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EVENTS driving mobility (DE)

Magazin der Messe Frankfurt

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Events<br />

Events<br />

MESSE FRANKFURT<br />

DRIVING MOBILITY<br />

DRIVING MOBILITY<br />

NEW MOBILITY IS ...<br />

Im Zeichen der Vernetzung bisher unterschiedener<br />

Branchen entstehen in rasender Geschwindigkeit<br />

neue Konzepte und Geschäfts modelle. Welche<br />

werden sich durchsetzen?<br />

A PEOPLE´S BUSINESS<br />

Technologie wird oft als Treiber bezeichnet,<br />

doch eigentlich sind es die kreativen<br />

Köpfe, die den Unterschied machen. Wer sind<br />

die spannendsten Vordenker weltweit?


OVERVIEW<br />

52<br />

Öko-Metropole<br />

Bis 2025 will<br />

Kopenhagen die<br />

erste klimaneutrale<br />

Hauptstadt werden<br />

OVERVIEW<br />

OVERVIEW<br />

6 People: Die South-by-Southwest-<br />

Konferenz in Austin (USA)<br />

CONNECTIVITY<br />

8 Jeder mit jedem: Wie sich<br />

Branchen vernetzen<br />

Die digitale Transformation verändert die Welt der Mobilität dramatisch.<br />

Vernetzte Fahrzeuge und das Fernziel autonomes Fahren treiben die<br />

Automotive Industry massiv um. Um eine Plattform zu schaffen, auf der solche<br />

disruptiven Veränderungen diskutiert werden, erweitert die Messe Frankfurt<br />

ihr Messeangebot in den Bereichen Automotive und Transport & Logistics –<br />

bestehend aus über 30 Veranstaltungen weltweit – um Hypermotion.<br />

Diese neue Fachmesse versteht sich als Forum für die digitale Transformation im<br />

Verkehrsbereich und wendet sich an Marktteilnehmer aus dem Automotive-<br />

Bereich genauso wie aus Verkehr, Logistik, Mobilität, Infrastruktur, Transport<br />

und IT-Branche. Nicht erst seitdem Konzerne wie Apple und Google auf den<br />

Mobilitätsmarkt drängen, sind tradierte Marktschranken hinfällig geworden.<br />

Die branchenübergreifende Vernetzung ist eines der entscheidenden Themen<br />

dieses Magazins, das begleitend und hinführend zur Hypermotion erscheint.<br />

Darin finden Sie Themen der Hypermotion sortiert nach den Kategorien,<br />

die auch die Messe strukturieren werden. Ich wünsche Ihnen eine anregende<br />

Lektüre und freue mich, Sie vom 20. bis 22. November 2017<br />

in Frankfurt auf der Hypermotion zu begrüßen!<br />

<strong>DE</strong>TLEF BRAUN,<br />

Geschäftsführer der<br />

Messe Frankfurt GmbH<br />

Cover: Istockphoto; Fotos: Messe Frankfurt, Thies Rätzke / VISUM, Lars Krüger / Carlo Ratti Associati, Rasmus Hjortshøj – Coast Studio, ZF / Felix Kästle, Illustration: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />

13<br />

Chief Digital Officers<br />

wie Mamatha<br />

Chamarthi bei<br />

ZF treiben die Transformation<br />

voran<br />

36<br />

Fast neun Millionen Standard -<br />

container wurden 2015 im<br />

Hamburger Hafen umgeschlagen<br />

14 Moovel: Vom Autohersteller<br />

zum Mobilitätsdienstleister<br />

16 Stadt ohne Ampeln:<br />

Digitalisierung und urbane<br />

Lebensräume<br />

20 Mein Auto versteht mich – nicht:<br />

Experte Charlie Ortiz über die<br />

Sprachsteuerung im Fahrzeug<br />

22 „Flirten ist nur ein Nebeneffekt“:<br />

Das Innovationen<br />

Institut von Dr. Axel Glanz<br />

MONITORING & TRANSPARENCY<br />

24 Hallo, Schaden: Wie<br />

Predictive Maintenance den<br />

Aftermarket verändert<br />

DATA ANALYTICS & SECURITY<br />

28 „Daten in eine sinnvolle Ordnung<br />

bringen“: Big Data für Mobilität<br />

30 Vom Hacker zum Sicherheitsberater:<br />

Chris Valasek und sein<br />

legendärer Jeep-Hack<br />

34 Und was hab ich davon? Digitale<br />

Mobilität aus Verbrauchersicht<br />

34<br />

Studie Wie Endverbraucher<br />

die digitale<br />

Mobilität sehen<br />

HYPERMODALITY<br />

36 Viel mehr als nur Wasserwege:<br />

der Hamburger Hafen<br />

SUSTAINABILITY<br />

38 Elektrotherapie: In China<br />

werden E-Autos Pflicht<br />

44 „Das Auto der Zukunft ist eher<br />

ein Minibus“: Digital experte<br />

Christoph Bornschein<br />

46 Der 10-Milliarden-Dollar-Markt:<br />

Batterien für E-Mobility<br />

SYNCHRONIZED LOGISTICS<br />

48 Interview: Wie Roboter & Co.<br />

die letzte Meile überwinden<br />

SMART REGIONS<br />

52 Umsteigen: Kopenhagen wird<br />

Öko-Metropole<br />

OUTRO<br />

58 Fünf Fragen an … Dr. Matthias<br />

Schubert, TÜV Rheinland<br />

16<br />

Stadtplaner und<br />

MIT-Forscher Carlo<br />

Ratti über die<br />

Städte von morgen<br />

2<br />

3<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


OVERVIEW<br />

HYPERMODALITY<br />

MEGATREND<br />

<strong>DE</strong>KARBONISIERUNG<br />

MONITORING &<br />

TRANSPARENCY<br />

DATA ANALYTICS &<br />

SECURITY<br />

MEGATREND<br />

DIGITALISIERUNG<br />

CONNECTIVITY<br />

HYPERMOTION<br />

HYPERMOTION<br />

EINE NEUE MESSE<br />

FÜR NEUE MOBILITÄT<br />

Unser Verkehrssystem steht vor einem radikalen Wandel.<br />

Angetrieben durch Digitalisierung und Dekarbonisierung,<br />

entstehen neue vernetzte, integrierte und multimodale<br />

Mobilitätslösungen. Um diese Veränderungen abzubilden<br />

und Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu<br />

diskutieren, veranstaltet die Messe Frankfurt eine<br />

neue Fachmesse mit begleitenden Kongressen zu den<br />

Themen Digitalisierung, ITS (intelligente Transportsysteme)<br />

und Intermodalität: die Hypermotion, die vom<br />

20. bis 22. November 2017 in Frankfurt stattfindet.<br />

SUSTAINABILITY<br />

Illustration: Messe Frankfurt<br />

SMART REGIONS<br />

SYNCHRONIZED<br />

LOGISTICS<br />

Leitmesse für die digitale Transformation<br />

für Logistik, Mobilität<br />

und intelligente Transportsysteme<br />

AUSSTELLER: Automobil -<br />

hersteller und -zulieferer, Infra struktur-,<br />

Software- und Elektro unter nehmen,<br />

Kommunen, Universitäten,<br />

Forschungs einrichtungen, Start-ups<br />

BESUCHER: Experten aus<br />

Ver kehrs betrieben, IT-Unternehmen,<br />

Politik, Forschung und Entwicklung,<br />

Studenten und Schüler, interessierte<br />

Öffentlichkeit<br />

MESSE FRANKFURT mit rund<br />

30 Mobility&Logistics-Veran staltungen<br />

weltweit und Vertriebs -<br />

partnern in über 150 Ländern<br />

HYPERMOTION<br />

VOM 20. BIS 22. 11. 2017<br />

IN FRANKFURT<br />

4<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

5<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


OVERVIEW<br />

OVERVIEW<br />

DANNY SHAPIRO<br />

Superschnelle Chips<br />

machen Nvidia aktuell zu<br />

einem begehrten Partner der<br />

Autoindustrie. Senior Director<br />

Automotive Danny Shapiro<br />

und sein Team ermöglichen<br />

damit hochkomplexe<br />

Anwendungen wie das<br />

autonome Fahren.<br />

www.nvidia.com<br />

BLICK NACH VORN<br />

Die Autowelt entdeckt die Digitalmesse<br />

SOUTH BY SOUTHWEST (SXSW). Dort präsentiert<br />

sich eine bunte und revolutionäre Zukunft<br />

Neue Welt: Viele Messe -<br />

stände zeigten Anwendungen<br />

für Virtual Reality<br />

Das Austin<br />

Convention<br />

Center bildet<br />

das Zentrum<br />

der Messe<br />

SXSW<br />

=== DIGITALISIERUNG<br />

VERÄN<strong>DE</strong>RT UNSER<br />

LEBEN UND GANZE<br />

BRANCHEN ======<br />

Mission Mars<br />

Auf der SXSW ist auch die bemannte<br />

Raumfahrt der NASA ein Thema<br />

Mobil im All: Nur etwa<br />

200 Meilen entfernt vom NASA-<br />

Hauptquartier in Houston<br />

berichtete die Astronautin<br />

Jessica Meir gemeinsam mit<br />

Systemmanagern und Ingenieuren<br />

der amerikanischen Weltraumbehörde<br />

über den aktuellen Stand<br />

des Projektes Orion zur Erforschung<br />

des Roten Planeten. Die<br />

Zuhörer erfuhren so aus erster<br />

Hand Details über die Belastungen<br />

und die Vorbereitung für eine<br />

jahrelange Reise durchs All. Neben<br />

der psychischen und physischen<br />

Seit 2013<br />

gehört<br />

die Wissenschaftlerin<br />

Jessica Meir<br />

zu den NASA-<br />

Astronauten<br />

Anstrengung für die Besatzung<br />

berichteten die Referenten auch<br />

Digitalität verändert alles: Seit<br />

Karriere gestartet, und im vorigen<br />

gerade den größten Umbruch seit<br />

die Bedeutung präziser Karten<br />

über Ernährung, Logistik und<br />

ARWED NIESTROJ<br />

Geteilte Mobilität mithilfe<br />

von Digitalisierung<br />

und Vernetzung gilt auch für<br />

Mercedes-Benz als zunehmend<br />

wichtiges Geschäftsfeld.<br />

Arwed Niestroj leitet das<br />

Entwicklungszentrum des<br />

Automobilherstellers im<br />

Silicon Valley und erforscht<br />

dort neue Technologien für<br />

die Mobilität der Zukunft.<br />

www.daimler.com<br />

GORDON DAUGHERTY<br />

Digitale Vordenker und eine<br />

erfolgreiche Gründerszene<br />

sind ein fester Bestandteil von<br />

Austin. Gordon Daugherty<br />

leitet mit Capitalfactory eine<br />

Start-up-Fabrik, die Entrepreneure<br />

umfassend unterstützt.<br />

Auf der SXSW präsentierte<br />

er einige erfolgversprechende<br />

Newcomer der App-Szene.<br />

www.capitalfactory.com<br />

30 Jahren treffen sich Musiker,<br />

Filmemacher und Kreative auf<br />

der Messe South by Southwest in<br />

Austin. In den letzten Jahren kamen<br />

auch immer mehr Erfinder,<br />

Entwickler und Entrepreneure<br />

aus der Digitalbranche<br />

nach Texas. Unter anderem<br />

hat hier Twitter seine<br />

Trotz digitaler<br />

Devices erregen<br />

auch analoge<br />

Spielzeuge Aufsehen<br />

Frankfurt trifft Austin<br />

Durch Talks mit Vordenkern und Kreativen unter dem Motto CONNECTED MOBILITY<br />

präsentierte sich auch die Frankfurter Messe auf dem Zukunftskongress in Texas<br />

Messe im Wandel: Die SXSW<br />

ist eine inspirierende Mischung<br />

aus Musikfestival, Vor trägen,<br />

Ausstellungen und Kongress. In<br />

diesem Umfeld präsentierte<br />

sich auch die Messe Frankfurt mit<br />

einer eigenen Vortragsreihe.<br />

Unter dem Motto „Connected<br />

Mobility“ diskutierten prominente<br />

Redner in Anwesenheit des<br />

Messe-Frankfurt-Geschäftsführers<br />

Detlef Braun über die wichtigsten<br />

Mobilitäts trends der Zukunft.<br />

Jahr sprach der damalige US-Präsident<br />

Barack Obama zur kreativen<br />

Weltgemeinde.<br />

Die allgegenwärtige Digitalisierung<br />

und Vernetzung lockte in diesem<br />

Jahr auch die Automobilbranche<br />

nach Texas.<br />

Denn das Geschäft mit<br />

Automobilen erlebt<br />

seiner Erfindung. Der Verkauf und<br />

der exklusive Besitz von Fahrzeugen<br />

wandeln sich zu vielfältigen<br />

und individuellen Mobilitätsdienstleistungen.<br />

Vernetzte, intelligente<br />

und autonom fahrende Flotten<br />

ermöglichen neue<br />

Geschäftsmodelle. Die Autohersteller<br />

müssen sich rüsten für<br />

den Wettstreit mit digitalen Weltkonzernen<br />

wie Google oder<br />

Apple und frechen Start-ups wie<br />

Uber. In diesem Jahr erklärte unter<br />

anderem Daimler-Boss Dieter<br />

Die Zuhörer erhielten wertvolle<br />

Einblicke zur Forschung über<br />

künstliche Intelligenz, zur Sharing-<br />

Economy und zum autonomen<br />

Fahren. Themen, die auch die<br />

Frankfurter Messen wie die weltweit<br />

präsente Automechanika<br />

oder die neue Messe Hypermotion<br />

im November stark beeinflussen.<br />

Detlef Braun, Geschäftsführer<br />

der Messe Frankfurt, begrüßt<br />

die Gäste zum Mobility Talk<br />

Fotos: ddp images, Getty Images/2017 Tim Mosenfelder/2017 Bloomberg Finance LP/2017 Diego Donamaria (3), David Paul Morris/Bloomberg, NASA (2),<br />

James Blair/NASA, Daimler AG, Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, PR (2), Shutterstock<br />

für zukünftige Mobilitätslösungen.<br />

Auch Bill Ford sprach über<br />

die Zukunft des Automobils und<br />

positionierte seinen Konzern so<br />

im Wettstreit um kreative Ideen.<br />

Dass autonome Autos nur<br />

noch eine Frage der Zeit sind, darin<br />

waren sich Redner und Besucher<br />

einig. Viele Optimisten hoffen<br />

dadurch auf lebenswertere<br />

Städte mit weniger Verkehr und<br />

mehr Grün – auch hier dient<br />

Austin als Vorbild.<br />

KÜNSTLICHE<br />

INTELLIGENZ<br />

Als faszinierend und ein<br />

wenig unheimlich empfanden<br />

viele Besucher die<br />

Vorträge über die schnellen<br />

Fortschritte im Bereich der<br />

künstlichen Intelligenz. Für<br />

autonom fahrende Autos ist<br />

diese allerdings essenziell.<br />

technische Herausforderungen.<br />

Analoge<br />

Landkarten<br />

sorgen heute<br />

für Heiterkeit<br />

Zum Lernen nach Texas<br />

Der älteste Autokonzern der Welt sucht nach neuen<br />

I<strong>DE</strong>EN UND INSPIRATION für seine Zukunft<br />

Dabei sein ist alles: Für seinen<br />

Auftritt hat sich Dieter Zetsche<br />

eigens Cowboystiefel aus<br />

Straußenleder zugelegt – das kam<br />

gut an bei den jungen Zuhörern in<br />

Austin. Der Daimler-Boss sprach<br />

über Ideen und Kooperationen für<br />

eine sich immer schneller verän -<br />

dern de Zukunft. Als Basis für neue<br />

Dienste präsentierte er die<br />

präzisen Karten des erst kürzlich<br />

von Daimler, Audi und BMW übernommenen<br />

Kartendienstes Here.<br />

Die vernetzten und in Echtzeit<br />

aktualisierten Karten ermöglichen<br />

Anwendungen wie das autonome<br />

Fahren. „Wir sind hier, um zu<br />

lernen und zu zeigen, wie sich<br />

unsere Firma verändert“, bemerkte<br />

Zetsche abschließend.<br />

FAKTEN<br />

SXSW<br />

Musik Die South by<br />

Southwest startete<br />

1987 als Musikfestival.<br />

Austin gilt als Amerikas<br />

Musikhauptstadt<br />

mit Hunderten Bühnen<br />

und Klubs.<br />

Kongress Die Be -<br />

sucherzahlen steigen<br />

jährlich im zweistelligen<br />

Prozentbereich.<br />

2017 gestalteten<br />

über 2000 Referenten<br />

Vorträge und interaktive<br />

Workshops.<br />

Zukunftsthemen Die<br />

Vielfalt nimmt mit<br />

jedem Jahr zu. Außer<br />

um Musik und Film<br />

geht es inzwischen<br />

um Neue Medien,<br />

Webentwicklung,<br />

Marketing und Design.<br />

Neuerdings zeigt sich<br />

auch die Autoindustrie.<br />

6<br />

7<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

Fotos: Getty Images; Illustrationen: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />

JE<strong>DE</strong>R MIT<br />

JE<strong>DE</strong>M<br />

Mobilitätsdienstleister Uber kauft das Start-up<br />

Otto, das Technologien für selbstfahrende<br />

Lkw entwickelt. BMW und Sixt arbeiten bei<br />

DriveNow zusammen. ZF kooperiert mit Nvidia.<br />

Die Digitalisierung von Mobilität und Logistik<br />

lässt neue VERNETZUNGEN entstehen, die die<br />

traditionellen Branchengrenzen überschreiten<br />

TEXT: THOMAS FROMM<br />

John Krafcik,<br />

CEO von Googles<br />

Auto tochter<br />

Waymo, stellt den<br />

neuen Chrysler<br />

Pacifica vor, in dem<br />

so viel Google-<br />

Technik verbaut ist<br />

wie in keinem<br />

anderen Auto<br />

Früher, und es ist noch gar nicht so lange<br />

her, waren Automanager gern und<br />

meistens unter sich. Wenn sie sich auf<br />

Automessen in Detroit, Frankfurt oder Genf<br />

trafen, redeten sie über Motoren und PS, maßen<br />

mit kleinen Linealen Fugen aus und sprachen<br />

über ihr letztes Rennen in einem Sportboliden.<br />

Natürlich blieben sie Rivalen und<br />

schenkten einander nichts. Aber irgendwie<br />

verstanden sie sich auch als Teil einer erlesenen<br />

Gemeinschaft: Rotwein und Zigarren in<br />

Genf, viele gute Gespräche, meet and greet.<br />

Doch die Dinge haben sich verändert. Man<br />

redet zwar immer noch meistens über Autos,<br />

aber man ist dabei nicht mehr unter sich. Das<br />

hat damit zu tun, dass es bei Autos nicht mehr<br />

nur allein um Autos geht. Aus Fahrzeugen<br />

werden gerade Mobile Devices, Computer auf<br />

vier Rädern, Infotainment-Center, selbstfahrende<br />

Roboter, fahrende Rechenzentren. Und<br />

das mischt die Szene auf.<br />

Zum Beispiel an einem Sonntag Mitte<br />

Januar in München. Draußen liegt hoher<br />

Schnee, als drei Männer, die einander bis vor<br />

Kurzem nur wenig zu sagen hatten, auf die<br />

Bühne der Netzkonferenz DLD steigen – der<br />

BMW-Vorstand Klaus Fröhlich, Intel-Chef Brian<br />

8<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

9<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

„Wir brauchen ein<br />

gemeinsames<br />

Vor gehen“: BMW-<br />

Entwicklungs vorstand<br />

Klaus Fröhlich<br />

WER MIT WEM –<br />

PARTNER <strong>DE</strong>R<br />

VERNETZUNG<br />

Krzanich und Amnon Shashua, Gründer des israelischen Kamera spezialisten<br />

Mobileye. Fröh lich, der einzige „Car Guy“ in der Runde, sagt: „Keiner ist so<br />

clever wie alle anderen um ihn herum.“ Das klingt sehr bescheiden, aber es<br />

ist vor allem sehr vernünftig: Für die Autos von morgen braucht man Partnerschaften,<br />

