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7<br />

Einem -ismus auf der Spur: Pluralismus<br />

T: Lea Luttenberger I: Caroline Weigele<br />

„Spieglein, Spieglein an der Wand,<br />

wer ist der schönste Mensch im<br />

ganzen Land?“ Pluralismus ist, wenn<br />

der Schneewittchen-Spiegel in<br />

Deutschland nicht nur weiße,<br />

christliche (oder atheistische),<br />

heterosexuelle Menschen zeigt. Wir<br />

leben in einer Gesellschaft im<br />

Wandel, in der Kulturen sich<br />

vermischen, Lebensläufe flexibler<br />

werden, unterschiedliche Meinungen,<br />

Wünsche und Ziele Seite an<br />

Seite leben. Pluralismus ist eines der<br />

Geschenke der Demokratie an uns<br />

und kann nur aufgrund herrschender<br />

Menschenrechte wie Meinungsfreiheit<br />

und Gleichberechtigung<br />

funktionieren. Soweit die Definition.<br />

Politik<br />

Risiken und Nebenwirkungen? Dieses Bild einer pluralistischen<br />

Gesellschaft bleibt leider doch vielfach nur ein<br />

Märchen, eine politische Theorie.<br />

Laut der Bundeszentrale für politische<br />

Bildung (BPB) führt Pluralismus notwendigerweise<br />

zu Konflikten.<br />

Weshalb das wohl so ist – notwendigerweise? Ich werde<br />

gewarnt vor Entwurzelung und Kulturverlust, wenn plötzlich<br />

zu viele Menschen mit anderen Gedanken, Wünschen und<br />

Vorlieben kommen. Ist mir sonnenklar, dass ich Angst vor<br />

anderen Meinungen haben muss, die mir meine Sicherheit<br />

und Mehrheit rauben. Woher weiß ich denn noch, was richtig<br />

und was falsch ist, wenn ich dafür nicht mehr von allen<br />

Seiten Bestätigung bekomme? Wie soll ich mich verhalten,<br />

wenn ich ein Argument bringe und mir jemand widerspricht<br />

und ich mich dann plötzlich rechtfertigen muss? Dabei hatte<br />

ich doch alles schon zu Ende gedacht. Da muss ich mich ja<br />

verteidigen. Ein Kausalschluss: Pluralismus führt zu Konflikten,<br />

denn, wem widersprochen wird, der fühlt sich<br />

persönlich angegriffen. Aus Angst vor dem Unbekannten?<br />

Schuld an diesen Konflikten bin selbstverständlich nicht ich<br />

selbst, sondern diese Anderen, Unbekannten, die mich mit<br />

ihren eigenen Gedanken aus meinem sicheren Nest vertreiben.<br />

Ich weiß wovon ich spreche, denn diese Anderen „sind<br />

nicht alle gleich, doch fast alle gewaltbereit“, um den<br />

deutschen Rapper Alligatoah zu zitieren. Noch ein Kausalschluss:<br />

Je mehr Diversität, desto mehr solcher Verallgemeinerungen<br />

und desto mehr Konflikte folgen – aus Unwissenheit<br />

und Bequemlichkeit. Pluralismus ist auch die Aufgabe,<br />

sich die Zeit zu nehmen, Menschen einzeln statt in Gruppen<br />

kennenzulernen.<br />

Statt zu entwurzeln und Konflikte zu fördern könnte<br />

Pluralismus doch auch festigen in den Meinungen, die man<br />

hat und Kompromisse schaffen. Oder nicht? Entwicklung<br />

kann nur aus Veränderung folgen, Erkenntnis nur durch<br />

Inspiration: Auch das zu hinterfragen, was absolut scheint,<br />

ist notwendig, um voranzukommen und nicht in der Vergangenheit<br />

stecken zu bleiben. Es mag unbequem sein, sich<br />

einzugestehen, dass die eigenen Gedanken und Überzeugungen<br />

manchmal doch nicht die einzig wahren sind. Es mag<br />

unbequem sein, nicht der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit<br />

zu sein.<br />

Pluralismus ist eine neue Herausforderung für die<br />

Gesellschaft, die jedoch zu einer Chance werden kann, an<br />

sich selbst zu wachsen. Dafür müssen wir nur lernen, uns als<br />

einen kleinen Teil eines großen Ganzen zu begreifen. Es<br />

dreht sich nicht nur um uns, sondern auch um Andere. Wir<br />

können nicht alle der tollste und wichtigste Mensch im Land<br />

sein. Das zu erkennen ist vielleicht nicht angenehm, aber es<br />

kann doch auch bereichernd sein: Denn dann können wir<br />

nicht nur uns selbst, sondern auch Andere im Spiegel an der<br />

Wand sehen, der uns zeigt, wer alles toll und wichtig ist.

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