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C_Jahresbericht15:16_RZ_klein

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Schwerpunkte themen & entwicklungen highlights in bildern wir über uns<br />

Für Menschen in Armut<br />

die Stimme erheben<br />

Rund vier Millionen Sozialhilfeempfänger und<br />

120 000 Wohnungslose allein im Westen<br />

Deutschlands: 1991, ein Jahr nach der Wiedervereinigung,<br />

war die soziale Lage vieler Menschen<br />

in Deutschland prekär. Damals formierte<br />

sich ein bundesweites Bündnis von Organisationen,<br />

Verbänden und Initiativen, das die wachsende<br />

Armut im Land öffentlich thematisierte und<br />

strukturelle Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung<br />

forderte: die Nationale Armutskonferenz (nak).<br />

Die Geschäftsführung wechselt im 2-Jahres-<br />

Rhythmus zwischen den großen Wohlfahrtsverbänden<br />

AWO, Caritas, Diakonie oder DPWV.<br />

In den Jahren 2015 und 20<strong>16</strong> war die Caritas<br />

an der Reihe: Sie stellte mit dem Kölner Diö-<br />

Die Schere vor dem Kölner Dom symbolisiert die größer werdende<br />

Kluft zwischen Arm und Reich.<br />

zesan-Caritasdirektor Dr. Frank Joh. Hensel den<br />

Sprecher und mit Julia Zürcher vom Deutschen<br />

Caritasverband in Freiburg die Geschäftsführerin<br />

der nak. Seit Gründung der Nationalen<br />

Armutskonferenz sind Menschen, die arm oder<br />

ausgegrenzt sind, fest integriert in das Bündnis.<br />

Sie bringen ihre persönlichen Erfahrungen mit<br />

und beeinflussen damit die Arbeit der nak entscheidend.<br />

Sozialpolitische Ideen, Aktionen und<br />

Konzepte zu erarbeiten ist eine Kernaufgabe der<br />

Nationalen Armutskonferenz. Sie wendet sich mit<br />

klarer Sprache gegen eine Politik, die Armut nur<br />

verwaltet oder lindert – anstatt sie aktiv zu bekämpfen.<br />

Ihre Mitglieder engagieren sich in den<br />

Beraterkreisen zum Armuts- und Reichtumsbericht<br />

und zur Nationalen Sozialberichterstattung.<br />

Sie verfassen armutspolitische Positionspapiere<br />

und nehmen zu Gesetzesentwürfen Stellung. Viel<br />

öffentliche Aufmerksamkeit erregte 2015 der<br />

Schattenbericht zur Armut in Deutschland mit<br />

dem Schwerpunktthema „Zehn Jahre Hartz“, vorgestellt<br />

wurde er vor der Bundespressekonferenz<br />

in Berlin. Die nak hält darüber hinaus Fachtagungen<br />

ab und veranstaltet jedes Jahr Treffen von<br />

Menschen mit Armutserfahrung.<br />

Mit einer Schifffahrt auf der Spree in Berlin erinnerte<br />

die nak im September 20<strong>16</strong> an die Gründung<br />

vor 25 Jahren. Mit dabei waren Menschen,<br />

die in Armut leben oder lebten, sowie Bundespolitiker.<br />

www.nationalearmutskonferenz.de<br />

Schluss<br />

mit der<br />

Ausgrenzung<br />

Broschüre informiert über<br />

armutssensibles Handeln<br />

Meinungsbildung und<br />

Vorverurteilung geschehen<br />

schnell – gerade<br />

wenn es um die Armut<br />

anderer geht. Wer langzeitarbeitslos<br />

ist, gilt<br />

schnell als faul und unvermittelbar.<br />

Dass die Wirklichkeit nicht nur<br />

schwarz-weiß, sondern komplexer ist, zeigt die<br />

Broschüre „Schluss mit der Ausgrenzung“. Das<br />

Heft soll haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter der Caritas dazu anregen,<br />

über Armut und Ausgrenzung differenziert zu<br />

sprechen und durch armutssensibles Handeln<br />

zum Ausstieg aus der Armut beizutragen. Neben<br />

Infos zum Thema Armut stellt die Veröffentlichung<br />

auch dar, wie Menschen mit Armutserfahrung<br />

ihre Situation selbst sehen. Stigmatisiert als<br />

Faulenzer und Säufer, erfahren sie häufig Ablehnung<br />

bei Behörden und fühlen sich abgeschoben<br />

und nicht wahrgenommen.<br />

„Schluss mit der Ausgrenzung“, herausgegeben<br />

vom Diözesan-Caritasverband für das<br />

Erzbistum Köln, 19 S., 2. Auflage Oktober 20<strong>16</strong><br />

„Unser großes Problem ist der Mangel<br />

an bezahlbarem Wohnraum“<br />

Andreas Sellner, Abteilungsleiter Gefährdetenhilfe, über Hilfen für Wohnungslose<br />