Kooperationen, Know-how von allen Seiten.<br />

Deshalb entstehen gerade Partnerschaften, die man früher nicht<br />

für möglich gehalten hätte: Waymo, eine Tochter der Google-Mutterholding<br />

Alphabet, ist im Konzern zuständig für selbstfahrende Autos<br />

und arbeitet jetzt mit Fiat Chrysler zusammen. Gemeinsam rüsten sie<br />

gerade eine erste Minivan-Flotte zu autonomen Autos hoch. Die Arbeitsteilung<br />

geht so: Google liefert Sensoren und Software, Chrysler-<br />

Leute sehen zu, dass ihre Autos so gebaut werden, dass die neuen<br />

Komponenten hineinpassen. Einige in der Branche sehen das skeptisch.<br />

Eine Großkooperation ausgerechnet mit Google? Andererseits:<br />

Es passt in diese Zeit.<br />

DIE LETZTE GÜLTIGE REGEL: ANYTHING GOES<br />

Nvidia, ein Chip- und Grafikausrüster, der bis vor Kurzem vor allem<br />

für seine Computerspiel-Kompetenz bekannt war, ist heute ein Partner<br />

von Audi und ZF Friedrichshafen. Der früher sehr analoge Zulieferer<br />

ZF kooperiert außerdem mit der Mitfahrcommunity BlaBlaCar.<br />

Und die Koreaner von Hyundai lassen sich gerade vom IT-Ausrüster<br />

Cisco vernetzen. „Anything goes“ – wenn es überhaupt noch eine Regel<br />

in der Branche gibt, dann diese.<br />

BMW, Intel, Mobileye – es sind drei sehr unterschiedliche Unternehmen,<br />

die stellvertretend für das stehen, was gerade in der Branche<br />

passiert. BMW will im Jahr 2021 selbstfahrende Autos auf die Straße<br />

bringen, schon in der zweiten Jahreshälfte 2017 sollen die ersten Testfahrzeuge<br />

fahren. Dafür braucht man das Know-how der IT-Firmen.<br />

Intel baut die Chips, Mobileye liefert die Technik, mit der Autos den Verkehr,<br />

die Straße, Fußgänger und alles andere im Blick haben können.<br />

Umfelderkennung heißt das bei autonomen Autos. Die Logik der<br />

Liaison ist ganz einfach: Wenn im Auto Blech und IT zusammenwachsen,<br />

müssen auch die Unternehmen enger zusammenrücken. „Wir<br />

brauchen unbedingt ein gemeinsames Vorgehen und eine offene Plattform<br />

bei der Entwicklung des autonomen Fahrens“, fordert BMW-Chefentwickler<br />

Fröhlich. „Wenn alle alles getrennt machten, würde die Industrie<br />

Milliarden verschwenden.“<br />

Plattformen, nicht alles getrennt machen<br />

– das war schon im vergangenen Jahr so, als<br />

Audi, BMW und Daimler an die drei Milliarden<br />

Euro für den Nokia-Kartendienst Here<br />

auf den Tisch legten. Ausgerechnet die drei<br />

großen Rivalen im Premiummarkt, die sich<br />

seit Jahrzehnten vor allem voneinander abgrenzen,<br />

die in München „Freude am Fahren“<br />

beschwören, in Ingolstadt den „Vorsprung<br />

durch Technik“ und in Stuttgart „Das Beste<br />

oder nichts“ behaupten, teilen sich nun die<br />

Digitalkarten, ohne die Orientierung beim<br />

autonomen Fahren nicht klappt. Das allein<br />

zeigt, dass man manchmal über den eigenen<br />

Schatten springt, weil es Dinge in der neuen<br />

Autowelt gibt, die man ungern Google oder<br />

Apple überlässt. Oberstes Ziel: Die Hoheit, die<br />

man im Auto seit Jahrzehnten hat, will man<br />

auch in Zukunft behalten. Wenn es sich irgendwie<br />

ergibt, arbeiten traditionelle Autounternehmen<br />

also lieber mit anderen traditio<br />

nellen Autofirmen zusammen als mit den<br />

neuen Spielern aus dem Silicon Valley. Aber<br />

es ergibt sich eben nicht immer.<br />

Denn der Wandel kostet die Industrie<br />

nicht nur Milliarden. Wenn BMW-Vorstand<br />

Fröhlich sagt, dass man nicht alles allein<br />

schaffen könne, geht es auch darum: BMW ist<br />

nun mal kein IT-Start-up-Unternehmen aus<br />

dem Valley, da kann man noch so viele Krawatten<br />

abnehmen und Kapuzenpullis tragen.<br />

Und Chips, Sensoren und intelligente Kameras<br />

gehören auch nicht zum Kerngeschäft.<br />

Ohne sie geht es aber in Zukunft nicht mehr.<br />

Es dauerte, bis sich in den Vorstandsetagen<br />

der Autokonzerne die Einsicht durchsetzte,<br />

dass es nur mit Motoren, PS und Drehmomenten<br />

langfristig nicht mehr getan ist.<br />

Die Generation Smartphone will vernetzte<br />

Autos, das sportliche Durchstarten an der<br />

Ampel hat für sie nicht mehr die oberste Priorität.<br />

Viele, vor allem junge Metropolenbewohner,<br />

Fotos: BMW Group; Illustrationen: Carolin Eitel/WILDFOX RUNNING<br />

Automobilhersteller mit Internetkonzernen,<br />

Zulieferer mit<br />

Chip produzenten – eine Momentaufnahme<br />

aus einer Branche,<br />

die täglich neue Kooperationen<br />

und Vernetzungen verkündet<br />

Apple und Google bieten<br />

mit ihren Plattformen<br />

CarPlay und Android Auto<br />

für alle Autohersteller<br />

Programme an, mit denen<br />

sich Smartphones und<br />

Autos verknüpfen lassen.<br />

Audi, BMW und Daimler<br />

haben sich mit den<br />

Netzwerkausrüstern<br />

Ericsson, Huawei und Nokia<br />

sowie mit den Chipbauern<br />

Intel und Qualcomm<br />

zur „5G Automotive Association“<br />

zusammengeschlossen,<br />

um den Ausbau<br />

des Mobilfunkstandards<br />

5G voranzutreiben.<br />

Audi, BMW und Daimler<br />

haben für rund drei<br />

Milliarden Euro den<br />

interaktiven Kartendienst<br />

Here gekauft.<br />

BMW arbeitet mit dem<br />

IT-Konzern Intel und dem<br />

israe lischen Kameraspezialisten<br />

Mobileye an<br />

selbst fahrenden Autos.<br />

In der zweiten Jahreshälfte<br />

2017 sollen 40 Testwagen<br />

auf die Straße, serienreife<br />

Autos ab 2021 gebaut<br />

werden.<br />

BMW und Sixt betreiben<br />

gemeinsam den Carsharing-Dienst<br />

DriveNow.<br />

BMW und Daimler<br />

überlegen angeblich, bei<br />

ihren Carsharing-Diensten<br />

Car2go und DriveNow<br />

künftig zu kooperieren.<br />

BMW, Daimler, Ford<br />

und VW wollen<br />

zusammen ein europa -<br />

weites Netz aus Tausenden<br />

von Lade stationen für<br />

Elektroautos aufbauen.<br />

Daimler arbeitet mit<br />

Uber zusammen.<br />

Der Taxivermittler will<br />

zukünftig autonome<br />

Fahrzeuge des Herstellers<br />

einsetzen. Außerdem ist<br />

Daimler bei Starship<br />

Technologies eingestiegen,<br />

einem Entwickler<br />

von Lieferrobotern.<br />

Google kooperiert mit<br />

dem Automobilhersteller<br />

Fiat Chrysler.<br />

Der Internetkonzern hat<br />

seine Aktivitäten für<br />

selbst fahrende Autos in<br />

die Einheit Waymo<br />

ausgegliedert und rüstet<br />

100 Chrysler Pacifica<br />

mit seinen Robotersystemen<br />

zu autonomen<br />

Autos auf. Als nächster<br />

Google-Partner im<br />

Gespräch: Honda.<br />

Hyundai lässt sich<br />

seine Autos in Zukunft<br />

von dem amerikanischen<br />

IT-Ausrüster Cisco<br />

ver netzen.<br />

Microsoft kooperiert<br />

mit Renault-Nissan,<br />

um die Autos des Herstellers<br />

zu vernetzen.<br />

Nvidia entwickelt<br />

zusammen mit ZF eine<br />

Plattform für künstliche<br />

Intelligenz für Fahrzeuge.<br />

Mit VW arbeitet der Chip -<br />

hersteller an einer Technologie,<br />

die das Verhalten<br />

der Fahrer erken nen und<br />

verstehen soll. Und mit<br />

Audi an einer Software,<br />

die als Kopilot dem Fahrer<br />

assistiert.<br />

Tesla hat den rheinlandpfälzischen<br />

Maschinenbauer<br />

Grohmann Engineering<br />

gekauft, einen<br />

Experten auf dem Gebiet<br />

der automatisierten<br />

Fertigung, der Tesla<br />

beim Produktionsausbau<br />

helfen soll.<br />

ZF bietet jetzt auch<br />

Mobilitätsdienstleistungen<br />

an und arbeitet für seine<br />

Mobilitäts-App uflip<br />

zusammen mit BlaBlaCar.<br />

10<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

11<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

wollen nicht einmal mehr ein eigenes Auto besitzen und mieten oder teilen<br />

sich lieber eines. Früher bedeutete ein Auto Freiheit. Heute fühlen sich viele<br />

freier, wenn sie keins besitzen. BMW und Daimler haben das schon früh erkannt<br />

– Daimler gründete den Carsharing-Dienst Car2go, BMW eröffnete<br />

mit dem Autovermieter Sixt seinen Dienst DriveNow. Vor einiger Zeit kursierten<br />

Gerüchte, die beiden könnten ihre Dienste zusammenlegen. Bislang<br />

wurde das dementiert, aber kann man in diesen Zeiten des Umbruchs noch<br />

irgend etwas ausschließen?<br />

TECHNOLOGIEPLATTFORMEN FÜR AUTONOME AUTOS<br />

Für die Zukunft braucht man viel Geld und viel Know-how. Deshalb<br />

betont John Krafcik, Chef der Google-Autotochter Waymo, bei jeder<br />

Gelegenheit: Es gehe jetzt darum, eine „sichere Technologieplattform“<br />

für selbstfahrende Autos zu bauen. Auch BMW-Mann Fröhlich spricht<br />

von Plattformen. Sie gelten in der Branche derzeit als Basis für eine<br />

Entwicklung, von der man noch nicht weiß, wo und wie sie enden wird.<br />

Die Frage ist längst nicht mehr, ob es diese Plattformen – technologisch,<br />

betriebswirtschaftlich, personell – in Zukunft geben wird oder<br />

nicht. Die Frage lautet vielmehr: Wer wird sie beherrschen? Die Autohersteller,<br />

so viel steht fest, haben die Herausforderungen angenommen<br />

und gehen in die Offensive. Sie kooperieren mit IT-Firmen, um zu<br />

verhindern, dass andere IT-Firmen in ihr Geschäftsfeld drängen.<br />

So kann man sich auch die Dreierkooperation von BMW mit Intel<br />

und Mobileye erklären: als ein Bündnis gegen Google. Plattformen bilden,<br />

die Angreifer mit ihren eigenen Waffen schlagen – so funktioniert<br />

die Verteidigungsstrategie. Denn das schlimmste Szenario der Hersteller<br />

geht so: Was, wenn wir uns den IT-Konzernen komplett ausliefern?<br />

Wenn es zu schweren Pannen und Unfällen kommt, nur weil die<br />

IT nicht stimmt? Dies würde die breit aufgestellten IT-Giganten vielleicht<br />

weniger belasten, aber den in Jahrzehnten aufgebauten guten<br />

Ruf der Autokonzerne ruinieren. Und was, wenn man irgendwann nur<br />

noch ein reiner Blechbieger ist, nur noch dazu da, die Hüllen zu liefern für<br />

das große Daten geschäft der Googles und Apples?<br />

==== DIE FRAGE LAUTET NICHT,<br />

OB ES PLATTFORMEN<br />

GEBEN WIRD. SON<strong>DE</strong>RN<br />

WER SIE IN ZUKUNFT<br />

BEHERRSCHT =======<br />

Schon jetzt rechnen Experten vor: Das<br />

große Geschäft wird in Zukunft erst nach<br />

dem Verkauf eines Autos beginnen – dann,<br />

wenn man die Daten vergoldet, die in diesem<br />

Auto entstehen. Zugriff auf die Daten wollen<br />

deshalb alle haben: Intel, Google, Apple, Microsoft.<br />

Und die Autobauer sowieso. Autos<br />

bauen, ganz neue Geschäftsfelder suchen,<br />

von Carsharing-Diensten, Parkservice-Angeboten,<br />

Taxi-Apps bis zu Infotainment-Anbietern<br />

– die Hersteller suchen nach neuen<br />

Wegen, um Geld zu verdienen, und damit<br />

kommen sie den IT-Konzernen gefährlich<br />

nahe und müssen sich ungewöhnliche Fragen<br />

anhören. Bei der Münchner Digitalkonferenz<br />

DLD im Januar fragte der US-amerikanische<br />

Journalist und Medienexperte Jeff Jarvis, ob<br />

aus BMW jetzt ein Medienunternehmen werde.<br />

Nein, sagte BMW-Vorstand Fröhlich, ein<br />

Mobilitätsdienstleister, aber kein Medienhaus.<br />

Das bedeutet: Dass man Amazon Prime<br />

im Auto nutzen kann, heißt noch nicht, dass<br />

BMW jetzt auch Inhalte produziert.<br />

Denn eigentlich sind sie immer noch<br />

Auto hersteller und wollen auch gar nichts anderes<br />

sein. Wer in diesen Tagen mit Automanagern<br />

spricht, hört oft eine These, die<br />

Selbst bewusstsein ausstrahlen soll: Es sei<br />

doch einfacher, sich Software in den Wagen<br />

zu holen, als selbst so einen Wagen zu bauen.<br />

Gute Autos, das sollen die aus dem Silicon Valley<br />

erst einmal versuchen! <br />

Aktiv: Uber-CEO Travis Kalanick<br />

kauft sich bei einem<br />

Logistik-Start-up ein und<br />

kooperiert mit Daimler<br />

Fotos: Bloomberg / Getty Images, ZF / Felix Kästle; Illustrationen: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />

FRISCHER WIND<br />

VON VERSCHIE<strong>DE</strong>NEN<br />

SEITEN<br />

Mamatha Chamarthi, CHIEF DIGITAL OFFICER der<br />

ZF Friedrichshafen AG, über die Herausforderungen an<br />

einen Zulieferer und ihre Aufgaben im Konzern<br />

MAMATHA<br />

CHAMARTHI<br />

wurde in Indien<br />

geboren. In den<br />

USA startete sie als<br />

Programmiererin<br />

bei DaimlerChrysler.<br />

2014 wurde sie<br />

IT-Verantwortliche<br />

bei TRW Auto ­<br />

motive, 2016 dann<br />

Chief Digital<br />

Officer von ZF<br />

ZF ist ein erfolgreicher Automobilzulieferer und spezialisiert<br />

auf mechanische Komponenten. Haben Sie Sorge, dass die<br />

Kompetenz im Kerngeschäft in Zukunft nicht mehr ausreicht?<br />

ZF hat eine lange Tradition in der Herstellung mechanischer Komponenten.<br />

Allerdings sind wir angesichts des digitalen Wandels<br />

schon auf dem Weg, diese Systeme mit Intelligenz zu versehen. Wir<br />

wollen, dass Autos sehen, denken und handeln. Sensoren wie<br />

Kameras, Radar- oder LiDAR-Systeme müssen in der Lage sein, die<br />

Umgebung zu „sehen“. Die Elektronik ist das Gehirn, das „denkt“,<br />

alle Signale bewertet und das Auto zum „Handeln“ bewegt. Angesichts<br />

unserer Strategie und unseres Produktportfolios zur vernetzten<br />

Mobilität bin ich überzeugt, dass wir stark genug sind, diese<br />

Veränderungen zu meistern.<br />

Sie sind im Unternehmen zur Treiberin des digitalen Wandels<br />

geworden. Welche Chancen liegen hier?<br />

Traditionell ist ZF ein Tier-1-Zulieferer sowohl für Antriebs- und Fahrwerkssysteme<br />

als auch für aktive und passive Sicherheitstechnologie.<br />

Digitaler Wandel bedeutet, dass wir Anbieter von intelligent verbundenen<br />

mechanischen Systemen sind. Wir stärken den Wandel mit<br />

Kooperationen, beispielsweise mit Nvidia für künstliche Intelligenz,<br />

oder mit Investments in Technologieunternehmen wie den LiDAR-<br />

Spezialisten Ibeo.<br />

Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit in der neu<br />

ge schaffenen Position des Chief Digital Officer?<br />

Meine Hauptaufgabe besteht darin, die Digitalisierungsstrategie<br />

und die Nutzung digitaler Technologien bei ZF voranzutreiben, um<br />

die Geschäftsmodelle zu ändern und neue Wertschöpfungsketten<br />

aufzuzeigen. In allen Geschäftsbereichen muss unser Fokus eindeutig<br />

auf Digitalisierung liegen. Die CDO-Organisation bereitet<br />

das „Ökosystem“, in dem die Partner schaften mit Technologieunternehmen,<br />

Start-ups und Akademien Früchte tragen. Da ist<br />

Schnelligkeit gefragt.<br />

In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche Kooperationen<br />

traditioneller Unternehmen mit Start-ups bekannt.<br />

Kommt der frischste digitale Wind von außen?<br />

Es ist beides. Intern arbeiten unsere Forschung-&-Entwicklung- und<br />

IT-Abteilungen eng zusammen und haben sogenannte Digital Labs<br />

gegründet. Sie arbeiten quasi unter Start-up-Bedingungen an eigenen<br />

Projekten, schnell, agil und selbstständig. Aber wir blicken auch<br />

nach außen. Letztes Jahr haben wir unsere Risikokapitalgesellschaft<br />

„Zukunft Ventures“ ins Leben gerufen, um Anteile an Unternehmen<br />

zu kaufen, die im für ZF relevanten Technologiesektor aktiv sind.<br />

Die Verantwortlichkeiten zwischen Herstellern, Erstausstattern<br />

und Anbietern mobiler Dienste werden neu gemischt. Ist die<br />

neue Vielfalt für ein Unternehmen wie ZF gefährlich?<br />

Wir glauben, dass die vernetzte Mobilität der Zukunft auf intelligente<br />

mechanische Systeme angewiesen ist. Das bedeutet, dass<br />

wir innerhalb wie außerhalb des Autos digital vernetzt sein<br />

müssen. Wir haben einen sehr guten Ausgangspunkt und arbeiten<br />

hart an zukünftigen Lösungen, damit die Autos sehen, denken und<br />

handeln können.<br />

12<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

13<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

DAS BESTE<br />

ZWEIER<br />

WELTEN<br />

moovel North America<br />

hat gerade für seine<br />

110 Angestellten elegante<br />

neue Geschäftsräume<br />

in Portland geschaffen<br />

Mit moovel baut Daimler an einem<br />

Betriebssystem für urbane Mobilität,<br />

das öffentlichen Nahverkehr und<br />

Sharing- Economy verknüpft. Wie passen<br />

ein klassischer Autobauer und<br />

Start-up-Kultur zusammen? Hypermotion<br />

hat mit NAT PARKER gesprochen,<br />

CEO von moovel North America<br />

INTERVIEW: MICHAEL HOPP<br />

Die moovel-App ist die weltweit einzige,<br />

mit der man Mobilitätsoptionen<br />

inklusive des öffentlichen Nahverkehrs<br />

suchen, buchen und bezahlen kann<br />

Was macht moovel für Daimler?<br />

PARKER: Wir helfen Daimler, die Fortbewegung in den Städten effektiver<br />

und bequemer zu machen. Im Zentrum unserer Überlegungen steht der<br />

öffentliche Nahverkehr. Der wird auch in Zukunft entscheidend für die<br />

Qualität städtischer Infrastrukturen sein. Aber wir wollen ihn mit anderen<br />

Transportmitteln verbinden – etwa Carsharing und Mietfahrrädern. Deswegen<br />

kompilieren wir die Daten von Verkehrssystemen wie Bussen und<br />

U-Bahnen und verknüpfen sie mit Daten für Sharing-Systeme. In den USA<br />

ist die Bezahlplattform moovel transits unser Kernprodukt. Damit kann<br />

man Reisen planen und via Smartphone gleich bezahlen. In Deutschland<br />

steht die Suche nach Verbindungsoptionen im Mittelpunkt, aber letztlich<br />

wird es auch hier darum gehen, Suchen und Buchen zu verknüpfen.<br />

Falls Sie Erfolg haben, wird moovel die Nachfrage nach Autos verringern.<br />

Warum sollte Daimler daran Interesse haben?<br />

Fotos: moovel<br />

NAT PARKER<br />

hatte 2012 das Startup<br />

Globe Sherpa<br />

gegründet, das eine<br />

App für Transportund<br />

Parkplatzmanagement<br />

entwickelte.<br />

Als die<br />

moovel Group das<br />

Unternehmen<br />

übernahm, wurde<br />

Parker CEO<br />

von moovel North<br />

America<br />

Daimler hat erkannt, dass die jüngere Generation den Zugang zu Fahrzeugen<br />

höher schätzt als ihren Besitz. Für sie bedeutet es Freiheit, nicht<br />

mehr über Parkplätze nachdenken zu müssen, sondern auf ein Netzwerk<br />

von öffentlichem Nahverkehr, Car2go und so weiter zugreifen zu können.<br />

Mit solchen Bedürfnissen muss sich Daimler auseinandersetzen. Werden<br />

wir immer noch Autos verkaufen? Natürlich. Werden wir selbstfahrende<br />

Fahrzeuge verkaufen? Absolut. Aber wir glauben, dass es sinnvoll ist,<br />

wenn Kunden aussuchen können, ob sie diese kaufen oder mieten.<br />

Wie geht moovel mit den Daten um, die von den Benutzern generiert<br />

werden, etwa mit Bewegungsprofilen?<br />

Wir wissen, dass Daten insbesondere in der EU ein sensibles Thema sind,<br />

und halten uns strikt an die Datenschutzbestimmungen. Wir verwenden<br />

Daten ohne die Erlaubnis des Benutzers niemals so, dass er identifizierbar<br />

würde. Allerdings müssen wir Daten aggregieren, um zu verstehen, wie<br />

Städte funktionieren: Wann interessieren sich Menschen an welchen Orten<br />

für Fahrgelegenheiten, wie können wir ihnen Alternativen anbieten,<br />

wenn ein Zug sich verspätet oder ein Bus ausfällt? Diese Art von Big Data<br />

braucht man, wenn man städtischen Verkehr intelligenter machen will.<br />

Wie unterscheidet sich Ihre Tätigkeit bei Daimler von Ihrem früheren<br />

Job als CEO des Start-ups GlobeSherpa?<br />

Mit Start-ups kann man flexibel und agil sein. Bei Daimler habe ich dafür<br />

Ressourcen und Expertise und die Macht einer weltweit bekannten Marke<br />

hinter mir. Ich kann mich vielleicht nicht mehr so schnell wie früher bewegen,<br />

