EVENTS driving mobility (DE)
Magazin der Messe Frankfurt
Magazin der Messe Frankfurt
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Events<br />
Events<br />
MESSE FRANKFURT<br />
DRIVING MOBILITY<br />
DRIVING MOBILITY<br />
NEW MOBILITY IS ...<br />
Im Zeichen der Vernetzung bisher unterschiedener<br />
Branchen entstehen in rasender Geschwindigkeit<br />
neue Konzepte und Geschäfts modelle. Welche<br />
werden sich durchsetzen?<br />
A PEOPLE´S BUSINESS<br />
Technologie wird oft als Treiber bezeichnet,<br />
doch eigentlich sind es die kreativen<br />
Köpfe, die den Unterschied machen. Wer sind<br />
die spannendsten Vordenker weltweit?
OVERVIEW<br />
52<br />
Öko-Metropole<br />
Bis 2025 will<br />
Kopenhagen die<br />
erste klimaneutrale<br />
Hauptstadt werden<br />
OVERVIEW<br />
OVERVIEW<br />
6 People: Die South-by-Southwest-<br />
Konferenz in Austin (USA)<br />
CONNECTIVITY<br />
8 Jeder mit jedem: Wie sich<br />
Branchen vernetzen<br />
Die digitale Transformation verändert die Welt der Mobilität dramatisch.<br />
Vernetzte Fahrzeuge und das Fernziel autonomes Fahren treiben die<br />
Automotive Industry massiv um. Um eine Plattform zu schaffen, auf der solche<br />
disruptiven Veränderungen diskutiert werden, erweitert die Messe Frankfurt<br />
ihr Messeangebot in den Bereichen Automotive und Transport & Logistics –<br />
bestehend aus über 30 Veranstaltungen weltweit – um Hypermotion.<br />
Diese neue Fachmesse versteht sich als Forum für die digitale Transformation im<br />
Verkehrsbereich und wendet sich an Marktteilnehmer aus dem Automotive-<br />
Bereich genauso wie aus Verkehr, Logistik, Mobilität, Infrastruktur, Transport<br />
und IT-Branche. Nicht erst seitdem Konzerne wie Apple und Google auf den<br />
Mobilitätsmarkt drängen, sind tradierte Marktschranken hinfällig geworden.<br />
Die branchenübergreifende Vernetzung ist eines der entscheidenden Themen<br />
dieses Magazins, das begleitend und hinführend zur Hypermotion erscheint.<br />
Darin finden Sie Themen der Hypermotion sortiert nach den Kategorien,<br />
die auch die Messe strukturieren werden. Ich wünsche Ihnen eine anregende<br />
Lektüre und freue mich, Sie vom 20. bis 22. November 2017<br />
in Frankfurt auf der Hypermotion zu begrüßen!<br />
<strong>DE</strong>TLEF BRAUN,<br />
Geschäftsführer der<br />
Messe Frankfurt GmbH<br />
Cover: Istockphoto; Fotos: Messe Frankfurt, Thies Rätzke / VISUM, Lars Krüger / Carlo Ratti Associati, Rasmus Hjortshøj – Coast Studio, ZF / Felix Kästle, Illustration: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />
13<br />
Chief Digital Officers<br />
wie Mamatha<br />
Chamarthi bei<br />
ZF treiben die Transformation<br />
voran<br />
36<br />
Fast neun Millionen Standard -<br />
container wurden 2015 im<br />
Hamburger Hafen umgeschlagen<br />
14 Moovel: Vom Autohersteller<br />
zum Mobilitätsdienstleister<br />
16 Stadt ohne Ampeln:<br />
Digitalisierung und urbane<br />
Lebensräume<br />
20 Mein Auto versteht mich – nicht:<br />
Experte Charlie Ortiz über die<br />
Sprachsteuerung im Fahrzeug<br />
22 „Flirten ist nur ein Nebeneffekt“:<br />
Das Innovationen<br />
Institut von Dr. Axel Glanz<br />
MONITORING & TRANSPARENCY<br />
24 Hallo, Schaden: Wie<br />
Predictive Maintenance den<br />
Aftermarket verändert<br />
DATA ANALYTICS & SECURITY<br />
28 „Daten in eine sinnvolle Ordnung<br />
bringen“: Big Data für Mobilität<br />
30 Vom Hacker zum Sicherheitsberater:<br />
Chris Valasek und sein<br />
legendärer Jeep-Hack<br />
34 Und was hab ich davon? Digitale<br />
Mobilität aus Verbrauchersicht<br />
34<br />
Studie Wie Endverbraucher<br />
die digitale<br />
Mobilität sehen<br />
HYPERMODALITY<br />
36 Viel mehr als nur Wasserwege:<br />
der Hamburger Hafen<br />
SUSTAINABILITY<br />
38 Elektrotherapie: In China<br />
werden E-Autos Pflicht<br />
44 „Das Auto der Zukunft ist eher<br />
ein Minibus“: Digital experte<br />
Christoph Bornschein<br />
46 Der 10-Milliarden-Dollar-Markt:<br />
Batterien für E-Mobility<br />
SYNCHRONIZED LOGISTICS<br />
48 Interview: Wie Roboter & Co.<br />
die letzte Meile überwinden<br />
SMART REGIONS<br />
52 Umsteigen: Kopenhagen wird<br />
Öko-Metropole<br />
OUTRO<br />
58 Fünf Fragen an … Dr. Matthias<br />
Schubert, TÜV Rheinland<br />
16<br />
Stadtplaner und<br />
MIT-Forscher Carlo<br />
Ratti über die<br />
Städte von morgen<br />
2<br />
3<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
OVERVIEW<br />
HYPERMODALITY<br />
MEGATREND<br />
<strong>DE</strong>KARBONISIERUNG<br />
MONITORING &<br />
TRANSPARENCY<br />
DATA ANALYTICS &<br />
SECURITY<br />
MEGATREND<br />
DIGITALISIERUNG<br />
CONNECTIVITY<br />
HYPERMOTION<br />
HYPERMOTION<br />
EINE NEUE MESSE<br />
FÜR NEUE MOBILITÄT<br />
Unser Verkehrssystem steht vor einem radikalen Wandel.<br />
Angetrieben durch Digitalisierung und Dekarbonisierung,<br />
entstehen neue vernetzte, integrierte und multimodale<br />
Mobilitätslösungen. Um diese Veränderungen abzubilden<br />
und Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu<br />
diskutieren, veranstaltet die Messe Frankfurt eine<br />
neue Fachmesse mit begleitenden Kongressen zu den<br />
Themen Digitalisierung, ITS (intelligente Transportsysteme)<br />
und Intermodalität: die Hypermotion, die vom<br />
20. bis 22. November 2017 in Frankfurt stattfindet.<br />
SUSTAINABILITY<br />
Illustration: Messe Frankfurt<br />
SMART REGIONS<br />
SYNCHRONIZED<br />
LOGISTICS<br />
Leitmesse für die digitale Transformation<br />
für Logistik, Mobilität<br />
und intelligente Transportsysteme<br />
AUSSTELLER: Automobil -<br />
hersteller und -zulieferer, Infra struktur-,<br />
Software- und Elektro unter nehmen,<br />
Kommunen, Universitäten,<br />
Forschungs einrichtungen, Start-ups<br />
BESUCHER: Experten aus<br />
Ver kehrs betrieben, IT-Unternehmen,<br />
Politik, Forschung und Entwicklung,<br />
Studenten und Schüler, interessierte<br />
Öffentlichkeit<br />
MESSE FRANKFURT mit rund<br />
30 Mobility&Logistics-Veran staltungen<br />
weltweit und Vertriebs -<br />
partnern in über 150 Ländern<br />
HYPERMOTION<br />
VOM 20. BIS 22. 11. 2017<br />
IN FRANKFURT<br />
4<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
5<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
OVERVIEW<br />
OVERVIEW<br />
DANNY SHAPIRO<br />
Superschnelle Chips<br />
machen Nvidia aktuell zu<br />
einem begehrten Partner der<br />
Autoindustrie. Senior Director<br />
Automotive Danny Shapiro<br />
und sein Team ermöglichen<br />
damit hochkomplexe<br />
Anwendungen wie das<br />
autonome Fahren.<br />
www.nvidia.com<br />
BLICK NACH VORN<br />
Die Autowelt entdeckt die Digitalmesse<br />
SOUTH BY SOUTHWEST (SXSW). Dort präsentiert<br />
sich eine bunte und revolutionäre Zukunft<br />
Neue Welt: Viele Messe -<br />
stände zeigten Anwendungen<br />
für Virtual Reality<br />
Das Austin<br />
Convention<br />
Center bildet<br />
das Zentrum<br />
der Messe<br />
SXSW<br />
=== DIGITALISIERUNG<br />
VERÄN<strong>DE</strong>RT UNSER<br />
LEBEN UND GANZE<br />
BRANCHEN ======<br />
Mission Mars<br />
Auf der SXSW ist auch die bemannte<br />
Raumfahrt der NASA ein Thema<br />
Mobil im All: Nur etwa<br />
200 Meilen entfernt vom NASA-<br />
Hauptquartier in Houston<br />
berichtete die Astronautin<br />
Jessica Meir gemeinsam mit<br />
Systemmanagern und Ingenieuren<br />
der amerikanischen Weltraumbehörde<br />
über den aktuellen Stand<br />
des Projektes Orion zur Erforschung<br />
des Roten Planeten. Die<br />
Zuhörer erfuhren so aus erster<br />
Hand Details über die Belastungen<br />
und die Vorbereitung für eine<br />
jahrelange Reise durchs All. Neben<br />
der psychischen und physischen<br />
Seit 2013<br />
gehört<br />
die Wissenschaftlerin<br />
Jessica Meir<br />
zu den NASA-<br />
Astronauten<br />
Anstrengung für die Besatzung<br />
berichteten die Referenten auch<br />
Digitalität verändert alles: Seit<br />
Karriere gestartet, und im vorigen<br />
gerade den größten Umbruch seit<br />
die Bedeutung präziser Karten<br />
über Ernährung, Logistik und<br />
ARWED NIESTROJ<br />
Geteilte Mobilität mithilfe<br />
von Digitalisierung<br />
und Vernetzung gilt auch für<br />
Mercedes-Benz als zunehmend<br />
wichtiges Geschäftsfeld.<br />
Arwed Niestroj leitet das<br />
Entwicklungszentrum des<br />
Automobilherstellers im<br />
Silicon Valley und erforscht<br />
dort neue Technologien für<br />
die Mobilität der Zukunft.<br />
www.daimler.com<br />
GORDON DAUGHERTY<br />
Digitale Vordenker und eine<br />
erfolgreiche Gründerszene<br />
sind ein fester Bestandteil von<br />
Austin. Gordon Daugherty<br />
leitet mit Capitalfactory eine<br />
Start-up-Fabrik, die Entrepreneure<br />
umfassend unterstützt.<br />
Auf der SXSW präsentierte<br />
er einige erfolgversprechende<br />
Newcomer der App-Szene.<br />
www.capitalfactory.com<br />
30 Jahren treffen sich Musiker,<br />
Filmemacher und Kreative auf<br />
der Messe South by Southwest in<br />
Austin. In den letzten Jahren kamen<br />
auch immer mehr Erfinder,<br />
Entwickler und Entrepreneure<br />
aus der Digitalbranche<br />
nach Texas. Unter anderem<br />
hat hier Twitter seine<br />
Trotz digitaler<br />
Devices erregen<br />
auch analoge<br />
Spielzeuge Aufsehen<br />
Frankfurt trifft Austin<br />
Durch Talks mit Vordenkern und Kreativen unter dem Motto CONNECTED MOBILITY<br />
präsentierte sich auch die Frankfurter Messe auf dem Zukunftskongress in Texas<br />
Messe im Wandel: Die SXSW<br />
ist eine inspirierende Mischung<br />
aus Musikfestival, Vor trägen,<br />
Ausstellungen und Kongress. In<br />
diesem Umfeld präsentierte<br />
sich auch die Messe Frankfurt mit<br />
einer eigenen Vortragsreihe.<br />
Unter dem Motto „Connected<br />
Mobility“ diskutierten prominente<br />
Redner in Anwesenheit des<br />
Messe-Frankfurt-Geschäftsführers<br />
Detlef Braun über die wichtigsten<br />
Mobilitäts trends der Zukunft.<br />
Jahr sprach der damalige US-Präsident<br />
Barack Obama zur kreativen<br />
Weltgemeinde.<br />
Die allgegenwärtige Digitalisierung<br />
und Vernetzung lockte in diesem<br />
Jahr auch die Automobilbranche<br />
nach Texas.<br />
Denn das Geschäft mit<br />
Automobilen erlebt<br />
seiner Erfindung. Der Verkauf und<br />
der exklusive Besitz von Fahrzeugen<br />
wandeln sich zu vielfältigen<br />
und individuellen Mobilitätsdienstleistungen.<br />
Vernetzte, intelligente<br />
und autonom fahrende Flotten<br />
ermöglichen neue<br />
Geschäftsmodelle. Die Autohersteller<br />
müssen sich rüsten für<br />
den Wettstreit mit digitalen Weltkonzernen<br />
wie Google oder<br />
Apple und frechen Start-ups wie<br />
Uber. In diesem Jahr erklärte unter<br />
anderem Daimler-Boss Dieter<br />
Die Zuhörer erhielten wertvolle<br />
Einblicke zur Forschung über<br />
künstliche Intelligenz, zur Sharing-<br />
Economy und zum autonomen<br />
Fahren. Themen, die auch die<br />
Frankfurter Messen wie die weltweit<br />
präsente Automechanika<br />
oder die neue Messe Hypermotion<br />
im November stark beeinflussen.<br />
Detlef Braun, Geschäftsführer<br />
der Messe Frankfurt, begrüßt<br />
die Gäste zum Mobility Talk<br />
Fotos: ddp images, Getty Images/2017 Tim Mosenfelder/2017 Bloomberg Finance LP/2017 Diego Donamaria (3), David Paul Morris/Bloomberg, NASA (2),<br />
James Blair/NASA, Daimler AG, Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, PR (2), Shutterstock<br />
für zukünftige Mobilitätslösungen.<br />
Auch Bill Ford sprach über<br />
die Zukunft des Automobils und<br />
positionierte seinen Konzern so<br />
im Wettstreit um kreative Ideen.<br />
Dass autonome Autos nur<br />
noch eine Frage der Zeit sind, darin<br />
waren sich Redner und Besucher<br />
einig. Viele Optimisten hoffen<br />
dadurch auf lebenswertere<br />
Städte mit weniger Verkehr und<br />
mehr Grün – auch hier dient<br />
Austin als Vorbild.<br />
KÜNSTLICHE<br />
INTELLIGENZ<br />
Als faszinierend und ein<br />
wenig unheimlich empfanden<br />
viele Besucher die<br />
Vorträge über die schnellen<br />
Fortschritte im Bereich der<br />
künstlichen Intelligenz. Für<br />
autonom fahrende Autos ist<br />
diese allerdings essenziell.<br />
technische Herausforderungen.<br />
Analoge<br />
Landkarten<br />
sorgen heute<br />
für Heiterkeit<br />
Zum Lernen nach Texas<br />
Der älteste Autokonzern der Welt sucht nach neuen<br />
I<strong>DE</strong>EN UND INSPIRATION für seine Zukunft<br />
Dabei sein ist alles: Für seinen<br />
Auftritt hat sich Dieter Zetsche<br />
eigens Cowboystiefel aus<br />
Straußenleder zugelegt – das kam<br />
gut an bei den jungen Zuhörern in<br />
Austin. Der Daimler-Boss sprach<br />
über Ideen und Kooperationen für<br />
eine sich immer schneller verän -<br />
dern de Zukunft. Als Basis für neue<br />
Dienste präsentierte er die<br />
präzisen Karten des erst kürzlich<br />
von Daimler, Audi und BMW übernommenen<br />
Kartendienstes Here.<br />
Die vernetzten und in Echtzeit<br />
aktualisierten Karten ermöglichen<br />
Anwendungen wie das autonome<br />
Fahren. „Wir sind hier, um zu<br />
lernen und zu zeigen, wie sich<br />
unsere Firma verändert“, bemerkte<br />
Zetsche abschließend.<br />
FAKTEN<br />
SXSW<br />
Musik Die South by<br />
Southwest startete<br />
1987 als Musikfestival.<br />
Austin gilt als Amerikas<br />
Musikhauptstadt<br />
mit Hunderten Bühnen<br />
und Klubs.<br />
Kongress Die Be -<br />
sucherzahlen steigen<br />
jährlich im zweistelligen<br />
Prozentbereich.<br />
2017 gestalteten<br />
über 2000 Referenten<br />
Vorträge und interaktive<br />
Workshops.<br />
Zukunftsthemen Die<br />
Vielfalt nimmt mit<br />
jedem Jahr zu. Außer<br />
um Musik und Film<br />
geht es inzwischen<br />
um Neue Medien,<br />
Webentwicklung,<br />
Marketing und Design.<br />
Neuerdings zeigt sich<br />
auch die Autoindustrie.<br />
6<br />
7<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
Fotos: Getty Images; Illustrationen: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />
JE<strong>DE</strong>R MIT<br />
JE<strong>DE</strong>M<br />
Mobilitätsdienstleister Uber kauft das Start-up<br />
Otto, das Technologien für selbstfahrende<br />
Lkw entwickelt. BMW und Sixt arbeiten bei<br />
DriveNow zusammen. ZF kooperiert mit Nvidia.<br />
Die Digitalisierung von Mobilität und Logistik<br />
lässt neue VERNETZUNGEN entstehen, die die<br />
traditionellen Branchengrenzen überschreiten<br />
TEXT: THOMAS FROMM<br />
John Krafcik,<br />
CEO von Googles<br />
Auto tochter<br />
Waymo, stellt den<br />
neuen Chrysler<br />
Pacifica vor, in dem<br />
so viel Google-<br />
Technik verbaut ist<br />
wie in keinem<br />
anderen Auto<br />
Früher, und es ist noch gar nicht so lange<br />
her, waren Automanager gern und<br />
meistens unter sich. Wenn sie sich auf<br />
Automessen in Detroit, Frankfurt oder Genf<br />
trafen, redeten sie über Motoren und PS, maßen<br />
mit kleinen Linealen Fugen aus und sprachen<br />
über ihr letztes Rennen in einem Sportboliden.<br />
Natürlich blieben sie Rivalen und<br />
schenkten einander nichts. Aber irgendwie<br />
verstanden sie sich auch als Teil einer erlesenen<br />
Gemeinschaft: Rotwein und Zigarren in<br />
Genf, viele gute Gespräche, meet and greet.<br />
Doch die Dinge haben sich verändert. Man<br />
redet zwar immer noch meistens über Autos,<br />
aber man ist dabei nicht mehr unter sich. Das<br />
hat damit zu tun, dass es bei Autos nicht mehr<br />
nur allein um Autos geht. Aus Fahrzeugen<br />
werden gerade Mobile Devices, Computer auf<br />
vier Rädern, Infotainment-Center, selbstfahrende<br />
Roboter, fahrende Rechenzentren. Und<br />
das mischt die Szene auf.<br />
Zum Beispiel an einem Sonntag Mitte<br />
Januar in München. Draußen liegt hoher<br />
Schnee, als drei Männer, die einander bis vor<br />
Kurzem nur wenig zu sagen hatten, auf die<br />
Bühne der Netzkonferenz DLD steigen – der<br />
BMW-Vorstand Klaus Fröhlich, Intel-Chef Brian<br />
8<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
9<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
„Wir brauchen ein<br />
gemeinsames<br />
Vor gehen“: BMW-<br />
Entwicklungs vorstand<br />
Klaus Fröhlich<br />
WER MIT WEM –<br />
PARTNER <strong>DE</strong>R<br />
VERNETZUNG<br />
Krzanich und Amnon Shashua, Gründer des israelischen Kamera spezialisten<br />
Mobileye. Fröh lich, der einzige „Car Guy“ in der Runde, sagt: „Keiner ist so<br />
clever wie alle anderen um ihn herum.“ Das klingt sehr bescheiden, aber es<br />
ist vor allem sehr vernünftig: Für die Autos von morgen braucht man Partnerschaften,<br />
Kooperationen, Know-how von allen Seiten.<br />
Deshalb entstehen gerade Partnerschaften, die man früher nicht<br />
für möglich gehalten hätte: Waymo, eine Tochter der Google-Mutterholding<br />
Alphabet, ist im Konzern zuständig für selbstfahrende Autos<br />
und arbeitet jetzt mit Fiat Chrysler zusammen. Gemeinsam rüsten sie<br />
gerade eine erste Minivan-Flotte zu autonomen Autos hoch. Die Arbeitsteilung<br />
geht so: Google liefert Sensoren und Software, Chrysler-<br />
Leute sehen zu, dass ihre Autos so gebaut werden, dass die neuen<br />
Komponenten hineinpassen. Einige in der Branche sehen das skeptisch.<br />
Eine Großkooperation ausgerechnet mit Google? Andererseits:<br />
Es passt in diese Zeit.<br />
DIE LETZTE GÜLTIGE REGEL: ANYTHING GOES<br />
Nvidia, ein Chip- und Grafikausrüster, der bis vor Kurzem vor allem<br />
für seine Computerspiel-Kompetenz bekannt war, ist heute ein Partner<br />
von Audi und ZF Friedrichshafen. Der früher sehr analoge Zulieferer<br />
ZF kooperiert außerdem mit der Mitfahrcommunity BlaBlaCar.<br />
Und die Koreaner von Hyundai lassen sich gerade vom IT-Ausrüster<br />
Cisco vernetzen. „Anything goes“ – wenn es überhaupt noch eine Regel<br />
in der Branche gibt, dann diese.<br />
BMW, Intel, Mobileye – es sind drei sehr unterschiedliche Unternehmen,<br />
