<br />
einem/einer ja schwindlig, so atemberaubend<br />
ist das.<br />
Barbara<br />
Hundegger<br />
… plädiert für<br />
mehr Lyrik im<br />
öffentlichen Raum<br />
und mehr Gegenwärtiges<br />
in der<br />
Lyrik. Ein Gespräch<br />
mit Anna<br />
Rottensteiner und<br />
Gabriele Wild<br />
39<br />
Die Wörterbuchlektüre hat mich endgültig<br />
und unheilbar zum Sprach-Fan gemacht –<br />
denn in der Sprache ist alles schon da.<br />
Es geht also mehr ums Finden als ums<br />
Erfinden. Und so fand praktisch gleichzeitig<br />
eine endgültige Heilung statt: von der<br />
schriftstellerischen Attitüde, über Sprache<br />
herrschen zu können.<br />
Zu deinem künstlerischen<br />
Schaffen gehören auch<br />
verschiedene Kunstprojekte im<br />
öffentlichen Raum, wie man<br />
zuletzt in deinem Plakatprojekt<br />
„PAMPA PAMPA“ sehen konnte.<br />
Du hast auch den Begriff „public<br />
poetry“ geprägt: Was bedeutet<br />
Kunst im öffentlichen Raum für<br />
dich?<br />
„PAMPA PAMPA – milieu innsbruckwest“,<br />
das war ein Herzensprojekt von mir.<br />
Ich komme ja aus der Höttinger Au, bin<br />
am Mitterweg in den von Äckern und<br />
Gärtnerdynastien umgebenen Bauboom-<br />
Rohbau-Landschaften der 1960er-/70er-<br />
Jahre aufgewachsen, und dass letztes Jahr<br />
endlich die Umsetzung der Idee einer<br />
„Bespielung“ der Plakatflächen rund um<br />
die Wiese in der Exlgasse in Zusammenarbeit<br />
mit Christine Prantauer gelungen ist, hat<br />
mich echt glücklich gemacht. Ich habe aber<br />
auch schon einen ÖBB-Sicherheitsstollen<br />
des Brennerbasistunnels mit Texten zum<br />
Brennerbasistunnel versehen (55 Drei-<br />
Zeiler, für jeden Kilometer einen!), im<br />
Rahmen der Erich-Fried-Tage in Wien die<br />
Fenster des Literaturhauses mit auf Plexi<br />
aufgezogenen Texten/Fotos zu Flucht und<br />
Migration gestaltet („blossom dust maps“)<br />
oder Lyrik für das Projekt und den Film zum<br />
Thema Betteln der Initiative Minderheiten<br />
„entworfen“.<br />
Lyrik und Text gehören quasi an die Luft<br />
und unter die Leut’! Ich sehe überall Wände,<br />
Flächen, Zonen, die wunderbar, berührend,<br />
witzig, rätselhaft usw. mit Text arbeiten<br />
könnten – das schwebt mir mit meiner<br />
„public poetry“ vor. Und gerade die Lyrik<br />
wäre prädestiniert dafür: weil sie schaut ja<br />
so kurz aus.<br />
„public poetry“ wäre ein Ansatz aus den<br />
konventionellen Literatur-Bahnen hinaus.<br />
Denn Bücher können auch das sein: Gräber<br />
mit zwei Deckeln – wenn auch welche der<br />
allerschönsten davon.<br />
Barbara Hundegger, geboren 1963 in Hall in Tirol,<br />
hält von 31.5.–2.6. die Innsbrucker Poetik-Vorlesung<br />
im Literaturhaus am Inn und tritt am 17.6. im Rahmen<br />
des 2. Lyrik-Festivals Innsbruck W:ORTE mit einer<br />
Musik- und Textperformance auf. Jüngste Publikation:<br />
„wie ein mensch der umdreht geht – dantes läuterungen<br />
reloaded“ (Haymon 2014).<br />
Buchtipp:<br />
Barbara Hundegger:<br />
wie ein mensch der umdreht<br />
geht – Dantes Läuterungen<br />
reloaded. Gedichte.<br />
HAYMON, 120 S., € 17,90<br />
W:ORTE –<br />
2. Lyrikfestival<br />
Innsbruck:<br />
16. – 20. Juni 2016<br />
u.a. mit José F.A. Oliver, Erica<br />
Zingano, Odile Kennel, Barbara<br />
Hundegger & Innstrumenti,<br />
Jan Wagner, Robert Prosser,<br />
Babelsprech, Ulf Stolterfoht,<br />
Ferdinand Schmatz und Durs<br />
Grünbein. Weitere Infos unter<br />
www.wagnersche.at
MEDICIn<br />
Peter Ustinov hat einmal den weisen Satz geprägt:<br />
„Bildung ist wichtig, vor allem wenn es gilt,<br />
Vorurteile abzubauen. Wenn man schon ein Gefangener<br />
seines eigenen Geistes ist, kann man wenigstens dafür sorgen,<br />
dass die Zelle anständig möbliert ist.“ Von Markus Renk<br />
Gesprächsstoff<br />
im Treibhaus<br />
Eine neue Gesprächsreihe jeweils<br />
montags – ein guter Wochenbeginn<br />
für alle, die gerne diskutieren.<br />
Buchtipp:<br />
Christian Schubert:<br />
Was uns krank macht macht –<br />
Was uns heilt<br />
Fischer & Gann, 240 S., 24,70<br />
Buchpräsentation:<br />
Christian Schubert:<br />
Was uns krank macht<br />
Mi. 1. Juni 2016, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
© Foto Hofer<br />
Mit der Übernahme haben wir den Bereich<br />
der Fachbücher wieder ausgebaut, um alte<br />
Tugenden der Wagner’schen wieder aufleben<br />
zu lassen. Gerade das Thema Medizin<br />
ist uns hier wichtig.<br />
Buchpräsentation<br />
So wird am 1. Juni 2016 Univ. Prof. DDr.<br />
Christian Schubert bei uns im Haus sein<br />
aktuelles Buch präsentieren. Schubert<br />
studierte Medizin und Psychologie und ist<br />
Facharzt und Psychotherapeut. Seit 20 Jahren<br />
erforscht er die Wechselwirkungen von<br />
Psyche, Gehirn und Immunsystem, bereits<br />
1995 gründete er das Labor für Psychoneuroimmunologie<br />
an der Universitätsklink in<br />
Innsbruck, dem er bis heute vorsteht. Er<br />
absolvierte einen längeren Forschungsaufenthalt<br />
in den USA an der University of<br />
California San Diego, seit 2005 leitet er<br />
die Arbeitsgruppe Psychoneuroimmunologie,<br />
seit 2013 ist er Vorstandsmitglied der<br />
Akademie für integrierte Medizin (AIM). In<br />
Verbindung mit seinen aufsehenerregenden<br />
Studien entwickelte er ein völlig neues, eigenes<br />
Forschungsdesign, das es erlaubt, den<br />
Menschen ganz individuell und ganzheitlich<br />
zu erforschen. Er ist Autor zahlreicher vielbeachteter<br />
Fachpublikationen.<br />
Christian Schubert zeigt in seinem<br />
Buch einen radikalen neuen Blick auf die<br />
Zusammenhänge von Gehirn, Psyche und<br />
Gesundheit.<br />
Was uns krank macht –<br />
was uns heilt<br />
Das Szenario ist bekannt: Grippezeit, jeder<br />
schnieft und hustet. Man hofft, heil über die<br />
Runden zu kommen. Und doch hat es einen<br />
erwischt – man war ja auch so gestresst.<br />
Und an dieser Annahme ist auch etwas dran.<br />
Wie die noch junge Disziplin der Psychoneuroimmunologie<br />
beweist: Psyche, Gehirn<br />
und Immunsystem wirken aufs engste zusammen.<br />
Unser Immunsystem steht in einer<br />
ständigen Wechselwirkung mit unseren<br />
Gedanken, unserem Verhalten, unseren Gefühlen.<br />
Neueste Studien zeigen: Chronische<br />
psychische Belastungen, z. B. Dauerstress<br />
in Beziehungen oder im Job, machen uns<br />
nicht nur anfälliger für Infektionen, sondern<br />
können unser Leben erheblich verkürzen;<br />
langfristig können sie zu schweren Leiden<br />
wie Krebs und Autoimmunkrankheiten<br />
führen.<br />
Doch wenn psychische Belastungen<br />
krank machen, dann, so Schubert, heißt das<br />
auch im Umkehrschluss, dass positive Gedanken,<br />
seelische Ausgeglichenheit, inneres<br />
Wohlbefinden Selbstheilungskräfte sind,<br />
die Krankheiten verhindern.<br />
Christian Schubert und die Mitherausgeberin<br />
Madeleine Amberger plädieren<br />
in diesem ersten populären Sachbuch zur<br />
Psychoneuroimmunologie für ein neues<br />
Denken in Medizin und Forschung, das den<br />
ganzen Menschen im Blick hat – und einen<br />
radikalen Wandel unseres Gesundheitswesens<br />
erfordert.<br />
„Die Medizin konzentriert sich ganz auf<br />