aber dafür mehr bewirken. Die Daimler AG hat erkannt, dass sie<br />

Unter nehmen wie moovel benötigt, um ihre Geschäftsmodelle an eine<br />

veränderte Welt anzupassen. Deswegen sollen wir so weitermachen, als<br />

wären wir ein Start-up. Ich profitiere also vom Besten zweier Welten.<br />

Was reizt Sie persönlich daran, für ein Unternehmen zu arbeiten, das<br />

sich mit Mobilität und Sharing-Ökonomie beschäftigt?<br />

Die Chance, die Welt zu verändern – und das ist völlig ernst gemeint. Es<br />

gibt nur wenige Branchen, die so viel Einfluss auf unsere Lebensqualität<br />

haben wie Transportunternehmen. Der Verkehr ist es, der in unserer Gesellschaft<br />

und in unseren Städten alles miteinander verbindet – unsere<br />

Schulen, Arbeitsplätze, Familien, unser Entertainment. Also gibt einem die<br />

Beschäftigung damit die Gelegenheit, das Leben der Menschen angenehmer<br />

zu gestalten. Offensichtlich ist es für mich wichtig, die Welt zu einem<br />

besseren Ort zu machen. Wenn man dabei von den Leuten unterstützt<br />

wird, die das Auto erfunden haben, ist das eine Chance, die man nur einmal<br />

im Leben bekommt. Deswegen bin ich sehr glücklich darüber, zur<br />

Daimler-Familie zu gehören.<br />

==== „MAN BRAUCHT<br />

BIG DATA, UM STÄDTISCHEN<br />

VERKEHR INTELLIGENTER<br />

ZU MACHEN“ ======<br />

Nat Parker, moovel North America<br />

Wie dynamisch ist für Sie der deutsche<br />

Markt, was die Entwicklung intelligenter<br />

Mobilität betrifft?<br />

In Deutschland ist der öffentliche Nahverkehr<br />

genauso groß wie in den sehr viel größeren<br />

USA, wo die Städte sehr autozentriert sind. Dafür<br />

bezahlen wir einen hohen Preis: Wir haben<br />

nicht die Fußgängerwege, Kopfsteinpflasterstraßen<br />

oder Biergärten, die es in deutschen<br />

Städten gibt. Also können wir von Deutschland<br />

viel lernen. Aber natürlich bleibt in Deutschland<br />

auch die Autobauer-Kultur wichtig.<br />

Stimmt es, dass Sie keinen Mercedes, sondern<br />

einen alten Subaru fahren?<br />

(lacht) Das ist einer der wenigen Konfliktpunkte<br />

mit meinen Chefs. Ich bin allerdings fasziniert<br />

von der neuen Generation elektrischer Fahrzeuge,<br />

an der Daimler gerade arbeitet. Ich bin begeistert<br />

von ihren schadstofffreien Elektroautos.<br />

Für solch ein Fahrzeug werde ich mich von meinem<br />

alten Subaru trennen.<br />

14<br />

15<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

STADT OHNE AMPELN<br />

Ampeln, Brücken und Parkplätze werden zunehmend mit Sensoren aus -<br />

ge stattet, die mit Autos kommunizieren können. Eine Viertelmilliarde<br />

Connected Cars könnte es 2020 weltweit geben. Was<br />

bedeutet das für unsere Städte? Müssen sich die<br />

Menschen noch mehr an den Verkehr<br />

anpassen? Oder bekommen sie<br />

LEBENSRÄUME zurück?<br />

Im autonomen<br />

Verkehr der Zukunft<br />

werden Autos je<br />

nach Fahrtrichtung<br />

Time Slots zugeteilt.<br />

So ergibt sich ein<br />

stetiger Verkehrsfluss<br />

ohne Ampeln<br />

TEXT: CHRIS ELSTER<br />

Foto: Style magazine RCS / ph.Andrea Pugiotto; Illustration: Carlo Ratti Associati<br />

Eine Stadt ohne Ampeln ist heute nur schwer vorstellbar. Seit<br />

über 100 Jahren choreografieren die optischen Taktgeber die<br />

Verkehrsströme. Doch Carlo Ratti ist sich sicher, dass das nicht<br />

mehr lange so bleiben wird. Der italienische Architekt, Stadtplaner<br />

und Designer erforscht, wie die Digitalisierung den Verkehr revolutionieren<br />

wird und wie Städte davon profitieren können.<br />

Ratti geht davon aus, dass Ampeln schon in naher Zukunft von<br />

herannahenden Autos, Fahrrädern und Fußgängern gesteuert werden<br />

– und nicht wie bisher umgekehrt. Noch richten sich die Ampelzyklen<br />

in der Regel nach durchschnittlichen Verkehrsbewegungen, etwa nach<br />

Stoßzeiten. Doch Verkehr ist viel zu komplex, um effektiv zentral gesteuert<br />

werden zu können. Deswegen werden künftig Autos und andere<br />

Verkehrsteilnehmer Echtzeitdaten an Ampeln senden und so deren<br />

Verhalten beeinflussen. Die Folge: Wartezeiten können um bis zu<br />

40 Prozent reduziert, Emissionen verringert und der Verkehrsdurchsatz<br />

erhöht werden. Das hat positive Auswirkungen auf das gesamte<br />

Verkehrsnetz einer Stadt.<br />

Mit seinen Kollegen vom Senseable City Lab am Massachusetts Institute<br />

of Technology (MIT) hat Ratti eine smarte Kreuzung entwickelt.<br />

„Light Traffic“ heißt sein „lückenbasiertes“ System, das Ampeln irgendwann<br />

überflüssig machen soll. Autonom fahrende Autos passen vor<br />

Knotenpunkten ihre Geschwindigkeit optimal einander an und fädeln<br />

sich an der Kreuzung automatisch in den fließenden Verkehr ein. So<br />

kann die Anzahl der Fahrzeuge, die eine Kreuzung passieren, verdoppelt<br />

werden. Die Autos müssen dafür nicht schneller fahren, aber sie<br />

surfen gleichsam wie auf einer permanenten grünen Welle.<br />

Technischer<br />

Fortschritt kann<br />

die Stadt von<br />

morgen ökologischer<br />

und für<br />

die Menschen<br />

entspannter<br />

machen, ist Carlo<br />

Ratti überzeugt<br />

16<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

17<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

„STÄDTE WER<strong>DE</strong>N<br />

MENSCHEN­<br />

FREUNDLICHER“<br />

umfassenderen technologischen Trends. Das Internet erobert zunehmend<br />

Lebensräume und wird zum Internet der Dinge. Es verknüpft die physikalische<br />

Ebene mit der Datenebene und ermöglicht das Entstehen cyberphysikalischer<br />

Systeme. Im Ergebnis werden sich viele Aspekte des städtischen<br />

Lebens rapide verändern: das Energie- und das Abfallmanagement,<br />

die Verkehrslenkung und die Wasserverteilung, aber auch Stadtplanung<br />

und Bürgerengagement.<br />

Doch das Verschwinden der Ampel ist für<br />

Ratti nur eine Metapher für viel grundlegendere<br />

Transformationen im urbanen Raum. In<br />

seiner Stadt der Zukunft parken selbstfahrende<br />

Autos nicht vor der Wohnung oder dem<br />

Büro, wenn sie nicht gebraucht werden. Sie<br />

befördern in der Zwischenzeit andere Passagiere<br />

oder fahren selbstständig in Außenbezirke,<br />

um zu parken. Lieferroboter und Drohnen<br />

bringen Pakete und entlasten die<br />

Straßen. Die Anzahl der Fahrzeuge kann um<br />

bis zu 80 Prozent verringert werden, und die<br />

Straßen und Parkplätze, die jetzt noch bis zu<br />

einem Drittel der Fläche von Städten blockieren,<br />

werden für Wohnraum, Radwege, Fußgängerzonen<br />

und Grünanlagen frei.<br />

Solche schönen Utopien teilen bei Weitem<br />

nicht alle Forscher. Aric Dromi, Cheffuturologe<br />

von Volvo, glaubt, dass in einer algorithmisch<br />

getakteten und von Robotern belebten<br />

CARLO RATTI<br />

arbeitet als<br />

Architekt und<br />

Ingenieur in Italien<br />

und lehrt am<br />

Massachusetts<br />

Institute of Technology,<br />

wo<br />

er das Forschungslabor<br />

Senseable<br />

City Lab leitet.<br />

Er ist Mitglied im<br />

Global Agenda<br />

Council für Stadtmanagement<br />

des Weltwirt -<br />

schafts forums<br />

Stadt die Menschen ein Störfaktor sein werden. Sie halten sich nicht<br />

an determinierte Programm abläufe, handeln spontan und machen<br />

Fehler. Autonomer und herkömmlicher Verkehr könnten sich keine<br />

Straßen teilen. Weil Roboterfahrzeuge immer defensiv auf Fahrfehler<br />

und Unachtsamkeiten menschlicher Verkehrsteilnehmer reagieren,<br />

wäre das Resultat nicht fließender Verkehr, sondern Stillstand, erklärte<br />

Dromi in einem Interview mit der „FAZ“. Deshalb setze autonomer Verkehr<br />

zwingend massive Infrastrukturprojekte voraus.<br />

Damit autonom fahrende Autos, Lieferroboter und Drohnen agieren<br />

können, müssen Städte roboterfreundlich gemacht werden – so<br />

wie in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Städte für den Autoverkehr<br />

optimiert wurden. An den Auswirkungen leiden wir noch heute:<br />

Mehrspurige Verkehrsadern durchschneiden Lebensräume, Autos<br />

verpesten die Luft. Die Planer der Stadt der Zukunft haben eine anspruchsvolle<br />

Mission. Sie müssen für die neuen Technologien eigene<br />

Leitsysteme und Bewegungsräume erschaffen, weil sonst Zukunft<br />

nicht möglich ist. Aber sie müssen die Transformation so gestalten,<br />

dass der Mensch nicht zu einem Störfaktor in der Stadt wird, sondern<br />

von den neuen Technologien profitiert.<br />

Foto: Style magazine RCS / ph.Andrea Pugiotto; Illustration: Carlo Ratti Associati<br />

Umfassendes Carsharing könnte sogar<br />

die menschliche Interaktion in<br />

Städten verbessern, glaubt Stadtplaner<br />

und MIT-Forscher CARLO RATTI<br />

Die Automatisierung des Straßenverkehrs<br />

wird auch die Stadtplanung verändern.<br />

Wie schnell könnten Ihre Vorstellungen<br />

in die Tat umgesetzt werden?<br />

So etwas wie „Light Traffic“ wird erst möglich<br />

sein, sobald alle Fahrzeuge autonom fahren oder<br />

mit einer Variante von On-Board-Intelligenz ausgestattet<br />

sind. Wenn sich der selbstfahrende Verkehr<br />

durchgesetzt hat, können traditionelle Ampeln<br />

ersetzt werden. Dadurch gäbe es kürzere<br />

Schlangen und weniger Verzögerungen. Unsere<br />

Idee setzt mit Sensoren ausgestattete Fahrzeuge<br />

voraus, die miteinander kommunizieren und Sicherheitsabstände<br />

einhalten. Das würde auch die<br />

Emission von Schadstoffen und Treib hausgasen<br />

verringern, die beim Beschleunigen und Bremsen<br />

freigesetzt werden.<br />

Ihr Forschungslabor am MIT heißt Sen seable<br />

City Lab. Welche Veränderungen werden<br />

Städte in Zukunft „erfahren“?<br />

Dass inmitten der rapiden Verstädterung, die wir<br />

gerade beobachten können, auch Vorstellungen<br />

von Smart Citys – oder „senseable cities“, wie wir<br />

es lieber nennen – auftauchen, ist die Folge eines<br />

==== „WENN SICH <strong>DE</strong>R<br />

SELBSTFAHREN<strong>DE</strong> VERKEHR<br />

DURCHGESETZT HAT,<br />

KÖNNEN AMPELN<br />

ERSETZT WER<strong>DE</strong>N“ ======<br />

Carlo Ratti, Massachusetts Institute of Technology<br />

Ab den Sechzigerjahren sind Städte für den Autoverkehr optimiert<br />

worden. Das Ergebnis waren mehrspurige Verkehrsadern, die Städte<br />

zerschnitten haben. Wie können die Anpassungen an digitale Technologien<br />

so vorgenommen werden, dass die Menschen nicht leiden?<br />

Ich bin überzeugt, dass wir durch die neuen Technologien unsere Städte<br />

menschenfreundlicher machen – etwa durch verstärktes Teilen. Nehmen<br />

wir das Auto: Heute werden Autos zu 95 Prozent der Zeit gar nicht genutzt.<br />

Das macht sie zu idealen Kandidaten für die Sharing-Ökonomie.<br />

Schätzungen zufolge könnte jedes geteilte Auto zehn bis 30 Autos in Privatbesitz<br />

ersetzen. „Ihr“ Auto wird Sie am Morgen zur Arbeit bringen, aber<br />

danach nicht ungenutzt herumstehen, sondern jemanden aus Ihrer Familie<br />

transportieren – oder jemanden anders. Der Effekt des Carsharings<br />

wird mit der Durchsetzung selbstfahrender Autos exponentiell wachsen.<br />

Was wären die sozialen und ökologischen Folgen des verstärkten<br />

Carsharings?<br />

Einige aktuelle Studien des MIT zeigen, dass die heutigen Mobilitätsbedürfnisse<br />

einer Stadt wie Singapur – in der es möglicherweise die weltweit<br />

erste öffentlich zugängliche Flotte selbstfahrender Autos geben wird<br />

– von einem Bruchteil jener Autos erfüllt werden könnten, die gegenwärtig<br />

in Verwendung sind. Die Abnahme von Autos würde die Kosten für die<br />

Errichtung und Erhaltung von Verkehrsinfrastruktur dramatisch senken, es<br />

gäbe kürzere Reisezeiten, weniger Staus, weniger für Parkplätze verschwendeten<br />

Raum – und mehr Teilen und menschliche Interaktion<br />

in unseren Städten.<br />

18<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

GESTERN ––– FAHRER: Sprachsteuerung<br />

aktivieren, Navigationsziel eingeben.<br />

AUTO: Welchen Teil der Adresse wollen Sie<br />

eingeben? FAHRER: Stadt. AUTO: Bitte nennen<br />

Sie einen Namen. FAHRER: Frankfurt.<br />

AUTO: Meinten Sie Frankfurt am Main?<br />

FAHRER: Ja. AUTO: Bitte geben Sie eine Straße<br />

ein. FAHRER: Ludwig-Erhard-Anlage.<br />

AUTO: Bitte geben Sie eine Hausnummer ein<br />

oder sagen Sie Kreuzung. FAHRER: Nummer<br />

1. AUTO: Hausnummer 1? FAHRER: Ja. AUTO:<br />

Zielführung starten? FAHRER: Zielführung<br />

starten. AUTO: Zielführung gestartet.<br />

MORGEN –– AUTO: Ihr erster Termin heute<br />

ist um 9.00 Uhr bei der Messe Frankfurt.<br />

Wollen Sie zur Ludwig-Erhard-Anlage 1 in<br />

Frankfurt fahren? FAHRER: JA.<br />

Fotos: Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, Photo Researchers, Inc/Alamy Stock Foto<br />

MEIN AUTO VERSTEHT<br />

MICH – NICHT<br />

Mit dem Sprachassistenten reden wie mit einem menschlichen Assistenten:<br />

Das ist Zukunftsmusik – noch. Doch CHARLIE ORTIZ, Director AI & Reasoning<br />

Group des Nuance-Labors für Sprachtechnologie und künstliche Intelligenz<br />

in Sunnyvale, Kalifornien, will das ändern<br />

TEXT: HEINZ-JÜRGEN KÖHLER, MICHAEL SEITZ<br />

Die Hände bleiben am Steuer, der Blick<br />

bleibt auf der Straße. Wie sinnvoll<br />

der Einsatz von Sprachassistenten im<br />

Auto ist, liegt auf der Hand. „Allerdings gibt es<br />

bisher keinen wirklichen persönlichen Assistenten,<br />

der meine Vorlieben kennt und mir<br />

entsprechende Empfehlungen zum Beispiel<br />

in Bezug auf Parkplätze, Restaurants oder<br />

Ähnliches geben könnte“, erklärte Charlie<br />

Ortiz bei der Connected Mobility Roadshow<br />

in Austin, Texas (USA).<br />

Ortiz ist Director des Bereichs künstliche<br />

Intelligenz bei Nuance Communications in<br />

Burlington, Massachusetts. Das Unternehmen<br />

gilt als weltweit führend bei der digitalen<br />

==== „DAS FAHRZEUG<br />

BENÖTIGT EINEN ZUGANG<br />

ZU MÖGLICHST VIELEN<br />

DATENQUELLEN“ =======<br />

Charlie Ortiz, Nuance Communications<br />

Sprachverarbeitung, es hat Apples Sprachassistenten<br />

Siri entwickelt und liefert Sprachsteuersysteme<br />

für Automobilhersteller wie<br />

Ford, Hyundai und Chrysler. Für eine komfortable<br />

Kommunikation im Auto müssen verschiedene<br />

Faktoren erfüllt sein, gibt Ortiz zu<br />

bedenken. „Das Fahrzeug benötigt zunächst<br />

einen Zugang zu möglichst vielen unterschiedlichen<br />

externen Datenquellen.“ Als Erstes<br />

ist da natürlich das Internet zu nennen.<br />

Auch der Kalender des Users ist hilfreich, damit<br />

der Fahrer nur nach der kürzesten Route<br />

zu seinem nächsten Termin verlangen muss.<br />

Und das System muss den Fahrer und seine<br />

Präferenzen kennen. „Wenn ich sage, ich<br />

würde gern Tandoori Chicken essen, dann<br />

muss das System selbstständig erkennen,<br />

dass ein indisches Restaurant gesucht wird,<br />

und eines in der Nähe recherchieren, gemäß<br />

den Empfehlungen von Bewertungsportalen<br />

oder meinen persönlichen Vorlieben“, so<br />

Ortiz. Aufseiten der Navigation müssen die<br />

Points of Interest abstrakter beschrieben werden,<br />

denn natürlich weiß der Fahrer nicht immer<br />

die genaue Adresse. Das System muss<br />

auch Angaben verstehen wie „das indische<br />

Restaurant am Hauptbahnhof“.<br />

Eine noch größere Herausforderung ist<br />

das Erkennen von sprachlichen Zusammenhängen<br />

und Kontexten. Wenn das System<br />

nicht nur einzelne Wörter, sondern ganze Zusammenhänge<br />

erkennt, erzielt es eine deutlich<br />

höhere Trefferquote. „In unserer Steuerung<br />

hat das englische Wort ‚play‘ insgesamt<br />

18 Bedeutungen, die die Spracherkennung<br />

anhand des Kontexts identifizieren muss“,<br />

erklärt Ortiz. „Das ist eine extrem anspruchsvolle<br />

Aufgabe für die Programmierung.“<br />

Und für die kommenden Generationen der<br />

Sprach steuerung.<br />

AUF <strong>DE</strong>N SPUREN VON<br />

ALAN TURING<br />

Verfügt ein Computer über menschliches<br />

Denkvermögen? Um das zu<br />

klären, wird der Turing-Test eingesetzt.<br />

Das Verfahren wurde von dem<br />

legendären englischen Mathematiker<br />

Alan Turing (1912–54) entwickelt. Dabei<br />

führt ein menschlicher Frage steller per<br />

Tastatur und Bildschirm, ohne Hör- und<br />

Sichtkontakt, eine Unter haltung mit<br />

zwei Gesprächspartnern, einem Menschen<br />

und einer Maschine. Beide<br />

versuchen ihn zu überzeugen, dass sie<br />

Menschen sind. Kann der Fragesteller<br />

anschließend nicht sagen, welcher<br />

Teilnehmer die Maschine war, hat die<br />

Maschine den Test bestanden, das<br />

heißt, sie verfügt über ein dem Menschen<br />

eben bürtiges Denkvermögen.<br />

Ganz seinem Metier verhaftet, hat<br />

Charlie Ortiz einen Test mitentwickelt,<br />

der auf dem Sprachverständnis beruht.<br />

Bei der sogenannten Winograd Schema<br />

Challenge geht es darum, die Bezüge<br />

in einem ganz alltäglichen Satz zu<br />

verstehen. Beispiel: „Die Trophäe passt<br />

nicht in die Tasche, sie ist zu groß.“<br />

Jeder Mensch versteht sofort, welcher<br />

der beiden Gegenstände zu groß ist.<br />

Was die elektronische Spracherkennung<br />

versteht, daran bemisst sich ihr<br />

„Denkvermögen“.<br />

21<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


CONNECTIVITY<br />

„FLIRTEN IST NUR EIN<br />

NEBENEFFEKT“<br />

Er leitet das Innovationen Institut in Frankfurt. Gemeinsam mit<br />

Firmenlenkern entwickelt AXEL GLANZ neue Ideen bis zur Marktreife.<br />

Seine Spezialgebiete: Connected Cars und neue Antriebstechniken.<br />

Sein aktuelles Produkt: eine Flirt-App, die noch mehr kann<br />

TEXT: ANJA STEINBUCH<br />

Dr. Axel Glanz, Volkswirt, Unternehmensberater<br />

und Erfinder, empfängt<br />

in einem Bankgebäude aus dem<br />

19. Jahrhundert in der Frankfurter Schillerstraße.<br />

Fischgrätparkett, Kronleuchter, getünchte<br />

Stuckaturen. Von der Gediegenheit sollte man<br />

sich nicht täuschen lassen. Hier wird Zukunft<br />

gemacht. Seit fast 30 Jahren berät Glanz Unternehmen<br />

auf dem anspruchsvollen Feld der<br />

Innovation. Sein Innovationen Institut mit<br />

Standorten in Frankfurt, Paris und London<br />

hilft dabei, neue Produkte zu entwickeln und<br />

zu vermarkten. Der Frankfurter verdiente sich<br />

seine Sporen bei Nixdorf Computer und ging<br />

nach einer Phase beim Datendienstleister<br />

Debis (einer Daimler-Tochter) in die Selbstständigkeit.<br />

„Viele Erfindungen ersticken an den<br />

komplexen Unternehmensstrukturen“, hat er<br />

erfahren. Deshalb startete er ein flexibles<br />

Netzwerk aus Beratern, Ingenieuren und Marketingprofis:<br />

„Wir sind das flinke Beiboot, das<br />

am Ozeandampfer festmacht, dem Kapitän<br />

ein entscheidendes Detail überreicht und wieder<br />

davonbraust.“ Mit dieser Dynamik brachte<br />

er Konzernen und Mittelständern einige Ideen<br />

vorbei. Dazu gehören etwa der elektronische<br />

Brief der Post oder eine Fernbedienung für<br />

den BMW i8, die den Ladestatus anzeigt.<br />

„Die Autoindustrie befindet sich am Anfang<br />

einer großen Transformation“, ist Glanz<br />

überzeugt. „Es geht in den kommenden fünf Jahren erst richtig los.“<br />

Eigentlich entwickelt er Neues stets in enger Kooperation mit Unternehmen.<br />

Jetzt hat er eine Ausnahme gemacht: Contact2Car ist seine<br />

Idee und seine Entwicklungsarbeit. Eigentlich handelt es sich dabei<br />

„nur“ um eine Chat-App, die es ermöglicht, durch das Eingeben der Kfz-<br />

Kennzeichen direkten Kontakt zu anderen Autofahrern aufnehmen.<br />

5000 Pioniere nutzen das bereits, Kooperationen mit Pirelli, Audi und<br />

dem Automobilclub von Deutschland bestehen. „Flirten ist nur ein Nebeneffekt“,<br />