die stellvertretend für das stehen, was gerade in der Branche<br />
passiert. BMW will im Jahr 2021 selbstfahrende Autos auf die Straße<br />
bringen, schon in der zweiten Jahreshälfte 2017 sollen die ersten Testfahrzeuge<br />
fahren. Dafür braucht man das Know-how der IT-Firmen.<br />
Intel baut die Chips, Mobileye liefert die Technik, mit der Autos den Verkehr,<br />
die Straße, Fußgänger und alles andere im Blick haben können.<br />
Umfelderkennung heißt das bei autonomen Autos. Die Logik der<br />
Liaison ist ganz einfach: Wenn im Auto Blech und IT zusammenwachsen,<br />
müssen auch die Unternehmen enger zusammenrücken. „Wir<br />
brauchen unbedingt ein gemeinsames Vorgehen und eine offene Plattform<br />
bei der Entwicklung des autonomen Fahrens“, fordert BMW-Chefentwickler<br />
Fröhlich. „Wenn alle alles getrennt machten, würde die Industrie<br />
Milliarden verschwenden.“<br />
Plattformen, nicht alles getrennt machen<br />
– das war schon im vergangenen Jahr so, als<br />
Audi, BMW und Daimler an die drei Milliarden<br />
Euro für den Nokia-Kartendienst Here<br />
auf den Tisch legten. Ausgerechnet die drei<br />
großen Rivalen im Premiummarkt, die sich<br />
seit Jahrzehnten vor allem voneinander abgrenzen,<br />
die in München „Freude am Fahren“<br />
beschwören, in Ingolstadt den „Vorsprung<br />
durch Technik“ und in Stuttgart „Das Beste<br />
oder nichts“ behaupten, teilen sich nun die<br />
Digitalkarten, ohne die Orientierung beim<br />
autonomen Fahren nicht klappt. Das allein<br />
zeigt, dass man manchmal über den eigenen<br />
Schatten springt, weil es Dinge in der neuen<br />
Autowelt gibt, die man ungern Google oder<br />
Apple überlässt. Oberstes Ziel: Die Hoheit, die<br />
man im Auto seit Jahrzehnten hat, will man<br />
auch in Zukunft behalten. Wenn es sich irgendwie<br />
ergibt, arbeiten traditionelle Autounternehmen<br />
also lieber mit anderen traditio<br />
nellen Autofirmen zusammen als mit den<br />
neuen Spielern aus dem Silicon Valley. Aber<br />
es ergibt sich eben nicht immer.<br />
Denn der Wandel kostet die Industrie<br />
nicht nur Milliarden. Wenn BMW-Vorstand<br />
Fröhlich sagt, dass man nicht alles allein<br />
schaffen könne, geht es auch darum: BMW ist<br />
nun mal kein IT-Start-up-Unternehmen aus<br />
dem Valley, da kann man noch so viele Krawatten<br />
abnehmen und Kapuzenpullis tragen.<br />
Und Chips, Sensoren und intelligente Kameras<br />
gehören auch nicht zum Kerngeschäft.<br />
Ohne sie geht es aber in Zukunft nicht mehr.<br />
Es dauerte, bis sich in den Vorstandsetagen<br />
der Autokonzerne die Einsicht durchsetzte,<br />
dass es nur mit Motoren, PS und Drehmomenten<br />
langfristig nicht mehr getan ist.<br />
Die Generation Smartphone will vernetzte<br />
Autos, das sportliche Durchstarten an der<br />
Ampel hat für sie nicht mehr die oberste Priorität.<br />
Viele, vor allem junge Metropolenbewohner,<br />
Fotos: BMW Group; Illustrationen: Carolin Eitel/WILDFOX RUNNING<br />
Automobilhersteller mit Internetkonzernen,<br />
Zulieferer mit<br />
Chip produzenten – eine Momentaufnahme<br />
aus einer Branche,<br />
die täglich neue Kooperationen<br />
und Vernetzungen verkündet<br />
Apple und Google bieten<br />
mit ihren Plattformen<br />
CarPlay und Android Auto<br />
für alle Autohersteller<br />
Programme an, mit denen<br />
sich Smartphones und<br />
Autos verknüpfen lassen.<br />
Audi, BMW und Daimler<br />
haben sich mit den<br />
Netzwerkausrüstern<br />
Ericsson, Huawei und Nokia<br />
sowie mit den Chipbauern<br />
Intel und Qualcomm<br />
zur „5G Automotive Association“<br />
zusammengeschlossen,<br />
um den Ausbau<br />
des Mobilfunkstandards<br />
5G voranzutreiben.<br />
Audi, BMW und Daimler<br />
haben für rund drei<br />
Milliarden Euro den<br />
interaktiven Kartendienst<br />
Here gekauft.<br />
BMW arbeitet mit dem<br />
IT-Konzern Intel und dem<br />
israe lischen Kameraspezialisten<br />
Mobileye an<br />
selbst fahrenden Autos.<br />
In der zweiten Jahreshälfte<br />
2017 sollen 40 Testwagen<br />
auf die Straße, serienreife<br />
Autos ab 2021 gebaut<br />
werden.<br />
BMW und Sixt betreiben<br />
gemeinsam den Carsharing-Dienst<br />
DriveNow.<br />
BMW und Daimler<br />
überlegen angeblich, bei<br />
ihren Carsharing-Diensten<br />
Car2go und DriveNow<br />
künftig zu kooperieren.<br />
BMW, Daimler, Ford<br />
und VW wollen<br />
zusammen ein europa -<br />
weites Netz aus Tausenden<br />
von Lade stationen für<br />
Elektroautos aufbauen.<br />
Daimler arbeitet mit<br />
Uber zusammen.<br />
Der Taxivermittler will<br />
zukünftig autonome<br />
Fahrzeuge des Herstellers<br />
einsetzen. Außerdem ist<br />
Daimler bei Starship<br />
Technologies eingestiegen,<br />
einem Entwickler<br />
von Lieferrobotern.<br />
Google kooperiert mit<br />
dem Automobilhersteller<br />
Fiat Chrysler.<br />
Der Internetkonzern hat<br />
seine Aktivitäten für<br />
selbst fahrende Autos in<br />
die Einheit Waymo<br />
ausgegliedert und rüstet<br />
100 Chrysler Pacifica<br />
mit seinen Robotersystemen<br />
zu autonomen<br />
Autos auf. Als nächster<br />
Google-Partner im<br />
Gespräch: Honda.<br />
Hyundai lässt sich<br />
seine Autos in Zukunft<br />
von dem amerikanischen<br />
IT-Ausrüster Cisco<br />
ver netzen.<br />
Microsoft kooperiert<br />
mit Renault-Nissan,<br />
um die Autos des Herstellers<br />
zu vernetzen.<br />
Nvidia entwickelt<br />
zusammen mit ZF eine<br />
Plattform für künstliche<br />
Intelligenz für Fahrzeuge.<br />
Mit VW arbeitet der Chip -<br />
hersteller an einer Technologie,<br />
die das Verhalten<br />
der Fahrer erken nen und<br />
verstehen soll. Und mit<br />
Audi an einer Software,<br />
die als Kopilot dem Fahrer<br />
assistiert.<br />
Tesla hat den rheinlandpfälzischen<br />
Maschinenbauer<br />
Grohmann Engineering<br />
gekauft, einen<br />
Experten auf dem Gebiet<br />
der automatisierten<br />
Fertigung, der Tesla<br />
beim Produktionsausbau<br />
helfen soll.<br />
ZF bietet jetzt auch<br />
Mobilitätsdienstleistungen<br />
an und arbeitet für seine<br />
Mobilitäts-App uflip<br />
zusammen mit BlaBlaCar.<br />
10<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
11<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
wollen nicht einmal mehr ein eigenes Auto besitzen und mieten oder teilen<br />
sich lieber eines. Früher bedeutete ein Auto Freiheit. Heute fühlen sich viele<br />
freier, wenn sie keins besitzen. BMW und Daimler haben das schon früh erkannt<br />
– Daimler gründete den Carsharing-Dienst Car2go, BMW eröffnete<br />
mit dem Autovermieter Sixt seinen Dienst DriveNow. Vor einiger Zeit kursierten<br />
Gerüchte, die beiden könnten ihre Dienste zusammenlegen. Bislang<br />
wurde das dementiert, aber kann man in diesen Zeiten des Umbruchs noch<br />
irgend etwas ausschließen?<br />
TECHNOLOGIEPLATTFORMEN FÜR AUTONOME AUTOS<br />
Für die Zukunft braucht man viel Geld und viel Know-how. Deshalb<br />
betont John Krafcik, Chef der Google-Autotochter Waymo, bei jeder<br />
Gelegenheit: Es gehe jetzt darum, eine „sichere Technologieplattform“<br />
für selbstfahrende Autos zu bauen. Auch BMW-Mann Fröhlich spricht<br />
von Plattformen. Sie gelten in der Branche derzeit als Basis für eine<br />
Entwicklung, von der man noch nicht weiß, wo und wie sie enden wird.<br />
Die Frage ist längst nicht mehr, ob es diese Plattformen – technologisch,<br />
betriebswirtschaftlich, personell – in Zukunft geben wird oder<br />
nicht. Die Frage lautet vielmehr: Wer wird sie beherrschen? Die Autohersteller,<br />
so viel steht fest, haben die Herausforderungen angenommen<br />
und gehen in die Offensive. Sie kooperieren mit IT-Firmen, um zu<br />
verhindern, dass andere IT-Firmen in ihr Geschäftsfeld drängen.<br />
So kann man sich auch die Dreierkooperation von BMW mit Intel<br />
und Mobileye erklären: als ein Bündnis gegen Google. Plattformen bilden,<br />
die Angreifer mit ihren eigenen Waffen schlagen – so funktioniert<br />
die Verteidigungsstrategie. Denn das schlimmste Szenario der Hersteller<br />
geht so: Was, wenn wir uns den IT-Konzernen komplett ausliefern?<br />
Wenn es zu schweren Pannen und Unfällen kommt, nur weil die<br />
IT nicht stimmt? Dies würde die breit aufgestellten IT-Giganten vielleicht<br />
weniger belasten, aber den in Jahrzehnten aufgebauten guten<br />
Ruf der Autokonzerne ruinieren. Und was, wenn man irgendwann nur<br />
noch ein reiner Blechbieger ist, nur noch dazu da, die Hüllen zu liefern für<br />
das große Daten geschäft der Googles und Apples?<br />
==== DIE FRAGE LAUTET NICHT,<br />
OB ES PLATTFORMEN<br />
GEBEN WIRD. SON<strong>DE</strong>RN<br />
WER SIE IN ZUKUNFT<br />
BEHERRSCHT =======<br />
Schon jetzt rechnen Experten vor: Das<br />
große Geschäft wird in Zukunft erst nach<br />
dem Verkauf eines Autos beginnen – dann,<br />
wenn man die Daten vergoldet, die in diesem<br />
Auto entstehen. Zugriff auf die Daten wollen<br />
deshalb alle haben: Intel, Google, Apple, Microsoft.<br />
Und die Autobauer sowieso. Autos<br />
bauen, ganz neue Geschäftsfelder suchen,<br />
von Carsharing-Diensten, Parkservice-Angeboten,<br />
Taxi-Apps bis zu Infotainment-Anbietern<br />
– die Hersteller suchen nach neuen<br />
Wegen, um Geld zu verdienen, und damit<br />
kommen sie den IT-Konzernen gefährlich<br />
nahe und müssen sich ungewöhnliche Fragen<br />
anhören. Bei der Münchner Digitalkonferenz<br />
DLD im Januar fragte der US-amerikanische<br />
Journalist und Medienexperte Jeff Jarvis, ob<br />
aus BMW jetzt ein Medienunternehmen werde.<br />
Nein, sagte BMW-Vorstand Fröhlich, ein<br />
Mobilitätsdienstleister, aber kein Medienhaus.<br />
Das bedeutet: Dass man Amazon Prime<br />
im Auto nutzen kann, heißt noch nicht, dass<br />
BMW jetzt auch Inhalte produziert.<br />
Denn eigentlich sind sie immer noch<br />
Auto hersteller und wollen auch gar nichts anderes<br />
sein. Wer in diesen Tagen mit Automanagern<br />
spricht, hört oft eine These, die<br />
Selbst bewusstsein ausstrahlen soll: Es sei<br />
doch einfacher, sich Software in den Wagen<br />
zu holen, als selbst so einen Wagen zu bauen.<br />
Gute Autos, das sollen die aus dem Silicon Valley<br />
erst einmal versuchen! <br />
Aktiv: Uber-CEO Travis Kalanick<br />
kauft sich bei einem<br />
Logistik-Start-up ein und<br />
kooperiert mit Daimler<br />
Fotos: Bloomberg / Getty Images, ZF / Felix Kästle; Illustrationen: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />
FRISCHER WIND<br />
VON VERSCHIE<strong>DE</strong>NEN<br />
SEITEN<br />
Mamatha Chamarthi, CHIEF DIGITAL OFFICER der<br />
ZF Friedrichshafen AG, über die Herausforderungen an<br />
einen Zulieferer und ihre Aufgaben im Konzern<br />
MAMATHA<br />
CHAMARTHI<br />
wurde in Indien<br />
geboren. In den<br />
USA startete sie als<br />
Programmiererin<br />
bei DaimlerChrysler.<br />
2014 wurde sie<br />
IT-Verantwortliche<br />
bei TRW Auto <br />
motive, 2016 dann<br />
Chief Digital<br />
Officer von ZF<br />
ZF ist ein erfolgreicher Automobilzulieferer und spezialisiert<br />
auf mechanische Komponenten. Haben Sie Sorge, dass die<br />
Kompetenz im Kerngeschäft in Zukunft nicht mehr ausreicht?<br />
ZF hat eine lange Tradition in der Herstellung mechanischer Komponenten.<br />
Allerdings sind wir angesichts des digitalen Wandels<br />
schon auf dem Weg, diese Systeme mit Intelligenz zu versehen. Wir<br />
wollen, dass Autos sehen, denken und handeln. Sensoren wie<br />
Kameras, Radar- oder LiDAR-Systeme müssen in der Lage sein, die<br />
Umgebung zu „sehen“. Die Elektronik ist das Gehirn, das „denkt“,<br />
alle Signale bewertet und das Auto zum „Handeln“ bewegt. Angesichts<br />
unserer Strategie und unseres Produktportfolios zur vernetzten<br />
Mobilität bin ich überzeugt, dass wir stark genug sind, diese<br />
Veränderungen zu meistern.<br />
Sie sind im Unternehmen zur Treiberin des digitalen Wandels<br />
geworden. Welche Chancen liegen hier?<br />
Traditionell ist ZF ein Tier-1-Zulieferer sowohl für Antriebs- und Fahrwerkssysteme<br />
als auch für aktive und passive Sicherheitstechnologie.<br />
Digitaler Wandel bedeutet, dass wir Anbieter von intelligent verbundenen<br />
mechanischen Systemen sind. Wir stärken den Wandel mit<br />
Kooperationen, beispielsweise mit Nvidia für künstliche Intelligenz,<br />
oder mit Investments in Technologieunternehmen wie den LiDAR-<br />
Spezialisten Ibeo.<br />
Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit in der neu<br />
ge schaffenen Position des Chief Digital Officer?<br />
Meine Hauptaufgabe besteht darin, die Digitalisierungsstrategie<br />
und die Nutzung digitaler Technologien bei ZF voranzutreiben, um<br />
die Geschäftsmodelle zu ändern und neue Wertschöpfungsketten<br />
aufzuzeigen. In allen Geschäftsbereichen muss unser Fokus eindeutig<br />
auf Digitalisierung liegen. Die CDO-Organisation bereitet<br />
das „Ökosystem“, in dem die Partner schaften mit Technologieunternehmen,<br />
Start-ups und Akademien Früchte tragen. Da ist<br />
Schnelligkeit gefragt.<br />
In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche Kooperationen<br />
traditioneller Unternehmen mit Start-ups bekannt.<br />
Kommt der frischste digitale Wind von außen?<br />
Es ist beides. Intern arbeiten unsere Forschung-&-Entwicklung- und<br />
IT-Abteilungen eng zusammen und haben sogenannte Digital Labs<br />
gegründet. Sie arbeiten quasi unter Start-up-Bedingungen an eigenen<br />
Projekten, schnell, agil und selbstständig. Aber wir blicken auch<br />
nach außen. Letztes Jahr haben wir unsere Risikokapitalgesellschaft<br />
„Zukunft Ventures“ ins Leben gerufen, um Anteile an Unternehmen<br />
zu kaufen, die im für ZF relevanten Technologiesektor aktiv sind.<br />
Die Verantwortlichkeiten zwischen Herstellern, Erstausstattern<br />
und Anbietern mobiler Dienste werden neu gemischt. Ist die<br />
neue Vielfalt für ein Unternehmen wie ZF gefährlich?<br />
Wir glauben, dass die vernetzte Mobilität der Zukunft auf intelligente<br />
mechanische Systeme angewiesen ist. Das bedeutet, dass<br />
wir innerhalb wie außerhalb des Autos digital vernetzt sein<br />
müssen. Wir haben einen sehr guten Ausgangspunkt und arbeiten<br />
hart an zukünftigen Lösungen, damit die Autos sehen, denken und<br />
handeln können.<br />
12<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
13<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
DAS BESTE<br />
ZWEIER<br />
WELTEN<br />
moovel North America<br />
hat gerade für seine<br />
110 Angestellten elegante<br />
neue Geschäftsräume<br />
in Portland geschaffen<br />
Mit moovel baut Daimler an einem<br />
Betriebssystem für urbane Mobilität,<br />
das öffentlichen Nahverkehr und<br />
Sharing- Economy verknüpft. Wie passen<br />
ein klassischer Autobauer und<br />
Start-up-Kultur zusammen? Hypermotion<br />
hat mit NAT PARKER gesprochen,<br />
CEO von moovel North America<br />
INTERVIEW: MICHAEL HOPP<br />
Die moovel-App ist die weltweit einzige,<br />
mit der man Mobilitätsoptionen<br />
inklusive des öffentlichen Nahverkehrs<br />
suchen, buchen und bezahlen kann<br />
Was macht moovel für Daimler?<br />
PARKER: Wir helfen Daimler, die Fortbewegung in den Städten effektiver<br />
und bequemer zu machen. Im Zentrum unserer Überlegungen steht der<br />
öffentliche Nahverkehr. Der wird auch in Zukunft entscheidend für die<br />
Qualität städtischer Infrastrukturen sein. Aber wir wollen ihn mit anderen<br />
Transportmitteln verbinden – etwa Carsharing und Mietfahrrädern. Deswegen<br />
kompilieren wir die Daten von Verkehrssystemen wie Bussen und<br />
U-Bahnen und verknüpfen sie mit Daten für Sharing-Systeme. In den USA<br />
ist die Bezahlplattform moovel transits unser Kernprodukt. Damit kann<br />
man Reisen planen und via Smartphone gleich bezahlen. In Deutschland<br />
steht die Suche nach Verbindungsoptionen im Mittelpunkt, aber letztlich<br />
wird es auch hier darum gehen, Suchen und Buchen zu verknüpfen.<br />
Falls Sie Erfolg haben, wird moovel die Nachfrage nach Autos verringern.<br />
Warum sollte Daimler daran Interesse haben?<br />
Fotos: moovel<br />
NAT PARKER<br />
hatte 2012 das Startup<br />
Globe Sherpa<br />
gegründet, das eine<br />
App für Transportund<br />
Parkplatzmanagement<br />
entwickelte.<br />
Als die<br />
moovel Group das<br />
Unternehmen<br />
übernahm, wurde<br />
Parker CEO<br />
von moovel North<br />
America<br />
Daimler hat erkannt, dass die jüngere Generation den Zugang zu Fahrzeugen<br />
höher schätzt als ihren Besitz. Für sie bedeutet es Freiheit, nicht<br />
mehr über Parkplätze nachdenken zu müssen, sondern auf ein Netzwerk<br />
von öffentlichem Nahverkehr, Car2go und so weiter zugreifen zu können.<br />
Mit solchen Bedürfnissen muss sich Daimler auseinandersetzen. Werden<br />
wir immer noch Autos verkaufen? Natürlich. Werden wir selbstfahrende<br />
Fahrzeuge verkaufen? Absolut. Aber wir glauben, dass es sinnvoll ist,<br />
wenn Kunden aussuchen können, ob sie diese kaufen oder mieten.<br />
Wie geht moovel mit den Daten um, die von den Benutzern generiert<br />
werden, etwa mit Bewegungsprofilen?<br />
Wir wissen, dass Daten insbesondere in der EU ein sensibles Thema sind,<br />
und halten uns strikt an die Datenschutzbestimmungen. Wir verwenden<br />
Daten ohne die Erlaubnis des Benutzers niemals so, dass er identifizierbar<br />
würde. Allerdings müssen wir Daten aggregieren, um zu verstehen, wie<br />
Städte funktionieren: Wann interessieren sich Menschen an welchen Orten<br />
für Fahrgelegenheiten, wie können wir ihnen Alternativen anbieten,<br />
wenn ein Zug sich verspätet oder ein Bus ausfällt? Diese Art von Big Data<br />
braucht man, wenn man städtischen Verkehr intelligenter machen will.<br />
Wie unterscheidet sich Ihre Tätigkeit bei Daimler von Ihrem früheren<br />
Job als CEO des Start-ups GlobeSherpa?<br />
Mit Start-ups kann man flexibel und agil sein. Bei Daimler habe ich dafür<br />
