Gars_Sondernummer_fluechtling2016_v6
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gemeindenachrichten<br />
Luftkurort <strong>Gars</strong> am Kamp<br />
Eineinhalb Jahre Flüchtlingsbetreuung in <strong>Gars</strong><br />
Von Fremden zu Mitbürgern<br />
daheim. urlaub. leben.<br />
Luftkurort <strong>Gars</strong> am Kamp<br />
Regina Ratheiser hilft bei der medizinischen Versorgung der Füchtlinge<br />
Der Funke sprang sofort über<br />
gemeindenachrichten<br />
Luftkurort <strong>Gars</strong> am Kamp<br />
„Die Reise“ oder „Die Flucht aus meiner Heimat“<br />
Warum ich mein Land verliess<br />
GARS. Vom Sozialausschuss der Pfarre wurde<br />
im August 2014 angeregt, eine Flüchtlingsfamilie<br />
in <strong>Gars</strong> aufzunehmen. Die Gemeinde<br />
unterstützte sofort die Suche nach einem<br />
passenden Quartier. Das Areal der ehemaligen<br />
Firma Lachmair schien dafür geeignet<br />
zu sein. Die für Soziales zuständige Geschäftsführende<br />
Gemeinderätin Pauline Uitz<br />
verhandelte erfolgreich mit dem Eigentümer<br />
David Seidl, das Objekt wurde adaptiert und<br />
war zu Beginn 2015 bezugsfertig.<br />
> Mitte Jänner 2015 trafen die ersten Flüchtlinge<br />
ein. Erwartet wurde eine einzige Familie;<br />
gekommen ist aber eine 13 Personen<br />
umfassende Großfamilie (vier Familien).<br />
Bald danach kamen fünf alleinstehende<br />
Männer und zwei weitere Familien dazu.<br />
> Seit der ersten Stunde kümmern sich Gabi<br />
Wittmann, Regina Ratheiser, Dr. Birgit Dollensky,<br />
Franz Weigl, Edeltraud Steiner, Mohamed<br />
und Doris Fredj sowie GGR Pauline<br />
Uitz um die Flüchtlinge, die von Traiskirchen<br />
nach <strong>Gars</strong> geschickt werden.<br />
> Um Kontakt zwischen einheimischer Bevölkerung<br />
und Asylwerbern herzustellen,<br />
wurde am 2. Mai 2015 zu einem „Fest der<br />
Begegnung“ in den Pfarrhof eingeladen.<br />
> Der traurige Anlass vom August des Vorjahres,<br />
als 71 Flüchtlinge in einem Schlepper-Transporter<br />
starben, führte zu einer<br />
Pfarrassistentin Gabriele Wittmann mit den Kindern<br />
der Flüchtlingsfamilien.<br />
spontanen und berührenden Gedenkfeier<br />
am 1. September mit einer beachtlichen<br />
Teilnehmerzahl am Kirchenplatz.<br />
Von Anbeginn gab es im Flüchtlingsquartier<br />
ein Kommen und Gehen. Inzwischen<br />
haben bereits vier Familien aus Syrien und<br />
ein junger Mann aus Palästina eine dauerhafte<br />
Aufenthaltsgenehmigung und leben<br />
als „neue <strong>Gars</strong>er“ in einer eigenen Wohnung.<br />
Für zwei Familien konnten die HelferInnen<br />
in St. Pölten und Horn Wohnungen<br />
Beim „Fest der Begegnung“ lernten die <strong>Gars</strong>erinnen und <strong>Gars</strong>er die Neuankömmlinge kennen.<br />
organisieren. Zu zwei jungen Männern<br />
aus dem Irak, die seit einigen Monaten<br />
in Wien leben, besteht nach wie vor ein<br />
sehr guter Kontakt. Bewegende Momente<br />
erlebten die HelferInnen auch mit zwei<br />
syrischen Männern – beide sind Ärzte –,<br />
die nach einer langen Zeit des Bangens<br />
und zermürbenden Wartens ihre Familien<br />
nachholen konnten.<br />
BARRIEREN & LÖSUNGEN<br />
Die größten Herausforderungen für<br />
Betreuer und Flüchtlinge:<br />
• Sprachliche Barriere: Innerhalb<br />
kürzester Zeit haben sich Übersetzer<br />
zur Unterstützung bereit erklärt.<br />
Drei Lehrerinnen bieten an<br />
drei Tagen Deutschkurse an.<br />
• Traumatisierte Menschen; Krankheiten;<br />
Fehlgeburt; Risikoschwangerschaften;<br />
körperliche Beschwerden<br />
durch Fluchtwege …<br />
• Transporte: nach Traiskirchen, zu<br />
Ärzten, Ämtern, Hilfsorganisationen<br />
– auch dafür waren und sind<br />
immer wieder Menschen bereit,<br />
einzuspringen.<br />
• Negative Bescheide bedeuten immer<br />
eine große Enttäuschung und<br />
Ängste für die Betroffenen, da die<br />
Länder, in die diese Menschen abgeschoben<br />
werden sollen, keinen<br />
guten Ruf in der Flüchtlingsbetreuung<br />
vorweisen.<br />
• Wohnungssuche: Es ist schwer, für<br />
größere Familien passende, leistbare<br />
Wohnungen zu finden, wenn<br />
möglich in einer größeren Stadt<br />
(St. Pölten, Krems, Wien).<br />
• Bürokratische Erledigungen: Ämter<br />
sind zum Teil mit der neuen<br />
Situation nicht vertraut und überfordert.<br />
GARS. Im Jänner 2015 lernte ich das erste<br />
Mal jene Menschen persönlich kennen, von<br />
denen ich bis dahin nur Schreckensbilder<br />
aus dem Fernsehen gesehen hatte. Der Funke<br />
sprang sofort über: Kinder, Frauen und<br />
Männer, so alt wie meine eigenen Kinder,<br />
hatten viel Schreckliches erlebt und hofften,<br />
bei uns Frieden zu finden. Da ich Diplomierte<br />
Krankenschwester bin, war mir bald klar,<br />
wo ich helfen konnte. Nach wenigen Tagen<br />
begleitete ich die ersten Flüchtlinge bei Arztwegen<br />
oder unterstützte sie bei Therapien.<br />
DER KÖRPER SCHREIT...<br />
Bald hatte ich das Gefühl, dass ständig jemand<br />
krank wurde – und es war auch so.<br />
Nach den Strapazen ihres bisherigen Lebens<br />
kamen sie hier in unserem friedlichen <strong>Gars</strong><br />
an. Das erste Mal nach langer Zeit konnten<br />
sie aufatmen. Wer kennt das nicht: Stress im<br />
Alltag und Beruf, dann der langersehnte Urlaub<br />
und plötzlich wird man krank. So ging<br />
es auch sicher unseren Flüchtlingen, von<br />
grippalen Infekten, Schmerzen bis hin zu<br />
gynäkologischen Beschwerden – es verging<br />
Regina Ratheiser hält die kleine Sara im Arm, die<br />
fern der Heimat, doch in Frieden und Sicherheit<br />
zur Welt kam.<br />
kein Tag, an dem nicht irgendjemand etwas<br />
brauchte. Der Körper schreit, weil die<br />
Seele verwundet ist...<br />
EIN WORT FÜR „ZECKE“ GIBT ES NICHT<br />
GARS. Syrer oder Iraker haben noch nie von Zecken gehört, ihre Sprache hat auch kein<br />
Wort für die schwarzen Plagegeister. Daher mussten die Asylwerber zunächst über die<br />
von Zecken ausgehende Gefahr informiert werden und<br />
im Mai 2016 begann auf Initiative von Dr. Mouhaimed<br />
Matar eine große Impfaktion gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis.<br />
Mit einer großzügigen Unterstützung<br />
konnte Impfstoff besorgt werden, mit dem Dr.<br />
Matar 34 Erwachsene und 29 Kinder jeweils zweimal<br />
„Zecken schutzgeimpft“ hat. Da die Familien in ganz<br />
<strong>Gars</strong> verteilt sind, war das auch eine logistische Herausforderung.<br />
Dr. Matar meisterte sie u.a., indem er<br />
Mit seiner Karrikaturfeder hat Johannes<br />
Kraus den in „Zeckenschutz-<br />
Mission“ radelnden Dr. Mouhaimed<br />
Matar festgehalten.<br />
bepackt mit Kühltasche, Impfstoffen, Tupfer und Impfpässen<br />
auf dem Fahrrad quer durch <strong>Gars</strong> unterwegs<br />
war. Jedenfalls: Für heuer sind alle erfolgreich geimpft<br />
und wissen auch, was Zecken sind …<br />
Ich kämpfte mich durch den Verwaltungsdschungel<br />
der Krankenkassen, der Behörden,<br />
mit Versicherungsnummern, Selbstbehalten,<br />
Rezeptgebühren, Befreiungen,<br />
usw. Ich organisierte, begleitete, besorgte,<br />
sprach anfangs nur „pantomimisch“ oder<br />
mit Übersetzungsbüchern und versuchte<br />
so, Sprachrohr zwischen Ärztin, Arzt,<br />
Krankenhaus und PatientInnen zu sein.<br />
Später hatten wir das Glück, arabisch<br />
sprechende <strong>Gars</strong>erInnen zu finden. Für<br />
viele Ärzte in unserer Umgebung war die<br />
Behandlung von Asylwerbern auch Neuland,<br />
aber bis auf eine einzige Ausnahme<br />
wurde immer nach Lösungen gesucht.<br />
Oft stellte mich die „andere Mentalität“<br />
und der „fremde Zeitrhythmus“ vor Herausforderungen.<br />
Andererseits entstanden<br />
bei diesen persönlichen, oft auch intimen<br />
Begleitungen wunderbare Freundschaften.<br />
Ich habe große Ehrfurcht davor, wie<br />
viel Vertrauen mir diese Menschen schenken,<br />
da es manchmal wegen der Sprachbarriere<br />
unmöglich ist, dass sie alles verstehen.<br />
Leider habe ich auch schon sehr<br />
tragische Lebenssituationen begleiten<br />
müssen, etwa als eine junge Frau ihre toten<br />
Zwillinge im 7. Monat gebären musste.<br />
Sie bat mich, bei ihr zu bleiben, obwohl<br />
wir kaum miteinander sprechen konnten.<br />
VIEL SCHÖNES & EIN SPAGAT<br />
Aber auch viel Schönes habe ich miterlebt,<br />
wie die Geburt eines neuen Menschen,<br />
fern von zu Hause, mit der Hoffnung, hier<br />
Heimat und Frieden zu finden. In diesen<br />
vergangenen eineinhalb Jahren bin ich<br />
manchmal beim Spagat zwischen Familie,<br />
Beruf und Hilfe leisten zu wollen, an meine<br />
Grenzen gegangen. Für mich ist das<br />
trotzdem ein wichtiger Beitrag zur Integration<br />
und für ein gutes Zusammenleben<br />
in unserer Gemeinde. Über etwas Unterstützung<br />
würde ich mich freuen.<br />
<br />
Regina Ratheiser<br />
GARS. Ich heiße Hayder Muslit, bin 23<br />
Jahre und komme aus der Stadt Mossul<br />
im Irak. Ich wollte Lehrer werden und<br />
habe zwei Jahre an der Uni studiert, aber<br />
leider nicht mehr abschließen können.<br />
Trotz der vielen Bombenangriffe habe<br />
ich niemals daran gedacht, meine Eltern<br />
jemals zu verlassen und doch hat<br />
ein schwerer Anschlag in der Nähe unseres<br />
Hauses mein Leben so verändert.<br />
Verängstigt hielt ich am Dach Ausschau.<br />
Die riesige Staublawine habe ich mit dem<br />
Handy gefilmt, dabei wurde ich von IS-<br />
Leuten erwischt und vor den Augen meiner<br />
Eltern geschlagen, mitgenommen,<br />
gefoltert und eingesperrt. Sie beschuldigten<br />
mich, spioniert zu haben.<br />
Nach fünf Tagen kam ich mit der Androhung,<br />
mich immer zu beobachten, frei.<br />
Ich habe in diesem Krieg vier Brüder verloren<br />
und wusste, was das bedeutet. Die<br />
Angriffe wurden stärker und die Gefahr,<br />
erneut erwischt zu werden, immer größer.<br />
Es gab nur mehr eine Möglichkeit und<br />
GARS. Deutschkurse für Asylwerber<br />
sind nicht die Norm, obwohl die<br />
erfolgreiche Integration primär von<br />
guten Deutschkenntnissen abhängt.<br />
Dankenswerterweise haben sich die erfahrenen<br />
Lehrerinnen Helga Gradner,<br />
Die Deutschkurse sind gut besucht.<br />
Hayder Muslit (23) wollte seine Eltern und seine<br />
Heimatstadt Mossul nicht verlassen.<br />
das war die Flucht. Tagelang habe ich mich<br />
versteckt und gewartet, aber ohne Chance,<br />
in das Haus meiner Eltern zu kommen.<br />
Ohne Abschied, was mir das Herz bis heute<br />
gebrochen hat, begann meine Flucht am 10.<br />
März 2015 über Syrien in die Türkei.<br />
DEUTSCH IST SCHWER<br />
Überall, wo ich mich aufgehalten habe,<br />
musste ich mich verstecken, denn ich war<br />
illegal eingereist. Immer in der Angst,<br />
von der Polizei erwischt zu werden. Immer<br />
wieder war mein Fortkommen von<br />
Schleppern abhängig. So auch von Izmir<br />
in der Türkei mit dem Schlauchboot<br />
nach Mytilini in Griechenland, weiter<br />
nach Mazedonien, Serbien, Kroatien,<br />
Ungarn und schließlich nach Österreich.<br />
Die Ankunft in Traiskirchen war am 26.<br />
September 2015 und Mitte Oktober kam<br />
ich dann nach <strong>Gars</strong>. Seit diesem Zeitpunkt<br />
warte ich auf mein erstes Interview<br />
in Traiskirchen.<br />
Bis heute habe ich in dieser Zeit jede Gelegenheit<br />
genützt, Deutsch zu lernen.<br />
Ich danke allen Menschen, besonders<br />
hier in <strong>Gars</strong>, die mich so liebevoll aufgenommen<br />
haben und immer wieder unterstützen.<br />
Dank ihrer Hilfe wird mein<br />
Leben einen Sinn haben.<br />
Traude Steiner und Elisabeth Ehrenberger<br />
bereit erklärt, Deutschkurse anzubieten.<br />
Jede von ihnen führt pro Woche zwei<br />
Sprachkurse mit je eineinhalb Stunden<br />
durch. Die Kurse umfassen je nach Vorbildung<br />
der Flüchtlinge auch die Alphabetisierung.<br />
Die Pfarre <strong>Gars</strong> stellt dafür<br />
dankenswerter Weise die Räumlichkeiten<br />
zur Verfügung.<br />
Es ist für die Lehrerinnen eine Freude<br />
zu sehen, mit welchem Einsatz dieses<br />
Angebot angenommen wird.<br />
Rahaf liebt es, Briefchen auf Deutsch zu schreiben ...<br />
August 2016<br />
August 2016