widerspricht Glanz einem naheliegenden Verdacht. Durch<br />

Umfragen unter seinen Nutzern weiß er, dass am häufigsten Sicherheitsrelevantes<br />

ausgetauscht wird – Unwetterwarnungen, Hinweise<br />

auf verrutschte Ladungen oder zu geringen Reifendruck und dergleichen.<br />

„Ein neue Art, von Auto zu Auto zu kommunizieren“, sagt Glanz.<br />

I<strong>DE</strong>ENTRANSFER ZWISCHEN BRANCHEN<br />

Er ist kein Nerd, der eine Branche auf den Kopf stellen will, sondern<br />

rechnet Unternehmen vor, warum sie E-Fahrzeuge brauchen oder wie<br />

sie Ladestationen gemeinsam mit anderen nutzen. „Es ist nicht das<br />

Ding an sich, das den Schritt in die Zukunft ermöglicht“, erklärt Glanz,<br />

„sondern der Ideentransfer zwischen den Branchen.“<br />

Zu seinen Steckenpferden gehören alternative Antriebstechniken,<br />

elektronische Systeme, neue Materialien und „Incar-Wellbeing“. Glanz:<br />

„Der Wohlfühlfaktor im Lebensraum Auto wird enorm wichtig werden.“<br />

Dazu gehören CO ²<br />

-Reduzierung und Pflanzen, die im Auto wachsen<br />

können, Giftstoffe absorbieren und Sauerstoff produzieren.<br />

„Wir müssen weg von der Fixierung auf die Produkte“, erklärt Glanz<br />

seine Arbeitsweise. Nicht das Auto an sich werde in Zukunft die<br />

Märkte bestimmen, sondern die zündende Idee für die Mobilität der<br />

Zukunft. Hier will das Innovationen Institut einen Beitrag leisten, so<br />

wie mit Contact2Car. Die im Grunde simple Idee einer Chat-App für<br />

Autofahrer verhilft diesen zu einer neuen Adresse. Das Kfz-Kennzeichen<br />

wird zu einem Adressbestandteil und eröffnet einen neuen Kommunikationskanal.<br />

AXEL GLANZ ist viel<br />

unter wegs – zum<br />

Welt wirtschafts forum<br />

in Davos, zu<br />

Fachmessen, zu<br />

Gesprächen mit<br />

Vorstandsvorsitzenden.<br />

Timing sei einer<br />

der wichtigs ten<br />

Faktoren für die<br />

Durchsetzung von<br />

Innovationen,<br />

sagt Glanz: „Eine<br />

Erfindung ist des<br />

Ersten Tod, des<br />

Zweiten Not und des<br />

Dritten Brot.“ Er will<br />

der Dritte sein<br />

Foto: Marc Krause<br />

==== „WER DIE RICHTIGE<br />

ZEIT FÜR EIN PRODUKT VERPASST<br />

O<strong>DE</strong>R ZU SCHNELL<br />

AGIERT, VERLIERT“ ========<br />

Axel Glanz, Innovationen Institut<br />

22<br />

23<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


MONITORING & TRANSPARENCY<br />

Intelligente Radlager<br />

bei Zügen erheben<br />

mehr als 100 Para -<br />

meter und erlauben<br />

damit eine voraus -<br />

schauende Wartung,<br />

die die Stillstandszeiten<br />

senkt und die<br />

Planbarkeit erhöht<br />

HALLO, SCHA<strong>DE</strong>N<br />

Ungeplante Werkstattaufenthalte und kostspielige Stillstände<br />

werden in naher Zukunft immer seltener sein. Durch Sensoren<br />

wird der Maschinenzustand im LAUFEN<strong>DE</strong>N BETRIEB<br />

diagnostiziert. Auf drohende Defekte und Ausfälle kann<br />

man frühzeitig reagieren. Dafür müssen Fahrzeuge und andere<br />

Maschinen aber zum Teil des Internets werden<br />

TEXT: JOACHIM BECKER<br />

Fotos: Schaeffler (2)<br />

Die elektronische Revolution geht weiter. Durch die Miniaturisierung<br />

von Computern und ihre Vernetzung sowohl<br />

untereinander als auch mit der Cloud werden ständig<br />

ganz neue Funktionen möglich. „Ein Merkmal der digitalen Revolution<br />

ist die Verschmelzung von Technologien. Das bedeutet,<br />

dass die Grenzen zwischen der physikalischen und der digitalen<br />

Sphäre verschwimmen“, sagt Klaus Schwab, Chef des Weltwirtschaftsforums<br />

in Davos. Er erwartet nicht nur ein stetig zunehmendes<br />

Transformationstempo, sondern auch steigende Effi zienz<br />

und Produktivität. Ein Beispiel dafür: Der Betrieb und die Wartung<br />

von Maschinen werden sich grundlegend verändern.<br />

Einer der einfachsten Anwendungsfälle der „Predictive Maintenance“<br />

(vorausschauenden Instandhaltung) ist die Überwachung<br />

von Produktionsanlagen durch Vibrations- oder Temperatursensoren.<br />

Durch sie lässt sich frühzeitig erkennen, ob die<br />

Vibrationen unregelmäßig beziehungsweise zu schnell oder die<br />

Temperaturen im Innern der Maschine zu hoch werden. Wie Maschinen<br />

ihren Wartungsbedarf selbst erfassen können, zeigen intelligente<br />

Wälzlager: An den bewegten Teilen können Kräfte,<br />

Drehmomente und Drehzahlen präzise gemessen werden. Dazu<br />

kommen Veränderungen in den Lagern in Form von Verschleiß,<br />

also Schmierzustand, Temperatur, Schwingungen, Frequenzen. So<br />

24<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

25<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


MONITORING & TRANSPARENCY<br />

WARTUNGS- UND<br />

REPARATURMARKT<br />

IN <strong>DE</strong>UTSCHLAND<br />

265<br />

EURO<br />

fielen 2016 pro<br />

Pkw an Kosten für<br />

Wartung an<br />

39,1<br />

MILLIONEN<br />

Wartungsund<br />

Reparaturaufträge<br />

führten Markenwerkstätten<br />

2016 durch<br />

30,9<br />

MILLIONEN<br />

Wartungsund<br />

Reparaturaufträge<br />

führten freie Werkstätten<br />

2016 durch<br />

0,88<br />

WARTUNGSARBEITEN<br />

und<br />

0,55<br />

REPARATUREN<br />

fielen 2016<br />

pro Pkw<br />

im Durchschnitt an<br />

Stuttgarter in der Lebensmittelproduktion neue<br />

Standards setzen: In Getreide verarbeitenden Rotationsmaschinen<br />

werden einzelne Walzen mit<br />

drahtlosen Sensoren ausgerüstet, um Temperatur<br />

und Vibration zu erfassen. Dadurch sind die<br />

Maschinen nicht nur genauer überwacht, sie<br />

können auch genauer eingestellt werden und<br />

höherwertige Lebensmittel produzieren.<br />

Die Autobranche wird von solchen neuen<br />

Services ebenfalls umgetrieben. „Kundenorientierung<br />

ist das Schlagwort der Zeit“, schrieben<br />

die Autoren der Studie „Big Data revolutioniert<br />

die Automobilindustrie“. Darin hatte die<br />

Unternehmensberatung Bain schon 2014 gewarnt,<br />

dass die klassischen Methoden, sich<br />

von der Konkurrenz abzuheben („Vorsprung<br />

durch Technik“), für die Automobilhersteller<br />

immer schwieriger würden. Da sich die Produkteigenschaften<br />

moderner Automobile einander<br />

stark annäherten, sei eine stärkere<br />

Serviceorientierung gefragt.<br />

Doch bisher scheiterten Versuche, den Autokunübertragen<br />

die Lager nicht nur Kräfte und Bewegungen, sondern werden<br />

zu überall verteilten Sensoren. Ihre gesammelten Daten ergeben ein präzises<br />

virtuelles Abbild des Maschinen zustands.<br />

Ein Windpark ist aus dieser Perspektive eine Ansammlung von<br />

Rotorenblättern, Generatoren, Bremsen und Getrieben, die allesamt<br />

mit Sensoren überwacht werden können. Um Ausfälle zu vermeiden,<br />

müssen alle Daten zentral erfasst und ausgewertet werden. Auch<br />

externe Einflüsse wie Windböen, Vereisung oder Blitzschläge werden<br />

zur Auswertung an ein Daten-Backend gefunkt. So lassen sich mögliche<br />

Defekte schon erkennen, ehe sie tatsächlich eintreten, statt auf<br />

einen Ausfall oder Störungen im Nachhinein mit teuren Reparaturen<br />

reagieren zu müssen. Wenn es gelingt, die Daten nicht nur deskriptiv<br />

auszuwerten und Fehler zu eliminieren, sondern prädiktiv künftige<br />

Ereignisse vorherzusagen, hat man handfeste Vorteile bei den Wartungskosten<br />

und kann teure Ausfallzeiten vermeiden.<br />

WENIGER KOSTEN, MEHR SICHERHEIT<br />

Die Bahntechnik macht mit Predictive Maintenance schon seit Längerem<br />

beste Erfahrungen. Intelligente Radlager in den Zügen messen<br />

Körperschall, Temperatur und Drehzahlen, manchmal mehr als<br />

100 Parameter. Sobald Abweichungen von den statistisch normalen<br />

Abläufen registriert werden, sendet das vernetzte Lager per Cloud<br />

frühzeitig eine Sicherheitswarnung an den Betreiber. Der kann dann<br />

während der Betriebspausen oder bei der nächsten regelmäßigen<br />

Inspektion die Ursache ergründen und etwaige Fehler beheben, ehe<br />

sie größeren Schaden verursachen.<br />

Die Folge: Die Betriebskosten sinken, die Betriebssicherheit steigt.<br />

Defekte Züge bleiben nicht mehr auf offener Strecke stehen und müssen<br />

nicht mehr zeitraubend und kostspielig abgeschleppt werden;<br />

Passagiere brauchen nicht entschädigt zu werden, Fahrpläne können<br />

eingehalten werden, darüber hinaus müssen nicht mehr so viele Reservefahrzeuge<br />

bereitgehalten werden, deren Anschaffung und Wartung<br />

ihrerseits viel Geld kostet. Die mit Sensoren ausgerüsteten Eisenbahnen<br />

sind nahezu immer betriebsbereit, bei den 50 Siemens-<br />

Projekten in aller Welt, bei denen Predictive Maintenance zum Einsatz<br />

kommt, liegt die Verfügbarkeit zwischen 98 Prozent (in Bratislava)<br />

und 100 Prozent (bei der Stadtbahn in Bangkok). Aus solchen Werten<br />

wird klar, dass sich die Investitionen in vorausschauende Wartung –<br />

etwa Datenanalyse, Nachrüstung von Sensortechnik, Einrichtung<br />

einer Cloud-Infrastruktur – recht schnell bezahlt machen.<br />

„Aus wertvollen Primärdaten werden dank<br />

Analytics gewinnbringende Informationen“,<br />

sagt Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer, Technologievorstand<br />

der Schaeffler AG: „Daraus entwickeln<br />

wir innovative, datenbasierte Services<br />

für unsere Kunden.“ Grundlage ist die<br />

Cloud-Plattform IBM Watson. Sie wertet den<br />

Datenschatz nicht nur aus, sondern schützt<br />

ihn auch gegen unerwünschte Einblicke oder<br />

gar Manipulationen.<br />

==== FÜR AUTOMATISIERTES<br />

FAHREN IST ES WICHTIG,<br />

DASS DIE AUTOS SICH<br />

SELBST DIAGNOSTIZIEREN<br />

KÖNNEN =========<br />

Bosch betreibt eine eigene Cloud für das Inter net<br />

der Dinge. Bereits in diesem Jahr wollen die<br />

Foto: Getty Images<br />

den in den Mittelpunkt zu stellen, an der fehlenden Daten- und Kommunikationsplattform.<br />

Nur über zentrale Cloud-Lösungen lassen sich große<br />

Mengen an Daten aus dem Fahrzeug sammeln und nahezu in Echtzeit verarbeiten.<br />

Wohin die Reise gehen soll, zeigt das Beispiel BMW Connected.<br />

Die Münchner wollen sich durch die Geschwindigkeit beim Bereitstellen<br />

neuer Onlinedienste differenzieren. Der BMW 7er und der neue BMW 5er<br />

gehören zu den ersten Autos mit dem eingebauten Cloud-Service „car as a<br />

sensor“ oder Carasso: Die Sensoren liefern anonymisierte Daten über den<br />

Straßenzustand, aber auch über die Straßengeometrie und die Verkehrszeichen<br />

in die Cloud.<br />

„2018 wird Carasso die Daten aus acht Milliarden gefahrenen Kilometern<br />

von mehreren Hunderttausend Fahrzeugen verarbeiten.<br />

Wenn man bedenkt, wie viele Sensoren es im Auto gibt, kann man<br />

sich vorstellen, dass die Datenmenge sehr groß ist“, sagt Dieter May,<br />

Senior Vice President Digital Business Models der BMW Group.<br />

Zunächst wird durch solche Daten „on the fly“ die Routenführung<br />

wesentlich verbessert.<br />

Heute beschränkt sich die Vernetzung auf Sensoren, die die Umwelt<br />

erfassen. Künftig soll das Auto auch seinen eigenen Zustand immer genauer<br />

überwachen. Das ist immens wichtig für hoch automatisiertes<br />

Fahren. Die meisten Autos schlagen erst Alarm, wenn Kühlwasser<br />

fehlt oder die Öltemperatur zu hoch ist. Auch besonders starker Verschleiß<br />

zum<br />

Beispiel<br />

bei Kaltstarts wird dokumentiert, um die<br />

Wartungsintervalle anzupassen. Regelmäßige<br />

Inspektionen bleiben aber unverzichtbar.<br />

Künftig lassen sich solche Vorsorgemaßnahmen<br />

durch eine vorausschauende Wartung ergänzen<br />

und wesentlich erweitern. Bis 2020 werden<br />

80 Prozent aller neuen Fahrzeuge vernetzt<br />

sein, sagt die Unternehmensberatung Gartner<br />

voraus. Solche Fahrzeuge haben die Rechenleistung<br />

von bis zu 20 modernen PCs und verarbeiten<br />

bis zu 25 Gigabyte an Daten pro Stunde. Ausfälle<br />

der rollenden Rechenzentren könnten auch<br />

für die Passagiere kritisch werden. Deshalb wird<br />

die vorausschauende Überwachung aller<br />

Fahrzeug daten noch wichtiger: Autonom heißen<br />

die Autos dann auch deshalb, weil sie sich „selbst“<br />

diagnostizieren können.<br />

Die Werkstattaufenthalte<br />

auch<br />

von Pkw können<br />

mit Predictive<br />

Maintenance<br />

deutlich verkürzt<br />

werden<br />

26<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

27<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


DATA ANALYTICS & SECURITY<br />

„DATEN IN EINE SINNVOLLE<br />

ORDNUNG BRINGEN“<br />

Welche PROGNOSEN lassen sich auf Basis von Unternehmens -<br />

daten treffen? Das untersucht Sascha Puljic mit seinem Unternehmen<br />

Teradata zunehmend auch im Automotive- und Logistiksektor<br />

TEXT: ISABELL SPILKER<br />

Logistikketten<br />

als Bewegungsprofile:<br />

Aufgrund<br />

solcher Daten<br />

erstellt Teradata<br />

seine Prognosen<br />

Fotos: Teradata, obs / BMW Group, Reuters; Grafik: Alexander Heidl / Teradata<br />

Reparaturmanagement:<br />

Logistiker Maersk überwacht die Zustände<br />

seiner Transport-Container.<br />

Außen- und Innentemperatur, Geschwindigkeit, Transportkosten,<br />

Streckenlänge und Fahrtdauer: Eine riesige Anzahl<br />

höchst unterschiedlicher Daten wird entlang von Mobilitätsketten<br />

erhoben. „Es werden täglich enorme Datenmengen generiert,<br />

bei denen mitunter nicht einmal klar ist, worin ihre Aussagekraft besteht“,<br />

stellt Matthias Braun, Generalsekretär des Automobilclubs von<br />

Deutschland (AvD) fest. „Aber alle haben erkannt: Es steckt ein unglaubliches<br />

Potenzial darin.“ Einer Umfrage des AvD und der International<br />

School of Management zufolge sehen 38 Prozent der Automobilzulieferer<br />

das größte Entwicklungspotential für Big Data in der<br />

Optimierung der Produktion, 34 erwarten eine vollständige Qualitätskontrolle<br />

anhand von Echtzeitanalysen.<br />

„Mit Daten werden heute alle Prozesse kontrolliert und damit Kosten<br />

reduziert“, bestätigt Sascha Puljic, Geschäftsführer der Teradata<br />

GmbH in Deutschland, einem weltweit tätigen Unternehmen für Data<br />

Ware house Services und Big-Data-Analysen. Teradata etablierte im<br />

vergangenen Jahr das so genannte Rapid Analytics Consultant Engagement<br />

(RACE), um Firmen schnell Einblicke in die Aussagefähigkeit<br />

ihrer Daten geben zu können.<br />

Beispiel: BMW. Der steigenden Nachfrage in asiatischen Ländern<br />

begegnet das Münchner Unternehmen, indem es direkt vor Ort produziert<br />

– mit einer langen und komplexen Logistikkette. Fiel jedoch<br />

ein Logistikdienstleister aus, bedeutete dies häufig, kurzfristig auf<br />

teure Luftfracht zurückgreifen zu müssen. Der Automobilhersteller<br />

engagierte daraufhin Teradata. Die Analyse der Daten von Logistikpartnern<br />

und frei verfügbaren Daten aus dem Schienenverkehr sowie<br />

die Erfahrungen aus mehreren tausend Kundenprojekten führte zu<br />

Lösungen, wie die Kosten für die Luftfracht gesenkt und gleichzeitig<br />

auf neue Anfragen zügig reagiert werden kann. „Das Programm erlaubt<br />

die detailierte Prognose von Optimierungsprotenzialen in Logistikprozessen,“<br />

erklärt Puljic.<br />

Die Industrie-Consultants und Data-Scientists von Teradata erhalten<br />

projektweise Zugriff auf die relevanten Zahlen des Kunden und<br />

bringen sie in die nötigen Zusammenhänge. „Dem Engagement geht<br />

immer ein Problem oder Veränderungswunsch voraus“, erklärt Puljic.<br />

Die übliche Projektdauer von sechs Wochen ermöglicht, die Fragestellungen<br />

einzelner Abteilungen wie der Qualitätssicherung oder der<br />

Logistik auf Basis von Daten zu beantworten.<br />

„Wir bieten die Infrastruktur und die Technologie<br />

an“, sagt Puljic. „Die Daten müssen abgespeichert<br />

und in einer Architektur aufgebaut<br />

werden, um ausgelesen werden zu können.<br />

Nur Daten nützen nichts, sie müssen in eine<br />

sinnvolle Anordnung und einen Zusammenhang<br />

gebracht werden. Erst dann werden<br />

sie aussagefähig.“<br />

REPARATUR VON CONTAINERN<br />

Der potenzielle Return on Invest neuer analytischer<br />

Ansätze stand auch bei Maersk im<br />

Vordergrund, der weltgrößten Containerschiffsreederei<br />

aus Dänemark. „Maersk hat<br />

sich in den letzten fünf Jahren zu einer digitalen<br />

Company gewandelt“, erklärt Puljic. „Das<br />

Unternehmen nutzt Daten, um sein Geschäftsmodell<br />

zu optimieren.“ In einem RA-<br />

CE-Projekt brachten die Experten von Teradata<br />

nun Daten über Alter, Haltbarkeit und<br />

Leerlaufzeiten sowie bereits erfolgte Reparaturen<br />

der Container zusammen und ermittelten,<br />

wie und wo diese am besten und günstigsten<br />

in Stand gesetzte werden können.<br />

Der Automotive- und Logistiksektor macht<br />

im Auftragsvolumen von Teradata weltweit<br />

bisher etwa 20 Prozent aus. Tdenz steigend.<br />

„50 Prozent der zu verarbeitenden Daten werden<br />

2025 aus diesen Bereichen stammen“, prognostiziert<br />

Puljic. „Früher war der beliebteste<br />

und angesehendste Mitarbeiter in Automobilunternehmen<br />

der Designer“, fügt Matthias<br />

Braun vom AvD hinzu. „Heute ist es der, der die<br />

Aus wertung von Daten versteht.“ <br />

Logistikkette BMW optimierte<br />

die Supply Chain für die Produktion<br />

der 5er-Limousine<br />

== „ES STECKT<br />

EIN UNGLAUB­<br />

LICHES<br />

POTENZIAL IN<br />

BIG DATA“ ==<br />

Matthias Braun,<br />

Generalsekretär AvD<br />

== „DIE ANTEILE<br />

VON AUTO­<br />

MOTIVE UND<br />

LOGISTIK<br />

WER<strong>DE</strong>N<br />

WACHSEN“ ==<br />

Sascha Puljic,<br />

Geschäftsführer Teradata<br />

28<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

29<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


DATA ANALYTICS & SECURITY<br />

VOM HACKER ZUM<br />

SICHERHEITSBERATER<br />

Zusammen mit Charlie Miller hackte sich CHRIS VALASEK 2015 in<br />

ein fahrendes Auto ein. Die Aktion sensibilisierte die Automobilindustrie<br />

für das Thema Datensicherheit und verschaffte Valasek einen Job<br />

beim Mobilitätsdienstleiter Uber<br />

TEXT: HEINZ-JÜRGEN KÖHLER, MICHAEL SEITZ<br />

Charlie Miller (l.)<br />

und Chris Valasek<br />

hackten sich aus<br />

dem Keller von<br />

Millers Haus in ein<br />

fahrendes Auto<br />

Foto: Whitney Curtis, 2015 / Wired.com<br />

Erst drehten sie die Klima- und die Musikanlage voll auf, dann<br />

aktivierten sie die Sitzkühlung. Als Nächstes starteten sie die<br />

Scheibenwaschanlage, schließlich stellten sie den Motor aus<br />

und ließen den Jeep ausrollen, mitten auf der Interstate in St. Louis.<br />

Chris Valasek und sein Kollege Charlie Miller hatten die Kon trolle<br />

über ein fahrendes Auto übernommen. Der Fahrer am Steuer konnte<br />

nichts dagegen tun.<br />

Die Geschichte der Datensicherheit vernetzter Autos kann man in<br />

zwei Abschnitte einteilen: die Zeit vor und die nach dem Jeep-Hack<br />

von 2015. Valasek und Miller demonstrierten eindrucksvoll, wie angreifbar<br />

das System Auto ist. „Ich habe jahrelang Computer gehackt<br />

und irgendwann zu einem Freund gesagt, ob es nicht cool wäre, etwas<br />

Größeres zu hacken, zum Beispiel ein Auto“, berichtet Chris Valasek<br />

bei der Connected Mobility Roadshow im texanischen Austin. „Ich war<br />

ein schrecklicher Programmierer“, erzählt Valasek lachend. „Deswegen<br />

fing ich an zu hacken, und das war schließlich wie bei einem<br />

Junkie: immer auf der Suche nach dem nächsten Kick.“<br />

Ihren ersten Kick fanden Valasek und Miller in einem Ford Escape.<br />

„Der hat ein elektronisches Parksystem, eine Auffahrwarnung und<br />

eine Geschwindigkeitskontrolle. All diese Funktionen werden von<br />

Computern gesteuert, also dachten wir uns, wo ein Computer ist, da<br />

können wir auch die Kontrolle übernehmen.“ Den Ford und auch einen<br />

Toyota Prius hackten sie 2013, allerdings vom Fond des Autos aus.<br />

Valasek und Miller waren zu diesem Zeitpunkt angestellt und arbeiteten<br />

am Wochenende an dem Hack. Valaseks Arbeitgeber, IO Active,<br />

ein Dienstleister im Bereich Datensicherheit, stellte ihnen 2015 einen<br />

Jeep Cherokee zur Verfügung, das aus ihrer Sicht damals am einfachsten<br />

zu hackende Auto. Zugang zu dessen IT erhielten Valasek und<br />

Miller über das sogenannte Uconnect-System, das das Infotainment-System<br />

des Fahrzeugs steuert. Darüber sind Navigation,<br />

Musikmedien und auch die Smartphones der Insassen ansteuerbar.<br />

Inzwischen bieten die Autos tendenziell noch mehr Möglichkeiten: „Die<br />

30<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


DATA ANALYTICS & SECURITY<br />

Chris Valasek (r.)<br />

studierte Informatik<br />

an der University<br />

of Pittsburgh und<br />

arbeitete unter<br />

anderem bei IBM<br />

und dem Datendienstleister<br />

IO<br />

Active, bevor er zu<br />

Uber wechselte<br />

WO HACKER REINKÖNNEN<br />

Moderne Fahrzeuge verfügen über zahlreiche<br />

VERNETZTE FUNKTIONEN, die Hacker manipulieren können –<br />

eine Herausforderung für die Hersteller<br />

Geschwindigkeitsregelung<br />

Automatisches<br />

Notbremssystem<br />

Adaptives Licht<br />

Fahr-Aufmerksamkeitssteuerung<br />

Automatisches<br />

Einparksystem<br />

Elektronische<br />

Motorsteuerung<br />

Bremsen<br />

Elektronisches<br />

Gaspedal<br />

Batteriemanagement<br />

Servolenkung<br />

Der gehackte Jeep<br />

landete schließlich sanft<br />

und ohne dass<br />

jemand zu Schaden kam<br />

im Straßengraben<br />

Airbag<br />

Anzeigeelemente<br />

Klimaanlage<br />

==== „JE<strong>DE</strong>S MO<strong>DE</strong>RNE FAHRZEUG IST<br />

POTENZIELL HACKBAR.<br />

<strong>DE</strong>R HERSTELLER MUSS FÜR<br />

SICHERHEIT SORGEN“ =======<br />

Chris Valasek, Uber Advanced Technology Center<br />

meisten Fahrzeuge sind ja heute umfassend vernetzt<br />

– Bluetooth für das Telefon, Funksender für<br />

den Reifendruck und Fahrzeugortung mit dem<br />

Smartphone“, so Valasek.<br />

2015 verschafften Miller und er sich mit<br />

einem Smartphone und einem Laptop Zugang<br />

zu dem Jeep und führten ihre Aktion<br />

durch. Das Ganze war abgesprochen, am<br />

Steuer saß ein Freund der beiden,<br />

„Wired“-Redakteur Andy Greenberg. Der<br />

Hack hatte einschneidende Folgen. Der<br />

Konzern Fiat Chrysler rief 1,4 Millionen<br />

Fahrzeuge zurück – und für Automobilhersteller,<br />

IT-Anbieter und Gesetzgeber landete<br />

das Thema Daten sicherheit im Auto auf der<br />

Tagesordnung. Einen Tag nachdem Greenbergs<br />

Artikel über die Aktion erschienen war,<br />

wurde im US-Senat ein Gesetz eingebracht,<br />

um Standards festzulegen, wie Autos vor<br />

Hacks zu schützen sind.<br />

Auch für die Hacker hatte die Aktion einige Folgen: Valasek und<br />

Miller wurden von dem Mobilitäts dienstleister Uber für sein Advanced<br />

Technology Center engagiert. Inzwischen ist Miller zu dessen chinesischem<br />

Konkurrenten Didi Chuxing gewechselt, und Chris Valasek ist<br />

Leiter der Sicherheitsabteilung bei Uber. „Ich mache die Sicherheit für<br />

autonome Fahr zeuge“, sagt er und will keine weiteren Details nennen.<br />

Valasek glaubt, dass auto nome Fahrzeuge eine Zukunft haben. „Sie<br />

sind etwas Großartiges, sind nicht betrunken, nicht müde und machen<br />

keine Fehler.“<br />

Natürlich bieten autonome Fahrzeuge aber auch viele Angriffsflächen.<br />

„Jedes Fahrzeug mit dieser Technologie ist potenziell hackbar.<br />

Der Hersteller muss für die Sicherheit sorgen“, betont Valasek.<br />

Ihn und Miller habe nach dem Hack kein Fahrzeughersteller angesprochen,<br />

um die Sicherheit seiner Fahrzeuge zu checken. „Dabei<br />

könnte man die Untersuchung auch günstig zu Hause machen, wenn<br />

die Automobilhersteller uns einfach die Computer aus den Fahrzeugen<br />

zur Verfügung stellen würden. Wir haben damals fast ein Jahr<br />

gebraucht für den Hack. Wenn wir das regelmäßig machen würden,<br />

wären wir schneller“, betont Valasek.<br />

Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey kooperieren<br />

30 Prozent der Hersteller mit Hackern, um Sicherheitslücken<br />

zu identifizieren. Und Unternehmen wie Tesla und Fiat Chrysler<br />

haben „Bug Bounties“ eingeführt, Prämienprogramme für Hacker,<br />

die Bugs, also Fehler in der Programmierung, melden. Bei Internetkonzernen<br />

wie Google und Facebook ist das schon seit Jahren<br />

gän gige Praxis.<br />

Fotos: Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, Andy Greenberg / Wired.com, Shutterstock<br />

Scheibenwischersteuerung<br />

Schlüsselloser<br />

Zugang<br />

Sitzeinstellung<br />

Alarmanlage<br />

Innenbeleuchtung<br />

Stabilitätskontrolle<br />

Motorsound<br />

Hier könnten Hacker<br />

eindringen<br />

GPS<br />

Sprachdatenkommunikation<br />

Rückfahrkamera<br />

Das könnten Hacker<br />

manipulieren<br />

Infotainment-System<br />

Kindersicherung<br />

Getriebesteuerung<br />

Spurassistent<br />

Totwinkel-Assistent<br />

32<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

33<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


DIGITAL ANALYTICS & SECURITY<br />

UND WAS HAB<br />

ICH DAVON?<br />

Carsharing, autonomes Fahren: Vieles ist<br />

heute schon Realität. Doch wollen das<br />

die Menschen auch? Eine STUDIE im Auftrag<br />

der Messe Frankfurt untersucht die neue<br />

Mobilität aus der Sicht der Verbraucher<br />

AUTONOMES FAHREN<br />

WIE SCHWER FÄLLT <strong>DE</strong>R VERZICHT<br />

AUFS LENKRAD?<br />

Trotz der erhöhten Sicherheit und<br />

Effizienz des autonomen gegen -<br />

über dem individuellen Fahren<br />

tun sich die Menschen noch<br />

schwer mit der Vorstellung,<br />

sich im Straßen verkehr<br />

Autopiloten zu überlassen<br />

14 % lehnen<br />

autonomes Fahren<br />

generell ab<br />

Über 80 % sehen<br />

autonomes Fahren<br />

als Unterstützung unter<br />

bestimmten Verkehrsbedingungen<br />

an<br />

44 % erhoffen<br />

sich durch autonom<br />

fahrende Autos mehr<br />

Verkehrs sicherheit<br />

61 % sehen das<br />

Einsatz gebiet autonom<br />

fahrender Autos vor allem<br />

im Auto bahn verkehr<br />

PERSONALISIERUNG DAS BEDÜRFNIS NACH<br />

MASS GESCHNEI<strong>DE</strong>RTEM SERVICE<br />

Noch hat das Fahren mit dem eigenen Auto einen immensen Vorteil:<br />

Es lässt sich individuellen Vorlieben und Anforderungen perfekt anpassen.<br />

Damit sich neue Mobilitätsangebote durchsetzen, müssen sie sich<br />

für die persönlichen Bedürfnisse ihrer Benutzer konfigurieren lassen<br />

40 % wünschen<br />

sich personalisierte<br />

Dienstleistungen,<br />

etwa Voreinstellungen<br />

wie Musikvorlieben<br />

und die Sitzhöhe im<br />

Mietwagen<br />

Über 50 %<br />

wünschen sich eine<br />

Funktion, die während<br />

der Fahrt Unterhaltungs<br />

angebote<br />

nach ihrem Ge -<br />

schmack vorschlägt<br />

70 % wünschen<br />

sich Autos mit Funk -<br />

tionen, die in fremden<br />

Umgebungen<br />

oder bei körper lichen<br />

Einschränkungen<br />

Orientierung bieten<br />

MOBILITÄTSPLANUNG<br />

DIE CHANCEN <strong>DE</strong>R<br />

NEUEN ANGEBOTE<br />

Neue Mobilitätskonzepte<br />

werden nur dann erfolgreich<br />

sein, wenn sie die Bedürfnisse<br />

der Benutzer nach Planungssicherheit,<br />

simplen Abrechnungssystemen<br />

und verständlicher<br />

Kommunikation ernst<br />

nehmen. Besonders wichtig<br />

dabei ist, dass sich die<br />

Angebote mit dem eigenen<br />

Smartphone nutzen lassen<br />

80 % planen<br />

ihre Reise mit dem<br />

Smartphone<br />

93 % ist es<br />

am wichtigsten,<br />

schnell und ohne lange<br />

Warte zeiten ans Ziel<br />

zu kommen, anstatt<br />

Routen zu vergleichen<br />

53 % denken<br />

vor Reiseantritt über<br />

alter native Mobilitätsangebote<br />

nach,<br />

wenn etwa Unwetter<br />

oder Streiks drohen<br />

Foto: PR; Illustrationen: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />

DIGITALISIERUNG NEUE AUTOS<br />

BRAUCHT DAS LAND<br />

Die neuen Mobilitätskonzepte<br />

setzen voraus,<br />

dass sowohl die Fahrzeuge<br />

als auch ihre<br />

Benutzer vernetzt sind.<br />

Doch bei der Digitalisierung<br />

gibt es noch<br />

viel zu tun<br />

11 % der<br />

Fahrzeuge sind<br />

bereits heute mit<br />

einer Internetschnitt -<br />

stelle ausgestattet<br />

7 % der Autos<br />

lassen sich schon<br />

mit einem Smart -<br />

phone bedienen<br />

SHARING ECONOMY<br />

GRÜN<strong>DE</strong> FÜRS TEILEN<br />

Zwar ist der Markt für den<br />

motorisierten Individualverkehr<br />

nach wie vor groß, aber vor<br />

allem die jüngeren Generationen<br />

benutzen zunehmend<br />

Angebote der Sharing Economy.<br />

Damit sich das Prinzip „Teilen<br />

statt besitzen“ durch setzen<br />

kann, müssen allerdings<br />

bewusst neue Zielgruppen<br />

ange sprochen werden<br />

25 %<br />

interessieren sich für<br />

Sharing Economy<br />

Mehr als 15 %<br />

nutzen bereits<br />

heute Angebote<br />

wie Carsharing<br />

66 % der<br />

Befragten legen<br />

bei internetfähigen<br />

Systemen im Auto<br />

hohen Wert auf<br />

den Schutz ihrer<br />

Daten und ihrer<br />

Privatsphäre<br />

23 % wollen<br />

aufgrund des eigenen<br />

Fahrzeugs neue<br />

Mobilitätsangebote<br />

nicht nutzen<br />

„ÄLTERE SIND VORSICHTIG“<br />

Professor MICHAEL BENZ von der International<br />

School of Management hat im Auftrag der<br />

Messe Frankfurt die Bedürfnisse, Vorbehalte und Ängste<br />

der Endverbraucher untersucht<br />

Herr Professor Benz, Sie haben die Einstellungen zur digitalen<br />

Mobilität untersucht. Wie begegnet man ihr in Deutschland?<br />

Das hängt vom Alter ab. Angehörige der „Generation Analog“ hegen<br />

Zweifel. Die Potenziale werden eher von der „Generation Digital“<br />

verstanden. Das stellt Verkehrsunternehmen vor Herausforderungen.<br />

Einerseits bekommen sie Konkurrenz von Unternehmen<br />

wie Google, die mit den Daten, die sie sammeln, auch Mobilitätsketten<br />

planen. Andererseits sind durch jüngere und komplett vernetzte<br />

Kunden die Ansprüche gestiegen.<br />

Disruptive Innovationen setzen oft an Bedürfnissen der Verbraucher<br />

an, etwa bei Convenience-Wünschen im Onlinehandel.<br />

Welche Bedürfnisse treiben die digitale Mobilität voran?<br />

Ein wesentlicher Treiber ist die Planbarkeit. Konsumenten wollen<br />

nicht in erster Linie den schnellsten Transport, sondern Planungssicherheit.<br />

Ein weiteres wichtiges Bedürfnis ist es, alles aus einer<br />

Hand zu bekommen. Der Kunde will sich nicht mit den Systemen<br />

von Auto, Zug oder Bus beschäftigen, er will diese Systeme mit<br />

dem Smartphone ansteuern.<br />

Derzeit entstehen Allianzen zwischen Automobilindustrie und<br />

Zulieferern mit Software- und IT-Firmen. Wen sehen die Konsumenten<br />

als Treiber der Entwicklung, wem vertrauen sie?<br />

Bei Themen wie ergänzenden Dienstleistungen (etwa Entertainment)<br />

sehen die meisten Konsumenten Konzerne wie Google und<br />

Facebook in vorderster Reihe. Das Bild ändert sich aber, sobald es<br />

um konkrete Bedürfnisse geht. Hier sehen die Studienteilnehmer<br />

Kompetenzvorteile bei den Verkehrsverbunden mit ihren etablierten<br />

Angeboten. Einer Firma aus Kalifornien traut man nicht zu, die<br />

lokalen Gegebenheiten ausreichend zu verstehen.<br />

Die Älteren, die von der Digitalisierung am meisten profitieren<br />

könnten, stehen ihr am reserviertesten gegenüber. Warum?<br />

Die Älteren sind vorsichtiger bei allem, was Datenschutz betrifft.<br />

Auch gehören sie nicht zu den Zielgruppen der digitalen Mobilitätsanbieter.<br />

