KUNST.INVESTOR Kunsthalle Wien Marcel Odenbach, Im Kreise drehen (Video Still), 2009, © Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, <strong>2017</strong> Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln Marcel Odenbach, Im Kreise drehen (Video Still), 2009, © Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, <strong>2017</strong> Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln
KUNST.INVESTOR Kunsthalle Wien Die Aktualität von Themen wie Vergangenheitsbewältigung, Genozid und den Folgen von Kolonialismus unterstreichen weitere Arbeiten der Ausstellung: So zeigt die Videoinstallation In stillen Teichen lauern Krokodile, die den Genozid in Ruanda 1994 thematisiert, historisches Dokumentationsmaterial und Ausschnitte aus dem Filmarchiv der UNO, aber keine direkten Bilder des Verbrechens. Die Annäherung an ein Land, das einerseits die Mörder verurteilen, andererseits die Völker versöhnen muss, geschieht über alltägliche Szenen, die die Schönheit Ruandas zeigen: Bauern auf Bananenfeldern, Kühe auf grünen Wiesen, Regen, der auf paradiesische Hügellandschaften fällt. Allein auf der Tonspur ist die Hetzpropaganda aus dem Radio zu hören, die die Hutu aufforderte, die Tutsi zu ermorden. Die Videoinstallation selbst gibt kein Urteil zu dem Geschehen ab und liefert auch keinen Erklärungsversuch. Die stark suggestiven Bilder fordern den Beobachter vielmehr dazu auf, sich selbst eine Meinung zu bilden. Im Schiffbruch nicht schwimmen können thematisiert Migration und Flucht und die Motive, die hinter solch weitreichenden Entscheidungen stehen. Die Interviews, die diesem Film zugrunde liegen, erzählen von Heimweh, von Ängsten und den Erwartungen an die Zukunft. Die visuelle Ebene zeigt drei in Frankreich lebende Migranten im Louvre bei der Betrachtung des Gemäldes Das Floß der Medusa von Théodore Géricault. Das monumentale Gemälde symbolisiert ein Stück französischer Kolonialgeschichte und deren Scheitern. Die Fregatte Medusa war 1816 nach den Napoleonischen Kriegen von Frankreich entsandt worden um die Kolonie Senegal von den Briten zu übernehmen. Nachdem sie Schiffbruch erlitten hatte, brach unter der Besatzung ein unerbittlicher Kampf ums Überleben aus. Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien stellt Videofilme und -installationen neben Collagen, in denen Odenbach das Montageprinzip des Films aufgreift und Mikro- und Makroansicht aufeinandertreffen lässt. Während die Makroansicht ein klar erkennbares Motiv präsentiert, zeigt die Detailansicht unzählige Einzelbilder, aus denen sich das Motiv wie bei einem Puzzle zusammenfügt. Das große, leicht zu erkennende Bild zeigt sich zuerst. Bei näherer Betrachtung zerfällt es jedoch in Fragmente, die dem großen Ganzen untergeordnet scheinen, letztlich jedoch eine eigenständige Erzählung entfalten. Aus der Spannung dieser beiden, häufig gegenläufigen Bilder entsteht ein Zwischenraum, der vom Publikum selbst mit seiner Sicht der Dinge gefüllt werden muss. Die fast 15 Meter lange Collage Durchblicke zeigt auf den ersten Blick einen dichten tropischen Dschungel. In der Nahsicht setzt sich dieser aus unzähligen Fotos zusammen, in denen sich die Kolonialgeschichte Afrikas spiegelt. Die der unmittelbaren Wahrnehmung entzogene zweite Ebene erfordert eine intensive Betrachtung aus der Nähe, die offen ist für komplexe Verweisstrukturen. In diesem Sinne plädiert das gesamte Œuvre Odenbachs für einen emanzipierten Betrachter, der sich zur Gegenwart und ihrer Verstrickung mit der Vergangenheit positioniert. [Kunsthalle Wien. Ausstellungsdauer: 5. Februar bis 30. April <strong>2017</strong> – Foto: © Kunsthalle Wien] Marcel Odenbach, *1953 in Köln; 1974–79 Studium der Architektur, Kunstgeschichte und Semiotik an der Technischen Hochschule, Aachen; seit 1976 Arbeit mit Video in Performances, Installationen und Tapes; seit 1992 Professuren an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe und der Kunsthochschule für Medien, Köln; seit 2010 Professor an der Kunsthochschule Düsseldorf. Einzelausstellungen u. a.: Tel Aviv Museum of Art; Kunstmuseum Bonn; Frankfurter Kunstverein; Museo de Arte Contemporáneo de Caracas; internationale Wanderausstellung organisiert vom Institut für Auslandsbeziehungen e. V. (ifa), Stuttgart; Sammlung Friedrichshof, Zurndor; Freud Museum, London; Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin.