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Das kostenlose Hochschulmagazin von Seezeit
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19<br />
Warum wir nicht rebellieren:<br />
Begründung eines Symptoms<br />
T: Nicolai Eckert I: Caroline Weigele<br />
Wir, Studierende der ersten<br />
Hälfte des 21. Jahrhunderts,<br />
was haben wir bisher vollbracht?<br />
Warum studieren wir<br />
nur? Und warum verbringen<br />
wir unsere freie Zeit in<br />
Kneipen und vor Bildschirmen,<br />
vor denen wir so oder so<br />
sitzen? Wo bleibt unsere<br />
Revolution?<br />
Das sind Fragen, die sich der<br />
Student von heute stellen sollte – so<br />
vermutlich die Gedanken der heute in<br />
die Jahre gekommenen 68er. Ja, die<br />
haben alles richtig gemacht, sich gegen<br />
ihre Elterngeneration aufgelehnt und<br />
der modernen Gesellschaft durch ihre<br />
Protestbewegung gewinnbringende<br />
Vorteile eingebracht, auf deren Basis<br />
sich die heutige Studierendenschaft in<br />
Sattheit suhlt. Zu partizipieren, das ist<br />
das Mantra, das an jeden Bürger und<br />
jede Bürgerin, egal ob alt oder jung,<br />
herangetragen wird. Aber wie partizipieren?<br />
In der Politik? Unser Land wird<br />
geführt von einer demokratischen<br />
Institution: ein zwanghaft aufrechterhaltenes<br />
Konstrukt, das Diskurs<br />
simuliert. So scheint es zumindest, zu<br />
Zeiten der großen Koalition, für deren<br />
Existenz die Wählerschaft verantwortlich<br />
ist. Wie sieht die Alternative aus?<br />
Eine braune abgestandene Suppe, deren<br />
Argumentation nicht ernst zu nehmen<br />
ist, ein lila Bonbon, das sich redlich<br />
bemüht, wahrgenommen und nicht von<br />
der Masse der Alternativlosigkeit<br />
verschluckt zu werden, sowie eine<br />
ehemals grüne Wiese, die, verwelkt,<br />
schon ganz gelb geworden ist. Oh, da<br />
ist die Politikverdrossenheit vorprogrammiert,<br />
denn als partizipierender<br />
Teil einer Masse bleibt das Individuum<br />
handlungsunfähig. Im Rückschluss gilt<br />
es daher, das eigene Selbst zu kultivieren,<br />
seinen Weg zu gehen und sein<br />
eigenes Glück zu suchen. Ein Jahr<br />
Australien nach dem Abitur, ein<br />
aussichtsreiches Studium im Anschluss,<br />
Freundschaften und soziales Engagement:<br />
das klingt schön und ist glücklicherweise<br />
einfacher als im politischen<br />
Diskurs gegen die Wand der Bürokratie<br />
zu fahren.<br />
Der Gesellschaft wird durch<br />
andere Mittel ihr Tribut<br />
gezollt.<br />
Es ist angesagt, auf Fleisch zu<br />
verzichten, bei Rock Your Life! bessere<br />
Bildungsvoraussetzungen zu schaffen<br />
oder beim DRK mit im Rettungswagen<br />
Hochschulleben<br />
zu fahren. Da bleibt nicht viel Zeit,<br />
neben dem Studium und dem Erasmus-Jahr<br />
eine Revolution anzuzetteln.<br />
Das Engagement und die Selbstverwirklichung<br />
pushen das Ego, dem ein enorm<br />
hoher Stellenwert zugesprochen wird.<br />
Was dem Protest im Wege steht ist also<br />
der latente Narzissmus unserer Generation,<br />
oder die Sattheit, die einen träge<br />
werden lässt. Das ist keine Ausrede,<br />
sondern ein Symptom, das Symptom<br />
eines gesunden Individualismus, das<br />
allerdings gerne leichtfertig verurteilt<br />
wird. Aber das ist irrelevant, darum<br />
wird sich nicht gekümmert und deshalb<br />
rebellieren wir (noch) nicht.