Angebote wie Carsharing werden ihnen gegenüber nicht<br />

ausreichend propagiert. Für mich unverständlich, schließlich gehören<br />

die Älteren zu den einkommensstärksten Gruppen.<br />

Wie wird sich die Mobilität entwickeln?<br />

Viele Szenarien gehen davon aus, dass das autonome Fahren unsere<br />

Innenstädte beherrschen wird. Allerdings sind wir davon weit<br />

entfernt. Automobilisten und Flugzeugbauer diskutieren bereits den<br />

Einsatz bemannter Drohnen. Was ich mir für die Innenstädte langfristig<br />

vorstellen kann, ist die Trennung von Versorgungsstrukturen<br />

und persönlicher Mobilität. Die Zukunft bleibt spannend.<br />

PROF. DR.-ING.<br />

MICHAEL BENZ<br />

leitet das Institut<br />

für Supply Chain<br />

Management,<br />

Cluster und<br />

Mobility Management<br />

an der<br />

International<br />

School of<br />

Management<br />

34<br />

35<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


HYPERMODALITY<br />

VIEL MEHR ALS NUR<br />

WASSERWEGE<br />

Der HAMBURGER HAFEN betreibt in Deutschland das größte<br />

Schienennetz nach der Deutschen Bahn. Für den möglichst<br />

reibungs losen Warenumschlag verfügt der Hafen über eine trimodale<br />

Verkehrsanbindung – an Schiene, Straße und Wasserstraße<br />

Mit fast 140 Millionen Tonnen Seegüterumschlag ist der<br />

Hamburger Hafen der drittgrößte Containerhafen Europas.<br />

Der große Vorteil des Hafens ist seine multimodale Verkehrssituation:<br />

Durch die enge Anbindung an Verkehrswege wie<br />

Schiene, Straße und Binnenwasserstraßen ist ein zeitnaher Umschlag<br />

der Güter garantiert. Dazu betreibt der Hafen das zweitgrößte<br />

deutsche Schienennetz nach der Deutschen Bahn. Jeder achte innerdeutsche<br />

Güterzug hat den Hafen als Start oder Ziel. Mit über 1900 wöchentlichen<br />

Bahnverbindungen hat der Hafen die größte Abfahrtsdichte<br />

von Containerganzzügen in Europa. Im Hinterland verfügt er<br />

mit Maschen über den größten Rangierbahnhof Europas. Größter<br />

Handelspartner im seeseitigen Containerverkehr des Hafens ist China.<br />

Mehr als 2,5 Millionen der jährlich umgeschlagenen 8,82 Millionen<br />

Container gehen ins Reich der Mitte oder kommen dorther.<br />

Das Gleisnetz der Hafenbahn umfasst rund<br />

300 Kilometer, in das 850 Weichen integriert<br />

sind. Pro Werktag erreichen 200 Güterzüge den<br />

Hafen. Zu 45,3 % wird der Hinterland verkehr<br />

auf der Schiene abgewickelt<br />

Zu 12,3 % wird der<br />

Hinterlandverkehr<br />

mit Binnenschiffen<br />

abgewickelt<br />

Moderne Portalkrantechnik<br />

erlaubt das schnelle Be- und<br />

Entladen der Züge. Dabei<br />

werden die Containertransportdaten<br />

durch IT-Systeme erfasst<br />

und kontrolliert<br />

8,82 Millionen Standardcontainer<br />

wurden<br />

2015 umgeschlagen<br />

36<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

20 Kilometer südlich von Hamburg liegt<br />

Maschen, der größte Rangierbahnhof<br />

Europas. Hier kommen täglich bis zu<br />

150 Güterzüge aus den Nord- und Ostseehäfen,<br />

aus dem deutschen Binnenland<br />

und aus Skandinavien an<br />

Zu 42,2 % wird der<br />

Hinterlandverkehr mit<br />

Lkw auf der Straße<br />

abgewickelt<br />

Foto: Holger Weitzel /Aufwind-Luftbilder.de


SUSTAINABILITY<br />

ELEKTROTHERAPIE<br />

CHINA und besonders Peking leiden unter einer unvorstellbaren<br />

Smogkatastrophe. Doch nicht nur, um diese „Airpokalypse“<br />

zu bekämpfen, fördert die Regierung massiv die Elektrifizierung<br />

des Straßenverkehrs: CHINA will sich auch von Öllieferungen<br />

aus dem Ausland unabhängiger machen, das Wirtschafts wachstum<br />

ankurbeln und Weltmarktführer bei Elektroautos werden<br />

TEXT: MICHAEL RADUNSKI<br />

Er fährt elektrisch:<br />

Yujia Nie kassierte<br />

für seinen Qichen<br />

e30 einen staat -<br />

lichen Zuschuss und<br />

erhielt sofort eine<br />

Zulassung. Auf die<br />

für Benziner muss<br />

man oft monatelang<br />

warten<br />

Als sich auf Pekings dritter Ringstraße unverhofft<br />

eine kleine Lücke auftut, tritt Yujia Nie<br />

entschlossen aufs Gaspedal. Kein Motor röhrt<br />

auf – und dennoch erreicht Yujias blütenweißer Wagen<br />

den freien Platz in der linken Spur vor dem SUV, der ihn<br />

auch haben wollte. In Yujias Gesicht triumphiert ein<br />

leichtes Lächeln. „Ich sage es immer wieder: Mein Wagen<br />

ist nicht langsamer als normale Autos.“ Yujias<br />

Freunde klopfen gern kesse Sprüche, wenn sie ihn in<br />

sein Auto steigen sehen. Mal heißt es, sie würden schon<br />

mal zu Fuß vorgehen und warten, bis er ankomme,<br />

dann wieder, dass sie ihm zu seiner Sicherheit hinterherfahren<br />

würden, schließlich könne sein Wagen nach<br />

ein paar Kilometern einfach stehen bleiben.<br />

Seit einem Jahr fährt Yujia einen Qichen e30 der<br />

Dongfeng Motor Company. Nie gab es Probleme – und<br />

dennoch scheiden sich an ihm die Geister. Während<br />

Yujias Freunde Witze reißen, meinen manche Autobauer<br />

im Westen, ein solcher Wagen komme zu früh für<br />

den chinesischen Markt. Der Qichen e30, vom chinesisch-japanischen<br />

Joint Venture Dongfeng Nissan hergestellt,<br />

ist die chinesische Variante des Nissan Leaf, des<br />

meistverkauften Elektrofahrzeugs der Welt.<br />

Yujia ist in Peking geboren, und deswegen liegt die<br />

Vermutung nahe, er habe sich sein E-Car wegen der dramatischen<br />

Luftverschmutzung in Chinas Hauptstadt<br />

zugelegt. Doch der 27-Jährige schüttelt den Kopf. Die<br />

Gründe für den Kauf waren weitaus profaner: 40 Prozent<br />

und N-22YJ6. 40 Prozent des eigentlichen Kaufpreises<br />

wurden ihm dank staatlicher Subventionen erlassen.<br />

Und N-22YJ6 ist Yujias Nummernschild. Wer in<br />

Peking ein Benzin- oder Dieselfahrzeug anmelden will,<br />

Foto: Stefen Chow<br />

39<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SUSTAINABILITY<br />

==== DIE WHO HÄLT MEHR<br />

ALS 25 MIKROGRAMM FEINSTAUB<br />

FÜR GESUNDHEITSGEFÄHR<strong>DE</strong>ND.<br />

AN BESON<strong>DE</strong>RS SCHLECHTEN<br />

TAGEN WIRD DIESER<br />

WERT IN PEKING UMS 20-FACHE<br />

ÜBERTROFFEN ========<br />

Foto: Getty Images<br />

40<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

41<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SUSTAINABILITY<br />

Seltener Anblick:<br />

E-Autos etwa von<br />

BMW sind in China<br />

die Ausnahme.<br />

Der Markt wird<br />

dominiert von<br />

Fahrzeugen der<br />

Hersteller BYD<br />

oder Dongfen<br />

muss an einer Art Lotterie um Nummernschilder<br />

teilnehmen, bei der die Chancen auf<br />

Erfolg geringer sind als beim normalen Lotto.<br />

Elektroautos dagegen sind von diesem Verfahren<br />

ausgenommen.<br />

Yujias Fall ist exemplarisch für Chinas Verkehrspolitik.<br />

Seit einiger Zeit fördert die Regierung<br />

durch Milliardensubventionen und die<br />

restriktive Zulassung traditionell motorisierter<br />

Autos den Vertrieb von Elektrofahrzeugen.<br />

Nun will Peking den Verkauf von E-Cars sogar<br />

gesetzlich anordnen. Der Plan sieht vor, dass<br />

Autohersteller in China eine feste Elektro quote<br />

erfüllen müssen – und zwar schon ab 2018.<br />

Dann müssen sämtliche Autobauer für acht<br />

Prozent ihrer in China verkauften Fahrzeuge<br />

sogenannte Kreditpunkte sammeln, 2019 für<br />

zehn Prozent und 2020 für zwölf Prozent. Vier<br />

Punkte erhält man für ein Elektrofahrzeug,<br />

zwei Punkte für einen Plug-in-Hybriden.<br />

„Die geplante Quotenregelung ist sicher<br />

eine gute Idee“, sagt Yujia. „Die Luftverschmutzung<br />

in Peking ist extrem hoch.“ Yujia ist mit<br />

seinem Qichen e30 in den vergangenen<br />

30 Minuten knapp 400 Meter vorangekommen.<br />

Die dritte Ringstraße ist eine der Hauptverkehrsadern<br />

Pekings – und wie so oft verstopft<br />

bis zum Infarkt. Die acht Spuren breite<br />

Blechlawine schiebt sich quälend langsam<br />

vorwärts. „Das ist typisch für Peking. Ganz<br />

normal“, sagt Yujia und zuckt mit den Schultern.<br />

Eine Untersuchung des Verkehrsministeriums<br />

belegt, dass Pekings Straßen zu den<br />

überfülltesten des ganzen Landes zählen. In<br />

kaum einer anderen Stadt steht man so häufig<br />

und so lange im Stau wie hier. Aus den Auspuffen<br />

steigen unentwegt Stickoxide, CO ²<br />

und<br />

Feinstaub in den Himmel. Über der Stadt<br />

hängt eine gelbliche Dunstglocke, beißend<br />

ätzen der Geruch steht in der Luft.<br />

Yujia zieht sein Handy aus der Hosentasche und öffnet die Luftqualitäts-App:<br />

Die Feinstaubbelastung liegt bei 250 Mikrogramm. Die<br />

Weltgesundheitsorganisation WHO hält Werte von mehr als 25 für gesundheitsgefährdend.<br />

Peking kennt weitaus schlimmere Werte. Im<br />

vergangenen Winter lagen in Chinas Hauptstadt die Smogwerte für<br />

mehrere Wochen bei 400 bis 500 Mikrogramm Feinstaubbelastung.<br />

Fabriken mussten schließen, einige Autobahnen wurden wegen<br />

schlechter Sicht gesperrt, die Hälfte der Autos musste stehen bleiben,<br />

selbst der Flugverkehr war beeinträchtigt. Angesichts solcher Verhältnisse,<br />

die von den Pekingern „Airpokalypse“ genannt werden, sind<br />

Gummimasken mit Doppelfiltern, wie man sie sonst nur aus Malerund<br />

Lackierbetrieben kennt, immer häufiger auf Gehwegen zu sehen.<br />

Schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen sterben jedes Jahr in<br />

China einen verfrühten Tod durch Smog. Die Ursachen für die Smogkatastrophe<br />

sind vielfältig und von Region zu Region unterschiedlich.<br />

In Peking trägt laut chinesischem Umweltministerium der Straßenverkehr<br />

mit 31 Prozent am meisten zur Luftverschmutzung bei, gefolgt<br />

von Kohlenverbrennung (22,4 Prozent) und dem Betrieb von Industriefabriken<br />

(18 Prozent).<br />

=== YUJIAS FREUND HAT SICH<br />

EIN KONVENTIONELLES AUTO GEKAUFT.<br />

UND WARTET SCHON SEIT MONATEN AUF<br />

SEIN NUMMERNSCHILD ======<br />

Doch hinter der chinesischen Elektro-Offensive stehen noch andere Gründe:<br />

Energiesicherheit, Jobs und Wachstum. China sei von Öllieferungen aus<br />

dem Ausland sehr abhängig, erklärt Daizong Liu vom World Resources Institute<br />

in Peking. Und dieses Öl werde vor allem aus dem Nahen Osten oder<br />

Südamerika importiert – aus Ländern, die instabil sind. Die chinesische Regierung<br />

wolle ihre Abhängigkeit von ausländischem Öl verringern und dafür die<br />

Energiestruktur des Landes verändern. Deshalb genieße der Ausbau der<br />

Elektro mobilität auf staatlicher Ebene höchste Priorität. „Mithilfe solch gezielter<br />

Fördermaßnahmen werden aber auch ein neuer Wirtschaftszweig, Wachstum<br />

und viele neue Jobs geschaffen“, sagt Liu.<br />

STAATLICHE ELEKTRO-OFFENSIVE<br />

Die staatliche Elektro-Offensive wird den chinesischen Automobilmarkt<br />

umkrempeln. Sobald die neuen Regelungen in Kraft treten,<br />

müssen ausländische Hersteller ihre Produktpalette umstellen. Wenn<br />

Autobauer die Quote nicht erreichen, müssen sie entweder ihre Produktion<br />

drosseln, Strafe zahlen oder anderen Herstellern Kreditpunkte<br />

abkaufen – und damit ihre Konkurrenten subventionieren.<br />

Während die Volkswagen-Gruppe, für die China der wichtigste Absatzmarkt<br />

ist, 2016 knapp vier Millionen herkömmliche Autos, aber<br />

nur ein paar Hundert E-Fahrzeuge verkaufte, müsste VW 2018 ungefähr<br />

80 000 reine Batteriefahrzeuge und 160 000 Plug-in-Hybride<br />

herstellen. Deswegen plant man, zusammen mit dem chinesischen<br />

Hersteller JAC reine Batteriefahrzeuge auf den Markt zu bringen.<br />

Volkswagens China-Vorstand Jochem Heizmann nennt die Quotenregelung<br />

eine „große Herausforderung“. Man verstehe den Wunsch<br />

der chinesischen Regierung, die massiven Umweltbelastungen in den<br />

Griff zu bekommen und gleichzeitig ein starkes Wirtschaftswachstum<br />

Foto: Stefen Chow<br />

1,23<br />

MILLIONEN<br />

E-Autos werden voraussichtlich<br />

bis 2018 in China<br />

produziert<br />

5<br />

MILLIONEN<br />

E-Autos will China<br />

bis zum Jahr 2020 auf<br />

den Straßen haben<br />

TOP<br />

3<br />

E-Autos in China sind<br />

1. BYD Tang<br />

2. BYD Qin<br />

3. BAIC E150EV<br />

1,25<br />

PROZENT<br />

beträgt in China der<br />

Marktanteil von<br />

Elektrofahrzeugen.<br />

In Deutschland liegt<br />

er bei 0,76 %<br />

zu erzielen, und teile den Glauben, „dass die Zukunft<br />

elektrisch ist“, sagt Heizmann. Deshalb<br />

habe sich VW eine ehrgeizige Elektro-Offensive<br />

verordnet. Noch in diesem Jahr werde mit dem<br />

Bau einer Plug-in-Hybrid-Version des VW Phideon<br />

begonnen. Die Limousine basiert auf der<br />

Langversion des Audi A6 und wird nur in China<br />

vertrieben. In den kommenden zwei bis drei Jahren<br />

will man zusammen mit lokalen Joint Ventures<br />

15 Elek tro modelle produzieren. Ziel sei es,<br />

ab 2020 jährlich 400 000 solcher Fahrzeuge zu<br />

verkaufen.<br />

Ähnlich ambitioniert sind die Pläne von<br />

Mercedes-Benz: Man werde zehn Milliarden<br />

Euro in die Entwicklung und Produktion von<br />

Elek tro autos investieren, 2025 plane man, zehn<br />

Elektromodelle anzubieten, bis zu einem Viertel<br />

aller Mercedes-Benz-Modelle sollen dann<br />

reine Batteriemodelle oder Hybrid-Plug-ins<br />

sein, heißt es aus der China-Zentrale in Peking.<br />

Kritik an den chinesischen Plänen bekommt<br />

man nur hinter vorgehaltener Hand<br />

zu hören. Deutlicher wird Dominik Declerq,<br />

Vorsitzender des Verbands Europäischer Automobilhersteller<br />

in China (ACEA): „Wir sind<br />

nicht prinzipiell gegen die Quote, aber sie<br />

kommt zu früh.“ Der Belgier führt gleich mehrere<br />

Gründe an: Erstens seien die endgültigen<br />

Regelungen noch immer nicht beschlossen<br />

(Stand Ende Januar), „in wenigen Monaten sollen<br />

wir uns aber alle schon daran halten. Ein<br />

solch kurzfristiger Umschwung ist in der Automobilproduktion<br />

nicht möglich.“ Zweitens<br />

fehle es in einem so riesigen Land wie China<br />

noch an der nötigen Lade-Infrastruktur. „Die<br />

Reichweiten der aktuellen Modelle sind viel<br />

zu gering.“ Drittens werde der für Elektrofahrzeuge<br />

benötigte Strom im Fall Chinas überwiegend<br />

aus minderwertiger Kohle gewonnen.<br />

Und zu guter Letzt subventioniere die<br />

chinesische Regierung massiv einheimische<br />

Autobauer – und benachteilige dadurch ausländische<br />

Unternehmen.<br />

„Jede chinesische Garagenfirma wird<br />

finan ziell unterstützt“, sagt Declerq und zeigt<br />

auf eine Liste mit insgesamt 257 chinesischen<br />

Firmen, die beim Bau von Elektroautos bezuschusst<br />

werden. „Ich arbeite schon lange in<br />

diesem Feld, aber die meisten dieser Namen<br />

habe ich noch nie gehört.“ Angesichts einseitiger<br />

Subventionen gebe es momentan kein faires<br />

Marktumfeld, klagt Declerq. Zwar könnten<br />

auch ausländische Hersteller staatliche Finanzmittel<br />

beantragen, doch müssten sie<br />

dann nachweisen, dass sie die Elektrotechnologie „beherrschen“. Für Declerq<br />

ist klar, was dahintersteckt: Offenlegung der kompletten Produktion und somit<br />

der eigenen Forschung und Technologie. „Viele unserer Mitglieder halten<br />

das für sehr gefährlich.“ Bis 2020 will die Regierung offiziell die lokalen Autobauer<br />

weiter subventionieren. „Erst danach haben wir einen fairen Markt“, so<br />

Declerq, weshalb er fordert, die Quotenregelung zumindest bis 2020 aufzuschieben.<br />

Declerq bezweifelt grundsätzlich, dass es der chinesischen Regierung bei<br />

der Elektroquote tatsächlich um Umweltschutz geht. „Hier wird Industriepolitik<br />

in großem Stil betrieben.“ Chinesische Autohersteller hätten jahrelang vergebens<br />

versucht, bei konventionellen Autos zu den europäischen Herstellern<br />

aufzuschließen. „Das hat nicht geklappt. Nun machen sie einfach ein neues<br />

Feld auf: Elektromobilität. Und hier wollen die Chinesen von Anfang an Weltmarktführer<br />

sein.“<br />

Sandra Retzer von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit<br />

(GIZ) warnt davor, China zu unterschätzen: „Man muss feststellen,<br />

dass im Bereich Elektromobilität die chinesische Seite uns ganz<br />

klar voraus ist.“ Schanghai habe beispielsweise schon jetzt so viele<br />

Lade säulen für Elektroautos, wie es sie in ganz Deutschland im Jahr<br />

=== „AUCH WENN CHINA <strong>DE</strong>R WELTWEIT<br />

GRÖSSTE MARKT FÜR ELEKTROAUTOS IST,<br />

BLEIBT FÜR DIE WEITERENTWICKLUNG<br />

<strong>DE</strong>R INFRASTRUKTUR NOCH EINIGES ZU TUN.<br />

ES FEHLEN LA<strong>DE</strong>STATIONEN UND<br />

WARTUNGSEINRICHTUNGEN“ =======<br />

Tareq Muwanes, Project Manager, Messe Frankfurt Schanghai<br />

2020 geben soll. Zudem ist gesetzlich vorgeschrieben, dass jedes neue Gebäude<br />

eine Lade-Infrastruktur für alle Mieter vorweisen muss. „Privates Laden<br />

ist für die Kunden entscheidend“, erklärt Retzer.<br />

„Das Thema Elektromobilität ist hier sehr viel präsenter als in<br />

Deutschland.“ Diese Entwicklung dürfe man nicht verschlafen. „Im Bereich<br />

Kleinstwagen ist China weltweit führend. Das ist auch den deutschen<br />

Herstellern klar. Nun geht es um den Premiummarkt.“ Yujia ist<br />

derweil in der Innenstadt angekommen – ohne liegen geblieben zu<br />

sein und so schnell wie die Benziner im Stau neben ihm. Er schließt<br />

seinen Qichen e30 an eine Ladesäule an und erzählt zum Abschied,<br />

dass er am nächsten Tag seinen besten Freund mitnehmen werde.<br />

Der hat sich ein konventionelles Auto gekauft, bei der Zulassungslotterie<br />

jedoch bislang kein Glück gehabt und wartet schon seit Monaten<br />

auf sein Nummernschild.<br />

42<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

43<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SUSTAINABILITY<br />

„DAS AUTO <strong>DE</strong>R ZUKUNFT<br />

IST EHER EIN MINIBUS“<br />

Digitalisierungsexperte Christoph Bornschein entwickelt unter anderem<br />

MOBILITÄTSKONZEPTE für die Automotive- und Logistikbranche. Events sprach<br />

mit ihm am Rande der Connected Mobility Roadshow in Austin, Texas<br />

TEXT: SABRINA WAFFENSCHMIDT<br />

CHRISTOPH<br />

BORNSCHEIN<br />

Nein, er macht kein<br />

Praktikum im neunten<br />

Jahr und holt dem<br />

Chef nicht die<br />

Zigaretten, wie es auf<br />

der Homepage steht.<br />

Christoph Bornschein<br />

ist Geschäftsführer<br />

von „Torben, Lucie und<br />

die gelbe Gefahr“.<br />

Nach einem<br />

abgebrochenen<br />

Jura studium gründete<br />

er die Agentur, die<br />

heute 160 Mit -<br />

arbeiter beschäftigt<br />

Fotos: Max Threlfall Photo, Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, Shutterstock (2)<br />