Gibt es eigentlich den typischen Obdachlosen?<br />

Andreas Sellner: Nein, das ist immer eine ganz<br />

facettenreiche Abstiegskarriere, die ein Obdachloser<br />

oder von Wohnungslosigkeit bedrohter<br />

Mensch hat. Die Probleme hinter den Geschichten<br />

sind so verschieden, wie Menschen<br />

verschieden sind. Manchmal bündeln sich bei<br />

einem Einzigen alle Probleme, die sich sonst auf<br />

eine ganze Generation verteilen.<br />

Steigt die Zahl der Frauen an?<br />

Sellner: Früher lag in der offiziellen Statistik der<br />

Anteil der Frauen an den Wohnungslosen nur<br />

bei zwei bis drei Prozent. Im Moment stagniert<br />

die Zahl auf dem Niveau von zwischen 15 und<br />

20 Prozent. Frauen sind jetzt wesentlich mehr<br />

in den Blick geraten, weil es endlich auch mehr<br />

Hilfsangebote speziell für Frauen gibt.<br />

Warum ist es für manche so schwer, aus dem<br />

Leben auf der Straße auszusteigen?<br />

Sellner: Manchen bietet das Leben auf der<br />

Straße eine Art von Sicherheit, die in der Gewöhnung<br />

liegen kann. Wenn ich mit Wohnungslosen<br />

ins Gespräch komme, dann gibt es oft<br />

viele Gründe, warum sie ihre Situation jetzt<br />

so gewählt haben: weil das andere eben nicht<br />

klappt, weil sie nicht in der Lage sind, es in vier<br />

Wänden auszuhalten.<br />

Soll der Normalbürger bettelnden Menschen<br />

Geld geben oder Essen kaufen, damit das<br />

Geld nicht sofort in Alkohol oder Drogen<br />

fließt?<br />

Sellner: Jeder soll das geben, was er kann. Es<br />

kann ein Akt der Barmherzigkeit sein, es kann<br />

auch ein Freikaufen sein, um sich dem Menschen<br />

nicht weiter auszusetzen. Wenn man weiß,<br />

wie viel professionelle Hilfen es gibt, wie breit das<br />

Hilfsangebot gestreut ist und wie viel Steuermittel<br />

hineinfließen, kann man sich dem auch mit<br />

guten Gründen verweigern. Grundsätzlich muss<br />

ausgehalten werden, dass diese Art von Bedürftigkeit<br />

zum urbanen Leben unserer Gesellschaft<br />

dazugehört.<br />

Gibt es in Nordrhein-Westfalen genügend<br />

Hilfsangebote für Obdachlose und von Wohnungslosigkeit<br />

bedrohte Menschen?<br />

Sellner: Wer in NRW in Not gerät, muss nicht umherziehen,<br />

es gibt immer örtliche Hilfsangebote.<br />

Grenzen liegen eher in der Persönlichkeit des<br />

Hilfsbedürftigen – wenn einer sagt: Ich will keine<br />

Beratung, nur eine Wohnung und am besten<br />

noch einen guten Job.<br />

Was läuft besonders gut, was sind die größten<br />

Probleme?<br />

Sellner: Es gibt ein differenziertes Hilfsangebot mit<br />

unterschiedlichen Wohnmöglichkeiten, etwa für<br />

junge Wohnungslose oder solche, die psychisch<br />

krank oder suchtkrank sind. Unser großes Problem<br />

ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum.<br />

Aufgrund dieses Mangels kann keiner aus unseren<br />

Einrichtungen ausziehen, so werden die vorhandenen<br />

Plätze für andere blockiert.<br />

Worauf führen Sie diesen Mangel zurück?<br />

Sellner: Immer mehr preiswerte, oft öffentlich<br />

geförderte Wohnungen fallen aus der Belegungsbindung.<br />

Kommunen haben ihre alten<br />

Wohnungsbestände verkauft und damit ihren<br />

Haushalt saniert.<br />

Das Interview führte Markus Lahrmann für die<br />

„Caritas in NRW“ (4/20<strong>16</strong>).<br />

18<br />

Jahresbericht 2015/20<strong>16</strong> 19

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