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J. Neumann: Alfred Pflugbeils Erinnerungen an Rossitten 139<br />

gen. 2 Da sitzen einige Lockkrähen angepflockt am<br />

Boden u. der Krähenfänger in seiner Reisigbude. Und<br />

die Krähen, die überhin fliegen, denken, aha, da gibt<br />

es etwas für den Schnabel u. kommen runter u. setzen<br />

sich. In dem Augenblick zieht der Fänger an einem<br />

Seil, woran das Netz befestigt ist. Das Netz schlägt<br />

rum – u. die Krähen sind gefangen. Sie werden ebenfalls<br />

angebunden u. zu den anderen Lockkrähen<br />

gesetzt. Abends, wenn dann der Krähenzug vorbei<br />

ist, werden die Krähen vom Fänger in den Kopf gebissen<br />

u. sind im „Nu“ mausetot. Das habe ich auch<br />

schon öfters gemacht. Die Leute in Rossitten sind arm,<br />

der Fischfang bringt nicht viel ein u. damit sie im<br />

Winter etwas zu essen haben, werden eben Krähen<br />

gefangen (u. eingepökelt) 3 . – Der Vogelzug war am<br />

stärksten von Mitte September bis Anfang Oktober.<br />

Aber da kamen Vögel! Die Nehrung ist hier bei Ulmenhorst<br />

etwa 2 km breit. Oft nun kamen die Finken<br />

u. Stare u. Wildtauben in der ganzen Nehrungsbreite<br />

gezogen, dazu noch 2 – 3fach übereinander gestaffelt.<br />

Es war einfach prächtig!!<br />

Und diese ganzen Massen hatte ich nun zu zählen,<br />

beziehentlich zu schätzen u. auch die Arten<br />

richtig auseinander zu halten. Anfangs war es<br />

schwer, bekam dann aber mehr u. mehr Übung u.<br />

heute ist es mir nichts Neues mehr. Am stärksten<br />

Zugtag zogen mal in 5 Minuten 14 500 Vögel, in<br />

den 3 Stunden insgesamt 210 000!! Das war allerhand.<br />

Vom guten Zug spricht man, wenn es so 20<br />

– 40 000 Vögel sind, die da kommen. Jetzt ist der<br />

Massenandrang schon vorbei u. kommen höchstens<br />

noch 3 – 5000 Vögel, bei schlechtem Wetter, wie es<br />

in den letzten Tagen u. auch heute der Fall war<br />

gegen 1000, manchmal auch nur 100. – Das, was<br />

draußen beobachtet wurde, muß nun genau u. sauber<br />

in Listen eingetragen werden, damit es die Vogelwarte<br />

verwerten kann. Ein guter Zugtag erfordert<br />

3 – 5 Stunden Schreibarbeit. Dann haben wir noch<br />

6 kleine u. 1 Mövenschlagnetz stehen zum Vogelfangen.<br />

Eine Fangreuse steht ebenfalls vorn an der<br />

Poststraße. Die Kiefern werden öfters durchgetrieben<br />

u. am Rand steht dann das Netz u. der Fang-<br />

2 Siehe hierzu: Thienemann, J., 1927 und 1931.<br />

3 Das Krähenfangen war auf der Kurischen Nehrung<br />

sehr verbreitet. Gefangen wurden ausschließlich<br />

Nebelkrähen, die in der Zugzeit in Massen durchzogen.<br />

Als „Nehrungstauben“ verkaufte man die<br />

gepökelten Fleischkörper in die Städte. Die<br />

„Krajebieter“ (= Krähenbeißer) töteten die Vögel<br />

tierschutzgerecht durch einen Biss in den Schädel!<br />

kasten, wo die Vögel reinfliegen. Wir stecken sie<br />

dann in einen kleinen Sack, nehmen sie mit ins<br />

Haus, beringen, wiegen u. messen sie und lassen sie<br />

wieder fliegen. Bis jetzt haben wir knapp 600 Vögel<br />

gefangen, was uns viel Mühe u. Lauferei gekostet<br />

hat. Dr. Schüz, dem Leiter (?) der Vogelwarte, macht<br />

unsere Arbeitsfreudigkeit viel Spaß. Er weiß wohl<br />

nun auch, daß ich da der rechte Mann bin in Sachen<br />

betreffs der Vögel. Hin u. wieder wird auch noch ein<br />

toter Vogel gefunden oder auch geschossen, den es<br />

dann zu präparieren gilt. Unser Haus muß in Ordnung<br />

gehalten werden und die Essen-kocherei verlangt<br />

auch Verständnis u. Zeit. Meist haben wir<br />

kalte Küche, d. h. Brot u. etwas dazu. Wenn wir<br />

Mittag- oder Abendessen machen gibt es pro Kopf<br />

1 – 2 Krähen u. dann Reis, Gries oder ähnliches<br />

dazu. – Oft kommt auch Besuch, der sich den Betrieb<br />

hier ansehen will, manchmal, wie es kürzlich<br />

mit 9 holländischen Studenten der Fall war, auch<br />

für 8 Tage bleibt. Aber los ist bei uns immer was.<br />

Aber wie gesagt, ich tue alles gerne, weil mich’s recht<br />

befriedigt. In knapp 14 Tagen heißt es scheiden von<br />

der Nehrung, die ich so lieb gewonnen habe. Ich<br />

komme auch gerne wieder nach Hause. Da ich nun<br />

so gut wie alles erreicht habe, kommt nun endlich<br />

die große Ruhepause, die 2 u. mehr Jahre dauern<br />

kann. Ich muß ja nun auch bei Hannel bleiben, damit<br />

ich endlich ernsthaft seßhaft werde. Ich weiß<br />

schon, es wird, denn nun bin ich endgültig des Fahrens<br />

müde, das heißt der „großen Fahrten“. Zu Hause<br />

werde ich Euch wieder viel Neues zu erzählen<br />

wissen. Im Chemnitzer Verein werde ich auch sprechen.<br />

– Geht’s denn auf der ganzen Linie noch gut?<br />

Ich hoffe das Beste. Viel innere Beschwerden haben<br />

mir öfters schwer zu schaffen gemacht u. wenn ich<br />

gestorben wäre, wäre mir’s recht gewesen, so egal<br />

war mir alles. Ein bissel geht’s nun besser. – So, nun<br />

freut Euch über den Brief, ich glaube es war der erste<br />

und der letzte, den Ihr von hier erhaltet. Aber nun<br />

wißt Ihr Bescheid.<br />

(Am Rande) Ich schreibe ja gerne, doch unmögliches<br />

kann ich auch nicht schaffen. Ich erzähl’ Euch<br />

das, was fehlt. – Recht herzliche Grüße an Euch alle,<br />

besonders Else für den sooooo langen Brief…<br />

Ulmenhorst, die Beobachtungshütte (ist aber ein<br />

Haus) wo wir wohnen, liegt ganz einsam 1 ½ Stunden<br />

von Rossitten entfernt. – …<br />

Ich habe 45 schöne Aufnahmen gemacht, mal sehen,<br />

was geworden ist. – Wenn Ihr Zeit habt, schreibt<br />

noch mal, ich fühl’ mich oft richtig verlassen…

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