Ressourcen und Expertise und die Macht einer weltweit bekannten Marke<br />
hinter mir. Ich kann mich vielleicht nicht mehr so schnell wie früher bewegen,<br />
aber dafür mehr bewirken. Die Daimler AG hat erkannt, dass sie<br />
Unter nehmen wie moovel benötigt, um ihre Geschäftsmodelle an eine<br />
veränderte Welt anzupassen. Deswegen sollen wir so weitermachen, als<br />
wären wir ein Start-up. Ich profitiere also vom Besten zweier Welten.<br />
Was reizt Sie persönlich daran, für ein Unternehmen zu arbeiten, das<br />
sich mit Mobilität und Sharing-Ökonomie beschäftigt?<br />
Die Chance, die Welt zu verändern – und das ist völlig ernst gemeint. Es<br />
gibt nur wenige Branchen, die so viel Einfluss auf unsere Lebensqualität<br />
haben wie Transportunternehmen. Der Verkehr ist es, der in unserer Gesellschaft<br />
und in unseren Städten alles miteinander verbindet – unsere<br />
Schulen, Arbeitsplätze, Familien, unser Entertainment. Also gibt einem die<br />
Beschäftigung damit die Gelegenheit, das Leben der Menschen angenehmer<br />
zu gestalten. Offensichtlich ist es für mich wichtig, die Welt zu einem<br />
besseren Ort zu machen. Wenn man dabei von den Leuten unterstützt<br />
wird, die das Auto erfunden haben, ist das eine Chance, die man nur einmal<br />
im Leben bekommt. Deswegen bin ich sehr glücklich darüber, zur<br />
Daimler-Familie zu gehören.<br />
==== „MAN BRAUCHT<br />
BIG DATA, UM STÄDTISCHEN<br />
VERKEHR INTELLIGENTER<br />
ZU MACHEN“ ======<br />
Nat Parker, moovel North America<br />
Wie dynamisch ist für Sie der deutsche<br />
Markt, was die Entwicklung intelligenter<br />
Mobilität betrifft?<br />
In Deutschland ist der öffentliche Nahverkehr<br />
genauso groß wie in den sehr viel größeren<br />
USA, wo die Städte sehr autozentriert sind. Dafür<br />
bezahlen wir einen hohen Preis: Wir haben<br />
nicht die Fußgängerwege, Kopfsteinpflasterstraßen<br />
oder Biergärten, die es in deutschen<br />
Städten gibt. Also können wir von Deutschland<br />
viel lernen. Aber natürlich bleibt in Deutschland<br />
auch die Autobauer-Kultur wichtig.<br />
Stimmt es, dass Sie keinen Mercedes, sondern<br />
einen alten Subaru fahren?<br />
(lacht) Das ist einer der wenigen Konfliktpunkte<br />
mit meinen Chefs. Ich bin allerdings fasziniert<br />
von der neuen Generation elektrischer Fahrzeuge,<br />
an der Daimler gerade arbeitet. Ich bin begeistert<br />
von ihren schadstofffreien Elektroautos.<br />
Für solch ein Fahrzeug werde ich mich von meinem<br />
alten Subaru trennen.<br />
14<br />
15<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
STADT OHNE AMPELN<br />
Ampeln, Brücken und Parkplätze werden zunehmend mit Sensoren aus -<br />
ge stattet, die mit Autos kommunizieren können. Eine Viertelmilliarde<br />
Connected Cars könnte es 2020 weltweit geben. Was<br />
bedeutet das für unsere Städte? Müssen sich die<br />
Menschen noch mehr an den Verkehr<br />
anpassen? Oder bekommen sie<br />
LEBENSRÄUME zurück?<br />
Im autonomen<br />
Verkehr der Zukunft<br />
werden Autos je<br />
nach Fahrtrichtung<br />
Time Slots zugeteilt.<br />
So ergibt sich ein<br />
stetiger Verkehrsfluss<br />
ohne Ampeln<br />
TEXT: CHRIS ELSTER<br />
Foto: Style magazine RCS / ph.Andrea Pugiotto; Illustration: Carlo Ratti Associati<br />
Eine Stadt ohne Ampeln ist heute nur schwer vorstellbar. Seit<br />
über 100 Jahren choreografieren die optischen Taktgeber die<br />
Verkehrsströme. Doch Carlo Ratti ist sich sicher, dass das nicht<br />
mehr lange so bleiben wird. Der italienische Architekt, Stadtplaner<br />
und Designer erforscht, wie die Digitalisierung den Verkehr revolutionieren<br />
wird und wie Städte davon profitieren können.<br />
Ratti geht davon aus, dass Ampeln schon in naher Zukunft von<br />
herannahenden Autos, Fahrrädern und Fußgängern gesteuert werden<br />
– und nicht wie bisher umgekehrt. Noch richten sich die Ampelzyklen<br />
in der Regel nach durchschnittlichen Verkehrsbewegungen, etwa nach<br />
Stoßzeiten. Doch Verkehr ist viel zu komplex, um effektiv zentral gesteuert<br />
werden zu können. Deswegen werden künftig Autos und andere<br />
Verkehrsteilnehmer Echtzeitdaten an Ampeln senden und so deren<br />
Verhalten beeinflussen. Die Folge: Wartezeiten können um bis zu<br />
40 Prozent reduziert, Emissionen verringert und der Verkehrsdurchsatz<br />
erhöht werden. Das hat positive Auswirkungen auf das gesamte<br />
Verkehrsnetz einer Stadt.<br />
Mit seinen Kollegen vom Senseable City Lab am Massachusetts Institute<br />
of Technology (MIT) hat Ratti eine smarte Kreuzung entwickelt.<br />
„Light Traffic“ heißt sein „lückenbasiertes“ System, das Ampeln irgendwann<br />
überflüssig machen soll. Autonom fahrende Autos passen vor<br />
Knotenpunkten ihre Geschwindigkeit optimal einander an und fädeln<br />
sich an der Kreuzung automatisch in den fließenden Verkehr ein. So<br />
kann die Anzahl der Fahrzeuge, die eine Kreuzung passieren, verdoppelt<br />
werden. Die Autos müssen dafür nicht schneller fahren, aber sie<br />
surfen gleichsam wie auf einer permanenten grünen Welle.<br />
Technischer<br />
Fortschritt kann<br />
die Stadt von<br />
morgen ökologischer<br />
und für<br />
die Menschen<br />
entspannter<br />
machen, ist Carlo<br />
Ratti überzeugt<br />
16<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
17<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
„STÄDTE WER<strong>DE</strong>N<br />
MENSCHEN<br />
FREUNDLICHER“<br />
umfassenderen technologischen Trends. Das Internet erobert zunehmend<br />
Lebensräume und wird zum Internet der Dinge. Es verknüpft die physikalische<br />
Ebene mit der Datenebene und ermöglicht das Entstehen cyberphysikalischer<br />
Systeme. Im Ergebnis werden sich viele Aspekte des städtischen<br />
Lebens rapide verändern: das Energie- und das Abfallmanagement,<br />
die Verkehrslenkung und die Wasserverteilung, aber auch Stadtplanung<br />
und Bürgerengagement.<br />
Doch das Verschwinden der Ampel ist für<br />
Ratti nur eine Metapher für viel grundlegendere<br />
Transformationen im urbanen Raum. In<br />
seiner Stadt der Zukunft parken selbstfahrende<br />
Autos nicht vor der Wohnung oder dem<br />
Büro, wenn sie nicht gebraucht werden. Sie<br />
befördern in der Zwischenzeit andere Passagiere<br />
oder fahren selbstständig in Außenbezirke,<br />
um zu parken. Lieferroboter und Drohnen<br />
bringen Pakete und entlasten die<br />
Straßen. Die Anzahl der Fahrzeuge kann um<br />
bis zu 80 Prozent verringert werden, und die<br />
Straßen und Parkplätze, die jetzt noch bis zu<br />
einem Drittel der Fläche von Städten blockieren,<br />
werden für Wohnraum, Radwege, Fußgängerzonen<br />
und Grünanlagen frei.<br />
Solche schönen Utopien teilen bei Weitem<br />
nicht alle Forscher. Aric Dromi, Cheffuturologe<br />
von Volvo, glaubt, dass in einer algorithmisch<br />
getakteten und von Robotern belebten<br />
CARLO RATTI<br />
arbeitet als<br />
Architekt und<br />
Ingenieur in Italien<br />
und lehrt am<br />
Massachusetts<br />
Institute of Technology,<br />
wo<br />
er das Forschungslabor<br />
Senseable<br />
City Lab leitet.<br />
Er ist Mitglied im<br />
Global Agenda<br />
Council für Stadtmanagement<br />
des Weltwirt -<br />
schafts forums<br />
Stadt die Menschen ein Störfaktor sein werden. Sie halten sich nicht<br />
an determinierte Programm abläufe, handeln spontan und machen<br />
Fehler. Autonomer und herkömmlicher Verkehr könnten sich keine<br />
Straßen teilen. Weil Roboterfahrzeuge immer defensiv auf Fahrfehler<br />
und Unachtsamkeiten menschlicher Verkehrsteilnehmer reagieren,<br />
wäre das Resultat nicht fließender Verkehr, sondern Stillstand, erklärte<br />
Dromi in einem Interview mit der „FAZ“. Deshalb setze autonomer Verkehr<br />
zwingend massive Infrastrukturprojekte voraus.<br />
Damit autonom fahrende Autos, Lieferroboter und Drohnen agieren<br />
können, müssen Städte roboterfreundlich gemacht werden – so<br />
wie in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Städte für den Autoverkehr<br />
optimiert wurden. An den Auswirkungen leiden wir noch heute:<br />
Mehrspurige Verkehrsadern durchschneiden Lebensräume, Autos<br />
verpesten die Luft. Die Planer der Stadt der Zukunft haben eine anspruchsvolle<br />
Mission. Sie müssen für die neuen Technologien eigene<br />
Leitsysteme und Bewegungsräume erschaffen, weil sonst Zukunft<br />
nicht möglich ist. Aber sie müssen die Transformation so gestalten,<br />
dass der Mensch nicht zu einem Störfaktor in der Stadt wird, sondern<br />
von den neuen Technologien profitiert.<br />
Foto: Style magazine RCS / ph.Andrea Pugiotto; Illustration: Carlo Ratti Associati<br />
Umfassendes Carsharing könnte sogar<br />
die menschliche Interaktion in<br />
Städten verbessern, glaubt Stadtplaner<br />
und MIT-Forscher CARLO RATTI<br />
Die Automatisierung des Straßenverkehrs<br />
wird auch die Stadtplanung verändern.<br />
Wie schnell könnten Ihre Vorstellungen<br />
in die Tat umgesetzt werden?<br />
So etwas wie „Light Traffic“ wird erst möglich<br />
sein, sobald alle Fahrzeuge autonom fahren oder<br />
mit einer Variante von On-Board-Intelligenz ausgestattet<br />
sind. Wenn sich der selbstfahrende Verkehr<br />
durchgesetzt hat, können traditionelle Ampeln<br />
ersetzt werden. Dadurch gäbe es kürzere<br />
Schlangen und weniger Verzögerungen. Unsere<br />
Idee setzt mit Sensoren ausgestattete Fahrzeuge<br />
voraus, die miteinander kommunizieren und Sicherheitsabstände<br />
einhalten. Das würde auch die<br />
Emission von Schadstoffen und Treib hausgasen<br />
verringern, die beim Beschleunigen und Bremsen<br />
freigesetzt werden.<br />
Ihr Forschungslabor am MIT heißt Sen seable<br />
City Lab. Welche Veränderungen werden<br />
Städte in Zukunft „erfahren“?<br />
Dass inmitten der rapiden Verstädterung, die wir<br />
gerade beobachten können, auch Vorstellungen<br />
von Smart Citys – oder „senseable cities“, wie wir<br />
es lieber nennen – auftauchen, ist die Folge eines<br />
==== „WENN SICH <strong>DE</strong>R<br />
SELBSTFAHREN<strong>DE</strong> VERKEHR<br />
DURCHGESETZT HAT,<br />
KÖNNEN AMPELN<br />
ERSETZT WER<strong>DE</strong>N“ ======<br />
Carlo Ratti, Massachusetts Institute of Technology<br />
Ab den Sechzigerjahren sind Städte für den Autoverkehr optimiert<br />
worden. Das Ergebnis waren mehrspurige Verkehrsadern, die Städte<br />
zerschnitten haben. Wie können die Anpassungen an digitale Technologien<br />
so vorgenommen werden, dass die Menschen nicht leiden?<br />
Ich bin überzeugt, dass wir durch die neuen Technologien unsere Städte<br />
menschenfreundlicher machen – etwa durch verstärktes Teilen. Nehmen<br />
wir das Auto: Heute werden Autos zu 95 Prozent der Zeit gar nicht genutzt.<br />
Das macht sie zu idealen Kandidaten für die Sharing-Ökonomie.<br />
Schätzungen zufolge könnte jedes geteilte Auto zehn bis 30 Autos in Privatbesitz<br />
ersetzen. „Ihr“ Auto wird Sie am Morgen zur Arbeit bringen, aber<br />
danach nicht ungenutzt herumstehen, sondern jemanden aus Ihrer Familie<br />
transportieren – oder jemanden anders. Der Effekt des Carsharings<br />
wird mit der Durchsetzung selbstfahrender Autos exponentiell wachsen.<br />
Was wären die sozialen und ökologischen Folgen des verstärkten<br />
Carsharings?<br />
Einige aktuelle Studien des MIT zeigen, dass die heutigen Mobilitätsbedürfnisse<br />
einer Stadt wie Singapur – in der es möglicherweise die weltweit<br />
erste öffentlich zugängliche Flotte selbstfahrender Autos geben wird<br />
– von einem Bruchteil jener Autos erfüllt werden könnten, die gegenwärtig<br />
in Verwendung sind. Die Abnahme von Autos würde die Kosten für die<br />
Errichtung und Erhaltung von Verkehrsinfrastruktur dramatisch senken, es<br />
gäbe kürzere Reisezeiten, weniger Staus, weniger für Parkplätze verschwendeten<br />
Raum – und mehr Teilen und menschliche Interaktion<br />
in unseren Städten.<br />
18<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
GESTERN ––– FAHRER: Sprachsteuerung<br />
aktivieren, Navigationsziel eingeben.<br />
AUTO: Welchen Teil der Adresse wollen Sie<br />
eingeben? FAHRER: Stadt. AUTO: Bitte nennen<br />
Sie einen Namen. FAHRER: Frankfurt.<br />
AUTO: Meinten Sie Frankfurt am Main?<br />
FAHRER: Ja. AUTO: Bitte geben Sie eine Straße<br />
ein. FAHRER: Ludwig-Erhard-Anlage.<br />
AUTO: Bitte geben Sie eine Hausnummer ein<br />
oder sagen Sie Kreuzung. FAHRER: Nummer<br />
1. AUTO: Hausnummer 1? FAHRER: Ja. AUTO:<br />
Zielführung starten? FAHRER: Zielführung<br />
starten. AUTO: Zielführung gestartet.<br />
MORGEN –– AUTO: Ihr erster Termin heute<br />
ist um 9.00 Uhr bei der Messe Frankfurt.<br />
Wollen Sie zur Ludwig-Erhard-Anlage 1 in<br />
Frankfurt fahren? FAHRER: JA.<br />
Fotos: Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, Photo Researchers, Inc/Alamy Stock Foto<br />
MEIN AUTO VERSTEHT<br />
MICH – NICHT<br />
Mit dem Sprachassistenten reden wie mit einem menschlichen Assistenten:<br />
Das ist Zukunftsmusik – noch. Doch CHARLIE ORTIZ, Director AI & Reasoning<br />
Group des Nuance-Labors für Sprachtechnologie und künstliche Intelligenz<br />
in Sunnyvale, Kalifornien, will das ändern<br />
TEXT: HEINZ-JÜRGEN KÖHLER, MICHAEL SEITZ<br />
Die Hände bleiben am Steuer, der Blick<br />
bleibt auf der Straße. Wie sinnvoll<br />
der Einsatz von Sprachassistenten im<br />
Auto ist, liegt auf der Hand. „Allerdings gibt es<br />
bisher keinen wirklichen persönlichen Assistenten,<br />
der meine Vorlieben kennt und mir<br />
entsprechende Empfehlungen zum Beispiel<br />
in Bezug auf Parkplätze, Restaurants oder<br />
Ähnliches geben könnte“, erklärte Charlie<br />
Ortiz bei der Connected Mobility Roadshow<br />
in Austin, Texas (USA).<br />
Ortiz ist Director des Bereichs künstliche<br />
Intelligenz bei Nuance Communications in<br />
Burlington, Massachusetts. Das Unternehmen<br />
gilt als weltweit führend bei der digitalen<br />
==== „DAS FAHRZEUG<br />
BENÖTIGT EINEN ZUGANG<br />
ZU MÖGLICHST VIELEN<br />
DATENQUELLEN“ =======<br />
Charlie Ortiz, Nuance Communications<br />
Sprachverarbeitung, es hat Apples Sprachassistenten<br />
Siri entwickelt und liefert Sprachsteuersysteme<br />
für Automobilhersteller wie<br />
Ford, Hyundai und Chrysler. Für eine komfortable<br />
Kommunikation im Auto müssen verschiedene<br />
Faktoren erfüllt sein, gibt Ortiz zu<br />
bedenken. „Das Fahrzeug benötigt zunächst<br />
einen Zugang zu möglichst vielen unterschiedlichen<br />
externen Datenquellen.“ Als Erstes<br />
ist da natürlich das Internet zu nennen.<br />
Auch der Kalender des Users ist hilfreich, damit<br />
der Fahrer nur nach der kürzesten Route<br />
zu seinem nächsten Termin verlangen muss.<br />
Und das System muss den Fahrer und seine<br />
Präferenzen kennen. „Wenn ich sage, ich<br />
würde gern Tandoori Chicken essen, dann<br />
muss das System selbstständig erkennen,<br />
dass ein indisches Restaurant gesucht wird,<br />
und eines in der Nähe recherchieren, gemäß<br />
den Empfehlungen von Bewertungsportalen<br />
oder meinen persönlichen Vorlieben“, so<br />
Ortiz. Aufseiten der Navigation müssen die<br />
Points of Interest abstrakter beschrieben werden,<br />
denn natürlich weiß der Fahrer nicht immer<br />
die genaue Adresse. Das System muss<br />
auch Angaben verstehen wie „das indische<br />
Restaurant am Hauptbahnhof“.<br />
Eine noch größere Herausforderung ist<br />
das Erkennen von sprachlichen Zusammenhängen<br />
und Kontexten. Wenn das System<br />
nicht nur einzelne Wörter, sondern ganze Zusammenhänge<br />
erkennt, erzielt es eine deutlich<br />
höhere Trefferquote. „In unserer Steuerung<br />
hat das englische Wort ‚play‘ insgesamt<br />
18 Bedeutungen, die die Spracherkennung<br />
anhand des Kontexts identifizieren muss“,<br />
erklärt Ortiz. „Das ist eine extrem anspruchsvolle<br />
Aufgabe für die Programmierung.“<br />
Und für die kommenden Generationen der<br />
Sprach steuerung.<br />
AUF <strong>DE</strong>N SPUREN VON<br />
ALAN TURING<br />
Verfügt ein Computer über menschliches<br />
Denkvermögen? Um das zu<br />
klären, wird der Turing-Test eingesetzt.<br />
Das Verfahren wurde von dem<br />
legendären englischen Mathematiker<br />
Alan Turing (1912–54) entwickelt. Dabei<br />
führt ein menschlicher Frage steller per<br />
Tastatur und Bildschirm, ohne Hör- und<br />
Sichtkontakt, eine Unter haltung mit<br />
zwei Gesprächspartnern, einem Menschen<br />
und einer Maschine. Beide<br />
versuchen ihn zu überzeugen, dass sie<br />
Menschen sind. Kann der Fragesteller<br />
anschließend nicht sagen, welcher<br />
Teilnehmer die Maschine war, hat die<br />
Maschine den Test bestanden, das<br />
heißt, sie verfügt über ein dem Menschen<br />
eben bürtiges Denkvermögen.<br />
Ganz seinem Metier verhaftet, hat<br />
Charlie Ortiz einen Test mitentwickelt,<br />
der auf dem Sprachverständnis beruht.<br />
Bei der sogenannten Winograd Schema<br />
Challenge geht es darum, die Bezüge<br />
in einem ganz alltäglichen Satz zu<br />
verstehen. Beispiel: „Die Trophäe passt<br />
nicht in die Tasche, sie ist zu groß.“<br />
Jeder Mensch versteht sofort, welcher<br />
der beiden Gegenstände zu groß ist.<br />
Was die elektronische Spracherkennung<br />
versteht, daran bemisst sich ihr<br />
„Denkvermögen“.<br />
21<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
CONNECTIVITY<br />
„FLIRTEN IST NUR EIN<br />
NEBENEFFEKT“<br />
Er leitet das Innovationen Institut in Frankfurt. Gemeinsam mit<br />
Firmenlenkern entwickelt AXEL GLANZ neue Ideen bis zur Marktreife.<br />
Seine Spezialgebiete: Connected Cars und neue Antriebstechniken.<br />
Sein aktuelles Produkt: eine Flirt-App, die noch mehr kann<br />
TEXT: ANJA STEINBUCH<br />
Dr. Axel Glanz, Volkswirt, Unternehmensberater<br />
und Erfinder, empfängt<br />
in einem Bankgebäude aus dem<br />
19. Jahrhundert in der Frankfurter Schillerstraße.<br />
Fischgrätparkett, Kronleuchter, getünchte<br />