Herr Bornschein, wie bewegen Sie sich selber fort?<br />

BORNSCHEIN: Mir ist Mobilität an sich wichtig. Mit dem eigenen<br />

Auto, mit Taxis, mit Uber, mit Carsharing, im Flugzeug.<br />

Welche Nutzerbedürfnisse bestehen im Bereich Mobilität?<br />

Nicht der Besitz, sondern die Nutzung ist das Thema. Mein Bedarf<br />

ist nicht „Ich will ein Auto besitzen“, sondern „Ich will Mobilität“ –<br />

in jeder Darreichungsform. Auch und gerade in der Last-Mile-Logistik,<br />

wo Mobilität in Form von Amazons Prime Now oder Foodora<br />

ebenfalls Nutzerbedürfnisse verändert: Man will alles, sofort, möglichst<br />

reibungslos.<br />

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Arbeit<br />

im Bereich Automotive, Mobilität und Logistik?<br />

Besonders in diesem Bereich arbeiten wir mit industriell geprägten Unternehmen,<br />

die nicht für servicegetriebene Businessmodelle entwickelt<br />

wurden. Da gemeinsam an die DNA und das Selbstverständnis des Unternehmens<br />

zu gehen ist sicher das größte Thema.<br />

==== „MEIN FIKTIVER SOHN WIRD<br />

MIT 18 JAHREN WOHL KEINEN FÜHRER -<br />

SCHEIN MEHR MACHEN“ ======<br />

Christoph Bornschein, TLGG<br />

Um Innovationen zu schaffen, müsse man alle Glaubenssätze loslassen,<br />

sagen Sie. Welche dieser Glaubenssätze sind das?<br />

„Glaubenssatz“ klingt so harmlos und hilfreich. Es soll ja keiner Nihilist<br />

werden. Nennen wir sie ruhig Dogmen; ein dogmatisch-untrügliches Gespür<br />

dafür etwa, was Menschen haben und nicht haben wollen. Wenn der<br />

CEO eines deutschen Automobilkonzerns entscheidet, dass Menschen<br />

Autos kaufen wollen, und damit Mobilitätsthemen aus dem Vorstand verbannt,<br />

dann hat das mit dem, was am Markt passiert, wenig zu tun.<br />

Sie sagen, dass Träume und Ängste Starthilfe für Lösungsansätze<br />

seien. Welche sind die größten Träume und Ängste der Branche?<br />

Die Angst ist klar: Deutschland verliert seine Kernindustrie, die ein Drittel<br />

der Arbeitnehmer direkt oder indirekt beschäftigt. Weggespült von Tesla,<br />

Faraday und wie sie alle heißen, weil man nicht mehr die Bedürfnisse der<br />

Menschen erreicht. Die aktuellen Träume sind wenig hilfreich, da sie sich<br />

meist nur um ein optimiertes und wenig modifiziertes „Weiter so“ drehen.<br />

Welche sind die wichtigsten Innovationen der nächsten Jahre?<br />

Der Tipping-Point wird vollautonomes Fahren sein. Damit setzen sich Businessplattformen<br />

durch, neue Konzepte des Autos an sich. Dann stellen<br />

sich grundlegende gesellschaftliche Fragen. Sieht man sich heute schon<br />

Routenplanung und Pooling-Routinen von Uber an, dann wird das Auto<br />

der Zukunft eher ein Minibus sein, immer in Bewegung, immer optimiert.<br />

Christoph Bornschein (r.) und<br />

Moderator Jochen Wegner bei der<br />

Connected Mobility Roadshow<br />

Wie stellen Sie sich die Mobilität in zehn,<br />

20 und 30 Jahren vor?<br />

Wie tief und in welcher Geschwindigkeit das<br />

autonome Fahren die Gesellschaft durchdringt,<br />

hängt von vielen Faktoren ab, sodass<br />

verschiedene Szenarien denkbar sind.<br />

Ich denke heute, dass autonomes Fahren in<br />

20 Jahren Standard ist. Und dass mein fiktiver<br />

Sohn mit 18 Jahren wohl keinen Führerschein<br />

mehr machen wird. Spannend wird<br />

es, wenn man die kulturelle Komponente<br />

dazunimmt. Das Elektroauto ist ja auch<br />

nicht über Nacht sinnvoller geworden. Hier<br />

hat Elon Musk mit Tesla vor allem einen kulturellen<br />

Schub gegeben: nicht sinnvoll, sondern<br />

cool. Und warum sollte es diesen Moment<br />

nicht auch beim autonomen Fahren<br />

geben – den Augenblick, an dem ein kultureller<br />

Impact stärker wirkt als Bedenken und<br />

Hemmnisse?<br />

Wird sich die Wertschöpfung bei E-Fahrzeugen<br />

von den Hardware-orientierten<br />

Automobilherstellern zu den Software-<br />

Anbietern verschieben?<br />

Hier greift ja letztlich auch wieder eine Zulieferer-<br />

und Markenlogik. Wie bekomme<br />

ich das Angebot möglicher Partner unter<br />

mein Markendach? Welche traditionellen<br />

Partner sind in einer digitalen Welt überhaupt<br />

sinnvoll? Und wie gestalte ich meine<br />

Marke über den zuverlässigen Motor oder<br />

die Kurvenlage hinaus attraktiv? Man muss<br />

sich ja nur die aktuelle Mercedes- Kampagne<br />

ansehen, um festzustellen: Bei der Markendifferenzierung<br />

geht es nicht mehr vorrangig<br />

um Mechanik und Ingenieurskunst,<br />

sondern um Lifestyle.<br />

44<br />

45<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SUSTAINABILITY<br />

<strong>DE</strong>R 10-MILLIAR<strong>DE</strong>N-<br />

DOLLAR-MARKT<br />

Elektroautos für den Massenmarkt – das verheißt goldene Zeiten<br />

für BATTERIEHERSTELLER. Noch ist es aber eine Explosion in Zeitlupe:<br />

Die Zahl der Stromer steigt langsam von einem niedrigen Niveau<br />

aus. Die Gretchenfrage der Elektromobilität ist die Zellfertigung. Mit etwa<br />

20 Prozent machen die Akkus einen großen Teil der Wertschöpfung<br />

aus – mehr als der Verbrennungsmotor und das Getriebe in konven tionellen<br />

Autos. Wer an eine Zukunft der E-Fahrzeuge glaubt, muss daher<br />

bei der Zellchemie vorn mitspielen<br />

SÜDKOREA: EXPANSION NACH EUROPA<br />

Zwei große Konzerne aus Korea gehören zu den führenden<br />

Herstellern von Lithium-Ionen-Zellen für Elektroautos:<br />

Samsung SDI und LG Chem. Zusammen beherrschen sie<br />

momentan ein knappes Drittel des Weltmarkts und sind<br />

bevorzugte Lieferanten der deutschen Autoindustrie.<br />

Samsung SDI liefert die Zellen für den BMW i3, während<br />

LG Chem die Zellen für den Chevrolet Bolt und Opel<br />

Ampera-e produziert. Die koreanischen Marken sind auch<br />

als Lieferanten für die angekündigten VW-Elektrofahrzeuge<br />

wie den I.D. im Gespräch. Ab 2018 werden sie Zellen für<br />

den Audi e-tron liefern – ein rein elektrisch angetriebenes<br />

SUV. Die Südkoreaner bauen momentan jeweils für rund<br />

350 Millionen Euro die ersten Großserienproduktionen von<br />

Lithium-Ionen-Zellen in Europa auf: LG Chem in Wrocław<br />

(Polen), Samsung SDI in Göd in Ungarn.<br />

30 %<br />

Marktanteil<br />

Batteriemarkt<br />

0,17 %<br />

Marktanteil<br />

Elektrofahrzeuge<br />

130 Mio.<br />

staatliche F&E-<br />

Förderung von<br />

Elektromobilität,<br />

in Euro<br />

129 Mio.<br />

staatliche F&E-Förderung von<br />

Elektromobilität, in Euro<br />

21 %<br />

Marktanteil<br />

Batteriemarkt<br />

0,7 %<br />

Marktanteil<br />

Elektrofahrzeuge<br />

JAPAN: KOOPERATION MIT TOYOTA<br />

Im Markt der Unterhaltungselektronik ist Panasonic der<br />

MARKTANTEILE <strong>DE</strong>R<br />

INTERNATIONALEN<br />

BATTERIEHERSTELLER<br />

CHINA<br />

25 % BYD<br />

10 % CATL<br />

4 % Lishen<br />

2 % Coslight<br />

JAPAN<br />

9 % Panasonic<br />

5 % Sony Murata<br />

4 % AESC-NEC<br />

3 % GS Yuasa<br />

SÜDKOREA<br />

17 % Samsung SDI<br />

13 % LG Chem<br />

USA<br />

2 % A123 Systems<br />

1 % Boston-Power<br />

SONSTIGE<br />

5 %<br />

78 Mio.<br />

staatliche F&E-Förderung<br />

von Elektromobilität,<br />

in Euro<br />

0,85 %<br />

Marktanteil<br />

Elektrofahrzeuge<br />

USA: TESLAS GIGAFACTORY<br />

3 %<br />

Marktanteil<br />

Batteriemarkt<br />

Eine Flugstunde vom Tesla-Werk in Fremont (Kalifornien, USA) entfernt<br />

wollen der Automobilhersteller und Panasonic rund fünf Milliarden Euro<br />

in Teslas Gigafactory in Nevada investieren. Für die Großserienproduktion<br />

des kommenden Tesla Model 3 wird das Zellformat etwas vergrößert,<br />

um den Anteil des passiven Hüllmaterials und damit das Gewicht<br />

der Batterie zu senken. In der finalen Ausbaustufe der Tesla Gigafactory<br />

sollen 6500 Arbeiter im Jahr 2020 jährlich die Energiekapazität von<br />

50 Gigawattstunden (GWh) an Lithium-Ionen-Batterien produzieren.<br />

Illustrations: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />

CHINA: FÜHREN<strong>DE</strong>R<br />

BATTERIEHERSTELLER<br />

Das chinesische Auto- und Batterieunternehmen<br />

BYD (Build Your Dream) steht momentan an<br />

erster Stelle der Produzenten von Batteriezellen<br />

für den Automotive-Bereich. Zusammen mit<br />

Contemporary Amperex Technology (CATL)<br />

stellen die Chinesen rund ein Drittel der welt -<br />

weiten Produktions kapazitäten für automobiltaugliche<br />

Lithium-Ionen-Batterien. BYD hat<br />

2016 Lithium-Ionen-Batterien mit einer Gesamtenergie<br />

kapazität von 4,0 GWh hergestellt. 2020<br />

soll die Gesamtkapazität 20 GWh betragen.<br />

CATL will seine Produktionskapazität bis 2020<br />

auf 50 GWh ausbauen.<br />

AUF 10 MILLIAR<strong>DE</strong>N DOLLAR WIRD<br />

<strong>DE</strong>R WELTWEITE MARKT <strong>DE</strong>R<br />

BATTERIEN FÜR E-MOBILITÄT IM<br />

JAHR 2020 GESCHÄTZT<br />

4431 Mio.<br />

staatliche F&E-Förderung<br />

von Elektromobilität,<br />

in Euro<br />

weltgrößte Hersteller von Lithium-Ionen-Zellen. Im<br />

Automobilbereich kooperiert der Hersteller seit 1998<br />

mit Toyota und kommt da derzeit auf neun Prozent<br />

Marktanteil. Für die Hybridmodelle produziert Panasonic<br />

mittlerweile als Minderheitspartner 200 Millionen Nickel-<br />

Metall-Hydrid-Zellen pro Jahr in Ja pan. Das zweite<br />

Standbein sind die kleinformatigen 18650-Lithium-Ionen-<br />

Rundzellen, die Tesla einsetzt (siehe USA). Die weiteren<br />

Hersteller sind Sony Murata, eine Kooperation des<br />

Großkonzerns mit dem Elektronikhersteller Murata,<br />

und der Automobilzulieferer AESC-NEC.<br />

1,25 %<br />

Marktanteil<br />

Elektrofahrzeuge<br />

41 %<br />

Marktanteil<br />

Batteriemarkt<br />

46<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

47<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SYNCHRONIZED LOGISTICS<br />

MANN,<br />

FRAU,<br />

ROBOTER<br />

Wie überwindet die Logistik die<br />

berühmte letzte Meile bis zur Haustür<br />

des Empfängers? Darüber unterhalten<br />

sich PROF. UWE CLAUSEN,<br />

Fraunhofer-Wissenschaftler und Leiter<br />

der ZF- Zukunftsstudie zur letzten<br />

Meile, und Roboter-Entwick lerin<br />

HELEN KAARLEP<br />

PROF. DR.-ING.<br />

UWE CLAUSEN<br />

ist Leiter am Institut<br />

für Trans port logis tik<br />

an der Universität<br />

Dort mund und am<br />

Fraunhofer-Institut<br />

für Materialfluss<br />

und Logistik IML.<br />

Clausen, der zuvor<br />

für die Deutsche<br />

Post und Amazon<br />

gear beitet hatte, war<br />

wissenschaftlicher<br />

Leiter der Zukunftsstudie<br />

2016 „Die<br />

letzte Meile“ für<br />

den Zulieferer ZF<br />

INTERVIEW: MICHAEL HOPP<br />

HELEN KAARLEP<br />

leitet die Testabteilung<br />

des Londoner<br />

Start-ups Starship<br />

Technologies. Die<br />

estnische Wirtschaftsingenieurin<br />

betreute Pilotversuche,<br />

bei denen<br />

in Düsseldorf und<br />

Hamburg sowie<br />

für die Schweizer<br />

Post Pakete bis<br />

zur Haustür des<br />

Em pfängers per<br />

Roboter zugestellt<br />

wurden<br />

Fotos: Nathalie Bothur, Willing-Holtz<br />

49<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SYNCHRONIZED LOGISTICS<br />

==== „ALS VERKEHRS-<br />

LOGISTIKER WOLLEN WIR<br />

SYSTEMISCH AN DIE THEMEN<br />

HERANGEHEN“ ======<br />

Uwe Clausen, Universität Dortmund<br />

==== „WIR HABEN ROBOTER<br />

FÜR EINEN WETTBEWERB <strong>DE</strong>R NASA<br />

ENTWICKELT – UND NACH NEUEN<br />

ANWENDUNGEN GESUCHT“ =======<br />

Helen Kaarlep, Starship Technologies<br />

gerecht zu versorgen. Da ergeben sich noch<br />

mal neue Wege, dorthin wird man dann auch<br />

mit größeren Einheiten transportieren.<br />

Frau Kaarlep, betrachten Sie Drohnen als<br />

ein Konzept, das zu Ihren Robotern in Konkurrenz<br />

steht?<br />

KAARLEP: Nein. Drohnen bewegen sich im<br />

Luftraum, einem hochgradig regulierten Bereich.<br />

Sie sind großartig darin, Lieferungen<br />

dort zuzustellen, wo unsere Roboter nicht hinkommen:<br />

auf entlegenen Inseln oder hohen<br />

Berge. Aber gleichzeitig können unsere Roboter<br />

etwas, was Drohnen nicht können.<br />

Herr Professor Clausen, Sie haben eine große<br />

Studie über „Die letzte Meile“ vorgelegt.<br />

Frau Kaarlep, Ihr Unternehmen baut einen<br />

Lieferroboter, der in der Studie als eine der<br />

Transportmöglichkeiten genannt wird. Was<br />

waren Ihre Ansätze dabei?<br />

CLAUSEN: Wir waren einerseits mit Entwicklungen<br />

konfrontiert, die einen langen Trend haben<br />

und die man fortschreiben kann. Andererseits<br />

mit solchen – dazu gehören die Zustell roboter –,<br />

die gab’s im letzten Jahr noch gar nicht. Was die<br />

letzte Meile und die Lösungen dafür verändern,<br />

sind die Randbedingungen, in Metropolen: Luftreinhaltung,<br />

Vorgaben für batterieelektrische<br />

Fahrzeuge, und die Nachfrage seite: Welche<br />

Service ideen gibt es? Ist Same-Day-Delivery gewünscht?<br />

Das ist eine neue Lo gis tik, die sehr<br />

schnell mit Daten umgehen kann.<br />

KAARLEP: Bei der Entwicklung unserer Lieferroboter<br />

waren zwei Aspekte wichtig. Wir hatten<br />

ein Team, das Roboter für den NASA-Contest<br />

„NASA Centennial Challenge“ entwickelt hat,<br />

die Bodenproben auf Planeten entnehmen sollten.<br />

Wir haben überlegt, wo man diese Idee<br />

noch einsetzen kann. Das entstand aus einem<br />

bestimmten Geist heraus: Einige der Gründer<br />

von Starship Technologies haben Skype entwickelt, eine disruptive Kommunikationstechnologie.<br />

Und sie haben überlegt, in welchen Industrien<br />

noch keine Disruption stattgefunden hat.<br />

Welche Idee steckt hinter dem Lieferroboter?<br />

KAARLEP: Unser Geschäft ist erst mal die Idee selbst, die Roboter sind nur<br />

ein Mittel. Wir bauen sie und bringen ihnen bei, auf der Straße zu funktionieren.<br />

Das ist ein Logistikkonzept mit einem Hintergrund in der Robotik.<br />

Unsere Roboter sind zu 99 Prozent autonom, und wenn etwas passiert,<br />

können sie die Kontrolle an einen Menschen übergeben. Natürlich ist es<br />

ein Roboter, aber es ist im Grunde ein ganzes Konzept. Die Idee war nicht,<br />

einen Roboter zu bauen, sondern ein Servicekonzept zu entwickeln.<br />

CLAUSEN: Lieferroboter entsprechen der Bedarfsorientierung und der<br />

Forderung nach einer höheren zeitlichen Flexibilität. Man trifft auf ein Konsumentenverhalten,<br />

das nicht gleichmäßig über den Tag verteilt ist. Die<br />

Auslastung von Lieferrobotern wird sicher im Laufe des Nachmittags zunehmen,<br />

sie wird nicht gleichmäßig über 24 Stunden verteilt sein.<br />

Wo und für welche Güter kann man die Roboter einsetzen?<br />

CLAUSEN: Man kann solche kleinen Roboter nicht über 40, 50 Kilometer<br />

Entfernung sinnvoll fahren lassen, man braucht eine bestimmte Zustelldichte<br />

und eine Infrastruktur. Und natürlich auch die Akzeptanz. Insofern sind<br />

vor dem Regelbetrieb der Lieferroboter sicher noch einige Fragen zu klären.<br />

KAARLEP: Bei der Akzeptanz haben wir in unseren Feldversuchen Erstaunliches<br />

herausgefunden. 80 bis 90 Prozent der Menschen ignorieren<br />

den Roboter tatsächlich komplett. Und die, die einen zweiten Blick auf ihn<br />

werfen, reagieren bemerkenswert positiv. Unsere Roboter können bis zu<br />

zehn Kilogramm Last transportieren. Sie liefern Pakete, Lebensmittel und<br />

Essen. Das sind die drei Bereiche, mit denen wir uns zurzeit beschäftigen.<br />

Herr Clausen, Sie haben errechnet, dass für circa 400 Millionen<br />

Pakete jährlich in Deutschland eine Zustellung per Roboter möglich<br />

ist. Wie sind Sie auf diese Zahl gekommen?<br />

Fotos: Nathalie Bothur, Willing-Holtz<br />

CLAUSEN: Wir haben uns bemüht abzuschätzen,<br />

wie groß der Markt ist. In Relation zur Anzahl der<br />

Haushalte in Deutschland, gut 40 Millionen mit<br />

steigender Tendenz, sind das zehn Zustellungen<br />

pro Jahr im Durchschnitt. Vor dem Hintergrund<br />

des weiter wachsenden Onlinehandels scheint<br />

uns das realistisch.<br />

Welche Infrastruktur benötigt die Zustellung<br />

von Lieferungen mit den Robotern?<br />

KAARLEP: Unser Konzept ist es, einen flexiblen<br />

Bereich zu haben, in dem wir eine größere Zahl<br />

an Robotern abstellen können, sie ihre Batterien<br />

laden können und von wo aus sie losgeschickt<br />

werden, um Lieferungen zuzustellen. Das kann<br />

ein fester oder ein wechselnder Bereich sein, der<br />

aber eine wenig spezifische Ausstattung braucht.<br />

CLAUSEN: Durch eine solche Infrastruktur verkürzt<br />

sich die letzte Meile. Wir werden also<br />

mehr Standorte bekommen, und wir brauchen<br />

natürlich eine Logistik, um diese dann bedarfs-<br />

CLAUSEN: Wir wissen auch nicht, inwieweit<br />

Kunden es chic finden, mit einer Drohne beliefert<br />

zu werden. Es gibt sicher Kunden, die das<br />

gern nutzen, aber es gibt auch Menschen, die<br />

es unangenehm oder sogar bedrohlich finden,<br />

wenn sozusagen Gegenstände über sie hinwegfliegen.<br />

Außerdem muss die Privatsphäre<br />

geschützt werden, und es gibt ein Unfallrisiko.<br />

Auch in der Logistik gibt es neue Allianzen.<br />

Welche wichtigen Player sehen Sie auf dem<br />

Markt?<br />

CLAUSEN: Mit Amazon haben wir einen Onlinehändler, der sich immer<br />

mehr zum Technologie- und Logistikunternehmen entwickelt. Und mit<br />

Starship Technologies etwa ein Start-up, das um eine Idee, ein Bedürfnis<br />

eben, einen Service und ein technologisches Gerät entwickelt und ganzheitlich<br />

