B3 Biennale des bewegten Bildes 2013 7. 12. 2012 KickOff - Strandgut
B3 Biennale des bewegten Bildes 2013 7. 12. 2012 KickOff - Strandgut
B3 Biennale des bewegten Bildes 2013 7. 12. 2012 KickOff - Strandgut
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Theater<br />
Für das Volkstheater kam Bäppi La<br />
Belle etwas zu spät. Die Idee <strong>des</strong><br />
Tanzlehrers, Travestie-Künstlers<br />
und Theatrallalla-Gründers Thomas<br />
Bäppler-Wolf, im Großen Hirschgraben<br />
das Musical »Ein Käfig voller<br />
Narren« auf Hessisch zu produzieren<br />
und zu spielen (siehe <strong>Strandgut</strong><br />
7/<strong>2012</strong>), hat der nach Liesel Christ<br />
benannten Spielstätte im vergangenen<br />
Sommer zwar neue Rekorde<br />
beschert. Doch war deren Ende<br />
da schon städtisch beschlossene<br />
Sache. Weil’s so schön war, wird »La<br />
Cage aux Folles« im kommenden<br />
Mai das Kapitel »Volkstheater Liesel<br />
Christ« sogar beschließen.<br />
Klappe zu, aber nicht: Affe tot. Im<br />
Geiste der Frankfurter Zoo-Legende<br />
Bernhard Grzimek hat sich der<br />
Entertainer nun auf die rosa Fahne<br />
geschrieben, daß das Volkstheaterhessisch<br />
nicht sterben darf. Seine<br />
vornehmlich an den Wochenenden<br />
und überwiegend von ihm selbst<br />
bespielte subventionsfreie Bühne<br />
»Theatrallalla« soll künftig mit dem<br />
Zusatz »Das Kleine Volkstheater im<br />
Nordend« die Mundart-Tradition<br />
mit einem die ganze Woche füllenden<br />
Programm wahren. Bei<br />
nur 99 Sitzen (mit Tisch) sind die<br />
Möglichkeiten, »das Publikum <strong>des</strong><br />
Volkstheaters zu retten«, freilich<br />
16 | <strong>Strandgut</strong> 12/<strong>2012</strong><br />
© Bäppi La Belle<br />
Hessisch darf net sterbe!<br />
Das Theatrallalla wird »Kleines Volkstheater im Nordend«<br />
limitiert. Stücke mit mehr als vier<br />
Schauspielern sind da kaum machbar.<br />
Immerhin kann Bäppler-Wolf<br />
sein Angebot für die Zielgruppe<br />
diesseits von Michael Quast mit<br />
beliebten Ensemblemitgliedern<br />
<strong>des</strong> Volkstheaters bestreiten. Schon<br />
am 26. Februar treten Verena Wüstkamp<br />
und Benedikt Ivo in »My Fat<br />
Friend – meine dicke Freundin« von<br />
Charles Laurence auf. Im April werden<br />
in Tankred Dorsts »Die Kurve«<br />
Iris Reinhardt Hassenzahl und Tino<br />
Leo zu sehen sein, im Juni mutiert<br />
Steffen Wilhelm zu Doro, einem der<br />
Golden Girls. Corinna Maria Lechler,<br />
Sylvia Hofmann und Dieter Gring,<br />
Leiter der Märchenfestspiele in Hanau,<br />
sind für das Regiepult gebucht.<br />
Bäppi, versteht sich, ist fast immer<br />
dabei. Frei-, Sams- und Sonntag<br />
bleiben zumin<strong>des</strong>t aufs Nächste<br />
der Travestie gewidmet.<br />
Anders als im Volkstheater wird im<br />
»Theatrallalla« am Tisch serviert,<br />
wenn auch nicht während der<br />
Theatervorstellungen. Daß das<br />
Gebäude mit der Hausnummer<br />
296 stadtauswärts kurz vor dem<br />
Lidl trotz <strong>des</strong> anrüchigen Zusatzes<br />
Auspuff mehr als »Pitstop« denn als<br />
ein Musentempel ins Auge fällt, soll<br />
sich ändern.<br />
gt<br />
Come and lay down<br />
by my side ...<br />
<strong>Strandgut</strong><br />
Das Abo für Seh-Räuber<br />
� 0 69/97 91 03-0<br />
Blut für Öl<br />
Freies Schauspiel Ensemble: »Atropa«<br />
Groovy, groovy Iphigenie: »Let there be love, let there be<br />
wind«. Im coolen Swing <strong>des</strong> Nat-King-Cole-Songs wiegt sich<br />
Agamemnons flügge Tochter der Hochzeitsnacht mit dem<br />
tollen Achill entgegen. Doch es braucht auch Wind, damit die<br />
griechische Flotte mit ihrem Superstar gegen Troja ziehen kann,<br />
um den Raub der schönen Helena zu rächen. Den groben Plot<br />