den Körper. Doch das ist nicht genug. Denn<br />
so wie die Muskeln, Sehnen und Wirbeln<br />
miteinander verbunden sind, so sind auch<br />
Körper und Seele als eine Einheit zu betrachten.<br />
Mich interessiert der Mensch als<br />
Ganzes.“ So Dr. Christian Schubert.<br />
Dr. Madeleine Amberger ist Wissenschaftsjournalistin<br />
und lebt seit 25 Jahren in<br />
New York. Sie arbeitet seit Jahrzehnten für<br />
den ORF (Dimensionen der Wissenschaft,<br />
Radiokolleg), den SRF und war auch Amerika-Korrespondentin<br />
für Profil und Kurier.<br />
Weiterbildung<br />
Gerade in der heutigen Zeit ist Weiterbildung<br />
eines der zentralen Themen. Die<br />
Wagner’sche war nicht nur als Universitätsbuchhandlung<br />
stets bemüht, das Thema<br />
Fortbildung zu forcieren. Immerhin war ihre<br />
Fachbuchabteilung über viele Jahrzehnte<br />
weit über die Tiroler Grenzen bekannt.<br />
In den Focus rückt hier das Thema<br />
Weiterbildung. Nicht nur das Buchsortiment<br />
wurde deutlich ausgebaut, sondern<br />
wir suchen engen Kontakt zu den Tiroler<br />
Bildungshäusern und der Innsbrucker Universität.<br />
Der Nutzen für unsere Kunden:<br />
Wir werden kostenlose Weiterbildungsveranstaltungen<br />
in der Wagner’schen anbieten.<br />
Wege ins Medizinstudium<br />
Es freut uns auch, dass wir für zukünftige<br />
Medizinstudenten MedAT-Info- und Vorbereitungskurse<br />
in unserem Haus anbieten<br />
werden. Gemeinsam mit dem Marktführer<br />
auf diesem Gebiet, den MedGurus, zeigen<br />
wir nicht nur den Weg ins Medizinstudium<br />
auf, sondern führen auch im April und im<br />
Mai 2-tägige MedAT-Vorbereitungskurse<br />
in der Buchhandlung durch. Die MedGurus<br />
bieten nun schon seit acht Jahren Seminare<br />
für den Medizinertest an und ihr Motto ist:<br />
„Von Studenten & Für Studenten“, nur Trainer<br />
unterrichten, welche die diversen Tests<br />
schon selbst bestanden haben.<br />
Kurse:<br />
40 41<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Infokurs:<br />
Wege ins Medizinstudium Innsbruck<br />
1-Tages-Kurs, 08.04.2016, 18 – 21 Uhr<br />
Wagner’sche Universitätsbuchhandlung<br />
MedAT-Vorbereitungskurs:<br />
1. 2-tägiger MedAT-Vorbereitungskurs<br />
Sa., 16.04.– So., 17.04.2016<br />
2. 2-tägiger MedAT-Vorbereitungskurs<br />
Sa., 30.04. – So., 01.05.2016<br />
3. 2-tägiger MedAT-Vorbereitungskurs<br />
Sa., 14.05.– So., 15.05.2016<br />
jeweils ganztags.<br />
© Treibhaus<br />
Das Wort am Montag erteilt Treibhauschef<br />
<strong>No</strong>rbert Pleifer ab nun<br />
regelmäßig denen, die auch wirklich<br />
was zu sagen haben. So gab es wahre<br />
Gesprächshighlights u.a. mit den Gästen<br />
Robert Misik, Livia Klingl, Daniel<br />
Zipfel, Gregor Gysi, Alexander van<br />
der Bellen oder Gudrun Harrer.<br />
Brisante Themen, Buchpräsentationen,<br />
gepflegte Gespräche durchaus<br />
mit einem Hauch Entertainment oder<br />
sachlich-hitzige Diskussionen, das<br />
alles konnte und kann man erleben,<br />
wenn man am Montag ins Treibhaus<br />
pilgert.<br />
Nächste Termine:<br />
21. März 2016, 20 Uhr<br />
Jutta Sommerbauer: Die Ukraine im Krieg<br />
Kremayr & Scheriau, € 22,–<br />
4. April 2016, 20 Uhr<br />
Margit Maximilian Woza Sisi: Die mutigen<br />
Frauen Afrikas – Kremayr & Scheriau, € 22,–<br />
25. April 2016, 20 Uhr<br />
Elfriede Hammerl: Von Liebe und Einsamkeit<br />
Kremayr & Scheriau, € 22,–
Mit<br />
den<br />
besten<br />
Empfehlungen:<br />
Der mit anabolen Steroiden<br />
vollgepumpte Chris erschlägt<br />
beim verkorksten Liebesspiel<br />
eine junge Frau, seine Eltern,<br />
die wohlsituierten Lanes, schieben<br />
die Schuld auf Lyndall, den<br />
Junkie-Sohn ihrer Haushälterin.<br />
Lyndall überlebt keine Nacht<br />
im Knast, hingerichtet und ausgeweidet<br />
dient er als warnende<br />
Botschaft an seinen Vater, ein<br />
Opfer mehr im Bandenkrieg von<br />
Kapstadt. Er bleibt nicht das<br />
letzte Opfer in Roger Smiths<br />
knallhartem Thriller, der furios<br />
und gekonnt ein blutiges Rachespiel<br />
entwirft, in dem Opfer<br />
zu Täter werden und Täter zu<br />
Opfern. Andreas Hauser<br />
Roger Smith:<br />
Leichtes Opfer<br />
Tropen, 334 S., € 20,50.<br />
Antihelden sind sein Ding. Und<br />
wenn einer schon Anders heißt,<br />
kann man sich drauf verlassen,<br />
dass Jonas Jonasson – nach dem<br />
Hundertjährigen und der Analphabetin<br />
– wieder eine unvergessliche<br />
Figur geschaffen hat, die eben<br />
ganz anders ist. Anders – nach<br />
zahllosen Gefängnisauf enthalten<br />
nur noch „Mörder Anders“<br />
genannt, gerät bei seiner Jobsuche<br />
an die atheistische Pfarrerin<br />
Johanna und den Rezeptionisten<br />
Per. Zusammen gründen sie eine<br />
„Körperverletzungsagentur“<br />
mit durchschlagendem Erfolg,<br />
bis Anders sich plötzlich für<br />
Gott interessiert und friedfertig<br />
werden will … Robert Renk<br />
Jonas Jonasson: Mörder Anders und<br />
seine Freunde nebst dem einen oder<br />
anderen Feind. carlsbooks, 352 S.,<br />
€ 20,60, erscheint am 7. April!<br />
Mit seinem ersten Roman begibt<br />
sich der Headwriter von Bastian<br />
Pastewka Chris Geletneky auf<br />
die Erfolgsspur seinen Spetzls<br />
Tommy Jaud (mit dem er u.a.<br />
für Ladykracher schreibt). Ein<br />
perfekter Midlifecrises-Roman,<br />
in dem Tillmann sein Spießerleben<br />
hinterfragt. Das hätte er<br />
besser nicht getan, denn prompt<br />
schlittert er in eine Affäre,<br />
die ausgerechnet an seinem<br />
10. Hochzeitstag auffliegt. Dann<br />
veröffentlicht er aus Versehen<br />
ein Video, das Tausende Beziehungen<br />
zerstört, und jetzt hasst<br />
ihn – außer seiner Frau – auch<br />
der Rest der Welt. Robert Renk<br />
Chris Geletneky:<br />
Midlife Cowboy<br />
Lübbe, 352 S., € 15,50<br />
Mischa ist ein Schauspieltalent,<br />
sucht und findet aber mit der<br />
Floristin Valerie ein unaufgeregtes<br />
Leben. Kollege Sebastian<br />
steht unter Strom und hat eine<br />
Idee: Runter von der Bühne,<br />
rein ins Leben der Kunden.<br />
M & V lassen sich davon überzeugen<br />
und turbulente Szenen<br />
von berührend über haarsträubend<br />
bis hochkomisch folgen.<br />
Erfolg stellt sich ein, aber auch<br />
Probleme. Kossdorff hat die<br />
Zügel seiner fröhlich galoppierenden<br />
Romanhelden fest im<br />
Griff und beglückt mit einem<br />
überraschenden und spannenden<br />
Finale. Markus Köhle<br />
Jan Kossdorff:<br />
Leben spielen<br />
Deuticke, 384 S., € 20,50<br />
Acht Jahre hat der schwedische<br />
Autor Steve Sem-Sandberg an<br />
„Die Erwählten“ gearbeitet und<br />
damit allen in der NS-Anstalt<br />
am Spiegelgrund Ermordeten<br />
ein Denkmal gesetzt. Der<br />
Roman besticht sowohl was die<br />
historischen Fakten, als auch<br />
was die sprachliche Umsetzung<br />
des Stoffes betrifft. Die<br />
Hauptfigur Adrian Ziegler ist<br />
an das Schicksal von Friedrich<br />
Zawrel angelehnt, die Ärzte<br />
(z. B. Dr. Gross) werden in<br />
Echtnamen genannt. Der Autor<br />
erzählt ungemein einfühlsam<br />
aus mehreren Perspektiven. Ein<br />
erschütterndes, ein wichtiges,<br />
ein gutes Buch. Markus Köhle<br />
Steve Sem-Sandberg:<br />
Die Erwählten<br />
Klett-Cotta, 525 S., € 27,70<br />
In seinem sechsten Roman<br />
lässt HP seinen Helden den<br />
Bocksberg erklimmen und das<br />
dortige Gipfelbuch vollschreiben.<br />
Wir erfahren vom wilden<br />
Heranwachsen eines legitimierten<br />
„Hurensohnes“ aus der<br />
Südtirolersiedlung, Mutproben,<br />
Bandenkriegen und Körperdrill<br />
durch Karate. Der Held wird<br />
früh mit dem Tod konfrontiert<br />
und wird auch selbst zweimal<br />
nachhelfen. Wie soll man damit<br />
umgehen? Dieses Buch liefert<br />
Diskussionsstoff und hat auch<br />
amüsante Seiten, wenn unerwartet<br />
ein gewisser Hansi Platzgumer<br />
eine Rolle spielt. Markus Köhle<br />
Hans Platzgumer:<br />
Am Rand<br />
Zsolnay, 206 S., € 20,50<br />
42<br />
Wagner’sche.<br />
Zukunft – das ist ein Wort, das<br />
Jamalee und Jason nicht kennen,<br />
von dem sie höchstens träumen,<br />
etwa, wenn sie in Häuser reicher<br />
Leute einbrechen. In einem treffen<br />
sie auf Sammy. Der kleinkriminelle<br />
Verlorene zieht bei<br />
den Geschwistern ein, wirft ein<br />
Auge auf deren Mutter Bev, das<br />
andere auf Jamalee, während der<br />
schöne Jason Geld ranschaffen<br />
soll. Doch dann wird Jason tot<br />
aufgefunden, alles gerät aus den<br />
Fugen im Hinterland Missouris,<br />
wo Kultautor Daniel Woodrell<br />
erneut eine tragische White-<br />
Trash-Ballade anstimmt.<br />
Andreas Hauser<br />
Daniel Woodrell:<br />
Tomatenrot<br />
Liebeskind, 222 S., € 20,60<br />
Emanuel Bergmanns Debüt<br />
nimmt uns mit in das Leben von<br />
Mosche und Max. Im Europa<br />
anfang des 20. Jahrhunderts reist<br />
Mosche aus Prag seiner Zukunft<br />
im Zauber-Zirkus entgegen. Fast<br />
ein ganzes Jahrhundert später<br />
sucht Max in Los Angeles nach<br />
dem großen Zauberer Zabbatini,<br />
er braucht einen Liebeszauber,<br />
der die Scheidung seiner Eltern<br />
verhindert. Vom Leben, der Tragik<br />
und Leichtigkeit so gekonnt<br />
erzählt zu bekommen, lässt<br />
den Leser nur schwer das Buch<br />
beiseite legen. Lena Kripahle<br />
Emanuel Bergmann:<br />
Der Trick<br />
Diogenes 391 S., € 22,70<br />
Die Amerikanerin Baronin<br />
Eugenia Münster und ihr Bruder<br />
reisen aus Europa nach Boston,<br />
um ihrem Geldmangel durch<br />
Heirat zu entfliehen. Henry<br />
James, dessen 100. Todestag<br />
am 28. Februar 2016 gedacht<br />
wurde, hat mit „Die Europäer“<br />
eine unterhaltsame, leichtfüßige<br />
Salonkomödie geschaffen. Die<br />
neue Übersetzung trägt den Text<br />
wunderbar und lässt einen die<br />
alles entschlüsselnden Dialoge<br />
genießen. Für James-Fans ein<br />
Muss, für Freunde von Oscar<br />
Wilde eine Entdeckung. Boris Schön<br />
Henry James:<br />
Die Europäer<br />
Manesse Verlag, 256 S., € 25,70<br />
Jacqueline ist eine Gestrandete.<br />
Heimatlos, sprachlos. Sie ist aus<br />
ihrem afrikanischen Geburtsland<br />
geflohen. Nun kämpft sie am<br />
griechischen Strand ums Überleben.<br />
Tagsüber versucht sie, nicht<br />
aufzufallen, nachts wäscht sie<br />
sich im Meer. Sie trägt nur ihre<br />
Kleidung und Erinnerungen<br />
bei sich. Über das Erlebte kann<br />
sie nicht sprechen. Eines Tages<br />
bietet ihr eine Griechin Essen an<br />
und Jacqueline beginnt zu erzählen<br />
– von Familie und Flucht.<br />
Und davon, dass Erlebnisse und<br />
Überleben oft keinen Platz für<br />
Hoffnung lassen. Robert Renk<br />
Maksik, Alexander:<br />
Die Gestrandete<br />
Verlag Droemer, 288 S., € 20,60<br />
Bei Weitem kein harmloser<br />
Roman! Eine Geschichte, die<br />
gekonnt verschiedenste Themen<br />
miteinander verschmelzen lässt:<br />
Glaube, Liebe, Tod, Krieg oder<br />
Politik. Dabei trägt Diana Rosie<br />
nicht dick auf, sie beschreibt<br />
die Geschehnisse unverblümt<br />
und ehrlich. Alberto macht sich<br />
gemeinsam mit seinem Enkel<br />
Tino auf die Suche nach seinem<br />
Geburtstag, an den sich „Apu“<br />
schlichtweg nicht erinnern kann.<br />
Diesen finden sie auch, doch gilt<br />
hier der Grundsatz: Der Weg<br />
ist das Ziel! Eine ergreifende<br />
Geschichte, die von Kapitel zu<br />
Kapitel in eine andere Zeit hüpft<br />
und nach und nach das Puzzle<br />
komplettiert. Evelyn Unterfrauner<br />
Diana Rosie:<br />
Albertos verlorener Geburtstag<br />
Knaus Verlag, 336 S., € 17,50<br />
Dieser Roman muss etwas<br />
ganz Großes werden! B. W.<br />
beschreibt die Gedanken und<br />
Erlebnisse seines Protagonisten<br />
Jules mit einer unglaublich<br />
leichten, mitreißenden und vor<br />
allem authentischen Sprache. Es<br />
geht um drei Geschwister, die<br />
verschiedener nicht sein könnten<br />
und doch eines gemeinsam<br />
haben: den Verlust der Eltern<br />
in der Kindheit. Sie versuchen,<br />
ihren eigenen Weg zu gehen,<br />
gehen lange den falschen und<br />
fragen sich unterwegs, ob er<br />
irgendwann doch zum richtigen<br />
werden könnte.<br />
Evelyn Unterfrauner<br />
Benedict Wells:<br />
Vom Ende der Einsamkeit<br />
Diogenes Verlag, 368 S., € 22,70
Krishna Mustafa reist für ein<br />
halbes Jahr in seine Heimat Türkei,<br />
um seine Identiät zu finden<br />
und seine (Ex)Freundin Laura<br />
zurückzugewinnen. Doch was<br />
ist Identität und wie findet man<br />
sie? Chaos ist vorpro grammiert,<br />
denn mit seinem mäßigen<br />
Türkisch, seinen Dreadlocks und<br />
seiner Vorliebe, alles in Frage zu<br />
stellen, stolpert Krishna Mustafa<br />
von einem Missverständnis ins<br />
andere. Selim Özdogan lässt<br />
uns das internationale Durcheinander,<br />
durch seinen treffenden<br />
und manchmal philosophischen<br />
Schreibstil, hautnah miterleben.<br />
Marija Milicevic<br />
Selim Özdogan:<br />
Wieso Heimat, ich wohne zur Miete<br />
Haymon, 248 S., € 19,90<br />
Als Baumwollpflücker, Bäcker<br />
und Cowboy schlägt sich Gales<br />
durchs Mexiko der 20er Jahre.<br />
Um jeden hart verdienten Centavo<br />
muss gefeilscht werden,<br />
für ein, zwei mehr braucht es<br />
den Streik. B. Traven wirft in<br />
den Baumwollpflückern einen<br />
schonungslosen, aber auch<br />
humorigen Blick auf den Klassenkampf<br />
des Proletariats. Was<br />
anfangs altertümelnd wirkt, wird<br />
im Laufe des Romans immer<br />
gegenwärtiger – nur wurden die<br />
Wanderarbeiter zu Leiharbeitern,<br />
auf der Suche nach Arbeit<br />
und Lohn überqueren auch heute<br />
die Menschen (ihre) Grenzen.<br />
Andreas Hauser<br />
B. Traven:<br />
Die Baumwollpflücker<br />
Diogenes, 221 S., € 12,40<br />
Peter Prange entführt uns mit<br />
seiner historischen Erzählkunst<br />
in eine andere Zeit. Paris 1229 –<br />
Robert Savetier erfüllt sich<br />
einen Traum und studiert an<br />
der ersten Universität der Welt.<br />
Doch während Robert und sein<br />
bester Freund Paul um die Liebe<br />
derselben Frau ringen, verstricken<br />
sich die beiden in Konfrontationen<br />
zwischen Glaube,<br />
Gottesfurcht, Pflicht, Freiheit<br />
und Macht. Ein sehr überwältigender<br />
und tiefsinniger Roman.<br />
Sehr lesenswert! Marija Milicevic<br />
Peter Prange:<br />
Die Rose der Welt<br />
Fischer Scherz 512 S., € 20,60<br />
Wie viel Fiktion braucht das<br />
Leben, wie viel Wirklichkeit die<br />
Literatur? Kann man sich selbst<br />
