Berliner Leben & Arbeit Print Ausgabe 2008
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<strong>Leben</strong><br />
Der Erfinder mit<br />
den Winden<br />
KINDERBUCH<br />
pelzige Hummeln, alles inklusive mit<br />
brummendem Flug und Pollenkörper<br />
im Pelz. Nur der Kenner lässt sich nicht<br />
hinters Licht führen; wir Eingeweihten<br />
sind nur eine kleine Schar, aber wir<br />
werden sehr alt.“<br />
Womit mindestens ein Grund für diese<br />
ungewöhnliche Leidenschaft bereits<br />
benannt wäre; natürlich gibt es derer<br />
noch einige mehr, und um diese nicht nur<br />
den Runmaröer Touristen auseinander<br />
zu setzen, hat Sjöberg nun das Buch<br />
„Die Fliegenfalle“ mit dem schön<br />
langen Untertitel „Über das Glück der<br />
Versenkung in seltsame Passionen, die<br />
Seele des Sammlers, Fliegen und das<br />
<strong>Leben</strong> der Natur“ geschrieben. Ja, um all<br />
das geht es. Sowie um „Fliegenpolitik“<br />
und „Knopfologie“, um die passenden<br />
Nadeln und Kästen, um das<br />
Doppelplumpsklo des Dichters Esaias<br />
Tegnérs, den „Schwebfliegenboom“,<br />
die Fußnoten der Natur und allerlei<br />
andere Rätsel und Randnotizen der<br />
Entomologie. Und um René Malaise,<br />
der 1934 eine Insektenfalle in Zeltform<br />
erfand, die Sammler in aller Welt durch<br />
ihre Todesquoten beeindruckt.<br />
Sjöberg legte sich - nach politisch<br />
korrektem Zögern - das größte<br />
Modell, die „Mega Malaise“, zu. „Ein<br />
wahres Monster“, das nicht nur seine<br />
Schwebfliegenforschung in größten<br />
Schritten voran trieb, sondern ihm ein<br />
weiteres Gebiet eröffnete: das Sammeln<br />
von Informationen über <strong>Leben</strong> und<br />
Werk von René Malaise. In „Die<br />
Fliegenfalle“ erzählt er von Malaises<br />
Reisen nach Kamtschatka, Japan und<br />
Burma, von dessen Frauen und der<br />
dubiosen Atlantis-Theorie. Er treibt<br />
sich in Antiquariats-Archiven herum<br />
und wird zu guter Letzt sogar „stolzer<br />
Besitzer einer Kopie einer Rembrandt-<br />
Fälschung. Einer kleinen. Vermutlich<br />
gestohlenen.“<br />
Dass ein Sammler sein <strong>Leben</strong> lang<br />
ein Sammler bleibt, ahnte man wohl.<br />
Dass er sich und seine Passion so<br />
schnodderig und dennoch mit vollem<br />
Ernst, so episodisch und dennoch mit<br />
großzügigem Überblick erklären und<br />
zugleich belächeln kann, ist allerdings<br />
eine Seltenheit. Nebenbei urteilt<br />
Sjöberg die Ideale von unberührter<br />
Natur und geschütztem Volkstum als<br />
Ideologien ab, die - zumindest dem<br />
Naturwissenschaftler - wenig nützen,<br />
ja „unangebracht“ seien. Das darf<br />
man auf das Buch selbst bezoehen:<br />
Nur dank der grenzenlosen Vielfalt<br />
der Literatur stößt man immer wieder<br />
auf solch reizende Raritäten wie „Die<br />
Fliegenfalle“.<br />
•<br />
Cornelia Geissler<br />
Vorsicht: Im<br />
Buch "Doktor<br />
Proktors<br />
Pupspulver" ist<br />
wiederholt von<br />
bewusst herbeigef<br />
ü h r t e n<br />
Blähungen und<br />
deren Ausweg<br />
über den Anus die Rede. Dennoch<br />
kann man es Menschen ab 8 guten Gewissens<br />
überlassen, weil es so schön<br />
erzählt ist. Der norwegische Autor Jo<br />
Nesbø ist bisher nur Krimilesern vertraut;<br />
in seinem ersten Kinderbuch tobt<br />
er sich regelrecht aus. Er erzählt von<br />
dem sehr kleinen Jungen Bulle mit sehr<br />
roten Haaren, der auf einen großen hageren<br />
Professor mit ungepflegtem weißen<br />
Haar trifft. Professor Proktor erfindet<br />
den lieben langen Tag lang Dinge,<br />
die die Menschheit nicht braucht. Doch<br />
mit seinem Pupspulver weiß Bulle so<br />
viel anzufangen, dass er es bald an der<br />
Schule verkaufen kann. In besonderer<br />
Konzentration jagt es Menschen sogar<br />
in die Höhe und könnte - vermutet der<br />
Professor - auch für die Nasa interessant<br />
sein. Die Erfindung lockt Neider<br />
an, die dicken, fiesen Söhne des<br />
reichsten Mannes im Viertel. Aber zunächst<br />
kommen nicht sie, sondern der<br />
Professor und Bulle ins Gefängnis. Jo<br />
Nesbø weiß eben, wie man Spannung<br />
erzeugt.<br />
Seinen eigentlichen Reiz verdankt das<br />
Buch weniger der Schamlosigkeit in<br />
der Beschreibung der Körper-Winde,<br />
sondern der Vielfalt an Skurrilitäten<br />
und Absurditäten, die hier in durchaus<br />
logischer Abfolge passieren und mit lakonischem<br />
Witz beschrieben sind. Nesbø<br />
verhilft auch dem norwegischen König,<br />
einem Blasorchester, einer Ratte<br />
und einer Anakonda zu würdigen Auftritten.<br />
Er soll ruhig weiter für Kinder<br />
schreiben.<br />
•<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Leben</strong> & <strong>Arbeit</strong> 17