Stuckaturen. Von der Gediegenheit sollte man<br />
sich nicht täuschen lassen. Hier wird Zukunft<br />
gemacht. Seit fast 30 Jahren berät Glanz Unternehmen<br />
auf dem anspruchsvollen Feld der<br />
Innovation. Sein Innovationen Institut mit<br />
Standorten in Frankfurt, Paris und London<br />
hilft dabei, neue Produkte zu entwickeln und<br />
zu vermarkten. Der Frankfurter verdiente sich<br />
seine Sporen bei Nixdorf Computer und ging<br />
nach einer Phase beim Datendienstleister<br />
Debis (einer Daimler-Tochter) in die Selbstständigkeit.<br />
„Viele Erfindungen ersticken an den<br />
komplexen Unternehmensstrukturen“, hat er<br />
erfahren. Deshalb startete er ein flexibles<br />
Netzwerk aus Beratern, Ingenieuren und Marketingprofis:<br />
„Wir sind das flinke Beiboot, das<br />
am Ozeandampfer festmacht, dem Kapitän<br />
ein entscheidendes Detail überreicht und wieder<br />
davonbraust.“ Mit dieser Dynamik brachte<br />
er Konzernen und Mittelständern einige Ideen<br />
vorbei. Dazu gehören etwa der elektronische<br />
Brief der Post oder eine Fernbedienung für<br />
den BMW i8, die den Ladestatus anzeigt.<br />
„Die Autoindustrie befindet sich am Anfang<br />
einer großen Transformation“, ist Glanz<br />
überzeugt. „Es geht in den kommenden fünf Jahren erst richtig los.“<br />
Eigentlich entwickelt er Neues stets in enger Kooperation mit Unternehmen.<br />
Jetzt hat er eine Ausnahme gemacht: Contact2Car ist seine<br />
Idee und seine Entwicklungsarbeit. Eigentlich handelt es sich dabei<br />
„nur“ um eine Chat-App, die es ermöglicht, durch das Eingeben der Kfz-<br />
Kennzeichen direkten Kontakt zu anderen Autofahrern aufnehmen.<br />
5000 Pioniere nutzen das bereits, Kooperationen mit Pirelli, Audi und<br />
dem Automobilclub von Deutschland bestehen. „Flirten ist nur ein Nebeneffekt“,<br />
widerspricht Glanz einem naheliegenden Verdacht. Durch<br />
Umfragen unter seinen Nutzern weiß er, dass am häufigsten Sicherheitsrelevantes<br />
ausgetauscht wird – Unwetterwarnungen, Hinweise<br />
auf verrutschte Ladungen oder zu geringen Reifendruck und dergleichen.<br />
„Ein neue Art, von Auto zu Auto zu kommunizieren“, sagt Glanz.<br />
I<strong>DE</strong>ENTRANSFER ZWISCHEN BRANCHEN<br />
Er ist kein Nerd, der eine Branche auf den Kopf stellen will, sondern<br />
rechnet Unternehmen vor, warum sie E-Fahrzeuge brauchen oder wie<br />
sie Ladestationen gemeinsam mit anderen nutzen. „Es ist nicht das<br />
Ding an sich, das den Schritt in die Zukunft ermöglicht“, erklärt Glanz,<br />
„sondern der Ideentransfer zwischen den Branchen.“<br />
Zu seinen Steckenpferden gehören alternative Antriebstechniken,<br />
elektronische Systeme, neue Materialien und „Incar-Wellbeing“. Glanz:<br />
„Der Wohlfühlfaktor im Lebensraum Auto wird enorm wichtig werden.“<br />
Dazu gehören CO ²<br />
-Reduzierung und Pflanzen, die im Auto wachsen<br />
können, Giftstoffe absorbieren und Sauerstoff produzieren.<br />
„Wir müssen weg von der Fixierung auf die Produkte“, erklärt Glanz<br />
seine Arbeitsweise. Nicht das Auto an sich werde in Zukunft die<br />
Märkte bestimmen, sondern die zündende Idee für die Mobilität der<br />
Zukunft. Hier will das Innovationen Institut einen Beitrag leisten, so<br />
wie mit Contact2Car. Die im Grunde simple Idee einer Chat-App für<br />
Autofahrer verhilft diesen zu einer neuen Adresse. Das Kfz-Kennzeichen<br />
wird zu einem Adressbestandteil und eröffnet einen neuen Kommunikationskanal.<br />
AXEL GLANZ ist viel<br />
unter wegs – zum<br />
Welt wirtschafts forum<br />
in Davos, zu<br />
Fachmessen, zu<br />
Gesprächen mit<br />
Vorstandsvorsitzenden.<br />
Timing sei einer<br />
der wichtigs ten<br />
Faktoren für die<br />
Durchsetzung von<br />
Innovationen,<br />
sagt Glanz: „Eine<br />
Erfindung ist des<br />
Ersten Tod, des<br />
Zweiten Not und des<br />
Dritten Brot.“ Er will<br />
der Dritte sein<br />
Foto: Marc Krause<br />
==== „WER DIE RICHTIGE<br />
ZEIT FÜR EIN PRODUKT VERPASST<br />
O<strong>DE</strong>R ZU SCHNELL<br />
AGIERT, VERLIERT“ ========<br />
Axel Glanz, Innovationen Institut<br />
22<br />
23<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
MONITORING & TRANSPARENCY<br />
Intelligente Radlager<br />
bei Zügen erheben<br />
mehr als 100 Para -<br />
meter und erlauben<br />
damit eine voraus -<br />
schauende Wartung,<br />
die die Stillstandszeiten<br />
senkt und die<br />
Planbarkeit erhöht<br />
HALLO, SCHA<strong>DE</strong>N<br />
Ungeplante Werkstattaufenthalte und kostspielige Stillstände<br />
werden in naher Zukunft immer seltener sein. Durch Sensoren<br />
wird der Maschinenzustand im LAUFEN<strong>DE</strong>N BETRIEB<br />
diagnostiziert. Auf drohende Defekte und Ausfälle kann<br />
man frühzeitig reagieren. Dafür müssen Fahrzeuge und andere<br />
Maschinen aber zum Teil des Internets werden<br />
TEXT: JOACHIM BECKER<br />
Fotos: Schaeffler (2)<br />
Die elektronische Revolution geht weiter. Durch die Miniaturisierung<br />
von Computern und ihre Vernetzung sowohl<br />
untereinander als auch mit der Cloud werden ständig<br />
ganz neue Funktionen möglich. „Ein Merkmal der digitalen Revolution<br />
ist die Verschmelzung von Technologien. Das bedeutet,<br />
dass die Grenzen zwischen der physikalischen und der digitalen<br />
Sphäre verschwimmen“, sagt Klaus Schwab, Chef des Weltwirtschaftsforums<br />
in Davos. Er erwartet nicht nur ein stetig zunehmendes<br />
Transformationstempo, sondern auch steigende Effi zienz<br />
und Produktivität. Ein Beispiel dafür: Der Betrieb und die Wartung<br />
von Maschinen werden sich grundlegend verändern.<br />
Einer der einfachsten Anwendungsfälle der „Predictive Maintenance“<br />
(vorausschauenden Instandhaltung) ist die Überwachung<br />
von Produktionsanlagen durch Vibrations- oder Temperatursensoren.<br />
Durch sie lässt sich frühzeitig erkennen, ob die<br />
Vibrationen unregelmäßig beziehungsweise zu schnell oder die<br />
Temperaturen im Innern der Maschine zu hoch werden. Wie Maschinen<br />
ihren Wartungsbedarf selbst erfassen können, zeigen intelligente<br />
Wälzlager: An den bewegten Teilen können Kräfte,<br />
Drehmomente und Drehzahlen präzise gemessen werden. Dazu<br />
kommen Veränderungen in den Lagern in Form von Verschleiß,<br />
also Schmierzustand, Temperatur, Schwingungen, Frequenzen. So<br />
24<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
25<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
MONITORING & TRANSPARENCY<br />
WARTUNGS- UND<br />
REPARATURMARKT<br />
IN <strong>DE</strong>UTSCHLAND<br />
265<br />
EURO<br />
fielen 2016 pro<br />
Pkw an Kosten für<br />
Wartung an<br />
39,1<br />
MILLIONEN<br />
Wartungsund<br />
Reparaturaufträge<br />
führten Markenwerkstätten<br />
2016 durch<br />
30,9<br />
MILLIONEN<br />
Wartungsund<br />
Reparaturaufträge<br />
führten freie Werkstätten<br />
2016 durch<br />
0,88<br />
WARTUNGSARBEITEN<br />
und<br />
0,55<br />
REPARATUREN<br />
fielen 2016<br />
pro Pkw<br />
im Durchschnitt an<br />
Stuttgarter in der Lebensmittelproduktion neue<br />
Standards setzen: In Getreide verarbeitenden Rotationsmaschinen<br />
werden einzelne Walzen mit<br />
drahtlosen Sensoren ausgerüstet, um Temperatur<br />
und Vibration zu erfassen. Dadurch sind die<br />
Maschinen nicht nur genauer überwacht, sie<br />
können auch genauer eingestellt werden und<br />
höherwertige Lebensmittel produzieren.<br />
Die Autobranche wird von solchen neuen<br />
Services ebenfalls umgetrieben. „Kundenorientierung<br />
ist das Schlagwort der Zeit“, schrieben<br />
die Autoren der Studie „Big Data revolutioniert<br />
die Automobilindustrie“. Darin hatte die<br />
Unternehmensberatung Bain schon 2014 gewarnt,<br />
dass die klassischen Methoden, sich<br />
von der Konkurrenz abzuheben („Vorsprung<br />
durch Technik“), für die Automobilhersteller<br />
immer schwieriger würden. Da sich die Produkteigenschaften<br />
moderner Automobile einander<br />
stark annäherten, sei eine stärkere<br />
Serviceorientierung gefragt.<br />
Doch bisher scheiterten Versuche, den Autokunübertragen<br />
die Lager nicht nur Kräfte und Bewegungen, sondern werden<br />
zu überall verteilten Sensoren. Ihre gesammelten Daten ergeben ein präzises<br />
virtuelles Abbild des Maschinen zustands.<br />
Ein Windpark ist aus dieser Perspektive eine Ansammlung von<br />
Rotorenblättern, Generatoren, Bremsen und Getrieben, die allesamt<br />
mit Sensoren überwacht werden können. Um Ausfälle zu vermeiden,<br />
müssen alle Daten zentral erfasst und ausgewertet werden. Auch<br />
externe Einflüsse wie Windböen, Vereisung oder Blitzschläge werden<br />
zur Auswertung an ein Daten-Backend gefunkt. So lassen sich mögliche<br />
Defekte schon erkennen, ehe sie tatsächlich eintreten, statt auf<br />
einen Ausfall oder Störungen im Nachhinein mit teuren Reparaturen<br />
reagieren zu müssen. Wenn es gelingt, die Daten nicht nur deskriptiv<br />
auszuwerten und Fehler zu eliminieren, sondern prädiktiv künftige<br />
Ereignisse vorherzusagen, hat man handfeste Vorteile bei den Wartungskosten<br />
und kann teure Ausfallzeiten vermeiden.<br />
WENIGER KOSTEN, MEHR SICHERHEIT<br />
Die Bahntechnik macht mit Predictive Maintenance schon seit Längerem<br />
beste Erfahrungen. Intelligente Radlager in den Zügen messen<br />
Körperschall, Temperatur und Drehzahlen, manchmal mehr als<br />
100 Parameter. Sobald Abweichungen von den statistisch normalen<br />
Abläufen registriert werden, sendet das vernetzte Lager per Cloud<br />
frühzeitig eine Sicherheitswarnung an den Betreiber. Der kann dann<br />
während der Betriebspausen oder bei der nächsten regelmäßigen<br />
Inspektion die Ursache ergründen und etwaige Fehler beheben, ehe<br />
sie größeren Schaden verursachen.<br />
Die Folge: Die Betriebskosten sinken, die Betriebssicherheit steigt.<br />
Defekte Züge bleiben nicht mehr auf offener Strecke stehen und müssen<br />
nicht mehr zeitraubend und kostspielig abgeschleppt werden;<br />
Passagiere brauchen nicht entschädigt zu werden, Fahrpläne können<br />
eingehalten werden, darüber hinaus müssen nicht mehr so viele Reservefahrzeuge<br />
bereitgehalten werden, deren Anschaffung und Wartung<br />
ihrerseits viel Geld kostet. Die mit Sensoren ausgerüsteten Eisenbahnen<br />
sind nahezu immer betriebsbereit, bei den 50 Siemens-<br />
Projekten in aller Welt, bei denen Predictive Maintenance zum Einsatz<br />
kommt, liegt die Verfügbarkeit zwischen 98 Prozent (in Bratislava)<br />
und 100 Prozent (bei der Stadtbahn in Bangkok). Aus solchen Werten<br />
wird klar, dass sich die Investitionen in vorausschauende Wartung –<br />
etwa Datenanalyse, Nachrüstung von Sensortechnik, Einrichtung<br />
einer Cloud-Infrastruktur – recht schnell bezahlt machen.<br />
„Aus wertvollen Primärdaten werden dank<br />
Analytics gewinnbringende Informationen“,<br />
sagt Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer, Technologievorstand<br />
der Schaeffler AG: „Daraus entwickeln<br />
wir innovative, datenbasierte Services<br />
für unsere Kunden.“ Grundlage ist die<br />
Cloud-Plattform IBM Watson. Sie wertet den<br />
Datenschatz nicht nur aus, sondern schützt<br />
ihn auch gegen unerwünschte Einblicke oder<br />
gar Manipulationen.<br />
==== FÜR AUTOMATISIERTES<br />
FAHREN IST ES WICHTIG,<br />
DASS DIE AUTOS SICH<br />
SELBST DIAGNOSTIZIEREN<br />
KÖNNEN =========<br />
Bosch betreibt eine eigene Cloud für das Inter net<br />
der Dinge. Bereits in diesem Jahr wollen die<br />
Foto: Getty Images<br />
den in den Mittelpunkt zu stellen, an der fehlenden Daten- und Kommunikationsplattform.<br />
Nur über zentrale Cloud-Lösungen lassen sich große<br />
Mengen an Daten aus dem Fahrzeug sammeln und nahezu in Echtzeit verarbeiten.<br />
Wohin die Reise gehen soll, zeigt das Beispiel BMW Connected.<br />
Die Münchner wollen sich durch die Geschwindigkeit beim Bereitstellen<br />
neuer Onlinedienste differenzieren. Der BMW 7er und der neue BMW 5er<br />
gehören zu den ersten Autos mit dem eingebauten Cloud-Service „car as a<br />
sensor“ oder Carasso: Die Sensoren liefern anonymisierte Daten über den<br />
Straßenzustand, aber auch über die Straßengeometrie und die Verkehrszeichen<br />
in die Cloud.<br />
„2018 wird Carasso die Daten aus acht Milliarden gefahrenen Kilometern<br />
von mehreren Hunderttausend Fahrzeugen verarbeiten.<br />
Wenn man bedenkt, wie viele Sensoren es im Auto gibt, kann man<br />
sich vorstellen, dass die Datenmenge sehr groß ist“, sagt Dieter May,<br />
Senior Vice President Digital Business Models der BMW Group.<br />
Zunächst wird durch solche Daten „on the fly“ die Routenführung<br />
wesentlich verbessert.<br />
Heute beschränkt sich die Vernetzung auf Sensoren, die die Umwelt<br />
erfassen. Künftig soll das Auto auch seinen eigenen Zustand immer genauer<br />
überwachen. Das ist immens wichtig für hoch automatisiertes<br />
Fahren. Die meisten Autos schlagen erst Alarm, wenn Kühlwasser<br />
fehlt oder die Öltemperatur zu hoch ist. Auch besonders starker Verschleiß<br />
zum<br />
Beispiel<br />
bei Kaltstarts wird dokumentiert, um die<br />
Wartungsintervalle anzupassen. Regelmäßige<br />
Inspektionen bleiben aber unverzichtbar.<br />
Künftig lassen sich solche Vorsorgemaßnahmen<br />
durch eine vorausschauende Wartung ergänzen<br />
und wesentlich erweitern. Bis 2020 werden<br />
80 Prozent aller neuen Fahrzeuge vernetzt<br />
sein, sagt die Unternehmensberatung Gartner<br />
voraus. Solche Fahrzeuge haben die Rechenleistung<br />
von bis zu 20 modernen PCs und verarbeiten<br />
bis zu 25 Gigabyte an Daten pro Stunde. Ausfälle<br />
der rollenden Rechenzentren könnten auch<br />
für die Passagiere kritisch werden. Deshalb wird<br />
die vorausschauende Überwachung aller<br />
Fahrzeug daten noch wichtiger: Autonom heißen<br />
die Autos dann auch deshalb, weil sie sich „selbst“<br />
diagnostizieren können.<br />
Die Werkstattaufenthalte<br />
auch<br />
von Pkw können<br />
mit Predictive<br />
Maintenance<br />
deutlich verkürzt<br />
werden<br />
26<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
27<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
DATA ANALYTICS & SECURITY<br />
„DATEN IN EINE SINNVOLLE<br />
ORDNUNG BRINGEN“<br />
Welche PROGNOSEN lassen sich auf Basis von Unternehmens -<br />
daten treffen? Das untersucht Sascha Puljic mit seinem Unternehmen<br />
Teradata zunehmend auch im Automotive- und Logistiksektor<br />
TEXT: ISABELL SPILKER<br />
Logistikketten<br />
als Bewegungsprofile:<br />
Aufgrund<br />
solcher Daten<br />
erstellt Teradata<br />
seine Prognosen<br />
Fotos: Teradata, obs / BMW Group, Reuters; Grafik: Alexander Heidl / Teradata<br />
Reparaturmanagement:<br />
Logistiker Maersk überwacht die Zustände<br />
seiner Transport-Container.<br />
Außen- und Innentemperatur, Geschwindigkeit, Transportkosten,<br />
Streckenlänge und Fahrtdauer: Eine riesige Anzahl<br />
höchst unterschiedlicher Daten wird entlang von Mobilitätsketten<br />
erhoben. „Es werden täglich enorme Datenmengen generiert,<br />
bei denen mitunter nicht einmal klar ist, worin ihre Aussagekraft besteht“,<br />
stellt Matthias Braun, Generalsekretär des Automobilclubs von<br />
Deutschland (AvD) fest. „Aber alle haben erkannt: Es steckt ein unglaubliches<br />
Potenzial darin.“ Einer Umfrage des AvD und der International<br />
School of Management zufolge sehen 38 Prozent der Automobilzulieferer<br />
das größte Entwicklungspotential für Big Data in der<br />
Optimierung der Produktion, 34 erwarten eine vollständige Qualitätskontrolle<br />
anhand von Echtzeitanalysen.<br />
„Mit Daten werden heute alle Prozesse kontrolliert und damit Kosten<br />
reduziert“, bestätigt Sascha Puljic, Geschäftsführer der Teradata<br />
GmbH in Deutschland, einem weltweit tätigen Unternehmen für Data<br />
Ware house Services und Big-Data-Analysen. Teradata etablierte im<br />
vergangenen Jahr das so genannte Rapid Analytics Consultant Engagement<br />
(RACE), um Firmen schnell Einblicke in die Aussagefähigkeit<br />
ihrer Daten geben zu können.<br />
Beispiel: BMW. Der steigenden Nachfrage in asiatischen Ländern<br />
begegnet das Münchner Unternehmen, indem es direkt vor Ort produziert<br />
– mit einer langen und komplexen Logistikkette. Fiel jedoch<br />
ein Logistikdienstleister aus, bedeutete dies häufig, kurzfristig auf<br />
teure Luftfracht zurückgreifen zu müssen. Der Automobilhersteller<br />
engagierte daraufhin Teradata. Die Analyse der Daten von Logistikpartnern<br />
und frei verfügbaren Daten aus dem Schienenverkehr sowie<br />
die Erfahrungen aus mehreren tausend Kundenprojekten führte zu<br />
Lösungen, wie die Kosten für die Luftfracht gesenkt und gleichzeitig<br />
auf neue Anfragen zügig reagiert werden kann. „Das Programm erlaubt<br />
die detailierte Prognose von Optimierungsprotenzialen in Logistikprozessen,“<br />
erklärt Puljic.<br />
Die Industrie-Consultants und Data-Scientists von Teradata erhalten<br />
projektweise Zugriff auf die relevanten Zahlen des Kunden und<br />
bringen sie in die nötigen Zusammenhänge. „Dem Engagement geht<br />
immer ein Problem oder Veränderungswunsch voraus“, erklärt Puljic.<br />
Die übliche Projektdauer von sechs Wochen ermöglicht, die Fragestellungen<br />
einzelner Abteilungen wie der Qualitätssicherung oder der<br />
Logistik auf Basis von Daten zu beantworten.<br />
„Wir bieten die Infrastruktur und die Technologie<br />
an“, sagt Puljic. „Die Daten müssen abgespeichert<br />
und in einer Architektur aufgebaut<br />
werden, um ausgelesen werden zu können.<br />
Nur Daten nützen nichts, sie müssen in eine<br />
sinnvolle Anordnung und einen Zusammenhang<br />
gebracht werden. Erst dann werden<br />
sie aussagefähig.“<br />
REPARATUR VON CONTAINERN<br />
Der potenzielle Return on Invest neuer analytischer<br />
Ansätze stand auch bei Maersk im<br />
Vordergrund, der weltgrößten Containerschiffsreederei<br />
