Leseprobe "Unsere besten Freunde" Juli 2017

Landleben
neu gedacht
Das Leben auf dem Land ist kein Museum. Neben den „klassischen“ Bauernhoftieren wie Kühen, Schweinen und Pferden stehen zunehmend auch fremdartige
Tiere in den Ställen und auf den Weiden, die auf den ersten Blick mit ländlicher Idylle scheinbar nichts mehr zu tun haben. Und hinter der Haltung
von Lamas, Straußen und anderen Exoten steckt oft auch mehr als reine Liebhaberei, sondern eine ganz neue Sicht auf Tiere und ihr Zusammenleben mit uns.
Wie ein Ziegenbock das Fliegen lernt
Auch bei Tieren passt die äußere Erscheinung nicht immer
mit dem Wesen und der Persönlichkeit zusammen.
So wie bei dem Ziegenbock Günther Gras.
Cornelia Drees, die Leiterin des Begegnungshofs
„Tiere helfen …“ in Worpswede bei Bremen,
erzählt:
Foto: Carola Otterstedt
Foto: Mirja Maria Thiel
„Günther Gras kam 2013 auf unseren
Hof. Er ist ein kleiner hübscher, junger
Ziegenbock, der sehr stark, wehrhaft
und stolz aussieht. Aber das Äußere
täuschte, denn Günther Gras war eher
sehr ängstlich, und
niemand durfte ihn am
Anfang berühren. Er lag
immer am Rande und
hinter der Gruppe der
anderen Tiere. Wenn wir
uns ihm näherten, zog er
sich zurück. Es war
schwer, an ihn heranzukommen,
und doch war er ein sehr
liebenswertes Tier.
Wir haben ihm dann erst einmal Ruhe
und Zeit gegeben, den Hof und die anderen
Tiere kennenzulernen. Er beobachtete
die Tiere, die Menschen, und
wie sie auf unserem Hof alle zusammenleben.
Er lernte von den Schafen
und den Eseln, mit denen er sich zusammen
einen Stall teilt. Vor allem aber
lernte er von Ida, unserer Ziege, mit der
er sich anfreundete.
Günther Gras sah erstaunt, dass alle unsere
Tiere es lieben, mit Menschen gemeinsam
etwas zu unternehmen, sich
streicheln und kraulen zu lassen. Das
kannte er gar nicht, denn er hatte
früher keine guten Erlebnisse mit
Menschen gehabt.
Wir haben dann Günther
Gras eingeladen, zur „Schule“
zu gehen. Natürlich nicht
in die Schule, wo Kinder unterrichtet
werden. Aber ganz
ähnlich wie Kinder in der Schule, hat
auch Günther Gras jeden Tag ein wenig
gelernt. Nämlich, dass man vor Menschen
keine Angst haben muss, dass er
das Streicheln, das Kraulen und das
gemeinsame Spielen sogar genießen
kann.
Günther Gras kann über Hindernisse
springen und macht das besonders
gerne, wenn sich Menschen mit ihm
beschäftigen. Gerne zeigt er auch, dass
er sogar über Zäune hinwegfliegen
kann. Nach drei Jahren ist Günther Gras
jetzt ganz auf unserem
Hof angekommen, möchte
nichts mehr verpassen, ist
überall dabei, und ist sehr
neugierig, wenn Besuch auf
unseren Hof kommt. Wenn
wir einen Spaziergang planen,
ist Günther Gras immer
dabei. Wenn wir einen Hindernisparcours
aufbauen, will Günther
Gras unbedingt als Erster über die Hindernisse
springen. Nur wenn er sieht,
dass seine Freundin Ida mit ihren
kürzeren Beinen nicht ganz so schnell
hinterherkommt, dann bleibt Günther
Gras stehen und wartet auf sie …“
Foto: Mirja Maria Thiel Foto: Carola Otterstedt
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