coolibri CAMPUS No 06
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THEMA<br />
Anna Sellhorn kennt das Problem. Die Diplom<br />
Psychologin arbeitet in der sozialen und psychologischen<br />
Beratungsstelle des Studierendenwerks<br />
an der Uni Duisburg-Essen und betreut<br />
Studenten der UDE, der Folkwang Universität<br />
der Künste und der Hochschule Ruhr West.<br />
Nicht selten suchen Studenten ihre<br />
Beratung, weil sie sich im System<br />
Universität einsam und verloren<br />
fühlen. „Die meisten, die mit<br />
solchen Anliegen zu mir kommen,<br />
sind Studierende in besonderen<br />
Situationen, also zum Beispiel Studierende<br />
mit Kind, internationale<br />
oder geflüchtete Studierende oder solche, die<br />
schon älter sind und oft schon mal gearbeitet<br />
haben.“ Besonders anfällig scheinen also Studierende,<br />
die sich in anderen Lebenswelten bewegen,<br />
als es der Otto-<strong>No</strong>rmal-Studi tut. Egal, ob<br />
der Lebensmittelpunkt der eigene Nachwuchs<br />
ist, eine Sprachbarriere die Kontaktaufnahme<br />
hemmt oder ein Kulturschock zu Isolation führt.<br />
„Auch besonders junge Studierende im Alter von<br />
18 oder 19 Jahren fühlen sich schnell einsam“,<br />
weiß Anna Sellhorn. „Einfach weil die Uni ein<br />
großer Kontrast zum Schulsystem mit seinen<br />
klaren Strukturen ist. In eine neue Stadt zu ziehen<br />
und plötzlich alles alleine zu organisieren,<br />
kann überwältigend sein. Oft wird dann auch<br />
vieles, was im Umfeld passiert, als negativ bewertet,<br />
immer mit dem Gedanken: Zuhause war<br />
alles schöner.“ Ein sozialer Rückzug, quasi ein<br />
Einigeln vor der Welt, ist eine mögliche Reaktion,<br />
die vor allem bei sowieso schon ängstlichen<br />
Persönlichkeiten auftreten kann.<br />
Unter Leuten allein<br />
Svenja ist diesem Problem aus dem Weg gegangen.<br />
Anstatt sich in eine neue Stadt zu wagen<br />
und neue Kontakte zu knüpfen, hat sie sich auf<br />
ihr bestehendes Netz zurückgezogen, von dem<br />
sie weiß, dass es sie immer auffangen wird.<br />
Dass sie deshalb manchmal eine Freistunde<br />
mit dem Smartphone, anstatt mit anderen Menschen<br />
verbringt, ist für sie kein wirklich<br />
schmerzliches Problem. „Eigentlich fällt<br />
es mir nur während der Kurse auf.<br />
Wenn zum Beispiel am Anfang des Semesters<br />
bei einem neuen Seminar die<br />
Leute rein kommen und sich sofort zusammensetzen,<br />
dann bleibe ich alleine.<br />
Erst später, wenn es zu Gruppenarbeiten<br />
kommt, lerne ich auch mal jemanden<br />
kennen. Aber nach dem Kurs und<br />
dem Semester verliert man sich dann<br />
doch wieder aus den Augen und bisher<br />
ist es nur selten vorgekommen, dass<br />
ich mal jemanden in einem anderen<br />
Kurs wiedergetroffen habe.“ Kein Drama<br />
für Svenja, schließlich sei sie ja zum<br />
Lernen und für den Abschluss hier. „Es<br />
Wintersemester2017/18<br />
„Soziale Kontakte<br />
leiden unter dem<br />
vermehrten<br />
Leistungsdruck“<br />
hat jetzt auch keinen Einfluss auf meine Leistungen.<br />
Vielleicht eher darauf, wie ich die Uni sehe.<br />
Ich bin immer nur für die Sachen hier, die ich<br />
machen muss und danach schnellstmöglich<br />
wieder weg.“ Dass ihre Einsamkeit während der<br />
Präsenzzeiten aus eigener Manufaktur stammt,<br />
ist ihr bewusst. „Ich glaube, ich<br />
habe mich am Anfang halt nie<br />
wirklich angestrengt, jemanden<br />
kennenzulernen. Sowas wie Kneipentour<br />
oder Fachschaftsparty<br />
habe ich nie mitgemacht.“ Nun sei<br />
das Alleinsein normal. Und ja auch<br />
immer nur auf Zeit.<br />
Für Markus ist es das nicht. Für ihn gibt es kein<br />
Sicherheitsnetz, keinen doppelten Boden, auf<br />
den er sich verlassen kann. „In der Schule hatte<br />
ich zwei beste Freunde, aber die studieren beide<br />
woanders und der Kontakt ist nicht mehr so intensiv.<br />
Die Leute, die ich hier habe, sehe ich eigentlich<br />
nur, wenn man mal zusammen raus<br />
geht.“ Wirklich warm geworden ist der 20-Jährige<br />
mit niemandem. Seine Kumpel, die er vom<br />
Hochschulsport oder aus der Fachschaft kennt,<br />
sind für ihn wie vorbeifahrende Züge,<br />
die zwar einen Teil seiner Strecke teilen,<br />
die ihn letztendlich aber nicht<br />
tangieren. Dafür, dass aus seinen Bekanntschaften<br />
keine wirklich bedeutsamen<br />
Verbindungen entstehen, gibt<br />
Markus sich selber die Schuld. „Ich<br />
kenne ja Leute, aber im Grunde halt nicht so<br />
richtig. Ich habe auch nie wirklich Zeit, weil ich<br />
von der Uni meistens direkt weiter zur Arbeit<br />
muss. Also unter der Woche ist eigentlich immer<br />
nur Uni, Arbeiten und Lernen.“ Wenn es am Wochenende<br />
dann zum Feiern geht, sieht der Naturwissenschaftler<br />
keine richtige Gelegenheit,<br />
um über mehr als nur das Oberflächliche zu reden.<br />
„Da will man dann ja auch nicht mit seinen<br />
Problemen anfangen.“ Auch unter seinen Arbeitskollegen<br />
findet er nicht wirklich Anschluss.<br />
Als Student mit nur wenigen Stunden auf dem<br />
Zettel, reiche es meistens gerade mal dafür,<br />
„Unter der Woche<br />
ist eigentlich<br />
immer nur Uni,<br />
Arbeiten und<br />
Lernen.“<br />
dass er sich die Vornamen der Mitarbeiter merken<br />
kann. Markus, der für sein Studium vor einem<br />
Jahr ins Ruhrgebiet zog, fühlt sich nach<br />
wie vor fremd. Seine Bekanntschaften, mit denen<br />
er meistens in WhatsApp-Gruppenchats<br />
kommuniziert, um das nächste Saufgelage zu<br />
planen, empfindet er als flüchtig und letztendlich<br />
bedeutungslos. Auch wenn er unter Leuten<br />
ist, fühlt er sich allein.<br />
Druck fördert Isolation<br />
Den Grund für ihre Einsamkeit sehen sowohl<br />
Svenja, als auch Markus in ihrem eigenen Verhalten<br />
verwurzelt. Sicherlich gehen verschiedene<br />
Persönlichkeitstypen mit Situationen des<br />
Umbruchs und des Neuformierens unterschiedlich<br />
um, doch in beiden Fällen lässt sich auch<br />
ein strukturelles Problem im System Universität<br />
erkennen, dass die soziale Isolierung forciert.<br />
So ist die zunehmende Leistungsorientierung,<br />
vor allem seit Beginn des Bologna-Prozesses,<br />
auch für Psychologin Anna Sellhorn eine Quelle<br />
für nicht funktionierende soziale Gefüge. „Soziale<br />
Kontakte leiden unter dem vermehrten Leistungsdruck.<br />
Und der kommt ja nicht nur von außen,<br />
er wird auch innen selbst gemacht.<br />
Einsamkeit entsteht dann,<br />
weil Kontakte nicht gepflegt werden<br />
können – die Freunde oder Bekannten<br />
müssen ja ebenfalls lernen und<br />
haben deshalb keine Zeit.“ Mehr<br />
noch: Studierende stehen nicht nur<br />
unter immensem Leistungs- und Erfolgsdruck,<br />
um ihr Studium in der knapp bemessenen und<br />
mit Inhalten vollgestopften Regelstudienzeit zu<br />
absolvieren, sondern auch unter finanziellem<br />
Druck. Beide bedingen sich: Wer zu lange an der<br />
Uni verweilt, dem wird das Bafög gekürzt oder<br />
gar gestrichen. Also arbeiten immer mehr Studenten<br />
neben dem Studium. Laut einer deutschlandweiten<br />
Umfrage des Personaldienstleisters<br />
univativ haben fast 70 Prozent der Studentenschaft<br />
einen Nebenjob, davon arbeiten 37 Prozent<br />
bis zu 20 Stunden pro Woche, sechs Prozent<br />
sogar noch mehr. Die gleiche Umfrage zeigte<br />
zudem, dass rund 72 Prozent mindestens<br />
20 Stunden in der Woche<br />
mit dem Studium beschäftigt sind.<br />
An Fällen wie Markus lässt sich<br />
leicht erkennen, wohin ein Alltag mit<br />
so eng gestricktem und ausgelastetem<br />
Stundenplan führt: Zwischen<br />
Lernen und Arbeiten bleibt keine Zeit<br />
für den Aufbau bedeutsamer sozialer<br />
Kontakte. Die Bekanntschaften, die<br />
entstehen, bleiben oberflächlich,<br />
sind letztlich auch nur ein funktionaler<br />
Baustein im Stundenplan: Wer will<br />
schon alleine in den Club, um sich<br />
den Stress der Woche aus dem Leib<br />
zu feiern?<br />
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