aus Dänemark. „Maersk hat<br />
sich in den letzten fünf Jahren zu einer digitalen<br />
Company gewandelt“, erklärt Puljic. „Das<br />
Unternehmen nutzt Daten, um sein Geschäftsmodell<br />
zu optimieren.“ In einem RA-<br />
CE-Projekt brachten die Experten von Teradata<br />
nun Daten über Alter, Haltbarkeit und<br />
Leerlaufzeiten sowie bereits erfolgte Reparaturen<br />
der Container zusammen und ermittelten,<br />
wie und wo diese am besten und günstigsten<br />
in Stand gesetzte werden können.<br />
Der Automotive- und Logistiksektor macht<br />
im Auftragsvolumen von Teradata weltweit<br />
bisher etwa 20 Prozent aus. Tdenz steigend.<br />
„50 Prozent der zu verarbeitenden Daten werden<br />
2025 aus diesen Bereichen stammen“, prognostiziert<br />
Puljic. „Früher war der beliebteste<br />
und angesehendste Mitarbeiter in Automobilunternehmen<br />
der Designer“, fügt Matthias<br />
Braun vom AvD hinzu. „Heute ist es der, der die<br />
Aus wertung von Daten versteht.“ <br />
Logistikkette BMW optimierte<br />
die Supply Chain für die Produktion<br />
der 5er-Limousine<br />
== „ES STECKT<br />
EIN UNGLAUB<br />
LICHES<br />
POTENZIAL IN<br />
BIG DATA“ ==<br />
Matthias Braun,<br />
Generalsekretär AvD<br />
== „DIE ANTEILE<br />
VON AUTO<br />
MOTIVE UND<br />
LOGISTIK<br />
WER<strong>DE</strong>N<br />
WACHSEN“ ==<br />
Sascha Puljic,<br />
Geschäftsführer Teradata<br />
28<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
29<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
DATA ANALYTICS & SECURITY<br />
VOM HACKER ZUM<br />
SICHERHEITSBERATER<br />
Zusammen mit Charlie Miller hackte sich CHRIS VALASEK 2015 in<br />
ein fahrendes Auto ein. Die Aktion sensibilisierte die Automobilindustrie<br />
für das Thema Datensicherheit und verschaffte Valasek einen Job<br />
beim Mobilitätsdienstleiter Uber<br />
TEXT: HEINZ-JÜRGEN KÖHLER, MICHAEL SEITZ<br />
Charlie Miller (l.)<br />
und Chris Valasek<br />
hackten sich aus<br />
dem Keller von<br />
Millers Haus in ein<br />
fahrendes Auto<br />
Foto: Whitney Curtis, 2015 / Wired.com<br />
Erst drehten sie die Klima- und die Musikanlage voll auf, dann<br />
aktivierten sie die Sitzkühlung. Als Nächstes starteten sie die<br />
Scheibenwaschanlage, schließlich stellten sie den Motor aus<br />
und ließen den Jeep ausrollen, mitten auf der Interstate in St. Louis.<br />
Chris Valasek und sein Kollege Charlie Miller hatten die Kon trolle<br />
über ein fahrendes Auto übernommen. Der Fahrer am Steuer konnte<br />
nichts dagegen tun.<br />
Die Geschichte der Datensicherheit vernetzter Autos kann man in<br />
zwei Abschnitte einteilen: die Zeit vor und die nach dem Jeep-Hack<br />
von 2015. Valasek und Miller demonstrierten eindrucksvoll, wie angreifbar<br />
das System Auto ist. „Ich habe jahrelang Computer gehackt<br />
und irgendwann zu einem Freund gesagt, ob es nicht cool wäre, etwas<br />
Größeres zu hacken, zum Beispiel ein Auto“, berichtet Chris Valasek<br />
bei der Connected Mobility Roadshow im texanischen Austin. „Ich war<br />
ein schrecklicher Programmierer“, erzählt Valasek lachend. „Deswegen<br />
fing ich an zu hacken, und das war schließlich wie bei einem<br />
Junkie: immer auf der Suche nach dem nächsten Kick.“<br />
Ihren ersten Kick fanden Valasek und Miller in einem Ford Escape.<br />
„Der hat ein elektronisches Parksystem, eine Auffahrwarnung und<br />
eine Geschwindigkeitskontrolle. All diese Funktionen werden von<br />
Computern gesteuert, also dachten wir uns, wo ein Computer ist, da<br />
können wir auch die Kontrolle übernehmen.“ Den Ford und auch einen<br />
Toyota Prius hackten sie 2013, allerdings vom Fond des Autos aus.<br />
Valasek und Miller waren zu diesem Zeitpunkt angestellt und arbeiteten<br />
am Wochenende an dem Hack. Valaseks Arbeitgeber, IO Active,<br />
ein Dienstleister im Bereich Datensicherheit, stellte ihnen 2015 einen<br />
Jeep Cherokee zur Verfügung, das aus ihrer Sicht damals am einfachsten<br />
zu hackende Auto. Zugang zu dessen IT erhielten Valasek und<br />
Miller über das sogenannte Uconnect-System, das das Infotainment-System<br />
des Fahrzeugs steuert. Darüber sind Navigation,<br />
Musikmedien und auch die Smartphones der Insassen ansteuerbar.<br />
Inzwischen bieten die Autos tendenziell noch mehr Möglichkeiten: „Die<br />
30<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
DATA ANALYTICS & SECURITY<br />
Chris Valasek (r.)<br />
studierte Informatik<br />
an der University<br />
of Pittsburgh und<br />
arbeitete unter<br />
anderem bei IBM<br />
und dem Datendienstleister<br />
IO<br />
Active, bevor er zu<br />
Uber wechselte<br />
WO HACKER REINKÖNNEN<br />
Moderne Fahrzeuge verfügen über zahlreiche<br />
VERNETZTE FUNKTIONEN, die Hacker manipulieren können –<br />
eine Herausforderung für die Hersteller<br />
Geschwindigkeitsregelung<br />
Automatisches<br />
Notbremssystem<br />
Adaptives Licht<br />
Fahr-Aufmerksamkeitssteuerung<br />
Automatisches<br />
Einparksystem<br />
Elektronische<br />
Motorsteuerung<br />
Bremsen<br />
Elektronisches<br />
Gaspedal<br />
Batteriemanagement<br />
Servolenkung<br />
Der gehackte Jeep<br />
landete schließlich sanft<br />
und ohne dass<br />
jemand zu Schaden kam<br />
im Straßengraben<br />
Airbag<br />
Anzeigeelemente<br />
Klimaanlage<br />
==== „JE<strong>DE</strong>S MO<strong>DE</strong>RNE FAHRZEUG IST<br />
POTENZIELL HACKBAR.<br />
<strong>DE</strong>R HERSTELLER MUSS FÜR<br />
SICHERHEIT SORGEN“ =======<br />
Chris Valasek, Uber Advanced Technology Center<br />
meisten Fahrzeuge sind ja heute umfassend vernetzt<br />
– Bluetooth für das Telefon, Funksender für<br />
den Reifendruck und Fahrzeugortung mit dem<br />
Smartphone“, so Valasek.<br />
2015 verschafften Miller und er sich mit<br />
einem Smartphone und einem Laptop Zugang<br />
zu dem Jeep und führten ihre Aktion<br />
durch. Das Ganze war abgesprochen, am<br />
Steuer saß ein Freund der beiden,<br />
„Wired“-Redakteur Andy Greenberg. Der<br />
Hack hatte einschneidende Folgen. Der<br />
Konzern Fiat Chrysler rief 1,4 Millionen<br />
Fahrzeuge zurück – und für Automobilhersteller,<br />
IT-Anbieter und Gesetzgeber landete<br />
das Thema Daten sicherheit im Auto auf der<br />
Tagesordnung. Einen Tag nachdem Greenbergs<br />
Artikel über die Aktion erschienen war,<br />
wurde im US-Senat ein Gesetz eingebracht,<br />
um Standards festzulegen, wie Autos vor<br />
Hacks zu schützen sind.<br />
Auch für die Hacker hatte die Aktion einige Folgen: Valasek und<br />
Miller wurden von dem Mobilitäts dienstleister Uber für sein Advanced<br />
Technology Center engagiert. Inzwischen ist Miller zu dessen chinesischem<br />
Konkurrenten Didi Chuxing gewechselt, und Chris Valasek ist<br />
Leiter der Sicherheitsabteilung bei Uber. „Ich mache die Sicherheit für<br />
autonome Fahr zeuge“, sagt er und will keine weiteren Details nennen.<br />
Valasek glaubt, dass auto nome Fahrzeuge eine Zukunft haben. „Sie<br />
sind etwas Großartiges, sind nicht betrunken, nicht müde und machen<br />
keine Fehler.“<br />
Natürlich bieten autonome Fahrzeuge aber auch viele Angriffsflächen.<br />
„Jedes Fahrzeug mit dieser Technologie ist potenziell hackbar.<br />
Der Hersteller muss für die Sicherheit sorgen“, betont Valasek.<br />
Ihn und Miller habe nach dem Hack kein Fahrzeughersteller angesprochen,<br />
um die Sicherheit seiner Fahrzeuge zu checken. „Dabei<br />
könnte man die Untersuchung auch günstig zu Hause machen, wenn<br />
die Automobilhersteller uns einfach die Computer aus den Fahrzeugen<br />
zur Verfügung stellen würden. Wir haben damals fast ein Jahr<br />
gebraucht für den Hack. Wenn wir das regelmäßig machen würden,<br />
wären wir schneller“, betont Valasek.<br />
Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey kooperieren<br />
30 Prozent der Hersteller mit Hackern, um Sicherheitslücken<br />
zu identifizieren. Und Unternehmen wie Tesla und Fiat Chrysler<br />
haben „Bug Bounties“ eingeführt, Prämienprogramme für Hacker,<br />
die Bugs, also Fehler in der Programmierung, melden. Bei Internetkonzernen<br />
wie Google und Facebook ist das schon seit Jahren<br />
gän gige Praxis.<br />
Fotos: Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, Andy Greenberg / Wired.com, Shutterstock<br />
Scheibenwischersteuerung<br />
Schlüsselloser<br />
Zugang<br />
Sitzeinstellung<br />
Alarmanlage<br />
Innenbeleuchtung<br />
Stabilitätskontrolle<br />
Motorsound<br />
Hier könnten Hacker<br />
eindringen<br />
GPS<br />
Sprachdatenkommunikation<br />
Rückfahrkamera<br />
Das könnten Hacker<br />
manipulieren<br />
Infotainment-System<br />
Kindersicherung<br />
Getriebesteuerung<br />
Spurassistent<br />
Totwinkel-Assistent<br />
32<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
33<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
DIGITAL ANALYTICS & SECURITY<br />
UND WAS HAB<br />
ICH DAVON?<br />
Carsharing, autonomes Fahren: Vieles ist<br />
heute schon Realität. Doch wollen das<br />
die Menschen auch? Eine STUDIE im Auftrag<br />
der Messe Frankfurt untersucht die neue<br />
Mobilität aus der Sicht der Verbraucher<br />
AUTONOMES FAHREN<br />
WIE SCHWER FÄLLT <strong>DE</strong>R VERZICHT<br />
AUFS LENKRAD?<br />
Trotz der erhöhten Sicherheit und<br />
Effizienz des autonomen gegen -<br />
über dem individuellen Fahren<br />
tun sich die Menschen noch<br />
schwer mit der Vorstellung,<br />
sich im Straßen verkehr<br />
Autopiloten zu überlassen<br />
14 % lehnen<br />
autonomes Fahren<br />
generell ab<br />
Über 80 % sehen<br />
autonomes Fahren<br />
als Unterstützung unter<br />
bestimmten Verkehrsbedingungen<br />
an<br />
44 % erhoffen<br />
sich durch autonom<br />
fahrende Autos mehr<br />
Verkehrs sicherheit<br />
61 % sehen das<br />
Einsatz gebiet autonom<br />
fahrender Autos vor allem<br />
im Auto bahn verkehr<br />
PERSONALISIERUNG DAS BEDÜRFNIS NACH<br />
MASS GESCHNEI<strong>DE</strong>RTEM SERVICE<br />
Noch hat das Fahren mit dem eigenen Auto einen immensen Vorteil:<br />
Es lässt sich individuellen Vorlieben und Anforderungen perfekt anpassen.<br />
Damit sich neue Mobilitätsangebote durchsetzen, müssen sie sich<br />
für die persönlichen Bedürfnisse ihrer Benutzer konfigurieren lassen<br />
40 % wünschen<br />
sich personalisierte<br />
Dienstleistungen,<br />
etwa Voreinstellungen<br />
wie Musikvorlieben<br />
und die Sitzhöhe im<br />
Mietwagen<br />
Über 50 %<br />
wünschen sich eine<br />
Funktion, die während<br />
der Fahrt Unterhaltungs<br />
angebote<br />
nach ihrem Ge -<br />
schmack vorschlägt<br />
70 % wünschen<br />
sich Autos mit Funk -<br />
tionen, die in fremden<br />
Umgebungen<br />
oder bei körper lichen<br />
Einschränkungen<br />
Orientierung bieten<br />
MOBILITÄTSPLANUNG<br />
DIE CHANCEN <strong>DE</strong>R<br />
NEUEN ANGEBOTE<br />
Neue Mobilitätskonzepte<br />
werden nur dann erfolgreich<br />
sein, wenn sie die Bedürfnisse<br />
der Benutzer nach Planungssicherheit,<br />
simplen Abrechnungssystemen<br />
und verständlicher<br />
Kommunikation ernst<br />
nehmen. Besonders wichtig<br />
dabei ist, dass sich die<br />
Angebote mit dem eigenen<br />
Smartphone nutzen lassen<br />
80 % planen<br />
ihre Reise mit dem<br />
Smartphone<br />
93 % ist es<br />
am wichtigsten,<br />
schnell und ohne lange<br />
Warte zeiten ans Ziel<br />
zu kommen, anstatt<br />
Routen zu vergleichen<br />
53 % denken<br />
vor Reiseantritt über<br />
alter native Mobilitätsangebote<br />
nach,<br />
wenn etwa Unwetter<br />
oder Streiks drohen<br />
Foto: PR; Illustrationen: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />
DIGITALISIERUNG NEUE AUTOS<br />
BRAUCHT DAS LAND<br />
Die neuen Mobilitätskonzepte<br />
setzen voraus,<br />
dass sowohl die Fahrzeuge<br />
als auch ihre<br />
Benutzer vernetzt sind.<br />
Doch bei der Digitalisierung<br />
gibt es noch<br />
viel zu tun<br />
11 % der<br />
Fahrzeuge sind<br />
bereits heute mit<br />
einer Internetschnitt -<br />
stelle ausgestattet<br />
7 % der Autos<br />
lassen sich schon<br />
mit einem Smart -<br />
phone bedienen<br />
SHARING ECONOMY<br />
GRÜN<strong>DE</strong> FÜRS TEILEN<br />
Zwar ist der Markt für den<br />
motorisierten Individualverkehr<br />
nach wie vor groß, aber vor<br />
allem die jüngeren Generationen<br />
benutzen zunehmend<br />
Angebote der Sharing Economy.<br />
Damit sich das Prinzip „Teilen<br />
statt besitzen“ durch setzen<br />
kann, müssen allerdings<br />
bewusst neue Zielgruppen<br />
ange sprochen werden<br />
25 %<br />
interessieren sich für<br />
Sharing Economy<br />
Mehr als 15 %<br />
nutzen bereits<br />
heute Angebote<br />
wie Carsharing<br />
66 % der<br />
Befragten legen<br />
bei internetfähigen<br />
Systemen im Auto<br />
hohen Wert auf<br />
den Schutz ihrer<br />
Daten und ihrer<br />
Privatsphäre<br />
23 % wollen<br />
aufgrund des eigenen<br />
Fahrzeugs neue<br />
Mobilitätsangebote<br />
nicht nutzen<br />
„ÄLTERE SIND VORSICHTIG“<br />
Professor MICHAEL BENZ von der International<br />
School of Management hat im Auftrag der<br />
Messe Frankfurt die Bedürfnisse, Vorbehalte und Ängste<br />
der Endverbraucher untersucht<br />
Herr Professor Benz, Sie haben die Einstellungen zur digitalen<br />
Mobilität untersucht. Wie begegnet man ihr in Deutschland?<br />
Das hängt vom Alter ab. Angehörige der „Generation Analog“ hegen<br />
Zweifel. Die Potenziale werden eher von der „Generation Digital“<br />
verstanden. Das stellt Verkehrsunternehmen vor Herausforderungen.<br />
Einerseits bekommen sie Konkurrenz von Unternehmen<br />
wie Google, die mit den Daten, die sie sammeln, auch Mobilitätsketten<br />
planen. Andererseits sind durch jüngere und komplett vernetzte<br />
Kunden die Ansprüche gestiegen.<br />
Disruptive Innovationen setzen oft an Bedürfnissen der Verbraucher<br />
an, etwa bei Convenience-Wünschen im Onlinehandel.<br />
Welche Bedürfnisse treiben die digitale Mobilität voran?<br />
Ein wesentlicher Treiber ist die Planbarkeit. Konsumenten wollen<br />
nicht in erster Linie den schnellsten Transport, sondern Planungssicherheit.<br />
Ein weiteres wichtiges Bedürfnis ist es, alles aus einer<br />
Hand zu bekommen. Der Kunde will sich nicht mit den Systemen<br />
von Auto, Zug oder Bus beschäftigen, er will diese Systeme mit<br />
dem Smartphone ansteuern.<br />
Derzeit entstehen Allianzen zwischen Automobilindustrie und<br />
Zulieferern mit Software- und IT-Firmen. Wen sehen die Konsumenten<br />
als Treiber der Entwicklung, wem vertrauen sie?<br />
Bei Themen wie ergänzenden Dienstleistungen (etwa Entertainment)<br />
sehen die meisten Konsumenten Konzerne wie Google und<br />
Facebook in vorderster Reihe. Das Bild ändert sich aber, sobald es<br />
um konkrete Bedürfnisse geht. Hier sehen die Studienteilnehmer<br />
Kompetenzvorteile bei den Verkehrsverbunden mit ihren etablierten<br />
Angeboten. Einer Firma aus Kalifornien traut man nicht zu, die<br />
lokalen Gegebenheiten ausreichend zu verstehen.<br />
Die Älteren, die von der Digitalisierung am meisten profitieren<br />
könnten, stehen ihr am reserviertesten gegenüber. Warum?<br />
Die Älteren sind vorsichtiger bei allem, was Datenschutz betrifft.<br />
Auch gehören sie nicht zu den Zielgruppen der digitalen Mobilitätsanbieter.<br />
Angebote wie Carsharing werden ihnen gegenüber nicht<br />
ausreichend propagiert. Für mich unverständlich, schließlich gehören<br />
die Älteren zu den einkommensstärksten Gruppen.<br />
Wie wird sich die Mobilität entwickeln?<br />
Viele Szenarien gehen davon aus, dass das autonome Fahren unsere<br />
Innenstädte beherrschen wird. Allerdings sind wir davon weit<br />
entfernt. Automobilisten und Flugzeugbauer diskutieren bereits den<br />
Einsatz bemannter Drohnen. Was ich mir für die Innenstädte langfristig<br />
vorstellen kann, ist die Trennung von Versorgungsstrukturen<br />
und persönlicher Mobilität. Die Zukunft bleibt spannend.<br />
PROF. DR.-ING.<br />
MICHAEL BENZ<br />
leitet das Institut<br />
für Supply Chain<br />
Management,<br />
Cluster und<br />
Mobility Management<br />
an der<br />
International<br />
School of<br />
Management<br />
34<br />
35<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
HYPERMODALITY<br />
VIEL MEHR ALS NUR<br />
WASSERWEGE<br />
Der HAMBURGER HAFEN betreibt in Deutschland das größte<br />
Schienennetz nach der Deutschen Bahn. Für den möglichst<br />
reibungs losen Warenumschlag verfügt der Hafen über eine trimodale<br />
Verkehrsanbindung – an Schiene, Straße und Wasserstraße<br />
Mit fast 140 Millionen Tonnen Seegüterumschlag ist der<br />
Hamburger Hafen der drittgrößte Containerhafen Europas.<br />
Der große Vorteil des Hafens ist seine multimodale Verkehrssituation:<br />
Durch die enge Anbindung an Verkehrswege wie<br />
Schiene, Straße und Binnenwasserstraßen ist ein zeitnaher Umschlag<br />
der Güter garantiert. Dazu betreibt der Hafen das zweitgrößte<br />
deutsche Schienennetz nach der Deutschen Bahn. Jeder achte innerdeutsche<br />
Güterzug hat den Hafen als Start oder Ziel. Mit über 1900 wöchentlichen<br />
Bahnverbindungen hat der Hafen die größte Abfahrtsdichte<br />
von Containerganzzügen in Europa. Im Hinterland verfügt er<br />
mit Maschen über den größten Rangierbahnhof Europas. Größter<br />
Handelspartner im seeseitigen Containerverkehr des Hafens ist China.<br />
Mehr als 2,5 Millionen der jährlich umgeschlagenen 8,82 Millionen<br />
Container gehen ins Reich der Mitte oder kommen dorther.<br />
Das Gleisnetz der Hafenbahn umfasst rund<br />
300 Kilometer, in das 850 Weichen integriert<br />
sind. Pro Werktag erreichen 200 Güterzüge den<br />
Hafen. Zu 45,3 % wird der Hinterland verkehr<br />
auf der Schiene abgewickelt<br />
Zu 12,3 % wird der<br />
Hinterlandverkehr<br />
mit Binnenschiffen<br />
abgewickelt<br />
Moderne Portalkrantechnik<br />
erlaubt das schnelle Be- und<br />
Entladen der Züge. Dabei<br />