entkommen, der Geschichte<br />
der Familie, jener des eigenen<br />
Landes? Gstrein interessieren<br />
auch in seinem neuen, zwischen<br />
Palästina, Kalifornien und Österreich<br />
oszillierenden Roman<br />
um Leben und Sterben des<br />
amerikanisch-jüdischen Autors<br />
(und Lebenssuchers) John nicht<br />
Antworten, er stellt Fragen.<br />
Drängende. Stefan Gmünder<br />
<strong>No</strong>rbert Gstrein:<br />
In der freien Welt<br />
Hanser Verlag, 496 S., € 25,60<br />
Seinen ersten Toten sah<br />
Hackberry Holland, Sheriff im<br />
Niemandsland nahe der mexikanischen<br />
Grenze, im Korea-<br />
Krieg. Doch Altmeister James<br />
Lee Burke lässt ihn agieren<br />
und schießen wie einen Jungspund.<br />
Und geschossen wird<br />
viel auf der Suche nach einem<br />
verschwundenen FBI-Agenten,<br />
hinter dem Holland, das FBI,<br />
ein reaktionärer Söldnertrupp,<br />
russische Porno-Händler und<br />
südamerikanische Killer her<br />
sind. Nach „Regengötter“ der<br />
zweite Holland-Roman, ein<br />
wuchtiges Epos, voller verrückter<br />
Typen und atemberaubender<br />
Landschaften. Andreas Hauser<br />
James Lee Burke:<br />
Glut und Asche<br />
Heyne, 699 S.; € 18,50<br />
Auf den ersten Blick: ein dickes<br />
Buch mit über 600 Seiten.<br />
Aber wer über ein ganzes Dorf<br />
schreibt, braucht Platz! Juli Zeh<br />
zieht uns hinein in die Geschichten<br />
über Beziehungen, Befindlichkeiten<br />
und die Abgründe<br />
verschiedenster Interessen. Die<br />
harmlose Dorf-Idylle „Unterleuten“<br />
– eine Illusion. Die<br />
Personen packen uns und ziehen<br />
uns in ihr Leben. Der Lesende<br />
wechselt mit ihnen die Perspektive<br />
und kann sich dann spiegelnd<br />
selbst befragen, zu den<br />
Themen des Zusammen-, oder<br />
auch Allein-Lebens. Ute Faserl<br />
Juli Zeh:<br />
Unterleuten<br />
Luchterhand, 640 S., € 25,70<br />
Eine Frau; ein uneheliches Kind;<br />
die Weigerung, den Vater zu<br />
nennen; ein rotes A als Schandmal;<br />
ein nach Rache dürstender<br />
Ehemann; ein an seiner Schuld<br />
zerbrechender Priester; die<br />
1640er-Jahre; der Druck der<br />
Dorfgemeinschaft – Ingredienzien<br />
eines Klassikers der US-Literatur.<br />
Nathaniel Hawthorne lässt<br />
– frisch ins Deutsche übertragen<br />
– die Männer scheitern an ihrem<br />
Tun, Hester Prynne aber erstarkt<br />
an ihrer Ausgrenzung, an der<br />
Selbstverliebtheit der anderen,<br />
am puritanischen Fanatismus.<br />
Schnee von gestern? Angesichts<br />
der (g)eifernden Tea-Party wohl<br />
kaum. Andreas Hauser<br />
Nathaniel Hawthorne:<br />
Der scharlachrote Buchstabe<br />
dtv, 488 S., € 28,70<br />
Filiz wächst in einem Dorf in<br />
der Türkei auf. Der „Blauschmuck“,<br />
die Blutergüsse, die die Frauen<br />
tragen, zeugt von der Macht der<br />
Männer. Filiz lernt Yunus kennen<br />
und heiratet ihn. Die große<br />
Liebe wird zum Alptraum. Ihr<br />
Mann misshandelt sie. Die Spirale<br />
der Gewalt dreht sich auch<br />
weiter, als die Familie nach<br />
Österreich kommt. „Blauschmuck“,<br />
der Debütroman der Österreicherin<br />
Katharina Winkler, treibt<br />
einen durch eine Welt voller<br />
Brutalität. Trotzdem kann man<br />
ihn nicht aus der Hand legen.<br />
Denn Katharina Winkler beschreibt<br />
diese Welt mit einer<br />
ungeheuer präzisen Sprache. Ein<br />
grandioses Debüt. Susanne Gurschler<br />
Katharina Winkler:<br />
Blauschmuck<br />
Suhrkamp, 196 S., € 19,50<br />
Mit seinem neuen Buch plädiert<br />
der Bestseller Autor für einen<br />
bewussten, reduzierten und<br />
genussfreudigen Umgang mit<br />
tierischen Produkten. Grimm<br />
kritisiert die Lügen der Tierindustrie<br />
und ihrer politischen<br />
Unterstützer. Dieses Buch<br />
öffnet dem Leser die Augen<br />
und zeigt ganz deutlich, wie<br />
uns übermäßiger Fleischgenuss<br />
krank machen kann und welche<br />
ökologischen Folgen sich daraus<br />
ergeben. Kritisch, sachlich und<br />
sehr gut recherchiert! Marlene Walder<br />
Hans-Ulrich Grimm:<br />
Die Fleischlüge<br />
Droemer Verlag, 336 S., € 18,50<br />
Im dritten Fall des von Privatermittler<br />
Cormoran Strike und<br />
seiner Assistentin Robin Ellacott<br />
wird’s persönlich. Robin erhält<br />
ein mysteriöses Paket, darin ein<br />
abgetrenntes Frauenbein. Strike<br />
fallen vier Personen ein, denen<br />
er eine solche Tat zutraut, und<br />
er weiß, jede von ihnen ist zu<br />
unaussprechlicher Grausamkeit<br />
fähig. Weitere erschreckende<br />
Vorfälle in London bringen das<br />
Ermittlerduo selbst in Bedrängnis.<br />
Unter dem Pseudonym Robert<br />
Galbraith schreibt niemand<br />
geringerer als J.K. Rowling, die<br />
sich hier als legitim gezeugte<br />
Tochter von Sir Arthur Conan<br />
Doyle und Agatha Christie<br />
präsentiert. Robert Renk<br />
Robert Galbraith:<br />
Die Ernte des Bösen<br />
Blanvalet, 672 S., € 23,70<br />
Ein berührendes Familienopus<br />
aus <strong>No</strong>rwegen, das Edvard,<br />
der bei seinem wortkargen<br />
Großvater in Gudbrandsdalen<br />
aufwächst, auf eine Reise<br />
durch fremde Länder und zu<br />
den Wurzeln seiner Geschichte<br />
führt. Denn Edvards Eltern sind<br />
früh ums Leben gekommen.<br />
Um ihren Tod und den Ort des<br />
Geschehens wird ein großes<br />
Geheimnis gemacht. Vielleicht<br />
kann der Bruder des Großvaters<br />
helfen, der seine Werkstatt mitsamt<br />
einem Wald voller Flammenbirken<br />
zurückließ und der<br />
dem Großvater einen kunstvoll<br />
geschnitzten Sarg liefern ließ –<br />
zu Lebzeiten … Robert Renk<br />
Lars Mytting:<br />
Die Birken wissen’s noch<br />
Insel, 516 S., € 25,70<br />
Eine junge Frau zieht aufgrund<br />
ihres Berufes weit weg. Die heute<br />
gewöhnliche Situation schildert<br />
Friederike Gösweiner in ihrem<br />
Debüt „Trau rige Freiheit“.<br />
„Dann hat das wohl keinen Sinn<br />
mehr“, sagt Hannah, der die personale<br />
Erzählung ganz nah folgt.<br />
Sie meint konkret das Leben mit<br />
Jakob. Den Hintergrund bilden<br />
aktuelle Zustände, die gängige<br />
Diskurse gegeneinander ausspielen<br />
und in die Enge treiben. Der<br />
Roman verdichtet dies in wohltuend<br />
unpathetischer Gestaltung.<br />
Ein Sprachkunstwerk, das das<br />
Lebensgefühl einer Generation<br />
im Wechsel von Hoffnungen<br />
und Abgrundängsten vermittelt.<br />
Klaus Zeyringer<br />
Friederike Gösweiner:<br />
Traurige Freiheit<br />
Droschl, 144 S., € 18,–<br />
Eve Chase legt hier einen faszinierenden<br />
Familienroman vor,<br />
der sich um ein altes Haus rankt:<br />
Black Rabbit Hall. Dort vergeht<br />
die Zeit anders. Die idyllische<br />
Zeit der Familie Alton wird<br />
1968 jäh durch eine Tragödie<br />
zerrissen. Jahrzehnte später<br />
fahren Lorna Smith und ihr Verlobter<br />
Jon auf der Suche nach<br />
einem Ort für ihre Hochzeitsfeier<br />
durch die wilde Landschaft<br />
Cornwalls – und stoßen auf ein<br />
altes, leicht verfallenes, aber<br />
wunderschönes Haus. Ein Haus,<br />
das Lorna nach und nach seine<br />
Geschichten und Geheimnisse<br />
verrät … Simone Winter<br />
Eve Chase:<br />
Black Rabbit Hall<br />
blanvalet, 412 S., € 20,60<br />