ausbaut. Also gleichermaßen aus Erkenntnis und Erfahrung wie<br />

aus Lust auf Neues werden da Innovationen vorangetrieben.<br />

KAARLEP: Es drängen immer mehr multinationale Unternehmen in den<br />

Markt. Alle wollen dasselbe Problem lösen: den Auslieferungsprozess auf<br />

der letzten Meile. Starship Technologies ist ein Player, der das Potenzial<br />

hat, den Same-Day-Delivery-Prozess zu revolutionieren. Zu diesem Zweck<br />

gehen wir Partnerschaften mit starken Unternehmen wie Daimler ein, um<br />

gemeinsam innovative Lieferkonzepte zu entwickeln.<br />

CLAUSEN: Die branchenübergreifende Zusammenarbeit ist sicher der<br />

Schlüssel zu einem modernen Verkehrs- und Logistikkonzept. Güter- und<br />

Personenverkehr nutzen vielfach die gleiche Infrastruktur, werden aber<br />

getrennt voneinander gedacht und entwickelt. Als Verkehrslogistiker<br />

wollen wir systemischer an die Themen herangehen.<br />

50<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

51<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


SMART REGIONS<br />

UMSTEIGEN<br />

STATT AUSSTEIGEN<br />

Bis 2025 will Kopenhagen die erste klimaneutrale<br />

Hauptstadt der Welt werden. Wie man das schafft?<br />

Ohne Verbote und ohne Moralpredigten,<br />

sondern durch GRÜNE MOBILITÄT. Und durch Angebote<br />

im Straßenverkehr, die keiner ablehnen kann<br />

TEXT: CLEMENS BOMSDORF<br />

52<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

Foto: Getty Images


SMART REGIONS<br />

Der Himmel über Kopenhagen ist grau,<br />

die Straßen sind nass, doch das ist<br />

kein Grund, vom Fahrrad zu steigen.<br />

An diesem Tag waren es mittags um 13 Uhr<br />

schon 3721, die zwischen dem Backstein-<br />

Rathaus und dem gläsernen Hauptsitz des<br />

dänischen Unternehmerverbands Dansk Industri<br />

am H. C. Andersens Boulevard vorbeigeradelt<br />

sind. Das steht auf der dunkelgrauen<br />

Infosäule, die am Platz aufgestellt wurde, um<br />

den Kopenhagener Radfahrern zu zeigen,<br />

dass sie eine ziemlich große Gruppe sind.<br />

Einer der 3721 war Morten Kabell, dessen<br />

kurze morgendliche Radtour schon ein paar<br />

Stunden her ist. Jetzt sitzt der 46-Jährige in<br />

seinem Büro, trinkt Tee und erzählt, warum<br />

er stets das Fahrrad nimmt. „Mehr als zehn<br />

Minuten brauche ich nie, um von zu Hause<br />

ins Büro zu kommen. Mit dem Bus ginge es<br />

genauso schnell, mit dem Pkw wäre es wegen<br />

der Parkplatzsuche viel aufwendiger, aber ein<br />

Auto habe ich sowieso nicht. Warum auch?“<br />

Kabell gehört zu den 46 Prozent Kopenhagenern,<br />

die mit dem Rad oder zu Fuß zur Arbeit<br />

kommen. Sein Büro ist so groß wie eine kleine<br />

Wohnung und hat gleich zwei Gesprächsecken.<br />

Das liegt daran, dass Kabell einer der<br />

wichtigsten Politiker der dänischen Hauptstadt<br />

ist: Bürgermeister für Verkehr und Umwelt.<br />

„Mir steht ein Dienstwagen zu, aber den<br />

habe ich abgelehnt und gegen ein Elektrofahrrad<br />

getauscht“, erzählt er und fügt verschmitzt<br />

hinzu: „Kurz hatte ich mir überlegt,<br />

einen offiziellen Autoparkplatz vor dem Rathaus<br />

dafür zu blockieren. Aber das wäre dann<br />

vielleicht doch zu provokant gewesen.“<br />

Kopenhagen hat sich das ehrgeizige<br />

Ziel gesetzt, bis 2025 die erste CO ²<br />

-neutrale<br />

Hauptstadt der Welt zu werden – obwohl es<br />

bis dahin 100 000 Bewohner und 20 000 Arbeitsplätze<br />

mehr geben wird. Angestrebt wird<br />

nicht, gar kein CO ²<br />

mehr auszustoßen. Stattdessen<br />

sollen die Emissionen stark heruntergefahren<br />

werden, während gleichzeitig so viel<br />

grüne Energie produziert wird, dass andern-<br />

=== VERKEHRSBÜRGER­<br />

MEISTER MORTEN<br />

KABELL HAT<br />

<strong>DE</strong>N DIENSTWAGEN<br />

ABGELEHNT UND<br />

DAFÜR EIN E-BIKE<br />

GENOMMEN ====<br />

orts umwelt schädliche Kraftwerke ersetzt werden können. So kann<br />

mindestens ebenso viel CO ²<br />

eingespart werden, wie dann trotz aller<br />

Sparmaßnahmen noch in Kopenhagen ausgestoßen wird. Im Zentrum<br />

steht die Energieproduktion – Fernwärme und Windparks sollen<br />

ausgebaut werden. Aber auch dem Straßenverkehr kommt eine bedeutsame<br />

Rolle zu. „Grøn mobilitet“ ist laut Klimaplan zweitwichtigster<br />

Faktor auf dem Weg zur CO ²<br />

-Neutralität, sie soll elf Prozent zur<br />

Schadstoffreduktion beitragen.<br />

MARKTWIRTSCHAFTLICHE METHO<strong>DE</strong>N<br />

Kabell gehört Enhedslisten an, der linksten aller im dänischen Parlament<br />

vertretenen Parteien. Er möchte die Kopenhagener weder zwangsbeglücken<br />

noch durch Moralisieren dazu bringen, weniger und umweltfreundlicher<br />

Auto zu fahren, sondern setzt auf eine klassisch<br />

marktwirtschaftliche Methode – die Verbesserung des Angebots. „Den<br />

Anteil der in der Stadt Wohnenden, die mit dem Rad pendeln, werden<br />

wir kaum noch erhöhen können. Jetzt kommt es darauf an, die von außerhalb<br />

Anreisenden auf umweltfreundliche Verkehrsmittel zu bekommen“,<br />

so Kabell. Ob sich die Pendler für das Rad oder den öffentlichen<br />

Personennahverkehr (ÖPNV) entschieden, sei gar nicht so wichtig,<br />

Hauptsache, das Auto bleibe stehen. Während in den vergangenen zehn<br />

Jahren der Anteil der Kopenhagener, die mit dem Auto zur Arbeit fahren,<br />

laut Untersuchungen der örtlichen technischen Universität von<br />

36 auf 28 Prozent gefallen ist, liegt dieser Wert bei aus der Umgebung<br />

Anreisenden noch stabil bei knapp über 50 Prozent.<br />

„Wir wollen den Leuten den Umstieg zu emissionsfreien Verkehrsmitteln<br />

leicht machen“, sagt Kabell. Mit einem solchen Angebotsansatz<br />

ist es schon gelungen, im Stadtzentrum ÖPNV und Radeln attraktiver<br />

zu machen: Vor 15 Jahren wurden S-Bahn und Busse durch die erste<br />

1,2<br />

MILLIONEN<br />

Kilometer fahren<br />

alle Kopenhagener<br />

täglich mit<br />

dem Fahrrad<br />

In maximal<br />

600<br />

METER<br />

Entfernung bis zu einer<br />

U-Bahn-Station werden<br />

85 % der Kopenhagener<br />

wohnen, wenn 2019<br />

der Cityring fertiggestellt<br />

sein wird<br />

Fotos: Kristian Ridder-Nielsen, Rasmus Hjortshøj – Coast Studio<br />

Metrolinie ergänzt, 2019 steht mit dem Cityring der nächste große Ausbau<br />

an. Für Fußgänger und Radfahrer wurden in den vergangenen<br />

zehn Jahren gleich mehrere Brücken über das Hafenbecken gebaut, die<br />

für Radler die Routen zwischen den Stadtteilen zum Teil drastisch verkürzen.<br />

Die wichtigsten Radwege wurden erheblich erweitert und sind<br />

nun bis zu fünf Meter breit. An vielen Stellen können Radfahrer nebeneinanderfahren<br />

und trotzdem problemlos überholt werden, an den<br />

Kreuzungen gibt es sogar geteilte Spuren, damit der Radverkehr flüssiger<br />

fließt.<br />

An rund 100 Stellen in der Stadt stehen nicht nur gewöhnliche<br />

Fahrradständer, sondern auch solche für ultramoderne Mieträder, die<br />

mit Tabletcomputer und Elektroantrieb ausgestattet sind. So auch vor<br />

Cykelslangen<br />

(„Fahrrad schlange“)<br />

ist eine 190 Meter<br />

lange Stahlbrücke<br />

für den Radverkehr<br />

über das<br />

Hafen becken<br />

von Kopenhagen<br />

dem imposanten Haupteingang zum burgähnlichen<br />

Rathaus. „Wir sind jetzt vier Tage<br />

lang durch die Stadt gelaufen, heute wollen<br />

wir mal fahren. Vor allem, weil ich Lust auf<br />

ein Elektrorad habe“, erzählt Max Hermans,<br />

der mit seiner Freundin für ein paar Tage aus<br />

Brüssel zu Besuch ist. Er hat sich schon auf eines<br />

der weißen Räder gesetzt, die an sonnigen<br />

Tagen das Stadtbild prägen, und tippt auf<br />

dem Tablet rum, um es auszuleihen. „Es ist<br />

wirklich beeindruckend, wie gut hier alles<br />

organisiert ist, da würde ich auch ständig<br />

54<br />

55<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


Straße mit Radweg<br />

SMART REGIONS<br />

Grüner Radweg 1<br />

Fahrrad-Highway 2<br />

Radfahren möglich<br />

63<br />

PROZENT<br />

der Bewohner<br />

Kopenhagens<br />

fahren mit dem<br />

Fahrrad<br />

In weniger als<br />

15<br />

MINUTEN<br />

können 90 % der<br />

Kopenhagener einen<br />

Park, einen Strand<br />

oder ein Schwimm -<br />

bad erreichen<br />

S-Bahn<br />

Regionalbahn<br />

Metrostation<br />

E-Ladestation<br />

1<br />

Sicheres Radwegenetz abseits der viel befahrenen Straßen 2 Schnelle, komfortable Fahrradstrecken in Kopenhagen und Umgebung<br />

radeln“, sagt seine Partnerin Mathilde Nottebaert. Bis vor ein paar Jahren<br />

gab es in Kopenhagen Räder, die wie Einkaufswagen mit einer Pfandmünze<br />

ausgeliehen werden konnten. Sie fuhren sich nicht so bequem, kosteten<br />

den Nutzer aber nichts und wurden deshalb manchmal einfach im Park zurückgelassen.<br />

Beim „European City Ranking 2015 Best<br />

Practices for Clean Air in Urban Transport“<br />

Das soll mit den neuen, schneeweißen Modellen nicht mehr steht Kopenhagen hinter Zürich auf dem<br />

passieren, schließlich muss sich jetzt jeder namentlich registrieren lassen zweiten Platz der europäischen Großstädte,<br />

und die Räder in speziellen die sich um niedrige Luftverschmutzung und<br />

Ständern parken.<br />

nachhaltigen Verkehr bemühen. „Kopenhagen<br />

Die teure Technik ist allerdings fehleranfällig: Bei Nottebaerts Rad<br />

reagiert das Display nicht, weil es nass ist, bei ihrem Freund gelingt es ist beim Radverkehr weit vorn und auch<br />

beim ÖPNV, der mit dem neuen Metroring<br />

dem System nicht, eine Verbindung aufzubauen, als er seine Kreditkartennummer<br />

sehr ambitioniert ausgebaut wird“, sagt<br />

eingeben will. Die Nutzerzahlen zeugen aber davon, Arne Fellermann, Verkehrsexperte beim<br />

dass die Räder meistens funktionieren: Fast eine Million Fahrten wurden<br />

2016 mit den Mietbikes zurückgelegt. „Gehen wir halt wieder zu<br />

Fuß“, sagt Nottebaert gar nicht ungehalten und erzählt noch, was bei<br />

ihr zu Hause in Brüssel viele vom Radfahren abhalte. „Dort muss man<br />

immer den Autos ausweichen, und die Luft ist unglaublich verschmutzt<br />

– kein Wunder, dass viele lieber im Wagen sitzen.“<br />

Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND),<br />

der in Deutschland das Ranking betreut:<br />

Berlin landet als beste deutsche Stadt auf<br />

Platz fünf direkt vor Stuttgart, Düsseldorf<br />

auf Rang zwölf.<br />

Fellermann lobt auch die strikten Emissionsvorgaben<br />

für Lkw, die nach Kopenhagen<br />

wollen. Lediglich dass es für Pkw keine Beschränkungen<br />

gibt, beanstandet er, was aller­<br />

Foto: Kristian Ridder-Nielsen, Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />

===== FÜR RADFAHRER WUR<strong>DE</strong>N MEHRERE<br />

BRÜCKEN ÜBER DAS HAFEN BECKEN GEBAUT, DIE<br />

DIE ROUTEN ZWISCHEN <strong>DE</strong>N STADTTEILEN<br />

ZUM TEIL DRASTISCH VERKÜRZEN ========<br />

dings die dänische Gesetzgebung nicht zulässt. Ebenfalls positiv: Die<br />

Busse im ÖPNV werden mehr und mehr auf nachhaltige Antriebe wie<br />

Biogas umgestellt. Wer genau hinsieht, kann die schadstoffarmen Modelle<br />

im Stadtverkehr erkennen. Ihre Dächer sind etwas höher als die<br />

normaler Busse – schließlich muss die aufwendigere Technik irgendwo<br />

untergebracht werden. Um Fahrzeughersteller dazu zu bewegen,<br />

auch Müllwagen oder Räumfahrzeuge mit alternativen Antrieben anzubieten,<br />

hat Kopenhagen sich mit nordeuropäischen Städten wie<br />

Hamburg zusammengeschlossen. „Allein sind wir ein zu kleiner<br />

Kunde, aber wenn wir die Nachfrage bündeln, können wir etwas erreichen“,<br />

berichtet Morten Kabell. Von den Pkw, die die Kopenhagener<br />

Behörden nutzen, werden ab diesem Frühjahr knapp 80 Prozent mit<br />

Strom angetrieben.<br />

VERKEHRSDICHTE ANALYSIEREN<br />

Natürlich lässt sich nicht jeglicher Verkehr mit fossilem Antrieb aus der<br />

Stadt verbannen. Mittels IT und sogenannter Smart-City-Lösungen<br />

können aber die Emissionen gesenkt werden. So experimentiert die<br />

Kommune derzeit mit Spezialkameras, die Art und Dichte des Verkehrs<br />

analysieren und dann die Ampeln so schalten, dass etwa Busse möglichst<br />

selten stoppen müssen. Das sorgt für schnelleren öffentlichen<br />

Nahverkehr. Dieses Jahr wird ein System getestet, bei dem Lkw-Fahrer<br />

per App mitgeteilt bekommen, mit welcher Geschwindigkeit sie grüne<br />

Welle haben. „Weniger Stopps senken die Emissionen schwerer Fahrzeuge<br />

erheblich. Davon haben alle Bewohner etwas, und das macht Kopenhagen<br />

auch attraktiver“, so Kabell.<br />

Menschen, nicht Autos ins Zentrum der Stadtplanung zu stellen hat<br />

in der dänischen Hauptstadt Tradition. Davon konnte sich das internationale<br />

Fachpublikum im vergangenen Jahr auch auf der Biennale in<br />

Venedig überzeugen, der wohl wichtigsten internationalen Architekturausstellung.<br />

In einem Raum des dänischen Pavillons wurde eine Videoinstallation<br />

gezeigt, in der der renommierte Stadtplaner Jan Gehl erläutert,<br />

wie er Kopenhagens Fokus vom Auto auf die Bewohner verschoben<br />

hat. Gehl hat auch mitgeholfen, den New Yorker Times Square von einem<br />

klassischen innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt zu einem<br />

Treffpunkt für Leute zu machen. Im Raum gegenüber standen Hunderte<br />

von Architekturmodellen, darunter einige, die zeigten, wie in den<br />

vergangenen Jahren die Stadt Kopenhagen menschenzentrierter und<br />

umweltgerechter gemacht worden ist – vor allem durch die vielen<br />

neuen Fahrradbrücken und die Metro.<br />

„Natürlich freue ich mich, wie gut es für die Umwelt ist, dass wir jeden<br />

Morgen mit dem Rad oder der Bahn zur Arbeit fahren“, erzählt<br />

Nadica Damevska, Store-Managerin bei Starbucks, „aber um ehrlich zu<br />

sein, ist das für mich nur ein Nebeneffekt. Ich mache das, weil es so viel<br />

angenehmer ist, als mit dem Auto zu fahren.“ Damevska wohnt mit<br />

Mann und Tochter im neuen Stadtteil Ørestad, durch den ein Arm des<br />

Metronetzes gebaut wurde. Zu Stoßzeiten gleiten<br />

vor ihrem Wohnzimmerfenster die fahrerlosen<br />

Züge im Vierminutentakt vorbei, die<br />

nächste Station ist nur ein paar Hundert Meter<br />

entfernt. „Am liebsten radle ich zum Job. Dann<br />

bin ich in 13 Minuten da“, sagt Damevska und<br />

schwärmt von ihrem Weg: „Die Tour führt<br />

mich durch einen Park, in dem mir manchmal<br />

Reiter begegnen. Sogar ein Reh habe ich mal<br />

gesehen. Dann geht es auf der Brücke übers<br />

Hafenbecken, und schon bin ich da. Wenn ich<br />

davon Fotos poste, sind die Freunde im Ausland<br />

immer ganz begeistert und können kaum<br />

glauben, dass ich in einer Großstadt lebe.“<br />

Heute allerdings hat sie den Zug genommen,<br />

weil der Wind zu stark war, obwohl sie<br />

mit dem ÖPNV doppelt so lange wie mit dem<br />

Rad unterwegs ist, weil die Bahn nicht Luftlinie<br />

fährt. „Die Tour mit den Öffentlichen ist so<br />

entspannt, dass wir wirklich kein Auto benötigen“,<br />

sagt sie, aber wann immer das Wetter es<br />

zulässt, zieht sie das Rad vor, aus Gründen, die<br />

in keiner Verkehrsplanung auftauchen: „Als<br />

berufstätige Mutter bleibt mir manchmal gar<br />

nicht so viel Zeit, und jede Woche noch Sport<br />

zu treiben, das würde eng werden. Aber die<br />

knappe halbe Stunde auf dem Rad täglich macht<br />

das locker wett.“ <br />

Kopenhagen stellt sein<br />

öffentliches Verkehrssystem<br />

auf nachhaltige Antriebe<br />

um, etwa mit Elektrobussen<br />

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<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


OUTRO<br />

WIR MÜSSEN RE<strong>DE</strong>N …<br />

DR. MATTHIAS SCHUBERT<br />

PARTNERS AND SUPPORTERS<br />

AT A GLANCE<br />

Als unabhängiger Dritter wird der TÜV RHEINLAND<br />

bei der digitalen Mobilität von morgen eine<br />

entscheidende Rolle spielen, ist Dr. Matthias Schubert,<br />

Executive Vice President Mobilität, überzeugt<br />

TEXT: ISABELL SPILKER<br />

1. Sie haben gerade als Executive Vice President das Geschäftsfeld Mobilität<br />

übernommen. Wie wollen Sie es für die Zukunft ausrichten?<br />

Wir haben sehr gut ausgebildete, topmotivierte Mitarbeiter. Mit ihnen möchte ich<br />

unser Geschäft weiterentwickeln. Weil unsere Kunden und ihre Anforderungen<br />

an unsere Dienstleistungen sich rasant entwickeln, ergeben sich spannende<br />

Potenziale. Digitalisierung, autonomes Fahren und Elektromobilität stellen neue<br />

Anforderungen. Wir brauchen neue Organisationsformen, neue Partnerschaften<br />

und viel Kreativität, um die Dienstleistungen von morgen zu entwickeln.<br />

DR. MATTHIAS<br />

SCHUBERT<br />

ist promovierter<br />

Diplom-Kaufmann<br />

und seit April 2017<br />

Executive Vice<br />

President Mobilität<br />

der TÜV Rheinland<br />

AG. Bevor er zum<br />

TÜV kam, arbeitete<br />

er unter anderem<br />

für Michelin und<br />

Euromaster<br />

2. Ihr Vorgänger hat aus der Prüfstand-Sparte den weltweit agierenden Fachbereich Mobilität<br />

gemacht. Wollen Sie diese Entwicklung weiter vorantreiben?<br />

Selbstverständlich mit Vollgas. Es gibt viele Chancen, Mobilität sicherer und ressourcenschonender zu machen.<br />

Und die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrzehnten gesammelt haben, international einzubringen.<br />

3. Einer der Schwerpunkte der Sparte Mobilität des TÜV Rheinland ist die Digitalisierung des<br />

Prüfgeschäfts. Fällt der Beruf des TÜV-Prüfers dem bald zum Opfer?<br />

Sicher nicht, er wird sich verändern. Die Mobilität der Zukunft ist getrieben von Daten, intelligenten Sensoren<br />

und Vernetzung. Fragen der Sicherheit, Integrität von Daten und des Miteinanders von Mensch und Technik<br />

sind von entscheidender Bedeutung. Als unabhängiger Dritter werden wir dabei eine wichtige Rolle spielen.<br />

4. Der TÜV Rheinland beaufsichtigt auch die Führerscheinprüfungen. Wie sehen diese<br />

in Zeiten des autonomen Fahrens aus?<br />

Auch in Zeiten des autonomen Fahrens muss der Fahrer eines Fahrzeugs jederzeit in der Lage sein<br />

einzu greifen. Das heißt, er muss grundsätzlich die Fähigkeit besitzen, ein Fahrzeug zu führen und mit den<br />

vielfältigen Assistenzsystemen zu arbeiten. Fahrausbildung und Fahrerlaubnisprüfung werden sich weiterentwickeln<br />

und verändern. Wir arbeiten hier mit allen Beteiligten zusammen im Sinne der Verkehrssicherheit.<br />

5. Sie haben drei Kinder. Wie erklären Sie denen die Mobilität von morgen?<br />

Zunächst einmal versuche ich, sie für die Errungenschaften der Mobilität von heute zu begeistern.<br />

Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich und untrennbar verbunden mit der Mobilität<br />

von Menschen und Dingen. In diesem Sinne wird sich hoffentlich nicht so viel verändern.<br />

Anstelle von Mama oder Papa, so sage ich ihnen, fährt dich in der Zukunft das Auto zum Hockey.<br />

Fotos: Selina Pfrüner, Shutterstock (2)<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

Messe Frankfurt Exhibition<br />

Verantwortlich<br />

Michael Johannes,<br />

Geschäftsbereichsleiter<br />

Mobility & Logistics<br />

Koordination<br />

Dr. Ann-Katrin Klusak,<br />

Claudia Cermak<br />

Verlag und Anschrift<br />

der Redaktion<br />

HOFFMANN UND CAMPE X,<br />

eine Marke der HOFFMANN UND<br />

CAMPE VERLAG GmbH<br />

Harvestehuder Weg 42,<br />

20149 Hamburg<br />

Amtsgericht Hamburg,<br />

HRB 81308. Sitz: Hamburg<br />

Geschäftsführung<br />

Christian Backen<br />

Alexander Uebel<br />

Objektleitung und<br />

Chefin vom Dienst<br />

Kaja Eilers<br />

Chefredaktion<br />

Michael Hopp<br />

Artdirection<br />

Michèle Hofmann<br />

Bildredaktion<br />

Bernd Dinkel<br />

Claudia Gossmann<br />

Redaktionelle Mitarbeit<br />

Heinz-Jürgen Köhler (Textchef),<br />

Joachim Becker, Clemens Boms -<br />

dorf, Chris Elster, Thomas Fromm,<br />

Michael Radunski, Michael Seitz,<br />

Isabell Spilker, Anja Steinbuch,<br />

Sabrina Waffenschmidt<br />

Schlussredaktion<br />

Sebastian Schulin<br />

Herstellung<br />

Claude Hellweg<br />

Litho<br />

EINSATZ Creative Production<br />

GmbH & Co. KG<br />

Druck<br />

NEEF + STUMME premium<br />

printing GmbH & Co. KG<br />

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<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY<br />

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<strong>EVENTS</strong><br />

DRIVING MOBILITY


Mobility<br />

& Logistics<br />

Fairs, conferences, events & festivals,<br />

developed for you and your business worldwide.<br />

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