werden die Containertransportdaten<br />
durch IT-Systeme erfasst<br />
und kontrolliert<br />
8,82 Millionen Standardcontainer<br />
wurden<br />
2015 umgeschlagen<br />
36<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
20 Kilometer südlich von Hamburg liegt<br />
Maschen, der größte Rangierbahnhof<br />
Europas. Hier kommen täglich bis zu<br />
150 Güterzüge aus den Nord- und Ostseehäfen,<br />
aus dem deutschen Binnenland<br />
und aus Skandinavien an<br />
Zu 42,2 % wird der<br />
Hinterlandverkehr mit<br />
Lkw auf der Straße<br />
abgewickelt<br />
Foto: Holger Weitzel /Aufwind-Luftbilder.de
SUSTAINABILITY<br />
ELEKTROTHERAPIE<br />
CHINA und besonders Peking leiden unter einer unvorstellbaren<br />
Smogkatastrophe. Doch nicht nur, um diese „Airpokalypse“<br />
zu bekämpfen, fördert die Regierung massiv die Elektrifizierung<br />
des Straßenverkehrs: CHINA will sich auch von Öllieferungen<br />
aus dem Ausland unabhängiger machen, das Wirtschafts wachstum<br />
ankurbeln und Weltmarktführer bei Elektroautos werden<br />
TEXT: MICHAEL RADUNSKI<br />
Er fährt elektrisch:<br />
Yujia Nie kassierte<br />
für seinen Qichen<br />
e30 einen staat -<br />
lichen Zuschuss und<br />
erhielt sofort eine<br />
Zulassung. Auf die<br />
für Benziner muss<br />
man oft monatelang<br />
warten<br />
Als sich auf Pekings dritter Ringstraße unverhofft<br />
eine kleine Lücke auftut, tritt Yujia Nie<br />
entschlossen aufs Gaspedal. Kein Motor röhrt<br />
auf – und dennoch erreicht Yujias blütenweißer Wagen<br />
den freien Platz in der linken Spur vor dem SUV, der ihn<br />
auch haben wollte. In Yujias Gesicht triumphiert ein<br />
leichtes Lächeln. „Ich sage es immer wieder: Mein Wagen<br />
ist nicht langsamer als normale Autos.“ Yujias<br />
Freunde klopfen gern kesse Sprüche, wenn sie ihn in<br />
sein Auto steigen sehen. Mal heißt es, sie würden schon<br />
mal zu Fuß vorgehen und warten, bis er ankomme,<br />
dann wieder, dass sie ihm zu seiner Sicherheit hinterherfahren<br />
würden, schließlich könne sein Wagen nach<br />
ein paar Kilometern einfach stehen bleiben.<br />
Seit einem Jahr fährt Yujia einen Qichen e30 der<br />
Dongfeng Motor Company. Nie gab es Probleme – und<br />
dennoch scheiden sich an ihm die Geister. Während<br />
Yujias Freunde Witze reißen, meinen manche Autobauer<br />
im Westen, ein solcher Wagen komme zu früh für<br />
den chinesischen Markt. Der Qichen e30, vom chinesisch-japanischen<br />
Joint Venture Dongfeng Nissan hergestellt,<br />
ist die chinesische Variante des Nissan Leaf, des<br />
meistverkauften Elektrofahrzeugs der Welt.<br />
Yujia ist in Peking geboren, und deswegen liegt die<br />
Vermutung nahe, er habe sich sein E-Car wegen der dramatischen<br />
Luftverschmutzung in Chinas Hauptstadt<br />
zugelegt. Doch der 27-Jährige schüttelt den Kopf. Die<br />
Gründe für den Kauf waren weitaus profaner: 40 Prozent<br />
und N-22YJ6. 40 Prozent des eigentlichen Kaufpreises<br />
wurden ihm dank staatlicher Subventionen erlassen.<br />
Und N-22YJ6 ist Yujias Nummernschild. Wer in<br />
Peking ein Benzin- oder Dieselfahrzeug anmelden will,<br />
Foto: Stefen Chow<br />
39<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SUSTAINABILITY<br />
==== DIE WHO HÄLT MEHR<br />
ALS 25 MIKROGRAMM FEINSTAUB<br />
FÜR GESUNDHEITSGEFÄHR<strong>DE</strong>ND.<br />
AN BESON<strong>DE</strong>RS SCHLECHTEN<br />
TAGEN WIRD DIESER<br />
WERT IN PEKING UMS 20-FACHE<br />
ÜBERTROFFEN ========<br />
Foto: Getty Images<br />
40<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
41<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SUSTAINABILITY<br />
Seltener Anblick:<br />
E-Autos etwa von<br />
BMW sind in China<br />
die Ausnahme.<br />
Der Markt wird<br />
dominiert von<br />
Fahrzeugen der<br />
Hersteller BYD<br />
oder Dongfen<br />
muss an einer Art Lotterie um Nummernschilder<br />
teilnehmen, bei der die Chancen auf<br />
Erfolg geringer sind als beim normalen Lotto.<br />
Elektroautos dagegen sind von diesem Verfahren<br />
ausgenommen.<br />
Yujias Fall ist exemplarisch für Chinas Verkehrspolitik.<br />
Seit einiger Zeit fördert die Regierung<br />
durch Milliardensubventionen und die<br />
restriktive Zulassung traditionell motorisierter<br />
Autos den Vertrieb von Elektrofahrzeugen.<br />
Nun will Peking den Verkauf von E-Cars sogar<br />
gesetzlich anordnen. Der Plan sieht vor, dass<br />
Autohersteller in China eine feste Elektro quote<br />
erfüllen müssen – und zwar schon ab 2018.<br />
Dann müssen sämtliche Autobauer für acht<br />
Prozent ihrer in China verkauften Fahrzeuge<br />
sogenannte Kreditpunkte sammeln, 2019 für<br />
zehn Prozent und 2020 für zwölf Prozent. Vier<br />
Punkte erhält man für ein Elektrofahrzeug,<br />
zwei Punkte für einen Plug-in-Hybriden.<br />
„Die geplante Quotenregelung ist sicher<br />
eine gute Idee“, sagt Yujia. „Die Luftverschmutzung<br />
in Peking ist extrem hoch.“ Yujia ist mit<br />
seinem Qichen e30 in den vergangenen<br />
30 Minuten knapp 400 Meter vorangekommen.<br />
Die dritte Ringstraße ist eine der Hauptverkehrsadern<br />
Pekings – und wie so oft verstopft<br />
bis zum Infarkt. Die acht Spuren breite<br />
Blechlawine schiebt sich quälend langsam<br />
vorwärts. „Das ist typisch für Peking. Ganz<br />
normal“, sagt Yujia und zuckt mit den Schultern.<br />
Eine Untersuchung des Verkehrsministeriums<br />
belegt, dass Pekings Straßen zu den<br />
überfülltesten des ganzen Landes zählen. In<br />
kaum einer anderen Stadt steht man so häufig<br />
und so lange im Stau wie hier. Aus den Auspuffen<br />
steigen unentwegt Stickoxide, CO ²<br />
und<br />
Feinstaub in den Himmel. Über der Stadt<br />
hängt eine gelbliche Dunstglocke, beißend<br />
ätzen der Geruch steht in der Luft.<br />
Yujia zieht sein Handy aus der Hosentasche und öffnet die Luftqualitäts-App:<br />
Die Feinstaubbelastung liegt bei 250 Mikrogramm. Die<br />
Weltgesundheitsorganisation WHO hält Werte von mehr als 25 für gesundheitsgefährdend.<br />
Peking kennt weitaus schlimmere Werte. Im<br />
vergangenen Winter lagen in Chinas Hauptstadt die Smogwerte für<br />
mehrere Wochen bei 400 bis 500 Mikrogramm Feinstaubbelastung.<br />
Fabriken mussten schließen, einige Autobahnen wurden wegen<br />
schlechter Sicht gesperrt, die Hälfte der Autos musste stehen bleiben,<br />
selbst der Flugverkehr war beeinträchtigt. Angesichts solcher Verhältnisse,<br />
die von den Pekingern „Airpokalypse“ genannt werden, sind<br />
Gummimasken mit Doppelfiltern, wie man sie sonst nur aus Malerund<br />
Lackierbetrieben kennt, immer häufiger auf Gehwegen zu sehen.<br />
Schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen sterben jedes Jahr in<br />
China einen verfrühten Tod durch Smog. Die Ursachen für die Smogkatastrophe<br />
sind vielfältig und von Region zu Region unterschiedlich.<br />
In Peking trägt laut chinesischem Umweltministerium der Straßenverkehr<br />
mit 31 Prozent am meisten zur Luftverschmutzung bei, gefolgt<br />
von Kohlenverbrennung (22,4 Prozent) und dem Betrieb von Industriefabriken<br />
(18 Prozent).<br />
=== YUJIAS FREUND HAT SICH<br />
EIN KONVENTIONELLES AUTO GEKAUFT.<br />
UND WARTET SCHON SEIT MONATEN AUF<br />
SEIN NUMMERNSCHILD ======<br />
Doch hinter der chinesischen Elektro-Offensive stehen noch andere Gründe:<br />
Energiesicherheit, Jobs und Wachstum. China sei von Öllieferungen aus<br />
dem Ausland sehr abhängig, erklärt Daizong Liu vom World Resources Institute<br />
in Peking. Und dieses Öl werde vor allem aus dem Nahen Osten oder<br />
Südamerika importiert – aus Ländern, die instabil sind. Die chinesische Regierung<br />
wolle ihre Abhängigkeit von ausländischem Öl verringern und dafür die<br />
Energiestruktur des Landes verändern. Deshalb genieße der Ausbau der<br />
Elektro mobilität auf staatlicher Ebene höchste Priorität. „Mithilfe solch gezielter<br />
Fördermaßnahmen werden aber auch ein neuer Wirtschaftszweig, Wachstum<br />
und viele neue Jobs geschaffen“, sagt Liu.<br />
STAATLICHE ELEKTRO-OFFENSIVE<br />
Die staatliche Elektro-Offensive wird den chinesischen Automobilmarkt<br />
umkrempeln. Sobald die neuen Regelungen in Kraft treten,<br />
müssen ausländische Hersteller ihre Produktpalette umstellen. Wenn<br />
Autobauer die Quote nicht erreichen, müssen sie entweder ihre Produktion<br />
drosseln, Strafe zahlen oder anderen Herstellern Kreditpunkte<br />
abkaufen – und damit ihre Konkurrenten subventionieren.<br />
Während die Volkswagen-Gruppe, für die China der wichtigste Absatzmarkt<br />
ist, 2016 knapp vier Millionen herkömmliche Autos, aber<br />
nur ein paar Hundert E-Fahrzeuge verkaufte, müsste VW 2018 ungefähr<br />
80 000 reine Batteriefahrzeuge und 160 000 Plug-in-Hybride<br />
herstellen. Deswegen plant man, zusammen mit dem chinesischen<br />
Hersteller JAC reine Batteriefahrzeuge auf den Markt zu bringen.<br />
Volkswagens China-Vorstand Jochem Heizmann nennt die Quotenregelung<br />
eine „große Herausforderung“. Man verstehe den Wunsch<br />
der chinesischen Regierung, die massiven Umweltbelastungen in den<br />
Griff zu bekommen und gleichzeitig ein starkes Wirtschaftswachstum<br />
Foto: Stefen Chow<br />
1,23<br />
MILLIONEN<br />
E-Autos werden voraussichtlich<br />
bis 2018 in China<br />
produziert<br />
5<br />
MILLIONEN<br />
E-Autos will China<br />
bis zum Jahr 2020 auf<br />
den Straßen haben<br />
TOP<br />
3<br />
E-Autos in China sind<br />
1. BYD Tang<br />
2. BYD Qin<br />
3. BAIC E150EV<br />
1,25<br />
PROZENT<br />
beträgt in China der<br />
Marktanteil von<br />
Elektrofahrzeugen.<br />
In Deutschland liegt<br />
er bei 0,76 %<br />
zu erzielen, und teile den Glauben, „dass die Zukunft<br />
elektrisch ist“, sagt Heizmann. Deshalb<br />
habe sich VW eine ehrgeizige Elektro-Offensive<br />
verordnet. Noch in diesem Jahr werde mit dem<br />
Bau einer Plug-in-Hybrid-Version des VW Phideon<br />
begonnen. Die Limousine basiert auf der<br />
Langversion des Audi A6 und wird nur in China<br />
vertrieben. In den kommenden zwei bis drei Jahren<br />
will man zusammen mit lokalen Joint Ventures<br />
15 Elek tro modelle produzieren. Ziel sei es,<br />
ab 2020 jährlich 400 000 solcher Fahrzeuge zu<br />
verkaufen.<br />
Ähnlich ambitioniert sind die Pläne von<br />
Mercedes-Benz: Man werde zehn Milliarden<br />
Euro in die Entwicklung und Produktion von<br />
Elek tro autos investieren, 2025 plane man, zehn<br />
Elektromodelle anzubieten, bis zu einem Viertel<br />
aller Mercedes-Benz-Modelle sollen dann<br />
reine Batteriemodelle oder Hybrid-Plug-ins<br />
sein, heißt es aus der China-Zentrale in Peking.<br />
Kritik an den chinesischen Plänen bekommt<br />
man nur hinter vorgehaltener Hand<br />
zu hören. Deutlicher wird Dominik Declerq,<br />
Vorsitzender des Verbands Europäischer Automobilhersteller<br />
in China (ACEA): „Wir sind<br />
nicht prinzipiell gegen die Quote, aber sie<br />
kommt zu früh.“ Der Belgier führt gleich mehrere<br />
Gründe an: Erstens seien die endgültigen<br />
Regelungen noch immer nicht beschlossen<br />
(Stand Ende Januar), „in wenigen Monaten sollen<br />
wir uns aber alle schon daran halten. Ein<br />
solch kurzfristiger Umschwung ist in der Automobilproduktion<br />
nicht möglich.“ Zweitens<br />
fehle es in einem so riesigen Land wie China<br />
noch an der nötigen Lade-Infrastruktur. „Die<br />
Reichweiten der aktuellen Modelle sind viel<br />
zu gering.“ Drittens werde der für Elektrofahrzeuge<br />
benötigte Strom im Fall Chinas überwiegend<br />
aus minderwertiger Kohle gewonnen.<br />
Und zu guter Letzt subventioniere die<br />
chinesische Regierung massiv einheimische<br />
Autobauer – und benachteilige dadurch ausländische<br />
Unternehmen.<br />
„Jede chinesische Garagenfirma wird<br />
finan ziell unterstützt“, sagt Declerq und zeigt<br />
auf eine Liste mit insgesamt 257 chinesischen<br />
Firmen, die beim Bau von Elektroautos bezuschusst<br />
werden. „Ich arbeite schon lange in<br />
diesem Feld, aber die meisten dieser Namen<br />
habe ich noch nie gehört.“ Angesichts einseitiger<br />
Subventionen gebe es momentan kein faires<br />
Marktumfeld, klagt Declerq. Zwar könnten<br />
auch ausländische Hersteller staatliche Finanzmittel<br />
beantragen, doch müssten sie<br />
dann nachweisen, dass sie die Elektrotechnologie „beherrschen“. Für Declerq<br />
ist klar, was dahintersteckt: Offenlegung der kompletten Produktion und somit<br />
der eigenen Forschung und Technologie. „Viele unserer Mitglieder halten<br />
das für sehr gefährlich.“ Bis 2020 will die Regierung offiziell die lokalen Autobauer<br />
weiter subventionieren. „Erst danach haben wir einen fairen Markt“, so<br />
Declerq, weshalb er fordert, die Quotenregelung zumindest bis 2020 aufzuschieben.<br />
Declerq bezweifelt grundsätzlich, dass es der chinesischen Regierung bei<br />
der Elektroquote tatsächlich um Umweltschutz geht. „Hier wird Industriepolitik<br />
in großem Stil betrieben.“ Chinesische Autohersteller hätten jahrelang vergebens<br />
versucht, bei konventionellen Autos zu den europäischen Herstellern<br />
aufzuschließen. „Das hat nicht geklappt. Nun machen sie einfach ein neues<br />
Feld auf: Elektromobilität. Und hier wollen die Chinesen von Anfang an Weltmarktführer<br />
sein.“<br />
Sandra Retzer von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit<br />
(GIZ) warnt davor, China zu unterschätzen: „Man muss feststellen,<br />
dass im Bereich Elektromobilität die chinesische Seite uns ganz<br />
klar voraus ist.“ Schanghai habe beispielsweise schon jetzt so viele<br />
Lade säulen für Elektroautos, wie es sie in ganz Deutschland im Jahr<br />
=== „AUCH WENN CHINA <strong>DE</strong>R WELTWEIT<br />
GRÖSSTE MARKT FÜR ELEKTROAUTOS IST,<br />
BLEIBT FÜR DIE WEITERENTWICKLUNG<br />
<strong>DE</strong>R INFRASTRUKTUR NOCH EINIGES ZU TUN.<br />
ES FEHLEN LA<strong>DE</strong>STATIONEN UND<br />
WARTUNGSEINRICHTUNGEN“ =======<br />
Tareq Muwanes, Project Manager, Messe Frankfurt Schanghai<br />
2020 geben soll. Zudem ist gesetzlich vorgeschrieben, dass jedes neue Gebäude<br />
eine Lade-Infrastruktur für alle Mieter vorweisen muss. „Privates Laden<br />
ist für die Kunden entscheidend“, erklärt Retzer.<br />
„Das Thema Elektromobilität ist hier sehr viel präsenter als in<br />
Deutschland.“ Diese Entwicklung dürfe man nicht verschlafen. „Im Bereich<br />
Kleinstwagen ist China weltweit führend. Das ist auch den deutschen<br />
Herstellern klar. Nun geht es um den Premiummarkt.“ Yujia ist<br />
derweil in der Innenstadt angekommen – ohne liegen geblieben zu<br />
sein und so schnell wie die Benziner im Stau neben ihm. Er schließt<br />
seinen Qichen e30 an eine Ladesäule an und erzählt zum Abschied,<br />
dass er am nächsten Tag seinen besten Freund mitnehmen werde.<br />
Der hat sich ein konventionelles Auto gekauft, bei der Zulassungslotterie<br />
jedoch bislang kein Glück gehabt und wartet schon seit Monaten<br />
auf sein Nummernschild.<br />
42<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
43<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SUSTAINABILITY<br />
„DAS AUTO <strong>DE</strong>R ZUKUNFT<br />
IST EHER EIN MINIBUS“<br />
Digitalisierungsexperte Christoph Bornschein entwickelt unter anderem<br />
MOBILITÄTSKONZEPTE für die Automotive- und Logistikbranche. Events sprach<br />
mit ihm am Rande der Connected Mobility Roadshow in Austin, Texas<br />
TEXT: SABRINA WAFFENSCHMIDT<br />
CHRISTOPH<br />
BORNSCHEIN<br />
Nein, er macht kein<br />
Praktikum im neunten<br />
Jahr und holt dem<br />
Chef nicht die<br />
Zigaretten, wie es auf<br />
der Homepage steht.<br />
Christoph Bornschein<br />
ist Geschäftsführer<br />
von „Torben, Lucie und<br />
die gelbe Gefahr“.<br />
Nach einem<br />
abgebrochenen<br />
Jura studium gründete<br />
er die Agentur, die<br />
heute 160 Mit -<br />
arbeiter beschäftigt<br />
Fotos: Max Threlfall Photo, Image by Dan Taylor/Dan Taylor Photography, Shutterstock (2)<br />
Herr Bornschein, wie bewegen Sie sich selber fort?<br />
BORNSCHEIN: Mir ist Mobilität an sich wichtig. Mit dem eigenen<br />
Auto, mit Taxis, mit Uber, mit Carsharing, im Flugzeug.<br />
Welche Nutzerbedürfnisse bestehen im Bereich Mobilität?<br />
Nicht der Besitz, sondern die Nutzung ist das Thema. Mein Bedarf<br />
ist nicht „Ich will ein Auto besitzen“, sondern „Ich will Mobilität“ –<br />
in jeder Darreichungsform. Auch und gerade in der Last-Mile-Logistik,<br />
wo Mobilität in Form von Amazons Prime Now oder Foodora<br />
ebenfalls Nutzerbedürfnisse verändert: Man will alles, sofort, möglichst<br />
reibungslos.<br />
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Arbeit<br />
im Bereich Automotive, Mobilität und Logistik?<br />
Besonders in diesem Bereich arbeiten wir mit industriell geprägten Unternehmen,<br />
die nicht für servicegetriebene Businessmodelle entwickelt<br />
wurden. Da gemeinsam an die DNA und das Selbstverständnis des Unternehmens<br />
zu gehen ist sicher das größte Thema.<br />
==== „MEIN FIKTIVER SOHN WIRD<br />
MIT 18 JAHREN WOHL KEINEN FÜHRER -<br />
SCHEIN MEHR MACHEN“ ======<br />
Christoph Bornschein, TLGG<br />
Um Innovationen zu schaffen, müsse man alle Glaubenssätze loslassen,<br />
sagen Sie. Welche dieser Glaubenssätze sind das?<br />
„Glaubenssatz“ klingt so harmlos und hilfreich. Es soll ja keiner Nihilist<br />
werden. Nennen wir sie ruhig Dogmen; ein dogmatisch-untrügliches Gespür<br />
dafür etwa, was Menschen haben und nicht haben wollen. Wenn der<br />
CEO eines deutschen Automobilkonzerns entscheidet, dass Menschen<br />
Autos kaufen wollen, und damit Mobilitätsthemen aus dem Vorstand verbannt,<br />
dann hat das mit dem, was am Markt passiert, wenig zu tun.<br />
Sie sagen, dass Träume und Ängste Starthilfe für Lösungsansätze<br />
seien. Welche sind die größten Träume und Ängste der Branche?<br />
Die Angst ist klar: Deutschland verliert seine Kernindustrie, die ein Drittel<br />
der Arbeitnehmer direkt oder indirekt beschäftigt. Weggespült von Tesla,<br />
Faraday und wie sie alle heißen, weil man nicht mehr die Bedürfnisse der<br />
Menschen erreicht. Die aktuellen Träume sind wenig hilfreich, da sie sich<br />
meist nur um ein optimiertes und wenig modifiziertes „Weiter so“ drehen.<br />
Welche sind die wichtigsten Innovationen der nächsten Jahre?<br />
Der Tipping-Point wird vollautonomes Fahren sein. Damit setzen sich Businessplattformen<br />
durch, neue Konzepte des Autos an sich. Dann stellen<br />
sich grundlegende gesellschaftliche Fragen. Sieht man sich heute schon<br />
Routenplanung und Pooling-Routinen von Uber an, dann wird das Auto<br />
der Zukunft eher ein Minibus sein, immer in Bewegung, immer optimiert.<br />
Christoph Bornschein (r.) und<br />
Moderator Jochen Wegner bei der<br />
Connected Mobility Roadshow<br />
Wie stellen Sie sich die Mobilität in zehn,<br />
20 und 30 Jahren vor?<br />
Wie tief und in welcher Geschwindigkeit das<br />
autonome Fahren die Gesellschaft durchdringt,<br />
hängt von vielen Faktoren ab, sodass<br />
verschiedene Szenarien denkbar sind.<br />
Ich denke heute, dass autonomes Fahren in<br />
20 Jahren Standard ist. Und dass mein fiktiver<br />
Sohn mit 18 Jahren wohl keinen Führerschein<br />
mehr machen wird. Spannend wird<br />
es, wenn man die kulturelle Komponente<br />
dazunimmt. Das Elektroauto ist ja auch<br />
nicht über Nacht sinnvoller geworden. Hier<br />
hat Elon Musk mit Tesla vor allem einen kulturellen<br />
Schub gegeben: nicht sinnvoll, sondern<br />
cool. Und warum sollte es diesen Moment<br />
nicht auch beim autonomen Fahren<br />
geben – den Augenblick, an dem ein kultureller<br />
Impact stärker wirkt als Bedenken und<br />
Hemmnisse?<br />
Wird sich die Wertschöpfung bei E-Fahrzeugen<br />
von den Hardware-orientierten<br />
Automobilherstellern zu den Software-<br />
Anbietern verschieben?<br />
Hier greift ja letztlich auch wieder eine Zulieferer-<br />
und Markenlogik. Wie bekomme<br />
ich das Angebot möglicher Partner unter<br />
mein Markendach? Welche traditionellen<br />
Partner sind in einer digitalen Welt überhaupt<br />
sinnvoll? Und wie gestalte ich meine<br />
Marke über den zuverlässigen Motor oder<br />
die Kurvenlage hinaus attraktiv? Man muss<br />
sich ja nur die aktuelle Mercedes- Kampagne<br />
ansehen, um festzustellen: Bei der Markendifferenzierung<br />
geht es nicht mehr vorrangig<br />
um Mechanik und Ingenieurskunst,<br />
sondern um Lifestyle.<br />
44<br />
45<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SUSTAINABILITY<br />
<strong>DE</strong>R 10-MILLIAR<strong>DE</strong>N-<br />
DOLLAR-MARKT<br />
Elektroautos für den Massenmarkt – das verheißt goldene Zeiten<br />
für BATTERIEHERSTELLER. Noch ist es aber eine Explosion in Zeitlupe:<br />
Die Zahl der Stromer steigt langsam von einem niedrigen Niveau<br />
aus. Die Gretchenfrage der Elektromobilität ist die Zellfertigung. Mit etwa<br />
20 Prozent machen die Akkus einen großen Teil der Wertschöpfung<br />
aus – mehr als der Verbrennungsmotor und das Getriebe in konven tionellen<br />
Autos. Wer an eine Zukunft der E-Fahrzeuge glaubt, muss daher<br />
bei der Zellchemie vorn mitspielen<br />
SÜDKOREA: EXPANSION NACH EUROPA<br />
Zwei große Konzerne aus Korea gehören zu den führenden<br />
Herstellern von Lithium-Ionen-Zellen für Elektroautos:<br />
Samsung SDI und LG Chem. Zusammen beherrschen sie<br />
momentan ein knappes Drittel des Weltmarkts und sind<br />
bevorzugte Lieferanten der deutschen Autoindustrie.<br />
Samsung SDI liefert die Zellen für den BMW i3, während<br />
LG Chem die Zellen für den Chevrolet Bolt und Opel<br />
Ampera-e produziert. Die koreanischen Marken sind auch<br />
als Lieferanten für die angekündigten VW-Elektrofahrzeuge<br />
wie den I.D. im Gespräch. Ab 2018 werden sie Zellen für<br />
den Audi e-tron liefern – ein rein elektrisch angetriebenes<br />
SUV. Die Südkoreaner bauen momentan jeweils für rund<br />
350 Millionen Euro die ersten Großserienproduktionen von<br />
Lithium-Ionen-Zellen in Europa auf: LG Chem in Wrocław<br />
(Polen), Samsung SDI in Göd in Ungarn.<br />
30 %<br />
Marktanteil<br />
Batteriemarkt<br />
0,17 %<br />
Marktanteil<br />
Elektrofahrzeuge<br />
130 Mio.<br />
staatliche F&E-<br />
Förderung von<br />
Elektromobilität,<br />
in Euro<br />
129 Mio.<br />
staatliche F&E-Förderung von<br />
Elektromobilität, in Euro<br />
21 %<br />
Marktanteil<br />
Batteriemarkt<br />
0,7 %<br />
Marktanteil<br />
Elektrofahrzeuge<br />
JAPAN: KOOPERATION MIT TOYOTA<br />
Im Markt der Unterhaltungselektronik ist Panasonic der<br />
MARKTANTEILE <strong>DE</strong>R<br />
INTERNATIONALEN<br />
BATTERIEHERSTELLER<br />
CHINA<br />
25 % BYD<br />
10 % CATL<br />
4 % Lishen<br />
2 % Coslight<br />
JAPAN<br />
9 % Panasonic<br />
5 % Sony Murata<br />
4 % AESC-NEC<br />
3 % GS Yuasa<br />
SÜDKOREA<br />
17 % Samsung SDI<br />
13 % LG Chem<br />
USA<br />
2 % A123 Systems<br />
1 % Boston-Power<br />
SONSTIGE<br />
5 %<br />
78 Mio.<br />
staatliche F&E-Förderung<br />
von Elektromobilität,<br />
in Euro<br />
0,85 %<br />
Marktanteil<br />
Elektrofahrzeuge<br />
USA: TESLAS GIGAFACTORY<br />
3 %<br />
Marktanteil<br />
Batteriemarkt<br />
Eine Flugstunde vom Tesla-Werk in Fremont (Kalifornien, USA) entfernt<br />
wollen der Automobilhersteller und Panasonic rund fünf Milliarden Euro<br />
in Teslas Gigafactory in Nevada investieren. Für die Großserienproduktion<br />
des kommenden Tesla Model 3 wird das Zellformat etwas vergrößert,<br />
um den Anteil des passiven Hüllmaterials und damit das Gewicht<br />
der Batterie zu senken. In der finalen Ausbaustufe der Tesla Gigafactory<br />
sollen 6500 Arbeiter im Jahr 2020 jährlich die Energiekapazität von<br />
50 Gigawattstunden (GWh) an Lithium-Ionen-Batterien produzieren.<br />
Illustrations: Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />
CHINA: FÜHREN<strong>DE</strong>R<br />
BATTERIEHERSTELLER<br />
Das chinesische Auto- und Batterieunternehmen<br />
BYD (Build Your Dream) steht momentan an<br />
erster Stelle der Produzenten von Batteriezellen<br />
für den Automotive-Bereich. Zusammen mit<br />
Contemporary Amperex Technology (CATL)<br />
stellen die Chinesen rund ein Drittel der welt -<br />
weiten Produktions kapazitäten für automobiltaugliche<br />
Lithium-Ionen-Batterien. BYD hat<br />
2016 Lithium-Ionen-Batterien mit einer Gesamtenergie<br />
kapazität von 4,0 GWh hergestellt. 2020<br />
soll die Gesamtkapazität 20 GWh betragen.<br />
CATL will seine Produktionskapazität bis 2020<br />
auf 50 GWh ausbauen.<br />
AUF 10 MILLIAR<strong>DE</strong>N DOLLAR WIRD<br />
<strong>DE</strong>R WELTWEITE MARKT <strong>DE</strong>R<br />
BATTERIEN FÜR E-MOBILITÄT IM<br />
JAHR 2020 GESCHÄTZT<br />
4431 Mio.<br />
staatliche F&E-Förderung<br />
von Elektromobilität,<br />
in Euro<br />
weltgrößte Hersteller von Lithium-Ionen-Zellen. Im<br />
Automobilbereich kooperiert der Hersteller seit 1998<br />
mit Toyota und kommt da derzeit auf neun Prozent<br />
Marktanteil. Für die Hybridmodelle produziert Panasonic<br />
mittlerweile als Minderheitspartner 200 Millionen Nickel-<br />
Metall-Hydrid-Zellen pro Jahr in Ja pan. Das zweite<br />
Standbein sind die kleinformatigen 18650-Lithium-Ionen-<br />
Rundzellen, die Tesla einsetzt (siehe USA). Die weiteren<br />
Hersteller sind Sony Murata, eine Kooperation des<br />
Großkonzerns mit dem Elektronikhersteller Murata,<br />
und der Automobilzulieferer AESC-NEC.<br />
1,25 %<br />
Marktanteil<br />
Elektrofahrzeuge<br />
41 %<br />
Marktanteil<br />
Batteriemarkt<br />
46<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
47<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SYNCHRONIZED LOGISTICS<br />
MANN,<br />
FRAU,<br />
ROBOTER<br />
Wie überwindet die Logistik die<br />
berühmte letzte Meile bis zur Haustür<br />
des Empfängers? Darüber unterhalten<br />
sich PROF. UWE CLAUSEN,<br />
Fraunhofer-Wissenschaftler und Leiter<br />
der ZF- Zukunftsstudie zur letzten<br />
Meile, und Roboter-Entwick lerin<br />
HELEN KAARLEP<br />
PROF. DR.-ING.<br />
UWE CLAUSEN<br />
ist Leiter am Institut<br />
für Trans port logis tik<br />
an der Universität<br />
Dort mund und am<br />
Fraunhofer-Institut<br />
für Materialfluss<br />
und Logistik IML.<br />
Clausen, der zuvor<br />
für die Deutsche<br />
Post und Amazon<br />
gear beitet hatte, war<br />
wissenschaftlicher<br />
Leiter der Zukunftsstudie<br />
2016 „Die<br />
letzte Meile“ für<br />
den Zulieferer ZF<br />
INTERVIEW: MICHAEL HOPP<br />
HELEN KAARLEP<br />
leitet die Testabteilung<br />
des Londoner<br />
Start-ups Starship<br />
Technologies. Die<br />
estnische Wirtschaftsingenieurin<br />
betreute Pilotversuche,<br />
bei denen<br />
in Düsseldorf und<br />
Hamburg sowie<br />
für die Schweizer<br />
Post Pakete bis<br />
zur Haustür des<br />
Em pfängers per<br />
Roboter zugestellt<br />
wurden<br />
Fotos: Nathalie Bothur, Willing-Holtz<br />
49<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SYNCHRONIZED LOGISTICS<br />
==== „ALS VERKEHRS-<br />
LOGISTIKER WOLLEN WIR<br />
SYSTEMISCH AN DIE THEMEN<br />
HERANGEHEN“ ======<br />
Uwe Clausen, Universität Dortmund<br />
==== „WIR HABEN ROBOTER<br />
FÜR EINEN WETTBEWERB <strong>DE</strong>R NASA<br />
ENTWICKELT – UND NACH NEUEN<br />
ANWENDUNGEN GESUCHT“ =======<br />
Helen Kaarlep, Starship Technologies<br />
gerecht zu versorgen. Da ergeben sich noch<br />
mal neue Wege, dorthin wird man dann auch<br />
mit größeren Einheiten transportieren.<br />
Frau Kaarlep, betrachten Sie Drohnen als<br />
ein Konzept, das zu Ihren Robotern in Konkurrenz<br />
steht?<br />
KAARLEP: Nein. Drohnen bewegen sich im<br />
Luftraum, einem hochgradig regulierten Bereich.<br />
Sie sind großartig darin, Lieferungen<br />
dort zuzustellen, wo unsere Roboter nicht hinkommen:<br />
auf entlegenen Inseln oder hohen<br />
Berge. Aber gleichzeitig können unsere Roboter<br />
etwas, was Drohnen nicht können.<br />
Herr Professor Clausen, Sie haben eine große<br />
Studie über „Die letzte Meile“ vorgelegt.<br />
Frau Kaarlep, Ihr Unternehmen baut einen<br />
Lieferroboter, der in der Studie als eine der<br />
Transportmöglichkeiten genannt wird. Was<br />
waren Ihre Ansätze dabei?<br />
CLAUSEN: Wir waren einerseits mit Entwicklungen<br />
konfrontiert, die einen langen Trend haben<br />
und die man fortschreiben kann. Andererseits<br />
mit solchen – dazu gehören die Zustell roboter –,<br />
die gab’s im letzten Jahr noch gar nicht. Was die<br />
letzte Meile und die Lösungen dafür verändern,<br />
sind die Randbedingungen, in Metropolen: Luftreinhaltung,<br />
Vorgaben für batterieelektrische<br />
Fahrzeuge, und die Nachfrage seite: Welche<br />
Service ideen gibt es? Ist Same-Day-Delivery gewünscht?<br />
Das ist eine neue Lo gis tik, die sehr<br />
schnell mit Daten umgehen kann.<br />
KAARLEP: Bei der Entwicklung unserer Lieferroboter<br />
waren zwei Aspekte wichtig. Wir hatten<br />
ein Team, das Roboter für den NASA-Contest<br />
„NASA Centennial Challenge“ entwickelt hat,<br />
die Bodenproben auf Planeten entnehmen sollten.<br />
Wir haben überlegt, wo man diese Idee<br />
noch einsetzen kann. Das entstand aus einem<br />
bestimmten Geist heraus: Einige der Gründer<br />
von Starship Technologies haben Skype entwickelt, eine disruptive Kommunikationstechnologie.<br />
Und sie haben überlegt, in welchen Industrien<br />
noch keine Disruption stattgefunden hat.<br />
Welche Idee steckt hinter dem Lieferroboter?<br />
KAARLEP: Unser Geschäft ist erst mal die Idee selbst, die Roboter sind nur<br />
ein Mittel. Wir bauen sie und bringen ihnen bei, auf der Straße zu funktionieren.<br />
Das ist ein Logistikkonzept mit einem Hintergrund in der Robotik.<br />
Unsere Roboter sind zu 99 Prozent autonom, und wenn etwas passiert,<br />
können sie die Kontrolle an einen Menschen übergeben. Natürlich ist es<br />
ein Roboter, aber es ist im Grunde ein ganzes Konzept. Die Idee war nicht,<br />
einen Roboter zu bauen, sondern ein Servicekonzept zu entwickeln.<br />
CLAUSEN: Lieferroboter entsprechen der Bedarfsorientierung und der<br />
Forderung nach einer höheren zeitlichen Flexibilität. Man trifft auf ein Konsumentenverhalten,<br />
das nicht gleichmäßig über den Tag verteilt ist. Die<br />
Auslastung von Lieferrobotern wird sicher im Laufe des Nachmittags zunehmen,<br />
sie wird nicht gleichmäßig über 24 Stunden verteilt sein.<br />
Wo und für welche Güter kann man die Roboter einsetzen?<br />
CLAUSEN: Man kann solche kleinen Roboter nicht über 40, 50 Kilometer<br />
Entfernung sinnvoll fahren lassen, man braucht eine bestimmte Zustelldichte<br />
und eine Infrastruktur. Und natürlich auch die Akzeptanz. Insofern sind<br />
vor dem Regelbetrieb der Lieferroboter sicher noch einige Fragen zu klären.<br />
KAARLEP: Bei der Akzeptanz haben wir in unseren Feldversuchen Erstaunliches<br />
herausgefunden. 80 bis 90 Prozent der Menschen ignorieren<br />
den Roboter tatsächlich komplett. Und die, die einen zweiten Blick auf ihn<br />
werfen, reagieren bemerkenswert positiv. Unsere Roboter können bis zu<br />
zehn Kilogramm Last transportieren. Sie liefern Pakete, Lebensmittel und<br />
Essen. Das sind die drei Bereiche, mit denen wir uns zurzeit beschäftigen.<br />
Herr Clausen, Sie haben errechnet, dass für circa 400 Millionen<br />
Pakete jährlich in Deutschland eine Zustellung per Roboter möglich<br />
ist. Wie sind Sie auf diese Zahl gekommen?<br />
Fotos: Nathalie Bothur, Willing-Holtz<br />
CLAUSEN: Wir haben uns bemüht abzuschätzen,<br />
wie groß der Markt ist. In Relation zur Anzahl der<br />
Haushalte in Deutschland, gut 40 Millionen mit<br />
steigender Tendenz, sind das zehn Zustellungen<br />
pro Jahr im Durchschnitt. Vor dem Hintergrund<br />
des weiter wachsenden Onlinehandels scheint<br />
uns das realistisch.<br />
Welche Infrastruktur benötigt die Zustellung<br />
von Lieferungen mit den Robotern?<br />
KAARLEP: Unser Konzept ist es, einen flexiblen<br />
Bereich zu haben, in dem wir eine größere Zahl<br />
an Robotern abstellen können, sie ihre Batterien<br />
laden können und von wo aus sie losgeschickt<br />
werden, um Lieferungen zuzustellen. Das kann<br />
ein fester oder ein wechselnder Bereich sein, der<br />
aber eine wenig spezifische Ausstattung braucht.<br />
CLAUSEN: Durch eine solche Infrastruktur verkürzt<br />
sich die letzte Meile. Wir werden also<br />
mehr Standorte bekommen, und wir brauchen<br />
natürlich eine Logistik, um diese dann bedarfs-<br />
CLAUSEN: Wir wissen auch nicht, inwieweit<br />
Kunden es chic finden, mit einer Drohne beliefert<br />
zu werden. Es gibt sicher Kunden, die das<br />
gern nutzen, aber es gibt auch Menschen, die<br />
es unangenehm oder sogar bedrohlich finden,<br />
wenn sozusagen Gegenstände über sie hinwegfliegen.<br />
Außerdem muss die Privatsphäre<br />
geschützt werden, und es gibt ein Unfallrisiko.<br />
Auch in der Logistik gibt es neue Allianzen.<br />
Welche wichtigen Player sehen Sie auf dem<br />
Markt?<br />
CLAUSEN: Mit Amazon haben wir einen Onlinehändler, der sich immer<br />
mehr zum Technologie- und Logistikunternehmen entwickelt. Und mit<br />
Starship Technologies etwa ein Start-up, das um eine Idee, ein Bedürfnis<br />
eben, einen Service und ein technologisches Gerät entwickelt und ganzheitlich<br />
ausbaut. Also gleichermaßen aus Erkenntnis und Erfahrung wie<br />
aus Lust auf Neues werden da Innovationen vorangetrieben.<br />
KAARLEP: Es drängen immer mehr multinationale Unternehmen in den<br />
Markt. Alle wollen dasselbe Problem lösen: den Auslieferungsprozess auf<br />
der letzten Meile. Starship Technologies ist ein Player, der das Potenzial<br />
hat, den Same-Day-Delivery-Prozess zu revolutionieren. Zu diesem Zweck<br />
gehen wir Partnerschaften mit starken Unternehmen wie Daimler ein, um<br />
gemeinsam innovative Lieferkonzepte zu entwickeln.<br />
CLAUSEN: Die branchenübergreifende Zusammenarbeit ist sicher der<br />
Schlüssel zu einem modernen Verkehrs- und Logistikkonzept. Güter- und<br />
Personenverkehr nutzen vielfach die gleiche Infrastruktur, werden aber<br />
getrennt voneinander gedacht und entwickelt. Als Verkehrslogistiker<br />
wollen wir systemischer an die Themen herangehen.<br />
50<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
51<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
SMART REGIONS<br />
UMSTEIGEN<br />
STATT AUSSTEIGEN<br />
Bis 2025 will Kopenhagen die erste klimaneutrale<br />
Hauptstadt der Welt werden. Wie man das schafft?<br />
Ohne Verbote und ohne Moralpredigten,<br />
sondern durch GRÜNE MOBILITÄT. Und durch Angebote<br />
im Straßenverkehr, die keiner ablehnen kann<br />
TEXT: CLEMENS BOMSDORF<br />
52<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
Foto: Getty Images
SMART REGIONS<br />
Der Himmel über Kopenhagen ist grau,<br />
die Straßen sind nass, doch das ist<br />
kein Grund, vom Fahrrad zu steigen.<br />
An diesem Tag waren es mittags um 13 Uhr<br />
schon 3721, die zwischen dem Backstein-<br />
Rathaus und dem gläsernen Hauptsitz des<br />
dänischen Unternehmerverbands Dansk Industri<br />
am H. C. Andersens Boulevard vorbeigeradelt<br />
sind. Das steht auf der dunkelgrauen<br />
Infosäule, die am Platz aufgestellt wurde, um<br />
den Kopenhagener Radfahrern zu zeigen,<br />
dass sie eine ziemlich große Gruppe sind.<br />
Einer der 3721 war Morten Kabell, dessen<br />
kurze morgendliche Radtour schon ein paar<br />
Stunden her ist. Jetzt sitzt der 46-Jährige in<br />
seinem Büro, trinkt Tee und erzählt, warum<br />
er stets das Fahrrad nimmt. „Mehr als zehn<br />
Minuten brauche ich nie, um von zu Hause<br />
ins Büro zu kommen. Mit dem Bus ginge es<br />
genauso schnell, mit dem Pkw wäre es wegen<br />
der Parkplatzsuche viel aufwendiger, aber ein<br />
Auto habe ich sowieso nicht. Warum auch?“<br />