setzen wir hier mal voraus.<br />
Im vorderen Teil der Parkettbühne<br />
<strong>des</strong> »Titania« stehend, ahnt Iphigenie<br />
(Kim Hagspihl) noch nicht, daß<br />
das mit Achill nix wird und ihr Vater<br />
sie wegen der Flaute den Göttern<br />
opfern will, weil das Heer sein persönliches<br />
Zeichen verlangt. Derweil<br />
hadert von düsteren Visionen und<br />
einer weißen Stola umhüllt – Spot<br />
aus, Spot an – im Hintergrund Helena<br />
(Michaela Conrad) mit ihrem<br />
Schicksenschicksal in der Fremde,<br />
weil sie nur noch begehrt wird, aber<br />
nicht mehr geliebt. Der belgische<br />
Dramatiker Tom Lanoye stellt schon<br />
in der Eröffnungsszene von »Atropa.<br />
Die Rache <strong>des</strong> Friedens. Der Fall<br />
Trojas« die Weichen auf jene, denen<br />
Krieg vor allem angetan wird: die<br />
Frauen. Daß ihm dabei überraschend<br />
schlüssige Aktualisierungen<br />
<strong>des</strong> 2.500 Jahre alten Stoffs gelingen,<br />
macht den Reiz seines großartigen<br />
Stückes aus, das die Dramen<br />
<strong>des</strong> Euripi<strong>des</strong> und <strong>des</strong> Aischylos<br />
scheinbar mühelos mit der Kriegsrhetorik<br />
eines George W. Bush und<br />
Donald Rumsfeld verbindet. Diesen<br />
fetten Theaterfisch an Land gezogen<br />
zu haben, ist allein ein Coup für<br />
das Freie Schauspiel Ensemble.<br />
Vom Schlachtenheros Agamemnon<br />
(Adrian Scherschel), einziger Mann<br />
<strong>des</strong> Stücks, bleibt bei Lanoye nicht<br />
viel mehr als eine funktionale Hülle<br />
im dunklen Anzug, die Verkörperung<br />
einer ungnädigen Staatsraison.<br />
Dort, wo er Vater, Mann und<br />
Mensch ist, kann er einzig Iphigenie<br />
überzeugen. Sie stirbt als Märtyrerin<br />
für die Freie Welt. Vor seiner Gattin<br />
Klytämnestra (Bettina Kaminski)<br />
und den gefangenen Troerinnen<br />
verpuffen seine Argumente.<br />
Längs einer weißen Plane hat Regis-<br />
© Barbara Holland<br />
seur Reinhardt Hinzpeter sechs den<br />
Tod verheißende Öl-Kanister platziert,<br />
deren Inhalt, ein verdünnter<br />
Rote-Grütze-Extrakt, sich erst über<br />
Iphigenie, später über die Beutefrauen<br />
<strong>des</strong> feindlichen Herrscher-<br />
Clans ergießt: Hekabe (Carmen<br />
Wedel), Andromache (Naja Marie<br />
Domsel), Kassandra (Hagspihl) und<br />
auch über Helena. Während sich<br />
das Blutbad mit Ansage in individueller<br />
Würde vollzieht, läßt Hinzpeter<br />
die infernalischen Schrecken <strong>des</strong><br />
Krieges an anderer Stelle spüren.<br />
Beim Tod <strong>des</strong> Hector-Säuglings<br />
Astyanax, den der Feldherr – er<br />
kann mal wieder nicht anders! –<br />
von den Türmen Trojas schmettert,<br />
geht es Richtung Schmerzgrenze.<br />
Das hat seine Berechtigung. Daß es<br />
auch sonst öfter laut wird, scheint<br />
nicht immer zwingend. Und gilt<br />
gewiß nicht für den Frauenflüsterer<br />
Adrian Scherschel, der im Fokus der<br />
Inszenierung steht und einen Politiker<br />
gibt, dem man die privaten Gewissensbisse<br />
abnimmt, so gewandt<br />
er sich öffentlich auch – mit Merkels<br />
Fingerspitzdach – verkauft. Bettina<br />
Kaminski hat in den intimen<br />
Gesprächszenen mit ihm die schönsten<br />
Momente, Kim Hagspihl spielt<br />
energiegeladen und gibt in der<br />
Doppelrolle ein beachtliches Debüt.<br />
Der Frankfurter Oscar <strong>2012</strong> für die<br />
beste Nebenrolle aber gebührt Naja<br />
Marie Domsel als Andromache. So<br />
klar in der Sprache (wie man sich<br />
das von allen wünschte), so intensiv<br />
im Spiel haben wir die Schauspielerin<br />
noch nicht gesehen. Ein starkes<br />
Stück und ein Freie-Szene-Muß.<br />
Winnie Geipert<br />
Termine: 1. Dezember 20 Uhr,<br />
2. Dezember 17 Uhr