Da steht es plötzlich. Das kleine<br />
Mädchen Yiza, von dem man<br />
nichts weiß. Auch nicht, ob sie<br />
Yiza heißt. Sie versteht kein<br />
Wort, doch wenn jemand<br />
„Polizei“ sagt, schreit sie. Woher<br />
sie kommt? Sie weiß es nicht.<br />
Getrieben von Hunger und Kälte<br />
bricht sie mit zwei Jungs in<br />
Häuser ein. Dann, hochfiebrig,<br />
wird ihr von einer Frau geholfen.<br />
Die Hilfe wird zur Gefangenschaft,<br />
das scheinbar Gute kehrt<br />
sich um und endet blutig. Mit<br />
traumwandlerischer Stilsicherheit<br />
malt Köhlmeier ein tristes<br />
modernes karges Märchen an<br />
die Innenwand unseres Gewissens,<br />
beeindruckend. Robert Renk<br />
Michael Köhlmeier:<br />
Das Mädchen mit dem Fingerhut<br />
Hanser, 144 S., € 19,50<br />
Ein Schwedenthriller bester<br />
Machart und tiefster Abgründe.<br />
Die Opfer: Kinder. Verdächtig:<br />
eine rassistische Sekte. Der<br />
Fall: zu einfach. Das empfinden<br />
zumindest Olivia Rönning, eine<br />
junge ehrgeizige Polizistin, und<br />
Tom Stilton, ein einst berühmter<br />
Kommissar. Sie sind aus jeweils<br />
ganz persönlichen Gründen an<br />
der Aufklärung dieser Verbrechen<br />
interessiert und kommen<br />
in ihrem dritten Fall einer<br />
Geschichte auf die Spur, wie<br />
sie verquerer und abscheulicher<br />
nicht sein könnte … Robert Renk<br />
Cilla & Rolf Börjlind:<br />
Die Strömung<br />
btb, 528 S., € 20,60<br />
Juan-les-Pins im wunderschönen<br />
Südfrankreich und jede<br />
Menge literarisches Personal,<br />
allen voran F. Scott Fitzgerald,<br />
am Höhepunkt seines Erfolgs,<br />
nach Erscheinen von „Der große<br />
Gatsby“. Dort, an der Côte<br />
d’Azur, wo seine Freunde das<br />
Leben auf einem riesigen Anwesen<br />
genießen, mit Kostüm- und<br />
Cocktailpartys, treffen sich viele<br />
Künstler. Pablo Picasso ebenso<br />
wie Dorothy Parker. Dann<br />
taucht einer auf, dem plötzlich<br />
alle Aufmerksamkeit gilt: Ernest<br />
Hemingway. Das passt Fitzgerald<br />
gar nicht … Robert Renk<br />
Emily Walton:<br />
Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald<br />
beinahe einen Kellner zersägte<br />
braumüller, 168 S., € 19,90
Seit vierzehn Jahren arbeitet<br />
Letty von morgens bis abends,<br />
während ihre zwei Kinder von<br />
ihrer Mutter erzogen werden.<br />
Als Lettys Eltern nach Mexiko<br />
zurückkehren, muss sie zum<br />
ersten Mal ihren Mutterpflichten<br />
nachgehen und Verantwortung<br />
übernehmen. Panisch versucht<br />
sie sich dem Ganzen zu entziehen,<br />
doch einen Autounfall, eine<br />
ungewöhnliche Begegnung und<br />
einen Krankenhausaufenthalt<br />
später bekommt sie die Möglichkeit,<br />
denen, die sie liebt, ein<br />
schöneres Leben zu bieten. Doch<br />
kann Letty ihre Ängste überwinden<br />
und ihre zweite Chance<br />
nutzen? Robert Renk<br />
Vanessa Diffenbaugh:<br />
Weil wir Flügel haben<br />
Limes, 416 S., € 20,60<br />
erscheint am 5. Mai 2016!<br />
Das Buch zur Zeit. In wissendem<br />
Plauderton und an Hand<br />
exquisiter Beispiele zeigt Franz<br />
Alt: Die Geschichte der Mensch -<br />
heit ist eine Flüchtlingsgeschichte.<br />
Flüchtlinge bereichern<br />
uns kulturell und spirituell. Schon<br />
vor 2.000 Jahren überlebte ein<br />
Flüchtling aus Nazareth nur,<br />
weil seine Eltern mit ihm nach<br />
Ägypten geflohen sind. Flüchtlingsgeschichten<br />
wie diese, die<br />
des Dalai Lama oder wie die<br />
von Applegründer Steve Jobs,<br />
dessen Vater aus Homs in Syrien<br />
stammt, fertigen charmant einen<br />
Appell für internationale Solidarität<br />
statt nationalistischer<br />
Interessen. Simone Winter<br />
Franz Alt:<br />
Flüchtling – Jesus, der Dalai Lama<br />
und andere Vertriebene<br />
Gütersloher Verlagshaus, 176 S., € 12,40<br />
Vor Kurzem erschien die erste<br />
Gesamtausgabe von Hannah<br />
Arendts Gedichten. Gerade<br />
in ihrem Spätwerk kann man<br />
dabei ein Echo der Emigration<br />
in Zeilen wie: „Wohl dem, der<br />
keine Heimat hat; er sieht sie<br />
noch im Traum“ (S. 37), lesen.<br />
Mit diesem Band wird bewusst,<br />
welchen Stellenwert die Dichtung<br />
im Leben der Philosophin<br />
gespielt hat. Wie sie selbst Mitte<br />
der 50er-Jahre in ihr Denktagebuch<br />
schrieb, muss man zeilenweise<br />
feststellen: „Nur von den<br />
Dichtern erwarten wir Wahrheit,<br />
nicht von den Philosophen, von<br />
denen wir Gedachtes erwarten.“<br />
Siljarosa Schletterer<br />
Hannah Arendt:<br />
Ich selbst, auch ich tanze<br />
Piper Verlag, 160 S., € 20,60<br />
Durch die Öffnung Richtung<br />
Westen rückt der Iran wieder<br />
in den Fokus der Weltpolitik. In<br />
den Medien werden vor allem<br />
dessen Atompolitik und die oft<br />
radikalen geistlichen Führer<br />
behandelt. Die Deutsch-Iranerin<br />
Bita Schafi-Neya stellt in diesem<br />
Buch mit viel Einfühlungsvermögen<br />
ihr zweites Heimatland<br />
vor und zeichnet ein sehr<br />
persönliches Bild dieses Landes.<br />
Natürlich geht sie auf den neuen<br />
Präsidenten Rohani ein, gewährt<br />
uns vor allem aber einen Einblick<br />
auf das Privatleben junger<br />
Iraner, die selbstbewusster denn<br />
je sind. Markus Renk<br />
Bita Schafi-Neya:<br />
Mögen deine Augen leuchten –<br />
Meine Reise durch den Iran<br />
Braumüller, 174 S., € 21,90<br />
Gekonnt schlüpft Jaroslav<br />
Rudis in Kopf und Körper<br />
des Schlägers Vandam. Einst<br />
Vorstadt-Held der Revolution<br />
1989, später einer der vielen<br />
Verlierer. Wegen Gewaltexzessen<br />
aus dem Polizeidienst<br />
entfernt, prügelt er sich ständig<br />
und hebt im Fußballstadion<br />
regelmäßig die rechte Hand zum<br />
Hitlergruß. „Ich bin ein Römer.<br />
Kein Nazi. (…) Heil dem Volk!<br />
Heil Europa! Neger raus. Zigos<br />
raus. Sozialschmarotzer raus.<br />
Schwuchteln raus. Böhmen den<br />
Tschechen.“ Rudiš’ Buch gleicht<br />
einem Schlag in die Magengrube<br />
– und basiert auf einer realen<br />
Figur. Robert Renk<br />
Jaroslav Rudiš:<br />
Nationalstraße<br />
Luchterhand 160 S., € 15,50<br />
Eine Entdeckung, nicht nur für<br />
mich. Auch für die sympathische<br />
Autorin Vea Kaiser, die uns in<br />
der Wagner’schen besuchte, das<br />
Buch mitnahm und ins Schwärmen<br />
geriet (www.veakaiser.de/<br />
blog/meisterwerk-aus-chinayan-lianke-lenins-kuesse).<br />
Yan Lianke gehört zu den wichtigsten<br />
Autoren Chinas. Viel<br />
gelesen, preisgekrönt, verfilmt –<br />
und oft verboten. Schon sein<br />
erstes Buch fiel durch, weil er,<br />
so das Urteil, die Armee verunglimpfe.<br />
Den Segen des Zensors<br />
erhielt dagegen 2004 „Shouhuo“,<br />
das jetzt auf Deutsch als „Lenins<br />
Küsse“ erschienen ist. Schön und<br />
erstaunlich … Robert Renk<br />
Yan Lianke:<br />
Lenins Küsse<br />
Eichborn, 656 S., € 25,50<br />
Der wie Paul Celan aus Czernowitz<br />
in Galizien stammende<br />
Dichter Itzik Manger hatte<br />
einen wunderbaren Traum:<br />
Er wollte die poetische Stimme<br />
des Jiddischland werden, eines<br />
Landes ohne Grenzen, über alle<br />
Kontinente verteilt. Manger<br />
überlebte wie durch ein Wunder<br />
die Verfolgungen der Nazis, sein<br />
Traum überlebte nicht. Jetzt gibt<br />
