HEINZ Magazin Wuppertal 09-2017
HEINZ Magazin September 2017, Ausgabe für Wuppertal, Solingen, Remscheid
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Zwischen den Fronten<br />
Magisch-surreales Balkan-Panoptikum Das Leben ist schrecklich komisch, bei Emir Kusturica jedenfalls beides:<br />
schrecklich und komisch! Mit seinem neuen Film „On the Milky Road“ präsentiert der serbisch-bosnische Filmemacher<br />
einen bunten, oft schrillen und zuweilen wunderbar sentimentalen Bilderbogen aus dem heimischen<br />
Niemandsland zwischen Bürgerkrieg und Absurdistan.<br />
D<br />
ie Zeit ist stehengeblieben im tragigrotesken Kosmos des Emir<br />
Kusturica. Ganz buchstäblich, denn die alte Kirchturmuhr spielt<br />
verrückt. Das Räderwerk aus der Zeit der österreichisch-ungarischen<br />
KuK-Herrschaft über den Balkan „beißt“ seine Besitzer, zerfleischt<br />
sie in der Zahnradmechanik und manchmal schießt es gar scharf mit<br />
den Zeigern. „Gott schütze uns vor den Großmächten“ heißt es dazu lapidar<br />
von den Protagonisten dieses absurden Balkan-Panoptikums. Mit<br />
solch skurrilen Bildern illustriert Kusturica seine Sicht auf die Tragödie<br />
seiner Heimat. Das Leben könnte so schön sein, wenn sich nicht dauernd<br />
alte und neue Imperialisten einmischen würden. Einstweilen bleibt es<br />
schrecklich, aber Liebe, Leidenschaft und Phantasie geben dem ganzen<br />
ein bezaubernd magisch-surreales Flair.<br />
Erzählt wird die Geschichte des Musikers Kostja (Regisseur Emir Kusturica<br />
auch in der Hauptrolle), der sich im Krieg als Milchmann durchschlägt.<br />
Auf seinem Esel bringt er die Kanister von seinem Dorf durch<br />
die feindlichen Linien, um sie den Soldaten zu verkaufen – eine äußerst<br />
heikle Mission, bei der ihm ein junger Falke der Schutzengel ist. Daheim<br />
wartet unterdes die schöne und ebenso temperamentvolle Milena auf<br />
ihren zukünftigen Bräutigam. Doch dann taucht eine mysteriöse Italienerin<br />
(Monica Bellucci) auf. Angeblich ist sie die entlaufene Braut eines<br />
rasend eifersüchtigen Generals, der sie nun mit aller Macht zurückhaben<br />
will. Als sich Kostja in die fremde Schöne verliebt, nimmt das Schicksal<br />
seinen Lauf...<br />
Als seien die kuriosen Wirren des Bürgerkriegs nicht schon genug, so<br />
spielt auch die Natur verrückt: Ein Huhn tritt zum Hahnenkampf gegen<br />
sein Spiegelbild an, schneeweiße Gänse drängen sich im buchstäblichen<br />
Blutbad und an Kostjas Milch nährt sich eine Schlange (daher der<br />
Titel), deren Attacken sich als Rettung erweisen. Schließlich schickt Kusturica<br />
eine Schafherde als Opferlämmer in ein Minenfeld. Und dennoch<br />
ist der Flucht der Liebenden kein Happy End gegönnt. Schließlich findet<br />
Kostja seinen Seelenfrieden als Einsiedler mit einer göttlichen Mission:<br />
Er schleppt die Steine einer zerstörten Kirche kilometerweit und<br />
bedeckt damit das verhängnisvolle Minenfeld.<br />
„On the Milky Road“ basiert auf Kusturicas Kurzfilm „Words with God“<br />
von 2014, das gut zweistündige Drama lässt dabei bisweilen Längen spüren,<br />
doch gleichzeitig entschädigt es mit der schrecklich schönen Lebensvision<br />
eines Romantikers zwischen den Fronten.<br />
philipp koep<br />
❚ ON THE MILKY ROAD (Na mliječnom putu) RS/GB/USA/MX 2016, 125 Min., Regie u. Buch: Emir Kusturica,<br />
mit: Emir Kusturica, Monica Bellucci, Sergej Trifunuvic, Sloboda Micalovic, Predrag Manojlovic; Start: 7.9.<br />
52 | <strong>HEINZ</strong> | <strong>09</strong>.<strong>2017</strong>