Kabell gehört zu den 46 Prozent Kopenhagenern,<br />
die mit dem Rad oder zu Fuß zur Arbeit<br />
kommen. Sein Büro ist so groß wie eine kleine<br />
Wohnung und hat gleich zwei Gesprächsecken.<br />
Das liegt daran, dass Kabell einer der<br />
wichtigsten Politiker der dänischen Hauptstadt<br />
ist: Bürgermeister für Verkehr und Umwelt.<br />
„Mir steht ein Dienstwagen zu, aber den<br />
habe ich abgelehnt und gegen ein Elektrofahrrad<br />
getauscht“, erzählt er und fügt verschmitzt<br />
hinzu: „Kurz hatte ich mir überlegt,<br />
einen offiziellen Autoparkplatz vor dem Rathaus<br />
dafür zu blockieren. Aber das wäre dann<br />
vielleicht doch zu provokant gewesen.“<br />
Kopenhagen hat sich das ehrgeizige<br />
Ziel gesetzt, bis 2025 die erste CO ²<br />
-neutrale<br />
Hauptstadt der Welt zu werden – obwohl es<br />
bis dahin 100 000 Bewohner und 20 000 Arbeitsplätze<br />
mehr geben wird. Angestrebt wird<br />
nicht, gar kein CO ²<br />
mehr auszustoßen. Stattdessen<br />
sollen die Emissionen stark heruntergefahren<br />
werden, während gleichzeitig so viel<br />
grüne Energie produziert wird, dass andern-<br />
=== VERKEHRSBÜRGER<br />
MEISTER MORTEN<br />
KABELL HAT<br />
<strong>DE</strong>N DIENSTWAGEN<br />
ABGELEHNT UND<br />
DAFÜR EIN E-BIKE<br />
GENOMMEN ====<br />
orts umwelt schädliche Kraftwerke ersetzt werden können. So kann<br />
mindestens ebenso viel CO ²<br />
eingespart werden, wie dann trotz aller<br />
Sparmaßnahmen noch in Kopenhagen ausgestoßen wird. Im Zentrum<br />
steht die Energieproduktion – Fernwärme und Windparks sollen<br />
ausgebaut werden. Aber auch dem Straßenverkehr kommt eine bedeutsame<br />
Rolle zu. „Grøn mobilitet“ ist laut Klimaplan zweitwichtigster<br />
Faktor auf dem Weg zur CO ²<br />
-Neutralität, sie soll elf Prozent zur<br />
Schadstoffreduktion beitragen.<br />
MARKTWIRTSCHAFTLICHE METHO<strong>DE</strong>N<br />
Kabell gehört Enhedslisten an, der linksten aller im dänischen Parlament<br />
vertretenen Parteien. Er möchte die Kopenhagener weder zwangsbeglücken<br />
noch durch Moralisieren dazu bringen, weniger und umweltfreundlicher<br />
Auto zu fahren, sondern setzt auf eine klassisch<br />
marktwirtschaftliche Methode – die Verbesserung des Angebots. „Den<br />
Anteil der in der Stadt Wohnenden, die mit dem Rad pendeln, werden<br />
wir kaum noch erhöhen können. Jetzt kommt es darauf an, die von außerhalb<br />
Anreisenden auf umweltfreundliche Verkehrsmittel zu bekommen“,<br />
so Kabell. Ob sich die Pendler für das Rad oder den öffentlichen<br />
Personennahverkehr (ÖPNV) entschieden, sei gar nicht so wichtig,<br />
Hauptsache, das Auto bleibe stehen. Während in den vergangenen zehn<br />
Jahren der Anteil der Kopenhagener, die mit dem Auto zur Arbeit fahren,<br />
laut Untersuchungen der örtlichen technischen Universität von<br />
36 auf 28 Prozent gefallen ist, liegt dieser Wert bei aus der Umgebung<br />
Anreisenden noch stabil bei knapp über 50 Prozent.<br />
„Wir wollen den Leuten den Umstieg zu emissionsfreien Verkehrsmitteln<br />
leicht machen“, sagt Kabell. Mit einem solchen Angebotsansatz<br />
ist es schon gelungen, im Stadtzentrum ÖPNV und Radeln attraktiver<br />
zu machen: Vor 15 Jahren wurden S-Bahn und Busse durch die erste<br />
1,2<br />
MILLIONEN<br />
Kilometer fahren<br />
alle Kopenhagener<br />
täglich mit<br />
dem Fahrrad<br />
In maximal<br />
600<br />
METER<br />
Entfernung bis zu einer<br />
U-Bahn-Station werden<br />
85 % der Kopenhagener<br />
wohnen, wenn 2019<br />
der Cityring fertiggestellt<br />
sein wird<br />
Fotos: Kristian Ridder-Nielsen, Rasmus Hjortshøj – Coast Studio<br />
Metrolinie ergänzt, 2019 steht mit dem Cityring der nächste große Ausbau<br />
an. Für Fußgänger und Radfahrer wurden in den vergangenen<br />
zehn Jahren gleich mehrere Brücken über das Hafenbecken gebaut, die<br />
für Radler die Routen zwischen den Stadtteilen zum Teil drastisch verkürzen.<br />
Die wichtigsten Radwege wurden erheblich erweitert und sind<br />
nun bis zu fünf Meter breit. An vielen Stellen können Radfahrer nebeneinanderfahren<br />
und trotzdem problemlos überholt werden, an den<br />
Kreuzungen gibt es sogar geteilte Spuren, damit der Radverkehr flüssiger<br />
fließt.<br />
An rund 100 Stellen in der Stadt stehen nicht nur gewöhnliche<br />
Fahrradständer, sondern auch solche für ultramoderne Mieträder, die<br />
mit Tabletcomputer und Elektroantrieb ausgestattet sind. So auch vor<br />
Cykelslangen<br />
(„Fahrrad schlange“)<br />
ist eine 190 Meter<br />
lange Stahlbrücke<br />
für den Radverkehr<br />
über das<br />
Hafen becken<br />
von Kopenhagen<br />
dem imposanten Haupteingang zum burgähnlichen<br />
Rathaus. „Wir sind jetzt vier Tage<br />
lang durch die Stadt gelaufen, heute wollen<br />
wir mal fahren. Vor allem, weil ich Lust auf<br />
ein Elektrorad habe“, erzählt Max Hermans,<br />
der mit seiner Freundin für ein paar Tage aus<br />
Brüssel zu Besuch ist. Er hat sich schon auf eines<br />
der weißen Räder gesetzt, die an sonnigen<br />
Tagen das Stadtbild prägen, und tippt auf<br />
dem Tablet rum, um es auszuleihen. „Es ist<br />
wirklich beeindruckend, wie gut hier alles<br />
organisiert ist, da würde ich auch ständig<br />
54<br />
55<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
Straße mit Radweg<br />
SMART REGIONS<br />
Grüner Radweg 1<br />
Fahrrad-Highway 2<br />
Radfahren möglich<br />
63<br />
PROZENT<br />
der Bewohner<br />
Kopenhagens<br />
fahren mit dem<br />
Fahrrad<br />
In weniger als<br />
15<br />
MINUTEN<br />
können 90 % der<br />
Kopenhagener einen<br />
Park, einen Strand<br />
oder ein Schwimm -<br />
bad erreichen<br />
S-Bahn<br />
Regionalbahn<br />
Metrostation<br />
E-Ladestation<br />
1<br />
Sicheres Radwegenetz abseits der viel befahrenen Straßen 2 Schnelle, komfortable Fahrradstrecken in Kopenhagen und Umgebung<br />
radeln“, sagt seine Partnerin Mathilde Nottebaert. Bis vor ein paar Jahren<br />
gab es in Kopenhagen Räder, die wie Einkaufswagen mit einer Pfandmünze<br />
ausgeliehen werden konnten. Sie fuhren sich nicht so bequem, kosteten<br />
den Nutzer aber nichts und wurden deshalb manchmal einfach im Park zurückgelassen.<br />
Beim „European City Ranking 2015 Best<br />
Practices for Clean Air in Urban Transport“<br />
Das soll mit den neuen, schneeweißen Modellen nicht mehr steht Kopenhagen hinter Zürich auf dem<br />
passieren, schließlich muss sich jetzt jeder namentlich registrieren lassen zweiten Platz der europäischen Großstädte,<br />
und die Räder in speziellen die sich um niedrige Luftverschmutzung und<br />
Ständern parken.<br />
nachhaltigen Verkehr bemühen. „Kopenhagen<br />
Die teure Technik ist allerdings fehleranfällig: Bei Nottebaerts Rad<br />
reagiert das Display nicht, weil es nass ist, bei ihrem Freund gelingt es ist beim Radverkehr weit vorn und auch<br />
beim ÖPNV, der mit dem neuen Metroring<br />
dem System nicht, eine Verbindung aufzubauen, als er seine Kreditkartennummer<br />
sehr ambitioniert ausgebaut wird“, sagt<br />
eingeben will. Die Nutzerzahlen zeugen aber davon, Arne Fellermann, Verkehrsexperte beim<br />
dass die Räder meistens funktionieren: Fast eine Million Fahrten wurden<br />
2016 mit den Mietbikes zurückgelegt. „Gehen wir halt wieder zu<br />
Fuß“, sagt Nottebaert gar nicht ungehalten und erzählt noch, was bei<br />
ihr zu Hause in Brüssel viele vom Radfahren abhalte. „Dort muss man<br />
immer den Autos ausweichen, und die Luft ist unglaublich verschmutzt<br />
– kein Wunder, dass viele lieber im Wagen sitzen.“<br />
Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND),<br />
der in Deutschland das Ranking betreut:<br />
Berlin landet als beste deutsche Stadt auf<br />
Platz fünf direkt vor Stuttgart, Düsseldorf<br />
auf Rang zwölf.<br />
Fellermann lobt auch die strikten Emissionsvorgaben<br />
für Lkw, die nach Kopenhagen<br />
wollen. Lediglich dass es für Pkw keine Beschränkungen<br />
gibt, beanstandet er, was aller<br />
Foto: Kristian Ridder-Nielsen, Carolin Eitel / WILDFOX RUNNING<br />
===== FÜR RADFAHRER WUR<strong>DE</strong>N MEHRERE<br />
BRÜCKEN ÜBER DAS HAFEN BECKEN GEBAUT, DIE<br />
DIE ROUTEN ZWISCHEN <strong>DE</strong>N STADTTEILEN<br />
ZUM TEIL DRASTISCH VERKÜRZEN ========<br />
dings die dänische Gesetzgebung nicht zulässt. Ebenfalls positiv: Die<br />
Busse im ÖPNV werden mehr und mehr auf nachhaltige Antriebe wie<br />
Biogas umgestellt. Wer genau hinsieht, kann die schadstoffarmen Modelle<br />
im Stadtverkehr erkennen. Ihre Dächer sind etwas höher als die<br />
normaler Busse – schließlich muss die aufwendigere Technik irgendwo<br />
untergebracht werden. Um Fahrzeughersteller dazu zu bewegen,<br />
auch Müllwagen oder Räumfahrzeuge mit alternativen Antrieben anzubieten,<br />
hat Kopenhagen sich mit nordeuropäischen Städten wie<br />
Hamburg zusammengeschlossen. „Allein sind wir ein zu kleiner<br />
Kunde, aber wenn wir die Nachfrage bündeln, können wir etwas erreichen“,<br />
berichtet Morten Kabell. Von den Pkw, die die Kopenhagener<br />
Behörden nutzen, werden ab diesem Frühjahr knapp 80 Prozent mit<br />
Strom angetrieben.<br />
VERKEHRSDICHTE ANALYSIEREN<br />
Natürlich lässt sich nicht jeglicher Verkehr mit fossilem Antrieb aus der<br />
Stadt verbannen. Mittels IT und sogenannter Smart-City-Lösungen<br />
können aber die Emissionen gesenkt werden. So experimentiert die<br />
Kommune derzeit mit Spezialkameras, die Art und Dichte des Verkehrs<br />
analysieren und dann die Ampeln so schalten, dass etwa Busse möglichst<br />
selten stoppen müssen. Das sorgt für schnelleren öffentlichen<br />
Nahverkehr. Dieses Jahr wird ein System getestet, bei dem Lkw-Fahrer<br />
per App mitgeteilt bekommen, mit welcher Geschwindigkeit sie grüne<br />
Welle haben. „Weniger Stopps senken die Emissionen schwerer Fahrzeuge<br />
erheblich. Davon haben alle Bewohner etwas, und das macht Kopenhagen<br />
auch attraktiver“, so Kabell.<br />
Menschen, nicht Autos ins Zentrum der Stadtplanung zu stellen hat<br />
in der dänischen Hauptstadt Tradition. Davon konnte sich das internationale<br />
Fachpublikum im vergangenen Jahr auch auf der Biennale in<br />
Venedig überzeugen, der wohl wichtigsten internationalen Architekturausstellung.<br />
In einem Raum des dänischen Pavillons wurde eine Videoinstallation<br />
gezeigt, in der der renommierte Stadtplaner Jan Gehl erläutert,<br />
wie er Kopenhagens Fokus vom Auto auf die Bewohner verschoben<br />
hat. Gehl hat auch mitgeholfen, den New Yorker Times Square von einem<br />
klassischen innerstädtischen Verkehrsknotenpunkt zu einem<br />
Treffpunkt für Leute zu machen. Im Raum gegenüber standen Hunderte<br />
von Architekturmodellen, darunter einige, die zeigten, wie in den<br />
vergangenen Jahren die Stadt Kopenhagen menschenzentrierter und<br />
umweltgerechter gemacht worden ist – vor allem durch die vielen<br />
neuen Fahrradbrücken und die Metro.<br />
„Natürlich freue ich mich, wie gut es für die Umwelt ist, dass wir jeden<br />
Morgen mit dem Rad oder der Bahn zur Arbeit fahren“, erzählt<br />
Nadica Damevska, Store-Managerin bei Starbucks, „aber um ehrlich zu<br />
sein, ist das für mich nur ein Nebeneffekt. Ich mache das, weil es so viel<br />
angenehmer ist, als mit dem Auto zu fahren.“ Damevska wohnt mit<br />
Mann und Tochter im neuen Stadtteil Ørestad, durch den ein Arm des<br />
Metronetzes gebaut wurde. Zu Stoßzeiten gleiten<br />
vor ihrem Wohnzimmerfenster die fahrerlosen<br />
Züge im Vierminutentakt vorbei, die<br />
nächste Station ist nur ein paar Hundert Meter<br />
entfernt. „Am liebsten radle ich zum Job. Dann<br />
bin ich in 13 Minuten da“, sagt Damevska und<br />
schwärmt von ihrem Weg: „Die Tour führt<br />
mich durch einen Park, in dem mir manchmal<br />
Reiter begegnen. Sogar ein Reh habe ich mal<br />
gesehen. Dann geht es auf der Brücke übers<br />
Hafenbecken, und schon bin ich da. Wenn ich<br />
davon Fotos poste, sind die Freunde im Ausland<br />
immer ganz begeistert und können kaum<br />
glauben, dass ich in einer Großstadt lebe.“<br />
Heute allerdings hat sie den Zug genommen,<br />
weil der Wind zu stark war, obwohl sie<br />
mit dem ÖPNV doppelt so lange wie mit dem<br />
Rad unterwegs ist, weil die Bahn nicht Luftlinie<br />
fährt. „Die Tour mit den Öffentlichen ist so<br />
entspannt, dass wir wirklich kein Auto benötigen“,<br />
sagt sie, aber wann immer das Wetter es<br />
zulässt, zieht sie das Rad vor, aus Gründen, die<br />
in keiner Verkehrsplanung auftauchen: „Als<br />
berufstätige Mutter bleibt mir manchmal gar<br />
nicht so viel Zeit, und jede Woche noch Sport<br />
zu treiben, das würde eng werden. Aber die<br />
knappe halbe Stunde auf dem Rad täglich macht<br />
das locker wett.“ <br />
Kopenhagen stellt sein<br />
öffentliches Verkehrssystem<br />
auf nachhaltige Antriebe<br />
um, etwa mit Elektrobussen<br />
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<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
OUTRO<br />
WIR MÜSSEN RE<strong>DE</strong>N …<br />
DR. MATTHIAS SCHUBERT<br />
PARTNERS AND SUPPORTERS<br />
AT A GLANCE<br />
Als unabhängiger Dritter wird der TÜV RHEINLAND<br />
bei der digitalen Mobilität von morgen eine<br />
entscheidende Rolle spielen, ist Dr. Matthias Schubert,<br />
Executive Vice President Mobilität, überzeugt<br />
TEXT: ISABELL SPILKER<br />
1. Sie haben gerade als Executive Vice President das Geschäftsfeld Mobilität<br />
übernommen. Wie wollen Sie es für die Zukunft ausrichten?<br />
Wir haben sehr gut ausgebildete, topmotivierte Mitarbeiter. Mit ihnen möchte ich<br />
unser Geschäft weiterentwickeln. Weil unsere Kunden und ihre Anforderungen<br />
an unsere Dienstleistungen sich rasant entwickeln, ergeben sich spannende<br />
Potenziale. Digitalisierung, autonomes Fahren und Elektromobilität stellen neue<br />
Anforderungen. Wir brauchen neue Organisationsformen, neue Partnerschaften<br />
und viel Kreativität, um die Dienstleistungen von morgen zu entwickeln.<br />
DR. MATTHIAS<br />
SCHUBERT<br />
ist promovierter<br />
Diplom-Kaufmann<br />
und seit April 2017<br />
Executive Vice<br />
President Mobilität<br />
der TÜV Rheinland<br />
AG. Bevor er zum<br />
TÜV kam, arbeitete<br />
er unter anderem<br />
für Michelin und<br />
Euromaster<br />
2. Ihr Vorgänger hat aus der Prüfstand-Sparte den weltweit agierenden Fachbereich Mobilität<br />
gemacht. Wollen Sie diese Entwicklung weiter vorantreiben?<br />
Selbstverständlich mit Vollgas. Es gibt viele Chancen, Mobilität sicherer und ressourcenschonender zu machen.<br />
Und die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrzehnten gesammelt haben, international einzubringen.<br />
3. Einer der Schwerpunkte der Sparte Mobilität des TÜV Rheinland ist die Digitalisierung des<br />
Prüfgeschäfts. Fällt der Beruf des TÜV-Prüfers dem bald zum Opfer?<br />
Sicher nicht, er wird sich verändern. Die Mobilität der Zukunft ist getrieben von Daten, intelligenten Sensoren<br />
und Vernetzung. Fragen der Sicherheit, Integrität von Daten und des Miteinanders von Mensch und Technik<br />
sind von entscheidender Bedeutung. Als unabhängiger Dritter werden wir dabei eine wichtige Rolle spielen.<br />
4. Der TÜV Rheinland beaufsichtigt auch die Führerscheinprüfungen. Wie sehen diese<br />
in Zeiten des autonomen Fahrens aus?<br />
Auch in Zeiten des autonomen Fahrens muss der Fahrer eines Fahrzeugs jederzeit in der Lage sein<br />
einzu greifen. Das heißt, er muss grundsätzlich die Fähigkeit besitzen, ein Fahrzeug zu führen und mit den<br />
vielfältigen Assistenzsystemen zu arbeiten. Fahrausbildung und Fahrerlaubnisprüfung werden sich weiterentwickeln<br />
und verändern. Wir arbeiten hier mit allen Beteiligten zusammen im Sinne der Verkehrssicherheit.<br />
5. Sie haben drei Kinder. Wie erklären Sie denen die Mobilität von morgen?<br />
Zunächst einmal versuche ich, sie für die Errungenschaften der Mobilität von heute zu begeistern.<br />
Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich und untrennbar verbunden mit der Mobilität<br />
von Menschen und Dingen. In diesem Sinne wird sich hoffentlich nicht so viel verändern.<br />
Anstelle von Mama oder Papa, so sage ich ihnen, fährt dich in der Zukunft das Auto zum Hockey.<br />
Fotos: Selina Pfrüner, Shutterstock (2)<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Messe Frankfurt Exhibition<br />
Verantwortlich<br />
Michael Johannes,<br />
Geschäftsbereichsleiter<br />
Mobility & Logistics<br />
Koordination<br />
Dr. Ann-Katrin Klusak,<br />
Claudia Cermak<br />
Verlag und Anschrift<br />
der Redaktion<br />
HOFFMANN UND CAMPE X,<br />
eine Marke der HOFFMANN UND<br />
CAMPE VERLAG GmbH<br />
Harvestehuder Weg 42,<br />
20149 Hamburg<br />
Amtsgericht Hamburg,<br />
HRB 81308. Sitz: Hamburg<br />
Geschäftsführung<br />
Christian Backen<br />
Alexander Uebel<br />
Objektleitung und<br />
Chefin vom Dienst<br />
Kaja Eilers<br />
Chefredaktion<br />
Michael Hopp<br />
Artdirection<br />
Michèle Hofmann<br />
Bildredaktion<br />
Bernd Dinkel<br />
Claudia Gossmann<br />
Redaktionelle Mitarbeit<br />
Heinz-Jürgen Köhler (Textchef),<br />
Joachim Becker, Clemens Boms -<br />
dorf, Chris Elster, Thomas Fromm,<br />
Michael Radunski, Michael Seitz,<br />
Isabell Spilker, Anja Steinbuch,<br />
Sabrina Waffenschmidt<br />
Schlussredaktion<br />
Sebastian Schulin<br />
Herstellung<br />
Claude Hellweg<br />
Litho<br />
EINSATZ Creative Production<br />
GmbH & Co. KG<br />
Druck<br />
NEEF + STUMME premium<br />
printing GmbH & Co. KG<br />
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<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY<br />
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<strong>EVENTS</strong><br />
DRIVING MOBILITY
Mobility<br />
& Logistics<br />
Fairs, conferences, events & festivals,<br />
developed for you and your business worldwide.<br />
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