es Mangers Gedichte endlich<br />
in einer geglückten Übersetzung<br />
von Efrat Gal-Ed zu lesen.<br />
Michael Krüger<br />
Itzik Manger:<br />
Dunkelgold – Gedichte.<br />
Jiddisch und deutsch<br />
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag<br />
432 S., € 30,80<br />
Mit diesem wunderschönen<br />
Kochbuch öffnet sich eine<br />
Welt wie aus Tausendundeiner<br />
Nacht – voller Düfte und Aromen.<br />
Trügerisch einfach bezaubern<br />
diese Gerichte mit ihrem<br />
Geschmacksreichtum und sind<br />
dabei auch für Koch-Anfänger<br />
gut zu meistern. Dieses Buch<br />
wird Ihre Küche schnell in einen<br />
duftenden Suq verwandeln. Die<br />
orientalische Küche verzaubert<br />
alle Sinne: man verbindet<br />
sie mit dem Geschmack von<br />
sirupgetränkten Gebäcken, dem<br />
Geruch von mit Safran gewürzten<br />
Speisen und den Bildern<br />
von rubinroten Granatäpfeln.<br />
Einfach lecker! Markus Renk<br />
Verführerische Orientalische Küche<br />
Parragon 244 S., € 9,99<br />
(erscheint im Juli 2016)<br />
Diese Gedichte sind so vertraut<br />
mieselsüchtig-misanthrop,<br />
ungewohnt politisch unkorrekt<br />
und doch immer sympathisch<br />
g’scheit, dass einem die Augen<br />
feucht werden und die Kehle<br />
nach Flutung fordert. Wären<br />
diese Texte Bier, ich wollte<br />
mehr davon. „das wird über<br />
mich schon was sagen, das<br />
alles.“ Schmitzer hat einen eigenen<br />
Ton: kämpferisch, direkt<br />
und unbequem – garstig, zwider,<br />
widerborstig und ungekünstelt<br />
poetisch. Ein Dichter, kein<br />
Kreativer! Und ein Verlag, der<br />
für seine Arbeit Anerkennung<br />
verdient. Markus Köhle<br />
Stefan Schmitzer:<br />
denunziationen. haltlose gedichte<br />
hochroth, 48 S., € 8,-<br />
„Selbstporträt mit Bienenschwarm“<br />
versammelt ausgewählte<br />
Lyrik von Jan Wagner.<br />
Die Gedichte des Leipziger<br />
Buchpreisträgers 2015 eröffnen<br />
innerhalb einer erstaunlichen<br />
Sprach- und Bilderwelt Faszinierendes<br />
aus Flora und Fauna,<br />
Reiseimpressionen und Reflexionen<br />
historischer Ereignisse.<br />
Es präsentiert sich ein Dichter<br />
und Entdecker. Gabi Wild<br />
Jan Wagner:<br />
Selbstporträt mit Bienenschwarm<br />
Hanser Berlin Verlag, 256 S., € 20,50<br />
Die letzten beiden Publikationen<br />
des Leipziger Lyrikers Thomas<br />
Kunst laden einen zum Hochgenuss<br />
ein. Auch wenn „Freie<br />
Folge“ dem Stempel Roman<br />
nicht gerecht wird, entfaltet<br />
sich eine komplexe, ästhetische<br />
lyrische Prosa, die weder mit<br />
Witz noch Wiederholung geizt.<br />
„Kunst. Gedichte 1984 – 2014“<br />
vereint die schönsten Gedichte<br />
aus 30 Jahren und lässt den<br />
Leser in das formal knappe<br />
(Langgedichte und Sonette),<br />
doch sprachlich unendliche<br />
Spektrum von Kunsts Lyrik<br />
eintauchen. Boris Schön<br />
Thomas Kunst:<br />
Freie Folge<br />
Jung und Jung Verlag, 256 S., € 24,-<br />
Kunst. Gedichte 1984 – 2014<br />
Ed. Azur, 130 S., € 20,60<br />
Einfühlsam und herrlich ironisch<br />
erzählt William Boyd in<br />
„Die Fotografin“ die Geschichte<br />
von Amory Clay und jene des<br />
20. Jahrhunderts gleichermaßen.<br />
Meisterhaft verwebt er<br />
dabei Fiktion und Realität und<br />
lässt vergessen, dass es Amory<br />
Clay nie gegeben hat: Wir<br />
tauchen mit ihr ein ins Berlin<br />
der Dreißigerjahre, erleben das<br />
Paris der Besatzungszeit und<br />
später Vietnam im Krieg. Boyd<br />
liefert keine fotografischen<br />
Momentaufnahmen, sondern<br />
ein vielschichtiges Porträt einer<br />
außergewöhnlichen Frau und<br />
„ihrer“ Epoche. Lesenswert!<br />
Christina Kindl-Eisank<br />
William Boyd:<br />
Die Fotografin<br />
Berlin Verlag, 560 S., € 24,70<br />
“Döner, Donner, Donnerschlag.<br />
Donner, Dürüm, Donnerstag.<br />
Kopfschmerzschlag, Donnerkopf,<br />
pack den Tag am Wochenschopf<br />
…“. Jetzt gibt’s was auf<br />
die Ohren. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 Tage<br />
hat die Woche. Wortgewaltig hören<br />
wir Dichtung und Gedanken.<br />
Von Montag bis Sonntag, Skurriles,<br />
Famoses, Neues und noch<br />
viel mehr. Eine Komposition,<br />
für die man sich Zeit nehmen<br />
muss. Musikalische Begleitung<br />
bekommen Ursula Timea Rossel<br />
und Markus Köhle von Fransen<br />
Musik, ein Duo bestehend aus<br />
Hannes Sprenger und Klex<br />
Wolf. Lena Kripahle<br />
Ursula Timea Rossel, Markus Köhle<br />
und Fransen Musik:<br />
Die Siebentagewoche, ein literarischmusikalisches<br />
Instantprojekt<br />
ATS Records, 67 min., € 13,-<br />
D. E. erzählt die Geschichte von<br />
zwei 15-jährigen Mädchen im<br />
Iran Ende der islamischen Revolution.<br />
Farrin, gewohnt, sich<br />
unauffällig zu benehmen, und<br />
Sadira, ein witziges, herzliches,<br />
hilfsbereites Mädchen, verlieben<br />
sich ineinander; sie ahnen nicht,<br />
dass ihnen diese tiefe Zuneigung<br />
zum Verhängnis wird. Die Autorin,<br />
selbst eine lesbische Frau,<br />
gibt uns in klarer Sprache und<br />
zügigem Erzählstil Einblick in<br />
ein Land im Kriegszustand und<br />
in eine andere Kultur. Dass diese<br />
Geschichte auf einer wahren<br />
Begebenheit beruht, ist tragisch,<br />
traurig und regt zum Nachdenken<br />
an. Silvia Spiegl<br />
Deborah Ellis:<br />
Wenn der Mond am Himmel steht,<br />
denk ich an dich<br />
Cbj 2015, 256 S., € 15,50<br />
Empfohlen ab 14 Jahren.<br />
Bekanntlich ist der Rezensent<br />
Dichter im wörtlichsten Sinn.<br />
Er verdichtet hunderte Seiten zu<br />
einer und bringt diese im Idealfall<br />
zum Klingen. HeSchö ist so<br />
ein Idealfall und er ist auch ein<br />
Spezialfall. 900 Rezensionen<br />
in fünf Jahren. Jede davon in unverwechselbarem<br />
Stil, originell,<br />
respektvoll, aber nicht ehrfürchtig.<br />
Kundig und mit Blick auf<br />
die Lesenden. HeSchö ist ein<br />
literarischer Vorkoster, auf den<br />
Verlass ist, ihm entgeht nichts,<br />
er verdaut alles und bringt es<br />
zielsicher auf den Punkt.<br />
Markus Köhle<br />
Helmuth Schönauer:<br />
Tagebuch eines Bibliothekars<br />
(Bd. II, 1999 – 2003)<br />
Sisyphus Verlag, 988 S., € 49,90<br />
Der spanische Bürgerkrieg aus<br />
zwei Blickwinkeln beschrieben:<br />
Einmal aus der Sicht der jugendlichen<br />
Mutter als Erzählerin, die<br />
fast alles vergessen hat, außer<br />
den Sommer 1936, in dem sie<br />
ihrem Bruder nach Barcelona,<br />
der Hauptstadt der Revolution,<br />
folgte und in dieser Aufbruchstimmung<br />
eine kurze leidenschaftliche<br />
Liebe erlebte; und<br />
mit den Augen von George<br />
Bernanos (1888 – 1949), dem<br />
katholischen französischen<br />
Schriftsteller, der die Kirche und<br />
die Falangisten scharf kritisierte.<br />
Gabi Unterberger<br />
Lydie Salvayre:<br />
Weine nicht<br />
Blessing, 256 S., € 20,60
Im Garten,<br />
im Topf<br />
am Tisch.<br />
7 grüne Ideen für<br />
Garten & Küche:<br />
Eins, zwei<br />
Dreiecksgeschichten.<br />
7 literarisch-amouröse<br />
Verstiegenheiten<br />
Welt,<br />
Europa,<br />
Österreich.<br />
7 Tipps aus der<br />
ORF-Bestenliste:<br />
3×7<br />
Best<br />
aber<br />
Seller:<br />
48<br />
Wagner’sche.<br />
1<br />
2<br />
Hayas<br />
3<br />
Komm<br />
4<br />
Handbuch<br />
5<br />
Die<br />
6<br />
Der<br />
7<br />
Dumaines<br />
Fermentieren – Gemüse einfach<br />
und natürlich haltbar machen<br />
Shockey/Shockey<br />
Löwenzahn € 29,90<br />
Küche<br />
Haya Molcho<br />
Südwest € 29,99<br />
du mir nach Hause – Das<br />
Kochbuch für die perfekte Ehefrau<br />
Lotta Lundgren<br />
Umschau € 41,20<br />
Bio-Balkongarten<br />
Andrea Heistinger<br />
Löwenzahn € 29,90<br />
grüne Küche auf Reisen<br />
Frenkiel/Vindahl<br />
Knesebeck € 36,–<br />
unwiderstehliche Garten<br />
Barbara Frischmuth<br />
aufbau € 24,90<br />
Wilde Gemüseküche<br />
Dumaine/Wojtko<br />
AT Verlag € 27,70<br />
1<br />
2<br />
Léon<br />
3<br />
Euphoria<br />
4<br />
Der<br />
5<br />
Am<br />
6<br />
Darüber<br />
7<br />
Der<br />
Das Polykrates-Syndrom<br />
Antonio Fian<br />
Droschl € 19,–<br />
und Louise<br />
Alex Capus<br />
dtv € 10,20<br />
Lily King<br />
C.H.Beck € 20,60<br />
Liebhaber meines Mannes<br />
Bethan Roberts<br />
Kunstmann € 20,60<br />
Hang<br />
Markus Werner<br />
FischerTB € 8,20<br />
reden<br />
Julian Barnes<br />
Kiepenheuer & Witsch € 23,70<br />
Argentinier<br />
Klaus Merz<br />
Haymon € 16,90<br />
1<br />
2<br />
Kommt<br />
3<br />
In<br />
4<br />
stromern<br />
5<br />
Der<br />
6<br />
Unterleuten<br />
7<br />
Fleurs<br />
Am Rand<br />
Hans Platzgumer<br />
Zsolnay € 20,50<br />
ein Pferd in die Bar<br />
David Grossmann<br />
Hanser € 20,50<br />
der freien Welt<br />
<strong>No</strong>rbert Gstrein<br />
Hanser € 25,60<br />
Christoph W. Bauer<br />
Haymon € 17,90<br />
Trost des Nachthimmels<br />
Dzevad Karahasan<br />
Suhrkamp € 27,80<br />
Julie Zeh<br />
Luchterhand € 25,70<br />
Friederike Mayröcker<br />
Suhrkamp € 23,60
Juffing Hotel & Spa S<br />
Poesie im Spa-Bereich – Sie beginnen in der ersten Etage vor<br />
der Zimmertüre des Zimmers 106, lesen bis zum Gangende,<br />
drehen sich um und gehen den Gang zurück. Von Robert Renk<br />
Juffing<br />
Hotel & Spa S :<br />
Fam. Juffinger-Konzett<br />
Hinterthiersee Nr. 79<br />
A-6335 Thiersee<br />
Österreich<br />
T. + 43 5376 5585 0<br />
F. + 43 5376 5585 300<br />
info@juffing.at<br />
www.juffing.at<br />
Literatur am<br />
Kirchturm,<br />
nächste Lesungen:<br />
Di., 12.04.2016 um 21 Uhr,<br />
Barbara FRISCHMUTH<br />
Di, 10.05.2016 um 21 Uhr,<br />
Robert SEETHALER<br />
Di, 7. Juni um 21 Uhr,<br />
Maja HADERLAP<br />
© Spa-Hotel Juffing<br />
So steht’s am Teppich. Das Spa-Hotel<br />
Juffing in Hinterthiersee ist poesiedurchflutet.<br />
Nicht nur auf Grund einer sagenhaften<br />
Bibliothek, die sich vom Spa-Bereich über<br />
den Eingangsbereich bis in die – thematisch<br />
bestückten – Zimmer zieht, nein, es beginnt<br />
eben schon am Gangteppich mit Poesie.<br />
Dann gehen Sie weiter zu Zimmer 102<br />
und beginnen dort mit dem Lesen bis zum<br />
Ende des Ganges, drehen sich um und gehen<br />
in die zweite Etage.<br />
Zu lesen dort, eingedruckt in den kompletten<br />
Gangteppich des Haupthauses: Textstellen<br />
aus dem Gedichtzyklus „Hotels“ von<br />
Raoul Schrott. Man könnte also eine ganze<br />
Woche nur zum Lesen kommen. Doch das<br />
Juffing hat mehr zu bieten. Einen wunderbaren<br />
Spa-Bereich, der alle Stückerln spielt,<br />
u.a. eine Finnische Sauna, Infrarotkabine,<br />
Sole-Dampfbad, Tepidarium, Rasulbad,<br />
Swimmingpool mit ganzjährig beheiztem<br />
Außenpool und vor allem die vielen Angebote<br />
zu diversen Massagen, Peelings und<br />
Kosmetikextras.<br />
Mit 4 Sternen und einem S geschmückt<br />
ist das hauseigene Magazin. In dem steht<br />
zu lesen: Spa verstehen wir als Liebe zu<br />
sich selbst, man gönnt dem Körper eine<br />
Ruhephase, man schaut auf sich und in sich<br />
und man wird wieder eins mit sich selbst.<br />
Und schaut man nicht selbst auf sich, dann<br />
machen dies eben die Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter, kümmern sich um Termine im<br />
Spa, beim Yoga oder Schneeschuhwandern,<br />
um den richtigen Drink nach dem 5-gängigen<br />
Menü oder auch die richtige Lektüre zum<br />
Relaxen.<br />
Einmal im Monat überrascht die Wirtsfamilie<br />
Juffinger-Konzett mit Lesun gen und<br />
holt seit drei Jahren schon die erste Riege<br />
der deutschsprachigen Literatur nach Hinterthiersee.<br />
Michael Köhlmeier, Christoph<br />
Ransmayr oder Vea Kaiser geben sich hier<br />
die Klinke in die Hand.<br />
Liebe Frau Juffinger-Konzett:<br />
Wie kamen Sie auf die auf die<br />
Idee, Lesungen zu organisieren?<br />
Wir veranstalteten seit Bestehen ein wöchentliches<br />
Gala-Dinner mit Zithermusik. Dieses<br />
Gala-Dinner war gefühlsmäßig nicht mehr<br />
der Zeit entsprechend. Es war klar, dass wir<br />
etwas Neues anbieten müssen und nicht<br />
ersatzlos streichen dürfen. Aus persönlichem<br />
Interesse entwickelten wir dann die Idee mit<br />
der Bibliothek und den Lesungen. Die Frage<br />
war dabei, wie viel Eigensinn im Unternehmen<br />
mitschwingen darf, oder anders gesagt:<br />
will der Gast das überhaupt? Im Laufe der<br />
ersten Lesungen fragten wir uns außerdem,<br />
was den Unterschied zum obligatorischen<br />
Tanzabend aus der Kindheit ausmacht. Wie<br />
viel Kommerz steckt in unserer Literaturentscheidung<br />
und verzeiht das Unternehmen<br />
den <strong>No</strong>n-Profit bzw. die Nicht-Instrumentalisierung<br />
von Literatur? Ein Zwischenresumée<br />
nach drei Jahren Lesung könnte sein:<br />
Das Hotel bekam durch die Literatur eine<br />
andere Schwingung und Farbe – von zartrosa<br />
himmelblau bis zornesrot und rabenschwarz.<br />
Ob das ein Wellnesshotel aushalten muss<br />
oder kann, ist die zentrale Frage.<br />
Wann kommen Sie selbst<br />
zum Lesen?<br />
In jeder freien Minute und die Minuten<br />
werden länger, weil die Kinder größer sind.<br />
Ich bin Fernsehverweigerin und habe immer<br />
mehrere Bücher um mich herum – für<br />
späte Stunden Kurzgeschichten (Ransmayr,<br />
„Atlas eines ängstlichen Mannes“), zum<br />
Einschlafen Lyrik (derzeit „stromern“ von<br />
C.W.Bauer) und wenn ich wirklich Zeit<br />
habe schöne, dicke Bücher, z. B. Thomas<br />
Mann. Der fragt in seinem Zauberberg<br />
„Warum weinen Sie denn, Sie Vergnügungsreisender?“<br />
und in Richtung Juffing: „Hier<br />
herrscht das Vergessen selbst, der selige<br />
Stillstand, die Unschuld der Zeitlosig -<br />
keit: es war die Liederlichkeit mit bestem<br />
Gewissen …“ Wenn man Zeit und Stress<br />
ein Schnippchen schlagen will, dann mache<br />
man sich auf zum Zauberberg nach Hinterthiersee<br />
…<br />
50<br />
Wagner’sche.<br />
Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe<br />
Christoph W. Bauer, geb. 1968 in Kolbnitz,<br />
aufgewachsen in Lienz, Innsbruck und<br />
Kirchberg, lebt derzeit als freier Schriftsteller<br />
in Innsbruck. Lehraufträge an der Universität<br />
Innsbruck, 2013 Poetik-Vorlesung<br />
an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt,<br />
2015/2016 Lehrauftrag am Institut für<br />
Sprachkunst Wien. Sein aktueller Gedichtband<br />
stromern (Haymon) ist seit Monaten<br />
unter den Top 4 der ORF-Bestenliste.<br />
Ute Faserl, Buchhändlerin, kam vor guten<br />
