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Einem -ismus auf der Spur: Pluralismus<br />
T: Lea Luttenberger I: Caroline Weigele<br />
„Spieglein, Spieglein an der Wand,<br />
wer ist der schönste Mensch im<br />
ganzen Land?“ Pluralismus ist, wenn<br />
der Schneewittchen-Spiegel in<br />
Deutschland nicht nur weiße,<br />
christliche (oder atheistische),<br />
heterosexuelle Menschen zeigt. Wir<br />
leben in einer Gesellschaft im<br />
Wandel, in der Kulturen sich<br />
vermischen, Lebensläufe flexibler<br />
werden, unterschiedliche Meinungen,<br />
Wünsche und Ziele Seite an<br />
Seite leben. Pluralismus ist eines der<br />
Geschenke der Demokratie an uns<br />
und kann nur aufgrund herrschender<br />
Menschenrechte wie Meinungsfreiheit<br />
und Gleichberechtigung<br />
funktionieren. Soweit die Definition.<br />
Politik<br />
Risiken und Nebenwirkungen? Dieses Bild einer pluralistischen<br />
Gesellschaft bleibt leider doch vielfach nur ein<br />
Märchen, eine politische Theorie.<br />
Laut der Bundeszentrale für politische<br />
Bildung (BPB) führt Pluralismus notwendigerweise<br />
zu Konflikten.<br />
Weshalb das wohl so ist – notwendigerweise? Ich werde<br />
gewarnt vor Entwurzelung und Kulturverlust, wenn plötzlich<br />
zu viele Menschen mit anderen Gedanken, Wünschen und<br />
Vorlieben kommen. Ist mir sonnenklar, dass ich Angst vor<br />
anderen Meinungen haben muss, die mir meine Sicherheit<br />
und Mehrheit rauben. Woher weiß ich denn noch, was richtig<br />
und was falsch ist, wenn ich dafür nicht mehr von allen<br />
Seiten Bestätigung bekomme? Wie soll ich mich verhalten,<br />
wenn ich ein Argument bringe und mir jemand widerspricht<br />
und ich mich dann plötzlich rechtfertigen muss? Dabei hatte<br />
ich doch alles schon zu Ende gedacht. Da muss ich mich ja<br />
verteidigen. Ein Kausalschluss: Pluralismus führt zu Konflikten,<br />
denn, wem widersprochen wird, der fühlt sich<br />
persönlich angegriffen. Aus Angst vor dem Unbekannten?<br />
Schuld an diesen Konflikten bin selbstverständlich nicht ich<br />
selbst, sondern diese Anderen, Unbekannten, die mich mit<br />
ihren eigenen Gedanken aus meinem sicheren Nest vertreiben.<br />
Ich weiß wovon ich spreche, denn diese Anderen „sind<br />
nicht alle gleich, doch fast alle gewaltbereit“, um den<br />
deutschen Rapper Alligatoah zu zitieren. Noch ein Kausalschluss:<br />
Je mehr Diversität, desto mehr solcher Verallgemeinerungen<br />
und desto mehr Konflikte folgen – aus Unwissenheit<br />
und Bequemlichkeit. Pluralismus ist auch die Aufgabe,<br />
sich die Zeit zu nehmen, Menschen einzeln statt in Gruppen<br />
kennenzulernen.<br />
Statt zu entwurzeln und Konflikte zu fördern könnte<br />
Pluralismus doch auch festigen in den Meinungen, die man<br />
hat und Kompromisse schaffen. Oder nicht? Entwicklung<br />
kann nur aus Veränderung folgen, Erkenntnis nur durch<br />
Inspiration: Auch das zu hinterfragen, was absolut scheint,<br />
ist notwendig, um voranzukommen und nicht in der Vergangenheit<br />
stecken zu bleiben. Es mag unbequem sein, sich<br />
einzugestehen, dass die eigenen Gedanken und Überzeugungen<br />
manchmal doch nicht die einzig wahren sind. Es mag<br />
unbequem sein, nicht der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit<br />
zu sein.<br />
Pluralismus ist eine neue Herausforderung für die<br />
Gesellschaft, die jedoch zu einer Chance werden kann, an<br />
sich selbst zu wachsen. Dafür müssen wir nur lernen, uns als<br />
einen kleinen Teil eines großen Ganzen zu begreifen. Es<br />
dreht sich nicht nur um uns, sondern auch um Andere. Wir<br />
können nicht alle der tollste und wichtigste Mensch im Land<br />
sein. Das zu erkennen ist vielleicht nicht angenehm, aber es<br />
kann doch auch bereichernd sein: Denn dann können wir<br />
nicht nur uns selbst, sondern auch Andere im Spiegel an der<br />
Wand sehen, der uns zeigt, wer alles toll und wichtig ist.