30 Jahren aus dem „Badischen“ nach<br />
Tirol … und in die Wagner’sche. Nach<br />
längerer Familienpause kam sie wieder und<br />
ist immer noch da.<br />
Stefan Gmünder, 1965 in Bern geboren,<br />
lebt seit 22 Jahren in Wien. Seit 1998 bei<br />
Der Standard für die Literatur zuständig.<br />
Seit 2014 Jurymitglied beim Ingeborg-<br />
Bachmann-Preis.<br />
Susanne Gurschler, freie Journalistin und<br />
Autorin, lebt in Innsbruck. Soeben erschien<br />
im Kölner Emons Verlag ihr Buch „111 Orte<br />
in Tirol, die man gesehen haben muss“.<br />
Weitere Infos unter: www.susannegurschler.at<br />
Markus Hatzer, geb. 1966 in Prägraten<br />
(Osttirol), seit 1981 Buchhändler, Verleger<br />
des Haymon Verlags, des Löwenzahn<br />
und Studienverlags und des Universitätsverlags<br />
Wagner. 2015 als Partner bei der<br />
Wagner’schen Universitätsbuchhandlung<br />
eingestiegen.<br />
Andreas Hauser, erbte die Liebe zur<br />
Kriminalliteratur von seinem Vater, schrieb<br />
lang im Tiroler Magazin ECHO Beiträge zu<br />
Wissenschaft und Zeitgeschichte, Empfehlungen<br />
von Krimis, Thrillern und Literatur.<br />
Seit 2015 Mitarbeiter und CP-Redakteur der<br />
KULTIG Werbeagentur in Innsbruck.<br />
Irene Heisz, ist freie Journalistin, Autorin<br />
und Moderatorin und lebt mit ihrer Familie<br />
in der Nähe von Innsbruck.<br />
Gracia Kasenbacher-Harar, Choreografin<br />
und Tanzpädagogin, geboren in Utrecht,<br />
wohnt in Innsbruck und betreut seit Oktober<br />
2015 die Schaufenster in der Wagner’schen.<br />
Christina Kindl-Eisank, studierte Germanistik,<br />
Anglistik und Kommunikationswissenschaft<br />
in Salzburg. Sie war im Stefan<br />
Zweig Centre Salzburg und beim Ecowin<br />
Verlag tätig. Seit 2014 ist sie Lektorin im<br />
Haymon Verlag.<br />
Markus Köhle, ist Sprachinstallateur,<br />
Literaturzeitschriftenaktivist und Papa Slam<br />
Österreichs. Zahlreiche Publikationen,<br />
zuletzt: Alles außer grau. Texte to go (mit<br />
Mieze Medusa, Milena). www.autohr.at<br />
Lena Kripahle, 1984 geboren und Buchhändlerin.<br />
Bereits seit der 1. Klasse süchtig<br />
nach Druckerschwärze und Hörbüchern.<br />
Seit <strong>No</strong>vember 2015 ist die Wagner’sche<br />
ihre neue Heimat.<br />
Michael Krüger, Verleger und Autor,<br />
Seite 15<br />
Christine Lötscher, forscht als Kulturwissenschaftlerin<br />
an der Universität Zürich und<br />
arbeitet als freie Literatur- und Filmkritikerin<br />
für verschiedene Medien. Seit 2014<br />
diskutiert sie regelmäßig im „Literaturclub“<br />
im Schweizer Fernsehen mit.<br />
Marija Milicevic, das Küken der<br />
Wagner’schen, geboren 1997 in Schwäbisch<br />
Gmünd, seit 2012 im Buchhandel, betreut<br />
seit Ende 2015 die Bereiche Frauenliteratur,<br />
Jugendbuch und eReading.<br />
Stefanie Panzenböck, ist Redakteurin bei<br />
der Wiener Zeitschrift „Falter“. Kam von<br />
Ö1 dorthin. Geboren in Graz, 1984, Studium<br />
der Politikwissenschaft in Wien.<br />
Joe Rabl, geboren in Kufstein; Studium der<br />
Komparatistik und Germanistik in Innsbruck;<br />
war in diversen Verlagen beschäftigt;<br />
arbeitet als freier Lektor; veranstaltet zusammen<br />
mit Birgit Holzner die Innsbrucker<br />
Wochenendgespräche.<br />
Markus Renk, seit 30 Jahren in der Buchbranche,<br />
begann 1985 als Buchhändlerlehrling<br />
und war annähernd 10 Jahre in der<br />
Geschäftsführung der Verlagsanstalt Tyrolia.<br />
Außerdem ist er Fachgruppen-Obmann der<br />
Buch- und Medienwirtschaft Tirol und seit<br />
Oktober 2015 neuer Chef der Wagner’schen.<br />
Robert Renk, Buchhändler und Kulturveranstalter.<br />
Seit 1. Oktober Sortimentsleiter<br />
in der Wagner’schen. Zuletzt erschien<br />
„Stilistische Instanzen. Zu Karl-Markus<br />
Gauß und Alois Hotschnig“ in Text + Kritik<br />
Sonderband Österreich IX/15.<br />
Anna Rottensteiner, 1962 in Bozen geboren.<br />
Studium der Germanistik und Slawistik.<br />
Seit 2003 Leiterin des Literaturhauses am<br />
Inn. Schriftstellerische Tätigkeit seit 2009.<br />
Publikationen: „Lithops. Lebende Steine“.<br />
Soeben erschien der neue Roman „Nur ein<br />
Wimpernschlag“ (beide edition laurin).<br />
Siljarosa Schletterer geb. 1991 in Innsbruck,<br />
studiert u.a. Musikwissenschaft an<br />
der Universität Innsbruck. Frühe Beschäftigung<br />
mit Texten. Mehrere Lesungen, zusätzlich<br />
wurden Werke von ihr vertont.<br />
Boris Schön, geboren 1983, Germanist.<br />
Arbeitet im Studienverlag und fragt Gäste in<br />
der Schönfelder Kulturstunde.<br />
Bernd Schuchter, geboren 1977 in Innsbruck,<br />
Autor und Verleger. Seit 2006 Verleger<br />
des Limbus Verlags. Zuletzt erschienen die<br />
Romane „Link und Lerke“ (2013), „Föhntage“<br />
(2014) und der literarische Reiseführer<br />
„Innsbruck abseits der Pfade“ (2015).<br />
Silvia Spiegl, Germanistin, seit 1991 Buchhändlerin<br />
in der Wagner’schen.<br />
Anton Thuswaldner, 1956 geboren in<br />
Lienz, lebt als Literaturkritiker in Salzburg.<br />
Autor und Herausgeber mehrerer Bücher,<br />
zuletzt „Gib uns unser täglich Barock!<br />
Salzburg in der Moderne“ (Müry Salzmann,<br />
2016).<br />
Gabi Unterberger, teilzeitbeschäftigte<br />
Reisebüroangestellte und ehrenamtliche<br />
Bibliothekarin vom Lande mit umfassendem<br />
Haus(buch)bestand und Hausverstand.<br />
Evelyn Unterfrauner, Referentin des<br />
Referats für Öffentlichkeitsarbeit der ÖH<br />
Innsbruck. Betreibt den Book Broker Blog<br />
auf: bookbroker.wordpress.com<br />
Marlene Walder, geb. 1994, aufgewachsen<br />
im Ötztal. Seit Februar 2013 im Buchhandel<br />
tätig. Derzeit in der Fachbuchabteilung der<br />
Wagner’schen beschäftigt und zuständig für<br />
Sprachen und Lernhilfen.<br />
Gabriele Wild, geboren 1982, Studium der<br />
Germanistik und Slawistik, Literaturvermittlerin<br />
und -veranstalterin, verschiedene<br />
Arbeiten zur Gegenwartsliteratur, seit 2009<br />
im Literaturhaus am Inn für Programm-<br />
Gestaltung zuständig.<br />
Anita Winkler, hat in Innsbruck Germanistik<br />
studiert, ist seit 2008 für das Programm<br />
des Löwenzahn Verlags verantwortlich.<br />
Simone Winter, geboren 1972 in Innsbruck.<br />
Studium der Germanistik und Journalistik in<br />
Salzburg und Köln. Arbeitet als Grafikerin<br />
und Texterin in Köln und Düsseldorf.<br />
Dorothea Zanon, geboren 1980, Studium<br />
der Literatur- und Theaterwissenschaften in<br />
Innsbruck und Wien. Seit 2008 Lektorin im<br />
Haymon Verlag.<br />
Klaus Zeyringer, Habilitation in Graz; war<br />
Univ.-Prof. für Germanistik in Frankreich.<br />
Literaturkritiker u.a. für Der Standard,<br />
Jurymitglied der ORF-Bestenliste; Literaturmoderationen<br />
in Österreich, Deutschland,<br />
der Schweiz und Frankreich. Bücher zuletzt:<br />
„Eine Literaturgeschichte: Österreich seit<br />
1650“ (2012); „Fußball. Eine Kulturgeschichte“<br />
(2014 / 2016); „Olympische<br />
Spiele. Eine Kulturgeschichte von 1896 bis<br />
heute. Bd. 1: Sommer“ (2016).
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
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6020 Innsbruck<br />
T. +43 512 59505 0<br />
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